zu 96.461 Parlamentarische Initiative Rechte für Migrantinnen (Goll) Bericht vom 4. März 1999 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 14. April 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen nach Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes unsere Stellungnahme zu Bericht und Antrag der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates (SPK-N) vom 4. März 1999 (BBl 1999 2774), welche mit einer parlamentarischen Initiative eine Vorlage betreffend Aufenthaltsrecht für Ausländerinnen und Ausländer nach Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft oder Auflösung der Ehe beantragt.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. April 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Ausländische Ehegatten von Schweizer Bürgern besitzen nach Artikel 7 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung und nach fünf Jahren einen Anspruch auf Erteilung der unbefristeten und nicht mit Bedingungen verbundenen Niederlassungsbewilligung. Diese Ansprüche bestehen demgegenüber bei ausländischen Ehegatten von niedergelassenen Ausländern nur, wenn sie zusammen wohnen (Art. 17 Abs. 2 ANAG). Bei Ausländerinnen und Ausländern mit Aufenthaltsbewilligung wird der Familiennachzug in aller Regel bewilligt, wenn die Voraussetzungen nach den Artikeln 38 und 39 der Verordnung über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (BVO) erfüllt sind; ein Rechtsanspruch besteht jedoch nicht.

Ziel dieser Regelungen ist es, den beiden Ehegatten die Aufnahme einer Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Nach einer Scheidung, nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft infolge Tod oder bei Nichtigkeit der Ehe oder ­ bei Ehegatten von Ausländerinnen und Ausländern ­ nach Aufgabe des gemeinsamen Wohnsitzes muss deshalb die Aufenthaltsregelung neu überprüft werden, wenn die betroffene Person noch keine Niederlassungsbewilligung besitzt. Eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ist in diesen Fällen, namentlich zur Vermeidung von Härtefällen, möglich. Die zuständigen kantonalen Behörden entscheiden nach pflichtgemässem Ermessen (Art. 4 ANAG). Zu berücksichtigen sind nach den Weisungen des Bundesamts für Ausländerfragen (BFA) hauptsächlich folgende Umstände: die Dauer der Anwesenheit, die persönlichen Beziehungen zur Schweiz (insbesondere wenn Kinder vorhanden sind), das Verhalten, der Integrationsgrad, die berufliche Situation sowie die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage. Ebenfalls zu berücksichtigen sind ferner die Umstände, die zur Auflösung der Ehe oder der ehelichen Gemeinschaft geführt haben. Steht fest, dass der im Familiennachzug zugelassenen Person eine Fortführung der ehelichen Beziehung, namentlich weil sie misshandelt worden ist, nicht länger zugemutet werden kann, so ist dies beim Entscheid besonders in Rechnung zu stellen. Das BFA hat die kantonalen Fremdenpolizeibehörden wiederholt auf diese Problematik aufmerksam gemacht.

Die Frage des Verschuldens eines Ehegatten ist für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung indessen nicht
massgebend. Die Möglichkeit eines getrennten Wohnsitzes nach Eherecht aus beruflichen oder anderen wichtigen und nachvollziehbaren Gründen bleibt ebenfalls vorbehalten.

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Antrag der parlamentarischen Initiative

Die Initiantin fordert für Migrantinnen grundsätzlich die Einführung eines von der Ehe unabhängigen Aufenthaltsrechts. In der Begründung wird vorgeschlagen, dass auf Gesetzesstufe beispielsweise eine Ausnahmeregelung eingeführt werden könnte, wonach eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird, wenn die Wegweisung aus der Schweiz zu einer schweren Notlage führt. Dadurch soll die Abhängigkeit der Ehefrauen von gewalttätigen Ehemännern vermindert werden.

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Vorschlag der SPK-N

Der Entwurf der SPK-N sieht vor, dass die ausländischen Ehegatten von Niedergelassenen denjenigen von Schweizerinnen und Schweizern bezüglich des Familiennachzugs gleichgestellt sind. Die zusätzliche Bedingung für das Aufenthaltsrecht in Artikel 17 Absatz 2 ANAG, wonach Niedergelassene mit ihrem Ehegatten zusammen wohnen müssen, wird aufgegeben.

Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten soll zudem auch nach Auflösung der Ehe weiterhin bestehen, wenn die Ausreise aus der Schweiz auf Grund der persönlichen Verhältnisse unzumutbar ist. Diese Regelung soll sowohl für die Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern als auch von niedergelassenen Ausländerinnen und Ausländern gelten. Die Ehegatten von Aufenthaltern erhalten unter den gleichen Voraussetzungen ein Aufenthaltsrecht, wenn der gemeinsame Haushalt aufgegeben oder die Ehe aufgelöst wird.

