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Massnahmen nach Tschernobyl

Stellungnahme des Bundesrates zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission vom 10. November 1988

vom 11. Januar 1989

Sicherheitsstandard und akzeptables Risiko (zu den Ziff. 31 und 41) Die vorgeschlagene Anpassung des Bewertungsmassstabes für eine Strahlendosis an jene für Substanzen in Lebensmitteln ist nicht zweckmässig und würde bei der Realisierung zu unabsehbaren Konsequenzen führen: Im Strahlenschutz ist ein Standard durch die natürliche Strahlendosis und ihre Variationsbreite bereits gegeben. Dieser darf nicht nur auf jene Strahlendosis ausgerichtet sein, die durch Aufnahme von radioaktiven Nukliden mit der Nahrung bewirkt wird, sondern muss externe Dosen (z. B. verursacht durch Strahlung aus dem Weltraum, aus der Erde oder von einer Bodenkontamination) und Dosen durch Einatmung von Nukliden (z. B. Radon-Folgeprodukten) einschliessen. Ein besonders strenger Massstab bei Strahlendosen durch künstliche Radioaktivität in Lebensmitteln ist unzweckmässig, weil eine Übertragung auf andere (aber vergleichbare) Ursachen von Dosen zu unverhältnismässigen Massnahmen führen würde. Zum Beispiel müssten viele Gegenden wegen höherer natürlicher Strahlung aus dem Boden als nicht mehr bewohnbar erklärt werden oder es müssten völlig unverhältnismässige Sanierungen von Häusern wegen Radon vorgeschrieben werden.

Der im Strahlenschutz bisher benutzte Standard kann sich auch auf strahlenbiologische Befunde abstützen: Variationen der natürlichen Strahlendosen innerhalb der oben erwähnten Schwankungsbreite lassen keine signifikanten Unterschiede der Krebshäufigkeit erkennen.

Der Bundesrat ist der Meinung, dass der Standard für die Belastung von Lebensmitteln mit Aflatoxin nicht ohne weiteres mit demjenigen der Belastung von Lebensmitteln mit radioaktiven Nukliden verglichen werden kann. Dieser Standard der Lebensmittelkontrolle (akzeptiertes Risiko von einem zusätzlichen Krebsfall pro einer Million lebenslang exponierter Menschen) ist auch nicht für alle chemischen Stoffe in Lebensmitteln anwendbar. Das akzeptierte Risiko für Aflatoxin kann deshalb nicht als der alleinige Standard für Karzinogene in der Lebensmittelkontrolle betrachtet werden.

Der Standard der Lebensmittelkontrolle für Aflatoxin ist für die Belastung von Lebensmitteln mit radioaktiven Nukliden bereits im Normalfall nicht anwendbar. Der Mensch ist dauernd einer natürlichen Strahlung ausgesetzt. So nimmt er täglich über die Nahrung Radionuklide auf, die sich von Natur aus in Lebensmitteln befinden wie z. B. Kalium-40. Das damit verbundene Risiko ist bei

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Annahme der linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung für die Strahlung bereits wesentlich grösser als das Risiko beim erwähnten Standard für Aflatoxin.

Massgebende internationale Gremien beschäftigen sich seit einiger Zeit mit der Problematik der Festlegung von Referenzwerten für Massnahmen bei nuklearen Unfällen. Bereits vor Tschernobyl wurden für solche Situationen zwei Interventionsschwellen vorgeschlagen: Diese liegen für den Konsum von verstrahlten Lebensmitteln bei einer Dosis von 5 mSv (500 millirem) bzw. 50 mSv (5 rem) im ersten Jahr nach dem Ereignis (ICRP 1984, IAEA 1985, WHO 1984) 0. Unterhalb der tieferen Schwelle (5 mSv) sind sicher keine, oberhalb der höheren Schwelle (50 mSv) sind unbedingt Schutzmassnahmen anzuordnen. Zwischen den beiden Schwellenwerten können Schutzmassnahmen angeordnet werden, wenn ihr Nutzen grösser ist als die damit verbundenen Nachteile.

Nach Tschernobyl haben namentlich die IAEA, die NEA, die WHO, die FAO und die EG das Thema der Belastung von Lebensmitteln mit radioaktiven Nukliden aufgegriffen. Die entsprechenden Arbeiten und Diskussionen, an welchen auch die Schweiz aktiv teilnimmt, sind noch nicht abgeschlossen. Der Bundesrat ist der Meinung, dass die Schweiz die Ergebnisse abwarten und wenn immer möglich international akzeptierte Regelungen übernehmen sollte.

