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Schweizerisches Bundesblatt.

32. Jahrgang. III.

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Nr. 40.

18. September 1880.

Antwortschreiben von

Hrn. Dr. K e r n an den Vorsteher des eidg. Departements des Innern, Hrn. Bundesrath S c h e n k , betreffend die Revision der Bundesverfassung.

(Vom

13. September 1880.)

Herr Bundesrath !

Mit verehrter Zuschrift vom 8. d. Mts. haben Sie den Wunsch gegen mich ausgesprochen, Ihnen meine Auffassung mitzutheilen über die, den am 13. dies ' zusammentretenden eidgenössischen Räthen vorzulegende streitige Frage, ob ein Revisionsbegehren in dem Sinne, wie es von einer verfassungsmäßigen Anzahl von Bürgern gestellt wird, bundesrechtlich zuläßig sei. Dasselbe lautet folgendermaßen : ,,Volks-initiative.

,, Die unterzeichneten Schweizerbürger, gestüzt auf Artikel 120 der Bundesverfassung, gaben anmit ihren Willen kund, es habe eine Revision des Artikels 39 der Bundesverfassung stattzufinden -- und zwar sei diese Revision in dem Sinne zur Hand zu nehmen, daß verfügt werde: 1. Artikel 39 der Bundesverfassung ist aufgehoben.

2. An seine Stelle tritt folgender Artikel : ,,,,Nur dem Bunde steht das Recht zu, Banknoten, beziehungsweise Kassenscheine aus: zugeben.

Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. III.

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,,,,Er darf keine Rechtsverbindlichkeit für deren Annahme aussprechen.

,,,,Der aus der Ausgabe von Banknoten, beziehungsweise Kassenscheinen sich ergebende Gewinn wird, nach einem gesezlich zu bestimmenden Maßstabe, zwischen Bund und Kantonen vertheilt.tu(l 3. Dieser Revisionsartikel ist der Volksabstimmung zu unterbreiten.

4. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses leztern Beschlusses beauftragt.1'1' Gleichzeitig haben Sie sich veranlaßt gesehen, auf die Stellung hinzuweisen, ,,welche dem Unterzeichneten aus Anlaß der Revision der Bundesurkunde im Jahr 1847/48 in der Revisionskommission als Berichterstatter und als Redaktor der neuen Urkunde angewiesen worden war, mit dem Beifügen, daß gerade diese Stellung Ihnen mein Urtheil als besonders erwünscht erscheinen lasse."1 Obgleich in der Zeit sehr beschränkt, will der Unterzeichnete nicht ermangeln, dem gestellten Ansinnen Folge zu geben und Ihrem Wunsche nach Möglichkeit entsprechen.

I.

Indem der Unterzeichnete neben seinen persönlichen Erinnerungen ganz besonders auch die auf jene Verhandlungen bezüglichen Protokolle und offiziellen Berichte neuerdings zu Rathe gezogen hat, erachtet er es aber auch als Pflicht im Hinblike auf die praktischen Folgen, welche der Entscheid über die jezige Frage nach sich ziehen kann, Ihrem gestellten Wunsche gemäß, Ihnen seine Ansichten mitzutheilen. Dabei bezieht er sich vor Allem auf die Botschaft des Bundesrathes vom 18. vorigen Monats betreffend den durch das Volksbegehren vom 3. August 1880 gestellten Antrag auf Revision der Bundesverfassung. Hier stellt sich der Unterzeichnete vor Allem die Hauptfrage: ,,Ist ein Begehren in dem S i n n e , in w e l chem es von den Revisionspetenten gestellt wird, nach b e s t e h e n d e m B u n d e s r e c h t e w i r k l i c h z u l ä ß i g ? a Ich nehme nun keinen Anstand, nach erneuerter sorgfältiger Prüfung dieser Frage, nach abermaliger Durchsicht der sowohl von der Revisionskommission als von der Revisions-Tagsazung von 1847/48 ausgegangenen Protokolle und Berichte meine entschiedene Ueberzeugung dahin auszusprechen, daß ein solches Begehren mit den P r i n z i p i e n u n v e r e i n b a r erscheint, welche in der im Jahr 1848 vom Volk und Kantonen angenommenen Bundesverfassung

669 niedergelegt sind und welche seither keine Abänderung erlitten haben, die sich speziell auf die obschwebende Frage beziehen würde.