Zur Vermeidung eines Missbrauchs dieser neuen, grosszügigeren Bestimmungen zum Familiennachzug wird weiter eine nicht abschliessende Aufzählung von Indizien im ANAG vorgeschlagen, die auf einen Rechtsmissbrauch schliessen lassen.

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Stellungnahme des Bundesrats

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Laufende Totalrevision des ANAG

Zurzeit wird durch eine Expertenkommission die Totalrevision des ANAG vorbereitet. Sie wird voraussichtlich bereits im 3. Quartal 1999 vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt. Bei den Gesetzgebungsarbeiten werden die Anliegen der vorliegenden parlamentarischen Initiative im übergeordneten Rahmen einer Neuregelung der Zulassungsvoraussetzungen und des Familiennachzugs berücksichtigt.

Eine vorgezogene Teilrevision des ANAG nur bezüglich der vorliegenden Problematik erachtet der Bundesrat daher nicht als notwendig und sinnvoll, zumal die bestehende Regelung die Vermeidung von Härtefällen bereits ermöglicht.

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Verzicht auf das Erfordernis des gemeinsamen Haushalts auch bei Ehegatten von Niedergelassenen

Nach dem Vorschlag der SPK-N erhalten Ehegatten von Niedergelassenen ebenfalls ein Aufenthaltsrecht, das ­ wie bei Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern ­ nicht mehr von einem gemeinsamen Haushalt abhängig gemacht wird. Es zeigte sich in der Praxis, dass das vom tatsächlichen Bestand der Ehegemeinschaft losgelöste Aufenthaltsrecht (Art. 7 ANAG) leider zu einer grösseren Zahl von Missbräuchen geführt hat, wobei allenfalls zu prüfen ist, ob auch bei den ausländischen Ehegatten von Schweizern die Bedingung des Zusammenwohnens eingeführt werden sollte.

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Weiterbestand des Aufenthaltsrechts nach dem Scheitern der Ehe in Härtefällen

Der Bundesrat ist wie die SPK-N der Auffassung, dass Ausländerinnen und Ausländer grundsätzlich nicht aus der Schweiz weggewiesen werden sollen, wenn ihnen die 5035

Rückkehr in das Herkunftsland nicht zugemutet werden kann. In diesen Fällen ermöglicht allerdings bereits das geltende Recht eine Bewilligungsverlängerung im Rahmen des behördlichen Ermessens. Die zusätzliche Schaffung eines eigentlichen Bewilligungsanspruchs wird ­ wie bereits erwähnt ­ im Rahmen der laufenden Totalrevision des ANAG geprüft. Unter Vorbehalt des Resultats der Arbeit der Gesetzgebungskommission und des Ausgangs des geplanten Vernehmlassungsverfahrens namentlich bei den direkt betroffenen Kantonen ist der Bundesrat grundsätzlich bereit, auch eine solche Lösung vorzuschlagen.

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Aufenthaltsrecht der Ehegatten von Aufenthalterinnen und Aufenthaltern nach Aufgabe des gemeinsamen Haushalts in Härtefällen

Nach der geltenden Regelung haben die Ehegatten von Ausländerinnen und Ausländern mit Aufenthaltsbewilligung keinen Anspruch auf Familiennachzug. Er wird jedoch regelmässig bewilligt, wenn die entsprechenden Bedingungen erfüllt sind (u. a.

gemeinsamer Haushalt; Art. 38 und 39 BVO). Die Ehegatten von Aufenthalterinnen und Aufenthaltern erhalten nach dem Vorschlag der SPK-N nun ebenfalls ein Aufenthaltsrecht, wenn nach Aufgabe des gemeinsamen Haushalts oder nach Auflösung der Ehe die Ausreise auf Grund der persönlichen Verhältnisse unzumutbar ist.

Die vorgeschlagene Lösung (Art. 17a neu) würde dazu führen, dass mit der Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft nachträglich ein gesetzlicher Aufenthaltsanspruch entstehen kann, der beim ursprünglichen Zulassungsgrund (Familiennachzug zu Jahresaufenthalter/in) noch nicht vorhanden ist. Die nachgezogene Person bekäme zudem ein besseres Aufenthaltsrecht als der eventuell bereits länger in der Schweiz lebende Ehegatte. Auch ohne diesen Anspruch steht es den Fremdenpolizeibehörden frei, die Aufenthaltsbewilligung in Härtefällen im Rahmen des Ermessens zu verlängern. Artikel 12 Absatz 2 BVO ermöglicht in diesen Fällen eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ohne Anrechnung an die Höchstzahlen. Die Schaffung eines neuen Aufenthaltsrechts erscheint hier daher kaum vereinbar mit den geltenden Grundsätzen des Ausländerrechts. Im Übrigen wird vorgesehen, die Einführung einer derartigen Änderung im Rahmen der Totalrevision des ANAG zu prüfen.