Dies auch deshalb, weil die Schweiz nach Tschernobyl eine Initiative zur internationalen Harmonisierung der Interventionswerte ergriffen hat. In diesem Sinne würde es der Bundesrat als wenig zweckmässig erachten, wenn das Strahlenschutzgesetz ihn hier in seinem Ermessen unnötig einengen würde. Der Bundesrat sichert indessen zu, dass er die Werte so festsetzen wird, dass damit ein optimaler Schutz der Bevölkerung gewährleistet ist. Diese Zielsetzung ist denn auch eines der wesentlichen Prinzipien des Strahlenschutzgesetzes.

Der Bundesrat ist deshalb der Meinung, dass Artikel 17 des Entwurfs zu einem Strahlenschutzgesetz in der Fassung des Bundesrates, die auch vom Ständerat gutgeheissen wurde, belassen werden sollte.

Festlegung von Grenzwerten in Lebensrnitteln im voraus (zu den Ziff. 32, 42, 431 und 432) Im Rahmen der Revision der Strahlenschutzverordnung ist vorgesehen, für den Normalfall feste Toleranzwerte für radioaktive Nuklide in Lebensmitteln festzulegen. Für den Fall einer Gefährdung durch
erhöhte Radioaktivität sieht der Bundesrat, wie bereits erwähnt, vor, die zumutbaren Strahlendosen in Form von zwei Interventionsschwellen im voraus festzulegen. Die Höhe dieser Strahlendosen wird auf die Resultate der international laufenden Arbeiten abgestützt werden. Nach einem Ereignis wird es notwendig sein, der konkreten Gefährdungslage angepasste Eingriffswerte (Höchstkonzentrationen) festzulegen, die z. B. auf die Zusammensetzung des Nuklidgemisches Rücksicht nehmen.

Die Forderung der Kantonschemiker und der Lebensmittelindustrie nach Höchstkonzentrationen von Nukliden in Lebensmitteln, die zum voraus festgelegt sind, ist verständlich. Im Vordergrund von Verbesserungen sollten aber '' Das Verzeichnis der Abkürzungen befindet sich am Schluss der Stellungnahme.

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nicht Vereinfachungen zugunsten der Messorgane stehen, sondern ein umfassender Strahlenschutz, der Rücksicht nehmen kann auf die Versorgungslage und auf die Verstrahlungssituation.

Ebenso soll das oberste Ziel im Strahlenschutz «so niedrige Dosen, wie sie vernünftigerweise möglich sind» (ALARA-Prinzip) erreicht werden können. Dieses Prinzip wurde nach Tschernobyl von der Einsatzorganisation in der Schweiz auch angewandt. Es ist ferner eine der Grundlagen im neuen Strahlenschutzgesetz. Falls Grenzwerte für Nuklid-Konzentrationen zum voraus generell festgelegt würden, könnten diese Anforderungen nicht mehr optimal erfüllt werden.

Es müsste beispielsweise angenommen werden, dass Strahlendosen von vielen Nukliden in Lebensmitteln und von externer Strahlung sowie von eingeatmeten Nukliden bewirkt werden. Damit die Gesamtdosis sicher niedrig bleibt, rhüssten alle einzelnen Grenzwerte niedrig angesetzt werden. Deshalb würden in einem konkreten Fall die Massnahmen meist unverhältnismässig ausfallen; die Scheingenauigkeit würde gefördert. Indessen kann geprüft werden, ob wenigstens für gewisse Gruppen von Radionukliden in bestimmten Lebensrnitteln feste Eingriffswerte festgelegt werden sollen. Als Beispiel kann erwähnt werden: lod-Isotope in Milch und Milchprodukten.

Die Beibehaltung eines Konzeptes auf der Grundlage der Gesamtbelastung des Menschen (Dosiskonzept) schliesst nicht aus, dass - ein Dosiskonzept erarbeitet werden kann mit zwei Schwellen (unterhalb der tieferen Schwelle sind keine, oberhalb der höheren Schwelle sind unbedingt Massnahmen anzuordnen), - Grenzwerte in Lebensmitteln rasch bekannt gegeben werden, - anfänglich strengere Vorschriften erlassen werden, die später gelockert werden können, - Szenarien für die Verarbeitung von radioaktiv kontaminierten Lebensmitteln erarbeitet werden (Nahrungsmittelkette: Milch/Rahm/Butter/Käse), - in der Schweiz ein ebenbürtiger Gesundheitsschutz wie in Nachbarländern gewährt werden kann.