Wenn bei der Interpretation von konstitutionellen Bestimmungen immer die eigentlichen Grundlagen, die Fundamentalprinzipien, auf welchen eine Verfassung ruht, in Erwägung und Berüksichtigung gezogen werden müssen, so ist dies besonders da der Fall, wo Abänderungen des Grundgesezes selbst, auf dem Wege der Revision, in Frage komrnea.

Wir fragen daher: Welches waren die Grundprinzipien, von denen der Bund beider Schöpfung im Jahr 1848 ausgegangen ist?

und wir finden die Antwort darauf in folgenden entscheidenden Gesichtspunkten : Es können und dürfen nach unser m Bundesstaatsrecht keine Verfassungsbestimmungen ins Leben gerufen oder abgeändert werden, a l s d u r c h e i n Z u s a m m e n w i r k e n d e r b e i d e n F a k t o r e n d e s n a t i o n a l e n u n d d e s k a n t o n a l e n Elementes.

Es ist d i e s e s Prinzip, welches im offiziellen Berichte vom 8. April 1848 von den beiden Redaktoren (Dr. Kern und Druey) Namens der Revisionskommission den Kantonen und durch diese auch dem Volke zur Kenntniß gebracht worden. Jener Bericht hatte ja wesentlich die Bestimmung, dem Volke sowohl, als den Ständen in unzweideutiger und klarer Weise den Sinn und Geist des neuen Bundesentwurfes zur Keantniß zu bringen.

Es finden sich diese Prinzipien an verschiedenen Stellen, aber namentlich da speziell betont, wo der Rapport sich auf Seite 8 wörtlich also vernehmen läßt : ,,Ein Föderativsystem, welches die beiden Elemente, welche nun einmal in der Schweiz vorhanden sind, nämlich das nationale oder gemeinsame und das kantonale oder besondere, achtet, welches jedem dieser Elemente gibt, was ihm im Interesse des Ganzen und seiner Theile gehört, welches sie verschmelzt, vereinigt, welches die Glieder dem Ganzen, das Kantonale dem Nationalen unterordnet, indem sonst keine Eidgenossenschaf! möglich wäre und die Kantone in ihrer Vereinzelung zu Grunde gehen müßten; -- das ist's, was die jezige Schweiz bedarf, das isi;'s, was die Kommission anstrebte in dem Entwurf einer Bundesverfassung, den sie der Tagsazung vorzulegen die Ehre hat; das ist d e r G r u n d g e d a n k e d e r g a n z e n A r b e i t , d e r S c h l ü s s e l z u allen A r t i k e l n .

,,Der g a n z e E n
t w u r f i s t in d i e s e m G e i s t e a b g e f a ß t . t t Mit Recht muß mau daher vor Allem fragen, ob ein Verfahren in Sachen der Bundesrevision so beschaffen sei, wie ver-

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langt werden muß, und ob es mit den erwähnten Prinzipien auch wirklich im Einklänge stehe. Diese Frage muß entschieden vern e i n t werden.

