# S T #

89.002

Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf

vom 11.Januar 1989

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des am 11. April 1980 in Wien abgeschlossenen Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

l I.Januar 1989

1989-740

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Delamuraz Der Bundeskanzler: Buser

30 Bundesblatt. 141. Jahrgang. Bd. I

745

Übersicht In unserer Wirtschaft ist die Anzahl abgeschlossener Kaufverträge mit internationalem Element konstant sehr hoch. Der grenzüberschreitende Warenverkehr bringt neben zahlreichen Vorteilen auch einige Probleme. Die Frage, welcher Rechtsordnung solche Geschäfte unterliegen, ist je nach den Umständen nicht immer einfach zu beantworten.

Die Bestrebungen zur Vereinheitlichung des internationalen Warenkaufs sind schon alt. Eine erste wissenschaftliche Bearbeitung erfuhr dieses Thema im Rahmen des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom (UNIDROIT) zu Beginn der dreissiger Jahre. Die darauf fussenden Haager Einheitlichen Kaufgesetze von 1964 brachten nicht den erhofften Durchbruch, so dass die VN O-Kommission für internationales Handelsrecht (United Nations Commission on international Trade Law, UNCITRAL) dieses Problem gegen Ende der sechziger Jahre erneut aufgriff. Nach längeren Vorarbeiten auf der Basis der Haager Einheitlichen Kaufgesetze konnte am 11. April 1980 an einer diplomatischen Konferenz in Wien das Übereinkommen über den internationalen Warenkauf verabschiedet werden. Die positive Aufnahme, die das Übereinkommen bisher in zahlreichen Staaten erfahren hat, erlaubt die Annahme, dass es einen sehr grossen Geltungsbereich erlangen wird. Das Übereinkommen wurde bisher von 21 Staaten unterzeichnet, 17 haben es ratifiziert, so dass es am I.Januar 1988 in Kraft getreten ist. Das grosse Interesse, das dieses Übereinkommen in in- und ausländischen Kreisen von Wirtschaft und Wissenschaft erfahren hat, veranlasst den Bundesrat, der Bundesversammlung dessen Ratifizierung zu beantragen.

746

Botschaft I II

Allgemeiner Teil Ausgangslage

Liegt ein grenzüberschreitender Kaufvertrag vor, so stellt sich als erstes die Frage, welchem Recht dieser Vertrag untersteht. In der Schweiz wird die Frage durch das Haager Übereinkommen vom 15. Juni 1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht (SR 0.221.211.4) beantwortet.

Der Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens von 1955 sei kurz umrissen. Es handelt sich um einen erga omnes geltenden, mit loi-uniforme-Charakter ausgestatteten Staatsvertrag. Das bedeutet, dass das Übereinkommen im Rahmen seines sachlichen Geltungsbereiches keinen Raum für nationales Kollisionsrecht lässt und dass seine Bestimmungen auch dann anwendbar sind, wenn das verwiesene Recht nicht dasjenige eines Vertragsstaates ist. Der sachliche Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens wird in verschiedener Hinsicht eingegrenzt.

Das Übereinkommen beschränkt sich auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts für Kaufverträge, die eine bewegliche körperliche Sache betreffen. Wertpapiere, eingetragene See- und Binnenschiffe oder Luftfahrzeuge sowie die gerichtliche Veräusserung und die Zwangsverwertung infolge Pfändung sind ausdrücklich ausgeschlossen (Art. l Abs. 2). Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher körperlicher Sachen gelten als Kaufverträge im Sinne des Übereinkommens, sofern die liefernde Partei die zur Herstellung oder Erzeugung erforderlichen Rohstoffe selber beschafft (Art. l Abs. 3).

Das Übereinkommen gilt nicht für die Frage der Handlungsfähigkeit der Parteien und für die Form der Verträge. Es klammert zudem den Eigentumsübergang aus sowie die Wirkungen des Kaufvertrages auf Dritte (Art. 5).

Fällt der Kaufgegenstand nicht unter das Abkommen oder ist eine Frage offen, die das Übereinkommen nicht beschlägt, so sind für die Bestimmung des anwendbaren Rechts die innerstaatlichen, von der Praxis entwickelten, Kollisionsnormen, d.h. neuerdings die einschlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 18.Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG; AS 1988 1776; SR 291) zu berücksichtigen. Nach Artikel 116 IPRG untersteht ein Vertrag in erster Linie dem von den Parteien bezeichneten Recht (subjektive Anknüpfung). Fehlt eine gültige Rechtswahl, so ist jenes Recht massgebend, welches mit dem Vertrag den engsten räumlichen
Zusammenhang aufweist (Art. 117 IPRG: objektive Anknüpfung). Dieser Zusammenhang wird aus der charakteristischen Leistung des jeweiligen Vertragstypes abgeleitet. Beim Kaufvertrag, in welchem der Verkäufer durch Übergabe der Kaufsache die charakteristische Leistung erbringt, ist daher grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers heranzuziehen (Art. 117 Abs. 3 Bst. a IPRG).

Die gleichen Grundsätze sindiim Haager Übereinkommen von 1955 vorgesehen.

Bei Fehlen einer Rechtswahl unterstellt es den Kaufvertrag dem Recht des ge747

wohnlichen Aufenthaltes des Verkäufers. Allerdings sieht das Übereinkommen eine generelle Ausnahme/zugunsten des Käuferrechts für Kaufverträge vor, die im Land des Käufers abgeschlossen werden.

Ist die Frage des anwendbaren Rechts gelöst, so gilt es in einem weiteren Schritt, die strittigen Probleme nach der für anwendbar bezeichneten Rechtsordnung zu lösen. Für die Parteien des Kaufvertrages und im Konfliktsfall für den angerufenen Richter ergibt sich daraus eine schwer voraussehbare Lage.

Häufig werden die Parteien keine Rechtswahl treffen, weil sie diese Frage in den Vertragsverhandlungen^ nicht aufgreifen wollen. Ebenso häufig dürften sie an eine Rechtswahl nicht denken, weil sie von einer reibungslosen Vertragsabwicklung ausgehen. In solchen Fällen muss das anzuwendende Recht mit Hilfe der Kollisionsnormen ermittelt werden, um aufgrund der so bestimmten nationalen Rechtsordnung die offenen Fragen beantworten zu können. Demgegenüber bietet das vorliegende Wiener Kaufrechtsübereinkommen für wichtige Gebiete des Kaufrechts selber die massgebenden materiellen Rechtsnormen.

Die Schweiz hat die Haager Einheitlichen Kaufgesetze von 1964 - das Einheitliche Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG) und das Einheitliche Gesetz «über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen» (EAG) - seinerzeit nicht ratifiziert. Das Wiener Kaufrechtsübereinkommen von 1980, dessen Genehmigung Ihnen mit dieser Botschaft vorgeschlagen wird, bietet unserem Land die Möglichkeit, sich an der internationalen Kaufrechtsordnung der Zukunft von Beginn an zu beteiligen.

12

Entstehungsgeschichte des Wiener Kaufrechtsübereinkonirnens

Während Jahrzehnten hat man in Wirtschaftskreisen von einer universell geltenden «lex mercatoria» geträumt. Konkrete Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Kaufrechts setzten indessen erst zu Beginn der dreissiger Jahre ein. Will man die wichtigsten Bestrebungen auf diesem Gebiet erwähnen, so sind zum einen die Arbeiten des Internationalen (Römer) Institutes für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) und zum anderen die Haager Einheitlichen Kaufgesetze zu nennen. Angesichts der wegweisenden Bedeutung dieser Arbeiten für das vorliegende UNCITRAL-Übereinkommen rechtfertigt sich eine kurze Darstellung ihres Werdegangs.

121

UNIDROIT

Nachdem es nach langen Vorarbeiten gelungen war, unter der Ägide des Völkerbundes eine materiellrechtliche Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Wechsel- und Checkrechts zu erarbeiten - die Vereinheitlichung gipfelte in den Genfer Abkommen von 1930 und 1931 - wagte sich der Völkerbund an die Vereinheitlichung des Kaufrechts heran. Die Vorbereitungsarbeiten wurden dem Römer Institut UNIDROIT übertragen. Führend war dabei der bedeutende deutsche Jurist Ernst Rabel. Sein grosses rechtsvergleichendes Werk über das Recht des Warenkaufs, das er zusammen mit seinen Mitarbeitern am damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin erstellt hatte, diente als wissenschaftliche 748

Grundlage. An den Beratungen innerhalb des UNIDROIT waren namhafte Juristen aus England, Frankreich, Italien, Deutschland, den skandinavischen Ländern und der Schweiz beteiligt. Im Jahre 1935 konnte der Direktionsrat des Instituts den Entwurf eines Einheitsgesetzes über den internationalen Warenkauf genehmigen und ihn dem Völkerbund vorstellen. Ernst Rabel selbst bezeichnete diesen Entwurf als «Markstein in der Entwicklung des Privatrechts und des internationalen Rechts», nicht so sehr um der getroffenen Einzellösungen willen als vielmehr wegen der Tatsache, dass erstmals eine tiefgreifende rechtsvergleichende Auseinandersetzung hatte angestrebt und durchgeführt werden können.

Der Entwurf von 1935 wurde vom Völkerbund den einzelnen Regierungen zur Stellungnahme übersandt und aufgrund ihrer Anregungen überarbeitet («Römischer Entwurf» von 1939). Als UNIDROIT nach der kriegsbedingten Unterbrechung die Arbeiten Ende der vierziger Jahre wieder aufnahm, standen die Bemühungen um die Vereinheitlichung des Kaufrechts immer noch an erster Stelle. Die Arbeiten der Kaufrechtskommission des Instituts im Jahre 1950 ergaben, dass trotz der in der Zwischenzeit neu verabschiedeten nationalen Gesetze keine grundlegenden Änderungen am «Römischen Entwurf» vorgenommen werden mussten.

122

Das Haager Einheitliche Kaufrecht

An der 1951 von der niederländischen Regierung einberufenen diplomatischen Konferenz bildete der zweite UNIDROIT-Entwurf von 1939 die Grundlage für die Beratungen zu einem Einheitlichen Kaufgesetz. An dieser Konferenz nahmen 21 Staaten - alle aus Europa - teil, die den «Römischen Entwurf» in seinen Grundzügen annahmen. Es galt lediglich, den nach dem Krieg aufgekommenen neuen Handelsbräuchen angemessen Rechnung zu tragen. Im Jahre 1956 präsentierte eine von der diplomatischen Konferenz eingesetzte Arbeitsgruppe eine bereinigte Fassung. Die Stellungnahmen, die die einzelnen Staaten einbrachten, führten zu einer weiteren Überarbeitung, die 1963 in einem Entwurf samt Begleitbericht ihren Abschluss fand.

Im Zuge ihrer Beratungen von 1956 beschlossen die 21 Staaten, auch die Arbeiten des UNIDROIT über die Vereinheitlichung des Rechts des Abschlusses von Kaufverträgen weiter zu verfolgen. Diese Arbeiten hatten 1936 ebenfalls in einem - allerdings wenig aussichtsreichen - Entwurf ihren vorläufigen Abschluss gefunden. Es war daher Aufgabe des UNIDROIT, die Probleme des Vertragsabschlusses nochmals in Angriff zu nehmen. Obwohl man sich auf den Vertragsabschluss bei internationalen Warenkäufen beschränkte, sollten diese Bestimmungen gesondert bleiben und eine Ergänzung zum Einheitlichen Kaufgesetz bilden. Ein entsprechender UNIDROIT-Entwurf konnte 1958 nebst einem erläuternden Bericht vorgelegt werden.

Im Frühjahr 1964 lud die niederländische Regierung erneut zu einer diplomatischen Konferenz ein, an welcher 28 Staaten teilnahmen. Als Ergebnis wurden am 25. April 1964 die beiden Einheitlichen Gesetze verabschiedet: das Einheitliche Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG) und das Einheitliche Gesetz über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (EAG).

749

Die Erwartungen, die in das Haager Einheitliche Kaufrecht gesetzt worden waren, blieben jedoch unerfüllt. Der Kreis der Vertragsstaaten war und blieb klein: Nur neun Staaten (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Gambia, Grossbritannien, Israel, Italien, Luxemburg, Niederlande und San Marino) ratifizierten die beiden Übereinkommen. Die Gründe für das Scheitern der Haager Einheitlichen Gesetze als Weltkaufrecht sind zahlreich; immer wieder genannt wird der kleine, auf Europa beschränkte Teilnehmerkreis und - damit verbunden - die ablehnende Beurteilung der Gesetze durch die Entwicklungs- und Staatshandelsländer.

123

UNCITRAL

Die Hoffnung auf ein weltweit geltendes Kaufrecht war mit dem Misserfolg der Haager Einheitlichen Kaufgesetze nicht begraben. Die UNO-Generalversammlung hatte im Jahre 1967 eine Kommission für internationales Handelsrecht (United Nations Commission on International Trade Law, UNCITRAL) eingesetzt, die die Vereinheitlichung des Kaufrechts - nunmehr unter repräsentativer Beteiligung von Vertretern aus allen Teilen der Welt - erneut in Angriff nahm.

Die Arbeiten der UNCITRAL konnten einerseits auf das Werk Ernst Rabeis und des UNIDROIT und andererseits auf das Haager Einheitliche Kaufrecht zurückgreifen. Zugleich wurden vermehrt auch die im US-amerikanischen Uniform Commercial Code (UCC) und die in den verschiedenen einheitlichen Bedingungen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW/COMECON) enthaltenen kaufrechtlichen Grundsätze in die Beratungen einbezogen. Gestützt auf diese Vorbilder legte die UNCITRAL-Arbeitsgruppe im Januar 1976 einen ersten Entwurf vor («Genfer Entwurf»), welcher 1977 mit gewissen Änderungen an der l O.Jahresversammlung der UNCITRAL in Wien verabschiedet wurde («Wiener Entwurf»). Der bereinigte, von der l I.Jahresversammlung in New York angenommene Entwurf («New Yorker Entwurf»), wurde den Staaten zur Stellungnahme unterbreitet. Er bildete die Grundlage für die am l O.März 1980 nach Wien einberufene diplomatische Konferenz. An dieser nahmen über 60 Staaten teil: Ägypten, Argentinien, Australien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Bulgarien, Burma, Chile, China, Costa Rica, Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik, Ecuador, Finnland, Frankreich, Ghana, Griechenland, Grossbritannien, Indien, Irak, Iran, Irland, Israel, Japan, Jugoslawien, Kanada, Kenia, Kolumbien, Republik Korea, Libyen, Luxemburg, Mexiko, Niederlande, Nigeria, Norwegen, Österreich, Pakistan, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Singapur, Spanien, Thailand, Tschechoslowakei, Tunesien, Türkei, Ukrainische Sozialistische SowjetRepublik^ UdSSR, Ungarn, Uruguay, USA, Weissrussische Sozialistische Sowjetrepublik, Zaire, Zypern. Venezuela sowie die folgenden zwischenstaatlichen Organisationen waren als Beobachter vertreten: Weltbank, Zentralamt für das internationale Eisenbahnwesen, Europarat, EG, Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, UNIDROIT, Bank für internationalen Zahlungsausgleich, Internationale Handelskammer.

750

An der Schlussabstimmung sprachen sich 42 Staaten für das Übereinkommen aus, zehn enthielten sich der Stimme. Die Schlussakte mit dem Übereinkommen über den internationalen Warenkauf ist am 11. April 1980 unterzeichnet worden.

Das Übereinkommen wurde in arabischer, chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Sprache abgefasst und unterzeichnet. Eine deutsche Übersetzung ist im Januar 1982 von der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik, Österreich und der Schweiz an einer gemeinsamen Übersetzungskonferenz erstellt worden.

13

Aufbau und Inhalt des Übereinkommens

Das Wiener Übereinkommen über den internationalen Warenkauf umfasst vier Teile, von denen der erste die Vorschriften über den Anwendungsbereich und die allgemeinen Bestimmungen (Art. 1-13), der zweite die für den Abschluss von Kaufverträgen massgeblichen Vorschriften (Art. 14-24) und der dritte Teil (Art.25-88) die Bestimmungen über den Inhalt des Kaufvertrages enthält; im vierten Teil (Art. 89-101) sind die traditionellen Schlussklauseln festgehalten.

131

Erster Teil (Art. 1-13)

Der Anwendungsbereich des Übereinkommens ist in den Artikeln 1-6 geregelt.

Danach gilt das Übereinkommen in einer ersten Variante für Kaufverträge über Waren zwischen Parteien, die ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten haben (Art. l Abs. l Bst. a). Nach der zweiten Variante findet das Übereinkommen auch dann Anwendung, wenn das internationale Privatrecht des angerufenen Richters zur Rechtsordnung eines Staates führt, der das Übereinkommen ratifiziert hat (Art. l Abs. l Bst. b). In diesem zweiten Fall kann das Übereinkommen also auch dann Geltung beanspruchen, wenn nur eine oder überhaupt keine Partei in einem Vertragsstaat niedergelassen ist; Voraussetzung ist lediglich, dass die lexfori auf das Recht eines Vertragsstaates verweist. Festzuhalten ist im übrigen, dass es für die Anwendbarkeit des Übereinkommens weder auf die Staatsangehörigkeit der Parteien noch auf ihre Stellung als Kaufleute oder Nichtkaufleute ankommt (Art. l Abs. 3), sondern nur auf den ersichtlichen Auslandbezug des Kaufgeschäftes (Art. l Abs. 2).

In sachlicher Hinsicht ist die Anwendbarkeit des Wiener Übereinkommens in mehrfacher Weise begrenzt. Einmal regelt es nur den Abschluss von Kaufverträgen und die daraus entstehenden Rechte und Pflichten des Käufers und des Verkäufers (Art. 4). Weitere Problembereiche, wie etwa die Fragen der Gültigkeit des Vertrages, der Willensmängel und des Eigentumsübergangs, wurden mit Rücksicht auf die bestehenden grossen Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen ausgeklammert. Im weiteren sind Kaufverträge über bestimmte Gegenstände ausgenommen: Güter des persönlichen Gebrauchs, Wertpapiere, Schiffe, Elektrizität. Versteigerungen und Verwertungen im Zuge der Zwangsvollstreckung oder durch einen anderen staatlichen Hoheitsakt fallen ebenfalls nicht unter das Übereinkommen (Art. 2) Artikel 3 nimmt eine Abgrenzung zum Werklieferungs- und Dienstleistungsvertrag vor.

751

Ebenfalls im ersten Teil sind die allgemeinen Bestimmungen betr. Auslegung des Übereinkommens, Lückenfüllung, Auslegung von Willenserklärungen, Handelsbräuche und Form enthalten (Art. 7-13).

132

Zweiter Teil (Art. 14-24)

Dieser Teil regelt den Abschluss des Kaufvertrages. In den Grundzügen folgt er dem Haager Einheitlichen Gesetz über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (EAG) Insbesondere wurde an der traditionellen Vertragsabschlusskonzeption von Angebot und Annahme festgehalten.

Gemäss Übereinkommen muss ein Angebot genügend bestimmt sein und einen erkennbaren Bindungswillen des Anbietenden aufweisen (Art. 14). Ob auch der Preis bestimmt sein muss, blieb lange umstritten. Im Sinne eines Kompromisses einigte man sich darauf, dass bei fehlender Angabe eine Vermutung zu Gunsten des üblichen Preises Platz greifen soll. Die Annahme muss sich inhaltlich mit dem Angebot decken und darf keine Vorbehalte, Erweiterungen oder Einschränkungen enthalten. Dieser Grundsatz wird dahingehend präzisiert, dass eine Annahme mit unwesentlicher Abweichung den Vertrag dennoch zustande kommen lässt, sofern nicht der Anbietende die fehlende Übereinstimmung unverzüglich beanstandet (Art. 19).

Nach dem Wiener Übereinkommen gilt der Vertrag als geschlossen, wenn die Annahme eines Angebotes wirksam wird (Art. 23). Für den Vertragsabschluss unter Abwesenden bedeutet dies den Zeitpunkt, in dem die Annahme des Angebotes dem Anbietenden zugeht (Art. 24).

133

Dritter Teil (Art. 25-88)

Der dritte und umfangreichste Teil des Übereinkommens ist in fünf Kapitel gegliedert.

Das erste Kapitel (Art. 25-29) enthält einige allgemeine Bestimmungen und insbesondere den für das Übereinkommen wichtigen Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung.

Kapitel II regelt die Pflichten des Verkäufers (Art. 30-44) und Kapitel III sein Gegenstück, die Pflichten des Käufers (Art. 53-66). Den Verkäufer trifft die Pflicht zur Lieferung der Ware und gegebenenfalls zur Aushändigung der die Ware betreffenden Dokumente (Art. 31-34). Er hat die Ware in vertragsgemässem Zustand und frei von Rechten oder Ansprüchen Dritter zu liefern (Art. 35-44). Als Synallagma trifft den Käufer die Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises und zur Abnahme der Ware (Art. 53-60). Die Lieferpflicht des Verkäufers wird auch im Hinblick auf Ort und Zeitpunkt der Lieferung umschrieben.

Das Übereinkommen behandelt weiter die Haftung des Verkäufers für allfällige Rechts- und Sachmängel und regelt sodann die Frage, auf welche Weise der 752

Käufer die Mängel rügen muss. Im dritten Kapitel, welches die Pflichten des Käufers behandelt, werden analog die Rechtsbehelfe des Verkäufers dargestellt.

Das vierte Kapitel (Art. 66-70) handelt vom Gefahrenübergang. Im Gegensatz zu Artikel 185 OR gehen Nutzen und Gefahr nicht schon bei Vertragsabschluss auf den Käufer über, sondern grundsätzlich erst bei Erfüllung durch den Verkäufer. Das Übereinkommen enthält differenzierte Regelungen für den Gefahrenübergang beim Distanzkauf sowie beim Kauf rollender oder schwimmender Ware. Das fünfte Kapitel schliesslich enthält in den Artikeln 71-88 gemeinsame Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers. Darunter fallen namentlich die Bestimmungen über die vorzeitige Aufhebung des Vertrages (Art. 71 und 72), die Aufhebung .bei Sukzessivlieferung (Art. 73), die Berechnung des Schadenersatzes (Art. 74-77), die Exkulpation (Art. 79), die Wirkungen der Vertragsaufhebung (Art. 81-84) und die Verwahrung nicht abgenommener bzw. beanstandeter Ware (Art. 85-88).

134

Vierter Teil (Art. 89-101)

In den Schlussbestimmungen finden sich die Regeln über die Ratifizierung, das Inkrafttreten und die Kündigung des Übereinkommens. Auch das Verhältnis des vorliegenden Vertragswerkes zu den Haager Einheitlichen Kaufgesetzen wird dort erörtert, und es werden ferner die möglichen Vorbehalte erwähnt. So kann z. B. jeder Vertragsstaat erklären, dass er nur den zweiten (Vertragsabschluss, Art. 14-24) oder nur den dritten (Inhalt des Kaufvertrages, Art. 25-88) Teil des Übereinkommens annimmt (Art. 92). Eine weitere Vorbehaltsmöglichkeit (Art. 95) betrifft die Anwendungsbestimmung von Artikel l Absatz l Buchstabe b, wonach das Übereinkommen auch dann Anwendung finden soll, wenn das Internationale Privatrecht des angerufenen Richters zur Anwendung des Übereinkommens führt; jeder Vertragsstaat kann erklären, dass diese Anwendungsbestimmung für ihn nicht verbindlich ist.

14

Ergebnisse des Konsultationsverfahrens

141

Eröffnung

Mit Schreiben vom 17. November 1982 hat das Bundesamt für Justiz die Rechtsfakultäten der schweizerischen Hochschulen, Verbände aus der Privatwirtschaft und das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung eingeladen, zum Kaufrechtsübereinkommen Stellung zu nehmen.

Die Antworten sind bis zum September 1983 eingetroffen; nicht alle eingeladenen Stellen haben sich indessen am Konsultationsverfahren beteiligt.

142

Allgemeines

Die eingegangenen Stellungnahmen variieren in Umfang und Aussagewert recht stark. Während etwa die Hälfte der Stellungnahmen kurz und allgemein gehal753

ten sind, setzen sich die übrigen Eingaben zumeist kapitelweise mit dem Übereinkommen auseinander.

Mit Ausnahme des Schweizerischen Anwaltsverbandes, des Verbandes der Schweiz. Uhrenindustrie und einer nicht benannten Unternehmung wird ein Beitritt der Schweiz zum Wiener Kaufrechtsübereinkommen von allen grundsätzlich befürwortet. Die Voten reichen von der vorbehaltlosen Zustimmung zu einem Beitritt (BAWI, Universität Bern, VSIG, SOCI, VSM), über abwägende Formulierungen (Vorort, Schweizer Automatik Pool, Zürcher und Berner Handelskammer, Schweizerischer Gewerbeverband) bis hin zu der Feststellung, der Entscheid über einen allfälligen Beitritt der Schweiz sei rein politischer und wirtschaftlicher Natur (Universität Lausanne).

Die drei negativen Stellungnahmen sind in ihrer ablehnenden Haltung nicht kategorisch. Die Uhrenindustrie vertritt die Auffassung, eine Ratifikation «au stade actuel» sei für die Schweiz nicht interessant, während die nicht bezeichnete Unternehmung ebenfalls auf den politischem Charakter eines allfälligen Beitrittsentscheides hinweist und trotz ihrer Kritik dem Übereinkommen im Verkehr mit Staatshandelsländern und den Staaten der Dritten Welt eine nützliche Funktion zubilligt. Trotz der Kritik an der mangelhaften Redaktion des Übereinkommens bejaht auch der Schweizerische Anwaltsverband den Beitritt der Schweiz für den Fall, dass unsere wichtigsten Handelspartner (EG-Länder, USA, Japan) das Übereinkommen ratifizieren.

Fast alle Berichte beklagen den umständlichen Stil des Übereinkommens, der die Anwendung erheblich erschweren werde. Verschiedentlich wird auch auf widersprüchliche oder nur schwer verständliche Regelungen hingewiesen (z. B.

auf Art. 15 Abs.2 in Verbindung mit Art. 16 Abs.2 Bst. a; Art.35 Abs.2 Bst. b).

Zusammenfassend kann indessen festgehalten werden, dass das Kaufrechtsübereinkommen wohlwollend aufgenommen wird.

143

Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen

Die Universität Lausanne bemerkt, der Titel des Übereinkommens sei zu weit gefasst; es beschränke sich auf das Zustandekommen des Vertrages und die daraus entstehenden Rechte und Pflichten von Käufer und Verkäufer; weite Teile des Kaufs (Eigentumsübergang, Gültigkeit des Vertrages, Willensmängel) blieben den nationalen Rechtsordnungen überlassen (vgl. Art. 4). Der Schweizer Automatik Pool sieht in dieser beschränkten sachlichen Regelung eine Gefahr für eine allzu unterschiedliche Rechtspraxis. Der Schweizerische Gewerbeverband und die Berner Handelskammer erwähnen den begrenzten Anwendungsbereich des Übereinkommens, ohne indessen eine Wertung vorzunehmen. Die übrigen Stellungnahmen bedauern im allgemeinem die Beschränkung des Anwendungsbereiches (etwa zum Werkvertrag). Neben der einzelnen, nicht bezeichneten Unternehmung setzt sich auch die Universität Lausanne näher mit den Abgrenzungen in den Artikeln 2 und 3 auseinander. Sie weist auf die Schwierigkeit hin, die eine saubere Trennung des Werkvertrages anhand des 754

Kriteriums des «überwiegenden Teils» an Arbeiten oder anderen Dienstleistungen bereiten werde.

Die in Artikel l Absatz l Buchstabe b vorgesehene Regelung - wonach das Übereinkommen auch auf Kaufverträge zwischen in verschiedenen Staaten niedergelassenen Parteien Anwendung finden soll, wenn die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates führen will der Schweizerische Anwaltsverband bei einem allfälligen Beitritt der Schweiz durch die Vorbehaltsmöglichkeit in Art. 95 ausschalten. Die Berner Handelskammer fragt sich ihrerseits, ob nicht die engere Variante den Vorzug verdiene, während die Universität Bern die Frage ausdrücklich offen lässt. Die Universität Lausanne gibt zu bedenken, dass in einem Nichtvertragsstaat die Anwendung des Übereinkommens durch die höchsten Gerichte allenfalls nicht überprüft werden könnte. Einzig der VSM wertet die Regelung als positiv. Ausdrücklich begrüsst wird Artikel 6 (opting out). Für den Schweizerischen Anwaltsverband stellt diese Regelung gar das «principe sacramentel» des Übereinkommens dar und wird Artikel 6 als einer der wenigen positiven Punkte des Übereinkommens angesehen. Nur die Fédération de l'industrie horlogère suisse äussert Bedenken und erachtet die Formulierung als zu wenig präzis. Während der Schweizer Automatik Pool Artikel 9 (bindende Wirkung von Handelsbräuchen) begrüsst, gibt der Schweizerische Gewerbeverband zu bedenken, dass den kleineren Unternehmen nicht zugemutet werden könne, alle Handelsbräuche zu kennen. Der Einbezug der Handelsbräuche gilt indessen allgemein als Fortschritt (Zürcher Handelskammer, VSM, Vorort).

144

Abschluss des Vertrages

Hierzu sind nur wenige Bemerkungen vorgebracht worden. Grundlegende Einwendungen fehlen vollständig, wohl weil - wie die Universität Bern vermerkt die Bestimmungen des Übereinkommens weitgehend den in der Schweiz geltenden Grundsätzen entsprechen. Die wenigen Anregungen berühren nur einzelne Punkte; sie stehen sich oft diametral gegenüber. So wird z.B. von der Universität Bern die Bindungswirkung von Offerten besonders hervorgehoben (Art. 16), was im Verkehr mit den anglophonen Ländern einen bedeutenden Fortschritt darstelle. Die Universität Lausanne wertet die Regelung von Artikel 16 als wenig glückliche Konzession an das anglo-amerikanische Rechtssystem. Die Zürcher Handelskammer beschränkt sich auf eine weitgehend wertfreie Darstellung der Unterschiede zu unserem OR. Der VSM erachtet die Abweichungen gegenüber dem OR im internationalen Handel (etwa Art. 16, 18 und 20) als begrüssenswert, während die SGCI die betreffenden Regelungen als mit unserer Rechtsordnung «unvereinbar» bezeichnet. Insbesondere Artikel 14 Absatz l, welcher auch bei der Ausarbeitung des Übereinkommens Anlass zu Diskussionen bot, wird als unglücklich empfunden.

145

Warenkauf

Auch hierzu fehlen zusammenhängende Darstellungen und Gesamtwürdigungen. Die Universität Bern spricht zwar von den im Übereinkommen veranker755

ten, auf römisch-rechtlicher Tradition beruhenden Prinzipien, denen die aus der englischsprachigen Rechtstradition erwachsenen Schadenersatzbehelfe zur Seite gestellt und die kumulativ neben den kontinentaleuropäischen zur Wahl stünden; die Ausführungen sind indessen wenig differenziert. Darüberhinaus beschränken sich die Stellungnahmen darauf, die Vorzüge und Nachteile der einen oder anderen Regelung hervorzuheben. Eine konzise Darstellung der Äusserungen scheitert an der Komplexität der Materie. Es seien daher stellvertretend nur einige Punkte kurz erwähnt.

Zu dem bei der Ausarbeitung des Übereinkommens stark umstrittenen Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung (Art. 25) liegen nur vier, dafür aber gegensätzliche Wertungen vor: Der Schweizerische Anwaltsverband erachtet den Begriff als gewissen Fortschritt gegenüber der geltenden Rechtsordnung; ebenso begrüsst der VSM die Regelung von Artikel 25. Der Schweizer Automatik Pool hingegen sieht darin eine Quelle für uneinheitliche Rechtsprechung und, daraus resultierend, mangelnde Klarheit; die SGCI befürchtet Schwierigkeiten und rügt die Bestimmung als klare Benachteiligung der Vertragstreuen Partei.

Zu den Pflichten des Verkäufers - Aushändigung der die Ware betreffenden Dokumente und Lieferung der Ware in vertragsgemässem Zustand (Art. 30-44) - liegen nur wenige Bemerkungen vor (etwa seitens der SGCI betreffend ungenaue deutsche Übersetzung von Art. 34 und mangelnde Verständlichkeit von Art. 35). Beim Gegenstück - Pflichten des Käufers (Art. 53-66) - ist der VSM der Ansicht, dass die Normierung der Abnahmepflicht des Käufers gegenüber unserer Rechtsordnung eine Verbesserung darstelle, während die Zürcher Handelskammer darauf hinweist, dass diese Pflicht unter Umständen gar nicht durchgesetzt werden kann.

Die Bestimmungen über die Sach- und Rechtsgewährleistung werden allgemein als befriedigend empfunden. Beinahe alle Stellungnahmen erwähnen - teils ablehnend, teils abwägend - die Ausgestaltung der Mängelrüge.

Die Rechtsbehelfe bei Vertragsverletzung geben ihrerseits keinen Anlass zu grundsätzlicher Opposition. Von den elf Stellungnahmen, welche die von Artikel 185 OR verschiedene Regelung des Gefahrenübergangs erwähnen (vgl. die Art. 66-70), äussern sich deren sechs positiv und drei wertfrei. Einzig die SGCI und der Schweizerische Gewerbeverband halten die UN-Regelung für schlecht.

Die Bestimmungen über den Schadenersatz (Art. 74-77) werden hingegen allgemein begrüsst.

146

Schlussbestimmungen

Soweit Bemerkungen zu den Vorbehaltsmöglichkeiten (Art. 92-96) vorliegen, lauten sie beinahe übereinstimmend: Als wünschenswert gilt der vorbehaltlose Beitritt der Schweiz zum Wiener Kaufrechtsübereinkommen. Immerhin wäre nach Ansicht des Schweizerischen Anwaltsverbandes und der SGCI eine Erklärung nach Art. 95 (Ausschluss von Art. l Abs. l Bst. b) anzubringen, nach Meinung der Berner Handelskammer zu überlegen.

Alle Stellungnahmen betonen die eminente Bedeutung des Wiener Übereinkommens für die Praxis und begrüssen die Bestrebungen der UNCITRAL. Allein 756

für den Schweizerischen Anwaltsverband scheinen die Mängel des vorliegenden Übereinkommens die Vorteile eines einheitlichen Kaufrechts eindeutig zu überwiegen.

2

Besonderer Teil

21

Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen

211

Anwendungsbereich (Art. 1-6) Kapitel I (Art. 1-6) umfasst die Bestimmungen über den persönlichen, räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich. Gleichzeitig umschreibt dieses Kapitel die inhaltliche Reichweite, d.h. es gibt an, welche Fragen im Zusammenhang mit einem Warenkauf vom Übereinkommen beantwortet werden. Die Vorschriften über den zeitlichen Anwendungsbereich finden sich in den Schlussbestimmungen (Art. 100 und 101). Der Anwendungsbereich des Übereinkommens ist in vielfacher Hinsicht eingeschränkt und bedarf deshalb sorgfältiger Prüfung.

211.1

Persönlicher Aufwendungsbereich

Für die Anwendbarkeit des Übereinkommens kommt es nicht auf die unterschiedliche Staatsangehörigkeit der Parteien an, sondern auf ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten (Art. l Abs. 3). Voraussetzung ist allerdings, dass den Vertragspartnern die Tatsache ihrer Niederlassung in verschiedenen Staaten bewüsst ist; dabei muss sich der grenzüberschreitende Charakter des Geschäfts aus dem Vertrag selber, aus früheren Geschäftsbeziehungen, aus den Verhandlungen oder aus Auskünften bei Vertragsabschluss ergeben (Art. l Abs. 2). Diese Aufzählung ist abschliessend. Sie ist sodann alternativ: Es genügt, wenn die Parteien den Auslandbezug nur einem der genannten Umstände entnehmen können. Schwierige Abgrenzungsfragen, weil etwa einerseits der Vertrag und andererseits die früheren Geschäftsbeziehungen zu gegenteiligen Ergebnissen führen, dürften eher selten sein. In solchen Fällen wird man die Erklärungen und Verhaltensweisen der Parteien gemäss Artikel 8 ermitteln und daraus schliessen müssen, ob die Parteien beim Abschluss des Vertrages um die grenzüberschreitende Natur des Warenkaufs gewusst haben. Das Wiener Kaufrecht kann z. B. auch auf einen Kaufvertrag zwischen Schweizer Bürgern Anwendung finden, sofern sie in verschiedenen Staaten niedergelassen sind. Hat eine Partei keine Niederlassung, so tritt an deren Stelle der gewöhnliche Aufenthalt (Art. 10 Abs. 2).

Im Hinblick auf Rechtsordnungen, welche für Kaufleute besondere Vorschriften kennen, wird statuiert, dass die Kaufmannseigenschaft oder die Qualifizierung des Vertrages als handels- oder zivilrechtlich für das Übereinkommen unerheblich ist (Art. l Abs. 3).

757

211.2

Räumlicher Anwendungsbereich

In engem Zusammenhang mit dem persönlichen steht der räumliche Anwendungsbereich. Wie bereits bemerkt, bedarf es zur Anwendbarkeit des Übereinkommens der Niederlassung der Parteien in verschiedenen Staaten. Das persönliche Element liegt dabei in der Kenntnis des grenzüberschreitenden Umstandes. Dass die Parteien um ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten wissen, genügt grundsätzlich für die Anwendbarkeit des Übereinkommens. Weitere grenzüberschreitende Elemente - etwa die Lieferung der Kaufsache über die Landesgrenze - werden nicht gefordert. Damit wird selbst ein Kaufvertrag vom Übereinkommen erfasst, in welchem der in der Schweiz niedergelassene Verkäufer die Kaufsache dem Käufer im Inland liefert, sofern der Käufer seine Niederlassung in einem anderen Staat hat und der Verkäufer darum weiss.

Zur Umschreibung des räumlichen Anwendungsbereiches dienen dem Übereinkommen zwei Kriterien: Es findet zum einen Anwendung, wenn die Parteien in verschiedenen Staaten niedergelassen sind und wenn es sich dabei um Vertragsstaaten handelt (Art. l Abs. l Bst. a). Zum anderen genügt es, wenn die Kollisionsregeln des angerufenen Gerichts auf das Recht eines Vertragsstaates verweisen (Art. l Abs. l Bst. b) Im ersten Fall handelt es sich um eine sogenannte autonome Anwendungsbestimmung. Das bedeutet, dass das Übereinkommen ohne Vorschaltung des Kollisionsrechts des angerufenen Richters angewendet wird, wenn die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Voraussetzung ist allerdings, dass der angerufene Richter seinerseits in einem Vertragsstaat tätig ist. Im zweiten Fall handelt es sich um eine Anwendungsbestimmung mit kollisionsrechtlicher Vorschaltung: Hier muss der,Richter aufgrund seines internationalen Privatrechts zum Schluss kommen, ,dass der Kaufvertrag materiell dem Recht eines Vertragsstaates untersteht; er wird auf diesem Umweg das Übereinkommen anwenden. Unerheblich ist dabei, ob überhaupt eine der Parteien in einem Vertragsstaat niedergelassen ist. Es genügt, dass das Kollisionsrecht des angerufenen Richters zum Recht eines Vertragsstaates führt. Ob diese Verweisung aufgrund der objektiven Anknüpfung (vertragstypische Leistung) vorgenommen wird oder ob die Parteien eine Rechtswahl getroffen haben, ist ebenfalls unerheblich.

Mit Artikel l Absatz l Buchstabe b wird der
Anwendungsbereich des Übereinkommens stark erweitert. Dadurch soll erreicht werden, dass die Vertragsstaaten die Bestimmungen des Übereinkommens auf möglichst alle internationale Warenkäufe anwenden und das Übereinkommen selbst im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten zum Tragen bringen. Freilich kann Artikel l Absatz l Buchstabe b zur Folge haben, dass von der Anwendung des Übereinkommens selbst dann nicht abgesehen werden darf, wenn ein Nichtvertragsstaat die in seinem Gebiet Niedergelassenen nach seinem Recht deutlich günstiger behandelt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Artikel l Absatz l Buchstabe b den Vertragsstaat zur Anwendung des Übereinkommens verpflichtet, wobei der Drittstaat im umgekehrten Verhältnis keineswegs eine Pflicht zur Beachtung des Übereinkommens eingeht. Anlässlich der diplomatischen Konferenz wurde ferner auch darauf hingewiesen, dass das nationale internationale Privatrecht für Vertragsschluss und materielles Kaufrecht unterschiedliche Regelungen vorsehen 758

könnte, so dass das Übereinkommen möglicherweise nur zum Teil anwendbar würde; daraus könnten sich Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben (vgl. Schlechtriem Peter, Einheitliches UN-Kaufrecht, Tübingen 1981, S. 10 £) Diese Kritik hat zu der Vorbehaltsmöglichkeit in Artikel 95 geführt. Danach kann jeder Staat anlässlich der Ratifikation oder des Beitritts erklären, dass Artikel l Absatz l Buchstabe b für ihn nicht verbindlich ist.

Mit der Vorbehaltsmöglichkeit ist die Anwendung des Übereinkommens wesentlich komplizierter geworden. Wegen Artikel 95 kann es in ähnlich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Bereits ist in einem Aufsatz nachgewiesen worden, dass das Zusammenspiel von Artikel l und Artikel 95 zu 27 unterschiedlichen Konstellationen führen kann (vgl. Vekas Lajos, Zum persönlichen und räumlichen Anwendungsbereich des UN-Einheitskaufrechts, in: Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, 1987, S.342 f). So kann etwa ein Kaufvertrag zwischen Parteien, von denen die eine in einem Vertragsstaat, die andere in einem Nichtvertragsstaat niedergelassen ist, dem Übereinkommen unterstehen oder nicht, je nachdem, ob der angerufene Richter in einem Vertrags- oder in einem Vertragsvorbehaltsstaat tätig ist. Führt sein internationales Privatrecht zum Recht eines Vertragsstaates, so wird er im ersten Fall das Übereinkommen anwenden, im zweiten jedoch wohl nicht. Ist z. B. in einem Warenkauf eine Rechtswahl zugunsten eines Staates vereinbart worden, der das Übereinkommen ratifiziert hat, so wird der Kaufvertrag im einen Fall vom Wiener Kaufrecht beherrscht, im anderen aber nicht, je nachdem, ob der betreffende Staat den Vorbehalt angebracht hat. Kommt der Vorbehalt zum Tragen, so wird die Rechtswahl grundsätzlich nur zum innerstaatlichen Recht führen.

Den Parteien ist deshalb zu empfehlen, diese Fragen abzuklären, bevor sie eine Rechtswahl treffen.

Von den 17 Staaten, die das Übereinkommen bislang ratifiziert haben, haben bisher 2 vom Vorbehalt nach Artikel 95 Gebrauch gemacht. Unseres Erachtens sollte die Schweiz Absatz l Buchstabe b vorbehaltlos gelten lassen, und zwar aus zwei Überlegungen: Mit dieser Bestimmung steigt die Anwendungshäufigkeit des Übereinkommens erheblich. Eine möglichst umfassende Geltung des Wiener Kaufrechts vermag die Rechtssicherheit im internationalen
Warenverkehr zu erhöhen und ist deshalb zu begrüssen. Es ist ferner nur schwer einzusehen, weshalb internationale Kaufverträge im einen Fall der bestehenden lex spedalis (Wiener Übereinkommen) unterstehen sollen, im anderen aber nicht.

211.3

Sachlicher Anwendungsbereich

211.31

Waren

Der sachliche Anwendungsbereich wird bereits im Titel des Übereinkommens erwähnt und wird in Artikel l Absatz l wiederholt: Das Übereinkommen gilt für Kaufverträge, deren Gegenstand eine Ware ist. Diese erste Umschreibung entspricht sinngemäss derjenigen der Haager Einheitlichen Kaufgesetze von 1964, welche vom Kauf beweglicher Sachen sprachen. Im übrigen werden im Wiener Übereinkommen weder der Kaufvertrag noch die Ware definiert. Von 759

einer Umschreibung dieser Begriffe hat auch das Haager Einheitliche Kaufrecht abgesehen, ohne dass sich daraus Schwierigkeiten ergeben hätten. Immerhin geht der Begriff des Kaufvertrages mittelbar aus der Umschreibung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien hervor: Nach Artikel 30 muss die eine Partei die Ware liefern, die betreffenden Dokumente übergeben und das Eigentum an der Ware übertragen, während nach Artikel 53 die andere: Partei den Kaufpreis zu zahlen und die Ware abzunehmen hat. Sachlich bestehen zu den Artikeln 184 und 211 OR - mit Ausnahme der ausdrücklichen Erwähnung der Dokumentenübergabepflicht des Verkäufers - keine Unterschiede.

Hat das Haager Einheitliche Kaufrecht den Ausdruck «bewegliche Sache» (objet mobilier corporel) verwendet, so spricht das Wiener Übereinkommen nur von «Ware» (marchandise). Damit ist eine sprachliche Modernisierung, aber keine sachliche Änderung beabsichtigt. Der englische Text spricht in beiden Fällen von «goods».

Im schweizerischen Recht wird der Fahrniskauf negativ umschrieben. Demnach liegt ein Kauf beweglichen Sachen immer dann vor, wenn der Vertrag nicht eine Liegenschaft oder ein im Grundbuch als Grundstück aufgenommenes Recht zum Gegenstande hat (Art. 187 Abs. l OR). Diese Abgrenzung kann auch für den sachlichen Anwendungsbereich des Wiener Übereinkommens herangezogen werden. Artikel 187 Absatz 2 OR hält im weiteren fest, dass Bestandteile eines Grundstückes - wie Früchte oder Material auf Abbruch oder aus Steinbrüchen - Gegenstand eines Fahrniskaufes bilden, wenn sie nach ihrer Lostrennung auf den Erwerber als bewegliche Sache übergehen sollen. Dieselbe Lösung kann für das Wiener Übereinkommen verwendet werden.

Bestimmte Kaufgegenstände werden, obwohl sie als Ware im landläufigen Sinn angesehen werden können, vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausdrücklich ausgeschlossen: - Artikel 2 Buchstabe e nennt See- und Binnenschiffe, Luftkissenfahrzeuge oder Luftfahrzeuge. Diese Gegenstände waren schon im Haager Einheitlichen Kaufrecht ausgeschlossen, sofern sie - wohl im Hinblick auf die Kreditsicherung - in einem Register eingetragen oder eintragungspflichtig waren und daher wie eine Immobilie als Hypothekarsicherheit verwendet werden konnten. Massgeblich war dabei der Gedanke, dass verschiedene Rechtsordnungen solche Fahrzeuge als Immobilien
behandeln oder sie Sondervorschriften unterstellen.

Demgegenüber schliesst das Wiener Übereinkommen diese Gegenstände generell aus. Der Grund für die Aufhebung des Registereintrages liegt in den unterschiedlichen Voraussetzungen, die die nationalen Rechtsordnungen für solche Eintragungen vorsehen; dies könnte zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen. Mit dem Weglassen der Registrierung als Abgrenzungskriterium werden die Schwierigkeiten indessen lediglich verlagert: Es kann nicht im Sinne des Übereinkommens liegen, sämtliche Schiffe - also etwa auch Jollen oder Ruderboote - auszuklammern. Für die Abgrenzung zwischen Fahrzeugen, die als Kaufgegenstand dem Übereinkommen unterliegen, und solchen, die unter Artikel 2 Buchstabe e fallen, muss wohl auf die bestehenden Sondervorschriften des nationalen Rechts abgestellt werden.

760

- Wie schon das Haager Einheitliche Kaufrecht, klammert auch das Wiener Übereinkommen den Kauf von elektrischer Energie ausdrücklich aus (Art. 2 Bst. f) Andere Energieträger, Öl oder Gas, fallen hingegen unter das Übereinkommen.

- Von der Anwendung des Übereinkommens werden ferner Wertpapiere und Zahlungsmittel ausgenommen (Art. 2 Bst. d) Dies geschah mit Rücksicht auf die oft zwingenden nationalen Bestimmungen über den Effekten- und Devisenhandel. Der erläuternde Bericht des UNCITRAL-Sekretariates (UN-Conference on Contracts for thè international Sale of Goods, Officiai Records, A/CONF.97/19) hält aber präzisierend fest, dass Kaufverträge, die eine durch Dokumente (z.B. Konnossemente) repräsentierte Ware betreffen und als Kaufgegenstand diese Dokumente nennen, unter das Übereinkommen fallen, auch wenn gewisse Rechtsordnungen solche Käufe als Wertpapierkäufe qualifizieren (op.cit, S. 17 N 8). Bekanntlich können nach schweizerischem Recht alle übertragbaren Vermögenswerten Rechte Gegenstand eines Kaufvertrages sein. Als Vermögenswerte Rechte gelten zum einen die in einer Urkunde verkörperten Rechte (Wertpapiere) und zum anderen Immaterialgüterrechte (Erfmdungspatente, Markenrechte) Inwieweit Forderungen als übertragbare Vermögenswerte Rechte den Vorschriften über den Fahrniskauf unterliegen, ist allerdings umstritten.