Postulat internationale Harmonisierung im Strahlenschutz (zu Ziff. 42) Der Bundesrat wird sich auch in Zukunft dafür verwenden, dass bei der Erarbeitung von Bemessungsgrundlagen für den Strahlenschutz bei erhöhter Radioaktivität eine internationale Einigung erzielt werden kann. Fortschritte sind bereits bezüglich der akzeptablen Dosen gemacht worden. Im Bereich der Konzentrationen von radioaktiven Nukliden in Lebensmitteln sind in verschiedenen internationalen Organisationen intensive Diskussionen im Gange. Gegenstand dieser Diskussionen ist auch die von der GPK angeführte Lösungsmöglichkeit.

Für den internationalen Handel mit Produkten aus Gebieten, die von Nuklearunfällen betroffen sind, kann vermutlich demnächst eine Einigung im Rahmen der FAO und WHO erzielt werden.

In diesem Sinn erklärt sich der Bundesrat bereit, das Postulat entgegenzunehmen.

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Scheingenauigkeit und scheinbare Sicherheiten (zu den Ziff. 32 und 431.2) Kennzeichen einer wissenschaftlich abgestützten quantitativen Aussage ist die zusätzliche Angabe, wie genau ein Ergebnis ist. Eine Aussage «225-355 zusätzliche Krebsfälle pro Million Einwohner» ist problematisch, wenn nicht zugleich die Voraussetzungen erwähnt werden, welche zu diesem Resultat geführt haben und welche gestatten, ihre Zuverlässigkeit zu bewerten.

Beim Strahlenschutz und insbesondere im Bereich der niedrigen Strahlendosen gibt es keine einfachen «Schwarz-Weiss-Aussagen», beispielsweise über die Gefährlichkeit einer Strahlendosis. Trotzdem muss ein Massnahmen-Konzept gestatten, in einer Krisenlage Entscheide aufgrund von zahlenmässig fixierten Interventionsschwellen zu fällen.

Scheingenauigkeiten im Bereich niedriger Strahlendosen sind durch eine gezielte und verständliche Aufklärung zu vermeiden.

System der Grenzwerte und Massnahmen (zu Ziff. 432.1) Bei einer Verstrahlung nach einem nuklearen Unfall wird als erstes die Nuklidzusammensetzung bestimmt, sofern diese nicht aus den Ereignisdaten im Detail bekannt ist. Das Verhalten der wichtigen Nuklide (z. B. Iod-131, Caesium-137, Strontium-90) in den Nahrungsmittelketten ist weitgehend bekannt. Die Kontamination der Nahrungsmittel und die dadurch bewirkte interne Belastung der Bevölkerung sind von vielen Faktoren abhängig. Ein sehr wichtiger Faktor ist der Zeitpunkt des Ereignisses, da die Kontamination der Lebensmittel stark von der Wachstumsperiode der Vegetation abhängig ist.

Für die Einsatzorganisation des Bundes bei erhöhter Radioaktivität (BOG) ist ein Computerprogramm ECOSYS beschafft worden, das. von der Flächenbelegung mit radioaktiven Nukliden ausgehend, die Kontamination der einzelnen Lebensmittel als Funktion verschiedener Faktoren (z. B. Zeitpunkt des Ereignisses) berechnet und eine Prognose über die zu erwartende Strahlendosis für die Bevölkerung erstellt, unter Einbezug des Warenkorbes, der Essgewohnheiten und des Alters der betroffenen Bevölkerungsgruppen. Das Computer-Programm wird 1989 an die Verhältnisse in der Schweiz angepasst werden. Besondere Anpassungen sind unter anderem für die Vegetationsperioden und die Essgewohnheiten der Schweizer vorzunehmen. Zur Vorbereitung auf einen Ernstfall werden für verschiedene Wachstumsperioden typische Verstrahlungslagen studiert und entsprechende Szenarien erstellt.