Die Revisionspetenten (der K ü r z e w e g e n ist dieses Wort gewählt und werden darunter die den Revisionsantrag stellenden Bürger verstanden) erklären sich nicht bloß im Allgemeinen für eine Partialrevision im Gegensaz zur Totalrevision, sondern sie verlangen bestimmt, daß die Revision auf einen einzigen Artikel sich beschränke, und daß die Revision anderer Artikel für die eidgenössischenRäthe vorweg ausgeschlossen werden solle. Sie geben sogar durch einen von ihnen schon proponirten Artikel ihren Willen dahin kund, daß die Revision im S i n n d e s s e l b e n zur H a n d zu n e h m e n sei. Dies ist in doppelter Beziehung mit den konstitutionellen Grundlagen des Bundes unvereinbar. Erstens darum, weil dadurch von einer Minorität der Bevölkerung, welche ungefähr dem achten Theile der Gesammtaktivbürger gleichkommt, eine Abstimmung provozirt würde, welche implicite nichts anderes ist, als ein Volksentscheid über eine Revision, und zwar über die Revision nur eines einzelnen Artikels, gegenüber weitergehenden konstitutionellen Bestimmungen. Dazu aber hat weder diese Minderheit, noch irgend eine andere und weit stärkere Minorität des Volkes ein Recht. Es ist allgemein bekannt, wie wichtig schon diese erste Vorfrage für unser ganzes Bundesleben ist. Sie ist wichtig, im Hinblike auf die Wirkungen und den Einfluß, welchen ein solches Prozedere hätte schon bei Stellung des ersten Revisionsbegehrens; sie ist aber noch wichtiger in ihren Folgen. Wenn die Minderheit von einem Achtel der Bürger diesen Entscheid provoziren könnte, so sähe man nicht ein, warum ihr nicht das Recht zustehen sollte, die Revision von 10 und 20 andern Artikeln, oder der ganzen Bundesverfassung gleichfalls zu verlangen. Und ein solcher Entscheid würde provozirt ohne jegliche Mitberathung und Mitwirkung des kantonalen Elementes ! Das ist es eben, was man nach den oben berührten und so bestimmt, entwikelt Grundsäzen der Verfassung nicht zugeben kann. Schon diese wichtige Frage, ob partielle oder totale Revision, ist von großer Tragweite. Man ist es dem Schweizervolke und auch den Kantonen schuldig, daß über die Frage betreffend Total- oder Partialrevision nichts präjudizirt werde, als nach
vorausgegangener Berathung in den eidgenössischen Räthen. Die Ausschließung jeder derartigen Mitwirkung bei der Abstimmung über die verlangte Revision stünde in entschiedenem Widerspruche mit den Rechten, welche der Bund den Kantonen und ihren Repräsentanten zugestanden hat.

Das Begehren ist aber auch andererseits unzuläßig, sofern nicht nur den Räthen im Allgemeinen, sondern jedem Mitgliede des

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National- und Ständerathes eine Befugniß entzogen würde, welche ihm aufs Unzweideutigste durch den bestehenden Bund gewährleistet ist. Der Art. 81 der frühern und 93 der jezigen Verfassung sichert jedem der beiden Räthe die Initiative zu, und es hat jedes Mitglied des einen oder anderen Rathes das unbestreitbare Recht, jeden beliebigen Artikel als Revisionspunkt dem von den Petenten vorgebrachten zur Seite zu stellen und darüber die Diskussion und die Entscheidung zu veranlaßen. Jedes andere Verfahren wäre im Widerstreite mit dem zitirten Artikel und auch im Widerspruche mit dem unbestrittenen G-rimdsaze, daß die Revisionsverhandlungen auf dem Wege der B u n d e s g e s e z g e b u n g erfolgen sollen, weßhalb Berathungeri über Revision der Bundesverfassung in lezterer naturgemäß zu denjenigen Gegenständen gezählt werden, mit welchen die Räthe sich zu befassen haben (Art. 74, Ziff. 18 der alten und Art. 85, Ziff. 14 der neuen Verfassung). Es ist daher ein großer Irrthum, wenn man glaubt, schon bei Anlaß des von 50,000 Bürgern gestellten Begehrens oder bei der durch lezteres provozirten Abstimmung zusichern zu können, daß nichts in Revision genommen werden dürfe, als was die Revisionspetenten verlangen, im vorliegenden Falle also nur Art. 39 der Verfassung. Jede solche Garantie fällt dahin im Hinblike auf die angeführten Verfassungsbestimmungen und ist und bleibt i l l u s o r i s c h , so lange nicht neue Bestimmungen über Revision der Bundesverfassung an deiStelle der jezt in Kraft bestehenden getreten sein werden. Man ist es daher dem Volke und seinen Interessen, man ist es aber auch den Kantonen und ihren Rechten schuldig, über diesen Punkt und über die Gefahren, welche eine solche Zusicherung in sich schlösse, ganz unzweideutigen und positiven Aufschluß zu geben, damit nicht Täuschungen erfolgen, welche Diejenigen, die ihnen unterliegen sollten, möglicherweise am meisten bedauern müßten, vielleicht zu spät. Man darf nicht etwas als gesichert hinstellen, das im Hinblike auf unzweideutige Verfassungsbest.immungen als e i n e k o n s t i t u t i o n e l l e U n m ö g l i c h k e i t zu bezeichnen ist..