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Missbrauchsbekämpfung

Nach dem Entwurf der SPK-N sollen zur besseren Missbrauchsbekämpfung im ANAG Situationen erwähnt werden, die auf einen Rechtsmissbrauch schliessen lassen. Eine solche Aufzählung ­ die sich hauptsächlich auf einzelne Entscheide des Bundesgerichts zum geltenden Artikel 7 ANAG stützt ­ dürfte bei der Missbrauchsbekämpfung in der Praxis allerdings kaum hilfreich sein. Der Beweis, dass tatsächlich ein Rechtsmissbrauch vorliegt, bleibt weiterhin sehr schwierig, da nach wie vor an Hand von Indizien auf die subjektiven Absichten der betroffenen Personen geschlossen werden muss. Eine Verbindung des Aufenthaltsanspruchs des Ehegatten mit dem objektiv überprüfbaren Grundsatz des Zusammenwohnens mit Ausnahmemöglichkeiten (siehe Ziff. 1) würde demgegenüber auf Grund der bisherigen Erfahrungen die Arbeit der Behörden eindeutig erleichtern (siehe Ziff. 42).

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Zusätzliche technische Anpassung in Artikel 17 Absatz 2 ANAG

Würde Artikel 17 Absatz 2 ANAG jedoch geändert, so wäre es sinnvoll, wenn gleichzeitig eine Anpassung des nicht mehr zeitgemässen ersten Satzes an die heutige Praxis erfolgt (siehe Antrag in Ziff. 5). Die Kontrolle des Zeitpunktes, ab dem frühestens die Niederlassungsbewilligung erteilt werden darf, wird heute in den weitaus meisten Fällen nur noch automatisiert durch das Zentrale Ausländerregister vorgenommen. Eine formelle Kontrollentlassung im Sinn von Artikel 17 Absatz 1 ANAG erfolgt heute oft bereits kurz nach der Einreise und nur noch in wenigen Fällen. Diese Situation führt immer wieder zu Problemen bei der zeitgemässen Auslegung dieses Artikels. Nach heutiger Praxis besteht erst dann ein Anspruch auf Familiennachzug, wenn tatsächlich die Niederlassungsbewilligung erteilt wird (diese Regelung sah denn auch das 1982 abgelehnte neue Ausländergesetz vor). Artikel 17 Absatz 2 sollte dieser Praxis angepasst werden.

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Erklärung des Bundesrates

Gestützt auf diese Überlegungen und in Anbetracht der Tatsache, dass bereits heute Härtefälle befriedigend geregelt werden können, lehnt der Bundesrat die parlamentarische Initiative ab. Er ist jedoch bereit, die darin vorgebrachten Anliegen im Rahmen der Totalrevision des ANAG zu berücksichtigen.

Stimmen National- und Ständerat der parlamentarischen Initiative zu, so beantragt der Bundesrat folgende Änderungen des Gesetzestextes: Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 ANAG 1

Der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers hat Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, solange die Ehegatten zusammen wohnen. Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat er Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung.

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Kein Anspruch besteht, wenn die Ehe rechtsmissbräuchlich mit dem Ziel einer Umgehung der Vorschriften über den Aufenthalt und die Niederlassung einschliesslich jener über die Begrenzung der Zahl der Ausländer eingegangen wurde oder an ihr mit diesem Ziel festgehalten wird. (Rest streichen) Art. 17 Abs. 2 und Abs. 3 (neu) ANAG

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Ist der Ausländer im Besitz der Niederlassungsbewilligung, so hat sein Ehegatte Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, solange die Ehegatten zusammen wohnen. Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat der Ehegatte ebenfalls Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. Ledige Kinder unter 18 Jahren haben Anspruch auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung, wenn sie mit ihren Eltern zusammen wohnen.

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Kein Anspruch besteht, wenn die Ehe rechtsmissbräuchlich mit dem Ziel einer Umgehung der Vorschriften über den Aufenthalt und die Niederlassung einschliesslich jener über die Begrenzung der Zahl der Ausländer eingegangen wurde oder an ihr mit diesem Ziel festgehalten wird. (Rest streichen)

Art. 17a (neu) ANAG streichen

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