Das erwähnte Computer-Programm soll hauptsächlich ein Arbeitsmittel sein, um in der Anfangsphase eines Ereignisses möglichst schnell aus der gegebenen Situation eine Voraussage darüber machen zu können, welche Kontamination der Lebensmittel und welche Strahlendosen für die Bevölkerung kurz- und langfristig zu erwarten sind, welche Lebensmittel speziell durch Messungen überprüft und welche Massnahmen ins Auge gefasst werden sollen.

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Feste Eingriffswerte (zu Ziff. 432.2) Seit 1982 verfügt die Schweiz über ein Dosis-Massnahmenkonzept vor allem für den Fall einer Nuklearexplosion oder eines Kernkraftwerk-Unfalles. Es enthält Dosisrichtwerte für Schutzmassnahmen bei Gefährdung durch externe Bestrahlung und bei Gefährdung durch interne Bestrahlung infolge Einnahme von verstrahlten Lebensmitteln.

Nach einem Ereignis beurteilt die BOG die Verstrahlungslage und beantragt dem Bundesrat die Festsetzung von höchstzulässigen Konzentrationen von radioaktiven Nukliden in Lebensmitteln. Da sich die Konzentration von Radionukliden in Lebensmitteln nach einem Ereignis sehr rasch ändern kann, braucht es eine grosse Flexibilität; je nach Lage kann es nötig sein, unterschiedliche höchstzulässige Konzentrationen festzulegen.

Mit den Kantonschemikern wurde diese Regelung in den Grundsätzen über die der Zusammenarbeit zwischen der Einsatzorganisation des Bundes und den kantonalen Laboratorien bei erhöhter Radioaktivität schriftlich vereinbart und im Bulletin des Bundesamtes für Gesundheitswesen Nr. 42 vom 27. Oktober 1988 publiziert.

Gesundheitsschutz in der Schweiz (zu Ziff. 432.3) Die bei einer Gefährdung durch erhöhte Radioaktivität zu treffenden Massnahmen müssen einen optimalen Schutz der Bevölkerung gewährleisten.

Der Bundesrat hofft, dass die Bemühungen um eine internationale Harmonisierung der Massnahmenkonzepte im Falle grenzüberschreitender Verstrahlung erfolgreich sein werden. Die Schweiz kann aber nicht verhindern, dass in den Nachbarländern im Ereignisfall unter Umständen Massnahmen getroffen werden, die von jenen in der Schweiz abweichen.

Gesamteuropäischer Warenkorb (zu Ziff. 432.4) Der Vergleich der Grundlagen für die Berechnung der Dosen der Bevölkerung infolge Aufnahme kontaminierter Lebensmittel bei erhöhter Radioaktivität zwischen der Schweiz und der EG zeigt keinen nennenswerten Unterschied für die angenommenen Verzehrgewohnheiten. Die in der Schweiz verwendeten Grundlagen gehen von einer insgesamt etwas höheren Konsumrate aus und sind daher entsprechend strenger als jene der EG. Unsere Annahmen können also als repräsentativ für Gesamteuropa angesehen werden.

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Übermittlungssystem PHOENIX (zu Ziff. 432.5) Das geplante System PHOENIX ist ein integraler Bestandteil des Informatikkonzeptes der Nationalen Alarmzentrale.

Es wird die Daten für die Beurteilung der internen Verstrahlung erfassen und verarbeiten, welche aus den Messungen der 30 AC-Laboratorien der Kantone und den rund fünf Speziallabors des Bundes gewonnen werden. Zusätzlich sollen die Messwerte der 111 zivilen Messposten für die externe Verstrahlung automatisch erfasst werden.

Das System PHOENIX soll auch der rationellen Vermittlung der Resultate und Informationen an die Datenlieferanten dienen.

Auswertung und Radioaktivitätsmessungen in der Schweiz (zu den Ziff. 34 und 432.6) Die Forderungen der GPK können grundsätzlich als erfüllt betrachtet werden.