Die vorstehenden Erörterungen sind es, welche in Verbindung mit dem in der bundesräthlichen Botschaft vom 18. August 1880 Gesagten mich bestimmen, meine Ueberzeugung dahin auszusprechen, daß ein
Revisionsverfahren, wie es jezt postulirt wird, nach u n s e r e m B u n d e s r e c h t e d u r c h a u s u u z u l ä ß i g ist. Es scheinen diese Schwierigkeiten und die Unmöglichkeit, dieselben zu umgehen, auch den revisionsbegehrenden Bürgern schon früher vorgeschwebt zu haben, indem bereits im April 1879 eine Revision des Art. 120 über Revision überhaupt angestrebt wurde, welches Begehren jedoch von beiden Räthen mit großer Mehrheit abgelehnt worden ist.

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IL Eine Konsequenz der vorstehenden Erörterungen wäre nun allerdings die, daß streng genommen das Begehren, wie es von Herrn Joos formulirt und von mehr als 50,000 Schweizern unterzeichnet worden ist, nicht als ein konstitutionelles, nicht als ein korrektes betrachtet werden kann, sondern daß die Bundesbehörden vollständig berechtigt wären, dieses Begehren, so wie es formulirt ist, nur als eine gewöhnliche Petition zu betrachten. Ich theile diesfalls ganz die in der Botschaft des Bundesrathes (pag. 4 und 5) begründete Ansicht. Wenn aber der Bundesrath dieses Petitum dennoch als ein förmliches Revisionsbegehren behandelt, so konnten ihn weniger Rechtsgründe als Konvenienzrüksichten hiezu bestimmen. Es ist in der That sehr wünschbar, daß nicht durch eine formell und rigoros allerdings richtige Behandlung des Begehrens Mißtrauen gewekt und daß Alles vermieden werde, was auch nur den Verdacht weken könnte, als trachte mau durch formalistische Bedenken und Einwendungen nur Zeit zu gewinnen, um eine Volksabstimmung zu verzögern.

Es ist im Gegentheil O g O ganz im Interesse einer auf Recht und Gesez gegründeten Entscheidung, daß die Revisionsfrage so b a l d a l s i m m e r m ö g l i c h , a b e r k l a r u n d w a h r , wie solche nicht durch eine Anzahl von Bürgern, sondern von der B u n d e s v e r f a s s u n g selbst redigirt ist, zur Abstimmung vor das Volk gebracht wird, welches, zu einsichtig ist, um nicht einzusehen, daß nur eine der klaren Vorschrift der BundesverfassungO und den Bestimmungen des in Kraft bestehenden g Gesezes vom 5. Dezember 1867 entsprechende Anfrage an dasselbe seinen w a h r e n Interessen, wie den Anforderungen des positiven Bundesrechtes entspricht.

In Bezug auf das Begehren selbst in seinem Inhalt, soweit solches nämlich auf Kreirung eines Bankmonopols für den Bund hinzielt, enthalte ich mich aller und jeder Bemerkungen, indem es mir bei dieser Erörterung um nichts anderes zu thun ist, als darum, ein konstitutionell vorgeschriebenes korrektes Verfahren bei Revisionsfragen zu wahren gegen jeden mit den bestimmten Vorschriften der Bundesverfassung nicht vereinbaren Abstimmungsmodus.