Weitere Abgrenzungsschwierigkeiten können sich stellen, wenn etwa bewegliche und unbewegliche Sachen zusammen veräussert werden. In solchen Fällen bleibt für die Anwendbarkeit des Übereinkommens zu prüfen, ob die beweglichen Sachen in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gegenüber den unbeweglichen überwiegen. Trifft dies zu, so fällt der gesamte Kaufvertrag unter das Übereinkommen. Ähnliche Überlegungen sind bei der Veräusserung gesamter Unternehmen anzustellen. Stehen immaterielle Werte wie der Kundenkreis, Geschäftsbeziehungen, technisches, nicht in Patenten ausgewertetes Know-how im Vordergrund, so wird das Unternehmen nicht als Ware im Sinne des Übereinkommens angesehen werden können.

211.32

Besondere Kaufgeschäfte

Bestimmte Kaufgeschäfte, wie namentlich Konsumentenkäufe, Werklieferungsund Dienstleistungsverträge, erfahren im Wiener Übereinkommen eine besondere Regelung.

Nach Artikel 2 Buchstabe a findet das Übereinkommen keine Anwendung auf Kaufverträge über Waren für den persönlichen Gebrauch oder den Gebrauch in der Familie oder im Haushalt (Konsumentenkäufe) Ausgenommen sind nur jene Verbrauchergeschäfte, bei denen der Verkäufer über die persönliche oder familiäre Bestimmung des Kaufgegenstandes nichts wusste und auch nichts wissen musste. Abgrenzungsfragen sind im Wege der Auslegung (Art. 8) zu klären.

Weiter ist der Kauf bei einer Versteigerung (Art. 2 Bst. b) oder bei einer sonstigen gerichtlichen bzw. Zwangsvollstreckungsmassnahme (Art. 2 Bst. c) vom Übereinkommen ausgeschlossen. Dieser Ausschluss geschah mit Rücksicht auf die zahlreichen zwingenden Bestimmungen, die die nationalen Rechtsordnungen auf diesem Gebiet kennen.

761

Artikel 3 Absatz l behandelt den Werklieferungsvertrag; die Bestimmung entspricht Artikel 6 EKG. Demgemäss gelten Verträge über die Lieferung herzustellender Waren als Kaufverträge im Sinne des Übereinkommens, soweit nicht der Besteller einen wesentlichen Teil (une part essentielle) der notwendigen Stoffe beschafft. Was als wesentlicher Teil der Stoffe betrachtet wird, muss anhand des Einzelfalles überprüft werden. Für die Abgrenzung der dem Übereinkommen unterliegenden Werklieferungsverträge von den eigentlichen Werkverträgen kann auf die Rechtsprechung zu Artikel 6 EKG zurückgegriffen werden.

Der Einbezug der Werklieferungsverträge in das Wiener Kaufrechtsübereinkommen entspricht auf den ersten Blick nur bedingt schweizerischer Rechtsauffassung. Im OR wird der Werklieferungsvertrag, gemäss welchem der Lieferant individuell bestimmte Sachen aus eigenem Material herstellt und dem Besteller übereignet, unter die Bestimmungen über den Werkvertrag subsumiert (vgl.

Art. 365 Abs. l OR) Allerdings handelt es sich dabei wohl nicht um einen reinen Werkvertrag, sondern um einen gesetzlich geregelten gemischten Vertrag mit Elementen des Kaufs und des Werkvertrages. Entsprechend sieht Artikel 365 Absatz l OR vor, dass der Unternehmer für den von ihm gelieferten Stoff wie ein Verkäufer haftet. Die Subsumtion des Werklieferungsvertrages unter das Übereinkommen dürfte deshalb auch aus der Sicht des schweizerischen Rechtsempfindens keine Schwierigkeiten bieten.

Artikel 3 Absatz 2 enthält eine Präzisierung zum Dienstleistungsvertrag. Das Übereinkommen findet keine Anwendung, wenn die die Ware liefernde Partei zu einem überwiegenden Teil Arbeiten oder andere Dienstleistungen ausführt.

Diese Bestimmung ist gegenüber dem Haager Einheitlichen Kaufrecht ausdrücklich aufgenommen worden^ um das schwierige Problem der Lieferverträge mit Montageverpflichtung abzudecken. Ergibt im Einzelfall die Würdigung der Umstände, dàss die Sachleistung gegenüber der Dienstleistung nur ganz untergeordnete Bedeutung hat, so gilt grundsätzlich für den ganzen Vertrag Werkvertragsrecht; er fällt daher nicht unter das Übereinkommen. Man kann sich zwar die Frage stellen, ob in solchen Fällen nicht eher zwei Verträge - ein Lieferungs- und ein Montagevertrag vorliegen. Darüber kann aber letztlich nur der zu ermittelnde Wille der Parteien
entscheiden.

Ob und inwieweit das Wiener Übereinkommen jene Kaufverträge erfasst, die im OR besonders geregelt sind, muss im Einzelfall geprüft werden.

Beim Kauf nach Muster (Art. 222 OR) wird durch die Übergabe eines Musters in besonderer Weise eine Eigenschaft zugesichert, für welche der Verkäufer einzustehen hat. Artikel 222 Absatz 3 OR enthält hierzu eine Regel über die Beweislastverteilung. Bei sachgemässer Auslegung scheint klar, dass der Käufer durch die Vorlage des Musters den Beweis für das Vorhandensein einer zugesicherten Eigenschaft erbringt und dass er anschliessend nachweisen muss; dass die gelieferte Kaufsache dem Muster nicht entspricht (vgl. dazu Cavin Pierre, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, Basel und Stuttgart 1977, S. 158ff.). Das Wiener Übereinkommen erwähnt den Kauf nach Muster im Abschnitt über die Vertragsmässigkeit der Ware und die Rechte oder Ansprüche Dritter. Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe c hält fest, dass die Ware nur dann dem Vertrag entspricht, wenn sie die gleichen Eigenschaften besitzt wie die Ware, die dem Käufer als 762

Probe oder Muster vorgelegt wurde. Die Regelung entspricht daher derjenigen des schweizerischen Rechts.

; Beim Kauf auf Probe oder auf Besicht (Art. 223-225 OR) handelt es sich um einen aufschiebend bedingten Kauf, dessen Hauptwirkungen von der Erfüllung der Bedingung abhängig sind. Dem Käufer steht es frei, die Sache zu genehmigen oder nicht. Er kann sie also auch ohne vorhandene Mängel zurückweisen.

Nach dem Wiener Übereinkommen (Art. 35 und 53) kann der Käufer die empfangene Ware nur ablehnen, wenn sie dem Vertrag nicht entspricht. Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Die Parteien können aber diese Bestimmungen einvernehmlich abändern (opting out) Liegt eine solche Parteivereinbarung vor, so untersteht der Kauf auf Probe oder Besicht im übrigen dem Wiener Übereinkommen.

Abzahlungsgeschäfte (Art.226a-228 OR) betreffen in der Regel Verbrauchsgüter, die vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ohnehin ausgeschlossen sind (vgl., Art. 2 Bst. a). Sollte ein Abzahlungsgeschäft ausnahmsweise nicht als Konsumentenkauf betrachtet werden, so wird es grundsätzlich unter das Übereinkommen fallen, und zwar als Kauf, bei dem die Parteien hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten abweichende Vereinbarungen getroffen haben.

Mietkaufverträge stehen den Kaufverträgen gleich und fallen unter das Übereinkommen, sofern nicht der Vorbehalt von Artikel 2 Buchstabe a (Konsumentenkauf) Platz greift.

Dagegen sind Tauschgeschäfte vom Übereinkommen nicht erfasst. Zu fragen ist hingegen, ob in einzelnen Fällen gemischte Tausch-Kaufverträge und demzufolge auch Kompensationsgeschäfte dem Übereinkommen unterstehen. In Anlehnung an Artikel 3 kann man darauf abstellen, ob die Geld- oder die Tauschleistung überwiegt. Macht die Geldleistung einen wesentlichen oder überwiegenden Teil aus, so wird das Übereinkommen anwendbar sein. In dieser Frage dürfte in den nächsten Jahren eine markante internationale Entwicklung einsetzen.

211.33

Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs

Das Übereinkommen regelt nur den Abschluss von Kaufverträgen und die daraus für Käufer und Verkäufer entstehenden Rechte und Pflichten. Vom Übereinkommen ausgeschlossen bleiben insbesondere die Gültigkeit von Verträgen oder Bräuchen (Art. 4 Bst. a), ferner die Wirkungen des Vertrages auf das Eigentum an der Kaufsache (Art. 4 Bst. b) Das Übereinkommen erfasst zwar - als obligatorische Vertragspflicht zulasten des Verkäufers - die Eigentumsverschaffungspflicht an der verkauften Ware (Art. 30), die sachenrechtlichen Auswirkungen des obligatorischen Kaufgeschäfts auf die verkaufte Ware bleiben hingegen der lex rei sitae vorbehalten. Dies hängt mit der unterschiedlichen Konzeption des Eigentumsübergangs in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen zusammen.

Mit der Gültigkeit des Vertrages oder einzelner Vertragsbestimmungen sind jene Gültigkeitserfordernisse gemeint, die ausserhalb der Regeln über das Zustandekommen des Vertrages liegen, wie Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Willensmän763

gel wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung sowie Nichtigkeit eines Vertrages mit unmöglichem oder unsittlichem Inhalt oder wegen Verstosses gegen die guten Sitten. Für Handelsbräuche ist die Frage der Gültigkeit (Art. 4 Bst. a) zu trennen von der Frage der Begriffsumschreibung; letztere richtet sich nach Artikel 9 des Übereinkommens.

Die Aufzählung in Artikel 4 will nicht abschliessend sein. Darauf weist der Ausdruck «insbesondere» im Ingress hin. Für offene Fragen ausserhalb der in Artikel 4 genannten Gebiete muss deshalb ermittelt werden, ob das Übereinkommen für diesen Sachbereich an sich eine Lösung treffen will, hierzu aber nicht klar genug ist. Ist die Frage zu bejahen, so liegt eine Lücke vor, welche gemäss Artikel 7 Absatz 2 zu füllen ist; ist sie zu verneinen, so befindet man sich ausserhalb des sachlichen Anwendungsbereiches des Übereinkommens. Entsprechend haben die nationalen Kollisionsregeln zu bestimmen, welchem Recht die gesuchte Lösung zu entnehmen ist.

Artikel 5 klammert die Haftung des Verkäufers für den durch die Ware verursachten Tod oder die Körperverletzung einer Person aus. Diese Bestimmung hat - zumindest aus schweizerischer Sicht - nur klärende Funktion: Der Ausschluss der Produktehaftpflicht ergibt sich für uns bereits aus Artikel 4, da sie nur als ausservertragliche Haftung verstanden wird. Dass sie in Artikel 5 ausdrücklich erwähnt wird, geschah mit Rücksicht auf jene Rechtsordnungen, die die Produktehaftpflicht vertraglich begründen.

Eine weitere Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereiches kann sich aus Artikel 6 des Übereinkommens ergeben, wonach die Vertragsparteien die Anwendung des Übereinkommens ganz oder teilweise ausschliessen können (opting out). Haben sich die Parteien über die Anwendbarkeit des Übereinkommens nicht geäussert und sind die Anwendungskriterien erfüllt, so entfaltet das Übereinkommen seine Wirkungen ipso iure. Voraussetzung für den Ausschluss des Übereinkommens ist daher eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Parteien. Obwohl Artikel 6 den stillschweigenden Ausschluss nicht ausdrücklich erwähnt, ist er zulässig.

Der Ausschluss des Übereinkommens kann generell erfolgen oder auch nur hinsichtlich einzelner Artikel oder einzelner Kaufgeschäfte vereinbart werden. Davon ausgenommen bleibt Artikel 12, wonach aufgrund einer ausdrücklichen
Erklärung (Art. 96) jeder Vertragsstaat die schriftliche Form für den Abschluss und die Änderung oder Aufhebung eines Kaufvertrages - und somit auch für ein opting out zwingend vorschreiben kann.

Ein teilweiser Ausschluss des Übereinkommens durch allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ist möglich, sofern die AGB den allgemeinen Gültigkeitsanforderungen entsprechen (vgl. Huber Ulrich, Der UNCITRAL-Entwurf eines Übereinkommens über internationale Warenkaufverträge, in Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Bd 43 [1979], S. 427); diese richten sich nach dem durch die Kollisionsnormen bezeichneten nationalen Recht (vgl.

Schlechtriem Peter, a.a.O, S. 21).

Beabsichtigen die Parteien, einen bestimmten Aspekt des Kaufvertrages - etwa die Zahlungsmodalitäten - besonderen Bestimmungen zu unterstellen, so können sie dies ohne weiteres tun. Stellen sie selber Regeln darüber auf, wann, wie, wo 764

und in welcher Währung der Käufer den Kaufpreis zu bezahlen hat, so werden diese Bestimmungen anstelle der Artikel 54-59 des Übereinkommens Platz greifen. Vereinbaren die Parteien lediglich, dass die Artikel 54-59 des Übereinkommens nicht anwendbar sein sollen, ohne aber an deren Stelle andere Bestimmungen zu bezeichnen, so entscheidet im Streitfall das Kollisionsrecht des angerufenen Richters, welches nationale Recht auf die Zahlungsmodalitäten Anwendung findet. Sehen die Parteien hingegen vor, dass für die Zahlungsmodalitäten ein bestimmtes nationales Recht, z.B. das schweizerische Recht, massgebend sein soll, so können sich heikle Auslegungsfragen ergeben. Es kann sich nämlich bei einer solchen Parteiabrede um ein opting out handeln, wobei anstelle der Artikel 54f. die Bestimmungen des OR massgebend sind, oder die Parteien können eine Teilrechtswahl getroffen haben. Ob eine solche Teilrechtswahl gültig erfolgt wäre, müsste sich nach den Kollisionsnormen des angerufenen Richters bestimmen. Ist dies der Fall, so hätte die gewählte Rechtsordnung in casu das schweizerische Recht - darüber zu befinden, welche ihrer Bestimmungen auf die Zahlungsmodalitäten angewendet werden sollen. In Staaten wie der Schweiz, die vom Vorbehalt gegen Artikel l Absatz l Buchstabe b keinen Gebrauch machen, wäre dies wiederum das Wiener Übereinkommen als lex specialis für internationale Warenkäufe, nicht das innerstaatliche Recht.

Schieds- oder Gerichtsstandsvereinbarungen bedeuten nicht bereits den Aus. schluss des Wiener Übereinkommens. Aufgrund der Umstände wird im Einzelfall zu ermitteln sein, was die Parteien gewollt haben. Auszugehen ist dabei - sofern der Richter eines Vertragsstaates angerufen wird - von der in Artikel 8 niedergelegten Auslegungsregel. Auch die Wahl eines nationalen Rechts bedeutet für sich genommen noch nicht den Ausschluss des Übereinkommens, vor allem dann nicht, wenn der bezeichnete Staat Vertragsstaat des Übereinkommens ist und vom Vorbehalt des Artikels l Absatz l Buchstabe b nicht Gebrauch gemacht hat. Auch hierzu wird durch Auslegung festzustellen sein, ob die Parteien mit der Bezeichnung des nationalen Rechts dessen innerstaatliche Kaufrechtsbestimmungen oder das nach nationalem Recht verbindlich gewordene Wiener Kaufrecht gewollt haben. In der Schweiz ist diese Problematik für die Rechtsprechung - dies im Gegensatz zu den Vertragsstaaten des Haager Einheitlichen Kaufrechts - bisher unbekannt.

212

Allgemeine Bestimmungen (Art. 7-13) Das zweite Kapitel mit den allgemeinen Bestimmungen (Art. 7-13) ist auf beide Teile des Übereinkommens, d.h. den Abschluss- (Art. 14-24) und den Kaufrechtsteil (Art. 25-88) gleichermassen anwendbar. Es befasst sich mit Auslegungsfragen und Lückenfüllung (Art. 7, 8, 10 und 13) sowie mit der Bedeutung der Handelsbräuche (Art. 9). Die Artikel 11 und 12 betreffen Formfragen.

765

212.1

Auslegung des Übereinkommens und Lückenfüllung

Artikel 7 stellt für die Auslegung des Übereinkommens zwei Grundsätze auf; der eine betrifft die Auslegung im allgemeinen (Abs. 1), der andere regelt die Lückenfüllung (Abs. 2).

, Artikel 8 befasst sich mit der Auslegung von Willenserklärungen, Artikel 10 enthält besondere Auslegungsregeln für den Fall, dass eine Partei entweder mehrere Niederlassungen oder keine Niederlassung hat, und Artikel 13 umschreibt den Begriff der Schriftlichkeit.

Bei der Auslegung jeder Bestimmung des Übereinkommens sind nach Artikel 7 Absatz l dessen internationaler Charakter und die Notwendigkeit zu berücksichtigen, die einheitliche Anwendung des Übereinkommens sowie die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel zu fördern.

Die Aufforderung an den Richter, der Internationalität des Übereinkommens Rechnung zu tragen, hat nur (aber immerhin) programmatischen Charakter; sie dient im Grunde der Begründung für die Notwendigkeit einer weltweit gültigen einheitlichen Anwendung. Letztere setzt voraus, dass der angerufene Richter rechtsvergleichend tätig wird und bereit ist, einer bestimmten Auslegung, die sich in einer dominierenden Anzahl von Staaten etabliert hat, gegenüber seiner eigenen Anschauung den Vorzug zu geben. Mit der Pflicht zur einheitlichen Auslegung hängt auch die Wahrung des Gutglaubensschutzes eng zusammen.

Man kann sich zwar fragen, ob es einen international anerkannten, einheitlich ausgestatteten guten Glauben überhaupt gibt. Die Entwicklung einheitlicher, allgemein anerkannter Grundsätze des Gutglaubensschutzes wird indessen nur möglich sein, wenn sich die Parteien im internationalen Handel weltweit auf einen Fundus generell anerkannter Verhaltensregeln verlassen dürfen. Die einheitliche Auslegung des Wiener Übereinkommens ist ein erster Schritt in dieser Richtung.

Stellt der angerufene Richter im Text des Übereinkommens oder bei der Auslegung einer seiner Bestimmungen eine Lücke fest, so verpflichtet ihn Artikel 7 Absatz 2 vorerst, die dem Übereinkommen zugrunde liegenden Prinzipien zu berücksichtigen, bevor er für die Lückenfüllung auf das durch die Kollisionsnormen seines Forums für anwendbar erklärte nationale Recht zurückgreift.

Dadurch will die Lückenfüllungsregel eine all zu rasche Flucht ins «vertraute» nationale Recht mit möglichst hohen Hemmschwellen versehen. Wie weit sich
allgemeingültige Grundsätze aus dem Übereinkommen selber ermitteln lassen, wird die Praxis zeigen müssen. Sicher ist, dass man dem Geist des Übereinkommens mit blosser Eingliederung in die nationale Kaufrechtsdogmatik nicht gerecht wird. Andererseits sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Lückenfüllung nach Absatz 2 nur Platz greifen kann, wenn es sich um eine Frage handelt, die einen im Übereinkommen geregelten Gegenstand betrifft.

Artikel 8 befasst sich mit der Auslegung von Willenserklärungen. Als Regel gilt, dass Erklärungen und Verhaltensweisen einer Partei nach deren Willen auszulegen sind, sofern die andere Partei diesen Willen kannte oder hätte kennen sollen (Abs.l). Fehlt es am Kennen oder Kennenmüssen, so gilt die Auslegung, die ein vernünftiger Mensch in gleicher Stellung und unter den gleichen Umständen vorgenommen hätte (Abs. 2); dabei sind alle erheblichen Umstände zu 766

berücksichtigen, so vor allem Parteiverhandlungen, Gepflogenheiten zwischen den Parteien und ihr späteres Verhalten, aber auch Handelsbräuche.

Dem Ergebnis nach dürfte Artikel 8 der in der Schweiz vorherrschenden Vertrauenstheorie entsprechen. Nach ihr gilt eine Erklärung oder ein sonstiges Verhalten einer Partei so, wie sie es gewollt hat, sofern die andere Partei diesen Willen kannte oder hätte kennen müssen. Trifft dies nicht zu, so gilt nach schweizerischer Rechtsprechung das Verhalten oder die Erklärung so, wie sie nach Treu und Glauben im Verkehr von der anderen Partei aufgefasst werden konnte (vgl. Guhl/Merz/Kummer, Das schweizerische Obligationenrecht, 7. Aufl., Zürich 1980, S. 91). Das Übereinkommen drückt sich etwas komplizierter aus: Verlangt wird, dass Parteierklärungen so ausgelegt werden, wie sie eine vernünftige Person - in gleicher Stellung wie die andere Partei - unter den gleichen Umständen aufgefasst hätte (Abs. 2). Für die Ermittlung dieses Verständnishorizontes sind alle erheblichen Umstände, insbesondere die Verhandlungen zwischen den Parteien, ihre Gepflogenheiten, die Handelsbräuche und das spätere Verhalten der Parteien zu berücksichtigen (Art. 8 Abs. 3).

In der Schweiz hat sich die Vertrauenstheorie insofern modifiziert, als nicht so sehr das Vertrauen des Erklärungsempfängers in das Verhalten des Erklärenden geschützt werden soll, sondern eher das Vertrauen des Erklärenden darin, dass sein Verhalten oder seine Äusserung vom Empfänger auch richtig - d. h. so, wie der Erklärende es gemeint hat - verstanden worden ist (vgl. etwa Bucher E., Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Zürich 1979, S. 105) Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der Erklärungsempfänger verpflichtet, alle ihm aus den Umständen erkennbaren Tatsachen zu berücksichtigen, um einen möglichen Erklärungsfehler der anderen Partei erkennen und entsprechend dem tatsächlichen Willen korrigieren zu können (vgl. BGE 106 II 16).

Inwieweit durch diese Modifizierung des Vertrauensprinzips eine Übereinstimmung mit den Auslegungsgrundsätzen des Wiener Kaufrechts erreicht wird, kann nur die Praxis weisen.

Der Begriff der Niederlassung spielt im Wiener Übereinkommen insofern eine wesentliche Rolle, als die Anwendbarkeit des Übereinkommens - zumindest partiell - von der Niederlassung der Parteien in
verschiedenen Staaten ausgeht (vgl. Art. l Abs. l Bst. a) Dennoch wird die Niederlassung nirgends umschrieben. Artikel 10 Absatz l enthält nur eine Regel für den Fall, dass eine Partei mehrere Niederlassungen hat. Diesfalls ist jene Niederlassung ausschlaggebend, die mit dem Vertrag oder seiner Erfüllung die engste Beziehung aufweist. Zu berücksichtigen sind dabei die bekannten Umstände vor und bei Vertragsabschluss. Hat eine Partei keine Niederlassung - was höchst selten eintreten dürfte - so tritt an deren Stelle der gewöhnliche Aufenthalt (Art. 10 Abs. 2).

Nach Artikel 13 schliesslich umfasst der Begriff der «Schriftlichkeit» auch Mitteilungen durch Telegramm oder Telex.

767

212.2

Handelsbräuche (Art. 9)

Im internationalen Verkehr kommt den Handelsbräuchen eine sehr grosse Bedeutung zu ; ihnen trägt Artikel 9 Rechnung (vgl. dazu und zum Nachfolgenden Bonell M.J., Die Bedeutung der Handelsbräuche im Wiener Kaufrechtsübereinkommen von 1980 in: Juristische Blätter, 1985, S.385ff.). Als erstes wird festgehalten, dass die Parteien an vereinbarte Handelsbräuche gebunden sind, was sich mit Rücksicht auf den grossen Stellenwert, den das Übereinkommen der Parteiautonomie einräumt (vgl. Art. 6), an sich von selbst versteht. Absatz l hält ferner fest, dass die Parteien auch durch Gepflogenheiten, die zwischen ihnen entstanden sind, gebunden sein können. Auch dies lässt sich aus der Parteiautonomie ableiten, handelt es sich dabei doch im Grunde genommen um nichts anderes als eine stillschweigende Parteivereinbarung.

Als zentralen Punkt hält Absatz 2 fest, dass sich die Parteien vermutungsweise stillschweigend auf Handelsbräuche bezogen haben, die im internationalen Handel weithin bekannt und regelmässig beachtet werden, sofern die Parteien diese kannten oder hätten kennen müssen. Aber dies allein genügt nach Artikel 9 Absatz 3 nicht. Verlangt wird überdies, dass die betreffenden Handelsbräuche zwischen den Parteien bei Verträgen in einem bestimmten Geschäftszweig weithin verbreitet sind und bei Geschäften dieser Art auch regelmässig beachtet werden. Diese Einschränkungen widerspiegeln die Besorgnis der Entwicklungsländer vor der Geltung ihnen nicht bekannter Handelsbräuche.

Die Handelsbräuche selber sind nicht definiert. Darunter sind Regeln zu verstehen, welche die Parteien im Handel in entsprechender Situation beachten. Damit sie als Handelsbräuche anerkannt werden, bedarf es der tatsächlich herrschenden Übung, die Voraussetzung für die Entstehung und das Bestehen jeden Brauchs ist.

Die schweizerische Doktrin und Rechtsprechung gehen davon aus, dass die Geltung von Bräuchen grundsätzlich vom Willen der Parteien abhängt. Dementsprechend können Bräuche nur dann herangezogen werden, wenn und soweit ein entsprechender Wille der Parteien festgestellt oder allenfalls vermutet werden kann. Aus den im Wiener Übereinkommen vorgesehenen Einschränkungen auf weithin bekannte und im internationalen Handel regelmässig beachtete Handelsbräuche, die den Parteien bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, dürften sich
kaum nennenswerte Unterschiede zum schweizerischen Recht ergeben.

Ob und inwiefern massgebende Handelsbräuche anderslautenden Bestimmungen des Übereinkommens vorgehen, sagt das Wiener Übereinkommen im Gegensatz zum Haager Einheitlichen Kaufrecht (Art. 9 EKG) nicht. Da indessen gesetzlich vermutet wird, solche Handelsbräuche seien stillschweigend vereinbart worden, wird man im Hinblick auf die Parteiautonomie den Handelsbräuchen den Vorrang einräumen. Dies entspricht im übrigen auch der Lösung des Haager Einheitlichen Kaufrechts.

768

212.3

Formvorschriften

Grundsätzlich kann der Kaufvertrag formfrei geschlossen werden (Art. 11) Um diese Formfreiheit zu garantieren, wird für den Nachweis des Abschlusses eines Kaufvertrags der Zeugenbeweis ausdrücklich zugelassen.

Der formfreie Vertragsschluss entbindet von jeglichem mittelbaren Formzwang, auch von der «considération» für «ungesiegelte» Verträge im anglo-amerikanischen Recht.

Mit Rücksicht auf die Staaten, die die Schriftform für Kaufverträge zwingend vorgeschrieben haben, enthält das Wiener Übereinkommen eine Vorbehaltsmöglichkeit (Art. 12 und 96). Danach kann ein Vertragsstaat, welcher für den Abschluss oder den Nachweis eines Kaufvertrages die Schriftform vorsieht, durch diese Vorbehaltserklärung die Geltung von Artikel 11 ausschliessen. Dasselbe gilt für Artikel 29, welcher die Abänderung oder die Aufhebung eines Vertrages betrifft, sowie für den zweiten Teil des Übereinkommens (Art. 14-24) über den Abschluss von Kaufverträgen. Macht ein Vertragsstaat vom Vorbehalt Gebrauch, so wird die Formfrage ihm gegenüber durch das vom Kollisionsrecht für massgebend erklärte nationale Recht entschieden (Formstatut) Das Formstatut kommt immer dann zum Tragen, wenn eine der Vertragsparteien ihre Niederlassung in einem Staat hat, der diesen Vorbehalt erklärt hat (Art. l Abs. l Bst. a). Führt das internationale Privatrecht des angerufenen Richters zum Recht eines Vertragsstaates, welcher die Vorbehaltsmöglichkeit genutzt hat, so gilt zwingend die schriftliche Form und die Parteien können keine hievon abweichende Vereinbarung treffen. Gelangt hingegen der Richter zum Recht eines Vertragsstaates, der den Vorbehalt nicht gemacht hat, so gilt in Anlehnung von Artikel l Absatz l Buchstabe b wiederum die Formfreiheit nach Artikel 11.

Die Vorbehaltsmöglichkeit von Artikel 96 beschränkt sich auf die Artikel 11 und 29 sowie auf den zweiten Teil (Art. 14-24) des Übereinkommens über den Vertragsschluss. Damit wird festgehalten, dass der Vorbehalt des Formstatuts nur für den Abschluss und den Nachweis von Kaufverträgen, für die Änderung oder die Aufhebung von Kaufverträgen sowie für die Mitteilungen im Vertragsabschlussverfahren Geltung haben kann. Weitere Mitteilungen in der Abwicklung des Kaufvertrages, so beispielsweise die Mängelrüge oder die Ansetzung von Fristen sind ungeachtet der nationalen Rechtsordnung auch in
Vorbehaltsstaaten formfrei gültig.

Wie bereits erwähnt, hält Artikel 13 präzisierend fest, dass die Schriftlichkeit auch Mitteilungen durch Telegramm oder Fernschreiben umfasst. Sofern die Schriftform durch einen Vorbehalt nach Artikel 96 vorgeschrieben ist, genügen den Anforderungen des Vorbehalts auch Telegramm oder Telex, ungeachtet allfälliger engerer Formvorschriften des entsprechenden nationalen Rechts.

22

Abschluss des Vertrages

Dass die Regeln des Vertragsabschlusses und jene über den materiellen Warenkauf im gleichen Übereinkommen enthalten sind, gilt als eines der grossen Verdienste des Wiener Übereinkommens. Indessen wird dieser Sieg der Vereinheit769

lichung durch eine Vorbehaltsmöglichkeit in Artikel 92 wieder relativiert. Dieser Artikel erlaubt es den Vertragsstaaten, nur Teil II (Vertragsschluss) oder nur Teil III (materieller Warenkauf) anzunehmen.

Artikel 92 ist vor allem auf Bestreben der skandinavischen Staaten (Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden) aufgenommen worden. Diese beabsichtigen denn auch, Teil II des Übereinkommens nicht zu ratifizieren, da innerhalb Skandinaviens bereits vereinheitlichte Bestimmungen über den Vertragsabschluss gelten, welche teilweise von denen des Wiener Übereinkommens abweichen.

Für die Schweiz bestehen keine Gründe, einen der beiden Teile des Übereinkommens von der Ratifikation auszuschliessen. Von den interessierten Kreisen, die begrüsst worden sind, hat sich niemand in diesem Sinne geäussert. Die Überlegungen, die für einen Beitritt der Schweiz zu diesem Übereinkommen sprechen, gelten gleichermassen für die Bestimmungen über den Vertragsabschluss wie für die materiellen Kaufrechtsbestimmungen.

221

Allgemeines

In Teil II über den Vertragsabschluss (Art. 14-24) behandeln die Artikel 14-17 das Angebot und die Artikel 18-22 die Annahme; Artikel 23 umschreibt in apodiktischen Worten den Vertragsabschluss, während Artikel 24 angibt, wann und unter welchen Bedingungen eine Willenserklärung nach dem Übereinkommen einer Partei als zugegangen gilt., Das Übereinkommen hält - wie übrigens auch das Haager Einheitliche Abschlussgesetz (Art. 3 EAG) - an der traditionellen Auffassung von Angebot und Annahme fest. Die Vorstellung, dass es für einen wirksamen Vertragsschluss zwei korrespondierende Willenserklärungen braucht, dürfte dem Rechtsempfinden aller entsprechen. An kritischen Bemerkungen zum lehrbuchmässigen Konzept von Angebot und Annahme hat es indessen nicht gefehlt. Die Kritiker haben darauf hingewiesen, dass vor allem bei weitreichenden und komplexen Vertragswerken oft lange Verhandlungen geführt werden, und dass der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nachträglich nicht mehr bestimmt werden könne. In solchen Situationen seien die massgebenden Willenserklärungen, die schliesslich zum Abschluss des Vertrages geführt haben, nur schwer herauszukristallisieren.

Trotz dieser berechtigten Bedenken wurde das traditionelle Schema des Vertragsabschlusses beibehalten, nicht zuletzt aus dem Gedanken heraus, dass das Modell von Angebot und Annahme der Mehrheit der Fälle gerecht werden dürfte.

Das Übereinkommen regelt den Vertragsabschluss in umfassender Weise, so dass in nationalen Rechtsordnungen vorgesehene andere Formen des Zustandekommens eines Vertrages nicht herangezogen werden können, sobald das Übereinkommen anwendbar sein will. Schliesslich sei nochmals daran erinnert, dass das Wiener Übereinkommen zwar abschliessend regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag zustande kommt, dass es sich aber über die Gültigkeit des Vertrages nicht äussert.

770

222

Das Angebot (Art. 14-17)

222.1

Begriff

Die Regelung über das Angebot beginnt mit einer Umschreibung des Begriffes: Nach Artikel 14 Absatz l gilt als Angebot eine Erklärung des Vertragswillens gegenüber einer oder mehrerer bestimmter Personen. Die Erklärung muss inhaltlich genügend bestimmt sein und ferner die wesentlichen Punkte des Vertrages sowie den Verpflichtungswillen zum Ausdruck bringen. Welches die wesentlichen Vertragspunkte sind, wird im Gegensatz zum OR ausdrücklich festgehalten. Nach Artikel 14 gilt ein Vorschlag als bestimmt genug, wenn er die Ware bezeichnet und ausdrücklich oder stillschweigend die Menge und den Preis festsetzt oder deren Festsetzung ermöglicht.

In der Regel richtet sich die Offerte an eine oder mehrere bestimmte Person bzw. Personen. Nach schweizerischem Recht kann eine Offerte unter Umständen auch schon vorliegen, wenn die Person des Vertragspartners noch nicht feststeht, also das Angebot ad incertam personam erfolgt.

Das Wiener Übereinkommen lässt eine Publikumsofferte ebenfalls zu, verlangt aber, dass der Antragsteller seinen Bindungswillen deutlich zum Ausdruck bringt (Art. 14 Abs. 2). Die Anforderungen an ein Publikumsangebot sind also strenger als im schweizerischem Recht. Das gilt auch für Schaufensterauslagen mit Preisangabe. Artikel 7 Absatz 3 OR bestimmt, dass eine Schaufensterauslage mit Angabe des Preises vermutungsweise ein Angebot darstellt. Liegen Umstände vor, die den Bindungswillen ausschliessen - beispielsweise der ausdrückliche Hinweis, dass der ausgestellte Gegenstand reserviert ist - so fällt die Vermutung dahin.

Anders hingegen beim Wiener Übereinkommen: Die Schaufensterauslage unterliegt als Publikumsofferte den strengen Voraussetzungen von Artikel 14 Absatz 2. Vermutungsweise handelt es sich also bloss um eine Einladung zur Offertenstellung, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die den Bindungswillen klar erkennen lassen.

Die Bestimmung bzw. Bestimmbarkeit der Warenmenge gehört zu den essentialia negotii. Neben der ausdrücklichen ist auch die stillschweigende Bestimmung der Menge, aber auch die stillschweigende Bestimmbarkeit der Menge ausreichend. Diese betont weite Formulierung lässt es zu, dass ein Angebot sogar darin genügend bestimmt sein kann, wenn beispielsweise beim Gattungskauf die Menge erst bei Vertragserfüllung zu bestimmen ist. Man wird sich allerdings bei
solchen und ähnlichen Angeboten fragen müssen, ob ein genügender Verpflichtungswille noch vorliegt, wenn die Bestimmbarkeit der Warenmenge von allzu grossen Zufälligkeiten abhängt. Durch das Heranziehen der Auslegungshilfe von Artikel 8 dürften offene Fragen über den Bindungswillen unschwer geklärt werden können.

Während Artikel 14 vorsieht, dass ein gültiges Angebot den Preis bestimmen oder dessen Festsetzung ermöglichen muss, behandelt Artikel 55 den Fall eines Vertrages, der abgeschlossen wurde, ohne dass der Preis bestimmt ist oder dessen Festsetzung möglich wäre; angesprochen sind Verträge, in denen die Par771

teien den Preis nicht einmal stillschweigend bestimmbar gestaltet haben. In solchen Fällen wird vermutet, die Parteien hätten sich stillschweigend auf den für die Ware üblichen Preis bezogen (Marktpreis). Der Widerspruch zwischen den Artikeln 14 und 55 ist ein Spiegelbild der unterschiedlichen Rechtsordnungen.

In verschiedenen Staaten kann ein Vertrag auch ohne Preisbestimmung gültig zustande kommen, während nach anderen Auffassungen ein solcher Vertrag nichtig ist.

Nach schweizerischem Recht gehört der Preis ebenfalls zu den essentialia negotii; ein Vertragsschluss ohne übereinstimmenden Willen bezüglich des Preises ist nicht denkbar. Nach Artikel 184 Absatz 3 OR genügt jedoch für das Zustandekommen des Vertrages, dass der Preis nach den Umständen bestimmbar ist.

Es reicht also aus, dass der Preis über den Markt oder auch anhand anderer konkreter Anhaltspunkte ermittelt werden kann. Bei fester Bestellung ohne Preisangabe durch den Käufer wird sogar ausdrücklich vermutet, es sei der mittlere Marktpreis zur Zeit und am Ort der Erfüllung vereinbart worden (vgl.

Art.212 Abs. l OR) Wesentlich ist, dass der Preis nicht vom Willen der einen oder anderen Partei allein abhängt. Die schweizerische Praxis dürfte bei der Auslegung von Artikel 55 keine grossen Schwierigkeiten haben. Das Zusammenspiel zwischen den Artikeln 14 und 55 bleibt indessen schwierig. Artikel 55 generell als gesetzliche Vermutung zu betrachten, wie dies für Artikel 212 Absatz l OR zutrifft, scheitert an der Formulierung des Artikels 14. Man wird diesem Widerspruch begegnen können mit dem Argument, dass Artikel 55 nur zum Tragen kommen kann, wenn Artikel 14 nicht zur Anwehdung gelangt (vgl.

Herber Rolf, Wiener Übereinkommen über internationale Warenkaufverträge vom 11. April 1980, Köln 1983, S. 15; Honnold John, Uniform Law for International Sales, Deventer 1982, ad 14 No 137) Dies trifft dann zu, wenn die Parteien die Anwendbarkeit von Artikel 14 ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen haben. Weiter wird die Ausklammerung von Artikel 14 wohl bejaht werden können, wenn die Handelsbräuche oder die zwischen den Parteien ausgebildeten Gepflogenheiten einen Vertragsschluss ohne Preisbestimmung vorsehen. Eine solche Gepflogenheit ist beispielsweise bei Uranlieferungen anzunehmen.

Im Zusammenhang mit der Bestimmung oder der
Bestimmbarkeit des Preises ergibt sich eine weitere Schwierigkeit. Man wird sich in solchen Fällen jeweils fragen müssen, ob der Vertrag überhaupt gültig zustande gekommen ist. Immerhin wird die Gültigkeit des Vertrages nach Artikel 4 vom Geltungsbereich des Übereinkommens bekanntlich ausgenommen, so dass hierfür die von den Kollisionsnormen des angerufenen Richters bestimmte Rechtsordnung gilt. Sieht die so bezeichnete Rechtsordnung vor, dass ein Vertrag ohne Preisbestimmung nichtig ist, so wird man solche Verträge nach Artikel 55 des Übereinkommens als nicht «gültig geschlossen» betrachten müssen.

222.2

Widerruflichkeit

Aus den Bestimmungen des OR ergibt sich, dass ein Antrag grundsätzlich bindend ist. Der Antragsteller kann sein Angebot nicht frei widerrufen. Will der Offerent nicht gebunden sein und gibt er eine entsprechende Erklärung ab, oder 772

ergibt sich die mangelnde Bindung aus der Natur des Geschäftes oder aus den Umständen, so liegt streng genommen kein Antrag, sondern bloss eine Einladung zur Offertenstellung vor. Die Dauer der Bindungswirkung hängt von den Umständen ab; das OR unterscheidet bekanntlich zwischen dem Antrag mit und demjenigen ohne Annahmefrist. Im letzteren Fall wird überdies differenziert, ob der Antrag unter An- oder Abwesenden gestellt wird. Bei Antragstellung unter Abwesenden besteht eine Widerrufsmöglichkeit, solange die Offerte beim Adressaten nicht eingetroffen ist oder sofern dem Adressaten der Widerruf noch vor dem Antrag zur Kenntnis gelangt.

Demgegenüber geht das Wiener Übereinkommen vom Prinzip der Widerruflichkeit aus (Art. 16 Abs. 1), sieht aber zwei wichtige Ausnahmen vor. Das Angebot kann nicht widerrufen werden, wenn es durch Bestimmung einer festen Frist zur Annahme oder auf andere Weise zum Ausdruck bringt, dass es unwiderruflich ist (Art. 16 Abs. 2 Bst. a). Als weitere Ausnahme besteht dann keine Widerrufsmöglichkeit, wenn der Empfänger vernünftigerweise darauf vertrauen konnte, dass das Angebot unwiderruflich ist und wenn er im Vertrauen darauf gehandelt hat (Art. 16 Abs.2 Bst. b). Die Regelung widerspiegelt die tiefgreifenden Unterschiede, die zwischen den einzelnen Rechtsordnungen hinsichtlich des Angebotes bestehen. So könnte auch die Praxis, wann ein Angebot unwiderruflich ist, je nach Rechtsordnung unterschiedlich ausfallen. Mit Bezug auf Artikel 16 Absatz l Bst. a ist deshalb zu betonen, dass die Bestimmung einer festen Frist für die Annahme nicht ohne weiteres die Unwiderruflichkeit des Angebotes nach sich zieht. Vielmehr handelt es sich nur um einen möglichen Hinweis darauf, dass das Angebot nach dem Willen des Offerenten unwiderruflich sein soll (vgl. Herber R., a.a.O., S. 16; Schlechtriem P., a.a.O., S.39).

Auch ein unwiderrufliches Angebot kann in der Folge widerrufen werden, wenn der1 Widerruf dem Adressaten vor oder gleichzeitig mit dem Angebot zugeht (Art. 15 Abs. 2). Das Übereinkommen nennt dies eine Rücknahmeerklärung und unterscheidet sie dadurch vom eigentlichen Widerruf, der in Artikel 16 Absatz l geregelt ist. Nach diesem kann in der Regel ein Angebot, das nicht gestützt auf Artikel 16 Absatz 2 widerruflich ist, bis zu jenem Zeitpunkt widerrufen werden, da der Empfänger
noch keine Annahmeerklärung abgesandt hat.

Artikel 17 präzisiert, dass ein Angebot mit dem Zugang der Ablehnung erlischt, selbst wenn das Angebot widerruflich war.

Ob der Antrag seine Gültigkeit verliert, wenn der Offerent unmittelbar nach der Antragstellung geschäftsunfähig wird oder stirbt, sagt das Übereinkommen nicht. Zu prüfen ist, ob diese Frage nach Artikel 7 zum Regelungsbereich des Übereinkommens gehört und daher im Wege der Lückenfüllung beantwortet werden muss oder ob sie dem durch die Kollisionsnormen bestimmten nationalen Recht unterliegt.

Als erstes ist festzuhalten, dass Geschäftsunfähigkeit oder Tod des Antragstellers die Wirkung der Angebotserklärung und damit auch ihre Gültigkeit betrifft.

Ob der Angebotsempfänger die Offerte noch annehmen kann und ob dadurch ein Vertrag gültig zustande kommt, ist eine Frage, die das Übereinkommen von seinem Anwendungsbereich ausdrücklich ausschliesst. Daher kann der Einfluss von Geschäftsunfähigkeit oder Tod des Antragstellers auf die Gültigkeit des 773

Angebotes dem Übereinkommen nicht entnommen werden, sondern bleibt dem nationalen Recht vorbehalten (a.A. Schlechtriem P., a.a.O., S.38) Der Einwand, dass zwischen Geschäftsunfähigkeit, beziehungsweise Tod einerseits und Widerruf des Angebotes andererseits eine Parallele besteht, die es erlaubt, dem Übereinkommen durch Lückenfüllung eine Lösung zu entnehmen, dringt nicht durch. Zieht man die Vorarbeiten zum Übereinkommen heran, so ergibt sich, dass eine Übernahme der Bestimmungen des Haager Einheitlichen Kaufrechts über die Geschäftsunfähigkeit beziehungsweise den Tod einer Partei mehrheitlich abgelehnt wurde. Eine erneute Regelung ist bewusst unterblieben. Massgebend war die Überlegung, dass internationale Warenkäufe häufig von Firmen und nicht von natürlichen Personen vorgenommen werden, weshalb eine Normierung dieses Tatbestandes überflüssig schien.

Für Geschäftsunfähigkeit oder Tod des Annehmenden gelten die gleichen Überlegungen.

223

Die Annahme (Art. 18-22)

223.1

Allgemeines

Die Erklärung, ein Angebot anzunehmen, lässt den Vertrag zustande kommen.

Wiener Übereinkommen und OR gehen davon aus, dass die Annahme grundsätzlich explizit erfolgen muss. Nach schweizerischem Recht lässt Stillschweigen im Sinne eines völlig passiven Verhaltens keinen Vertrag entstehen. Anders ist es, wenn nach den besonderen Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten ist; dann genügt auch Stillschweigen für den Vertragsschluss.

Artikel 18 Absatz l des Übereinkommens spricht von «Schweigen oder Untätigkeit allein», das keine Annahme bewirken kann. Liegen indessen besondere Umstände vor, so ist auch nach dem Übereinkommen ein stillschweigendes Akzept denkbar. Nach OR kann eine Annahme überdies durch konkludentes Verhalten erfolgen; es reicht, wenn der Angebotsempfänger seinen Annahmewillen erkennbar betätigt. Dasselbe gilt nach Artikel 18 Absatz .3 für das Übereinkommen, wonach die Annahme auch in Form einer Handlung vorgenommen werden kann, sofern sich dies aufgrund des Angebotes, der zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten oder der Handelsbräuche ergibt. Eine ähnliche Lösung hat schon das Haager Einheitliche Kaufrecht vorgesehen (vgl. Art. 6 Abs. 2 EAG).

' Die Rücknahme einer Annahmeerklärung ist unter den gleichen Voraussetzungen möglich wie beim unwiderruflichen Angebot (Art. 22).

223.2

Inhalt der Annahmeerklärung

Inhaltlich muss die Annahme mit dem Angebot übereinstimmen. Wird in der Erklärung ein neues Element eingefügt oder ein bestehendes abgeändert, so bedeutet dies Ablehnung des Angebotes und Stellung einer Gegenofferte. Dies gilt nicht nur nach OR, sondern ausdrücklich auch für das Übereinkommen (Art. 19 Abs. 1). Während die schweizerische Rechtsprechung grundsätzlich keine Ab774

weichungen von diesem Grundsatz zulässt, ist das Übereinkommen weniger streng, denn Artikel 19 Absatz 2 lässt den Vertrag gleichwohl zustande kommen, sofern die Bedingungen in der Annahme das Angebot nicht wesentlich abändern.

Will der Antragsteller einen Vertrag mit den unwesentlichen Änderungen nicht zustande kommen lassen, so muss er dies dem Annehmenden unverzüglich mitteilen. Unterlägst er dies, so kommt der Vertrag mit den in der Annahme enthaltenen Änderungen zustande (Art. 19 Abs. 2).

Artikel 19 Absatz 3 enthält als Auslegungshilfe Hinweise darüber, welche Ergänzungen und Abweichungen als wesentlich gelten. Die Abgrenzung der wesentlichen von den unwesentlichen Änderungen wird trotz dieser zusätzlichen Angaben in Absatz 3 nicht immer einfach sein. Neben den aufgezählten Punkten - Änderungen bezüglich Preis, Bezahlung, Qualität und Menge der Ware, Ort und Zeit der Lieferung, Umfang der Haftung und Beilegung von Streitigkeiten -, die immer als wesentliche Änderungen gelten, gibt es keine Regeln für die Abgrenzung zwischen unwesentlichen und wesentlichen Änderungen des Angebots ; man wird auf die Umstände des Einzelfalles zurückgreifen müssen.