Die Radioaktivitätsüberwachung in der Schweiz und die Auswertung der Resultate durch die Kommission zur Überwachung der Radioaktivität, die Eidgenössische Kommission für Strahlenschutz und Bundesstellen gehen weiter. Bei der Interpretation stützen sich die Schweizer Fachorgane weitgehend auf die international anerkannten wissenschaftlichen Ergebnisse (z. B. der ICRP). Das schliesst nicht aus, dass auch in der Schweiz langfristige Auswirkungen von Strahlendosen untersucht werden könnten; entsprechende Vorabklärungen laufen. Allerdings müssten sich solche Untersuchungen primär auf jene Dosen konzentrieren, die am ehesten Auswirkungen zeigen. Dies wären in erster Linie Auswirkungen der Dosen von Radon-Folgeprodukten und von medizinischen Untersuchungen. Die Auswertung der Messungen nach dem Unfall Tschernobyl in der Schweiz ergibt dagegen Erkenntnisse über das Verhalten von Radionukliden in der Umwelt, den Nahrungsketten und in den Lebewesen.

Die Ergebnisse der gesamten Überwachung werden jährlich in einem Bericht zuhanden des Bundesrates zusammengefasst und veröffentlicht. Darin werden auch die sich aus der Strahlenexposition der Bevölkerung ergebenden möglichen gesundheitlichen Risiken festgehalten.

Die Alarmorganisation (neu: Einsatzorganisation) (zu Ziff. 34) Die Verordnung vom 15. April 1987 über die Einsatzorganisation des Bundes bei erhöhter Radioaktivität (VEOR; SR 732.32) berücksichtigt die Erfahrungen aus dem KKW-Unfall von Tschernobyl auf organisatorischer Ebene. Insbesondere drei Positionen galt es gegenüber der alten Organisation zu verbessern: 1. Die Einsatzgruppe der Kommission für AC-Schutz (EiGrKAC) war für einen 24-Stunden-Betrieb personell unterdotiert und anderseits fachlich zu wenig breit abgestützt (z. B. fehlten Mediziner). Dies gab Anlass zur Schaffung personell ausreichend dotierter Armeestabsteile. (Astt NAZ und Astt 721

GERA). Diese organisatorische Aufteilung ermöglichte eine klare Aufgabenzuweisung. NAZ: zuständig für die Erfassung der radiologischen Lage; GERA: zuständig für die Beurteilung der gesundheitlichen Auswirkungen der radiologischen Lage und Antragstellung.

2. Die Verbindung der EiGrKAC zum Bundesrat wurde als ungenügend bezeichnet. Mit der Bildung des Leitenden Ausschusses Radioaktivität (LAR), dem der Vizekanzler für Information sowie Direktoren von Bundesämtern, die von einem radiologischen Ereignis hauptsächlich betroffen sind, angehören, ist dieser Mangel behoben worden. Dabei wird auf eingespielte Strukturen abgestellt, um das Fachwissen der einzelnen Departemente voll nutzen zu können. In dringenden Situationen, in welchen die Zeit fehlt, den ordentlichen Dienstweg einzuhalten, gibt die VEOR die Kompetenz ausdrücklich den Organen der BOG.

3. Als Folge von Tschernobyl wurde ein qualitativer und quantitativer Ausbau der Informationstätigkeit und die Schaffung einer Informationszentrale zur Koordination der eingehenden und ausgehenden Meldungen verlangt. Diesem Postulat ist mit dem Aufbau einer Informationszentrale bei der Bundeskanzlei Rechnung getragen worden.

Anlässlich der GVU 88 ist die neue Organisation im Rahmen einer Mehrfachkrise getestet worden. Nach übereinstimmender Auffassung hat sie sich grundsätzlich bewährt. Indessen sind punktuelle Verbesserungen im Bereich der Schnittstellen (NAZ-GERA-LAR-InfoZen) noch zu verwirklichen.

Im Zusammenhang mit der Bewältigung von C-Ereignissen ist die Verordnung vom 31. Oktober 1984 über die Nationale Alarmzentrale (SR 732.34) zu überarbeiten, was auch Rückwirkungen auf die VEOR zeitigen wird.

Vorsorge für den Viehbestand der Landwirtschaft (zu Ziff. 432.8) Der Bundesrat erachtet derzeit Massnahmen zur Sicherstellung eines Notvorrats an Heu- und Futtermitteln als nicht erforderlich. Er geht davon aus, dass es in der Landwirtschaft seit jeher Tradition ist, dass zu jeder Jahreszeit ein angemessener Vorrat ah Heu Und Futtermitteln vorhanden ist. Der Landwirt weiss aus Erfahrung, dass je nach den Witterungsbedingungen (Kälte, Nässe, Trockenheit, Beginn und Ende der Grün- resp. Dürrfütterung) die Futterversorgung sehr unterschiedlich ausfallen kann. Aus diesem Grund sorgt er vor, um nicht bei der Versorgung seines Viehbestandes in Schwierigkeiten
zu kommen.