Wie gefährlich ein Procedere nach dem Begehren der Revisionspetenten wäre, stellt sich auch darin heraus, daß die Ausdrüke Partial- und Totalrevision ä u ß e r s t v a g e r N a t u r sind
und daß sogar ein Begehren, auch nur eine Aenderung von einem oder zwei Artikeln in ihrer Wirkung Folgen haben könnte, die dem Wesen nach sich als eine Totalrevision gestalten würden, ja geradezu als eine ganze Umgestaltung des Bundes und seiner finanziellen Grundlagen. Wenn z. B. durch einen neuen Artikel die A b s c h a f f u n g

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des S t ä n d e r a t h e s begehrt würde, oder wenn durch einen andern Artikel vorgeschlagen würde: das E i s e n b a h n w e s e n ist a u s s c h l i e ß l i c h S a c h e des B u n d e s , so würde sich eine solche sogenannte Partialrevision von ein paar Artikeln dem Wesen und den praktischen Polgen nach als eine wahre Totalrevision qualifiziren, weil sie die Grundlagen unseres Verfassungswerkes beseitigen würde und Folgen nach sich zöge, die gar nicht zu berechnen sind.

Die Revisionskommission und die konstituireude Tagsazung von 1847 und 1848 haben daher gewiß wohl gethan, solche bedenkliche Konflikte in sich schließende Ausdrüke beim ganzen Revisionswerk gar nicht zu gebrauchen.

Es scheint nun, daß die Revisionspetenten sich selbst überzeugt haben, daß nach dem klaren Texte der Verfassung ihr Verlangen Gefahr laufen könnte,i abgewiesen zu werden. Darum suchen ö O sie eine andere Interpretation als die eben entwikelte zur Geltung zu bringen. Zu diesem Zweke berufen sie sich auf einen Passus im Abschiede des Jahres 1847/48 (Abschied des Jahres 1847, 4. Theil, S e i t e 158). In der Sizung vom 10. Juni 1848 wurde nämlich von der Gesandtschaft von Baselstadt als Zusaz im Art. 104 des damaligen Verfassungsentwurfes vorgeschlagen, zu sagen: ,,Die Bundesverfassung kann jederzeit g a n z oder t h ei l w e i s e revidirt werden.* Hieraus schließen die Revisionspetenten, es habe damals in der Absicht der Mehrheit der Tagsazung gelegen, daß zu jeder Zeit von 50,000 Bürgern eine Abstimmung über Revision eines einzelnen oder mehrerer Artikel verlangt werden könne. Es ist aber hiebei nicht zu übersehen, daß nach dem Protokolle die Mehrheit zu dem Antrage von Baselstadt lediglich aus dem Grunde nicht gestimmt haben, weil sie der Ansicht gewesen, daß eine bloß theilweise Revision des Bundesvertrages eben so gut und zu jeder Zeit unter den n ä m l i c h e n B e d i n g u n g e n vorgenommen werden könne, wie eine Totalrevision.

Diese Bedingungen sind nun aber keine andern und k ö n n e n k e i n e a n d e r n s e i n als diejenigen, welche im Art. 113 des Entwurfes von 1848 aufgenommen sind. Diese bestehen darin, daß eine Revision ganz oder theilweise möglich ist durch Uebereinstimmung beider Räthe, selbstverständlich unter dem Vorbehalte des Ergebnisses der Abstimmung durch Volk und Kantone. Wenn aber
50,000 Bürger die Revision verlangen, so muß vor Allem die Frage, ob eine Revision stattfinden solle oder nicht, dem Volke zur Abstimmung vorgelegt werden. Diese Bedingung ist mithin ganz dieselbe, welche im vorgehenden ersten Abschnitte näher erörtert ist. Sie geht dahin, daß nicht etwa, um Revision

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überhaupt zu erhalten, ohne vorher das Volk anzufragen, ob es überhaupt eine Revision wolle, d i r e k t e , so wie es die Revisionspetenten schon von sich aus formuliren, die Frage über Revision an die Volksabstimmung gebracht und gleichzeitig dahin beschränkt werden dürfe, daß nur einer oder wenige von den Revisionspetenten bezeichnete Artikel in Revision fallen sollen; vielmehr muß in jenem Falle ganz positiv, wie der Text des Artikels os vorschreibt, die Frage allgemein so gestellt werden : ,,ob eine Revision stattfinden solle oder nicht", nicht aber, ob eine totale oder eine partiale Revision bewilligt werde. Hätte die Verfassung eine derartige direkte Beschränkung der Revisionspunkte zugeben wollen, so hätte dies ausdrüklich im Artikel gesagt werden müssen.