Die Rechtsprechung zum Haager Einheitlichen Kaufrecht und zum amerikanischen Uniform Commercial Code (UCC) kann nur in beschränktem Masse herangezogen werden. Beide Rechtsordnungen kennen zwar die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Modifikationen, ohne aber Sachverhalte zu nennen, für welche die Vermutung der wesentlichen Abänderung gilt.

Abweichungen zwischen Angebot und Annahme durch sich widersprechende allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind nach Artikel 19 zu lösen. Ergibt die Auslegung, dass die AGB des Annehmenden nur unwesentlich von denen des Offertenstellers abweichen, so obliegt diesem, rechtzeitig mitzuteilen, dass der Vertrag nicht zustande gekommen ist. Handelt es sich um wesentliche Unterschiede, so wird er die Gegenofferte ausdrücklich annehmen müssen, wenn der Vertrag zustande kommen soll.

Bestehen sprachliche Divergenzen zwischen Angebot und Annahme, wird man ermitteln müssen, ob trotzdem ein übereinstimmender Wille der Parteien vorliegt. Ist dies der Fall, so sind die sprachlichen Unterschiede keine wesentlichen Abweichungen nach Artikel 19 Absatz 2. Für mangelnde Übereinstimmung zwischen Erklärung und
Wille der Parteien ist hingegen Artikel 19 Absätze 2 und 3 heranzuziehen. Im übrigen betreffen Abweichungen im Willen, die in den Erklärungen nicht zum Ausdruck kommen, die Gültigkeit des Vertrages und unterstehen folglich den nationalen Bestimmungen über den Irrtum.

223.3

Annahmefrist

Die Annahmeerklärung muss innerhalb der vom Antragsteller gesetzten Frist erfolgen; fehlt eine solche Frist, so ist die Annahme innerhalb eines angemessenen Zeitraumes zu erklären. Handelt es sich um ein mündliches Angebot, so muss dieses sofort angenommen werden, sofern sich aus den Umständen nichts anderes ergibt.

775

Das Übereinkommen enthält in Artikel 18 Absatz 2 Hinweise darüber, wie sich die Angemessenheit einer Frist bestimmt. Zu berücksichtigen sind die Umstände des Geschäftes, einschliesslich der Schnelligkeit der vom Anbietenden gewählten Übermittlungsart. Sie decken sich mit den Umständen, die die schweizerische Rechtsprechung zur Dauer der Gebundenheit des Offerenten ausgearbeitet hat. Diese Kriterien können daher zur Auslegung von Artikel 18 Absatz 2 entsprechend herangezogen werden.

Artikel 20 beschlägt die Modalitäten der Fristberechnung, Gesetzliche Feiertage und arbeitsfreie Tage an der Niederlassung des Anbietenden haben grundsätzlich keinen Einfluss auf den Fristenlauf. Fällt aber das Ende einer Frist auf einen solchen Tag, so verlängert sich die Frist bis zum nächsten darauffolgenden Arbeitstag. Diese Regel trägt dem internationalen Verkehr Rechnung; von den Parteien kann nicht erwartet werden, dass sie weltweit sämtliche Feiertage kennen.

223.4

Verspätete Annahme

Nach OR kommt der Vertrag bekanntlich nicht zustande, wenn die Annahmeerklärung nicht innerhalb der angesetzten Frist eintrifft. Hat der Offerent keine Annahmefrist bestimmt und trifft die Annahmeerklärung verspätet ein, so ist wie folgt zu unterscheiden: Ist die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesandt worden, aber zu spät eingetroffen, oder handelt es sich um eine geringfügige Verspätung, hat der Offerent unter Berufung auf die Verspätung den Vertrag abzulehnen, wenn er ihn nicht gelten lassen will (Art. 5 Abs. 3 OR) Ist dagegen die Verspätung klar als solche zu erkennen, so kann der Annahmeerklärung nur noch die Wirkung einer Offerte zukommen, die dann der ausdrücklichen Annahme bedarf.

Auch das Wiener Übereinkommen enthält Regeln über die Wirkung einer verspäteten Annahme. Hier wird ebenfalls zwischen der verspätet abgesandten und der rechtzeitig verschickten, aber verspätet eingetroffenen Annahme unterschieden. Artikel 21 Absatz 2 entspricht Artikel 5 Absatz 3 OR: Demnach muss der Anbietende dem Annehmenden unverzüglich mitteilen, dass er sein Angebot als erloschen betrachtet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Annahme bei normaler Beförderung rechtzeitig zugegangen wäre. Aus dem Wortlaut des Übereinkommens geht ferner hervor, dass die Erklärung des Anbietenden, nicht gebunden sein zu wollen, nur absendebedürftig ist. Nach Artikel 21 Absatz 2 ist eine verspätet abgesandte Annahme dennoch als Annahme wirksam anzusehen, wenn der Anbietende dies dem Annehmenden unverzüglich anzeigt. Dabei handelt es sich um eine gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Fristerstreckung durch den Annahmeempfänger (vgl. Schlechtriem P., a.a.O., S.42). Analog zu Absatz 2 genügt auch hier das Absenden für die Wirksamkeit der Erklärung.

224

Zustandekommen des Vertrages (Art. 23 und 24)

Artikel 23 des Übereinkommens bestimmt als Zeitpunkt des Vertragsschlusses das Wirksamwerden der Annahme. Artikel 18 Absätze 2 und 3 präzisieren die 776

Voraussetzungen, unter welchen die Annahme eines Angebotes wirksam wird.

Grundsätzlich braucht es hierfür das Zugehen der Erklärung an den Anbietenden. Wann eine Annahmeerklärung zugeht, ist in Artikel 24 geregelt.

224.1

Zugang von Willenserklärungen

Artikel 24 erfasst neben den schriftlichen auch die mündlichen Erklärungen; er betrachtet die letzteren als zugegangen, sobald sie dem Empfänger mündlich gemacht worden sind, gleichgültig, wo diese Erklärungen abgegeben werden.

Die schriftlichen Erklärungen müssen, um wirksam zu sein, in den Machtbereich des Adressaten gelangen, sei es, dass sie ihm persönlich oder an seine Niederlassung oder Postanschrift zugestellt werden. Subsidiär genügt die Zustellung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort, wenn weder Niederlassung noch Postanschrift vorhanden sind. Gegenüber dieser letzten Ergänzung ist während der Verhandlungen eingewendet worden, im internationalen Handel komme es kaum vor, dass sowohl Niederlassung als auch Postanschrift fehlen. Trotzdem ist im Übereinkommen die Zustellung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort beibehalten worden, um ein möglichst lückenloses System zu garantieren. Allerdings ist diese Zustellung nur rechtswirksam, wenn der Absender weder Niederlassung noch Postanschrift des Empfängers kannte und sie auch nicht kennen konnte. Andernfalls kann sich der Empfänger auf die Unwirksamkeit der Erklärung berufen.

Artikel 24 betrifft nicht nur die Annahme, sondern auch das Angebot (vgl.

Art. 15 Abs. 1) sowie sonstige Willenserklärungen, die im Rahmen der Vertragsabschlussverhandlungen abgegeben werden. Ob eine Ausdehnung von Artikel 24 auch auf Willenserklärungen des dritten Teils vorgenommen werden kann, für welche eine Regelung fehlt, wird im Zusammenhang mit Artikel 27 geprüft (vgl. Ziff. 231.3).

Artikel 24, welcher die Abgabe einer Willenserklärung an den Empfänger persönlich, die Zustellung an seine Niederlassung, Postanschrift oder subsidiär an seinen gewöhnlichen Aufenthalt für den Zugang genügen lässt, ist recht weit gefasst. Er entspricht den Voraussetzungen, unter welchen auch nach schweizerischem Recht eine Erklärung in den Machtbereich des Adressaten gelangt und damit rechtswirksam wird. Nicht geregelt ist im Wiener Übereinkommen die Frage, welche Personen als Vertreter des Empfängers die Erklärung entgegennehmen können, sowie das Problem des Zugangs ausserhalb der üblichen Geschäftszeit und der durch den Empfänger verursachten Zugangsvereitelung oder -Verzögerung.

Die erste Frage - Zustellung an Vertreter - richtet sich nach dem durch die Kollisionsnormen bestimmten
nationalen Recht, denn sie betrifft ein Gebiet, welches nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt. Anders ist es bei den übrigen Fragen: Sie hängen mit den äusseren Umständen des Wirksamwerdens von zugangsbedürftigen Willenserklärungen zusammen und berühren nicht Voraussetzungen in der Person des Erklärenden (z. B. Willensbildung oder nachträglich eingetretene Geschäftsunfähigkeit); sie sind als Lücken nach Artikel 7 Absatz 2 zu füllen. Bei der Wertung des Zugangs ausserhalb der übli3l Bundesblatt. 141.Jahrgang. Bd.I

,

777

chen Geschäftszeit wird man analog zu der Fristberechnung nach Artikel 20 des Übereinkommens berücksichtigen müssen, dass die weltweite Kenntnis von Geschäftsstunden der zustellenden Partei nicht zugemutet werden kann.

224.2

Zeitpunkt des Vertragsschlusses

Wie bereits festgehalten, ist ein Vertrag in dem Zeitpunkt geschlossen, in welchem die Annahme eines Angebotes wirksam wird. Für die Wirksamkeit bedarf es grundsätzlich des Zugangs der Annahmeerklärung (vgl. Ziff. 224.1), Nun kann aber die Annahme sowohl durch konkludentes Handeln als auch - bei Vorliegen von besonderen Umständen - stillschweigend erklärt werden. Für den ersten Fall bestimmt das Wiener Übereinkommen, dass die Annahme im Zeitpunkt der vorgenommenen Handlung wirksam wird, sofern diese Handlung fristgerecht vollzogen worden ist (Art, 18 Abs. 3).

Wann der Vertrag bei stillschweigenden Annahme als geschlossen gilt, regelt das Übereinkommen nicht ausdrücklich. Man wird im Wege der Lückenfüllung vorgehen müssen. Nach Artikel 7 Absatz 2 sind dabei in erster Linie die allgemeinen Grundsätze zu berücksichtigen, die dem Übereinkommen zugrunde liegen. Zu fragen ist, ob die in Artikel 18 Absätze 2 und 3 enthaltenen Regeln aussagekräftig genug sind, um daraus allgemeine Grundsätze für die stillschweigende Annahme und deren Wirksamwerden gewinnen zu können. Die Auslegung ergibt nämlich, dass die Wirksamkeit der Annahme von einer äusserlich erkennbaren Betätigung des Willens abhängt. Bei expliziter Annahme muss diese dem Empfänger zugehen, bevor sie rechtswirksam wird, während bei der Annahme durch eine Handlung der Zeitpunkt ihrer Vornahme ausreicht, um das Akzept wirksam werden zu lassen. In beiden Fällen liegt ein Verhalten vor, das für den Antragsteller äusserlich erkennbar ist. An dieser äusserlichen Erkennbarkeit der Willensbetätigung fehlt es aber bei der stillschweigenden Annahme, so dass ein Anhaltspunkt für den Vertragsabschluss nicht ersichtlich scheint. Eine stillschweigende Annahme kann indessen nur dann in Frage kommen, wenn besondere Umstände vorliegen. Gerade aufgrund dieser Umstände wird im Einzelfall zu ermitteln sein, wann der Vertrag zustande gekommen ist.

Dabei wird man vor allem auf das Verhalten der Parteien abstellen müssen. Obwohl also aus den bestehenden Regeln zum Vertragsschluss keine generelle Bestimmung für den Vertragsschluss bei stillschweigender Annahme gefunden werden kann, dürften anhand der Auslegungsgrundsätze von Artikel 8 befriedigende Lösungen gefunden werden. Ein Rückgriff auf das nationale Recht wäre jedenfalls im Hinblick auf die unterschiedlichen nationalen Regelungen eher abzulehnen.

224.3

Vertragswirkungen

Im Wiener Übereinkommen fällt der Eintritt der Vertragswirkungen grundsätzlich mit dem Vertragsschluss zusammen. Damit ergibt sich gegenüber dem schweizerischen Recht eine erhebliche Abweichung (vgl. Art. 10 OR). Ob die Parteien den Beginn der Vertragswirkungen durch eine Vereinbarung über den 778

Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hinausschieben können, dürfte im Hinblick auf die Parteiautonomie zu bejahen sein.

225

Nicht geregelte Punkte

Neben den verschiedenen bereits erwähnten Fragen, die vom Übereinkommen nicht berührt werden - wie die Geschäftsfähigkeit oder der Tod einer Partei, die Zustellung an einen Vertreter oder ausserhalb der Geschäftszeit -, sind aus der Sicht des schweizerischen Rechts das kaufmännische Bestätigungsschreiben, die culpa in contrahendo und die Regelung von Nebenpunkten näher zu prüfen.

Im schweizerischen Recht hat ein Bestätigungsschreiben bekanntlich die Bedeutung eines Beweismittels für den vorausgegangenen mündlichen Vertragsschluss. Bleibt das Schreiben von der anderen Partei unwidersprochen, so hat es die Vermutung der Richtigkeit für sich. Wenn das Bestätigungsschreiben die mündlich getroffene Vereinbarung leicht modifiziert und der Empfänger darauf schweigt, so kann dem Schreiben allenfalls die Bedeutung einer Gegenofferte zukommen, während die widerspruchslose Entgegennahme als stillschweigendes Akzept gilt, vorausgesetzt, der Verfasser durfte nach Treu und Glauben mit dem Einverständnis des Adressaten rechnen (vgl. sinngemäss Bucher E., a. a. O., S. 122; enger Guhl/Merz/Kummer, a.a.O., S. 98). In anderen Rechtsordnungen (z. B. BRD) kommt dem Bestätigungsschreiben für den Vertragsabschluss eine grosse Bedeutung zu. Trotzdem hat es im Übereinkommen keine Erwähnung gefunden. Da der Vertragsabschluss umfassend geregelt ist, bleibt für den Abschluss eines Vertrages mittels Bestätigungsschreiben kein Raum. Letzteres wird daher nur berücksichtigt werden können, wenn die engen Voraussetzungen von Artikel 9 (Handelsbräuche) erfüllt sind. Ob es sich bei der culpa in contrahendo im schweizerischen Recht um eine Delikts- oder Vertrags- oder um eine Haftung sui generis handelt, ist umstritten (vgl. Guhl/Merz/Kummer, a.a.O., S.93; von Tuhr/Peter, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band I, 3 Aufl., Zürich 1979, S. 193: Bucher E., a.a.O., S.253). Das Übereinkommen erwähnt sie genausowenig wie das Haager Einheitliche Kaufrecht (vgl.

für letzteres Dolle Hans, Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht, München 1976, N 11 zu Art. 8 EKG und N 21 zu Art.4 EAG; für das Übereinkommen A/CN 977 C. l/L. 95). Da dem Übereinkommen keine Grundsätze zur Lückenfüllung entnommen werden können, wird die verletzte Partei auf die Regeln des durch die Kollisionsnormen bestimmten nationalen Rechts zurückgreifen
müssen, um eine Haftung aus culpa in contrahendo geltend zu machen.

Nach schweizerischem Recht kommt ein Vertrag zustande, wenn sich die Parteien über die wesentlichen Punkte geeinigt haben. Dabei gelten beim Kaufvertrag einzig Kaufgegenstand, Eigentumsverschaffung und Preis als essentialia negotii. Ist ein Verpflichtungswille vorhanden, so hindert die fehlende Einigung über Nebenpunkte den Vertragsabschluss nicht. Nach Artikel 2 Absatz l OR besteht bekanntlich sogar eine dahingehende gesetzliche Vermutung. Anders präsentiert sich die Lage unter dem Übereinkommen: Artikel 19 Absatz 3 enthält eine Liste der vermutungsweise als wesentlich eingestuften Vertragselemente, über die eine Einigung bestehen muss; diese ist ungleich länger als jene in Artikel 184 OR: Neben Kaufgegenstand und Preis zählen auch Art der Be779

Zahlung, Ort und Zeit der Lieferung, Umfang der Haftung und Beilegung von Streitigkeiten dazu. Haben sich die Parteien die Regelung von unwesentlichen Punkten vorbehalten, so wird die Frage, ob trotzdem ein Vertrag gültig zustande gekommen ist, vom Übereinkommen nicht berührt (vgl. Art. 4); vielmehr entscheidet sie sich nach dem durch das Kollisionsrecht des angerufenen Richters bestimmten nationalen Recht. Dieses setzt auch fest, ob der Richter den Vertrag gegebenenfalls ergänzen kann, wie dies in Artikel 2 Absatz 2 OR vorgesehen ist.

23

Warenkauf

Der dritte Teil des Übereinkommens mit den materiellen Kaufrechtsbestimmungen ist umfangreich; er umfasst fünf Kapitel: - Allgemeine Bestimmungen (Art. 25-29), - Pflichten des Verkäufers (Art. 30-52), - Pflichten des Käufers (Art. 53-65), - Übergang der Gefahr (Art. 66-70), - Gemeinsame Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers (Art. 71-88).

231

Allgemeine Bestimmungen (Art. 25-29)

Die fünf Artikel des ersten Kapitels (Art. 25-29) mit Vorschriften allgemeiner Natur und Begriffsumschreibungen ergänzen die allgemeinem Bestimmungen des ersten Teils (Art. 1-13) Wie weit sie für Auslegungsfragen des zweiten Teils über den Vertragsschluss herangezogen werden können, wird im Zusammenhang mit Artikel 27 (vgl. Ziff. 231.3) näher zu prüfen sein.

Die Bestimmungen dieses ersten Kapitels umschreiben den Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung (Art. 25), die Vertragsaufhebung (Art. 26), das Absendeprinzip (Art. 27), die Erfüllungsklage (Art. 28) und die Vertragsänderung oder -aufhebung (Art. 29).

231.1

Wesentliche Vertragsverletzung

Im System der gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien kommt dem Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung (Art. 25) zentrale Bedeutung zu. Welche Rechtsbehelfe der verletzten Partei zustehen, bestimmt sich oft nach der Schwere der Vertragsverletzung: Rücktritt vom Vertrag (Art. 49) oder Nachbesserung (Art. 46) kann nur verlangt werden, wenn die Vertragsverletzung wesentlich ist; auch beim Gefahrenübergang (Art.70) spielt der Begriff eine wichtige Rolle.

Wie überall im Übereinkommen, steht die Parteiautonomie auch hinsichtlich der wesentlichen Vertragsverletzung im Vordergrund. Demnach können die Parteien vereinbaren, welche Verhaltensweisen als wesentlicher Vertragsbruch gelten sollen. Als Folge kann die Aufhebung des Vertrages gestützt auf eine ver-

780

tragliche Vereinbarung verlangt werden. Umgekehrt können die Parteien übereinkommen, bestimmte Vertragsverletzungen nicht als wesentlich ansehen zu wollen. Beim Eintritt derartiger Vorkommnisse erübrigt sich somit die Prüfung, ob die Voraussetzungen nach Artikel 25 gegeben sind. Denkbar ist ferner, dass sich die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung aus den Handelsbräuchen ergibt. Artikel 25 greift also ein, wenn der Vertrag - ergänzt durch die Handelsbräuche - hinsichtlich der Folgen der Vertragsverletzung keine Bestimmungen enthält.

Die Definition der wesentlichen Vertragsverletzung ist recht kompliziert. Um wesentlich zu sein, muss eine Vertragsverletzung für die andere Partei mit solchen Nachteilen verbunden sein, dass ihr im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Voraussetzung ist, dass die Vertragsbrüchige Partei diese Folge voraussah oder hätte voraussehen können. Der Begriff verlangt also, dass die Vertragsverletzung vorhersehbar und erheblich ist und dass sie einen Teil der Leistung betrifft, welcher für den Vertragspartner erkennbar entscheidend ist.

Der Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung und seine Umschreibung waren auf der diplomatischen Konferenz sehr umstritten. Intensive Verhandlungen haben schliesslich zu einem Kompromiss geführt zwischen den Anhängern einer objektiven Formulierung und jenen, die einen subjektiven Massstab befürworteten. Massgebend ist somit weder allein der objektive Nachteil, den die verletzte Partei wegen des Vertragsbruches erleidet, noch allein der subjektive Nachteil; ausschlaggebend sind vielmehr die Erwartungen der betroffenen Partei so, wie sie sich aus dem Vertrag selber ergeben. Ob man dabei noch von einem objektiven Massstab reden kann, bei welchem die sich aus dem Vertrag ergebende subjektive Erwartungshaltung mitzuberücksichtigen ist, oder ob man von einem durch den Vertrag objektivierbaren subjektiven Massstab auszugehen hat, dürfte für die Praxis nicht wesentlich sein. Wichtig bleibt der Grundgedanke, dass - um eine wesentliche Vertragsverletzung annehmen zu können die verletzte Partei infolge des Vertragsbruches kein Interesse mehr an der Durchführung des Vertrages hat. Wichtig ist auch das Element der Voraussehbarkeit: Berücksichtigt werden nur jene nachteiligen Folgen, die die Vertragsbrüchige Partei
voraussehen konnte oder die eine vernünftige Person in gleicher Stellung hätte voraussehen können.

Dem Übereinkommenstext lässt sich nicht entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die Voraussehbarkeit gegeben sein muss. Logischerweise kann wohl nur der Zeitpunkt des Vertragsschlusses und nicht etwa der Vertragsverletzung massgebend sein, denn jede Partei soll bei Vertragsschluss die von ihr übernommenen Risiken abschätzen können.

231.2

Vertragsaufhebung

Artikel 26 steht in engem Zusammenhang mit der wesentlichen Vertragsverletzung, durch welche die betroffene Partei zur Vertragsaufhebung berechtigt wird.

Durch einen wesentlichen Vertragsbruch wird der Vertrag nicht ipso iure aufgelöst; um rechtswirksam zu sein, muss die Vertragsaufhebungserklärung nach 781

Artikel 26 der anderen Partei mitgeteilt werden. Die Aufhebungserklärung ist absendebedürftig, sie entspricht also dem in Artikel 27 niedergelegten Grundsatz und dient lediglich der Klarstellung.

Gegenüber dem schweizerischen Recht besteht ein erheblicher Unterschied, denn nach OR kann die Vertragsaufhebung nur aufgrund einer empfangsbedürftigen Willenserklärung erfolgen. Zu beachten ist aber, dass das in den Artikeln 26 und 27 niedergelegte Absendeprinzip dispositiven Charakters ist und nach dem Willen der Vertragsparteien abgeändert werden kann.

231.3

Absendeprinzip

Artikel 27 lässt es für die Wirksamkeit einer Anzeige, Aufforderung oder sonstigen Mitteilung im Sinne von Teil III des Übereinkommens grundsätzlich genügen, dass die Mitteilung mit einem nach den Umständen angemessenen Mittel abgesendet wird (Absendeprinzip) Ein Zugang der Mitteilung an den Adressaten ist - sofern das Übereinkommen nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht - nicht erforderlich, und eine Verzögerung oder ein Irrtum bei der Übermittlung nimmt dem Absender nicht das Recht, sich auf die Mitteilung zu berufen.

Diese Konzeption steht im grundsätzlichen Widerspruch zum schweizerischen Recht, wonach Willenserklärungen bekanntlich empfangsbedürftig sind. Zwar wird die Empfangsbedürftigkeit im Gesetzestext des OR nicht ausdrücklich festgehalten, kommt aber indirekt in den Artikeln 3, 5 und 9 zum Ausdruck.

Danach erfordert die Wirksamkeit einer Willenserklärung, dass sie im Bereich des Adressaten eingetroffen ist. Ob der Empfänger die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, bleibt dagegen unerheblich. Entsprechend trägt der Absender das Risiko der Übermittlung - er bestimmt ja auch das Transportmittel -, während der Empfänger dasjenige der Kenntnisnahme übernehmen muss.

Demgegenüber wird eine Willenserklärung nach dem Wiener Übereinkommen mit dem Absenden wirksam; das Risiko der Übermittlung und der Kenntnisnahme liegen beim Empfänger. Die Vorschrift, wonach die Mitteilung mit einem nach den Umständen angemessenen Mittel erfolgen muss, garantiert indessen einen minimalen Schutz des Erklärungsempfängers und verpflichtet den Erklärenden, ein angemessenes Kommunikationsmittel zu verwenden. Welches Mittel im Einzelfall geeignet ist, wird sich mangels Parteivereinbarung nach den Gepflogenheiten, die sich zwischen den Parteien gebildet haben, oder allenfalls nach den Gewohnheiten des betreffenden Handelszweiges bestimmen. Besondere Umstände können einen an sich angemessenen Übermittlungsweg untauglich werden lassen.

Sind mehrere Kommunikationsmittel möglich, so kann der Erklärende unter diesen frei wählen. Artikel 27 ist also flexibel genug, um den Besonderheiten des internationalen Handels Rechnung zu tragen.

Nicht ausdrücklich geregelt ist das Wirksamwerden einer mündlichen Mitteilung. Da in solchen Fällen Äusserung und Vernehmung zusammenfallen, dürften sich selten Schwierigkeiten ergeben. Trotzdem ist kurz zu prüfen, inwiefern Äusserungs- oder Vernehmungstheorie massgebend sind. In Anlehnung an die 782

für verkörperte Erklärungen statuierte Absendetheorie wird man nicht davon ausgehen dürfen, dass die mündliche Erklärung vom Adressaten auch tatsächlich verstanden werden muss; für das Wirksamwerden genügt allein die Äusserung der Erklärung. Allerdings hat der Erklärende auch hier ein nach den Umständen angemessenen Mittel zu verwenden. Kennt er Gegebenheiten, die dem jErklärungsempfänger die Wahrnehmung der Mitteilung verunmöglichen (z.B.

Taubheit, Schwerhörigkeit, fehlende Beherrschung der verwendeten Sprache), oder hätte er diese Besonderheiten kennen müssen, so wird seine Erklärung nicht wirksam. Im Ergebnis führt dies zu einer abgeschwächten Äusserungstheorie.

Einleitend ist festgehalten worden, dass Artikel 27 das Absendeprinzip vorsieht, sofern das Übereinkommen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Solche abweichende Regeln gelten bei der Nachfrist für den Verkäufer (Art. 47 Abs. 2), bei der Anzeige des Verkäufers im Falle der nachträglichen Erfüllung (Art. 48 Abs. 4), bei der Anzeige des Käufers, innerhalb der Nachfrist nicht erfüllen zu wollen (Art. 63 Abs. 2), bei der Spezifizierung (Art. 65) und bei der Anzeige des Hinderungsgrundes (Art. 79 Abs. 4) ; alle diese Mitteilungen sind zugangsbedürftig Bei wortgetreuer Auslegung gilt Artikel 27 nur für Mitteilungen «gemäss diesem Teil», d.h. für Teil III des Übereinkommens. Nicht erfasst wären somit Erklärungen, die in den materiellen Kaufrechtsbestimmungen keine Regelung erfahren, wie etwa Mahnungen, Aufforderungen zur Abholung der Sache, Ausübung eines vertraglich vereinbarten Rücktritts- oder Wahlrechts. Ob für diese Erklärungen auch Artikel 27 herangezogen werden darf, oder ob eine Regelung in Anlehnung an die empfangsbedürftigen Willenserklärungen nach Artikel 24 anzustreben ist, ist eine Auslegungsfrage, die nach Artikel 7 gelöst werden muss.

Ein Überblick über die im Wiener Übereinkommen enthaltenen Bestimmungen betreffend, das Wirksamwerden von Erklärungen ergibt folgendes Bild: Teil II über den Vertragsabschluss (Art. 14-24) geht vom Prinzip der Zugangsbedürftigkeit aus. Allerdings bestehen einige ausdrückliche Ausnahmen, in denen Mitteilungen bloss abgesandt werden müssen, um rechtswirksam zu sein (vgl. Art. 19 und 21). Umgekehrt geht Teil III über die materiellen Kaufrechtsbestimmungen (Art.25-88) von der Absendetheorie
aus und behält ausdrückliche zugangsbedürftige Willenserklärungen vor (Art. 27). Angesichts dieser Sachlage vermag man für die Lückenfüllung schwerlich den Vorrang des einen Grundsatzes gegenüber dem anderen zu bejahen. Vielmehr bedarf es jeweils einer genauen Analyse darüber, welche Mitteilung Zugangs- und welche absendebedürftig ist (vgl. dazu und zum Nachfolgenden Noussias Konstantinos, Die Zugangsbedürftigkeit von Mitteilungen nach den Einheitlichen Haager Kaufgesetzen und nach dem UN-Kaufgesetz, Heidelberg 1982) Lassen sich aus den Bestimmungen allgemeine Grundsätze gewinnen, so können diese auf die nicht geregelten Mitteilungen angewendet werden; andernfalls hätte der angerufene Richter auf das durch seine IPR-Regeln bezeichnete materielle Recht zurückzugreifen.

Die Bestimmungen über den Vertragsschluss gehen grundsätzlich von der Zugangsbedürftigkeit aus. Demnach sind alle rechtserheblichen vertragskonstituie783

renden Erklärungen zugangsbedürftig. Von diesem Prinzip sind Mitteilungen ausgenommen, die eine Reaktion der Vertragstreuen Partei auf eine Abweichung vom normalen Verfahren durch die andere Partei darstellen. So reicht es aus, wenn der Anbietende sein fehlendes Einverständnis zur modifizierten Annahmeerklärung absendet (Art. 19 Abs. 2). Ebenso genügt das Absenden, wenn der Anbietende die verspätete Annahme wirksam werden lassen will (Art. 21 Abs. 1) oder wenn er die rechtzeitig abgesandte, aber verspätet angekommene Annahme nicht gelten lassen will (Art. 21 Abs. 3). Aus diesen Bestimmungen lassen sich folgende Grundsätze herleiten: Erklärungen bezüglich des Vertragsschlusses, die in Teil II keine ausdrückliche Erwähnung finden, sind grundsätzlich als zugangsbedürftig zu behandeln, sofern es sich nicht um eine Antwort der Vertragstreuen Partei auf ein Verhalten der Gegenpartei handelt. Entsprechend wäre beispielsweise ein zulässiges kaufmännisches Bestätigungsschreiben als zugangsbedürftig zu betrachten, während ein Widerspruch gegen das Bestätigungsschreiben analog zum Widerspruch auf die modifizierte Annahmeerklärung bloss absendebedürftig wäre. Teil III statutiert den Grundsatz der Absendebedürftigkeit. Die vorgesehenen Ausnahmen betreffen Erklärungen, die die Fälligkeit von Vertragspflichten bewirken. So gilt z. B. für die Spezifizierung Zugangsbedürftigkeit, ebenso für die Festlegung des Liefertermins. Weitere Ausnahmen beschlagen Mitteilungen der Vertragsbrüchigen Partei (beispielsweise Erfüllungsverweigerung), während Mitteilungen der verletzten Partei (beispielsweise Sachmängelanzeige) grundsätzlich absendebedürftig sind.

Aus diesem Zusammenspiel von Grundsatz und Ausnahme lassen sich genügend konkrete Anhaltspunkte gewinnen, um allfällige Lücken ohne Rückgriff auf das nationale Recht füllen zu können. So wird die Ausübung eines vertraglich vereinbarten Wahlrechts ohne Zweifel zugangsbedürftig sein, da hierdurch die Fälligkeit der vertraglichen Leistungspflicht des Verkäufers bewirkt wird.

Mitteilungen über Vertragsstörungen wird man dahingehend abstufen müssen, ob sie von der Vertragstreuen oder von der Vertragsbrüchigen Partei stammen.

Nur für die erste Gruppe dürfte das Absenden ausreichen.

231.4

Erfüllungsklage

Nach Artikel 28 braucht ein Gericht ein Urteil auf Erfüllung in Natur nur zu fällen, wenn es dies bei gleichartigen Kaufverträgen auch nach seinem internen Recht täte. Diese Bestimmung trägt einer Besonderheit des anglo-amerikanischen Rechts Rechnung, das grundsätzlich keine Durchsetzung von Erfüllungsansprüchen, sondern nur Schadenersatzleistungen kennt. Der Uniform Commercial Code (UCC) beispielsweise, welcher in allen Teilstaaten der USA mit gewissen Unterschieden Geltung hat, erkennt dem Käufer einen Erfüllungsanspruch nur dann zu, wenn es sich um «unique goods» handelt; weiter wird festgehalten, dass ein Erfüllungsanspruch «in other proper circumstances» besteht (vgl. sec. 2-716[l] UCC).

Artikel 28 stellt insofern einen Fremdkörper im Wiener Übereinkommen dar, als er in das Prozessrecht der Vertragsstaaten eingreift; der Eingriff wird aber praktisch notwendig sein. Man kann zwar bezweifeln, ob ein Käufer im internationalen Warenhandel oft auf der Durchsetzung seines Erfüllungsanspruches 784

beharren wird, da dies mit erheblichem Zeitverlust verbunden ist. Bei unersetzbaren oder sonst schwer erhältlichen Speziessachen wird der Käufer indessen ein erhebliches Interesse an der Erfüllung in Natur haben. Eine entsprechende Regelung, die auch für die anglo-amerikanischen Staaten annehmbar erschien, hat sich daher aufgedrängt.

Die Formulierung von Artikel 28 ist entsprechend offen: Das angerufene Gericht kann eine Klage auf Erfüllung durchaus gutheissen, auch wenn dies nach seiner nationalen Rechtstradition nicht möglich wäre; es ist aber dazu nicht verpflichtet, sondern kann die Erfüllungsklage abweisen. Als eine prozessuale Bestimmung kann Artikel 28 durch anderslautende Parteivereinbarungen nicht verbindlich abgeändert werden; das angerufene Gericht wäre an eine solche Klausel nicht gebunden.

Die Anwendung von Artikel 28 setzt voraus, dass ein Erfüllungsanspruch in Natur besteht. Dieser kann aus dem Übereinkommen selber resultieren oder aus Parteivereinbarungen. Im Wiener Übereinkommen sind als Ansprüche auf Erfüllung in Natur alle Lieferungs-, Nachlieferungs- oder Ergänzungslieferungspflichten des Verkäufers zu verstehen, aber auch eine Pflicht zur Übergabe von Dokumenten. Ob der Kaufpreisanspruch - vor allem die Vereinbarung zur Zahlung in einer bestimmten Währung - als Anspruch auf Erfüllung in Natur betrachtet werden kann, dürfte indessen nicht ganz klar sein. Diese Frage war bereits im Haager Einheitlichen Kaufrecht umstritten (vgl. Dolle H., a.a.O., N 27 und 28 zu Art. 16 EKG).

Angesichts der geringen Bedeutung dieser Frage für die Praxis - ein Verkäufer wird nur ganz ausnahmsweise auf die Erfüllung des Kaufpreises in Natur beharren - muss auf dieses Problem nicht näher eingegangen werden.

231.5

Vertragsänderung und -aufhebung

Artikel 29 Absatz l sieht als Grundsatz vor, dass ein Vertrag von den Parteien formfrei abgeändert oder aufgehoben werden kann. Dieser Grundsatz ist vor allem mit Rücksicht auf das anglo-amerikanische Recht festgehalten worden. Im Unterschied zu Staaten römisch-rechtlicher Tradition lässt nämlich das common law solche Vertragsänderungen nur zu, wenn hinsichtlich der Abänderung ein «Gegengewicht» besteht. Ein solches wäre aber bei technischen Änderungen ohne gleichzeitige Änderung beim Preis nicht vorhanden.

Der Grundsatz der formfreien Vertragsänderung oder -aufhebung gilt nicht, wenn die Parteien die Schriftform vereinbart haben. Hat eine Partei ihre Niederlassung in einem Staat, der die Schriftform vorschreibt und einen entsprechenden Vorbehalt nach Artikel 96 angebracht hat, so kann eine Vertragsänderung oder -aufhebung ebenfalls nur schriftlich vorgenommen werden (vgl.

Art. 12). Anderseits wird die Einrede der Arglist gegenüber der anderen Vertragspartei, die sich auf die Formvorschrift beruft, zugelassen; Voraussetzung ist, dass sich die andere Vertragspartei in einer bestimmten Weise verhalten und die erste Partei sich auf dieses Verhalten verlassen hat. Entsprechend wird die andere Partei von der Einrede der Schriftform ausgeschlossen.

785

232

Pflichten des Verkäufers (Art. 30-52)

Das zweite Kapitel beginnt in Artikel 30 mit einer Umschreibung der Verkäuferpflichten und gliedert sich anschliessend in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt, umfassend die «Lieferung der Ware und Übergabe der Dokumente» (Art. 31-34), enthält die Bestimmungen über die Lieferpflicht, insbesondere über Zeit und Ort der Lieferung. Der zweite Abschnitt - «Vertragsmässigkeit der Ware und Rechte oder Ansprüche Dritter» (Art. 3 5-44) - spricht von der Haftung des Verkäufers für allfällige Sach- und Rechtsmängel der Kaufsache und der dritte Abschnitt behandelt die Frage, welche Rechte der Käufer wegen Vertragsverletzung durch den Verkäufer geltend machen kann (Art. 45-52).

232.1

Verkäuferpflichten im allgemeinen

Als Einleitung zum zweiten Kapitel sind die Hauptpflichten des Verkäufers aufgezählt. Nach Artikel 30 hat er die Ware zu liefern, die sie betreffenden Dokumente zu übergeben und das Eigentum an der Ware zu verschaffen. Mit dieser Eigentumsverschaffungspflicht muss der Verkäufer lediglich die notwendigen Handlungen vornehmen, damit das Eigentum an der Ware auf den Käufer übergeht. Unter welchen Voraussetzungen die Übereignung stattfindet, bestimmt sich hingegen gemäss Artikel 4 Buchstabe b nach dem durch die Kpllisionsnormen bezeichneten nationalen Recht.

Die Hauptpflichten des Verkäufers entsprechen im grossen und ganzen denen des schweizerischen Kaufrechts. Folgende Abweichungen sind kurz aufzuzeigen: Das Wiener Übereinkommen erwähnt die Pflicht zur Übergabe von die Ware betreffenden Dokumenten ausdrücklich, während sie im OR aus der Pflicht, die Ware zu übergeben, resultiert. Das Übereinkommen spricht sodann etwa von Lieferung anstelle des im OR verwendeten Begriffs der Übergabe, ohne dass aber diese unterschiedliche Terminologie praktisch bedeutsam wäre.

232.2

Lieferung der Ware und Übergabe der Dokumente

Artikel 31 handelt vom Ort der Lieferung, Artikel 32 zählt die Pflichten auf, die sich im Zusammenhang mit der Versendung ergeben, Artikel 33 beschlägt die Lieferzeit und Artikel 34 befasst sich mit der Aushändigung der Dokumente.

232.21

Lieferort

Haben die Parteien keine Vereinbarung über den Lieferort getroffen, so sieht das Wiener Übereinkommen unterschiedliche Lösungen vor, je nachdem, ob man es mit einem Versendungskauf oder einem sonstigen Kauf zu tun hat.

Beim Versendungskauf erfüllt der Verkäufer seine Lieferpflicht, indem er die Ware dem ersten Beförderer übergibt (Art. 31 Bst. a). Haben die Parteien keinen Versendungskauf vereinbart, so hat der Verkäufer die Ware dem Käufer grundsätzlich dort zur Verfügung zu stellen, wo der Verkäufer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Niederlassung hatte (Art. 31 Bst. c).

786

Wird bestimmte oder gattungsmässig bezeichnete Ware aus einem bestimmten Bestand verkauft und wussten die Parteien bei Vertragsabschluss, wo sich die Ware befand, so muss der Verkäufer dem Käufer die Ware an jenem Ort zur Verfügung stellen (Art. 31 Bst. b). Zur Verfügung stellen bedeutet, dass der Verkäufer sämtliche Handlungen vornehmen muss, damit der Käufer von der Ware Besitz ergreifen kann. Dies entspricht auch der Konzeption des schweizerischen Rechts.

Die Abgrenzung zwischen Versendungskäufen und Verträgen, in denen der Verkäufer den Transport der Ware «freiwillig» übernimmt, ist für die Gefahrtragung von :grosser Bedeutung. Daher ist abzuklären, wann ein Versendungskauf im Sinne des Übereinkommens vorliegt. Unter Versendungskauf versteht das Übereinkommen einen Kauf, bei dem gemäss Abrede die Ware an einen anderen Ort als den Erfüllungsort zu versenden ist und ein Dritter den Transport besorgt. Kein Versendungskauf liegt vor, wenn der Verkäufer die Ware mit einem zu seinem Betrieb gehörenden Spediteur versendet, denn eine Übergabe der Ware an den ersten Beförderer setzt voraus, dass die Ware aus dem Machtbereich des Verkäufers ausgeschieden wird. Der Versendungskauf entspricht also dem in der schweizerischen Doktrin verwendeten Begriff des Distanzkaufes.

232.22 Versendungspflichten Artikel 32 umschreibt einige Pflichten, die dem Verkäufer beim Versendungskauf obliegen. Absatz l verpflichtet den Verkäufer, dem Käufer die Sendung anzuzeigen und dabei die Ware im einzelnen zu bezeichnen, falls sie nicht deutlich gekennzeichnet oder sonstwie dem Vertrag zugeordnet ist. Nach Absatz 2 muss der Verkäufer die nötigen Verträge zur Beförderung der Ware in angemessener Weise und zu üblichen Bedingungen schliessen. Hat der Verkäufer keine Transportversicherung abzuschliessen, so wird ihm nach Absatz 3 zumindest die Pflicht, dem Käufer die notwendigen Auskünfte zu erteilen, auferlegt, um ihm den Abschluss einer derartigen Versicherung zu ermöglichen Diese mit dem Versendungskauf in Zusammenhang stehenden Pflichten entsprechen auch denen des schweizerischen Rechts. Auch beim Distanzkauf befreit die Übergabe der Ware an den Frachtführer den Verkäufer noch nicht.

Vielmehr muss er nach schweizerischem Recht alle erforderlichen Massnahmen treffen, damit die Kaufsache in gutem Zustand an ihren Bestimmungsort gelangt.

232.23 Lieferzeit Artikel 33 normiert drei Fälle: Das Fixgeschäft, die Vereinbarung einer Zeitspanne für den Liefertermin und die vertraglich nicht vereinbarte Lieferzeit. Ist der Zeitpunkt für die Lieferung vertraglich bestimmt oder bestimmbar (Art. 33 Bst. a), so liegt eine vertragsgemässe Lieferung nur vor, wenn der Verkäufer zu diesem Zeitpunkt liefert. Ist er zu spät, so stehen dem Käufer die Rechte aus der Leistungsstörung zu. Die Lieferung der Ware vor dem vereinbarten Zeitpunkt braucht der Käufer nicht anzunehmen (vgl. Art. 52 Abs. 1). Tut er es den787

noch, so gilt die vorzeitige Lieferung grundsätzlich als vertragsgemässe Erfüllung.

Bestimmt der Vertrag eine Zeitspanne, innerhalb welcher der Verkäufer zu liefern hat oder lässt sich eine Zeitspanne aus dem Vertrag bestimmen, so kann der Verkäufer innerhalb dieses Zeitraumes beliebig liefern (Art. 33 Bst. b) und er hat die Möglichkeit, eine fehlerhafte Lieferung innerhalb dieser bestimmten Zeitspanne zu verbessern (vgl. Art. 37). Ausgenommen bleiben natürlich die Fälle, in denen sich aus den Umständen ergibt, dass der Käufer innerhalb der Zeitspanne den genauen Zeitpunkt der Lieferung bestimmen kann.

Bestehen keine vertraglichen Vereinbarungen zum Liefertermin, so hat der Verkäufer innert angemessener Frist zu liefern (Art. 33 Bst. c) Die Angemessenheit bestimmt sich nach den konkreten Umständen; dabei sind die Interessen der Parteien, wie sie sich aus den Vertragsvehandlungen ergeben, zu berücksichtigen.

232.24

Aushändigung von Dokumenten

Die Bestimmung hält insofern Selbstverständliches fest, als für Ort, Zeit sowie Art und Weise der Aushändigung von Dokumenten auf die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien hingewiesen wird (Art. 34). Werden die Dokumente vorzeitig übergeben, so ist eine Verbesserung fehlerhafter Dokumente vor Ablauf der vertraglichen Frist dennoch nur möglich, wenn dies für den Käufer nicht unzumutbare Unannehmlichkeiten mit sich bringt.

Ferner behält der Käufer in einem solchen Fall das Recht, Schadenersatz zu verlangen. Dieselbe Regelung ist für Verbesserungen bei vorzeitiger Warenlieferung in Artikel 37 vorgesehen.

232.3

Vertragsmässigkeit der Ware und Rechte oder Ansprüche Dritter

Der Abschnitt über die Vertragsmässigkeit der Ware enthält zunächst Bestimmungen über die Sach- (Art. 35-40) und anschliessend über die Rechtsmängelhaftung (Art. 41-43). Hinsichtlich der Rechtsgewährleistung sieht das Wiener Übereinkommen eine Bestimmung über Rechtsmängel (Art. 41) und eine weitere über die Beeinträchtigung durch gewerbliche Schutzrechte oder Urheberrechte (Art. 42) vor. Die Regelung betreffend Sachgewährleistung beginnt mit einer Begriffsumschreibung (Art. 35) und hält sodann den Zeitpunkt fest, in welchem die Vertragswidrigkeit vorliegen muss (Art. 36).

Artikel 37 normiert die bereits erwähnte Möglichkeit, fehlerhafte Ware bei vorzeitiger Lieferung zu verbessern. Artikel 38 hält die Untersuchungspflicht des Käufers fest; Artikel 39 regelt die Folge der Rügeversäumnis. Eine Parallelbestimmung bezüglich Rechtsgewährleistung findet sich in Artikel 43. Auf unterbliebene Untersuchung und fehlende Mängelrüge kann sich der Verkäufer indessen nicht berufen, wenn er die Mängel kannte oder hätte kennen müssen (Art. 40).

788

Artikel 44 schliesslich enthält eine sowohl für die Sach- wie für die Rechtsgewährleistung bedeutsame Vorschrift: Die Folgen der Rügeversäumnis werden bei entschuldbaren Gründen wieder aufgehoben,

232.31

Sachgewährleistung

a. Im allgemeinen In der Schweiz wird die Sachgewährleistung aufgefasst als Einstehen des Verkäufers gegenüber dem Käufer für die Nützlichkeit und die Tauglichkeit des Kaufgegenstandes und als Haftung für das Fehlen bestimmter Eigenschaften oder das Vorhandensein bestimmter Mängel (vgl. Art. 197 OR; Guhl/Merz/ Kummer, a.a.O., S.342).

Gemäss Artikel 35 Absatz l des Wiener Übereinkommens hat der Verkäufer Ware zu liefern, die in Menge, Qualität und Art sowie hinsichtlich Verpackung oder Behältnis den Anforderungen des Vertrages entspricht. Fehlt es an einer Vereinbarung, so liefern die in Artikel 35 Absatz 2 aufgezählten Kriterien eine Konkretisierungshilfe. Als erstes muss sich die Ware für den Zweck eignen, für den sie gebraucht wird (Art. 35 Abs. 2 Bst. a) Dient sie einem bestimmten Zweck, der dem Verkäufer bei Vertragsabschluss bekannt gegeben wurde, so muss die Ware auch für diesen Zweck geeignet sein (Bst. b) Handelt es sich um einen Kauf nach Muster, so entspricht die Ware nur dann dem Vertrag, wenn sie die Eigenschaften des Musters aufweist (Bst. c) Buchstabe d stellt für die Eigenschaften der Verpackung darauf ab, was üblich oder angemessen ist, um die Ware zu bewahren und zu schützen.

Während man in der Schweiz von vorausgesetzten und zugesicherten Eigenschaften spricht, unterscheidet das Wiener Übereinkommen in Artikel 35 Absatz 2 zwischen gewöhnlicher und besonderer Zweckeignung. Die Eigenschaften, die der schweizerische Käufer voraussetzen kann, dürften sich mit den Erwartungen decken, dass der Kaufgegenstand den Zweck, für den er gewöhnlich verwendet wird, erfüllt. Entsprechend sind hinsichtlich der vorausgesetzten Eigenschaften, beziehungsweise der gewöhnlichen Zweckeignung keine divergierenden Auslegungen zu erwarten. Anders ist die Lage bei den zugesicherten Eigenschaften beziehungsweise der besonderen Zweckeignung. Aus der Wiener Formulierung kann zwar geschlossen werden, dass die besondere Zweckeignung nicht ausdrücklich Bestandteil des Vertrages zu sein braucht. Vielmehr genügt es, wenn der Verkäufer vom besonderen Verwendungszweck wusste oder hätte wissen müssen. Immerhin kann sich der Käufer darauf nur berufen, «sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, dass der Käufer auf die Sachkenntnis und das Urteilsvermögen des Verkäufers nicht vertraute oder vernünftigerweise nicht
vertrauen konnte» (Art. 35 Abs. 2 Bst. b). Das entspricht in etwa den strengen Anforderungen, die in der Schweiz an die Ernsthaftigkeit einer zugesicherten Eigenschaft gestellt werden. Insofern kann von einer Parallele in den beiden Rechtsordnungen gesprochen werden. Zu beachten ist allerdings, dass nach dem Wiener Übereinkommen nur diejenigen Zusicherungen die Haftung des Verkäufers zu begründen vermögen, die den besonderen Verwendungszweck beeinträchtigen. Demgegenüber ist nach OR massgebend, ob die Angaben ernst789

haft genug waren, um den Entschluss des Käufers zu beeinflussen. Kann dies bejaht werden, so hat der Verkäufer nach schweizerischer Auffassung selbst dann einzustehen, wenn das Fehlen der zugesicherten Eigenschaft die Brauch^ barkeit oder den Wert des Kaufgegenstandes nicht mindert. Ausschlaggebend ist einzig, ob die Zusicherung für den Kaufsentschluss des Käufers kausal war.