Einsatzorganisation Meldungen an die Alarmzentrale (zu Ziff. 433.1) Seit Tschernobyl konnten international bezüglich der Zuverlässigkeit von offiziellen Meldungen an die Nationale Alarmzentrale wesentliche Verbesserungen erzielt werden (Ratifikation des Übereinkommens von 1986 über die frühzeitige 722

Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen, AS 1988 1360; Intensivierung der Kontakte mit den Nachbarländern). Meldungen, die international über Nachrichtenagenturen oder Informanten eingehen, sind für die Nationale Alarmzentrale zu wenig zuverlässig. Sie können aber ein erster Hinweis auf ein Ereignis und damit Anlass für Rückfragen sein.

Auch national bemüht sich die Nationale Alarmzentrale darum, die Zuverlässigkeit der Meldungen, insbesondere über C-Ereignisse, zu verbessern. Sie tut dies. durch Kontakte mit den Kantonen (Polizeiorgane der Kantone), durch Teilnahme an Übungen sowie durch technische Verbesserungen und periodische Kontrolle der Verbindungen.

Die Verbesserung der Zuverlässigkeit der Meldungen ist eine Daueraufgabe der zuständigen Instanzen, denn zuverlässige Meldungen sind eine wesentliche Voraussetzung für die rasche und angemessene Reaktion der Organe der Einsatzorganisation.

Rasche und klare Massnahmen und krisentaugliche Lösungen (zu den Ziff. 433.2 und 433.3) Der Verband der Kantonschemiker der Schweiz und das Bundesamt für Gesundheitswesen haben sich auf Grundsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Einsatzorganisation des Bundes und den kantonalen Laboratorien bei erhöhter Radioaktivität geeinigt. Damit wurde namentlich für die Probenahmeund Messorganisation im Ereignisfall eine einfache und krisentaugliche Lösung realisiert, die auch von den Kantonen getragen wird. Mit dieser Lösung sind auch die Voraussetzungen für die Vorbereitung rascher und klarer Massnahmen gegeben.

Erprobung der Einsatzorganisation (zu Ziff. 433.4) : Basierend auf den Erfahrungen von Tschernobyl ist die Einsatzorganisation bei erhöhter Radioaktivität neu strukturiert worden (VEOR). Der Betrieb der Nationalen Alarmzentrale ist im Ereignisfall bereits seit dem 1. Januar 1984 einem Armeestabsteil übertragen (Verordnung vom 31. Okt. 1984 über die Nationale Alarmzentrale; SR 732.34). Der Stab Gesundheitsschutz bei erhöhter Radioaktivität (GERA) und die Informationszentrale der Bundeskanzlei (InfoZen) wurden auf den I.Januar 1988 bzw. I.Juli 1988 als Armeestabsteile organisiert.

Nach Artikel 5 der VEOR werden die Einsatzorganisation oder Teile davon jährlich mindestens einmal durch eine Übung auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft (LAR-Bericht 1987). Bereits im März 1988 wurden in einer ersten Übung
unter Mitwirkung des kantonalen Notfallstabes Luzern Teile der BOG getestet und Folgerungen gezogen. In einer weiteren Übung auf ähnlicher Basis im Oktober 1988 waren die NAZ, der Stab GERA, Teile der InfoZen und Mitarbeiter der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft beteiligt. Die Erfahrungen aus dieser Übung .wurden in die Gesamtverteidigungsübung 88 eingebracht. Diese Übung hat wesentliche Erkenntnisse ergeben, deren Auswer723

tung in den einzelnen Gremien bereits angelaufen ist. Eine weitere Übung im Rahmen der BOG ist für Oktober 1989 geplant.

Information der Öffentlichkeit (zu den Ziff. 33, 434.1 und 434.2) Die nach der Tschernobyl-Katastrophe neu gebildete InfoZen hatte in der Gesamtverteidigungs-Übung GVU 88 ihre Feuerprobe zu bestehen. Erste Beurteilungen kommen zum Schluss, dass sich die Organisation im Prinzip bewährt hat. Verschiedene Verbesserungen, darunter insbesondere die reibungslosen Beziehungen zu allen Teilen der BOG sowie die Schulung aller Beteiligten, werden an die Hand genommen. Dabei werden auch die Empfehlungen der GPK in die weiteren Arbeiten einbezogen. Als Daueraufgabe veröffentlicht das Bundesamt für Gesundheitswesen in seinem wöchentlich erscheinenden Bulletin die Messwerte über die Strahlendosen von 51 Stationen in der Schweiz (NADAM).

Sicherheit der Kernkraftwerke Störfallanleitungen (zu Ziff. 435.1) Wie im Bericht des Bundesrates vom November 1987 über die Sicherheit der schweizerischen Kernkraftwerke nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl erwähnt wird, müssen die Betreiber der schweizerischen Kernkraftwerke im Hinblick auf eine weitere Verbesserung der Sicherheit auch die Störfallanweisungen und Massnahmen des «Accident Management» überprüfen und gegebenenfalls ergänzen. Diese Abklärungen sind im Gang. Sie müssen wegen der spezifischen Gegebenheiten für jede Anlage separat getroffen werden. Die Ergebnisse internationaler Zusammenarbeit bezüglich Phänomene, Ablauf und Analyse von Reaktorunfällen sowie Möglichkeiten von Gegenmassnahmen sollen dabei berücksichtigt werden.

Schutz von Mensch und Umwelt als Ziel der Sicherheitsmassnahmen (zu Ziff. 435.2) Nach Artikel 5 des Atomgesetzes sind die atomrechtlichen Bewilligungen u. a.

dann zu verweigern oder von der Erfüllung geeigneter Bedingungen und Auflagen abhängig zu machen, wenn dies zum Schutz von Menschen, fremden Sachen oder wichtigen Rechtsgütern nötig ist. Die Aufsichtsbehörden interpretieren diese Bestimmung so, dass alle Vorkehren zu treffen sind, die für einen ausreichenden Schutz von Mensch und Umwelt notwendig sind. Sie müssen in jedem Fall und unabhängig von finanziellen Überlegungen getroffen werden. Das Ausmass dieser Vorkehren bestimmt sich nach dem Stand der Wissenschaft, der Technik und der Erfahrung. Ziel dieser Vorkehren
ist unter anderem, schwere Unfälle nach menschlichem Ermessen auszuschliessen. Wesentliche Fortschritte des Standes der Wissenschaft und der Technik sowie neue Erfahrungen müssen 724

dabei auch bei bestehenden Anlagen in angemessener Weise berücksichtigt werden. Die Höhe des notwendigen Schutzes wird so festgelegt, dass die Nutzung der Kernenergie die bestehende Gefährdung für Mensch und Umwelt nicht wesentlich erhöhen darf.

Entsprechend dem im Strahlenschutz anerkannten ALÀRA-Prinzip ist zudem das Risiko weiter zu vermindern, soweit dies unter Berücksichtigung des erreichbaren Sicherheitsgewinns für die Betroffenen unter allen Aspekten zumutbar ist. Es ist vorgesehen, auf dieser Basis im neuen Kernenergiegesetz die Schutzziele für die friedliche Nutzung der Kernenergie zu formulieren.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Delamuraz Der Bundeskanzler: Buser

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Verzeichnis der Abkürzungen ALARA As low äs reasonably achievable (so tief wie vernünftigerweise erreichbar) EG Europäische Gemeinschaften BOG Einsatzorganisation des Bundes bei erhöhter Radioaktivität FAO Food and Agricultural Organization (Welt-Ernährungsorganisation) GERA Stab Gesundheitsschutz bei erhöhter Radioaktivität (Armeestabsteil) GPK Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates IAEA Internationale Atom-Energie-Agentur ICRP International Commission for Radiation Protection (Internationale Strahlenschutzkommission) InfoZen Informationszentrale der Bundeskanzlei (Armeestabsteil) LAR Leiternder Ausschuss Radioaktivität NAZ Nationale Alarmzentrale (Armeestabsteil) NEA Nuclear Energy Agency (Atom-Energie-Agentur der OECD) VEOR Verordnung über die Einsatzorganisation des Bundes bei erhöhter Radioaktivität (vom 15. April 1987) WHO World Health Organization (Welt Gesundheitsorganisation)

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Massnahmen nach Tschernobyl Stellungnahme des Bundesrates zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission vom 10. November 1988 vom 11. Januar 1989

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1989

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10

Cahier Numero Geschäftsnummer

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14.03.1989

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10 050 988

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