In der Praxis dürften viele Fälle dieselbe Regelung erfahren, gleichgültig, ob sie nach dem OR oder dem Wiener Übereinkommen beurteilt werden. Immerhin fällt es leichter, von einer Kausalität zwischen Zusicherung und Kaufsentschluss auszugehen, wenn mit der zugesicherten Eigenschaft die Brauchbarkeit oder der Wert der Kaufsache tangiert sind. Entsprechend wird der schweizerische Richter den adäquaten Kausalzusammenhang vermuten bei Zusicherungen, die nach den Erfahrungen des Lebens geeignet sind, die Entschliessung des Käufers zu bewirken ; dem Käufer steht dann der Gegenbeweis offen. Handelt es sich um Zusicherungen, die objektiv gesehen einen Käufer im allgemeinen in seinem Entschluss nicht berühren, so obliegt die Beweislast dem Käufer.

In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass sich das Wiener Übereinkommen über die Beweislastverteilung beim Mangel ausschweigt. Eine Einigung über Beweislastregeln zu erzielen, schien bei deri unterschiedlichen Rechtsordnungen mit derartigen Schwierigkeiten verbunden, dass sie fallen gelassen wurde.

Artikel 35 Absatz 3 enthält die dem schweizerischen Juristen geläufige Regel, wonach die Haftung des Verkäufers dahinfällt, wenn der Käufer den Mangel zur Zeit des Vertragsabschluss kannte oder hätte kennen müssen (vgl. Art. 200 Abs. l OR). Weiter wird ausdrücklich festgehalten, dass die Haftung unabhängig davon besteht, ob sich die Vertragswidrigkeit bei der Lieferung bemerkbar macht oder erst später zutage tritt. Voraussetzung ist lediglich, dass sie zur Zeit des Gefahrenübergangs bestanden hat (Art. 36 Abs. 1). Ob über den Gefahrenübergang hinaus auch eine Gewährleistungspflicht für die Dauer von Eigenschaften bestehen könne, war auf der Konferenz umstritten. Man einigte sich schliesslich auf eine Formulierung, wonach der Verkäufer für die Gebrauchstauglichkeit unter Umständen über den Zeitpunkt der Abnahme hinaus einstehen muss. Aus dem Wortlaut von Absatz 2 ergibt sich,
dass dieses Einstehen auch auf einer stillschweigenden Zusicherung beruhen kann.

Auslegungsschwierigkeiten sind diesbezüglich nicht auszuschliessen. Der!Übereinkommenstext spricht sodann von der Haftung des Verkäufers für die Eignung der Ware während einer bestimmten Zeit. Diese Formulierung lässt an sich offen, ob zumindest die Zeitdauer Gegenstand der Parteivereinbarung sein muss oder ob der angerufene Richter die Zeitdauer anhand der Umstände festzulegen hat. Im Interesse einer klaren Anwendung dieses Artikels wird man indessen verlangen müssen, dass die Zeitspanne, während welcher der Verkäufer eine Garantie übernimmt, von den Parteien zum voraus bestimmt werden muss.

b. Untersuchungspflicht des Käufers Nach Artikel 201 OR wird vom Käufer eine unter den gegebenen Umständen zumutbare Warenprüfung und eine sofortige Mitteilung der Mängel an den Verkäufer verlangt. Handelt es sich um verborgene Mängel, so hat die Anzeige unmittelbar nach deren Entdeckung zu erfolgen.

790

Auch das Wiener Übereinkommen statuiert die Pflicht des Käufers, die Ware innerhalb einer so kurzen Frist zu untersuchen, wie es die Umstände erlauben.

Nicht geklärt ist die Frage, ob bei einer vorzeitigen, vom Käufer genehmigten Warenlieferung die kurze Frist vor dem Fälligkeitstermin zu laufen beginnt. Unter der Herrschaft des Einheitlichen Kaufrechts, welches in Artikel 38 EKG ebenfalls die Untersuchungspflicht des Käufers innerhalb kurzer Frist festhält, wird diese Frage nach überwiegender Ansicht verneint (vgl. Dolle H., a. a. O., N l zu Art. 38). Man darf davon ausgehen, dass für das Wiener Übereinkommen Entsprechenden gilt. Demgemäss beginnt die Untersuchungsfrist bei vorzeitiger Lieferung erst mit dem Ende des für die Lieferung vorgesehenen Zeitraums zu laufen. Für den Zeitraum ist vorerst massgebend, ob die Ware versendet oder allenfalls weiterversendet wird. Artikel 38 Absatz 2 räumt dem Käufer beim Versendungskauf die Möglichkeit ein, die Untersuchung der Ware bis zum Eintreffen am Bestimmungsort aufzuschieben. Absatz 3 lässt eine noch weitergehende Aufschiebung zu, wenn der Käufer die Ware weiterversendet, ohne dass ihm genügend Zeit zur Kontrolle verbleibt, und wenn der Verkäufer von der Weiterversendung oder von der Möglichkeit zur Weiterversendung wusste oder hätte wissen müssen. In diesen Fällen wird die Untersuchungspflicht bis zum Eintreffen der Ware am neuen Bestimmungsort aufgeschoben. Der Beginn der Frist zur Untersuchung ist damit nicht einheitlich geregelt. Bezüglich der Dauer dieser Frist stellt das Wiener Übereinkommen auf objektive Kriterien ab.

Für die Bemessung des Zeitraumes sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dagegen können subjektive Umstände, die in der Person des Käufers liegen (wie etwa Ferienabwesenheit, fehlendes Personal, mangelnde Erfahrung) die Dauer der Frist nicht beeinflussen.

Der Umfang der Untersuchung wird sich ebenfalls aus den Umständen ergeben müssen. Einerseits ist der Käufer verpflichtet, sie gründlich durchzuführen, so dass er sich über den Zustand der Ware ein Urteil bilden kann. Anderseits ist er aber gehalten, die Untersuchung innerhalb so kurzer Frist wie möglich durchzuführen. Ob der Käufer seiner Untersuchungspflicht ordnungsgemäss nachkommt, wird der angerufene Richter anhand des konkreten Einzelfalles und in Berücksichtigung
internationaler Bräuche überprüfen müssen. Entgegen dem Haager Einheitlichen Kaufrecht (Art. 38 Abs.4 EKG) fehlt jedenfalls eine Bestimmung, wonach für Art und Weise der Kontrolle auf das Recht am Ort ihrer Vornahme abgestellt wird. Allerdings wird oft auch eine stillschweigende Vereinbarung der Parteien vorliegen, wonach für die Modalitäten der Untersuchung das Recht am Vornahmeort massgebend ist.

Inwiefern eine bei Massenlieferungen durchgeführte Stichprobe die Beweislastverteilung über die Güte der Ware zu beeinflussen vermag, bestimmt das Recht des angerufenen Richters. Die Kosten der Untersuchung trägt der Käufer. Ist die Ware aber mangelhaft und zeigt er dies dem Verkäufer an, so kann er von diesem den Ersatz der Untersuchungskosten verlangen. Ob und inwiefern der Käufer verborgene Mängel rügen kann, ist im Zusammenhang mit der Mängelrüge geregelt.

791

c. Mängelrüge Nach schweizerischem Recht ist die Mängelrüge eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der Käufer unter drohendem Verlust seiner Sachgewährleistungsansprüche innerhalb einer bestimmten Frist abgeben muss. Der Käufer ist sodann gehalten, grundsätzlich alle Mängel zu nennen, so dass der Verkäufer Art und Bedeutung des Fehlers ermessen und die Tragweite der Beanstandung erkennen kann. Die Mängelrüge ist formfrei möglich; sie kann nicht durch Stillschweigen allein geltend gemacht werden. Nach dem Gesetzestext hat sie sofort, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, zu erfolgen. Der übliche Geschäftsgang und die Gepflogenheiten des betreffenden Handelszweiges sind massgebend, um die Zeitspanne für das Anzeigen einer Mängelrüge zu bestimmen. Bezüglich des Erfordernisses der sofortigen Anzeige ist die Rechtsprechung recht grosszügig. Handelt es sich um geheime Mängel, so muss der Käufer diese nach der Entdeckung unverzüglich anzeigen. Die Klage auf Sachgewährleistung verjährt dabei nach einem Jahr seit der Ablieferung (Art. 210 OR), so dass später entdeckte Mängel unerheblich sind. Nach Ablauf der einjährigen Klagefrist bleibt dem Käufer die Möglichkeit, Mängeleinrede geltend zu machen, sofern er sie fristgerecht angezeigt hatte.

Nach dem Wiener Übereinkommen ist die Mängelrüge nicht empfangs-, sondern lediglich absendebedürftig Eine besondere Regelung, die vom Grundsatz des Artikels 27 abweichen würde, ist in Artikel 39 nicht enthalten. Mit der Mängelrüge verknüpft sind auch Bestehen oder Verlust der Sachgewährleistungsansprüche des Käufers. Unterlässt dieser die Mängelanzeige innerhalb einer angemessenen Frist, so verliert er das Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit der Ware zu berufen. Die angemessene Frist bestimmt sich nach den Gepflogenheiten und dem üblichen Geschäftsgang des betreffenden Handelszweiges. Denkbar sind auch durch Handelsbräuche im Sinne von Artikel 9 festgesetzte Fristen. Trotz den unterschiedlichen Formulierungen im OR und dem Übereinkommen dürften sich für die Frist im Ergebnis kaum wesentliche Divergenzen ergeben, Die Frist zur Anzeige beginnt mit Abschluss der Untersuchungshandlungen zu laufen.

Artikel 39 Absatz l verpflichtet den Käufer, die Art der Vertragswidrigkeit genau zu bezeichnen. Damit scheidet auch nach dem Wiener Übereinkommen eine generelle Beanstandung
aus. Hingegen kann aus dieser Voraussetzung genauso wenig wie nach schweizerischem Recht gefolgert werden, der Käufer habe zusammen mit der Mängelrüge auch zu erklären, welche Ansprüche er geltend machen wolle.

Hinsichtlich der Form schreibt das Übereinkommen nichts vor. Daraus ist zu schliessen, dass die Mängelrüge formfrei gültig ist. Dies gilt auch dann, wenn die eine Partei ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat hat, der vom Vorbehalt nach Artikel 96 Gebrauch macht und dessen nationales Recht besondere Formvorschriften für Mängelrügen vorsieht. Nach Artikel 27 ist der Käufer verpflichtet, die Anzeige mit den nach den Umständen geeigneten Mitteln vorzunehmen. Blosses Stillschweigen reicht für eine Mängelrüge genauso wenig aus wie im schweizerischen Recht.

Stellt sich ein verborgener Mangel erst nach der Untersuchung heraus, so hat ihn der Käufer innerhalb angemessener Frist anzuzeigen. Er verliert allerdings

792

seine Sachgewährleistungsansprüche, wenn er den Mangel nicht innerhalb von zwei Jahren seit der Übergabe der Ware anzeigt (Art. 39 Abs. 2). Gegenüber dem OR wird damit die gesetzliche Frist verdoppelt. Daraus kann sich für den Käufer, der in der Schweiz eine Klage aus Sachgewährleistung anhängig machen will, eine unbefriedigende Lösung ergeben. Obwohl er nach dem Wiener Übereinkommen verborgene Mängel während zweier Jahre rügen darf, könnte er seine Ansprüche nicht geltend machen, falls die einjährige Klagefrist nach Artikel 210 OR abgelaufen ist. Sowohl im OR wie auch im Wiener Übereinkommen handelt es sich bei den Fristen um dispositives Recht. Sie können somit durch Parteivereinbarung abgeändert werden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Verjährungsfristen für die Mängelrüge einerseits und die Klage aus Sachgewährleistung andererseits empfiehlt es sich, vertraglich eine Anpassung der beiden Fristen vorzunehmen.

Dabei ist folgendes zu beachten: Nach schweizerischem Recht bedürfen die sogenannten Garantieabsprachen einer sorgfältigen Prüfung. Oft übernimmt der Verkäufer damit eine befristete Garantie für die vertragskonforme Beschaffenheit der Ware. Darin liegt zumeist die Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft; hingegen kann aus der Vereinbarung einer derartigen Garantiefrist eine abweichende Rügefrist nur abgeleitet werden, wenn dies unmissverständlich dem Vertragsinhalt entnommen werden kann (vgl. Giger Hans, Berner Kommentar, Bd. VII, N 89 zu Art. 201). Dadurch, dass das Wiener Übereinkommen ausdrücklich von «Garantiefrist» spricht, sind Missverständnisse nicht auszuschliessen.

Auf unterbliebene Mängelrüge - sei es innerhalb der gesetzlichen oder der durch die Parteien vereinbarten Frist - kann sich der Verkäufer nicht berufen, wenn er die Mängel gekannt und dem Käufer nicht angezeigt hat oder wenn er sie hätte kennen müssen (Art. 40). Die Formulierung ist gegenüber dem OR weitergehend, da Artikel 203 OR die absichtliche Täuschung des Käufers durch den Verkäufer voraussetzt. Nach wohl herrschender Ansicht gilt für die Auslegung dieses Begriffes derselbe Massstab, den die Rechtsprechung zum arglistigen Verschweigen gemäss Artikel 199 OR entwickelt hat. Demnach muss der Verkäufer vom Mangel sichere Kenntnis oder mit dem Vorhandensein des Mangels ernsthaft gerechnet haben. Weiter muss ihn
hinsichtlich dieses Mangels eine Offenbarungspflicht treffen und er muss diesen Mangel willentlich verschwiegen haben. Ein bloss grob fahrlässiges Verschweigen des Mangels reicht also nicht aus, um dem Käufer die Sachgewährleistungsansprüche trotz unterlassener Mängelrüge zu erhalten. Die zwei ersten Voraussetzungen treffen auch für das Wiener Übereinkommen zu. Hingegen braucht es nach Artikel 40 kein absichtliches oder arglistiges Verschweigen. Vielmehr reicht ein grobfahrlässiges Verschweigen eines Mangels aus, damit sich der Verkäufer nicht mehr auf das Unterlassen der Mängelanzeige berufen kann.

In welchem Zeitpunkt der Verkäufer den Mangel gekannt hat oder hätte kennen müssen, sagt das Übereinkommen nicht. Da Artikel 40 sich auf die Artikel 38 und 39 bezieht, welche auf die Lieferung der Ware abstellen, muss auch für Artikel 40 dieser Zeitpunkt massgebend sein. Dieselbe Lösung ist übrigens bei der Rechtsgewährleistung ausdrücklich vorgesehen (vgl. Art. 42). Handelt es 793

sich also um einen Sachmangel, den der Verkäufer nach Übergabe der Ware kannte oder hätte kennen müssen, greift Artikel 40 nicht ein.

232.32

Rechtsgewährleistung

a. Im allgemeinen Rechtsgewährleistung dient zum Schutz des Käufers für den Fall, dass ein Dritter ihm die gekaufte Sache abstreitet oder doch ein subjektives Recht daran geltend macht, welches eine Schmälerung des Eigentums darstellt. Damit die Haftung des Verkäufers aus Rechtsgewährleistung eintritt, müssen die von Dritten nach schweizerischem Recht geltend gemachten Rechte bereits zur Zeit des Vertragsabschlusses bestanden haben; der Dritte muss sein Recht geltend gemacht, der Käufer sich ihm gegenüber verteidigt haben. Nach dem Wortlaut von Artikel 192 Absatz 2 OR wird der Verkäufer von seiner Haftung nur dann befreit, wenn der Käufer die Gefahr der Entwehrung zur Zeit des Vertragsabschlusses kannte. Ob die Haftung des Verkäufers auch dann wegfällt, wenn der Käufer unter den gegebenen Umständen die Entwehrungsgefahr hätte kennen müssen, ist damit nicht beantwortet. Einigen Auffassungen zufolge führt die teleologische Auslegung von Artikel 192 Absatz 2 OR zum Schluss, dass der Käufer zwar seinen Rechtsgewährleistungsanspruch verliert, wenn er die Entwehrungsgefahr hätte kennen müssen, dass dieser Fall angesichts der Aufklärungspflicht des Verkäufers allerdings nur dann eintreten kann, wenn sich der Käufer arglistig der Kenntnisnahme des Rechtsmangels entzogen hat (vgl. Giger H., a. a. O., N 54 zu Art. 192 OR).

Nach schweizerischem Recht besteht im weiteren für den Käufer die Obliegenheit, im Streitfall mit dem Drittansprecher dem Verkäufer den Streit zu verkünden (vgl. die Art. 193 und 194 OR) Das OR nennt sodann unterschiedliche Rechtsfolgen, je nachdem, ob es sich um vollständige oder teilweise Entwehrung handelt (Art. 195 und 196 OR).

Das Wiener Übereinkommen sieht für die Rechtsgewährleistung zwei Bestimmungen vor, eine für Rechtsmängel (Art. 41), die andere für die Beeinträchtigung durch gewerbliche Schutzrechte oder Urheberrechte (Art. 42). In beiden Fällen wird eine Rechtsgewährleistung nur vorliegen, wenn der Mangel beziehungsweise die Beeinträchtigung bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestanden hat. Gleich wie im OR setzt die Haftung des Verkäufers auch hier voraus, dass der Dritte das Recht geltend gemacht hat. Wieweit im Streitfall die Verteidigung dem Käufer oder dem Verkäufer obliegt, lässt sich dem Übereinkommen nicht entnehmen. Für diese Frage wird man wohl auf das
nationale Recht zurückgreifen müssen.

b. Rechtsmängel Nach Artikel 41 hat der Verkäufer Ware zu liefern, die frei ist von Rechten oder Ansprüchen Dritter, es sei denn, der Käufer habe eingewilligt, die mit einem derartigen Anspruch belastete Ware anzunehmen. Kenntnis des Käufers oder, noch weitergehend, Kennenmüssen des Rechtsmangels dürften somit im Gegensatz zum OR nicht ausreichen, um die Haftung des Verkäufers auszuschliessen.

794

Allerdings wird man im Einzelfall überprüfen müssen, ob in der Entgegennahme der Ware nicht eine stillschweigende nachträgliche Einwilligung des Käufers zum Rechtsmangel vorliegt.

c. Beeinträchtigung durch gewerbliche Schutz- oder Urheberrechte Bei Rechten und Ansprüchen, die auf gewerblichem oder anderem geistigem Eigentum beruhen, ist die Haftung des Verkäufers in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Zum einen haftet er nur insoweit, als er bei Vertragsabschluss das Bestehen solcher Rechte oder Ansprüche gekannt oder grob fahrlässig nicht gekannt hat; zum anderen haftet er nur insofern, als solche Rechte nach dem Recht des Staates, in dem die Ware verwendet werden soll, oder nach dem Recht des Käuferstaates bestehen (Art. 42 Abs. l Bst. a und b). Diese letzte Einschränkung ist im internationalen Verkehr gerechtfertigt, da dem Verkäufer nicht zugemutet werden kann, die Urheberrechte aller Staaten zu prüfen.

Im weiteren fällt die Haftung des Verkäufers weg, wenn der Käufer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses das Recht oder den Anspruch kannte oder hätte kennen müssen (Art. 42 Abs. 2 Bst. a) Artikel 42 Absatz 2 Buchstabe b behandelt den Sonderfall, in welchem sich der Verkäufer nach technischen Zeichnungen, Entwürfen, Formeln oder sonstigen Angaben des Käufers gerichtet hat. Dies führt ebenfalls zur Haftungsbefreiung des Verkäufers.

d. Mängelrüge Nach Artikel 43 muss der Käufer bei einem Rechtsmangel oder bei einer Beeinträchtigung durch gewerbliche Schutz- oder Urheberrechte innerhalb angemessener Frist seit Kenntnis Rüge erheben, ansonsten er seine Gewährleistungsansprüche verliert (Art. 43 Abs. 1). Auch hierfür ist eine Substantiierung der Mängelrüge erforderlich, indem der Käufer genau bezeichnen muss, welcher Art das Recht oder der Anspruch des Dritten ist.

Artikel 43 Absatz 2 entspricht Artikel 40 und lässt die Gewährleistungsansprüche des Käufers bestehen, wenn der Verkäufer das Recht oder den Anspruch des Dritten kannte. Entgegen dem Sachgewährleistungsrecht reicht das Kennenmüssen allerdings nicht aus.

232.33

Gemeinsame Bestimmung für Sach- und Rechtsgewährleistung

Artikel 44 des Übereinkommens bringt einen erheblichen Einbruch in das Gewährleistungsrecht: Der Käufer kann auch noch nach Ablauf der Zweijahresfrist seine Ansprüche geltend machen, sofern er für das Unterlassen der Anzeige eine vernünftige Entschuldigung hat. Diese Bestimmung geht auf einen zäh ausgehandelten Kompromiss zwischen den industrialisierten und den Entwicklungsländern zurück. Die Ansprüche, die der Käufer nachträglich noch geltend machen kann, beschränken sich allerdings auf Minderung und Schadenersatz, ausser für entgangenen Gewinn.

795

232.34

Wegbedingung der Haftung des Verkäufers

Das Wiener Übereinkommen enthält keine den Artikeln 192 Absatz 2 und 199 OR entsprechende Bestimmung. Nach Artikel 6 können indessen die Parteien die Haftung des Verkäufers ganz oder teilweise wegbedingen. Ob bei arglistigem Verschweigen eine Vereinbarung über die Aufhebung oder Beschränkung der Gewährspflicht ungültig ist, wird der angerufene Richter nach dem durch sein Kollisionsrecht bezeichneten Recht zu entscheiden haben.

232.4

Rechte des Käufers wegen Vertragsverletzung durch den Verkäufer

232.41

Vorbemerkung

Das System der dem Käufer zustehenden Rechte ist übersichtlich und im Vergleich zum schweizerischen Recht auch einfacher. Das Übereinkommen geht einzig vom Begriff der Vertragsverletzung aus. Es kennt im Gegensatz zum OR keine gesonderten Bestimmungen über nicht gehörige Erfüllung, Verzug, Rechts- und Sachmängel. Durch den einheitlichen Begriff des Vertragsbruchs, der sämtliche Vertragsverletzungen in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hinsicht umfasst, entstehen keine dem schweizerischen Recht vergleichbaren Abgrenzungs- und Konkurrenzprobleme.

Grundsätzlich kann der Käufer alle Rechtsbehelfe nebeneinander geltend machen, soweit sie sich nicht gegenseitig ausschliessen. Er kann Erfüllung (Art. 46 Abs. 1) oder Ersatzlieferung (Art. 46 Abs. 2) oder Nachbesserung (Art. 46 Abs. 3) verlangen. Ferner hat er die Möglichkeit, die Aufhebung des Vertrages zu erklären (Art. 49 Abs. 1) und er kann die Minderung des Kaufpreises fordern (Art. 50). Neben diesen Rechten besteht noch ein Anspruch auf Ersatz des Schadens. Nach der in der Schweiz geltenden Rechtsordnung hat der Käufer im Gewährleistungsfall die Wahl zwischen Wandelung, Minderung und Nachlieferung oder allenfalls Nachbesserung. Das Wahlrecht ist nach der uns richtig scheinenden Auffassung nicht ein Gestaltungsrecht des Käufers, sondern beruht auf einer vertraglichen Willenseinigung der Parteien, die Leistungsstörung aussergerichtlich beseitigen zu wollen. Dementsprechend übt der Käufer sein Wahlrecht mit einer empfangsbedürftigen Willenserklärung aus. Will der Verkäufer auf das Angebot des Käufers nicht eingehen und kommt es zu einer gerichtlichen Beurteilung, so fällt der Richter ein Gestaltungsurteil. Die Frage nach der Rechtsnatur des Wahlrechts ist nicht unerheblich. Neben der erwähnten Form, in welcher der Käufer sein Wahlrecht betätigt, hängt auch die weitere Durchführung des Wahlrechts von der Natur dieses Instituts ab. Im schweizerischen Recht bestimmt sich etwa der Umfang des bei der Wandelung zu ersetzenden Schadens nicht zuletzt nach der Rechtsnatur des Wahlrechts.

Im Wiener Kaufrecht spielt die Frage nach der Rechtsnatur des Wahlrechts aus noch zu erläuternden Gründen keine wesentliche Rolle. Festzuhalten bleibt fürs erste, dass das Kaufrechtsübereinkommen ein freies Wahlrecht vorsieht und dass es mit einer absendebedürftigen
Erklärung ausgeübt wird.

Artikel 45 ermächtigt den Käufer in Absatz l, die in den nachstehenden Bestimmungen enthaltenen Rechte auszuüben (Bst. a) und Schadenersatz zu verlangen 796

(Est. b) Absatz 2 präzisiert, dass der Käufer durch die Ausübung seiner Rechte nach Buchstäbe a seinen Anspruch, Ersatz des Schadens zu verlangen, nicht verliert. Damit ergibt sich bereits ein Unterschied zum schweizerischen Recht, auf den weiter hinten eingegangen wird.

Nationale Bestimmungen, die es dem Richter ermöglichen, dem Vertragsbrüchigen Verkäufer eine «Gnadenfrist» einzuräumen, werden durch Absatz 3 ausgeschlossen. Diese Frist ist zu unterscheiden von der in Artikel 47 vorgesehenen Nachfrist, die der Käufer ansetzen kann. Ebenfalls ausgeschlossen, aber in Artikel 45 nicht ausdrücklich erwähnt, sind allfällige weitere Rechte, die ein nationales Recht für den Käufer vorsehen kann.

232.42

Erfüllung

Das schweizerische Kaufrecht kennt grundsätzlich keinen Erfüllungsanspruch aus dem Gewährleistungsrecht, sondern enthält lediglich eine abweichende Bestimmung zu den allgemeinen Verzugsfolgen. Artikel 190 OR betrifft allerdings nur den kaufmännischen Verkehr und sieht vor, dass der Käufer vermutungsweise auf die Erfüllung des Kaufvertrages verzichtet. Will er daran festhalten, so muss er es dem Verkäufer in Abweichung von der sonstigen Regel unverzüglich mitteilen. Der Käufer im nichtkaufmännischen Verkehr ist auf die allgemeinen Verzugsfolgen nach den Artikeln 107 ff. OR verwiesen. Indessen wird das Erfüllungsrecht des Käufers praktisch nur dann relevant sein, wenn der Verkäufer seiner Verpflichtung in zeitlicher Hinsicht nicht nachkommt, d. h. im Verzug ist. Der Tatsache, dass das schweizerische Recht einen Erfüllungsanspruch nur aus dem Verzugs-, nicht aber aus dem Sachgewährleistungsrecht vorsieht, kommt somit vordergründig keine Bedeutung zu.

Demgegenüber kann der Käufer vom Verkäufer nach Artikel 46 Absatz l des Wiener Übereinkommens immer dann die Erfüllung verlangen, wenn er kein anderes Recht ausgeübt hat, das mit dem Erfüllungsanspruch unvereinbar ist.

Die Unvereinbarkeit trifft etwa bei Wandelung und Minderung zu. Im Hinblick auf Artikel 28 ist dieses Erfüllungsrecht insofern eingeschränkt, als Staaten, die ein Urteil auf Erfüllung in Natur nicht kennen, nicht verpflichtet sind, einem derartigen Begehren stattzugeben.

Die allgemeinen Bestimmungen über den Schuldnerverzug des OR verlangen für die nachträgliche Erfüllung grundsätzlich eine Fristansetzung, entweder durch den Käufer selber oder durch die zuständige Behörde. Von dieser Fristansetzung kann nur unter bestimmten Voraussetzungen abgesehen werden. So, wenn aus dem Verhalten des Schuldners hervorgeht, dass sich die Frist als unnötig erweisen würde (vgl. Art. 108 Ziff. l OR) Eine vergleichbare Bestimmung kennt auch das Wiener Übereinkommen: Artikel 47 Absatz l erlaubt dem Käufer, eine angemessene Nachfrist für die Erfüllung anzusetzen. Vor Ablauf dieser Frist kann er in der Folge kein anderes Recht ausüben, es sei denn, dass der Verkäufer ihm anzeigt, er werde innerhalb dieser Frist nicht erfüllen (Abs. 2).

Man beachte, dass diese Mitteilung in Abweichung vom allgemeinen Grundsatz zugangsbedürftig ist. Artikel 47 Absatz 2 hält
im weiteren fest, dass der Käufer bei Anzeige der Nichterfüllung durch den Verkäufer das Recht behält, Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung zu verlangen.

797

Zusammenfassend ist zum Erfüllungsanspruch des Käufers folgendes zu bemerken : Das Wiener Übereinkommen räumt dem Käufer bei jeder Vertragsverletzung - sei sie wesentlich oder nicht, sei sie zeitlicher oder anderer Natur - einen Erfüllungsanspruch ein. Dieses Recht wird durch die Ausübung eines anderen, mit dem Erfüllungsanspruch unvereinbaren Rechts ausgeschlossen. Der Käufer hat ferner die Möglichkeit, für die Erfüllung des Vertrages eine Nachfrist zu setzen, ohne dass er aber dazu verpflichtet wäre. Die Nachfristansetzung bewirkt grundsätzlich eine Sistierung seiner weiteren Rechte. Gegenüber dem schweizerischen Kaufrecht ist der Erfüllungsanspruch somit grosszügiger normiert. Unsere Rechtsordnung kennt einen Erfüllungsanspruch nur bei Verzug des Verkäufers. Dieses Recht ist ferner insofern eingeschränkt, als es im kaufmännischen Verkehr der gesetzlichen Vermutung widerspricht und deshalb entgegen der allgemeinen Regel unverzüglich geltend gemacht werden muss.

Für die Erfüllung ist der Käufer im nichtkaufmännischen Verkehr sodann auf die allgemeinen Verzugsfolgen angewiesen, was für ihn im Vergleich zum Gewährleistungsrecht hinsichtlich der Haftung des Verkäufers eine Schlechterstellung bedeutet.

232.43 Ersatzlieferung Im schweizerischen Recht kann eine Ersatzleistung nur verlangt werden, so weit sie überhaupt möglich ist; Artikel 206 OR spricht demgemäss von vertretbaren Sachen. Nach allgemein herrschender Auffassung ist dieser Begriff allerdings zu eng; vielmehr sind damit Gattungssachen (auch begrenzte) angesprochen.

Ferner haben auch die Parteien die Möglichkeit, objektiv nicht vertretbare Sachen lediglich der Gattung nach zu umschreiben und so ein Ersatzleistungsrecht des Käufers zu begründen. Umgekehrt können die Parteien aber auch den Kauf einer gattungsmässigen Sache für ein bestimmtes Stück vorsehen, so dass ein Ersatzleistungsanspruch nicht mehr berücksichtigt wird.

Das Wiener Kaufrecht setzt zur Geltendmachung einer Ersatzlieferung eine wesentliche Vertragsverletzung nach Artikel 25 voraus (Art. 46 Abs. 2), da die Pflicht zur Ersatzlieferung den Verkäufer im internationalen Handel in der Regel stark belastet. Neben diesem Erfordernis verlangt Artikel 46 Absatz 2, dass der Ersatzlieferungsanspruch anlässlich der Mängelrüge oder innerhalb einer angemessenen Frist danach geltend gemacht wird. Damit können Spekulationen des Käufers zu Ungunsten des Verkäufers verhindert werden. Hinsichtlich der Ersatzlieferung ist das Wiener Übereinkommen im Vergleich zum schweizerischen Recht einerseits enger und andererseits weiter gefasst: Es gewährt diesen Anspruch nur, wenn ein wesentlicher Vertragsbruch vorliegt, und es ist dem Wortlaut nach nicht auf Gattungssachen beschränkt. Ob allerdings der Käufer bei einem unechten Spezieskauf einen Ersatzlieferungsanspruch durchsetzen könnte, wird die Praxis zeigen müssen. Freilich wird der Ersatzlieferungsanspruch immer dann toter Buchstabe bleiben, wenn es sich um einen echten Stückkauf handelt.

798

232.44

Nachbesserung

In der schweizerischen Doktrin ist umstritten, ob ein Nachbesserungsanspruch des Käufers (zusammen mit einem Nachbesserungsrecht des Verkäufers) besteht, Richtigerweise wird man jeweils auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abstellen müssen. Soweit der Mangel des Kaufobjektes durch Nachbesserung aufgehoben werden kann, ist diese der Ersatzlieferung gleichzustellen. Oft wird dies: gerade beim Spezieskauf zutreffen, so dass die Nachbesserung das Korrelat zur Ersatzlieferung bei Gattungssachen bildet.

Das Wiener Übereinkommen knüpft den Anspruch auf Nachbesserung an zwei Voraussetzungen: Zum einen kann sie nur verlangt werden, wenn dies unter Berücksichtigung aller Umstände zumutbar ist; zum anderen muss der Käufer die Nachbesserung zusammen mit der Mängelrüge oder innerhalb einer angemessenen Frist danach verlangen (Art. 46 Abs. 3).

Artikel 48 räumt sodann dem Verkäufer ein Nachbesserungsrecht ein. Allerdings darf dies keine für den Käufer unzumutbare Verzögerung nach sich ziehen. Der Käufer soll ferner durch die Nachbesserung keine unzumutbaren Unannehmlichkeiten und keine Ungewissheit über die Rückerstattung seiner Auslagen erleiden. Schadenersatzansprüche wegen erlittener Verspätung bleiben dem Käufer gewahrt, auch wenn der Verkäufer nachträglich seinen Leistungspflichten vollumfänglich nachgekommen ist (Abs. 1).

Das Nachbesserungsrecht des Verkäufers schliesst an sich nicht aus, dass der Käufer zuvor die Aufhebung des Vertrages erwirkt, sofern die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Deshalb sieht Artikel 48 Absatz 2 vor, dass der Verkäufer über seine Nachbesserungsmöglichkeit Klarheit erlangen kann. Er kann den Käufer zur Stellungnahme über sein Nachbesserungsvorhaben auffordern und ihm anzeigen, innerhalb welcher Zeitspanne er den Vertrag zu erfüllen gedenkt. Mit dieser Mitteilung - die dem Käufer zugehen muss, um rechtswirksam zu sein (Abs.4) - werden die übrigen Rechte des Käufers für die Dauer dieser Zeitspanne sistiert, sofern sie mit der Nachbesserung unvereinbar sind. Äussert sich der Käufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist in einer Mitteilung, die nur absendebedürftig ist, so kann der Verkäufer innerhalb der von ihm festgesetzten Frist «nacherfüllen». Die Ausübung des Nachbesserungsrechts erheischt vom Verkäufer ein recht minutiöses Vorgehen. Artikel 48 Absatz
2 enthält daher eine gewisse Erleichterung zu seinen Gunsten: Zeigt er dem Käufer lediglich an, dass er innerhalb bestimmter Frist erfüllen will, so wird vermutet, dass diese Anzeige eine Aufforderung im Sinne von Absatz 2 enthält.

Die Tatsache, dass der Verkäufer die Aufforderung zur Stellungnahme unterlässt, soll nicht automatisch den möglichen Verlust seines Nachbesserungsrechts bewirken. In jedem Fall wird der Verkäufer aber angeben müssen, innerhalb welcher Zeitspanne er erfüllen will. Fehlt diese Fristangabe, so ist die Mitteilung wirkungslos. Ein Schweigen des Käufers auf eine solche Anzeige berechtigt den Verkäufer nicht zur Nachbesserung. Diese Strenge rechtfertigt sich durch die Sistierungswirkung der Anzeige auf die übrigen Rechte des Käufers.

799

232.45

Aufhebung des Vertrages

Im schweizerischen Recht ist die Wandelung ausgeschlossen, wenn die Kaufsache durch das Verschulden des Käufers untergegangen ist oder wenn er sie in Kenntnis des Mangels weiterveräussert oder verarbeitet hat. Ferner ist die Wandelung ausgeschlossen, wenn der Käufer die Ware braucht, soweit darin ein Verzicht auf die Wandelung liegt. Darüberhinaus hat der Richter die Möglichkeit, anstelle der verlangten Wandelung die Minderung auszusprechen, sofern die Umstände das Rückgängigmachen des Kaufvertrages nicht rechtfertigen (vgl. Art. 205 Abs. 2 und 207 OR).

Das Wiener Übereinkommen sieht für die Aufhebung des Vertrages zwei Einschränkungen vor. Zum einen bedarf es für die Geltendmachung dieses Rechtes einer wesentlichen Vertragsverletzung (Art. 25), zum anderen sind der Aufhebung des Vertrages zeitliche Schranken gesetzt. Artikel 49 Absatz l Buchstabe a statuiert den Grundsatz des wesentlichen Vertragsbruches als Voraussetzung für die Aufhebung des Vertrages, Artikel 49 Absatz l Buchstabe b erlaubt dem Käufer, immer dann die Aufhebung des Vertrages zu erklären, wenn er dem Verkäufer bei Verzug eine Nachfrist setzt und dieser innerhalb der Nachfrist nicht liefert oder erklärt, nicht liefern zu wollen. Die Möglichkeit, durch das Ansetzen einer Nachfrist eine Vertragsverletzung als wesentlich zu qualifizieren, besteht somit grundsätzlich nur bei Nichtlieferung, d.h. beim Verzug des Verkäufers. Hat der Verkäufer schlechte oder andere Ware geliefert, berechtigt dies den Käufer nur dann zur Vertragsaufhebung, wenn die Lieferung einen wesentlichen Vertragsbruch darstellt.

Die zeitlichen Schranken des Vertragsaufhebungsrechts sind in Artikel 49 Absatz 2 festgehalten. Demnach muss der Käufer bei verspäteter Lieferung innert angemessener Frist erklären, dass er den Vertrag aufheben will, ansonsten er dieses Recht verliert (Abs. 2 Bst. a). Voraussetzung ist natürlich, dass die verspätete Lieferung eine wesentliche Verletzung darstellt. Ist die Leistungsstörung anderer als zeitlicher Natur, so hat der Käufer wiederum innerhalb angemessener Frist seit Kenntnis der Vertragsverletzung die Aufhebung des Vertrages zu erklären, sei es - im Anwendungsfall von Absatz l Buchstabe b - bei Nachbesserung durch den Verkäufer oder in allen übrigen Fällen (vgl. Abs. 2 Bst. i, ii, iii).

Die Einschränkungen, die das Recht auf
Aufhebung des Vertrages erleidet, sind auf die Bedürfnisse des internationalen Handels zugeschnitten. Insbesondere bei Schlechtlieferung bedeutet dieses Recht eine schwere Belastung für den Verkäufer, weil die Aufhebung des Vertrages eine Rücknahme der mangelhaften Ware impliziert. Entsprechend sind die Voraussetzungen für dieses Recht des Käufers streng gestaltet.

Auch in der Schweiz sind der Wandelung mehrfache Einschränkungen auferlegt. Allgemein handelt es sich dabei um die Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben, indem der Verletzten Partei eine rechtsmissbräuchliche Durchsetzung ihres Wandelungsanspruchs verwehrt werden soll (vgl. Art. 205 Abs. 2 OR).

800

232.46

Minderung

Im schweizerischen Recht kann der Käufer im Gewährleistungsfall die Herabsetzung des Kaufpreises verlangen, es sei denn, der geforderte Minderwert erreiche die Höhe des Kaufpreises (vgl. Art. 205 Abs. 3 OR) Eine weitere Beschränkung des Minderungsanspruchs ergibt sich aus Artikel 2 ZGB. Demnach wird der Käufer keine Minderung verlangen können, wenn der Verkäufer bei leicht behebbaren Mängeln sofortige Nachbesserung anbietet und dem Käufer daraus keinerlei Nachteile erwachsen. Nach herrschender Auffassung wird die Herabsetzung des Kaufpreises nach der sogenannten relativen Berechnungsweise ermittelt. Das bedeutet, dass der Preis um denjenigen Betrag herabgesetzt wird, der dem Verhältnis zwischen dem objektiven Wert der mängelfreien und dem objektiven Wert der fehlerhaften Kaufsache entspricht. Diese Berechnungsmethode erlaubt es, der Preisvereinbarung zwischen den Parteien, die nicht dem objektiven Preis entsprechen müss, Rechnung zu tragen. Als massgebender Zeitpunkt für die Schätzung des Kaufpreises ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder, bei späterem Übergang der Gefahr auf den Käufer, dieser Zeitpunkt zu beachten (vgl. BGE 45 II 60).

Das Wiener Übereinkommen spricht dem Käufer die Minderung des Kaufpreises zu, ohne dass es einer besonderen Schwere der Vertragsverletzung bedarf (Art. 50). Er kann die Minderung mit einer nur absendebedürftigen Mitteilung erklären.

Dieses Recht bleibt ausgeschlossen, wenn der Verkäufer nachträglich rechtmässig erfüllt, sei es im Falle der vorzeitigen Lieferung (Art. 37) oder sei es im Rahmen des zulässigen Nachbesserungsrechts (Art. 48). Dem Wortlaut nach besteht das Minderungsrecht nur bei Beschaffenheitsmängeln. Damit stellt sich die Frage, ob dem Käufer bei Rechtsgewährleistung die Minderung verschlossen bleibt. Die Diskussionen anlässlich der Beratungen blieben hierzu unentschieden. Beide Auffassungen dürften indessen zum selben Resultat führen. Vertritt man die Ansicht, dass Artikel 50 einzig die Sachgewährleistung beschlägt, so besteht hinsichtlich der Rechtsgewährleistung eine Lücke, die wohl nach Artikel 7 Absatz 2 geschlossen werden muss. Ein Rückgriff auf das nationale Recht ist jedenfalls ausgeschlossen, da es sich bei dieser Frage um einen Gegenstand handelt, der zum Anwendungsbereich des Übereinkommens gehört. Gründe, die für einen Ausschluss
des Minderungsrechts bei Rechtsmängeln sprechen würden, lassen sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Übereinkommens jedenfalls nicht ermitteln. Entsprechend wird man nach den allgemeinen Prinzipien für die Begründung eines Minderungsanspruchs suchen müssen. Dabei liegt es auf der Hand, Artikel 50 analog heranzuziehen.

Die Methode zur Berechnung der Minderung weicht wesentlich vom schweizerischen Recht ab. Massgebend für die Bestimmung der Preisherabsetzung ist die Differenz (und nicht das Verhältnis) zwischen dem Wert mangelhafter Ware und demjenigen vertragsgemässer Ware. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Lieferung (und nicht etwa auf jenen des Vertragsabschlusses) Das hat zur Folge, dass dem Käufer als vertragstreuer Partei unter Umständen die Vorteile eines günstigen Geschäftes verloren gehen können. Überdies bleiben vertragliche Preisvereinbarungen, die aus besonderen Gründen wesentlich von den üblichen Marktpreisen abweichen können, unberücksichtigt.

801

232.47

Schadenersatz

Neben den bisher erwähnten Reehtsbehelfen kann der Käufer jeweils auch Schadenersatz geltend machen. Diesbezüglich besteht ein Unterschied zum OR, das bei Minderung einen Schadenersatz des Käufers nicht erwähnt. Ob dennoch Schadenersatz aus Artikel 97 OR geltend gemacht werden kann, ist in der Doktrin umstritten.

Nach Wiener Übereinkommen können Schadenersatzansprüche beiden Parteien zustehen; sie werden deshalb nicht im Abschnitt über die Rechte des Käufers bei Vertragsverletzung durch den Verkäufer behandelt, sondern im letzten Kapitel über die gemeinsamen Bestimmungen (Art. 74-77; vgl. Ziff. 235.2).

232.48 Vertragsverletzung bei Teilleistungen Artikel 51 beschränkt die Rechte des Käufers auf den fehlerhaften Teil der Lieferung (Abs. 1). Eine Aufhebung des gesamten Vertrages ist nur möglich, wenn die fehlerhafte Teilleistung einem wesentlichen Vertragsbruch entspricht (Abs. 2).

232.49

Vorzeitige Lieferung

Wie bereits erwähnt (vgl. Ziff. 232.23 Bst. c), steht es dem Käufer frei, vorzeitig gelieferte Ware anzunehmen. Tut er es, so gilt die vorzeitige Lieferung grundsätzlich als vertragsmässig erfolgt (Art. 52 Abs. 1).

Nach Artikel 52 Absatz 2 kann der Käufer zuviel gelieferte Ware annehmen oder ablehnen, im Falle der Annahme hat er entsprechend einen höheren Kaufpreis zu bezahlen. Aufwendungen, die dem Käufer durch die Annahme vorzeitiger oder zusätzlicher Lieferungen entstehen, kann er sich vom Verkäufer ersetzen lassen. Davon ausgenommen bleiben die Fälle, in denen der Käufer mit der Annahme der Lieferung ein den Vertrag änderndes Angebot des Verkäufers annimmt. Ob eine Vertragsänderung zustande gekommen ist oder ob ein Anwendungsfall nach Artikel 52 vorliegt, ist unter Berücksichtigung der in Artikel 8 erwähnten Auslegungsgrundsätze nach den gesamten Umständen zu ermitteln (vgl. Ziff! 212.1).

\

233

Pflichten des Käufers (Art. 53-65)

Das dritte Kapitel der materiellen Kaufrechtsbestimmungen, umfassend die Artikel 53-65, entspricht im Aufbau dem vorangehenden Kapitel über die Verkäuferpflichten. Gleich wie Artikel 3.0 für den Verkäufer; nennt Artikel 53 die Hauptpflichten für den Käufer; sie werden in den beiden nachfolgenden Abschnitten näher konkretisiert. Abschnitt l (Art. 54-59) setzt sich unter der Überschrift «Zahlung des Kaufpreises» mit den Zahlungsmodalitäten auseinander, 802

Abschnitt 2 (Art.60) behandelt die Annahme der Ware; der letzte Abschnitt (Art. 61-65) spricht wiederum von den Rechten des Verkäufers bei Vertragsverletzungen durch den Käufer.

233.1

Käuferpflichten im allgemeinen

Nach Artikel 53 hat der Käufer den Kaufpreis zu zahlen und die Ware anzunehmen. Entgegen unserem OR erachtet das Wiener Übereinkommen die Annahme der Ware nicht als Mitwirkung des Käufers bei der Erfüllungshandlung und somit als Obliegenheit (vgl. von Tuhr/Siegwart, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, Band II, S. 508), sondern als Hauptpflicht des Käufers. Obwohl aus dem Wortlaut von Artikel 53 des Übereinkommens nicht ersichtlich, können die Vertragsparteien für den Käufer weitere Pflichten vorsehen, wie etwa vorgangige Sicherheitsleistung, Abrufpflicht bei Sukzessivlieferungsverträgen, Versandanweisungen oder Beachtung von Vertriebsbestimmungen. Dies ergibt sich zum einen aus dem dispositiven Charakter des Übereinkommens, zum anderen aber auch aus dem Wortlaut von Artikel 61 Absatz 1. Damit stellt sich die Frage, ob neben den beiden vom Übereinkommen erwähnten Hauptpflichten (Art. 53) auch die von den Parteien vereinbarten zusätzlichen Pflichten bezüglich Inhalt und Modalitäten noch dem Übereinkommen unterstehen oder ob hierfür das durch die Kollisionsnormen bestimmte nationale Recht massgebend ist. Die Frage ist im Lichte von Artikel 7 Absatz 2 zu beantworten. Danach muss vorerst geprüft werden, ob es sich bei den vertraglichen Käuferpflichten um Vereinbarungen handelt, die zwar unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, in diesem aber nicht ausdrücklich geregelt sind. Bejaht man die Frage, so ist die Regelung nach den allgemeinen Grundsätzen des Übereinkommens zu entscheiden; fehlen solche Grundsätze oder fällt die Frage sachlich nicht unter das Übereinkommen, so ist die Lösung dem vom internationalen Privatrecht bezeichneten Recht zu entnehmen. Die Gültigkeit der Käuferpflichten ist im Hinblick auf Artikel 4 Buchstabe a ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen; hierfür wird also das vom Kollisionsrecht bestimmte nationale Recht massgebend sein. Abzuklären bleibt, wieweit Inhalt und Modalitäten der zusätzlich vereinbarten vertraglichen Käuferpflichten dem Übereinkommen unterstehen. Aus der Umschreibung des sachlichen Anwendungsbereiches (Art. 4) ergibt sich, dass das Übereinkommen grundsätzlich alle dem Käufer obliegenden Pflichten umfasst. Ob für alle diese Pflichten dem Übereinkommen Grundsätze entnommen werden können, oder ob für
einzelne Pflichten auf das massgebende nationale Recht auszuweichen ist, kann nicht allgemein beantwortet werden. Man wird im Einzelfall untersuchen müssen, ob die vorhandenen Bestimmungen ausreichend sind, um über allgemeine Grundsätze eine befriedigende Lösung zu finden. In der Doktrin ist bereits die Auffassung vertreten worden, dass vertraglich vereinbarte zusätzliche Käuferpflichten nicht unter das Übereinkommen fallen (vgl. Schlechtriem P., a.a.O., S.72 Fn. 317).

803

233.2

Zahlung des Kaufpreises

Abschnitt l hält zunächst die Pflicht des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises fest (Art. 54) und sieht sodann eine Lösung für den Fall vor, dass kein Preis vereinbart worden ist (Art. 55). Er enthält ferner eine Auslegungshilfe für die Preisfestsetzung nach dem Gewicht der Ware (Art. 56) sowie Bestimmungen über Ort (Art. 57), Zeit (Art. 58) sowie Fälligkeit der Zahlung (Art. 59).

233.21

Allgemeines

Unter Artikel 54 fällt auch die Verpflichtung, alles zu unternehmen, was erforderlich ist, um die Zahlung zu ermöglichen. Dazu gehört beispielsweise die Verpflichtung des Käufers zur Akkreditivgestellung, zur Beschaffung einer Bankgarantie oder Devisengenehmigung. Nichterfüllung einer solchen Verpflichtung bedeutet in jedem Fall Nichterfüllung des Vertrages, die die Folgen nach Artikel 62ff. auszulösen vermag.

Auch unter Artikel 54 bedarf die Abgrenzung zwischen Vorkehren, die notwendigerweise mit der vertraglich vereinbarten Zahlung verbunden sind, und den übrigen Massnahmen, die im Zusammenhang mit der Zahlungspflicht stehen, sorgfältiger Abklärung. Während die notwendigen Vorkehren unter Artikel 54 fallen, ist für die übrigen Massnahmen vorerst zu prüfen, ob das Übereinkommen darauf überhaupt Anwendung findet.

233.22

Bestimmung über die Höhe des Preises

Einleitend ist zu bemerken, dass sich das Übereinkommen zur Frage der Währung nicht ausdrücklich äussert. Man wird sie als Bestandteil der Preisfestsetzung betrachten können und erwarten, dass sie grundsätzlich zumindest bestimmbar sein muss. Dasselbe gilt für allfällige Wertsicherungsklauseln, wobei aber zwingende Gesetzesvorschriften eine solche Klausel für unzulässig erklären können. Zwei Artikel des Übereinkommens (Art. 55 und 56) dienen der näheren Bestimmung des Preises. Artikel 55 muss im Zusammenhang mit Artikel 14 gelesen werden. Während Artikel 14 für ein gültiges Angebot die Bestimmung bzw. Bestimmbarkeit des Preises verlangt, spricht Artikel 55 vom Fall, in dem die Parteien den Kaufpreis weder ausdrücklich noch stillschweigend festgesetzt oder dessen Festsetzung ermöglicht haben. Wie unter Ziffer 222.4 ausgeführt, kann Artikel 55 nur zum Tragen kommen, wenn Artikel 14 nicht zur Anwendung gelangt. In diesen Fällen wird vermutet, dass sich die Parteien stillschweigend auf jenen Preis bezogen haben, der allgemein für die betreffende Ware unter vergleichbaren Umständen bezahlt wird. Gleich wie Artikel 212 Absatz 2 OR setzt demnach auch Artikel 55 voraus, dass für die Ware ein Marktpreis besteht. Darunter hat man den Preis zu Verstehen, der für derartige Ware unter ähnlichen Umständen zwar nicht am gleichen Ort, wohl aber im betreffenden Geschäftszweig bezahlt wird. Der Preis muss in objektivierbarer Weise bestimmt werden können. Wer sich auf Artikel 55 berufen will, wird die Existenz eines Marktpreises und dessen Höhe zu beweisen haben.

804

Auch Artikel 56 enthält eine Auslegungshilfe: Ist der Kaufpreis nach dem Gewicht zu berechnen, so ist im Zweifel vom Nettogewicht auszugehen. Das OR sieht in Artikel 212 Absatz 2 dieselbe Lösung vor. Die Verpackung ist in Abzug zu bringen. Für die Frage, was unter Nettogewicht im Sinne des Übereinkommens zu verstehen ist, wird man daher die schweizerische Lehre und Rechtsprechung zu Artikel 212 Absatz 2 OR entsprechend heranziehen dürfen. Insbesondere wird man für die Abgrenzung zwischen Verpackung und Ware darauf abstellen können, ob über den funktionellen Zusammenhang hinaus weitere Verbindungen bestehen, die der «Verpackung» Zugehörcharakter verleihen.

Artikel 56 spricht nur vom Gewicht. Zweifellos wird man diese Bestimmung extensiv verstehen dürfen und darunter jede Masseinheit verstehen. Ein Hinweis darauf, ob der Käufer die Verpackung behalten darf, fehlt, wird aber im allgemeinen ,zu bejahen sein. Eine gegenteilige Lösung kann sich aus dem Vertrag, den Handelsbräuchen oder den Gepflogenheiten zwischen den Parteien ergeben. Das Übereinkommen schweigt sich ferner darüber aus, ob der Verkäufer die Kosten der Verpackung zusätzlich berechnen darf oder ob sie zum Kaufpreis gehören. Unter den Bestimmungen über die Verkäuferpflichten hält Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe d fest, dass die Ware nur dann vertragskonform ist, wenn sie in üblicher oder angemessener Weise verpackt ist. Daraus darf geschlossen werden, dass die Verpackungskosten im allgemeinen im Kaufpreis enthalten sind; vorbehalten bleiben auch hier anderslautende Handelsbräuche oder Gepflogenheiten zwischen den Parteien.

Im Unterschied zum Übereinkommen enthält aber unser OR eine ausdrückliche Regelung betreffend die Verpackungskosten; sie sind die Bestandteil der Übergabekosten und, bei Fehlen anderslautender Vereinbarungen, gehen sie zulasten des Verkäufers (Art. 188 OR). Aber auch im OR bleiben Handelsbräuche und Übungen vorbehalten.

233.23

Ort der Zahlung

Sofern kein Zahlungsort ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart worden ist, muss der Kaufpreis am Ort der Niederlassung des Verkäufers bezahlt werden (Art. 57 Abs. l Bst. a) Das Wiener Übereinkommen geht somit wie das OR von einer Bringschuld aus. Die mit der Übergabe des Verkaufspreises verbundenen Kosten gehen zu Lasten des Käufers; er trägt auch die entsprechende Gefahr. Bei mehreren Niederlassungen des Verkäufers ist diejenige massgebend, die mit dem Vertrag die engste Beziehung aufweist; bei fehlender Niederlassung ist auf den Aufenthaltsort abzustellen (vgl. Art. 10). Die Festlegung eines Zahlungsortes kann auf einer Parteivereinbarung, auf Handelsbräuchen oder Usanzen beruhen. Die Voraussetzungen an eine zwischen den Parteien entstandene Gepflogenheit sind auch in diesem Bereich indessen gleich streng anzusetzen wie in den übrigen Fällen. Die Angabe einer Bankverbindung beispielsweise wird man vorerst nur als Bereitschaft des Verkäufers verstehen können, an jenem Ort eine Zahlung entgegenzunehmen. Dem Käufer steht aber nach wie vor die Möglichkeit offen, sie an der Niederlassung des Verkäufers zu leisten. Erst wenn der Käufer mehrmals hintereinander den Kaufpreis an die angegebene Bankverbindung geleistet hat, wird man eine entsprechende Ge805

pflogenheit und damit auch eine Verpflichtung des Käufers, jene Bankverbindung zu berücksichtigen, annehmen dürfen.

Geschieht die Zahlung gegen Übergabe der Ware oder gegen Übergabe von Dokumenten, so gilt der Übergabeort als Zahlungsort (Art. 57 Abs. l Bst. b). Absatz 2 enthält eine Schutzbestimmung zugunsten des Käufers: Hat der Verkäufer seit Vertragsabschluss seine Niederlassung gewechselt, so gehen die mit diesem Wechsel verbundenen Mehrkosten für die Überbringung des Kaufpreises zu Lasten des Verkäufers.

Ob eine Vertragsverletzung wegen Bezahlens des Kaufpreises am falschen Ort vorliegt, und ob sie wesentlich ist, muss durch Auslegung von Artikel 57 oder den übrigen Übereinkommensbestimmungen geprüft werden. Entsteht beispielsweise im Falle einer Vereinbarung von «Kasse gegen Dokumente» an der Niederlassung des Verkäufers eine Verzögerung, so wird man darin eine Vertragsverletzung des Käufers sehen können. Befindet sich hingegen der Übergabeort nicht an der Niederlassung des Verkäufers und entsteht in der Folge eine Verzögerung bei der Übermittlung des Kaufpreises vom Übergabeort an die Niederlassung, so muss sich der Käufer diese Verspätung nicht anrechnen lassen.

Die Frage, ob der Käufer eine Vertragsverletzung begeht, wenn ihm der Verkäufer den Niederlassungswechsel nicht rechtzeitig mitgeteilt hat und die Zahlung am neuen Ort verspätet eintrifft, wird vom Übereinkommen nicht beantwortet. Abzuklären ist, ob die Anzeige des Niederlassungswechsels zugangsoder absendebedürftig ist. Gestützt auf die Ausführungen zu Artikel 27 (vgl.

Ziff. 231.3) wird man davon ausgehen, dass diese Mitteilung zugangsbedürftig ist. Somit wird sich der Verkäufer eine Verzögerung in der Anzeige anrechnen lassen müssen. Hat der Käufer in der Zwischenzeit an der ursprünglichen Niederlassung geleistet, so wird der Verkäufer daraus keine Vertragsverletzung ableiten können. Ist hingegen die Verzögerung nicht bei der Anzeigeübermittlung eingetreten, sondern bei der Überweisung des Geldes von der ursprünglichen zur neuen Niederlassung, so ist wohl von einer Vertragsverletzung durch den Käufer auszugehen. Ihm bleibt dann aber die Möglichkeit, sich in Anwendung von Artikel 79 zu befreien.

233.24

Zeitpunkt der Zahlung und Fälligkeit

Artikel 58 enthält in Absatz l den Grundsatz der Zug um Zug-Leistung. Die synallagmatische Verknüpfung von Liefer- und Zahlungspflicht entspricht auch Artikel 184 Absatz 2 OR. Bei fehlender Vereinbarung muss der Kaufpreis in jenem Zeitpunkt geleistet werden, in dem der Käufer die Ware oder die Dokumente, die ihn zur Verfügung über die Ware berechtigen, erhalten hat (Art. 58 Abs. l erster Satz). Der zweite Satz von Absatz l präzisiert zudem, dass der Verkäufer die Übergabe der Ware oder der Dokumente von der Zahlung abhängig machen kann. Damit wird eine Vorleistungspflicht der einen oder anderen Partei vom Übereinkommen ausgeschlossen.

Der ausdrückliche Hinweis, dass diese Regelung bei fehlender Parteivereinbarung Platz greift, mag darauf hindeuten, dass gerade für Zahlungsmodalitäten dem Vertrag oft genügend Hinweise entnommen werden können. In diesem Bereich sind auch Handelsbräuche und Gepflogenheiten sowie die Vereinbarung 806

von vereinheitlichten Lieferklauseln (Incoterms) sehr häufig. Unter den Dokumenten, die zur Verfügung über die Ware berechtigen, hat man alle Papiere zu verstehen, die geeignet sind, dem Inhaber ein Verfügungsrecht über die Ware einzuräumen. Ungeachtet der Benennung solcher Dokumente hat daher die Auslegung funktioneil zu erfolgen.

Der Grundsatz von Absatz l erfährt eine Modifizierung für den Versendungskauf: Der Verkäufer kann die Versendung unter Bedingungen vornehmen, nach denen er die Verfügungsgewalt solange über die Ware behält, bis der Käufer den Kaufpreis bezahlt hat. Dies geschieht in der Praxis etwa mit der Klausel «Ware gegen Dokumente».

Absatz 3 sieht ferner vor, dass der Käufer Gelegenheit gehabt haben muss, die Ware zu untersuchen. Vorbehalten bleiben Lieferungs- oder Zahlungsmodalitäten, die einer derartigen Prüfung entgegenstehen. Die Möglichkeit für den Verkäufer, die Aushändigung der Ware oder der Dokumente bis zur Zahlung zurückzuhalten, kann mit der Untersuchungsmöglichkeit des Käufers durchaus vereinbar sein.

Artikel 59 behandelt die Fälligkeit. Sie tritt in jenem Zeitpunkt ein, der vertraglich bestimmt oder nach Vertrag oder nach dem Übereinkommen bestimmbar ist, ohne dass es einer zusätzlichen Handlung, etwa einer Mahnung, bedürfte.

Sofern dem Vertrag nichts entnommen werden kann, wird die Fälligkeit innerhalb angemessener Zeit nach der Lieferung eintreten. Ist der Lieferzeitpunkt für den Käufer hingegen genau vorhersehbar (Fixgeschäft), so dürfte die Fälligkeit in jenem Zeitpunkt eintreten. Bei Ausbleiben termingerechter Zahlung wird der Verkäufer die Rechte nach den Artikeln 61-65 ausüben können.

233.3

Annahme der Ware

Der zweite Abschnitt des Kapitels über die Käuferpflichten behandelt in Artikel 60 Buchstabe a die Vorbereitungshandlungen und in Buchstabe b die eigentliche Übernahme der Ware. Die Annahme der Ware ist nach dem Wiener Übereinkommen eine Hauptpflicht des Käufers, während es nach OR von den Umständen abhängt, ob die Annahme eine Obliegenheit oder ausnahmsweise eine Hauptpflicht darstellt (vgl. Giger H., a.a.O., N 4 f zu Artikel 211 OR). Die Doppelfunktion der Annahme nach dem Übereinkommen ist aus dem Wortlaut von Artikel 60 ersichtlich: Die Annahme umfasst zum einen alle notwendigen Handlungen, damit der Verkäufer die Ware überhaupt liefern kann, und zum anderen alle Handlungen des Käufers, damit er die Ware an sich nehmen kann.

Unter die Vorbereitungshandlungen fallen somit auch die Spezifikation bei Vorliegen eines entsprechenden Kaufvertrages und die Abrufpflicht bei Sukzessivlieferungsverträgen.

Da das Übereinkommen die Frage der Verschaffungspflicht von Besitz und Eigentum nicht berührt, ist die Annahme als rein tatsächliche Handlung ohne Korrelat zum sachenrechtlichen Vorgang zu qualifizieren.

Artikel 60 schweigt sich darüber aus, in welchem Zeitpunkt die Annahme zu erfolgen hat. Ein gewisser Anhaltspunkt lässt sich indessen Artikel 69 entnehmen: Danach geht die Gefahr in jenem Zeitpunkt auf den Käufer über, in dem ihm 807

die Ware zur Verfügung gestellt wird und er «durch Nichtannahme eine Vertragsverletzung» begeht. Parallel zu Artikel 59 wird man dem Käufer für die Annahme somit eine angemessene Frist zubilligen müssen, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die eine sofortige Annahmepflicht rechtfertigen. Zu berücksichtigen bleiben auch hier die Handelsbräuche sowie die zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten.

233.4

Rechte des Verkäufers wegen Vertragsverletzung durch den Käufer

233.41

Allgemeines

Das System der dem Verkäufer zustehenden Rechte wegen Vertragsverletzung durch den Käufer ist einfacher und übersichtlicher (Art. 61-65) als jenes der Rechte des Käufers (vgl. die Art. 45-52), da die möglichen Rechtsbehelfe zugunsten des Verkäufers naturgemäss beschränkter sind. Auch hier geht das Übereinkommen einzig vom Begriff der Vertragsverletzung aus und ermöglicht dadurch ein an sich spiegelbildliches System von Rechten für beide Parteien.

Der Verkäufer kann grundsätzlich alle Rechte nebeneinander geltend machen, soweit sie einander nicht gegenseitig ausschliessen. Er kann die Zahlung des Kaufpreises verlangen (Art. 62) oder, anstatt Erfüllung zu erreichen, den Kaufvertrag aufrieben (Art. 64). Ferner steht ihm die Möglichkeit offen, anstelle des Käufers die notwendige Spezifizierung vorzunehmen (Art. 65). In jedem Fall bleibt dem Verkäufer der Anspruch auf Schadenersatz gewahrt.

233.42

Grundsatz

Artikel 61 ermächtigt den Verkäufer in Absatz l, die in den nachstehenden Bestimmungen enthaltenen Rechte aus zuüben (Bst. a) und Schadenersatz zu verlangen (Bst. b) Analog zu den Käuferrechten bei Vertragsverletzung durch den Verkäufer (Art. 45 Abs. 2), präzisiert Artikel 61 Absatz 2, dass der Verkäufer seinen Schadenersatzanspruch durch die Ausübung der anderen Rechte nicht verliert. Ebenfalls parallel zu Artikel 45 ist es dem Richter nach Absatz 2 versagt, dem Vertragsbrüchigen Käufer eine «Gnadenfrist» einzuräumen. Weitere Rechtsbehelfe, die das nationale Recht des angerufenen Richters für den Verkäufer vorsehen könnte, sind - wie in Artikel 45 für den Käufer (vgl.

Ziff.232.41 infine) - durch Artikel 61 auch für den Verkäufer stillschweigend ausgeschlossen.

233.43

Erfüllung

Das Wiener Übereinkommen räumt dem Verkäufer einen Erfüllungsanspruch ein, und zwar ungeachtet der Schwere der Vertragsverletzung (Art. 62). Dieses Recht wird nur durch die Ausübung eines anderen, mit dem Erfüllungsanspruch unvereinbaren Rechtes - etwa Aufhebung des Vertrages - ausgeschlossen. Soweit es nicht um die eigentliche Zahlung des Kaufpreises geht, kann indessen der Erfüllungsanspruch des Verkäufers an Artikel 28 scheitern ; bekannt808

lieh sind Staaten, die eine Verurteilung auf Erfüllung in Natur nicht kennen, nicht verpflichtet, einem derartigen Begehren stattzugeben (vgl. Ziff. 231.4).

Nach Artikel 63 kann der Verkäufer dem Käufer eine angemessene Nachfrist für die Erfüllung einräumen (Abs. 1) Während des Ablaufs dieser Frist kann der Verkäufer kein anderes Recht ausüben, es sei denn, dass der Käufer ihm anzeigt, er werde innerhalb dieser Frist nicht erfüllen. Diese Mitteilung ist - in Abweichung vom allgemeinen Grundsatz des dritten Teils des Übereinkommens und in Übereinstimmung mit den parallelen Vorschriften der Käuferrechte (Art. 47 Abs. 2) - zugangsbedürftig. Dem Verkäufer bleibt auch bei der Nachfristansetzung der Schadenersatzanspruch wegen verspäteter Erfüllung gewahrt (Art. 63 Abs. 2).

233.44

Aufhebung des Vertrages

Im schweizerischen Recht steht dem Verkäufer neben dem Erfüllungsanspruch auch ein Rücktrittsrecht zu. Die Voraussetzungen sind allerdings mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs unterschiedlich geregelt, je nachdem, ob es sich um einen Pränumerandokauf, einen Barkauf oder um einen Kreditkauf handelt. Im letzteren Fall ist das Rücktrittsrecht nur möglich, wenn es vom Verkäufer ausdrücklich vorbehalten worden ist (Art. 214 Abs. 3 OR) Beim Barkauf ist der Rücktritt erst im Moment des vereinbarten Zug um Zug-Austausches möglich. Ist Vorauszahlung abgemacht worden, so muss der Verkäufer dem Käufer sofort anzeigen, wenn er von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen will, ansonsten er eine Nachfrist nach Artikel 107 OR ansetzen muss.

Die Aufhebung des Vertrages kann auch nach dem Wiener Übereinkommen nicht in jedem Fall verlangt werden. Voraussetzung ist, dass seitens des Käufers eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt (Art. 64 Abs. l Bst. a) oder dass der Käufer nicht innerhalb der ihm gesetzten Nachfrist geleistet hat (Art. 64 Abs. l Bst. b). Was unter einer wesentlichen Vertragsverletzung zu verstehen ist, die dem Verkäufer den sofortigen Rücktritt ermöglicht, bestimmt Artikel 25. Demnach wird man jeweils aus den konkreten Umständen ermitteln müssen, welche Pflichtverletzungen des Käufers wesentlich sind. So ist etwa denkbar, dass die Nichtbezahlung des Kaufpreises zur festgesetzten Zeit bei Waren mit stark schwankendem Marktpreis eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt. Das Recht des Verkäufers, den Vertrag aufzulösen, wird in der Folge nochmals in verschiedener Hinsicht eingeschränkt. Artikel 64 Absatz 2 bestimmt, dass die Vertragsauflösung bei verspäteter, aber gleichwohl noch erfolgter Erfüllung also bei Verzug - nur noch erklärt werden kann, solange der Verkäufer von der nachträglichen Erfüllung nicht wusste (Bst. a). In den übrigen Fällen von Vertragsverletzung verliert der Verkäufer sein Aufhebungsrecht, wenn er die Aufhebung nicht innerhalb einer angemessenen Frist seit Kenntnis der Vertragsverletzung erklärt; dabei genügt es, dass der Verkäufer die Vertragsverletzung hätte kennen müssen (Art. 64 Abs. 2 Bst. b/i). Dem Verkäufer geht das Aufhebungsrecht schliesslich auch dann verloren, wenn er gegenüber dem Käufer die entsprechende Erklärung nicht innerhalb einer angemessenen Frist seit erfolglosem Verstreichen der Nachfrist abgibt (Art. 64 Abs. 2 Bst. b/ii) Diese etwas kompli32 Bundesblatt. 141.Jahrgang. Bd.I

809

ziert formulierten Einschränkungen des Aufhebungsrechts sollen den Verkäufer zu einem raschen Entscheid bewegen.

Die Aufhebungserklärungen sind nach den allgemeinen Grundsätzen dieses Teils des Übereinkommens nur absendebedürftig.

233.45

Spezifizierung durch den Verkäufer

Artikel 65 regelt den Spezialfall des Spezifikationskaufs. Unterlässt es der Käufer, die notwendige Spezifizierung vorzunehmen, so kann der Verkäufer an dessen Stelle die Ware näher bestimmen. Voraussetzung .ist, dass der vertraglich vorgesehene Zeitpunkt für die Spezifikation verstrichen ist oder dass bei fehlender Vereinbarung der Käufer auf eine entsprechende Aufforderung des Verkäufers hin innerhalb einer angemessenen Frist nicht tätig geworden ist. Die Anzeige des Verkäufers ist abweichend vom allgemeinen Grundsatz zugangsbedürftig, und dem Käufer steht eine angemessene Frist zu.

Der Verkäufer hat die Ware nach den Bedürfnissen des Käufers zu bestimmen, soweit er dessen Bedürfnisse kennt (Abs. 1). In der Folge muss er dem Käufer die Spezifizierung - wiederum in einer zugangsbedürftigen Mitteilung - anzeigen, und ihm eine angemessene Frist ansetzen. Nimmt der Käufer innerhalb der Frist keine abweichende Spezifizierung vor, so ist diejenige des Verkäufers verbindlich (Abs. 2).

Ob der Käufer die vom Verkäufer vorgenommene Spezifikation nur mit einer absendebedürftigen Mitteilung korrigieren kann oder ob die Mitteilung ebenfalls zugangsbedürftig ist, geht aus dem Wortlaut von Artikel 65 Absatz 2 nicht hervor. Damit stellt sich die Frage, ob die ausnahmsweise statuierte Zugangsbedürftigkeit für zwei der in Artikel 65 genannten Erklärungen auch für die dritte massgebend ist oder ob für die letztere wiederum das in Artikel 27 festgehaltene Prinzip der Absendebedürftigkeit zum Tragen kommen1 soll. Unseres Erachtens dürfte die Zugangsbedürftigkeit für alle in Artikel 65 genannten Aufforderungen oder Mitteilungen gelten. Abgesehen davon, dass es schwerfallen dürfte, die Anwendung zweier gegenteiliger Prinzipien innerhalb desselben Artikels zu begründen, entspricht die hier vertretene Auslegung auch den allgemeinen Grundsätzen über das Wirksamwerden von Erklärungen. Wie bereits ausgeführt, gilt in Teil III des Übereinkommens grundsätzlich die Absendebedürftigkeit. Jene Fälle, in welchen ausnahmsweise die Zugangsbedürftigkeit vorgesehen ist, bewirken entweder die Fälligkeit von Vertragspflichten oder betreffen Mitteilungen der Vertragsbrüchigen Partei, wie etwa die Erfüllungsverweigerung. Vorliegend geht es um den säumigen Käufer, der mit der vorgeschlagenen Spezifikation des Verkäufers nicht einverstanden
ist und ihm dies mitteilt. Folglich hat er als die sich nicht vertragskonform verhaltende Partei das Risiko für das Wirksamwerden seiner Erklärung zu tragen.

810

234 234.1

Übergang der Gefahr (Art. 66-70)

':

Allgemeines

Die praktische Bedeutung des Gefahrenüberganges liegt in der Tragung der Preisgefahr. In der Natur der Sache begründet, kann die Frage der Preisgefahr nur innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne aktuell werden, nämlich zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der Übergabe der Kaufsache. Vor dem Abschluss des Kaufvertrages trägt in allen Fällen der Verkäufer die Preisgefahr, während sie nach Übergabe der Kaufsache vom Käufer übernommen werden muss. Innerhalb der kurzen Zeitspanne zwischen Vertragsabschluss und Übergabe der Kaufsache sind indessen zahlreiche Systeme der Gefahrtragung denkbar. Die Regelungen im Wiener Übereinkommen sind dementsprechend auch lange und ausführlich diskutiert worden; sie stellen in Abwägung der Interessen beider Parteien einen Kompromiss dar. Aus schweizerischer Sicht ergibt sich in diesem Kapitel eine bedeutende Abweichung vom verkäuferfreundlichen Grundsatz des OR, wonach die Gefahr prinzipiell bereits mit Abschluss des Kaufvertrages auf den Käufer übergeht (Art. 185 Abs. l OR). Es ist indessen zu beachten, dass die Konzeption des OR in rechtsvergleichender Hinsicht wenig verbreitet ist. Aber auch das im Wiener Übereinkommen vorgesehene System der Gefahrtragung wird in der Praxis wohl nicht sehr häufig zum Zuge kommen, weil die Parteien abweichende Regelungen, insbesondere durch Verweis auf die Incoterms, vereinbaren können. Die im Wiener Übereinkommen vorgesehene Lösung würde daher für die schweizerischen Vertragsparteien in der Praxis kaum wesentliche Änderungen bringen.

Artikel 66 des Übereinkommens regelt die Gefahrtragung, die Artikel 67-69 beschäftigen sich mit der Frage, in welchem Zeitpunkt die Gefahr übergeht, und Artikel 70 behandelt das Verhältnis zwischen Gefahrtragung und Vertragsverletzung. Zu betonen ist, dass auch die Bestimmungen dieses Kapitels nach Artikel 6 von den Parteien wegbedungen werden können.

234.2

Grundsatz

Artikel 66 hält fest, dass Gefahrtragung nur die Tragung der Preisgefahr bedeutet: Untergang oder Beschädigung der Ware nach Übergang der Gefahr befreien den Käufer nicht von seiner Zahlungspflicht. Darüberhinaus bleiben aber dem Käufer Ansprüche aus einer Handlung oder Unterlassung des Verkäufers, für die dieser einzustehen hat, erhalten. Als Beispiel sei die Beschädigung der bereits gelieferten Ware bei Abholung der Container durch den Verkäufer erwähnt. Ob der Verkäufer mit seinem Verhalten einen Vertragsbruch begangen haben muss, um die Gefahr nicht übergehen zu lassen, ist dabei nach wohl überwiegender Ansicht unerheblich. Haben im soeben geschilderten Beispiel die Parteien eine fob-Klausel (free on board) vereinbart, so kann die Beschädigung der Ware durch den Verkäufer in jenem Zeitpunkt nicht als Vertragsverletzung betrachtet werden, wohl aber möglicherweise als unerlaubte Handlung.

Der Käufer wäre nicht verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen, und könnte daneben Schadenersatzansprüche aus ausservertraglicher Haftung des Verkäufers geltend machen.

811

In den meisten Fällen wird ein Verhalten des Verkäufers, das zum Untergang oder zur Beschädigung der Ware führt, gleichzeitig einen wesentlichen Vertragsbruch darstellen. Artikel 70 stellt klar, dass die Gefahrtragungsbestimmungen im Falle einer wesentlichen Vertragsverletzung die dem Käufer daraus erwachsenden Rechte nicht berühren. Der Käufer hat daher die Möglichkeit, trotz Gefahrenübergangs die Aufhebung des Vertrages zu erklären und damit die Kaufpreiszahlungspflicht dahinfallen zu lassen. Ihm bleibt es auch unbenommen, eine Ersatzlieferung zu verlangen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 46 Abs. 2). Mit der Übergabe der Ware an den Käufer oder den ersten Beförderer ist die Gefahr grundsätzlich auf den Käufer übergegangen (Art. 67-69), fällt aber mit der berechtigten Erklärung der Vertragsaufhebung oder dem Begehren um Ersatzlieferung rückwirkend auf den Verkäufer zurück.

234.3

Zeitpunkt des Gefahrenübergangs

234.31

Allgemeines

Da das Wiener Übereinkommen die Wirkungen des Kaufs auf das Eigentum an der Ware unberührt lässt (Art. 4 Bst. b), konnte auch der Zeitpunkt des Gefahrenübergangs nicht mit dem Eigentumsübergang verbunden werden. Auch hat die UNCITRAL davon abgesehen, den Übergang - wie beim Haager Einheitlichen Kaufrecht - an den juristischen Begriff der Lieferung zu knüpfen. Vielmehr geht die Gefahr grundsätzlich mit der rein tatsächlichen Übergabe der Ware an den Käufer über (Art. 69 Abs. 1).

Das Übereinkommen ist auf internationale Verhältnisse zugeschnitten und behandelt vorerst den Distanzkauf (Art. 67) sowie den Kauf schwimmender oder rollender Ware (Art. 68). Der soeben erwähnte Grundsatz von Artikel 69 Absatz l, wonach für den Platzkauf die Gefahr mit der Übergabe der Ware auf den Käufer übergeht, greift demgegenüber nur subsidiär Platz. Diese Regelungshierarchie entspricht im internationalen Verhältnis den tatsächlichen Gegebenheiten.

234.32

Distanzkauf

Ist eine Beförderung der Ware vertraglich vorgesehen, und fehlen Angaben darüber, an welchem Ort der Verkäufer die Ware zu übergeben hat, so geht die Gefahr nach Artikel 67 Absatz l auf den Käufer über, sobald die Ware dem ersten Beförderer übergeben wird. MUSS die Ware an einem bestimmten Ort übergeben werden, so findet der Gefahrenübergang mit der Übergabe an jenem Ort statt. Die Zurückbehaltung von Transportdokumenten ist für den Übergang der Gefahr unerheblich (Art. 67 Abs. 1).

Diese Regelung entspricht auch der Vorschrift des OR über den Versendungskauf (Art. 185 Abs. 2 OR) In Übereinstimmung mit dem schweizerischen Recht liegt nach dem Wiener Übereinkommen dann ein Versendungskauf vor, wenn gemäss Abrede die Ware an einen anderen als den Erfüllungsort zu versenden ist, und ein Dritter den Transport besorgt (Art. 31 Bst. a, Ziff, 232.2). Wie be812

reits erwähnt, wird kein Distanzkauf angenommen, wenn der Verkäufer die Ware mit einem zu seinem Betrieb gehörenden Spediteur versendet. Vielmehr setzt die Übergabe der Ware an einen Dritten zur Besorgung des Transports voraus, dass die Ware aus dem Machtbereich des Verkäufers ausgeschieden wird. Umgekehrt darf der Beförderer auch nicht mit dem Käufer oder seinen Gehilfen identisch sein. Diese Abgrenzung ist allerdings weniger bedeutungsvoll, weil der Käufer in beiden Fällen im selben Zeitpunkt die Gefahr übernehmen muss. Dass die Ware zur Versendung einem unabhängigen Beförderer zum Versand übergeben werden muss, kann zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen. Die Frage wird auch oft von der juristischen Organisation des Verkäufers abhängen. MUSS sich die Konzernzwischenmutter, die den Kaufvertrag abgeschlossen hat, das Verhalten ihrer mit dem Transport beauftragten Transportfirma anrechnen lassen? Ist letztere schon als unabhängiger Beförderer zu betrachten, oder gilt sie als im Machtbereich des Verkäufers liegend? Im ersten Fall ginge die Preisgefahr noch vor dem Transport auf den Käufer über, im zweiten Fall hingegen nicht. Eine generelle Antwort zu solchen und ähnlichen Fragen lässt sich nicht finden. Stossende Ergebnisse für den Verkäufer lassen sich aber über die Exkulpationsmöglichkeit nach Artikel 79 (vgl. Ziff. 235.4) vermeiden.

Artikel 67 Absatz 2 setzt für die Gefahrtragung bei Gattungssachen voraus, dass die Ware eindeutig dem Vertrag zugeordnet werden kann, «sei es durch an der Ware angebrachte Kennzeichen, durch Beförderungsdokumente, durch eine Anzeige an den Käufer oder auf andere Weise.» Die Anzeige ist dabei nur absendebedürftig. Die in der schweizerischen Doktrin etwa vertretene Ansicht, bei Distanzkäufen könnte man auf das gesetzliche Erfordernis des Ausscheidens der Ware verzichten, wenn der Spediteur eine Sammelladung oder einen Sammeltransport organisiere, trifft für das Wiener Übereinkommen an sich nicht zu.

Allerdings setzt der Verzicht auf das Ausscheiden der Gattungssachen auch in der Schweiz voraus, dass der Sammeltransport mit Wissen und Willen des Käufers geschieht. Man wird indessen dieses Wissen und den entsprechenden Willen recht leicht annehmen dürfen, da sich ein Sammeltransport regelmässig auf die dem Käufer zur Last fallenden Transportkosten auswirkt. Dennoch
bedarf der Verzicht auf das Ausscheiden der Gattungssachen einer auch nur stillschweigenden Einwilligung des Käufers. Unter denselben Voraussetzungen ist aber auch nach dem Wiener Kaufrecht eine Abweichung vom Erfordernis des Artikels 67 Absatz 2 möglich.

234.33

Rollende oder schwimmende Ware

Die Ausnahmeregelung für den Gefahrenübergang bei reisender Ware ist das Ergebnis zäher Verhandlungen. Entsprechend weist Artikel 68 einen ausgesprochenen Kompromisscharakter auf. Er lässt die Gefahr reisender Waren mit Vertragsabschluss auf den Käufer übergehen. Je nach den Umständen kann jedoch der Gefahrenübergang auf den Zeitpunkt vorverlegt werden, in welchem die Ware an den Beförderer übergeben worden ist. Wusste der Verkäufer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, dass die Ware untergegangen oder beschädigt war oder Hätte ,er dies wissen müssen, so geht der Untergang oder die Beschädi813

gung zu seinen Lasten. Der Kompromissformel haften mehrere Schwierigkeiten an. Die Ausnahme, wonach die Gefahrtragung auf den Zeitpunkt der Versendung der Ware vorverlegt wird, «falls die Umstände diesen Schluss nahelegen,» wird nicht einfach auszulegen sein. Als solcher Umstand wurde das Bestehen einer Transportversicherung angesehen, die die Risiken des Verkäufers abdeckt.

In der Tat kann in diesen Fällen kaum eine andere Gefahrtragungsregel in Betracht kommen, da die Transportversicherung die Risiken während der ganzen Zeit der Warenbeförderung abdeckt. Dennoch bleiben gewisse Unsicherheiten zurück: Soll beispielsweise eine Transportversicherung grundsätzlich nur dann für die zeitliche Vorverlegung des Gefahrenübergangs in Betracht kommen, wenn dem Käufer auch die Versicherungsdokumente übergeben werden? Gibt es neben einer Transportversicherung noch andere Umstände, die eine Ausnahme bewirken können? Hinzu kommen Fragen dogmatischer Natur.

Während aus schweizerischer Sicht ein Kaufvertrag über schwimmende oder rollende Ware, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits untergegangen ist, nichtig sein dürfte, will das Übereinkommen die Frage nicht selber entscheiden (Art. 4 Bst. a) Andererseits setzt Artikel 68 implizit die Gültigkeit eines Vertrages über bereits untergegangene Ware voraus. Dies ergibt sich aus dessen letztem Satz, wonach Untergang oder Beschädigung der Ware zulasten des Verkäufers gehen, wenn er im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses darum wusste oder hätte wissen müssen.

Ob die Praxis zwischen Artikel 4 und Artikel 68 einen gangbaren Weg findet, wird sich erst noch weisen müssen.

Abschliessend ist zum letzten Satz von Artikel 68 noch folgendes zu bemerken: Das Wiener Übereinkommen äussert sich zur Verteilung der Beweislast nicht.

Insbesondere fehlt ein allgemeiner Grundsatz über die Vermutung des guten Glaubens. Trotzdem wird man davon ausgehen dürfen, dass die Beweislast für die Bösgläubigkeit des Verkäufers dem Käufer obliegt; dieser Beweis dürfte indessen schwer zu erbringen sein.

234.34

Subsidiäre Regelung

Wie eingangs erwähnt, enthält Artikel 69 Absatz l den Grundsatz zur Bestimmung des Zeitpunktes, an dem die Gefahr auf den Käufer übergeht. Dieser Grundsatz kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn kein Distanzkauf (Art. 67) und kein Kauf reisender Ware (Art. 68) vorliegt. Beim Platzkauf geht die Gefahr mit der tatsächlichen Übernahme der Ware auf den Käufer über.

Kommt er seiner Annahmepflicht nicht nach, so geht die Gefahr gleichwohl auf ihn über; massgebend'ist der Zeitpunkt, in dem er durch die Nichtannahme eine Vertragsverletzung begeht. Die Ansetzung einer Nachfrist durch den Verkäufer (Art. 63 Abs. 1) verhindert den Gefahrenübergang nicht; Ungeklärt scheint, ob Artikel 69 Absatz l nur bei Annahmeverzug gilt oder ob er auch entgegen dem engen Wortlaut - alle anderen Fälle einer Vertragsverletzung durch den Käufer abdeckt. Unseres Erachtens dürfte hier eine Lücke vorliegen, die in Anwendung von Artikel 7 geschlossen werden muss. Zweifellos handelt es sich dabei um eine Frage, die in den Anwendungsbereich des Übereinkom814

mens fällt. Sieht man von den Sonderregeln über reisende Ware ab, so lässt sich aus den bestehenden Artikeln der Grundsatz leicht ableiten: Der Verkäufer trägt solange die Preisgefahr, als er die tatsächliche Herrschaft über die Ware noch nicht abgegeben hat; entsprechend wird die Gefahr zu jenem Zeitpunkt auf den Käufer übergehen, zu dem er die tatsächliche Herrschaft über die Ware erhält oder dies durch sein vertragswidriges Verhalten verhindert. Wenn er es also unterlässt, ein vertraglich vereinbartes Akkreditiv zu stellen, wird die Preisgefahr trotzdem auf ihn übergehen, Artikel 69 Absatz 2 handelt vom Distanzkauf. Hier geht die Gefahr frühestens zu dem Zeitpunkt auf den Käufer über, zu welchem er die Ware entgegennehmen kann. Dies setzt voraus, dass die Lieferung der Ware fällig ist und der Käufer von der bereitstehenden Ware Kenntnis hat. Ist die Ware vorzeitig geliefert worden, erhält der Käufer Kenntnis davon und willigt er ein, die vorzeitige Lieferung anzunehmen, so geht die Gefahr entsprechend früher über.

Der letzte Absatz von Artikel 69 gilt sowohl für den Platzkauf (Abs. 1) wie für den Distanzkauf (Abs.2) und enthält eine parallele Bestimmung zu Artikel 65 Absatz 2: Gattungssachen bzw. noch nicht individualisierte Waren gelten erst dann als dem Käufer zur Verfügung gestellt, wenn sie dem Vertrag eindeutig zugeordnet worden sind.

235

Gemeinsame Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers (Art. 71-88)

Das letzte Kapitel der Bestimmungen über das materielle Kaufrecht - umfassend die Artikel 71-88 - dient der näheren Umschreibung von Rechten und Pflichten, die beide Parteien gleichermassen betreffen. Es ist insgesamt in sechs Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt handelt von Fällen des antizipierten .Vertragsbruchs, einschliesslich des Sukzessivlieferungsvertrages (Art. 71-73), der zweite vom Schadenersatz (Art. 74-77) und der dritte von den Zinsen (Art. 78).

Abschnitt 4 befasst sich mit der wichtigen Materie der Befreiungen (Art. 79 und 80), Abschnitt 5 mit den Wirkungen der Vertragsaufhebung (Art. 81-84) und der letzte Abschnitt mit den Vorschriften über die Erhaltung der Ware (Art. 85-88).

235.1

Vorweggenommene Vertragsverletzung und Verträge über aufeinanderfolgende Lieferungen

Die drei Artikel dieses Abschnitts (Art. 71-73) behandeln Fälle, in denen der einen Partei wegen besonderer Umstände die weitere Durchführung des Vertrages nicht mehr zugemutet werden kann. Artikel 71 beschlägt die Einrede der Verschlechterung, Artikel 72 die Aufhebung des Vertrages wegen einer offensichtlich bevorstehenden wesentlichen Vertragsverletzung und Artikel 73 die antizipierte Vertragsverletzung beim Sukzessivlieferungsvertrag.

815

235.11

Einrede der Verschlechterung

Analog zum schweizerischen Recht (Art. 83 Abs. l OR) kann eine Partei mit dieser Einrede die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten aussetzen, wenn sich nach Vertragsabschluss zeigt, dass die andere Partei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird. Absatz l nennt die Gründe für eine voraussichtliche Nichterfüllung, nämlich ein schwerwiegender Mangel der «fehlbaren» Partei in ihrer Fähigkeit, den Vertrag zu erfüllen, sei es ihre Zahlungsfähigkeit (Bst. a), sei es ihr Verhalten bei der Vertragserfüllung oder bei der Vorbereitung dazu (Bst. b).

Artikel 71 Absatz l ist vor allem dort von Bedeutung, wo die eine Partei vorleistungspflichtig ist, aber diese Vorleistung noch nicht erbracht hat. Liegen besondere Umstände vor, so kann sie mit der Vorleistung zurückhalten. Dies ist der Fall, wenn die Gegenpartei in erkennbarer Weise einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird. Ob darin die reelle Gefahr eines wesentlichen Vertragsbruches im Sinne von Artikel 25 liegen muss, bedarf näherer Erläuterung. Das Haager Einheitliche Kaufrecht hat die Gefahr einer wesentlichen Vertragsverletzung für die Geltendmachung der Verschlechterungseinrede ausdrücklich vorgesehen (Art. 73 EKG). Anlässlich der UNCITRAL-Verhandlungen ist ein entsprechender Antrag gestellt, aber schliesslich abgelehnt worden. Man wollte Artikel 71 mit seiner verhältnismässig leichten Sanktion der Zurückbehaltung auch in jenen Fällen zur Anwendung bringen, in denen noch kein wesentlicher Vertragsbruch zu befürchten ist. In der Praxis dürfte die Unterscheidung zwischen drohender wesentlicher Vertragsverletzung einerseits und drohender Verletzung eines wesentlichen Teils der Vertragspflichten andererseits kaum durchführbar sein.

Die Gründe, welche die eine Partei von ihrer Vorleistung entbinden, sind in Artikel 71 Absatz l subjektiv und objektiv umschrieben. Als objektive Gründe sieht das Übereinkommen die Verschlechterung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage der Gegenpartei an (Bst. a) In der Tat kann die Gefahr, dass die Gegenpartei wegen eines schwerwiegenden Mangels nicht mehr fähig sein wird, den Vertrag zu erfüllen, als Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage umschrieben werden. Denkbar ist auch, dass die Gegenpartei finanziell zwar gut dasteht, ihr aber Exportbeschränkungen drohen, oder ihr ein
Streik die rechtzeitige Lieferung verunmöglichen wird. Ein Verschulden ist für die Geltendmachung der Verschlechterungseinrede nicht notwendig. Die objektive Feststellung, dass sich die Zahlungsfähigkeit verschlechtert hat, dürfte in der Regel keine Schwierigkeiten bereiten. Dafür wird auch der Antrag auf Konkurseröffnung oder auf Verhandlungen über einen Nachlassvertrag ausreichen.

Absatz l Buchstabe b befasst sich mit dem subjektiven Verhalten der einen Partei: Dieses muss geeignet sein, ernsthafte Zweifel an ihrer Bereitschaft zur Vertragserfüllung zu erwecken. Auch hier braucht es kein Verschulden, um der Gegenpartei die Verschlechterungseinrede zuzugestehen.

In jedem Fall müssen die Gründe geeignet sein, die Leistungsunfähigkeit erkennen zu lassen. Bei ihrer Beurteilung wird man darauf abstellen müssen, wie eine vernünftige Person unter vergleichbaren Umständen die Lage einschätzen würde. Wesentlich ist, dass die Leistungsunfähigkeit nicht zwingend nach Ver816

tragsschluss eingetreten sein muss; die Einrede ist auch zulässig, wenn die negativen Umstände bereits vorher bestanden, aber erst nach Vertragsschluss erkennbar geworden sind. Ausschlaggebend ist wiederum, wie eine vernünftige Person die Lage beurteilen würde. Hätte der Gläubiger bei entsprechender Sorgfalt erkennen müssen, dass die Gegenseite in Schwierigkeiten steckt, kann er sich in der Folge nicht auf die Verschlechterungseinrede berufen. Diese Regelung war an der Konferenz recht umstritten.

In diesem Zusammenhang stellt sich überdies die Frage nach dem Zusammenspiel zwischen den nationalen Anfechtungsregeln wegen Irrtums einerseits und der Verschlechterungseinrede nach dem Wiener Übereinkommen andererseits.

Zu fragen ist, ob sich eine Partei nur auf Artikel 71 Absatz l oder daneben auch auf die Irrtumsregelungen des nationalen Rechts berufen kann. An sich führt die erfolgreiche Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums - zumindest aus schweizerischer Sicht - zu dessen Nichtigkeit.

Damit wird eine Frage berührt, die sicher nicht in den Geltungsbereich des Übereinkommens fällt. Hingegen enthält das Übereinkommen eine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass sich die eine Partei bei Vertragsschluss über die Leistungsfähigkeit der anderen geirrt hat; die Sanktion des Übereinkommens besteht vorerst lediglich in einem Rückbehaltungsrecht, falls die sich irrende Partei vorleistungspflichtig war. Daraus ist wohl zu schliessen, dass man sich im Falle eines Irrtums über die Leistungsfähigkeit der Gegenpartei neben dem Übereinkommen nicht auch noch auf nationale Rechtsbehelfe berufen kann.

Andere Mängel, die zur Anfechtung des Vertrages führen können, wie etwa absichtliche Täuschung oder Furchterregung, dürften demgegenüber dem nationalen Recht unterstellt sein.

Artikel 71 Absatz 2 behandelt gesondert den Fall des Vorleistungspflichtigen Verkäufers, der die Ware abgesandt hat, bevor sich die in Absatz l erwähnten Gründe herausgestellt haben. Der Verkäufer kann sich demnach der Übergabe der Ware an den Käufer widersetzen, selbst wenn dieser bereits ein Dokument besitzt, das ihn zur Verfügung über die Ware berechtigt. Das Recht des Verkäufers, die Lieferung zu stoppen, setzt notwendigerweise voraus, dass der Käufer die Ware noch nicht angenommen hat. Das Stoppungsrecht, das dem «right to stoppage in
transitu» des anglo-amerikanischen Rechts nachgebildet ist, wirkt nur zwischen Käufer und Verkäufer. Allfällige Ansprüche, die dem Käufer aufgrund des Frachtvertrags gegenüber dem Beförderer zustehen, bleiben vom Stoppungsrecht unberührt.

Der letzte Absätzen .Artikel 71 setzt sich mit den Folgen des Rückbehaltungsrechts auseinander. Danach muss die Partei, die die Ware zurückbehält, der anderen die Tatsache in einer absendebedürftigen Mitteilung anzeigen. Bietet die ändere Partei genügende Sicherheit, dass sie ihre Pflichten erfüllen werde, so fällt die Berechtigung zum Aussetzen dahin. Dem Sekretariatsbericht (a.a.O., S. 57, N 13) kann entnommen werden, dass entweder für die eigentliche Erfüllung des Vertrages Gewähr bestehen muss oder für allfällige Schadenersatzansprüche des Gläubigers bei Nichterfüllung. Schwierigkeiten bietet die Frage, ob die zurückbehaltende Partei bloss ihre Vorleistung aussetzen oder ob sie auch mit Vorbereitungshandlungen zuwarten darf. Nach Ziel und Zweck der Verschlechterungseinrede dürfte an sich nur die Leistung selber zurückbehalten 817

werden, während für die sonstigen Vertragspflichten Vorkehren für eine vertragsgemässe Leistung selber getroffen werden müssten. Der Bericht des UNCITRAL-Sekretariates (a.a.O. S.56, N 8) hält demgegenüber ausdrücklich fest, dass die berechtigte Partei nicht nur die Leistung als Sicherheit zurückbehalten darf, sondern dass sie auch von der Gefahr vergeblicher Aufwendungen für die Leistungsvorbereitung entlastet werden soll.

Das Rückbehaltungsrecht hat zur Folge, dass die Vorleistungspflicht des Gläubigers - z.B. des Verkäufers - dahinfällt. Damit steht der Gegenpartei (dem Käufer) auch kein Anspruch wegen Nichterfüllung zu. Leistet der Schuldner (z. B. der Käufer) in der Folge die gewünschte Sicherheit und beendet er somit den Schwebezustand, so erlangt die Leistungspflicht des Gläubigers (des Verkäufers) wiederum volle Geltung. Die durch die Zurückbehaltung bewirkte Verzögerung und Überschreitung des Fälligkeitstermins berechtigt den anderen nicht, vom Gläubiger Verzugsschaden zu verlangen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Fälligkeitstermin um die durch das Zurückbehaltungsrecht bewirkte Zeitspanne verlängert.

Kann der Schuldner keine ausreichende Sicherheit für die Erfüllung seiner Pflichten bieten, so wird nach Ablauf einer angemessenen Frist ein antizipierter Vertragsbruch vorliegen (Art. 72); er berechtigt den Gläubiger zur Aufhebung des Vertrages. Dies dürfte auch dann der Fall sein, wenn die Leistungsunfähigkeit zwar für einen wesentlichen Teil der vertraglichen Pflichten angenommen wird, ohne dass zugleich ein wesentlicher Vertragsbruch gegeben wäre. Durch Fristablauf dürfte das Bedürfnis zur Unterscheidung zwischen den beiden Voraussetzungstatbeständen entfallen.

Abschliessend bleibt zu erwähnen, dass der Gläubiger sein Rückbehaltungsrecht auf eigenes Risiko ausübt. Der Schuldner darf auf der Vorleistung bestehen und die ihm zustehenden Rechte ausüben. Erst wenn dies geschehen ist, wird der Gläubiger beurteilen können, ob sein Zurückbehalten nach Artikel 71 begründet war.

235.12

Antizipierter Vertragsbruch

Ähnlich wie im schweizerischen Recht bietet auch das Übereinkommen dem Gläubiger unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten. Nach dem Übereinkommen setzt die Aufhebung des Vertrages voraus, dass die Gegenpartei offensichtlich einen wesentlichen Vertragsbruch begehen wird (Art. 72 Abs. 1). Dass die Partei vorgangig ihre Leistung-zurückbehält, ist nicht notwendig.

~ Zu dieser Bestimmung sind drei Bemerkungen anzubringen: Als erstes fällt auf, dass der Rücktritt vom Vertrag unabhängig vom Rückbehaltungsrecht ausgestaltet ist. Anders im schweizerischen Recht, wo Artikel 83 OR in enger Wechselwirkung zwischen Zurückbehaltung (Abs. 1) und Rücktritt (Abs. 2) letzteren als Folge der fehlenden Sicherheitsleistung im Anschluss an das Zurückbehalten der Leistung vorsieht. Wie bereits bemerkt, kann nach dem Übereinkommen der Vertrag auch aufgehoben werden, ohne dass die rücktrittswillige Partei vofgängig ihre Leistung zurückbehalten hat. In der Praxis wird je818

doch in vielen Fällen vor der Vertragsaufhebung die mildere Sanktion des Zurückbehaltens ergriffen werden, so dass sich auch nach dem Übereinkommen ein ähnlich enger Zusammenhang zwischen Verschlechterungseinrede und Rücktrittsrecht ergeben wird wie in unserer Rechtsordnung.

Als zweites bemerkt man, dass beim Rücktritt nach Artikel 72 - im Unterschied zum Rückbehaltungsrecht nach Artikel 71 - die Leistungsunfähigkeit dem Umfange nach den Anforderungen von Artikel 25 genügen muss. Wie bereits ausgeführt (vgl. Ziff. 235.11), dürfte indessen die Unterscheidung zwischen drohender wesentlicher Vertragsverletzung (Art. 72) und drohender Verletzung eines wesentlichen Teils der Vertragspflichten (Art. 71) nur schwer durchführbar sein.

Schliesslich umschreibt das Übereinkommen die Voraussehbarkeit des Vertragsbruchs in den Artikeln 71 und 72 mit unterschiedlichen Begriffen. Während sich die Leistungsunfähigkeit nach Artikel 71 bloss «herausstellen» muss, bedarf es nach Artikel 72 ihrer «Offensichtlichkeit». Verschiedene Autoren haben aber verneint, dass sich aus der unterschiedlichen Formulierung auch eine unterschiedlich starke Evidenz ergeben müsse (vgl. etwa Schlechtriem P., a.a.O., S. 89).

Man stellt somit fest, dass sich trotz der im Übereinkommen bestehenden Unterschiede zwischen Rückbehaltung und Rücktritt in der Anwendung gegenüber dem OR praktisch keine nennenswerten Differenzen ergeben dürften.

Die Absätze 2 und 3 von Artikel 72 behandeln die zwei Erscheinungsformen des antizipierten Vertragsbruches, nämlich den Fall, in dem die Umstände eine bevorstehende Vertragsverletzung offensichtlich erscheinen lassen (Abs. 2), und den Fall, in dem die Gegenpartei ausdrücklich erklärt, dass sie nicht erfüllen werde (Abs. 3).

Während die Weigerung der einen Partei, den Vertrag zu erfüllen (Abs. 3), der Gegenpartei das sofortige Recht gibt, den Vertrag aufzulösen, ist in den anderen Fällen eine nur zugangsbedürftige Anzeige notwendig. Allerdings braucht die Gegenpartei nicht in jedem Fall anzuzeigen, dass sie den Vertrag aufheben wolle. Sie ist dazu verpflichtet, «wenn es die Zeit erlaubt und es nach den Umständen möglich ist». Die Anzeige räumt der anderen Partei die Möglichkeit ein, für die Erfüllung ihrer Pflichten ausreichende Sicherheit zu geben. Die Gewährleistung hat sich daher nicht nur auf die
eigentliche Leistung zu beziehen, sondern auch auf die Ansprüche des Gläubigers im Falle der Nichterfüllung des Vertrages.

Artikel 72 schweigt sich darüber aus, ob die auflösende Vertragspartei Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Unseres Erachtens wäre dies zumindest dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen nach den Artikeln 74-77 vorliegen.

Hingegen vermag die Tatsache der Vertragsaufhebung allein noch keine Schadenersatzpflicht auszulösen.

235.13

Sukzessivlieferungsverträge

Artikel 73 trägt den besonderen Verhältnissen Rechnung, die sich aus antizipierten Leistungsstörungen in Sukzessivlieferungsverträgen ergeben. Die Sonderbestimmungen kommen nur bei echten Verträgen über aufeinander folgende 819

Lieferungen zum Tragen. Demnach müssen mehrere Lieferungen in zeitlichem Abstand vereinbart sein, so dass gegenwärtige und zukünftige Leistungen klar unterschieden werden können. Ferner müssen diese Einzellieferungen gegenüber dem Gesamtvertrag selbständig sein. Der Zeitpunkt für jede einzelne Teillieferung kann zum voraus festgesetzt sein oder von der einen Partei bestimmt werden (Kauf auf Abruf). Damit ist klargestellt, dass Abzahlungsverträge nicht unter den Begriff der Sukzessivlieferungsverträge fallen.

Artikel 73 Absatz l bekräftigt den sich aus Artikel 72 ergebenden Grundsatz: Begeht eine Partei durch Nichterfüllung einer Teillieferung einen wesentlichen Vertragsbruch, so kann die andere Partei den Vertrag in bezug auf diese Teillieferung aufheben. Die Aufhebung erfolgt durch eine absendebedürftige Mitteilung. Unter Umständen kann die Nichterfüllung einer Teillieferung die verletzte Partei auch berechtigen, den Vertrag für alle zukünftigen Teillieferungen oder sogar den gesamten Vertrag ex tunc aufzuheben. Die Absätze 2 und 3 behandeln die diesbezüglichen Voraussetzungen.

Danach setzt die Aufhebung des Vertrages für die Zukunft voraus, dass durch die Pflichtverletzung bezüglich einer Teillieferung die eine Partei der anderen «einen triftigen Grund zur Annahme» gegeben hat, auch für die künftigen Teillieferungen sei ein wesentlicher Vertragsbruch zu erwarten. Damit stellt sich wiederum die Frage, ob der Massstab für die Voraussehbarkeit künftiger wesentlicher Vertragsverletzungen in Artikel 73 ein anderer ist als in Artikel 72.

Die Verschlechterungseinrede (Art. 71) setzt voraus, dass sich nach Vertragsschluss die Nichterfüllung eines wesentlichen Teils der Vertragspflichten - welche nota bene nicht einen wesentlichen Vertragsbruch nach Artikel 25 bewirken muss - «herausstellt», während für das Aufhebungsrecht «offensichtlich» sein muss, dass die Partei einen wesentlichen Vertragsbruch begehen werde. Bedeutet also der «triftige Grund zur Annahme» eine Minderung der Evidenz gegenüber der Offensichtlichkeit? Wie zuvor erwähnt, dürfte schon die unterschiedliche Formulierung in den Artikeln 71 und 72 keinen graduellen Unterschied in der Evidenzschwelle bewirken. Daraus folgt aber, dass dies umso weniger im Verhältnis zwischen den Artikeln 72 und 73 der Fall sein darf. Immerhin bewirkt die
Verschlechterungseinrede lediglich eine Sistierung in der Vertragsabwicklung, während sowohl Artikel 72 wie auch Artikel 73 zur Vertragsaufhebung führen. Es wäre demnach stossend, wenn bei Sukzessivlieferungsvertfägen eine weniger klare und deutliche Einschätzung der Lage genügen dürfte, um den Vertrag für die Zukunft aufzuheben. Demnach ist für alle drei Bestimmungen davon auszugehen, dass die Einschätzung der Lage durch eine vernünftige Person in vergleichbaren Umständen als Massstab zu dienen hat. Die Aufhebung des Vertrages für die Zukunft setzt ferner voraus, dass die berechtigte Person die entsprechende Erklärung innerhalb einer angemessenen Frist abgibt.

Nach Artikel 73 Absatz 3 kann der Käufer den Vertrag auch rückwirkend aufheben, wenn die erfolgten Lieferungen wegen des zwischen den einzelnen Teillieferungen bestehenden Zusammenhanges nicht mehr für den beabsichtigten Zweck verwendet werden können. Der Text spricht dabei vom Zweck, «den die Parteien im Zeitpunkt des Vertragssehlusses in Betracht gezogen haben». DarL aus ist zu schliessen, dass der Verkäufer um diesen Zusammehang zwischen den einzelnen Teilleistungen bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wissen 820

musste oder hätte wissen müssen. Auch scheint unbestritten, dass es dem Käufer obliegen dürfte, die Kenntnis oder das pflichtwidrige Nichtwissen des Verkäufers nachzuweisen.

Obwohl sich Absatz 3 darüber ausschweigt, wird die ex tunc-Auflösung des Vertrages durch den Käufer innerhalb angemessener Frist auf Anzeige hin erfolgen müssen.

235.2

Schadenersatz

Die vier Bestimmungen über den Schadenersatz behandeln den Grundsatz und die Voraussetzungen für seine Geltendmachung (Art. 74), die Berechnungsarten bei Vertragsaufhebung (Art. 75 und 76) sowie die Schadensminderungspflicht (Art. 77).

235.21

Grundsatz

Artikel 74 verpflichtet die Partei, die eine Vertragsversetzung begeht, der anderen den daraus entstandenen Verlust, einschliesslich des entgangenen Gewinns, zu ersetzen. Wie schon das Haager Einheitliche Kaufrecht, geht auch das Wiener Übereinkommen vom Geldersatz aus. Seine Formulierung ist knapp und gibt zu etlichen Fragen nur indirekt eine Antwort. Als erstes fällt auf, dass die Schadenersatzpflicht ungeachtet der Natur und der Schwere einer Vertragsverletzung statuiert wird; eine unterschiedliche Regelung ist nicht vorgesehen. Die Voraussetzungen für den Schadenersatz sowie die Art der Schadensberechnung bleiben unverändert, gleichgültig, ob als Vertragsverletzung eine Nicht- oder Schlechterfüllung oder ein Verzug vorliegt. Diese einheitliche Konstruktion vereinfacht die Anwendung des Übereinkommens wesentlich. Es schweigt sich zwar über den Begriff des Schadens sowie über die einzelnen Voraussetzungen zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs aus, doch kann beides aus dem Text abgeleitet werden. Da das Übereinkommen nicht nur den entstandenen Verlust ersetzt wissen will, sondern auch den entgangenen Gewinn, kann der Schaden als Differenzgrösse verstanden werden. Darunter wird man die Vermögenseinbusse zwischen dem im massgebenden Zeitpunkt wirklich vorhandenen Vermögen eines Rechtssubjektes und dem zu ermittelnden Betrag verstehen, den dieses Vermögen aufweisen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs setzt die Verknüpfung zwischen Vertragsbruch einerseits und Schadenersatzpflicht andererseits voraus. Demnach bedarf es der Verletzung einer Vertragspflicht, wie sie sich entweder aus dem Vertrag selber oder aus dem Übereinkommen ergibt.

Ferner muss zwischen der Vertragsverletzung und dem geltend gemachten Schaden ein kausaler Zusammenhang bestehen, d.h. die Vertragsverletzung kann nicht weggedacht werden, ohne dass der Schaden dähinfällt. Rechtsprechung und Praxis werden für die Bejahung einer Schadenersatzpflicht nicht jeden Kausalzusammenhang genügen lassen. Zwar weist der Wortlaut von Artikel 74 erster Satz, auf den reinen Bedingungszusammenhang hin, doch wird die notwendige Abschwächung im Sinne eines adäquaten Kausalzusammenhanges 821

durch das Erfordernis des vorhersehbaren Schadens erreicht (Art. 74 zweiter Satz). Über Verschulden und Exkulpation des Schadenersatzpflichtigen finden sich in diesem Abschnitt keine Bestimmungen; darüber gibt der übernächste Abschnitt Auskunft (Art. 79 und 80).

235.22

Berechnung der Schadenshöhe

Das schweizerische Recht, ausgehend von der Differenzhypothese, kennt im vertraglichen Schadenersatzrecht die Unterscheidung zwischen positivem Vertragsinteresse oder Erfüllungsschaden einerseits und negativem Vertragsinteresse oder Vertrauensschaden andererseits. Während die erste Methode von der Fragestellung ausgeht, wie hoch das Vermögen des Geschädigten wäre, wenn der Vertrag ordnungsgemäss erfüllt worden wäre, stellt die zweite Methode auf die Finanzlage des Geschädigten ab, die bestehen würde, falls er den fraglichen Vertrag überhaupt nie abgeschlossen hätte. Grundsätzlich wird der Schaden nach dem Erfüllungsinteresse berechnet. Ein Ersatz nach dem negativen Vertragsinteresse ist demgegenüber nur in bestimmten Fällen möglich, nämlich dann, wenn der Vertrag nicht oder nicht mehr abgewickelt werden soll (beispielsweise bei culpa in contrahendo oder bei Vertragsabschluss durch einen vollmachtlosen Stellvertreter). Beim negativen Vertragsinteresse können die Kosten des Vertragsschlusses, die Aufwendungen im Hinblick auf die Abwicklung des Vertrages und die Schädigung bei Erbringung der eigenen oder bei Entgegennahme der fremden Leistung geltend gemacht werden. Demgegenüber ümfasst das positive Vertragsinteresse sowohl den wirklich erlittenen Schaden (damnum emergens) wie auch den entgangenen Gewinn (lucrum cessans). Als entgangen darf nur derjenige Gewinn betrachtet werden, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vom Geschädigten mit Wahrscheinlichkeit erlaubterweise erzielt worden wäre. Im kaufmännischen Verkehr kann überdies die verletzte Partei den Schaden auch nach folgender Berechnungsmethode vornehmen: Als Käufer kann sie einen Deckungskauf, als Verkäufer einen Selbsthilfeverkauf vornehmen und dabei die Differenz zwischen dem aufgewendeten beziehungsweise erzielten Kaufpreis und dem vertraglich vereinbarten Preis geltend machen (konkrete Berechnungsmethode) Hat die Ware einen Markt- oder Börsenpreis, oder zumindest einen Käuflichkeitspreis, so sind weder Deckungskauf noch Selbsthilfeverkauf nötig. Anstelle der konkreten kann in diesen Fällen eine abstrakte Berechnung Platz greifen (vgl. Art. 191 Abs. 2 und 3 OR). Unseres Erachtens kann die konkrete wie die abstrakte Berechnungsmethode analog auch bei Verträgen im nicht-kaufmännischen Verkehr angewendet werden.

Artikel 74 erster Satz,
des Übereinkommens setzt als Massstab für die Schadensberechnung den Ersatz für den entstandenen Verlust, einschliesslich des entgangenen Gewinns, fest. Daraus ist zu schliessen, dass das Übereinkommen vom positiven Vertragsinteresse ausgeht. Die Möglichkeit, angesichts des Wortlautes von Artikel 74 erster Satz, den Ersatz des Vertrauensschadens zu verlangen, dürfte hingegen nicht bestehen. Daraus kann sich für die verletzte Partei gegenüber dem schweizerischen Recht eine Schlechterstellung ergeben.

Eine bedeutungsvolle Einschränkung enthält zweiter Satz von Artikel 74. Danach sind nur solche Schäden ersatzfähig, die die Vertragsbrüchige Partei im 822

Zeitpunkt des Vertragsschlusses als mögliche Folge einer Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder hätte voraussehen müssen. Diese Einschränkung war nötig, weil das Übereinkommen grundsätzlich den reinen Bedingungszusammenhang genügen lässt, um eine Schadenersatzpflicht auszulösen.

Die Lösung ist dem Haager Einheitlichen Kaufrecht entnommen und hat sich dort bewährt (vgl. Art. 82 EKG). Demnach ist zwar grundsätzlich der volle Schaden zu ersetzen, der durch den Vertragsbruch entstanden ist, aber der Schädiger muss nicht für alle möglichen nachteiligen Folgen einstehen, die sich aus der Vertragsverletzung ergeben könnten. Die Grenze zwischen ersatzfähigem und nicht mehr zu ersetzendem Schaden verläuft dort, wo die geschädigte Partei nicht mehr berechtigt scheint, den eingetretenen Verlust auf den schädigenden Teil zu überwälzen. Als Massstab dieser Abgrenzung dient beim Haager Einheitlichen Kaufrecht wie auch beim Wiener Übereinkommen die Voraussehbarkeit des Schadens. Zu prüfen bleibt noch, aus der Sicht welcher Partei die Voraussehbarkeit zu beurteilen ist, worauf sie sich zu beziehen hat und zu welchem Zeitpunkt sie gegeben sein muss. Nach dem Wortlaut kommt es auf die Voraussehbarkeit durch die verletzende Partei oder allenfalls, an ihrer Stelle, auf eine vernünftige Person in gleicher Lage an; die Voraussehbarkeit aus der Sicht der verletzten Partei kann eine Auslegungshilfe sein, darf aber nicht ohne weiteres anstelle der Erwartungen der schädigenden Partei treten. Die Voraussehbarkeit muss sich auf den Schaden beziehen oder, genauer, auf Tatsachen, welche die Höhe des Schadens beeinflussen. Unseres Erachtens muss sie auch den Kausalzusammenhang zwischen den Tatsachen, die den Schaden begründen und die Höhe beeinflussen, mitumfassen. Massgeblicher Zeitpunkt der Voraussehbarkeit ist der Vertragsschluss und nicht der Zeitpunkt der Vertragsverletzung. Dies kann unter Umständen zu Härten führen; ein einheitlicher Massstab ist aber im Interesse einer klaren Regel unumgänglich. Für die Auslegung von Artikel 74 des Übereinkommens wird die Praxis zu Artikel 82 EKG herangezogen werden können. Insbesondere wird man auf die Fallgruppen der Verkäuferhaftung abstellen dürfen, die dort - auf Ernst Rabel zurückgehend - gebildet worden sind (vgl. Dolle H., a.a.O., vor Art.82-89, N.61 ff.).

Festzuhalten ist
somit, dass die Schadenersatzpflicht nicht nur den unmittelbaren Schaden umfasst, sondern auch den mittelbaren sowie - in beschränktem Rahmen - den Mängelfolgeschaden. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf Artikel 5 des Übereinkommens hinzuweisen, wonach für die Haftung des Verkäufers für den durch die Ware verursachten Tod oder die Körperverletzung einer Person (Produktehaftpflicht) das Übereinkommen keine Anwendung findet.

Die Schadenersatzpflicht findet ihre Grenze bei Schäden, die für die verletzende Partei bei Vertragsschluss unter Berücksichtigung aller Umstände als Folge des Vertragsbruchs nicht vorhersehbar waren. Man vergleiche dieses Ergebnis mit der Umschreibung des adäquaten Kausalzusammenhangs im Sinne der schweizerischen Doktrin. Danach erscheint eine Vermögenseinbusse, die zu ersetzen ist, nur dann als Folge eines Ereignisses und ein Ereignis nur dann als Ursache des Erfolges, wenn ein solches Ereignis allgemein geeignet ist, einen derartigen Erfolg herbeizuführen, und wenn ein Dritter nach allgemeiner Lebenserfahrung und bei Kenntnis aller Umstände die Möglichkeit des Schadens823

eintritts hätte voraussehen können (Guhl/Merz/Kummer, a.a.O., S.62). Obwohl in den beiden Rechtsordnungen die Zuordnung der Risikoverteilung verschieden gelöst wird - im Übereinkommen über die Vorhersehbarkeit des Schadens, im ÖR über die Adäquahz des Kausalzusammenhangs - dürfte unseres Erachtens die Regelung des Übereinkommens im Ergebnis mit der bündesgerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmen.

235.23

Schadensberechnung bei Vertragsauflösung

Die Artikel 75 und 76 betreffen die Schadensberechnung, wenn der Vertrag aufgehoben wird. Artikel 75 enthält die Umschreibung der konkreten Berechnungsmethode, Artikel 76 die der abstrakten. Hierfür kann vollumfänglich auf die schweizerische Doktrin verwiesen werden. Bei Artikel 75 sind vor allem zwei Punkte zu erwähnen: Zum einen ist ausdrücklich festgehalten, dass neben der Differenz zwischen dem erzielten beziehungsweise bezahlten Preis und dem vertraglich vereinbarten Preis jeder weitere Schaden nach Artikel 74 verlangt werden kann; zum arideren gilt als Zeitpunkt für die Schadensberechnung die Vornahme des Deckungskaufes beziehungsweise des Selbsthilfeverkaufes, vorausgesetzt, das Geschäft werde «in angemessenen Weise und innerhalb eines angemessenen Zeitraumes» vorgenommen.

Wie bereits bemerkt, lässt Artikel 76 die abstrakte Berechnungsmethode ;zu, allerdings nur dann, wenn tätsächlich kein Deckungskauf oder Selbsthilfeverkauf getätigt worden ist. Auch hier ist festgehalten, dass über die abstrakt berechnete Differenz hinaus jeder weitere Schaden nach Artikel 74 geltend gemacht werden kann. Beachtenswert ist die Regelung über den für die Berechnung massgebenden Zeitpunkt. Während für die Bestimmung des Marktpreises nach OR generell auf den vertraglich vorgesehenen Erfüllungszeitpunkt abgestellt wird, gilt im Übereinkommen der Zeitpunkt der Aufhebungserklärung; aber für den Fall, dass die Vertragsaufhebung erst nach Übernahme der Ware erklärt wird, ist der Zeitpunkt der Wärenübernahme massgebend.

Artikel 76 Absatz 2 enthält eine Umschreibung des Marktpreises und weist keine nennenswerten Abweichungen zum schweizerischen Recht auf.

235.24

Schadensminderungspf licht

Im schweizerischen Recht tritt eine Ermässigung oder Aufhebung der Schadenersatzpflicht ein, wenn Umstände, für die der Geschädigte einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt qder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonstwie erschwert haben (Art. 99 Abs. 3 i.V.m. Art. 44 Abs. l ÓR). 'Eine ähnliche Schadensminderungspflicht sieht auch das Übereinkommen Vor. Demnach hat die geschädigte Partei alle angemessenen Massnahmen zur Verringerung des Verlustes vorzukehren (Art. 77). Versäumt sie es, so kann die schädigende Partei eine entsprechende Herabsetzung des Schadenersatzes verlangen. Obwohl aus dem Wörtlaut nicht ersichtlich, ürnfässt die Pflicht des Geschädigten nicht nur Massnahmen zur Verminderung, sondern auch zur Verhinderung des Schadens. Versäumt die verletzte Partei die Scha824

densminderungspflicht, so kann die Vertragsbrüchige Partei Herabsetzung des Schadenersatzes verlangen. Daraus ergibt sich, dass dem Schadenersatzpflichtigen kein Anspruch darauf zusteht, vom Geschädigten die Einhaltung der Schadensminderungspflicht zu verlangen. Vielmehr besteht für den Schädiger nur die Möglichkeit, eine entsprechende Reduktion seiner Schuld geltend zu machen. Ob eine Verletzung der Schadensminderungspflicht bejaht werden kann, bestimmt sich nach den Umständen im Zeitpunkt der Vertragsverletzung.

235.3

Zinsen

Unter Zinsen versteht man die Vergütung, die für das Gewähren oder Vorenthalten einer Geldsumme, eines Kapitals, zu entrichten ist, sofern jenes Entgelt nach der Zeit und als Quote des Kapitals berechnet wird. Im Zweifel beträgt die Zeitspanne ein Jahr (vgl. Guhl/Merz/Kummer, a.a.O., S. 81). Aus der Sicht des schweizerischen Rechts bedarf die Zinspflicht grundsätzlich einer vertraglichen Abrede. Nur bei einzelnen Rechtsinstituten lässt das ÒR die Zinspflicht unabhängig vom Willen der Parteien entstehen. Im Kaufrecht spielt nur der Verzügszins eine Rolle. Als Zinsfuss bestimmt Artikel 73 OR mangels abweichender Übung 5 Prozent. Der Zins gilt als Nebenleistung und, daraus resultierend, als akzessorisches Recht. Demnach sind beispielsweise Zinsansprüche zusammen mit der Kapitalforderung geltend zu machen; sie gehen grundsätzlich zusammen mit der Kapitalforderung unter.

Bestimmungen über die Zinspflicht waren an der Wiener Konferenz äusserst umstritten. Die Vorbehalte gegen eine Regelung der Zinspflicht reichten von grundsätzlicher Ablehnung einer Zinspflicht überhaupt bis zum Einwand, der Zins könne als entgangene Kapitalnutzung unter dem Titel des Schadenersatzes eingefordert werden. Schliesslich konnte man sich auf eine grundsätzliche Festlegung der Zinspflicht einigen, ohne dass aber Artikel 78 nähere Anhaltspunkte über den Zinssatz liefert. Artikel 78 bewirkt, dass die Zinspflicht ungeachtet eines Schadenersatzanspruches zu bejahen ist, also auch dann besteht, wenn sich die schädigende Partei aufgrund von Artikel 79 exkulpieren kann. Für den Zinssatz wie für alle übrigen Einzelheiten der Zinszahlungspflicht wird man mangels Angaben im Überemkommen auf das Recht des angerufenen Richters abstellen Bussen, Diese Situation vermag kaum zu befriedigen ; den Parteien ist anzuraten^ hierüber vertragliche Vereinbarungen zu treffen. Soweit kein Exkul-p'ätionsgrund nach Artikel 79 vorliegt, kann die geschädigte Partei den Zins über die Schadenersatzbestimmungen einzufordern suchen und für die Höhe des Zinssatzes auf den tatsächlich erlittenen Schaden verweisen. Daraus folgt, dass sich die Höhe des Zinssatzes nach dem Rechte am Ort richten wird, an dem die geschädigte Partei den fälligen Betrag hätte erhalten sollen. Tritt jedoch ein Befreiungsfall ein, so bleibt ihr nur der Weg über das vom internationalen Privatrecht für anwendbar erklärte nationale Recht.

825

235.4

Befreiungen

235.41

Grundsatz

Artikel 79 bezweckt, die Exkulpationsmöglichkeit des Schuldners für das gesamte Gebiet der Leistungsstörungen in Form einer Generalklausel zusammenzufassen. Er geht dabei vom Begriff der Nichterfüllung einer Pflicht aus und gibt an, unter welchen Voraussetzungen eine Partei für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten einzustehen hat. Bei diesen Pflichten kann es sich um eine Haupt- oder Nebenpflicht handeln oder auch lediglich um eine Obliegenheit.

Unerheblich ist, ob sich diese Pflicht direkt aus dem Vertrag selber ergibt oder aus dem Übereinkommen. Bei der Nichterfüllung kann es sich um eine anfängliche oder nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung, um Schlechterfüllung oder Verzug handeln. Jedes vorübergehende oder dauernde Zurückbleiben hinter der vertraglichen Leistung ist geeignet, dem Schuldner die Befreiungsmöglichkeit nach Artikel 79 zu eröffnen.

Die Exkulpation wird bejaht, wenn das Unvermögen des Schuldners auf einem Hinderungsgrund beruht, der ausserhalb seines Einflussbereiches liegt. Der Schuldner hat aber nicht nur diesen Beweis zu tragen, sondern gleichzeitig darzutun, dass von ihm vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss zu erwägen oder, als er auftrat, ihn mit vernünftigem Aufwand zu vermindern oder zu überwinden.

Nachfolgend werden die drei Elemente der Befreiung - Nichterfüllung einer Pflicht, Hinderungsgrund und Beweislast - näher erläutert.

a. Nichterfüllung einer Pflicht Wie bereits ausgeführt, geht das Übereinkommen bei den Leistungsstörungen einzig vom Begriff des Vertragsbruchs aus und kennt im Gegensatz zum schweizerischen Recht keine gesonderten Bestimmungen über nicht gehörige Erfüllung, Verzug, Sach- und Rechtsmängel (vgl. Ziff. 232.4). Entsprechend umfasst der Vertragsbruch sämtliche Vertragsverletzungen in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hinsicht.

Auch die Exkulpation geht - analog zum einheitlichen Begriff des Vertragsbruchs - nur von der Nichterfüllung einer Pflicht aus und versteht darunter sowohl die fehlende wie auch die schlechte Erfüllung irgendeiner vertraglichen oder einer anderen Pflicht, die sich direkt aus dem Übereinkommen ergibt. Der Begriff der Pflicht ist weit auszulegen und umfasst alle Verpflichtungen des Schuldners, so auch Mitteilungs-, Obhuts- und Sorgfaltspflichten.

Jede mangelnde
Konformität der Ware im Sinne von Artikel 35 des Übereinkommens, jedes Abweichen von Ort und Zeit der Vertragserfüllung genügt, um die Haftung des einen Vertragspartners, aber gleichzeitig seine Entlastungsmöglichkeit zu begründen.

Aus diesem umfassenden Verständnis von Vertragspflicht, Nichterfüllung und Exkulpation heraus ergeben sich einige heikle Abgrenzungsprobleme. So ist z.B. davon auszugehen, dass Artikel 79 die anfängliche und die nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung gleich behandelt. Bei anfänglich unmöglicher Leistung wird sorgfältig zu prüfen sein, ob der Schuldner nicht stillschweigend 826

eine Garantie des Inhalts übernommen hat, dass er die Hinderungsgründe überwinden werde. Trifft dies zu, so gehört die Beschaffung der Ware trotz bestehender Hindernisse zur Vertragspflicht, und der Schuldner wird sich nicht exkulpieren können. Eine solche Garantie dürfte vorhanden sein, wenn dem Schuldner die Umstände für eine Unmöglichkeit der Leistung bei Vertragsschluss hätten bekannt sein müssen.

Hinsichtlich der Nichterfüllung anfänglich unmöglicher Leistungen wird die Anwendung des Übereinkommens Schwierigkeiten bieten, wenn die Unmöglichkeit eine anfänglich objektive ist. Solche Verträge sind aus der Sicht des schweizerischen Rechts (Art. 20 OR), aber auch nach zahlreichen anderen Rechtsordnungen nichtig. Ob über eine anfänglich objektiv unmögliche Leistung ein gültiger Vertrag abgeschlossen werden kann, regelt das Übereinkommen indessen nicht, wohl aber die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Schuldner sich von der Haftung befreien kann. Damit fragt sich, ob ein schweizerischer Schuldner, dem der Exkulpationsbeweis nach Artikel 79 misslingt, die Nichtigkeit des Vertrages nach Artikel 20 OR anrufen kann. Nach Artikel 4 wird die Gültigkeit von Verträgen vorn Übereinkommen ausgeschlossen, «soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist». Eine derartige ausdrücklich anderslautende Regelung dürfte in Artikel 79 auch bei extensiver Auslegung nicht erblickt werden können. Man wird aber argumentieren können, mit dem Vorbehalt der Gültigkeit seien nur die zwingenden Normen gemeint, die aus Gründen des internen Ordre public einem Vertrag die Entfaltung seiner Wirkungen versagen. Demnach könnte ein Vertrag, der dem Übereinkommen unterliegt, nur dann für nichtig erklärt werden, wenn den geltend gemachten Nichtigkeitsgründen im Sinne von Artikel 20 OR Ordre public-Charakter zukäme. Soweit erkennbar, hat sich das Bundesgericht zur Frage, ob dem Nichtigkeitsgrund der anfänglich objektiv unmöglichen Leistung im Sinne von Artikel 20 OR Ordre public-Charakter zukommt, nie ausgesprochen.

Denkbar wäre auch, Artikel 20 OR als Interpretationsregel zu verstehen, die nur dann zum Tragen kommt, wenn die Parteien nichts Gegenteiliges vereinbart haben. Eine derartige stillschweigende Vereinbarung läge immer vor, wenn die Anwendungsvoraussetzungen des Wiener Übereinkommens erfüllt sind.

b. Hinderungsgründe
Das Übereinkommen sieht davon ab, die Hinderungsgründe näher zu umschreiben; es beschränkt sich darauf, die Lokalisierung des Hinderungsgrundes anzugeben. Er muss sich ausserhalb des Einflussbereiches des Schuldners befinden.

Ist dies der Fall, so kann nach Artikel 79 Absatz l dem Schuldner die Exkulpationsmöglichkeit unter zwei Prämissen gleichwohl verwehrt sein: Einmal dann, wenn das Hindernis beim Vertragsschluss für ihn vernünftigerweise zu berücksichtigen oder ihm sogar bekannt war, ferner dann, wenn man von ihm erwarten konnte, dass er das Hindernis oder seine Folgen vermeiden oder überwinden werde. Die Schwierigkeit wird darin liegen, im Einzelfall den Einflussbereich des Schuldners abzugrenzen. Dies hängt von der vertraglichen Ausgestaltung, insbesondere davon ab, wieweit der Schuldner entsprechende Garantien übernommen hat. Sehr oft wird der ausdrückliche oder stillschweigende Parteiwille keine genügenden Anhaltspunkte geben können, um den Verantwortungs827

bereich des Schuldners genügend zu konkretisieren. Als Ausweg bleibt dann die Berücksichtigung dessen, was eine vernünftige Person in vergleichbarer Lage garantiert hätte. Daraus lassen sich einige Richtlinien ableiten: - Zunächst ist festzuhalten, dass jede schuldhafte Verletzung einer vertraglichen Pflicht im Einflussbereich des Schuldners liegt.

- Sodann gilt grundsätzlich jedes Ereignis, das innerhalb der vom Schuldner beherrschbaren Sphäre auftritt, als in seinem Einflussbereich liegend, ohne Rücksicht darauf, ob ihn ein Verschulden trifft oder nicht. Dahinter steht die Überlegung, dass der Schuldner in zumutbarer Weise Kontrollen vornehmen und dadurch Hinderungsgründe abwenden kann. In Grenzfällen, etwa einem Streik im Betrieb des Schuldners, werden genauere Abklärungen anhand der konkreten Umstände unumgänglich sein. Je nachdem, ob der Streik nur diesen einen Betrieb betrifft oder ob er Ausdruck einer globaleren arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung ist, wird der Hinderungsgrund in- oder ausserhalb der Einflusssphäre des Schuldners liegen.

- Als weitere Richtlinie mag der allgemeine Charakter des Vertrages dienen. So können bei Verträgen unter Kaufleuten Garantien eher angenommen werden als unter Privatpersonen. Auch Hindernisse, die in der Person des Schuldners selbst liegen (Krankheit, Unfall, Geschäftsunfähigkeit, Tod), gehören im kaufmännischen Verkehr vermutungsweise zu den beherrschbaren Risiken: der Kaufmann wird seinen Betrieb vernünftigerweise so organisieren, dass derartige Ereignisse die laufenden Geschäfte nicht hindern. Anders ist es bei Privatpersonen: Ihnen ist es in der Regel nicht zuzumuten, für derartige Ausfälle Vorkehren getroffen zu haben.

- Unter die beherrschbaren Ereignisse fallen auch Hinderungsgründe in den Personen, für die der Schuldner einzustehen hat, seien dies gesetzliche Vertreter oder Angestellte. Wie weit Erfüllungsgehilfen oder Dritte darunter fallen, die der Schuldner für die Erfüllung des Vertrages einsetzt, wird nachfolgend näher erläutert (Ziff.235.42).

- Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus der Natur der Kaufsache. Je nach Art der Schuld (Gattungs- oder Stückschuld) wird das Risiko des Verkäufers, die verkaufte Ware zu beschaffen, unterschiedlich aussehen. Mit dem Gattungskauf ist in der Regel das unbeschränkte Beschaffungsrisiko verbunden. Der
Verkäufer wird grundsätzlich solange liefern müssen, als die vertraglich versprochene Wäre noch besteht; er wird sich erst entlasten können, wenn die versprochene Ware auf dem «normalen» Markt überhaupt nicht mehr erhältlich ist und er damit nicht rechnen musste. Anlässlich der Wiener Konferenz wurde die Frage erörtert, ob eine durch unerwartete Umstände «unerschwinglich» gewordene Ware zur Befreiung nach Artikel 79 führen könne.

Die Frage lässt sich nur im Einzelfall beantworten. Gleich wie im Haager Einheitliehen Kaufrecht (Dolle H., a.a.O., N 88f, zu Art.74) sollte die Unerschwinglichkeit als Entlastungsgrund zulässig sein. Bei der Stückschuld wird der Verkäufer vermutungsweise nur eine Garantie dafür eingehen, dass er alle vernünftigen Massnahmen treffen wird, um die bestimmte Sache zu beschaffen. Geht die Sache in der Folge durch Zufall oder durch Verschulden eines Dritten unter, so sind dies Umstände, die ausserhalb des Einflussbe828

reichs des Verkäufers liegen. Bei einer begrenzten Gattungsschuld übernimmt der Verkäufer in der Regel das Beschaffungsrisiko, solange der entsprechende Vorrat besteht.

- Das Gegenstück zum Risiko des Verkäufers, vertragsgemässe Ware zu liefern, liegt in der Haftung des Käufers für seine finanzielle Leistungsfähigkeit. Die Begrenzung dieser vertragstypischen Garantie des Käufers hängt stark von seiner Person ab. Von einem Kaufmann wird man ein höheres Mass an Voraussicht erwarten dürfen als von einer Privatperson. Entsprechend wird der Konkurs einer Bank, mit welcher der Käufer zusammenarbeitet, im ersten Fall zum vertretbaren Risiko zählen, im zweiten jedoch nicht.

c. Beweislast Die Fragen der Beweislast sind im Zusammenhang mit den einzelnen Leistungspflichten des Vertrages zu behandeln. Als Grundsatz geht aus Artikel 79 Absatz l lediglich hervor, dass der Schuldner im Streitfalle die Gründe für seine Befreiung beweisen muss.

235.42

Hinderungsgründe bei Drittpersonen

Artikel 79 Absatz 2 behandelt die Möglichkeiten der Exkulpation des Schuldners, wenn die Nichterfüllung durch eine Drittperson bewirkt worden ist. Voraussetzung für die Befreiung ist, dass das Versagen des Dritten für ihn nicht beherrschbar und voraussehbar war (Bst. a) und dass überdies für den Dritten selber die Voraussetzungen der Exkulpation nach Absatz l erfüllt wären (Bst. b) Diese Bedingungen führen zu einer erheblichen Verschärfung der Haftung für Dritte. Damit erhält die Frage, welche Personen als Dritte gelten und welche zum Einflussbereich des Schuldners gehören, für die dieser einzustehen hat, erhöhte Bedeutung. Zulieferer dürften grundsätzlich als Drittpersonen gelten.

235.43

Weitere Vorschriften

Artikel 79 Absatz 3 hält fest, dass ein vorübergehendes Hindernis nur für die Zeitspanne seiner Dauer entlastet.

Nach Absatz 4 hat die nichterfüllende Partei der Gegenpartei das Leistungshindernis mitzuteilen, und zwar in einer zugangsbedürftigen Erklärung. Eine Verletzung dieser Anzeigepflicht löst eine Schadenersatzpflicht aus. Absatz 5 beschränkt die Entlastungswirkungen auf Schadenersatzansprüche. Diese Bestimmung dürfte in der Praxis nicht leicht zu handhaben sein, bleibt doch dadurch die Erfüllungspflicht des Schuldner grundsätzlich bestehen. Eine gewisse Grenze ist wohl dadurch gezogen, dass der Gläubiger, welcher an einer unmöglich gewordenen Leistung festhält und Erfüllung verlangt, wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses vor dem schweizerischen Richter kein Gehör findet. In Staaten, die ein Urteil auf Erfüllung in Natur nicht kennen (vgl. Art. 28), stellt sich dieses Problem freilich nicht.

Näher zu prüfen ist, ob die Befreiung von der Schadenersatzpflicht auch eine Befreiung von vertraglichen Schadenspauschalen und Konventionalstrafen mit829

umfasst. Bei diesen Instituten handelt es sich um Rechte und Pflichten, die den Parteien aus dem Vertrag erwachsen, also grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen (vgl. Art. 4). Allerdings fehlt hierüber eine ausdrückliche Bestimmung und es fehlen auch genügend Anhaltspunkte, um im Sinne von Artikel 7 die allgemeinen Grundsätze des Übereinkommens heranzuziehen.

Artikel 80 entlastet den Schuldner auch dann, wenn der Hinderungsgrund auf den Gläubiger zurückzuführen ist. Als Folge davon wird sich der Gläubiger im Gegensatz zu Artikel 79 - auch nicht auf die Erfüllungspflicht des Schuldners berufen können. Der Umfang der Entlastung für den Schuldner hängt davon ab, wieweit der Gläubiger für die Ursachen der Behinderung einstehen muss.

235.5

Wirkungen der Aufhebung

Im fünften Abschnitt des fünften Kapitels betr. die Wirkungen der Vertragsaufhebung regelt das Übereinkommen auch die Ersatzlieferung und die Minderung. Richtigerweise wäre daher von der Rückabwicklung des Vertrages zu sprechen. Artikel 81 enthält den Grundsatz, Artikel 82 behandelt die Fälle, in denen das Vertragsaufhebungsrecht dahinfällt sowie die Ausnahmen davon, Artikel 83 befasst sich mit den Folgen des Rechtsverlustes und Artikel 84 verpflichtet die Parteien zur Herausgabe von Nutzungen.

235.51

Grundsatz

Nach Artikel 81 Absatz l werden durch die Aufhebung des Vertrages beide Parteien von ihren Vertragspflichten befreit, mit Ausnahme von Schadenersatzverpflichtungen. Vertragsbestimmungen über die Folgen der Vertragsaufhebung oder die Beilegung von Streitigkeiten (etwa Schiedsklauseln) werden durch die Aufhebung nicht berührt. Mit dieser Formulierung stellt das Wiener Übereinkommen klar, dass die Vertragsaufhebung nur ex nunc wirkt. Damit ergibt sich auch eine Übereinstimmung zum schweizerischen Recht.

Nach Absatz 2 hat jede Partei das Empfangene zurückzugeben, und zwar grundsätzlich Zug um Zug.

235.52

Verlust des Vertragsaufhebungsrechts, Ausnahmen und Folgen

Die Aufhebung dès Vertrages setzt voraus, dass die empfangene Wäre «im wesentlichen» in dem Zustande zurückgegeben werden kann, in dem sie der Käufer erhalten hat (Art. 82 Abs. 1). Bloss unwesentliche Abweichungen von der Beschaffenheit der Ware dürfen nicht in Betracht fallen. Ist indessen die Ware nicht mehr im wesentlich selben Zustand vorhanden, so hat der Käufer weder ein Aufhebungs- noch ein Nachbesserungsrecht; ihm stehen lediglich die anderen Rechte wie Schadenersatz und Minderung zu (vgl. Art. 83). Artikel 82 Absatz 2 erwähnt die drei Ausnahmen, bei denen dem Käufer trotz fehlender 830

Rückgabemöglichkeit alle Rechtsbehelfe einschliesslich Wandelung oder Minderung zustehen, nämlich dann, wenn die Beeinträchtigung der Ware nicht vom Käufer zu verantworten ist (Bst. a), wenn die Ware durch die ordnungsgemässe Untersuchung verschlechtert worden oder untergegangen ist (Bst. b) und wenn der Käufer die Ware gutgläubig verkauft, verbraucht oder verändert hat (Bst. c).

Buchstabe a umfasst sowohl die Fälle, in denen die Ware wegen des Mangels zugrunde geht, als auch jene, in denen die Verschlechterung oder der Untergang der Ware auf einen Zufall zurückzuführen ist, aber auch die Fälle, bei denen sich der Käufer nach Artikel 79 exkulpieren konnte. Dies entspricht der Lösung unseres OR (vgl. Art.207; Giger H., a.a.O., S:542 ff) und ist übrigens auch im Haager Einheitlichen Kaufrecht zu finden (vgl. Art. 79 Abs. 2 Bst. b.

EKG). Nach dem Wortlaut von Buchstabe a wird der Käufer die Beweislast für sein mangelndes Verschulden bei der Beeinträchtigung der Ware tragen müssen.

Buchstabe b bedarf keiner besonderen Erläuterung; es bleibt lediglich darauf hinzuweisen, dass die Modalitäten für die Untersuchung der Ware in erster Linie dem Vertrag, allenfalls den Handelsbräuchen zu entnehmen sind. Buchstabe c stellt den Käufer im Vergleich zum schweizerischen Recht besser, denn nach Artikel 207 Absatz 3 OR hat er bei Weiterveräusserung der Kaufsache nur noch die Möglichkeit, Ersatz des Minderwertes zu verlangen; kann er allerdings die verkaufte Ware zurückverlangen, so lässt das OR auch den Wandelungsanspruch wieder aufleben, denn es knüpft das Vertragsaufhebungsverbot lediglich an die Unmöglichkeit der Rückgabe der Ware. Demgegenüber kann der Käufer nach dem Wiener Übereinkommen die Aufhebung des Vertrages auch dann verlangen, wenn die Ware im Rahmen des ordentlichen Geschäftsverkehrs weiterverkauft worden ist und er den Mangel in jenem Zeitpunkt nicht kannte und auch nicht kennen musste. Die Folgen dieses Vertragsaufhebungsrechts werden bei den Modalitäten der Rückabwicklung in Erscheinung treten. Macht der Käufer Schadenersatz geltend, so wird der Verkäufer, der im Gegenzug die Herausgabe der Nutzungen (Art. 84) verlangt, letztlich nachweisen müssen, ob und in welcher Höhe dem Käufer tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Auf diese Weise kann der Käufer bei Kaufverträgen über Waren mit stark
schwankenden Preisen das Risiko auf den Verkäufer überwälzen.

Wie bereits erwähnt, bleiben dem Käufer, der das Aufhebungsrecht nach Artikel 82 Absatz l verliert, in Anwendung von Artikel 83 alle übrigen Rechte unbenommen.

235.53

Herausgabe der Nutzungen

Artikel 84 verpflichtet beide Parteien, die Vorteile zurückzuerstatten, die aus den bisher erbrachten Vertragsleistungen resultieren. Absatz l schreibt dem Verkäufer vor, ab Erhalt der Zahlungen Zinsen zu leisten. Nach Absatz 2 muss der Käufer seinerseits alle Vorteile, die er aus der Ware gezogen hat, zurückerstatten, gleichgültig, ob er die Ware tatsächlich zurückgeben muss (Bst. a) oder ob deren Rückgabe unmöglich ist (Bst. b) Ob der Käufer dem Verkäufer auch denjenigen Vorteil zuwenden muss, den er zu nutzen unterlassen hat, geht aus dem Wortlaut von Artikel 84 Absatz 2 nicht hervor. Die Frage ist daher in Anwendung von Artikel 7 Absatz 2 zu beantworten, denn es geht um einen Punkt, der 831

unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt. Mit Rücksicht auf Sinn und Zweck von Artikel 84 ist die Frage unseres Erachtens zu bejahen. Mit dem Gegenwert der Nutzungen spricht Artikel 84 in erster Linie die natürlichen Früchte an, die als solche - und nicht etwa ihr Gegenwert - herausgegeben werden müssen. In dieser absoluten Form gilt dies allerdings nur für Staaten, deren Rechtsordnung eine Erfüllung in Natur kennt (vgl. Art. 28). Sind die natürlichen Früchte verbraucht oder weiterveräussert, so tritt an deren Stelle ein Ersatzanspruch. Daraus lässt sich ableiten, dass auch für die nicht gezogenen Früchte ein Ersatzanspruch geschuldet wird; er berechnet sich nach den Bestimmungen über den Schadenersatz (a.A. Schlechtriem P., a.a.O., S. 103).

235.6

Erhaltung der Ware

Der sechste Abschnitt des fünften Kapitels handelt von den Nebenpflichten im Zusammenhang mit der Erhaltung der Ware. Darunter fallen die eigentlichen Aufbewahrungspflichten und das Recht zum Selbsthilfeverkauf. Die Artikel 85-88 entsprechen inhaltlich den Artikeln 91-95 des Haager Einheitlichen Kauffechts. In vielen Punkten übereinstimmende Vorschriften finden sich auch im schweizerischen Recht; auf die wenigen Unterschiede zwischen OR und Wiener Kaufrecht wird nachfolgend eingegangen.

Artikel 85 behandelt die Aufbewahrungspflicht des Verkäufers, wenn der Käufer die Ware nicht annimmt oder den Kaufpreis nicht bezahlt, und Artikel 86 spricht als Gegenstück von den Àufbewahrungspflichten des Käufers, sei es, dass er die Ware bereits entgegengenommen hat (Abs. 1), oder dass er sie erst noch in Besitz nehmen wird (Abs. 2). Artikel 87 ermächtigt die zur Erhaltung der Ware verpflichtete Partei, unter Umständen die Ware bei einem Dritten zu lagern; Artikel 88 nennt die Voraussetzungen für einen Selbsthilfeverkauf.

235.61

Aufbewahrungspflichten

Hat der Käufer die Ware nicht verträgsgemäss angenommen oder hat er bei Zug um Zug-Leistung den Kaufpreis nicht bezahlt, so treffen den Verkäufer die in Artikel 85 umschriebenen Pflichten. Danach muss er «die den Umstanden angemessenen Massnahmen» zur Erhaltung der Ware treffen, we_nn si'dfeudie Ware noch im Besitz des Verkäufers befindet oder er soöst-aïe Möglichkeit hat, üb er Sie zu verfügen. Artikel 85 räumt dem Verkäufer sodann ein Retentionsrecht an der Ware ein, solange ihm Eier Käufer die Erhaltungskosten für die Ware nicht ersetzt. Welche Massnahmen als angemessen erscheinen, hängt von Jen Ufistaftden, allenfalls von Handelsbräuchen oder Gepflogenheiten ab. Als Massstab werden die Erhaltungsmassnahmen dienen, die eine vernünftige Person m vergleichbarer Lage treffen würde. Wie lange die Aufbewahrung dauern soll, kann der Verkäufer weitgehend selber bestimmen (vgl. Art. 88).

Das Zurückbehaltungsrecht an der Ware darf der Verkäufer solange ausüben, bis der Käufer die entstandenen Kosten für die Erhaltungsmassnahmen erstattet. Hierfür gilt grundsätzlich Zug um Zug-Leistung.

832

Artikel 86 Absatz l handelt von den Pflichten des Käufers im Zusammenhang mit der bereits erhaltenen Ware. Beabsichtigt er, die Ware zurückzuweisen, weil er die Aufhebung des Vertrages erklärt oder Nachbesserung verlangt, so hat er «die den Umständen angemessenen Massnahmen» zur Erhaltung der Ware vorzukehren. Die Erhaltungspflicht setzt voraus, dass der Käufer die Ware tatsächlich in seinem Besitz hat und dass er beabsichtigt, sie zurückzugeben. Will der Käufer nur Minderung und Schadenersatz anstreben, so findet Artikel 86 keine Anwendung. Für Art und Umfang der Erhaltungsmassnahmen kann auf die Ausführungen zu Artikel 85 verwiesen werden. Artikel 86 Absatz 2 beschlägt den Sonderfall, in dem die Ware dem Käufer zugesandt, ihm aber noch nicht übergeben wurde. Hier reicht es, wenn die Ware dem Käufer am Bestimmungsort zur Verfügung gestellt worden ist und er sie zurückweisen will. Die Verpflichtung zur Inbesitznahme und zur Erhaltung trifft den Käufer indessen nur, wenn er die Ware ohne Zahlung des Kaufpreises übernehmen kann und dies ohne unzumutbare Unannehmlichkeiten oder unverhältnismässige Kosten möglich ist. Die Pflicht zur Entgegennahme der Ware und zu den geeigneten Vorkehren für ihre Erhaltung entfällt (Abs. 2 zweiter Satz), wenn der Verkäufer am Bestimmungsort der Ware anwesend ist. Dasselbe gilt, wenn sich anstelle des Verkäufers eine zur Entgegennahme befugte Person am Bestimmungsort dieser Ware aufhält. Dem Käufer sind die Erwahrungspflichten ohnehin nur zuzumuten, wenn er oder einer seiner Leute beim Versendungskauf näher bei der Ware ist als der Verkäufer und deshalb besser als dieser die nötigen Vorkehren treffen kann. Nach Inbesitznahme der Ware durch den Käufer gelten analog die Vorschriften von Absatz l : Er hat somit die Möglichkeit, zur Sicherstellung seiner Aufwendungen die Ware zurückzubehalten.

235.62

Lagerung bei Dritten

Artikel 87 gilt gleichermassen für Käufer und Verkäufer. Die zur Erhaltung verpflichtete Partei kann die Ware auf Kosten der anderen in den Lagerräumen eines Dritten einlagern, «sofern daraus keine unverhältnismässigen Kosten entstehen» ; sie ist aber hierzu nicht verpflichtet. Einzige Voraussetzung für die Lagerung ist, dass dadurch keine unverhältnismässigen Kosten entstehen. Ein bestimmter Zeitablauf oder die Anzeige der Lagerung bei Dritten an die andere Partei ist nicht vorgesehen.

Ob die entstandenen Lagerungskosten gänzlich auf die andere Partei überwälzt werden können, oder ob dies nur im Rahmen des Vernünftigen geschieht - etwa dann, wenn die Lagerkosten aus unvorhergesehenen Gründen die durchschnittlichen Aufwendungen übersteigen -, sagt das Übereinkommen nicht. Ebenso schweigt es sich über die Rechtsverhältnisse zwischen der erwahrungspflichtigen Partei und dem Lagerhalter aus. Letztere fallen auch nicht unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens, sondern unterstehen dem jeweils massgebenden nationalen Recht. Für das Ausmass der überwälzbaren Lagerungskosten müssen die entsprechenden Grundsätze hingegen dem Übereinkommen entnommen werden. Demnach dürften auch erheblich über dem Ordnungsgemässen liegende Auslagen überwälzbar sein, sofern die Umstände für die Kostenüberschreitung unvorhersehbar waren.

833

Ob der einlagernden Partei für die Sicherung ihres Rückerstattungsanspruches ein Zurückbehaltungsrecht an der Ware zusteht, geht aus dem Wortlaut nicht hervor, dürfte unseres Erachtens aber zu bejahen sein.

235.63

Selbsthilfeverkauf

Das Wiener Übereinkommen kennt den Selbsthilfeverkauf unter ähnlichen Voraussetzungen wie das schweizerische Recht (vgl. Art. 204 Abs. 3 OR) Der wichtigste Unterschied liegt darin, dass für den Notverkauf nach OR zwingend eine amtliche Mitwirkung vorgeschrieben ist.

Nach Artikel 88 des Übereinkommens steht der Partei, die Erhaltungsmassnahmen getroffen hat, das Recht zum Selbsthilfeverkauf zu. Absatz 2 regelt deren Voraussetzungen bei verderblicher Ware, während Absatz l die übrigen Fälle erfasst. Danach setzt der Selbsthilfeverkauf voraus, dass die Gegenpartei die An- oder Rücknahme der Sache oder die Zahlung des Kaufpreises oder der Erhaltungskosten ungebührlich hinauszögert. Unter «ungebührlich» hat man jede über das normale Mass hinausgehende Verzögerung zu verstehen. Weitere Bedingung für den Selbsthilfeverkauf ist die rechtzeitige Anzeige der Verkaufsabsicht. Diese Anzeige ist nach dem unter Artikel 27 geltenden Prinzip nur absendebedürftig. Fehler oder Verspätungen in der Übermittlung gehen somit zu Lasten der säumigen Partei.

Welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die erwahrungspflichtige Partei die Anzeige unterlässt oder sie verspätet abschickt, geht aus dem Übereinkommen nicht hervor. Versteht man die Anzeige der Verkaufsabsicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Selbsthilfeverkauf, so wäre ein solcher bei fehlender oder verspäteter Anzeige im Verhältnis zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien unwirksam. Dem steht jedoch nicht entgegen, dass der neue Käufer - zumindest aus der Sicht des schweizerischen Rechts - die Ware zu Recht erworben hat, vorausgesetzt, dass er gutgläubig war. Der verletzten Partei bliebe einzig ein Schadenersatzanspruch. Zum gleichen Ergebnis führt auch die Auffassung, wonach die fehlende Anzeige den Selbsthilfeverkauf zwar nicht unwirksam werden lässt, der nicht benachrichtigten Partei aber einen Anspruch auf Schadenersatz aus diesem Fehlverhalten verschafft. Die Berechnung dieses Ersatzanspruches richtet sich nach der konkreten Berechnungsmethode (Art. 75).

Im Übereinkommen nicht geregelt ist ferner die Frage, ob sich die Gegenpartei nach Erhalt der Anzeige gegen den beabsichtigten Selbsthilfeverkauf zur Wehr setzen kann und gegebenenfalls wie. Sicher dürfte ein sofortiges Handeln der säumigen Partei die Voraussetzungen für einen Selbsthilfeverkauf
dahinfallen lassen. Unklar ist hingegen, ob die erwahrungspflichtige Partei gehalten ist, einen (wohl zugangsbedürftigen) Einspruch zu berücksichtigen. Da es sich hier um Fragen handelt, die unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, wird die Lösung durch Lückenfüllung (Art. 7) zu suchen sein.

Artikel 88 Absatz 2 erleichtert die Voraussetzungen des Selbsthilfeverkaufs für Ware, die «einer raschen Verschlechterung ausgesetzt» ist oder deren Erhaltung unverhältnismässige Kosten verursachen würde. In solchen Fällen ist eine Anzeige des Selbsthilfeverkaufes nur nötig, «soweit es die Umstände zulassen».

834

Unter Absatz 2 fallen Verträge über Ware, die schneller physischer Verderbnis ausgesetzt ist und bei der äussere Umstände eine angemessene Verfügung über die Ware verunmöglichen. Im Unterschied zum schweizerischen Recht können schliesslich auch Waren weiterveräussert werden, bei denen ein Preiszerfall befürchtet werden muss.

Während der erwahrungspflichtigen Partei nach Absatz l das Recht, aber nicht die Pflicht zum Selbsthilfeverkauf zusteht, ist sie nach Absatz 2 verpflichtet, «sich in angemessener Weise um den Verkauf zu bemühen»; durch Verletzung dieser Pflicht wird sie der Gegenpartei zu Schadenersatz verpflichtet.

Die zum Selbsthilfeverkauf berechtigte bzw. verpflichtete Partei kann nach Artikel 88 Absatz 3 ihre Aufwendungen für die Aufbewahrung der Ware und deren Verkauf vom Erlös des Selbsthilfeverkaufs abziehen.

24

Schlussbestimmungen

In den Schlussklauseln (Art. 89-101) finden sich neben allgemeinen Bestimmungen auch Regeln über die zeitlichen Anwendungsvoraussetzungen (Ratifikation, Inkrafttreten und Kündigung), die möglichen Vorbehalte sowie das Verhältnis des Wiener Übereinkommens zu anderen Staatsverträgen, insbesondere zum Haager Einheitlichen Kaufrecht.

241

Allgemeine Bestimmungen (Art. 89, 91, 93 und 97)

Als Depositar des Übereinkommens amtet der Generalsekretär der Vereinten Nationen (Art. 89); er nimmt sämtliche Ratifikations-, Annahme- oder Beitrittsurkunden sowie andere Erklärungen entgegen und verwahrt sie. Erklärungen bedürfen der Schriftform und müssen dem Depositar notifiziert werden (Art. 97). Das Wiener Übereinkommen lag bis zum 30. September 1981 am Sitz der Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung auf. 21 Staaten haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Staaten, die es bis zu jenem Zeitpunkt nicht unterzeichnet haben (z. B. die Schweiz), können dem Übereinkommen beitreten (Art.91). Bislang (l.Aug. 1988) ist das Wiener Übereinkommen von 17 Staaten ratifiziert bzw. genehmigt oder angenommen worden.

Zu den allgemeinen Bestimmungen zählen auch die sogenannten «clauses fédérées»; sie räumen den bundesstaatlich organisierten Ländern mit unterschiedlichen Kaufrechts- oder Vertragsabschlussbestimmungen die Möglichkeit ein, das Übereinkommen (vorerst) nur für einzelne Teilstaaten in Kraft zu setzen (Art. 93). Gegenüber Vertragsstaaten, die keine entsprechende Erklärung abgegeben haben, findet das Übereinkommen auf deren gesamtem Hoheitsgebiet Anwendung.

835

242

Zeitlicher Anwendungsbereich (Art.99-101)

Nach Artikel 99 tritt das Übereinkommen ein Jahr nach Hinterlegung der zehnten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft (Abs. 1); diese Voraussetzung hat sich am I.Januar 1988 erfüllt. Für jeden weiteren Vertragsstaat wird das Übereinkommen ein Jahr nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Kraft treten (Abs. 2). Staaten, die Mitglied eines der Haager Einheitlichen Kaufgesetze von 1964 sind, geben gleichzeitig mit der Ratifikationsurkunde eine Kündigung für das oder die Haager Einheitlichen Kaufgesetze ab; für sie tritt das Wiener Übereinkommen erst mit dem Wirksamwerden jener Kündigung in Kraft (Abs. 3-6).

Artikel 100 präzisiert, dass sich das Übereinkommen nur auf solche Kaufverträge bezieht, die am oder nach dem Tage des Inkrafttretens abgeschlossen werden; gemeint ist das Inkrafttreten für jene Staaten, in denen die Vertragsparteien ihre Niederlassung haben (vgl. Art. l Abs. l Bst. a) bzw. für jene Staaten, auf die das internationale Privatrecht des angerufenen Richters verweist (vgl.

Art. l Abs. l Bst. b).

Artikel 101 enthält die Formalitäten für die Kündigung: sie entfaltet ihre Wirkung frühestens nach Ablauf eines Jahres seit ihrer Notifizierung.

243

Vorbehalte (Art. 92, 94-96 und 98)

Gemäss Artikel 98 können nur die vier im Übereinkommen ausdrücklich genannten Vorbehalte angebracht werden.

Es handelt sich einmal um den Vorbehalt der gleichartigen Rechtsvorschriften: Vertragsstaaten mit gleichen oder inhaltlich sehr nahestehenden Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Warenkaufs können untereinander anstelle des Übereinkommens ihre einheitlichen oder ähnlich lautenden Bestimmungen für anwendbar erklären (Art. 94). Im heutigen Zeitpunkt haben Schweden, Finnland und Norwegen von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht. Zu erwarten ist, dass sich ihnen Dänemark anschliessen wird. Für die Schweiz stellt sich die Frage nach einem allfälligen Vorbehalt nicht, da sie mit keinem anderen Staat gleiche oder inhaltlich sehr nahestehende Kaufrechtsbestimmungen vereinbart hat.

Ferner kann jeder Vertragsstaat bei der Ratifikation des Übereinkommens erklären, dass er sich durch Artikel l Absatz l Bst. b nicht gebunden fühlt, dass er mit andern Worten frei regeln kann, ob und unter welchen Umständen er das Übereinkommen für massgebend hält, wenn die Kollisionsnormen des angerufenen Richters auf seine Rechtsordnung hinweisen (Art. 95). Bislang haben China und die USA diesen Vorbehalt erklärt. Wie bereits ausgeführt, bestehen für die Schweiz keine Gründe, den Vorbehalt anzubringen (vgl. Ziff. 211.2). Die Argumente, die gegen die Regelung von Artikel l Absatz l Bst. b angeführt werden, scheinen wenig überzeugend. Insbesondere sind schwierige Abgrenzungsprobleme im Zusammenhang mit unterschiedlichen Anknüpfungsnormen für Vertragsabschluss und materielles Kaufrecht nur in Ausnahmefällen zu er836

warten. Ebenso dürfte es selten geschehen, dass ein Staat die in seinem Gebiet Niedergelassenen gegenüber Ausländern im Rahmen des materiellen Kaufrechts deutlich bevorzugt und dass wegen der Regelung von Artikel l Absatz l Buchstabe b für die Vertragsstaaten des Übereinkommens eine völkerrechtliche Verpflichtung besteht, es auch gegenüber Niedergelassenen solcher Staaten anzuwenden. Der etwa erhobene Einwand, die kollisionsrechtliche Vorschaltung untersage den Vertragsstaaten, internationale Kaufverträge unterschiedlich zu behandeln, wenn das internationale Privatrecht des angerufenen Richters auf das Recht eines Vertragsstaates verweist (vgl. etwa Herber Rolf, Anwendungsvoraussetzungen und Anwendungsbereich des Einheitlichen Kaufrechts, in: Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, Referate und Diskussionen der Fachtagung Einheitliches Kaufrecht am 16.717. 2. 1987, herausgegeben von Schlechtriem P., S. 100), scheint nicht durchschlagend: So ist im Gegenteil nur schwer einzusehen, warum das Übereinkommen als lex specialis nicht auf alle internationalen Warenkäufe angewendet werden soll. Wenig sinnvoll und der Rechtssicherheit abträglich wäre es, den Entscheid über die Anwendbarkeit des Übereinkommens gegenüber Nichtvertragsstaaten dem angerufenen Richter zu überlassen. Demgegenüber steigt mit Artikel l Absatz l Buchstabe b die Anwendungshäufigkeit des Übereinkommens und trägt auf diese Weise zur angestrebten Universalität des Kaufrechts bei. Zudem dürfte das Übereinkommen den Parteien eines internationalen Warenkaufs näher liegen als ein fremdes Sachrecht. Mangels sachlich überzeugender Argumente für Artikel 95 und im Interesse einer einheitlichen und einfachen Regelung ist auf den Vorbehalt von Artikel 95 zu verzichten.

Als weiteren Vorbehalt kann ein Vertragsstaat nur den Teil über den Abschluss von Kaufverträgen (Teil II) oder nur jenen über das materielle Kaufrecht (Teil III) ratifizieren (Art. 92). Bislang haben Finnland, Norwegen und Schweden davon Gebrauch gemacht und Teil II ausgeschlossen. Auch für diesen Vorbehalt ist zu erwarten, dass Dänemark gleichziehen wird.

Als letzter Vorbehalt nennt Artikel 96 die Schriftform für den Abschluss oder den Nachweis eines Kaufvertrages: Kennt ein Vertragsstaat derartige interne Rechtsvorschriften, so kann er die Schriftform auch für
internationale Verträge nach dem vorliegenden Übereinkommen für massgebend erklären, sofern eine der Vertragsparteien ihre Niederlassung in einem Vorbehaltsstaat hat. Wegen fehlender Formvorschriften für internationale Warenkäufe stellt sich für die Schweiz die Frage nach diesem Vorbehalt nicht.

Grundsätzlich müssen die Vorbehalte im Zeitpunkt der Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder des Beitritts angebracht werden. Hinsichtlich der Artikel 94 (Vorbehalt der gleichen oder ähnlichen Rechtsvorschriften) und 96 (Vorbehalt der Schriftform) ist hingegen auch eine nachträgliche Erklärung möglich.

244

Regelung von Konventionskonflikten (Art. 90)

Nach Artikel 90 tritt das Wiener Übereinkommen gegenüber bereits bestehenden oder noch zu schliessenden Übereinkommen zurück. Dies entspricht der 837

gängigen Klausel zur Vermeidung von Konventionskonflikten. Gegenüber den Haager Einheitlichen Kaufgesetzen ist eine gleichzeitige Geltung beider Übereinkommen und damit ein Konventionskonflikt ausgeschlossen, da das Inkrafttreten des Wiener Übereinkommens ausdrücklich an die Kündigung des Einheitlichen Gesetzes über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG) bzw. des Einheitlichen Gesetzes über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (EAG) gekoppelt ist (vgl. oben Ziff. 242).

3

Schlussfolgerungen

Mit Rücksicht auf die grosse Bedeutung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs besteht allseits ein lebhaftes Interesse an einer klaren gesetzlichen Regelung. Häufig ist aber die Frage, welcher Rechtsordnung ein Kaufvertrag mit internationalen Elementen unterliegt, nicht einfach zu beantworten. Schweizerischerseits ist hierfür in erster Linie das Haager Übereinkommen vom 15. Juni 1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht (SR 0.221.211.4) zu beachten, und künftig, soweit dieses keine Regelung enthält, das Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (AS 1988 1776; SR 291) Nach dem Haager IPR-Übereinkommen steht den Parteien eine Rechtswahlmöglichkeit zu. Häufig werden diese aber dem anwendbaren Recht nur wenig Aufmerksamkeit zuwenden, weil sie einerseits von einem reibungslosen Geschäftsablauf ausgehen und anderseits die Vertragsverhandlungen mit einem vermeintlich sekundären Problem nicht unnötig belasten wollen.

Das Wiener Übereinkommen bietet in verschiedener Hinsicht eine gute Lösung.

Mit seiner autonomen Anwendungsbestimmung werden in vielen Fällen das Kollisionsrecht und die damit verbundenen Probleme ausgeschaltet. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Übereinkommens ist lediglich, dass die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben und dass es sich um Vertragsstaaten handelt (vgl. Art. l Abs. l Bst. a). Daneben bleiben jene Fälle, in denen die Anwendbarkeit des Wiener Übereinkommens über die kollisionsrechtliche Vorschaltung erfolgt, d. h. in denen das internationale Privatrecht des angerufenen Richters zum Recht eines Vertragsstaates führt (vgl. Art. l Abs. l Bst. b) Das Wiener Übereinkommen hat den Vorzug, mit seinem materiellen Kaufrecht Lösungen anzubieten, die den Bedürfnissen des internationalen Warenverkehrs entsprechen. So ist beispielsweise das Nachbesserungsrecht des Käufers, das den Verkäufer in internationalen Verhältnissen stark belastet, gegenüber unserem OR eingeschränkt. Ferner mag in Fällen, in denen eine Rechtswahl ins Auge gefasst wird, das Wiener Übereinkommen als «neutrales Recht» von beiden Parteien besser akzeptiert werden als das heimatliche Recht der einen oder anderen Partei.

Die hier erwähnten Gründe haben denn auch dazu beigetragen, dass das Übereinkommen
am I.Januar 1988 in Kraft getreten ist. Nachdem bisher 17 Staaten das Übereinkommen ratifiziert oder angenommen haben (Argentinien, Ägypten, Australien, China, Finnland, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Lesotho, Mexiko, Norwegen, Österreich, Sambia, Schweden, Syrien, Ungarn und USA) und nach838

dem sich unter den Vertragsstaaten auch wichtige Handelspartner der Schweiz befinden, wäre es für die Schweiz von Vorteil, wenn sie die internationalen Kaufverträge ebenfalls dem Wiener Übereinkommen unterstellen würde.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Der Beitritt zu diesem Übereinkommen wird für die Schweiz weder finanzielle noch personelle Auswirkungen haben.

Da das Übereinkommen materielle Bestimmungen über internationale Warenkaufverträge enthält, bringt es für Bundes- und Kantonsbehörden keine neuen Aufgaben mit sich. Einzig die richterlichen Instanzen werden anstelle des nach dem internationalen Privatrecht bezeichneten nationalen Rechts in vielen Fällen das Wiener Übereinkommen anwenden müssen. Insofern könnte der Beitritt zu diesem Übereinkommen für die Gerichte mit einer internen Gesetzesrevision verglichen werden. Dem Bund und den Kantonen entstehen aber dadurch weder neue Ausgaben noch müssen sie zusätzliches Personal einstellen.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

In den Europäischen Gemeinschaften ist der Beitritt zum Wiener Übereinkommen diskutiert und ist es allgemein als wünschenswert erachtet worden, dass das Übereinkommen vor allem von EG-Staaten ratifiziert wird. Sicher ist, dass weder in der EG noch im Europarat irgendwelche Anzeichen für die Schaffung eines europäischen Kaufrechts bestehen. Die schlechten Erfahrungen mit den lediglich auf Westeuropa beschränkt gebliebenen Haager Einheitlichen Kaufgesetzen haben im Gegenteil zu den Bemühungen einer Vereinheitlichung auf UNO-Ebene geführt.

Von den 21 Staaten, die das Übereinkommen unterzeichnet haben (BRD, Chile, China, Dänemark, DDR, Finnland, Frankreich, Ghana, Italien, Jugoslawien, Lesotho, Niederlande Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Singapur, Tschechoslowakei, Ungarn, USA, Venezuela) sind fünf Mitglieder der EG; zwei davon (Frankreich und Italien) haben das Übereinkommen bereits ratifiziert, in zwei weiteren EG-Staaten (BRD, Niederlande) ist das Ratifikationsverfahren im Gang.

Von den EFTA-Staaten haben Finnland, Norwegen, Österreich und Schweden das Übereinkommen bereits ratifiziert.

6

Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1987-1991 angekündigt (vgl. BB1 1988 I 395, Anhang 2).

839

7

Verfassungsmässigkeit

Der Bundesbeschluss betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf stützt sich auf Artikel 8 der Bundesverfassung, welcher dem Bund die Kompetenz zum Abschluss von Staatsverträgen mit dem Ausland gibt. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung gründet auf Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung. Das Übereinkommen kann jederzeit gekündigt werden. Es bedeutet auch keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation. Hingegen führt es eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des internationalen Warenkaufs herbei. Im Rahmen seines Geltungsbereichs wird das Übereinkommen das Landesrecht ersetzen und ergänzen; seine wesentlichen Bestimmungen sind direkt auf Privatpersonen anwendbar. Damit erfüllt es die Kriterien einer multilateralen Rechtsvereinheitlichung (vgl. BB1 1987III 191, 1986 III 789 und dortige Verweise) und ist dem Staatsvertragsreferendum gemäss Artikel 89 Absatz 3 Buchstabe c der Bundesverfassung zu unterstellen.

2999

840

Bundesbeschluss Entwurf betreffend das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 8 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 11. Januar 19891\ beschliesst:

Art. l 'Das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom l I.April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf wird genehmigt.

2 Der Bundesrat wird ermächtigt, das Übereinkommen zu ratifizieren.

Art. 2 Dieser Beschluss untersteht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum für multilaterale Rechtsvereinheitlichungen (Art. 89 Abs. 3 Est. e BV).

2999

D BEI 1989 I 745 33 Bundesblatt. 141.Jahrgang. Bd.I

841

Übereinkommen der Vereinten Nationen Übersetzung^ über Verträge über den internationalen Warenkauf

Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens, im Hinblick auf die allgemeinen Ziele der Entschliessungen, die von der Sechsten Ausserordentlichen Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung angenommen worden sind, in der Erwägung, dass die Entwicklung des internationalen Handels auf der Grundlage der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Nutzens ein wichtiges Element zur Förderung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten ist, in der Meinung, dass die Annahme einheitlicher Bestimmungen, die auf Verträge über den internationalen Warenkauf Anwendung finden und die verschiedenen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Rechtsordnungen berücksichtigen, dazu beitragen würde, die rechtlichen Hindernisse im internationalen Handel zu beseitigen und seine Entwicklung zu fördern, haben folgendes vereinbart:

Teill Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen Kapitel I Anwendungsbereich Artikel l 1 Dieses Übereinkommen ist auf Kaufverträge über Waren zwischen Parteien anzuwenden, die ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben a) wenn diese Staaten Vertragsstaaten sind oder b) wenn die Regeln des internationalen Privatrechts zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates führen.

2 Die Tatsache, dass die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben, wird nicht berücksichtigt, wenn sie sich nicht aus dem Vertrag, aus früheren Geschäftsbeziehungen oder aus Verhandlungen oder Auskünften ergibt, die vor oder bei Vertragsabschluss zwischen den Parteien geführt oder von ihnen erteilt worden sind.

'' Übersetzung des französischen Originaltextes.

842

Verträge über den internationalen Warenkauf

3

Bei Anwendung dieses Übereinkommens wird weder berücksichtigt, welche Staatsangehörigkeit die Parteien haben, noch ob sie Kaufleute oder Nichtkaufleute sind oder ob der Vertrag handelsrechtlicher oder zivilrechtlicher Art ist.

Artikel 2 Dieses Übereinkommen findet keine Anwendung auf den Kauf a) von Ware für den persönlichen Gebrauch oder den Gebrauch in der Familie oder im Haushalt, es sei denn, dass der Verkäufer vor oder bei Vertragsabschluss weder wusste noch wissen musste, dass die Ware für einen solchen Gebrauch gekauft wurde; b) bei Versteigerungen; c) aufgrund von Zwangsvollstreckungs- oder anderen gerichtlichen Massnahmen; d) von Wertpapieren oder Zahlungsmitteln; e) von Seeschiffen, Binnenschiffen, Luftkissenfahrzeugen oder Luftfahrzeuge11; f) von elektrischer Energie.

Artikel 3 1 Den Kaufverträgen stehen Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Ware gleich, es sei denn, dass der Besteller einen wesentlichen Teil der für die Herstellung oder Erzeugung notwendigen Stoffe selbst zu liefern hat.

2

Dieses Übereinkommen ist auf Verträge nicht anzuwenden, bei denen der überwiegende Teil der Pflichten der Partei, welche die Ware liefert, in der Ausführung von Arbeiten oder anderen Dienstleistungen besteht.

Artikel 4 Dieses Übereinkommen regelt ausschliesslich den Abschluss des Kaufvertrages und die aus ihm erwachsenden Rechte und Pflichten des Verkäufers und des Käufers. Soweit in diesem Übereinkommen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, betrifft es insbesondere nicht a) die Gültigkeit des Vertrages oder einzelner Vertragsbestimmungen oder die Gültigkeit von Handelsbräuchen; b) die Wirkungen, die der Vertrag auf das Eigentum an der verkauften Ware haben kann.

Artikel 5 Dieses Übereinkommen findet keine Anwendung auf die Haftung des Verkäufers für den durch die Ware verursachten Tod oder die Körperverletzung einer Person.

843

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel 6 Die Parteien können die Anwendung dieses Übereinkommens ausschliessen oder, vorbehaltlich des Artikels 12, von seinen Bestimmungen abweichen oder deren Wirkung ändern.

Kapitelll Allgemeine Bestimmungen Artikel?

1

Bei der Auslegung dieses Übereinkommens sind sein internationaler Charakter und die Notwendigkeit zu berücksichtigen, seine einheitliche Anwendung und die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel zu fördern.

2

Fragen, die in diesem Übereinkommen geregelte Gegenstände betreffen, aber in diesem Übereinkommen nicht ausdrücklich entschieden werden, sind nach den allgemeinen Grundsätzen, die diesem Übereinkommen zugrunde liegen, oder mangels solcher Grundsätze nach dem Recht zu entscheiden, das nach den Regeln des internationalen Privatrechts anzuwenden ist.

Artikel 8 1 Für die Zwecke dieses Übereinkommens sind Erklärungen und das sonstige Verhalten einer Partei nach deren Willen auszulegen, wenn die andere Partei diesen Willen kannte oder darüber nicht in Unkenntnis sein konnte.

2 Ist Absatz l nicht anwendbar, so sind Erklärungen und das sonstige Verhalten einer Partei so auszulegen, wie eine vernünftige Person in gleicher Stellung wie die andere Partei sie unter den gleichen Umständen aufgefasst hätte.

3 Um den Willen einer Partei oder die Auffassung festzustellen, die eine vernünftige Person gehabt hätte, sind alle erheblichen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Verhandlungen zwischen den Parteien, die zwischen ihnen entstandenen Gepflogenheiten, die Handelsbräuche und das spätere Verhalten der Parteien.

Artikel 9 1 Die Parteien sind an die Handelsbräuche, mit denen sie sich einverstanden erklärt haben, und an die Gepflogenheiten gebunden, die zwischen ihnen entstanden sind.

2 Haben die Parteien nichts anderes vereinbart, so wird angenommen, dass sie sich in ihrem Vertrag oder bei seinem Abschluss stillschweigend auf Handelsbräuche bezogen haben, die sie kannten oder kennen mussten und die im internationalen Handel den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden

844

Verträge über den internationalen Warenkauf

Geschäftszweig weithin bekannt sind und von ihnen regelmässig beachtet werden.

Artikel 10

Für die Zwecke dieses Übereinkommens ist, a) falls eine Partei mehr als eine Niederlassung hat, die Niederlassung massgebend, die unter Berücksichtigung der vor oder bei Vertragsabschluss den Parteien bekannten oder von ihnen in Betracht gezogenen Umstände die engste Beziehung zu dem Vertrag und zu seiner Erfüllung hat; b) falls eine Partei keine Niederlassung hat, ihr gewöhnlicher Aufenthalt massgebend.

Artikel 11

Der Kaufvertrag braucht nicht schriftlich geschlossen oder nachgewiesen zu werden und unterliegt auch sonst keinen Formvorschriften. Er kann auf jede Weise bewiesen werden, auch durch Zeugen.

Artikel 12

Die Bestimmungen der Artikel 11 und 29 oder des Teils II dieses Übereinkommens, die für den Abschluss eines Kaufvertrages, seine Änderung oder Aufhebung durch Vereinbarung oder für ein Angebot, eine Annahme oder eine sonstige Willenserklärung eine andere als die schriftliche Form gestatten, gelten nicht, wenn eine Partei ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat hat, der eine Erklärung nach Artikel 96 abgegeben hat. Die Parteien dürfen von dem vorliegenden Artikel weder abweichen noch seine Wirkung ändern.

Artikel 13

Für die Zwecke dieses Übereinkommens umfasst der Ausdruck «schriftlich» auch Mitteilungen durch Telegramm oder Fernschreiben.

Teil II Abschluss des Vertrages Artikel 14 1

Der an eine oder mehrere bestimmte Personen gerichtete Vorschlag zum Abschluss eines Vertrages stellt ein Angebot dar, wenn er bestimmt genug ist und den Willen des Anbietenden zum Ausdruck bringt, im Falle der Annahme gebunden zu sein. Ein Vorschlag ist bestimmt genug, wenn er die Ware bezeichnet und ausdrücklich oder stillschweigend die Menge und den Preis festsetzt oder deren Festsetzung ermöglicht.

845

Verträge über den internationalen Warenkauf

2

Ein Vorschlag, der nicht an eine oder mehrere bestimmte Personen gerichtet ist, gilt nur als Einladung zu einem Angebot, wenn nicht die Person, die den Vorschlag macht, das Gegenteil deutlich zum Ausdruck bringt.

Artikel 15 1 Ein Angebot wird wirksam, sobald es dem Empfänger zugeht.

2 Ein Angebot kann, selbst wenn es unwiderruflich ist, zurückgenommen werden, wenn die Rücknahmeerklärung dem Empfänger vor oder gleichzeitig mit dem Angebot zugeht.

Artikel 16 1 Bis zum Abschluss des Vertrages kann ein Angebot widerrufen werden, wenn der Widerruf dem Empfänger zugeht, bevor dieser eine Annahmeerklärung abgesandt hat.

2 Ein Angebot kann jedoch nicht widerrufen werden, a) wenn es durch Bestimmung einer festen Frist zur Annahme oder auf andere Weise zum Ausdruck bringt, dass es unwiderruflich ist, oder b) wenn der Empfänger vernünftigerweise darauf vertrauen konnte, dass das Angebot unwiderruflich ist, und er im Vertrauen auf das Angebot gehandelt hat.

Artikel 17

Ein Angebot erlischt, selbst wenn es unwiderruflich ist, sobald dem Anbietenden eine Ablehnung zugeht.

Artikel 18 1 Eine Erklärung oder ein sonstiges Verhalten des Empfängers, das eine Zustimmung zum Angebot ausdrückt, stellt eine Annahme dar. Schweigen oder Untätigkeit allein stellen keine Annahme dar.

2 Die Annahme eines Angebots wird wirksam, sobald die Äusserung der Zustimmung dem Anbietenden zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn die Äusserung der Zustimmung dem Anbietenden nicht innerhalb der von ihm gesetzten Frist oder, bei Fehlen einer solchen Frist, innerhalb einer angemessenen Frist zugeht; dabei sind die Umstände des Geschäfts einschliesslich der Schnelligkeit der vom Anbietenden gewählten Übermittlungsart zu berücksichtigen. Ein mündliches Angebot muss sofort angenommen werden, wenn sich aus den Umständen nichts anderes ergibt.

3 Äussert jedoch der Empfänger aufgrund des Angebots, der zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten oder der Handelsbräuche seine Zustimmung durch eine Handlung, die sich zum Beispiel auf die Absendung der Ware oder die Bezahlung des Preises bezieht, ohne den Anbietenden davon zu unter846

Verträge über den internationalen Warenkauf

richten, so ist die Annahme zum Zeitpunkt der Handlung wirksam, sofern diese innerhalb der in Absatz 2 vorgeschriebenen Frist vorgenommen wird.

Artikel 19 1 Eine Antwort auf ein Angebot, die eine Annahme darstellen soll, aber Ergänzungen, Einschränkungen oder sonstige Änderungen enthält, ist eine Ablehnung des Angebotes und stellt ein Gegenangebot dar.

2 Eine Antwort auf ein Angebot, die eine Annahme darstellen soll, aber Ergänzungen oder Abweichungen enthält, welche die Bedingungen des Angebots nicht wesentlich ändern, stellt jedoch eine Annahme dar, wenn der Anbietende das Fehlen der Übereinstimmung nicht unverzüglich mündlich beanstandet oder eine entsprechende Mitteilung abgesendet hat. Unterlässt er dies, so bilden die Bedingungen des Angebots mit den in der Annahme enthaltenen Äusserungen den Vertragsinhalt.

3 Ergänzungen oder Abweichungen, die sich insbesondere auf Preis, Bezahlung, Qualität und Menge der Ware, auf Ort und Zeit der Lieferung, auf den Umfang der Haftung der einen Partei gegenüber der anderen oder auf die Beilegung von Streitigkeiten beziehen, werden so angesehen, als änderten sie die Bedingungen des Angebots wesentlich.

Artikel 20 1 Eine vom Anbietenden in einem Telegramm oder einem Brief gesetzte Annahmefrist beginnt mit Aufgabe des Telegramms oder mit dem im Brief angegebenen Datum oder, wenn kein Datum angegeben ist, mit dem auf dem Umschlag angegebenen Datum zu laufen. Eine vom Anbietenden telefonisch, durch Fernschreiben oder eine andere sofortige Übermittlungsart gesetzte Annahmefrist beginnt zu laufen, sobald das Angebot dem Empfänger zugeht.

2 Gesetzliche Feiertage oder arbeitsfreie Tage, die in die Laufzeit der Annahmefrist fallen, werden bei der Fristberechnung mitgezählt. Kann jedoch die Mitteilung der Annahme am letzten Tag der Frist nicht an die Anschrift des Anbietenden zugestellt werden, weil dieser Tag am Ort der Niederlassung des Anbietenden auf einen gesetzlichen Feiertag oder arbeitsfreien Tag fällt, so verlängert sich die Frist bis zum ersten darauf folgenden Arbeitstag.

Artikel 21 1

Eine verspätete Annahme ist dennoch als Annahme wirksam, wenn der Anbietende unverzüglich den Annehmenden in diesem Sinne mündlich unterrichtet oder eine entsprechende schriftliche Mitteilung absendet.

2 Ergibt sich aus dem eine verspätete Annahme enthaltenden Brief oder anderen Schriftstück, dass die Mitteilung nach den Umständen, unter denen sie abgesandt worden ist, bei normaler Beförderung dem Anbietenden rechtzeitig zuge847

Verträge über den internationalen Warenkauf

gangen wäre, so ist die verspätete Annahme als Annahme wirksam, wenn der Anbietende nicht unverzüglich den Annehmenden mündlich davon unterrichtet, dass er sein Angebot als erloschen betrachtet, oder eine entsprechende schriftliche Mitteilung absendet.

Artikel 22

Eine Annahme kann zurückgenommen werden, wenn die Rücknahmeerklärung dem Anbietenden vor oder in dem Zeitpunkt zugeht, in dem die Annahme wirksam geworden wäre.

Artikel 23

Ein Vertrag ist in dem Zeitpunkt geschlossen, in dem die Annahme eines Angebots nach diesem Übereinkommen wirksam wird.

Artikel 24

Für die Zwecke dieses Teils des Übereinkommens «geht» ein Angebot, eine Annahmeerklärung oder sonstige Willenserklärung dem Empfänger «zu», wenn sie ihm mündlich gemacht wird oder wenn sie auf anderem Weg ihm persönlich, an seiner Niederlassung oder Postanschrift oder, wenn diese fehlen, an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort zugestellt wird.

Teil III Warenkauf Kapitel I Allgemeine Bestimmungen Artikel 25

Eine von einer Partei begangene Vertragsverletzung ist wesentlich, wenn ;sie für die andere Partei solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, dass die Vertragsbrüchige Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und eine vernünftige Person in gleicher Stellung diese Folge unter den gleichen Umständen auch nicht vorausgesehen hätte.

Artikel 26

Eine Erklärung, dass der Vertrag aufgehoben wird, ist nur wirksam, wenn sie der anderen Partei mitgeteilt wird.

848

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel 27 Soweit in diesem Teil des Übereinkommens nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt wird, nimmt bei einer Anzeige, Aufforderung oder sonstigen Mitteilung, die eine Partei gemäss diesem Teil mit den nach den Umständen geeigneten Mitteln macht, eine Verzögerung oder ein Irrtum bei der Übermittlung der Mitteilung oder deren Nichteintreffen dieser Partei nicht das Recht, sich auf die Mitteilung zu berufen.

Artikel 28 Ist eine Partei nach diesem Übereinkommen berechtigt, von der anderen Partei die Erfüllung einer Verpflichtung zu verlangen, so braucht ein Gericht eine Entscheidung auf Erfüllung in Natur nur zu fällen, wenn es dies auch nach seinem eigenen Recht bei gleichartigen Kaufverträgen täte, die nicht unter dieses Übereinkommen fallen.

Artikel 29 1 Ein Vertrag kann durch blosse Vereinbarung der Parteien geändert oder aufgehoben werden.

2 Enthält ein schriftlicher Vertrag eine Bestimmung, wonach jede Änderung oder Aufhebung durch Vereinbarung schriftlich zu erfolgen hat, so darf er nicht auf andere Weise geändert oder aufgehoben werden. Eine Partei kann jedoch aufgrund ihres Verhaltens davon ausgeschlossen sein, sich auf eine solche Bestimmung zu berufen, soweit die andere Partei sich auf dieses Verhalten verlassen hat.

Kapitel II Pflichten des Verkäufers Artikel 30 Der Verkäufer ist nach Massgabe des Vertrages und dieses Übereinkommens verpflichtet, die Ware zu liefern, die sie betreffenden Dokumente zu übergeben und das Eigentum an der Ware zu übertragen.

Abschnitt I Lieferung der Ware und Übergabe der Dokumente Artikel 31 Hat der Verkäufer die Ware nicht an einem anderen bestimmten Ort zu liefern, so besteht seine Lieferpflicht in folgendem: a) Erfordert der Kaufvertrag eine Beförderung der Ware, so hat sie der Verkäufer dem ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer zu übergeben; 849

Verträge über den internationalen Warenkauf

b) bezieht sich der Vertrag in Fällen, die nicht unter Buchstabe a fallen, auf bestimmte Ware oder auf gattungsmässig bezeichnete Ware, die aus einem bestimmten Bestand zu entnehmen ist, oder auf herzustellende oder zu erzeugende Ware und wussten die Parteien bei Vertragsabschluss, dass die Ware, sich an einem bestimmten Ort befand oder dort herzustellen oder zu erzeugen war, so hat der Verkäufer die Ware dem Käufer an diesem Ort zur Verfügung zu stellen; c) in den anderen Fällen hat der Verkäufer die Ware dem Käufer an dem Ort zur Verfügung zu stellen, an dem der Verkäufer bei Vertragsabschluss seine Niederlassung hatte.

Artikel 32 1 Übergibt der Verkäufer nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen die Ware einem Beförderer und ist die Ware nicht deutlich durch daran angebrachte Kennzeichen oder durch Befördemngsdokumente oder auf andere Weise dem Vertrag zugeordnet, so hat der Verkäufer dem Käufer die Verwendung anzuzeigen und dabei die Ware im einzelnen zu bezeichnen.

2

Hat der Verkäufer für die Beförderung der Ware zu sorgen, so hat er die Verträge zu schliessen, die zur Beförderung an den festgesetzten Ort mit den nach den Umständen angemessenen Beförderungsmitteln und zu den für solche Beförderungen üblichen Bedingungen erforderlich sind.

3

Ist der Verkäufer nicht zum Abschluss einer Transportversicherung verpflichtet, so hat er dem Käufer auf dessen Verlangen alle ihm verfügbaren, zum Abschluss einer solchen Versicherung erforderlichen Auskünfte zu erteilen.

Artikel 33 Der Verkäufer hat die Ware zu liefern: a) wenn ein Zeitpunkt im Vertrag bestimmt ist oder aufgrund des Vertrages bestimmt werden kann, zu diesem Zeitpunkt; b) wenn ein Zeitraum im Vertrag bestimmt ist oder aufgrund des Vertrages bestimmt werden kann, jederzeit innerhalb dieses Zeitraums, sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, dass der Käufer den Zeitpunkt zu wählen hat, oder c) in allen anderen Fällen innerhalb einer angemessenen Frist nach Vertragsabschluss.

Artikel 34 Hat der Verkäufer Dokumente zu übergeben, die sich auf die Ware beziehen, so hat er sie zu dem Zeitpunkt, an dem Ort und in der Form zu übergeben, die im Vertrag vorgesehen sind. Hat der Verkäufer die Dokumente bereits vorher übergeben, so kann er bis zu dem für die Übergabe vorgesehenen Zeitpunkt jede Vertragswidrigkeit der Dokumente beheben, wenn die Ausübung dieses Rechts

850

Verträge über den internationalen Warenkauf

dem Käufer nicht unzumutbare Unannehmlichkeiten oder unverhältnismässige Kosten verursacht. Der Käufer behält jedoch das Recht, Schadenersatz nach diesem Übereinkommen zu verlangen.

Abschnitt II Vertragsmässigkeit der Ware und Rechte oder Ansprüche Dritter Artikel 35 1 Der Verkäufer hat Ware zu liefern, die in Menge, Qualität und Art sowie hinsichtlich Verpackung oder Behältnis den Anforderungen des Vertrags entspricht.

2 Haben die Parteien nichts anderes vereinbart, so entspricht die Ware dem Vertrag nur: a) wenn sie sich für die Zwecke eignet, für die Ware der gleichen Art gewöhnlich gebraucht wird ; b) wenn sie sich für einen bestimmten Zweck eignet, der dem Verkäufer bei Vertragsabschluss ausdrücklich oder auf andere Weise zur Kenntnis gebracht wurde, sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, dass der Käufer auf die Sachkenntnis und das Urteilsvermögen des Verkäufers nicht vertraute oder vernünftigerweise nicht vertrauen konnte; c) wenn sie die Eigenschaften einer Ware besitzt, die der Verkäufer dem Käufer als Probe oder Muster vorgelegt hat; d) wenn sie in der für Ware dieser Art üblichen Weise oder, falls es eine solche Weise nicht gibt, in einer für die Erhaltung und den Schutz der Ware angemessenen Weise verpackt ist.

3 Der Verkäufer haftet nach Absatz 2 Buchstaben a-d nicht für eine Vertragswidrigkeit der Ware, wenn der Käufer bei Vertragsabschluss diese Vertragswidrigkeit kannte oder darüber nicht in Unkenntnis sein konnte.

Artikel 36 1 Der Verkäufer haftet nach dem Vertrag und diesem Übereinkommen für eine Vertragswidrigkeit, die im Zeitpunkt des Überganges der Gefahr auf den Käufer besteht, auch wenn die Vertragswidrigkeit erst nach diesem Zeitpunkt offenbar wird.

2 Der Verkäufer haftet auch für eine Vertragswidrigkeit, die nach dem in Absatz l angegebenen Zeitpunkt eintritt und auf die Verletzung einer seiner Pflichten zurückzuführen ist, einschliesslich der Verletzung einer Garantie dafür, dass die Ware für eine bestimmte Zeit für den üblichen Zweck oder für einen bestimmten Zweck geeignet bleiben oder besondere Eigenschaften oder Merkmale behalten wird.

851

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel37 Bei vorzeitiger Lieferung der Ware behält der Verkäufer bis zu dem für die Lieferung festgesetzten Zeitpunkt das Recht, fehlende Teile nachzuliefern, eine fehlende Menge auszugleichen, für nicht vertragsgemässe Ware Ersatz zu liefern oder die Vertragswidrigkeit der gelieferten Ware zu beheben, wenn die Ausübung dieses Rechts dem Käufer nicht unzumutbare Unannehmlichkeiten oder unverhältnismässige Kosten verursacht. Der Käufer behält jedoch das Recht, Schadenersatz nach diesem Übereinkommen zu verlangen.

Artikel 38 1 Der Käufer hat die Ware innerhalb einer so kurzen Frist zu untersuchen oder untersuchen zu lassen, wie es die Umstände erlauben.

2 Erfordert der Vertrag eine Beförderung der Ware, so kann die Untersuchung bis nach dem Eintreffen der Ware am Bestimmungsort aufgeschoben werden.

3 Wird die Ware vom Käufer umgeleitet oder von ihm weiterversandt, ohne dass er ausreichend Gelegenheit hatte, sie zu untersuchen, und kannte der Verkäufer bei Vertragsabschluss die Möglichkeit einer solchen Umleitung oder Weiterversendung oder musste er sie kennen, so kann die Untersuchung bis nach dem Eintreffen der Ware an ihrem neuen Bestimmungsort aufgeschoben werden.

Artikel 39 1 Der Käufer verliert das Recht, sich auf eine Vertragswidrigkeit der Ware zu berufen, wenn er sie dem Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt, in dem er sie festgestellt hat oder hätte feststellen müssen, anzeigt und dabei die Art der Vertragswidrigkeit genau bezeichnet.

2 Der Käufer verliert in jedem Fall das Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit der Ware zu berufen, wenn er sie nicht spätestens innerhalb von zwei Jahren, nachdem ihm die Ware tatsächlich übergeben worden ist, dem Verkäufer anzeigt, es sei denn, dass diese Frist mit einer vertraglichen Garantiefrist unvereinbar ist.

Artikel 40 Der Verkäufer kann sich auf die Artikel 38 und 39 nicht berufen, wenn die Vertragswidrigkeit auf Tatsachen beruht, die er kannte oder über die er nicht in Unkenntnis sein konnte und die er dem Käufer nicht offenbart hat.

Artikel 41 Der Verkäufer hat die Ware zu liefern, die frei von Rechten oder Ansprüchen Dritter ist, es sei denn, dass der Käufer eingewilligt hat, die mit einem solchen Recht oder Anspruch belastete Ware anzunehmen. Beruhen jedoch solche Rechte oder Ansprüche auf gewerblichem oder anderem geistigem Eigentum, so regelt Artikel 42 die Verpflichtung des Verkäufers.

852

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel 42 1 Der Verkäufer hat Ware zu liefern, die frei von Rechten oder Ansprüchen Dritter ist, die auf gewerblichem oder anderem geistigen Eigentum beruhen und die der Verkäufer bei Vertragsabschluss kannte oder über die er nicht in Unkenntnis sein konnte, vorausgesetzt, das Recht oder der Anspruch beruht auf gewerblichem oder anderem geistigen Eigentum: a) nach dem Recht des Staates, in dem die Ware weiterverkauft oder in dem sie in anderer Weise verwendet wird oder verwendet werden soll, wenn die Parteien bei Vertragsabschluss in Betracht gezogen haben, dass die Ware dort weiterverkauft oder verwendet wird, oder b) in jedem anderen Falle nach dem Recht des Staates, in dem der Käufer seine Niederlassung hat.

2 Die Verpflichtung des Verkäufers nach Absatz l erstreckt sich nicht auf Fälle: a) in denen der Käufer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses das Recht oder den Anspruch kannte oder darüber nicht in Unkenntnis sein konnte, oder b) in denen das Recht oder der Anspruch sich daraus ergibt, dàss der Verkäufer sich nach technischen Zeichnungen, Entwürfen, Formeln oder sonstigen Angaben gerichtet hat, die der Käufer zur Verfügung gestellt hat.

Artikel 43 1 Der Käufer kann sich auf die Artikel 41 oder 42 nicht berufen, wenn er dem Verkäufer das Recht oder den Anspruch des Dritten nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt, von dem an er davon Kenntnis hatte oder haben musste, anzeigt und dabei genau bezeichnet, welcher Art das Recht oder der Anspruch des Dritten ist.

2 Der Verkäufer kann sich nicht auf Absatz l berufen, wenn er das Recht oder den Anspruch des Dritten und seine Art kannte.

Artikel 44

Ungeachtet der Artikel 39 Absatz l und 43 Absatz l kann der Käufer den Preis nach Artikel 50 herabsetzen oder Schadenersatz, ausser für entgangenen Gewinn, verlangen, wenn er eine vernünftige Entschuldigung dafür hat, dass er die erforderliche Anzeige unterlassen hat.

Abschnitt III Rechte des Käufers wegen Vertragsverletzung durch den Verkäufer Artikel 45 1 Erfüllt der Verkäufer eine seiner Pflichten nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen nicht, so kann der Käufer a) die in den Artikeln 46-52 vorgesehenen Rechte ausüben; b) Schadenersatz nach den Artikeln 74-77 verlangen.

853

Verträge über den internationalen Warenkauf

2

Der Käufer verliert das Recht, Schadenersatz zu verlangen, nicht dadurch, dass er andere Rechte ausübt.

3 Übt der Käufer ein Recht wegen Vertragsverletzung aus, so darf ein Gericht oder Schiedsgericht dem Verkäufer keine zusätzliche Frist gewähren.

Artikel 46 1 Der Käufer kann vom Verkäufer Erfüllung seiner Pflichten verlangen, es sei denn, dass der Käufer ein Recht ausgeübt hat, das mit diesem Verlangen unvereinbar ist.

2 Ist die Ware nicht vertragsgemäss, so kann der Käufer Ersatzlieferung nur verlangen, wenn die Vertragswidrigkeit eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt und die Ersatzlieferung entweder zusammen mit einer Anzeige nach Artikel 39 oder innerhalb einer angemessenen Frist danach verlangt wird.

3 Ist die Ware nicht vertragsgemäss, so kann der Käufer den Verkäufer auffordern, die Vertragswidrigkeit durch Nachbesserung zu beheben, es sei denn, dass dies unter Berücksichtigung aller Umstände unzumutbar ist. Nachbesserung muss entweder zusammen mit einer Anzeige nach Artikel 39 oder innerhalb einer angemessenen Frist danach verlangt werden.

Artikel 47 1 Der Käufer kann dem Verkäufer eine angemessene Nachfrist zur Erfüllung seiner Pflichten setzen.

2 Der Käufer kann vor Ablauf dieser Frist kein Recht wegen Vertragsverletzung ausüben, ausser wenn er vom Verkäufer die Anzeige erhalten hat, dass dieser seine Pflichten nicht innerhalb der so gesetzten Frist erfüllen wird. Der Käufer behält jedoch das Recht, Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung zu verlangen.

Artikel 48 1 Vorbehaltlich des Artikels 49 kann der Verkäufer einen Mangel in der, Erfüllung seiner Pflichten auch nach dem Liefertermin auf eigene Kosten beheben, wenn dies keine unzumutbare Verzögerung nach sich zieht und dem Käufer weder unzumutbare Unannehmlichkeiten noch Ungewissheit über die Erstattung seiner Auslagen durch den Verkäufer verursacht. Der Käufer behält jedoch das Recht, Schadenersatz nach diesem Übereinkommen zu verlangen.

2 Fordert der Verkäufer den Käufer auf, ihm mitzuteilen, ob er die Erfüllung annehmen will, und entspricht der Käufer der Aufforderung nicht innerhalb einer angemessenen Frist, so kann der Verkäufer innerhalb der in seiner Aufforderung angegebenen Frist erfüllen. Der Käufer kann vor Ablauf dieser Frist kein Recht ausüben, das mit der Erfüllung durch den Verkäufer unvereinbar ist.

854

Verträge über den internationalen Warenkauf

3

Zeigt der Verkäufer dem Käufer an, dass er innerhalb einer bestimmten Frist erfüllen wird, so wird vermutet, dass die Anzeige eine Aufforderung an den Käufer nach Absatz 2 enthält, seine Entscheidung mitzuteilen.

4 Eine Aufforderung oder Anzeige des Verkäufers nach den Absätzen 2 oder 3 ist nur wirksam, wenn der Käufer sie erhalten hat.

Artikel 49 1 Der Käufer kann die Aufhebung des Vertrages erklären, a) wenn die Nichterfüllung einer dem Verkäufer nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen obliegenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt, oder b) wenn im Falle der Nichtlieferung der Verkäufer die Ware nicht innerhalb der vom Käufer nach Artikel 47 Absatz l gesetzten Nachfrist liefert oder wenn er erklärt, dass er nicht innerhalb der so gesetzten Frist liefern wird.

2 Hat der Verkäufer die Ware geliefert, so verliert jedoch der Käufer sein Recht, die Aufhebung des Vertrages zu erklären, wenn er a) im Falle der verspäteten Lieferung die Aufhebung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erklärt, nachdem er erfahren hat, dass die Lieferung erfolgt ist, oder b) im Falle einer anderen Vertragsverletzung als verspäteter Lieferung die Aufhebung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erklärt, i) nachdem er die Vertragsverletzung kannte oder kennen musste, ii) nachdem eine vom Käufer nach Artikel 47 Absatz l gesetzte Nachfrist abgelaufen ist oder nachdem der Verkäufer erklärt hat, dass er seine Pflichten nicht innerhalb der Nachfrist erfüllen wird, oder iii) nachdem eine vom Verkäufer nach Artikel 48 Absatz 2 gesetzte Frist abgelaufen ist oder nachdem der Käufer erklärt hat, dass er die Erfüllung nicht annehmen wird.

Artikel 50

Ist die Ware nicht vertragsgemäss, so kann der Käufer unabhängig davon, ob der Kaufpreis bereits gezahlt worden ist oder nicht, den Preis in dem Verhältnis herabsetzen, in dem der Wert, den die tatsächlich gelieferte Ware im Zeitpunkt der Lieferung hatte, zu dem Wert steht, den vertragsgemässe Ware zu diesem Zeitpunkt gehabt hätte. Behebt jedoch der Verkäufer nach den Artikeln 37 oder 48 einen Mangel in der Erfüllung seiner Pflichten oder weigert sich der Käufer, Erfüllung durch den Verkäufer nach den genannten Artikeln anzunehmen, so kann der Käufer den Preis nicht herabsetzen.

855

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel 51 1 Liefert der Verkäufer nur einen Teil der Ware oder ist nur ein Teil der gelieferten Ware vertragsgemäss, so gelten für den Teil, der fehlt oder der nicht vertragsgemäss ist, die Artikel 46-50.

2 Der Käufer kann nur dann die Aufhebung des gesamten Vertrages erklären, wenn die unvollständige oder nicht vertragsgemässe Lieferung eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt.

Artikels!

1 Liefert der Verkäufer eine grössere als die vereinbarte Menge, so kann der Käufer die zuviel gelieferte Menge annehmen oder ihre Annahme verweigern.

2

Nimmt der Käufer die zuviel gelieferte Menge ganz oder teilweise an, so hat er sie entsprechend dem vertraglichen Preis zu bezahlen.

Kapitel III Pflichten des Käufers Artikel 53 Der Käufer ist nach Massgabe des Vertrages und dieses Übereinkommens verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen und die Ware anzunehmen.

Abschnitt I Zahlung des Kaufpreises Artikel 54

Zur Pflicht des Käufers, den Kaufpreis zu zahlen, gehört es auch, die Massnahmen zu treffen und die Formalitäten zu erfüllen, die nach Vertrag oder Gesetz erforderlich sind, damit Zahlung geleistet werden kann.

Artikel 55

Ist ein Vertrag gültig geschlossen worden, ohne dass er den Kaufpreis ausdrücklich oder stillschweigend festsetzt oder dessen Festsetzung ermöglicht, so wird mangels gegenteiliger Anhaltspunkte vermutet, dass die Parteien sich stillschweigend auf den Kaufpreis bezogen haben, der bei Vertragsabschluss allgemein für derartige Ware berechnet wurde, die in dem betreffenden Geschäftszweig unter vergleichbaren Umständen verkauft wurde.

Artikel 56

Ist der Kaufpreis nach dem Gewicht der Ware festgesetzt, so bestimmt er sich im Zweifel nach dem Nettogewicht.

856

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel 57 1 Ist der Käufer nicht verpflichtet, den Kaufpreis an einem anderen bestimmten Ort zu zahlen, so hat er'ihn dem Verkäufer wie folgt zu zahlen: a) am Ort der Niederlassung des Verkäufers oder, b) wenn die Zahlung gegen Übergabe der Ware oder von Dokumenten zu leisten ist, an dem Ort, an dem die Übergabe stattfindet.

2 Der Verkäufer hat alle mit der Zahlung zusammenhängenden Mehrkosten zu tragen, die durch einen Wechsel seiner Niederlassung nach Vertragsschluss entstehen.

Artikel 58 1

Ist der Käufer nicht verpflichtet, den Kaufpreis zu einer bestimmten Zeit zu zahlen, so hat er den Preis zu zahlen, sobald ihm der Verkäufer entweder die Ware oder die Dokumente, die zur Verfügung darüber berechtigen, nach dem Vertrag und diesem Übereinkommen zur Verfügung gestellt hat. Der Verkäufer kann die Übergabe der Ware oder der Dokumente von der Zahlung abhängig machen.

2 Erfordert der Vertrag eine Beförderung der Ware, so kann der Verkäufer sie mit der Massgabe versenden, dass die Ware oder die Dokumente, die zur Verfügung darüber berechtigen, dem Käufer nur gegen Zahlung des Kaufpreises zu übergeben sind.

3

Der Käufer ist nicht verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen, bevor er Gelegenheit gehabt hat, die Ware zu untersuchen, es sei denn, die von den Parteien vereinbarten Lieferungs- oder Zahlungsmodalitäten bieten hierzu keine Gelegenheit.

Artikel 59 Der Käufer hat den Kaufpreis zu dem Zeitpunkt, der in dem Vertrag festgesetzt oder nach dem Vertrag und diesem Übereinkommen bestimmbar ist, zu zahlen, ohne dass es einer Aufforderung oder der Einhaltung von Formalitäten seitens des Verkäufers bedarf.

Abschnitt II Annahme Artikel 60 Die Pflicht des Käufers zur Annahme besteht darin: a) alle Handlungen vorzunehmen, die vernünftigerweise von ihm erwartet werden können, damit dem Verkäufer die Lieferung ermöglicht wird und b) die Ware zu übernehmen.

34 Bundesblatt. 141.Jahrgang. Bd.I

857

Verträge über den internationalen Warenkauf

Abschnitt III Rechte des Verkäufers wegen Vertragsverletzung durch den Käufer Artikel 61 1 Erfüllt der Käufer eine seiner Pflichten nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen nicht, so kann der Verkäufer: a) die in den Artikeln 62-65 vorgesehenen Rechte ausüben; b) Schadenersatz nach den Artikeln 74-77 verlangen.

2 Der Verkäufer verliert das Recht, Schadenersatz zu verlangen, nicht dadurch, dass er andere Rechte ausübt.

3 Übt der Verkäufer ein Recht wegen Vertragsverletzung aus, so darf ein Gericht oder Schiedsgericht dem Käufer keine zusätzliche Frist gewähren.

Artikel 62 Der Verkäufer kann vom Käufer verlangen, dass er den Kaufpreis zahlt, die Ware annimmt sowie seine sonstigen Pflichten erfüllt, es sei denn, dass der Verkäufer einen Rechtsbehelf ausgeübt hat, der mit diesem Verlangen unvereinbar ist.

Artikel 63 1 Der Verkäufer kann dem Käufer eine angemessene Nachfrist zur Erfüllung seiner Pflichten setzen.

2 Der Verkäufer kann vor Ablauf dieser Frist kein Recht wegen Vertragsverletzung ausüben; ausser wenn er vom Käufer die Anzeige erhalten hat, dass dieser seine Pflichten nicht innerhalb der so gesetzten Frist erfüllen wird. Der Verkäufer verliert dadurch jedoch nicht das Recht, Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung zu verlangen.

Artikel 64 1 Der Verkäufer kann die Aufhebung des Vertrages erklären: a) wenn die Nichterfüllung einer dem Käufer nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen obliegenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt, oder b) wenn der Käufer nicht innerhalb der vom Verkäufer nach Artikel 63 Absatz l gesetzten Nachfrist seine Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises oder zur Annahme der Ware erfüllt oder wenn er erklärt, dass er dies nicht innerhalb der so gesetzten Frist tun wird.

2 Hat der Käufer den Kaufpreis gezahlt, so verliert jedoch der Verkäufer sein Recht, die Aufhebung des Vertrages zu erklären, wenn er: a) im Falle verspäteter Erfüllung durch den Käufer die Aufhebung nicht erklärt, bevor er erfahren hat, dass erfüllt worden ist, oder 858

Verträge über den internationalen Warenkauf

b) im Falle einer anderen Vertragsverletzung als verspäteter Erfüllung durch den Käufer die Aufhebung nicht innerhalb einer angemessenen Zeit erklärt: i) nachdem der Verkäufer die Vertragsverletzung kannte oder kennen musste, oder ii) nachdem eine vom Verkäufer nach Artikel 63 Absatz l gesetzte Nachfrist abgelaufen ist, oder nachdem der Käufer erklärt hat, dass er seine Pflichten nicht innerhalb der Nachfrist erfüllen wird.

Artikel 65 1 Hat der Käufer nach dem Vertrag die Form, die Masse oder andere Merkmale der Ware näher zu spezifizieren und nimmt er diese Spezifizierung nicht zu dem vereinbarten Zeitpunkt oder innerhalb einer angemessenen Frist nach Eingang einer Aufforderung durch den Verkäufer vor, so kann der Verkäufer unbeschadet aller ihm zustehenden sonstigen Rechte die Spezifizierung nach den Bedürfnissen des Käufers, soweit ihm diese bekannt sind, selbst vornehmen.

2 Nimmt der Verkäufer die Spezifizierung selbst vor, so hat er dem Käufer deren Einzelheiten mitzuteilen und ihm eine angemessene Frist zu setzen, innerhalb deren der Käufer eine abweichende Spezifizierung vornehmen kann.

Macht der Käufer nach Eingang einer solchen Mitteilung von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, so ist die vom Verkäufer vorgenommene Spezifizierung verbindlich.

Kapitel IV Übergang der Gefahr Artikel 66

Untergang oder Beschädigung der Ware nach Übergang der Gefahr auf den Käufer befreit diesen nicht von der Pflicht, den Kaufpreis zu zahlen, es sei denn, dass der Untergang oder die Beschädigung auf eine Handlung oder Unterlassung des Verkäufers zurückzuführen ist.

Artikel 67 1

Erfordert der Kaufvertrag eine Beförderung der Ware und ist der Verkäufer nicht verpflichtet, sie an einem bestimmten Ort zu übergeben, so geht die Gefahr auf den Käufer über, sobald die Ware gemäss dem Kaufvertrag dem ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer übergeben wird. Hat der Verkäufer dem Beförderer die Ware an einen bestimmten Ort zu übergeben, so geht die Gefahr erst auf den Käufer über, wenn die Ware dem Beförderer an diesem Ort übergeben wird. Ist der Verkäufer befugt, die Dokumente, die zur Verfügung über die Ware berechtigen, zurückzubehalten, so hat dies keinen Einfluss auf den Übergang der Gefahr.

859

Verträge über den internationalen Warenkauf 2

Die Gefahr geht jedoch erst auf den Käufer über, wenn die Ware eindeutig dem Vertrag zugeordnet ist, sei es durch an der Ware angebrachte Kennzeichen, durch Beförderungsdokumente, durch eine Anzeige an den Käufer oder auf andere Weise.

Artikel 68 Wird Ware, die sich auf dem Transport befindet, verkauft, so geht die Gefahr im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf den Käufer über. Die Gefahr wird jedoch bereits im Zeitpunkt der Übergabe der Ware an den Beförderer, der die Dokumente über den Beförderungsvertrag ausgestellt hat, von dem Käufer übernommen, falls die Umstände diesen Schluss nahelegen. Wenn dagegen der Verkäufer bei Abschluss des Kaufvertrages wusste oder wissen musste, dâss die Ware untergegangen oder beschädigt war und er dies dem Käufer nicht offenbart hat, geht der Untergang oder die Beschädigung zu Lasten des Verkäufers.

Artikel 69 1

In den durch die Artikel 67 und 68 nicht geregelten Fällen geht die Gefahr auf den Käufer über, sobald er die Ware übernimmt oder, wenn er sie nicht rechtzeitig übernimmt, in dem Zeitpunkt, in dem ihm die Ware zur Verfügung gestellt wird und er durch Nichtannahme eine Vertragsverletzung begeht.

2

Hat jedoch der Käufer die Ware an einem anderen Ort als einer Niederlassung des Verkäufers zu übernehmen, so geht die Gefahr über, sobald die Lieferung fällig ist und der Käufer Kenntnis davon hat, dass ihm die Ware an diesem Ort zur Verfügung steht.

3

Betrifft der Vertrag Ware, die noch nicht individualisiert ist, so gilt sie erst dann als dem Käufer zur Verfügung gestellt, wenn sie eindeutig dem Vertrag zugeordnet worden ist.

Artikel 70 Hat der Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung begangen, so berühren die Artikel 67, 68 und 69 nicht die dem Käufer wegen einer solchen Verletzung zustehenden Rechte.

860

Verträge über den internationalen Warenkauf

Kapitel V Gemeinsame Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers Abschnitt I Vorweggenommene Vertragsverletzung und Verträge über aufeinander folgende Lieferungen Artikel 71 1

Eine Partei kann die Erfüllung ihrer Pflichten aussetzen, wenn sich nach Vertragsabschluss herausstellt, dass die andere Partei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird: a) wegen eines schwerwiegenden Mangels ihrer Fähigkeit, den Vertrag zu erfüllen, oder ihrer Zahlungsfähigkeit oder b) wegen ihres Verhaltens bei der Vorbereitung der Erfüllung oder bei der Erfüllung des Vertrages.

2

Hat der Verkäufer die Ware bereits abgesandt, bevor sich die in Absatz l bezeichneten Gründe herausstellen, so kann er sich der Übergabe der Ware an den Käufer widersetzen, selbst wenn der Käufer ein Dokument hat, das ihn berechtigt, die Ware zu erlangen. Der vorliegende Absatz betrifft nur die Rechte auf die Ware im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer.

3

Setzt eine Partei vor oder nach der Absendung der Ware die Erfüllung aus, so hat sie dies der anderen Partei sofort anzuzeigen; sie hat die Erfüllung fortzusetzen, wenn die andere Partei für die Erfüllung ihrer Pflichten ausreichende Sicherheit bietet.

Artikel 72 1

Ist schon vor dem für die Vertragserfüllung festgesetzten Zeitpunkt offensichtlich, dass eine Partei eine wesentliche Vertragsverletzung begehen wird, so kann die andere Partei die Aufhebung des Vertrages erklären.

2

Wenn es die Zeit erlaubt und es nach den Umständen vernünftig ist, hat die Partei, welche die Aufhebung des Vertrages erklären will, dies der anderen Partei anzuzeigen, um ihr zu ermöglichen, für die Erfüllung ihrer Pflichten ausreichende Sicherheit zu bieten.

3

Absatz 2 ist nicht anzuwenden, wenn die andere Partei erklärt hat, dass sie ihre Pflichten nicht erfüllen wird.

Artikel 73 1

Sieht eiri Vertrag aufeinanderfolgende Lieferungen von Ware vor und begeht eine Partei durch Nichterfüllung einer eine Teillieferung betreffenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung in bezug auf diese Teillieferung, so kann 35 Bundesblatt. 141.Jahrgang. Bd.I

861

Verträge über den internationalen Warenkauf

die andere Partei die Aufhebung des Vertrages in bezug auf diese Teillieferung erklären.

2

Gibt die Nichterfüllung einer eine Teillieferung betreffenden Pflicht durch eine der Parteien der anderen Partei triftigen Grund zu der Annahme, dass eine wesentliche Vertragsverletzung in bezug auf künftige Teillieferungen zu erwarten ist, so kann die andere Partei innerhalb angemessener Frist die Aufhebung des Vertrages für die Zukunft erklären.

3

Ein Käufer, der den Vertrag in bezug auf eine Lieferung als aufgehoben erklärt, kann gleichzeitig die Aufhebung des Vertrages in bezug auf bereits erhaltene Lieferungen oder in bezug auf künftige Lieferungen erklären, wenn diese Lieferungen wegen des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs nicht mehr für den Zweck verwendet werden können, den die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in Betracht gezogen haben.

Abschnitt II Schadenersatz Artikel 74 Als Schadenersatz für die durch eine Partei begangene Vertragsverletzung ist der der anderen Partei infolge der Vertragsverletzung entstandene Verlust, einschliesslich des entgangenen Gewinns, zu ersetzen. Dieser Schadenersatz darf jedoch den Verlust nicht übersteigen, den die Vertragsbrüchige Partei bei Vertragsabschluss als mögliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder unter Berücksichtigung der Umstände, die sie kannte oder kennen musste, hätte voraussehen müssen.

Artikel 75 Ist der Vertrag aufgehoben und hat der Käufer einen Deckungskauf oder der Verkäufer einen Deckungsverkauf in angemessener Weise und innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Aufhebung vorgenommen, so kann die Partei, die Schadenersatz verlangt, den Unterschied zwischen dem im Vertrag vereinbarten Preis und dem Preis des Deckungskaufs oder des Deckungsverkaufs sowie jeden weiteren Schadenersatz nach Artikel 74 verlangen.

Artikel 76 1 Ist der Vertrag aufgehoben und hat die Ware einen Marktpreis, so kann die Schadenersatz verlangende Partei, wenn sie keinen Deckungskauf oder Dekkungsverkauf nach Artikel 75 vorgenommen hat, den Unterschied zwischen dem im Vertrag vereinbarten Preis und dem Marktpreis zur Zeit der Aufhebung sowie jeden weiteren Schadenersatz nach Artikel 74 verlangen. Hat jedoch die Partei, die Schadenersatz verlangt, den Vertrag aufgehoben, nachdem sie die 862

Verträge über den internationalen Warenkauf

Ware übernommen hat, so gilt der Marktpreis zur Zeit der Übernahme und nicht der Marktpreis zur Zeit der Aufhebung.

2 Als Marktpreis im Sinne von Absatz l ist massgebend der Marktpreis, der an dem Ort gilt, an dem die Lieferung der Ware hätte erfolgen sollen, oder, wenn dort ein Marktpreis nicht besteht, der an einem angemessenen Ersatzort geltende Marktpreis; dabei sind Unterschiede in den Kosten der Beförderung der Ware zu berücksichtigen.

Artikel 77

Die Partei, die sich auf eine Vertragsverletzung beruft, hat alle den Umständen nach angemessenen Massnahmen zur Verringerung des aus der Vertragsverletzung folgenden Verlusts, einschliesslich des entgangenen Gewinns, zu treffen.

Versäumt sie dies, so kann die Vertragsbrüchige Partei Herabsetzung des Schadenersatzes in Höhe des Betrags verlangen, um den der Verlust hätte verringert werden sollen.

Abschnitt III Zinsen Artikel 78 Versäumt eine Partei, den Kaufpreis oder einen anderen fälligen Betrag zu zahlen, so hat die andere Partei für diese Beträge Anspruch auf Zinsen, unbeschadet eines Schadenersatzanspruchs nach Artikel 74.

Abschnitt IV Befreiungen Artikel 79 1 Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem ausserhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.

2

Beruht die Nichterfüllung einer Partei auf der Nichterfüllung durch einen Dritten, dessen sie sich zur völligen oder teilweisen Vertragserfüllung bedient, so ist diese Partei von der Haftung nur befreit; a) wenn sie nach Absatz l befreit ist und b) wenn der Dritte selbst ebenfalls nach Absatz l befreit wäre, sofern Absatz l auf ihn Anwendung fände.

863

Verträge über den internationalen Warenkauf

3

Die in diesem Artikel vorgesehene Befreiung gilt für die Zeit, während der der Hinderungsrund besteht.

4

Die Partei, die nicht erfüllt, hat den Hinderungsgrund und seine Auswirkung auf ihre Fähigkeit zu erfüllen, der anderen Partei mitzuteilen. Erhält die andere Partei die Mitteilung nicht innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem die nicht erfüllende Partei den Hinderungsgrund kannte oder kennen musste, so haftet sie für den aus diesem Nichterhalt entstehenden Schaden.

5

Dieser Artikel hindert die Parteien nicht, ein anderes als das Recht auszuüben, Schadenersatz nach diesem Übereinkommen zu verlangen.

Artikel 80 Eine Partei kann sich auf die Nichterfüllung von Pflichten durch die andere Partei nicht berufen, soweit diese Nichterfüllung durch ihre Handlung oder Unterlassung verursacht wurde.

Abschnitt V Wirkungen der Aufhebung Artikel 81 1 Die Aufhebung des Vertrages befreit beide Parteien von ihren Vertragspflichten, mit Ausnahme etwaiger Schadenersatzpflichten. Die Aufhebung berührt nicht Bestimmungen des Vertrages über die Beilegung von Streitigkeiten oder sonstige Bestimmungen des Vertrages, welche die Rechte und Pflichten der Parteien nach Vertragsaufhebung regeln.

2

Hat eine Partei den Vertrag ganz oder teilweise erfüllt, so kann sie ihre Leistung von der anderen Partei zurückfordern. Sind beide Parteien zur Rückgabe verpflichtet, so sind die Leistungen Zug um Zug zurückzugeben.

Artikel 82 1 Der Käufer verliert das Recht, die Aufhebung des Vertrages zu erklären oder vom Verkäufer Ersatzlieferung zu verlangen, wenn es ihm möglich ist, die Ware im wesentlichen in dem Zustand zurückzugeben, in dem er sie erhalten hat.

2

Absatz l findet keine Anwendung : a) wenn die Unmöglichkeit, die Ware zurückzugeben oder sie im wesentlichen in dem Zustand zurückzugeben, in dem der Käufer sie erhalten hat, nicht auf einer Handlung oder Unterlassung des Käufers beruht; b) wenn die Ware ganz oder teilweise infolge der in Artikel 38 vorgesehenen Untersuchung untergegangen oder verschlechtert worden ist, oder c) wenn der Käufer die Ware ganz oder teilweise im normalen Geschäftsverkehr verkauft oder der normalen Verwendung entsprechend verbraucht

864

Verträge über den internationalen Warenkauf

oder verändert hat, bevor er die Vertragswidrigkeit entdeckt hat oder hätte entdecken müssen.

Artikel 83 Der Käufer, der nach Artikel 82 das Recht verloren hat, die Aufhebung des Vertrages zu erklären oder vom Verkäufer Ersatzlieferung zu verlangen, behält alle anderen Rechte, die ihm nach dem Vertrag und diesem Übereinkommen zustehen.

Artikel 84 1 Hat der Verkäufer den Kaufpreis zurückzuzahlen, so hat er ausserdem vom Tag der Zahlung an auf den Betrag Zinsen zu zahlen.

2 Der Käufer schuldet dem Verkäufer den Gegenwert aller Vorteile, die er aus der Ware oder einem Teil der Ware gezogen hat: a) wenn er die Ware ganz oder teilweise zurückgeben muss oder b) wenn es ihm unmöglich ist, die Ware ganz oder teilweise zurückzugeben oder sie ganz oder teilweise im wesentlichen in dem Zustand zurückzugeben, in dem er sie erhalten hat, er aber dennoch die Aufhebung des Vertrages erklärt oder vom Verkäufer Ersatzlieferung verlangt hat.

Abschnitt VI Erhaltung der Ware Artikel 85 Nimmt der Käufer die Ware nicht rechtzeitig an oder versäumt er, falls Zahlung des Kaufpreises und Lieferung der Ware Zug um Zug erfolgen sollen, den Kaufpreis zu zahlen, und hat der Verkäufer die Ware dennoch in Besitz oder ist er sonst in der Lage, über sie zu verfügen, so hat der Verkäufer die den Umständen angemessenen Massnahmen zu ihrer Erhaltung zu treffen. Er ist berechtigt, die Ware zurückzubehalten, bis ihm der Käufer seine angemessenen Aufwendungen erstattet hat.

Artikel 86 1

Hat der Käufer die Ware empfangen und beabsichtigt er, ein nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen bestehendes Zurückweisungsrecht auszuüben, so hat er die den Umständen angemessenen Massnahmen zu ihrer Erhaltung zu treffen. Er ist berechtigt, die Ware zurückzubehalten, bis ihm der Verkäufer seine angemessenen Aufwendungen erstattet hat.

2

Ist die dem Käufer zugesandte Ware ihm am Bestimmungsort zur Verfügung gestellt worden und übt er das Recht aus, sie zurückzuweisen, so hat er sie für Rechnung des Verkäufers in Besitz zu nehmen, sofern dies ohne Zahlung des

865

Verträge über den internationalen Warenkauf

Kaufpreises und ohne unzumutbare Unannehmlichkeiten oder unverhältnismässige Kosten möglich ist. Dieser Absatz ist nicht anzuwenden, wenn der Verkäufer oder eine Person, die befugt ist, die Ware für Rechnung des Verkäufers in Obhut zu nehmen, am Bestimmungsort anwesend ist. Nimmt der Käufer die Ware nach diesem Absatz in Besitz, so werden seine Rechte und Pflichten durch Absatz l geregelt.

Artikel 87 Eine Partei, die Massnahmen zur Erhaltung der Ware zu treffen hat, kann die Ware auf Kosten der anderen Partei in den Lagerräumen eines Dritten einlagern, sofern daraus keine unverhältnismässigen Kosten entstehen.

Artikel 88 1

Eine Partei, die nach den Artikeln 85 oder 86 zur Erhaltung der Ware verpflichtet ist, kann sie auf jede geeignete Weise verkaufen, wenn die andere Partei die Inbesitznahme oder die Rücknahme der Ware oder die Zahlung des Kaufpreises oder der Erhaltungskosten ungebührlich hinauszögert, vorausgesetzt, dass sie der anderen Partei ihre Verkaufsabsicht rechtzeitig angezeigt hat.

2

Ist die Ware einer raschen Verschlechterung ausgesetzt oder würde die Erhaltung unverhältnismässige Kosten verursachen, so hat die Partei, der naeh den Artikeln 85 oder 86 die Erhaltung der Ware obliegt, sich in angemessener Weise um ihren Verkauf zu bemühen. Soweit möglich hat sie der anderen Partei ihre Verkaufsabsicht anzuzeigen.

3

Hat eine Partei die Ware verkauft, so kann sie aus dem Erlös des Verkaufs den Betrag behalten, der den angemessenen Kosten der Erhaltung und des Verkaufs der Ware entspricht. Den Überschuss schuldet sie der anderen Partei.

Teil IV Schlussbestimmungen Artikel 89 Der Generalsekretär der Vereinten Nationen wird hiermit zum Depositar dieses Übereinkommens bestimmt.

Artikel 90 Dieses Übereinkommen geht bereits geschlossenen oder in Zukunft zu schliessende internationalen Vereinbarungen, die Bestimmungen über in diesem Übereinkommen geregelte Gegenstände enthalten, nicht vor, sofern die Parteien ihre Niederlassung in Vertrags Staaten einer solchen Vereinbarung haben.

866

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel 91 1 Dieses Übereinkommen liegt in der Schlußsitzung der Konferenz der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf zur Unterzeichnung auf und liegt dann bis 30. September 1981 am Sitz der Vereinten Nationen in New York für alle Staaten zur Unterzeichnung auf.

2 Dieses Übereinkommen bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung durch die Unterzeichnerstaaten.

3 Dieses Übereinkommen steht allen Staaten, die nicht Unterzeichnerstaaten sind, von dem Tag an zum Beitritt offen, an dem es zur Unterzeichnung aufgelegt wird.

4 Die Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- und Beitrittsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt.

Artikel 92 1 Ein Vertragsstaat kann bei der Unterzeichnung, der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt erklären, dass Teil II dieses Übereinkommens für ihn nicht verbindlich ist oder dass Teil III dieses Übereinkommens für ihn nicht verbindlich ist.

2 Ein Vertragsstaat, der eine Erklärung nach Absatz l zu Teil II oder Teil III dieses Übereinkommens abgegeben hat, ist hinsichtlich solcher Gegenstände, die durch den Teil geregelt werden, auf den sich die Erklärung bezieht, nicht als Vertragsstaat im Sinne des Artikels l Absatz l zu betrachten.

Artikel 93 1 Ein Vertragsstaat, der zwei oder mehr Gebietseinheiten umfasst, in denen nach seiner Verfassung auf die in diesem Übereinkommen geregelten Gegenstände unterschiedliche Rechtsordnungen angewendet werden, kann bei der Unterzeichnung, der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt erklären, dass dieses Übereinkommen sich auf alle seine Gebietseinheiten oder nur auf eine oder mehrere derselben erstreckt; er kann seine Erklärung jederzeit durch eine neue Erklärung ändern.

2 Die Erklärungen sind dem Depositar zu notifizieren und haben ausdrücklich anzugeben, auf welche Gebietseinheiten das Übereinkommen sich erstreckt.

3 Erstreckt sich das Übereinkommen aufgrund einer Erklärung nach diesem Artikel auf eine oder mehrere, jedoch nicht auf alle Gebietseinheiten eines Vertragsstaats und liegt die Niederlassung einer Partei in diesem Staat, so wird diese Niederlassung im Sinne dieses Übereinkommens nur dann als in einem Vertragsstaat gelegen betrachtet, wenn sie in einer Gebietseinheit liegt, auf die sich das Übereinkommen erstreckt.

4 Gibt ein Vertragsstaat keine Erklärung nach Absatz l ab, so erstreckt sich dieses Übereinkommen auf alle Gebietseinheiten dieses Staates.

867

Verträge über den internationalen Warenkauf

Artikel 94 1 Zwei oder mehr Vertragsstaaten, welche gleiche oder einander sehr nahekommende Rechtsvorschriften für Gegenstände haben, die in diesem Übereinkommen geregelt werden, können jederzeit erklären, dass das Übereinkommen auf Kaufverträge und ihren Abschluss keine Anwendung findet, wenn die Parteien ihre Niederlassung in diesen Staaten haben. Solche Erklärungen können als gemeinsame oder als aufeinander bezogene einseitige Erklärungen abgegeben werden.

2 Hat ein Vertragsstaat für Gegenstände, die in diesem Übereinkommen geregelt werden, Rechtsvorschriften, die denen eines oder mehrerer Nichtvertragsstaaten gleich sind oder sehr nahekommen, so kann er jederzeit erklären, dass das Übereinkommen auf Kaufverträge oder ihren Abschluss keine Anwendung findet, wenn die Parteien ihre Niederlassung in diesen Staaten haben.

3 Wird ein Staat, auf den sich eine Erklärung nach Absatz 2 bezieht, Vertragsstaat, so hat die Erklärung von dem Tag an, an dem das Übereinkommen für den neuen Vertragsstaat in Kraft tritt, die Wirkung einer nach Absatz l abgegebenen Erklärung, vorausgesetzt, dass der neue Vertragsstaat sich einer solchen Erklärung anschliesst oder eine darauf bezogene einseitige Erklärung abgibt.

Artikel 95

Jeder Staat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde erklären, dass Artikel l Absatz l Buchstabe b für ihn nicht verbindlich ist.

Artikel 96

Ein Vertragsstaat, nach dessen Rechtsvorschriften Kaufverträge schriftlich zu schliessen oder nachzuweisen sind, kann jederzeit eine Erklärung nach Artikel 12 abgeben, dass die Bestimmungen der Artikel 11 und 29 oder des Teils II dieses Übereinkommens, die für den Abschluss eines Kaufvertrages, seine Änderung oder Aufhebung durch Vereinbarung oder für ein Angebot, eine Annahme oder eine sonstige Willenserklärung eine andere als die schriftliche Form gestatten, nicht gelten, wenn eine Partei ihre Niederlassung in diesem Staat hat.

Artikel 97 1

Erklärungen, die nach diesem Übereinkommen bei der Unterzeichnung abgegeben werden, bedürfen der Bestätigung bei der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung.

2 Erklärungen und Bestätigung von Erklärungen bedürfen der Schriftform und sind dem Depositar zu notifizieren.

868

Verträge über den internationalen Warenkauf

3

Eine Erklärung wird gleichzeitig mit dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens für den betreffenden Staat wirksam. Eine Erklärung, die dem Depositar nach diesem Inkrafttreten notifiziert wird, tritt jedoch am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von sechs Monaten nach ihrem Eingang beim Depositar folgt. Aufeinander bezogene einseitige Erklärungen nach Artikel 94 werden am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von sechs Monaten nach Eingang der letzten Erklärung beim Depositar folgt.

4 Ein Staat, der eine Erklärung nach diesem Übereinkommen abgibt, kann sie jederzeit durch eine an den Depositar gerichtete schriftliche Notifikation zurücknehmen. Eine solche Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von sechs Monaten nach Eingang der Notifikation beim Depositar folgt.

5 Die Rücknahme einer nach Artikel 94 abgegebenen Erklärung macht eine von einem anderen Staat nach Artikel 94 abgegebene, darauf bezogene Erklärung von dem Tag an unwirksam, an dem die Rücknahme wirksam wird.

Artikel 98 Vorbehalte sind nur zulässig, soweit sie in diesem Übereinkommen ausdrücklich für zulässig erklärt werden.

Artikel 99 1 Vorbehaltlich des Absatzes 6 tritt dieses Übereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von zwölf Monaten nach Hinterlegung der zehnten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde einschliesslich einer Urkunde, die eine nach Artikel 92 abgegebene Erklärung enthält, folgt.

2 Wenn ein Staat dieses Übereinkommen nach Hinterlegung der zehnten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde ratifiziert, annimmt, genehmigt oder ihm beitritt, tritt dieses Übereinkommen mit Ausnahme des ausgeschlossenen Teils für diesen Staat vorbehaltlich des Absatzes 6 am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von zwölf Monaten nach Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde folgt.

3

Ein Staat, der dieses Übereinkommen ratifiziert, annimmt, genehmigt oder ihm beitritt und Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom I.Juli 1964 zur Einführung eines Einheitlichen Gesetzes über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (Haager Abschlussübereinkommen von 1964) oder des Haager Übereinkommens vom 1. Juli 1964 zur Einführung eines Einheitlichen Gesetzes über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (Haager Kaufrechtsübereinkommen von 1964) ist, kündigt gleichzeitig das Haager Kaufrechtsübereinkommen von 1964 oder das Haager Abschluss869

Verträge über den internationalen Warenkauf

übereinkommen von 1964 oder gegebenenfalls beide Übereinkommen, indem er der Regierung der Niederlande die Kündigung notifiziert.

4 Ein Vertragsstaat des Haager Raufrechtsübereinkommens von 1964, der das vorliegende Übereinkommen ratifiziert, annimmt, genehmigt oder ihm beitritt und nach Artikel 92 erklärt oder erklärt hat, dass Teil II dieses Übereinkommens für ihn nicht verbindlich ist, kündigt bei der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt das Haager Kaufrechtsübereinkommen von 1964, indem er der Regierung der Niederlande die Kündigung notifiziert.

5 Ein Vertragsstaat des Haager Abschlussübereinkommens von 1964, der das vorliegende Übereinkommen ratifiziert, annimmt, genehmigt oder ihm beitritt und nach Artikel 92 erklärt oder erklärt hat, dass Teil III dieses Übereinkommens für ihn nicht verbindlich ist, kündigt bei der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt das Haager Abschlussübereinkommen von 1964, indem er der Regierung der Niederlande die Kündigung notifiziert.

6 Für die Zwecke dieses Artikels werden Ratifikationen, Annahmen, Genehmigungen und Beitritte bezüglich dieses Übereinkommens, die von Vertragsstaaten des Haager Abschlussübereinkommens von 1964 oder des Haager Kaufrechtsübereinkommens von 1964 vorgenommen werden, erst wirksam, nachdem die erforderlichen Kündigungen durch diese Staaten bezüglich der genannten Übereinkommen selbst wirksam geworden sind. Der Depositar dieses Übereinkommens setzt sich mit der Regierung der Niederlande als Depositar der Übereinkommen von 1964 in Verbindung, um die hierfür notwendige Koordinierung sicherzustellen.

Artikel 100 1 Dieses Übereinkommen findet auf den Abschluss eines Vertrages nur Anwendung, wenn das Angebot zum Vertragsabschluss an oder nach dem Tag gemacht wird, an dem das Übereinkommen für die in Artikel l Absatz l Buchstabe a genannten Vertragsstaaten oder den in Artikel l Absatz l Buchstabe b genannten Vertragsstaat in Kraft tritt.

2 Dieses Übereinkommen findet nur auf Verträge Anwendung, die an oder nach dem Tag geschlossen werden, an dem das Übereinkommen für die in Artikel l Absatz l Buchstabe a genannten Vertragsstaaten oder den in Artikel l Absatz l Buchstabe b genannten Vertragsstaat in Kraft tritt.

Artikel 101 1 Ein Vertragsstaat kann dieses Übereinkommen oder dessen Teil II oder
Teil III durch eine an den Depositar gerichtete schriftliche Notifikation kündigen.

2 Eine Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von zwölf Monaten nach Eingang der Notifikation beim Depositar folgt. Ist in der Notifikation eine längere Kündigungsfrist angegeben, so wird 870

Verträge über den internationalen Warenkauf

die Kündigung nach Ablauf dieser längeren Frist nach Eingang der Notifikation beim Depositar wirksam.

Geschehen zu Wien, am 11. April 1980 in einer Urschrift in arabischer, chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist.

Zu Urkund dessen haben die unterzeichneten, hierzu von ihren Regierungen gehörig befugten Bevollmächtigten dieses Übereinkommen unterschrieben.

Es folgen die Unterschriften

2999

871

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.Januar 1989

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1989

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

11

Cahier Numero Geschäftsnummer

89.002

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.03.1989

Date Data Seite

745-871

Page Pagina Ref. No

10 050 993

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.