Daß dies nicht geschah, findet seine Erklärung darin, daß die Tagsazung nicht durch eine solche Abstimmung von v o r n h e r e i n j e d e v o r a u s g e h e n d e V e r h a n d l u n g der R ä t h e über d e n U m f a n g e i n e r R e v i s i o n a u s s c h l i e ß e n wollte.

Wenn hier also von Bedingungen die Rede ist, so können darunter keine andern verstanden werden, als diejenigen, welche in dem deutlichen Wortlaute der Verfassung enthalten sind. Dann und nur dann bleibt man in Revisionssachen dem bezeichneten Prinzipe treu, welches auf der Mitwirkung beider Elemente, des nationalen und des kantonalen, beruht.

Es ist wohl kaum nöthig zu erinnern, daß g e g e n ü b e r einem u n z w e i d e u t i g e n Texte in der Verfassung auf Bemerkungen, die in den Debatten gemacht wurden, auch wenn solche vom Protokollführer in das Protokoll aufgenommen wurden, kein besonderes Gewicht zu legen ist. Nur der Text der Verfassung ist maßgebend. Dieser Text allein ist dem Volk und den Kantonen zur Abstimmung vorgelegt worden ; dieser allein hat die Sanktion erhalten, nicht aber die Protokolle über die Verhandlungen, von welchen gewiß nur ein verschwindend kleiner Theil der Abstimmenden irgend welche Kenntniß haben konnte. -- Es ist mithin, nach allen Interpretationsregeln, nicht gestattet, an die Stelle der in der Verfassung selbst allgemein bezeichneten Frage: ,, o b e i n e R e v i s i o n s t a t t f i n d e n s o l l e oder nicht", eine a n d e r e , d i r e k t s c h o n a u f d e n Z w e k u n d U m f a n g d e r Rev i s i o n e i n g e
h e n d e und gleichzeitig ausschließlich auf die Revision eines einzigen Artikels bezügliche Frage zu formuliren, und dann diese leztere an die Volksabstimmung zu bringen.

Es kann also auch durch die Berufung auf die protokollarische Bemerkung, die oben erwähnt wurde, ein dem klaren Text des Art. 106 der Bundesverfassung von 1848 zuwiderlaufendes Verfahren i n k e i n e r W e i s e l e g i t i m i r t w e r d e n .

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Man hat sich endlich veranlaßt gefunden, zur Begründung eines seit 1848 bis 1880 auch nie auch nur gewagten Versuchs eines solchen Verfahrens, wie es jezt eingeschlagen werden möchte, sich auch auf die Autorität von Schriftstellern, ganz besonders auf diejenige des ehemaligen vieljährigen Ständeraths, Herr BundesgerichtsPräsident Blumer, zu berufen. (Vide sein Handbuch des schweizerischen Bundesrechtes von 1864.)

Wenn auch dieser oder jener Staatsmann oder Staatsrechtslehrer eine von obigen Erörterungen abweichende Ansicht geäußert hat, so kann dies für die kompetenten Behörden, denen die hohe Verantwortlichkeit des Entscheides obliegt, durchaus nicht maßgebend sein, um so weniger, wenn in den betreffenden Abhandlungen keinerlei Anhaltspunkte, keinerlei Belege gegeben werden, ihre abweichenden Ansichten gegenüber einer klaren Vorschrift der Bundesverfassung zu begründen und zu rechtfertigen. Der vom Volk und Kanton sanktionirte Text der Verfassung, der nun einmal, wenn es sich um Revisionsbegehren von 50,000 Schweizerbürgern handelt, vor Allem aus verlangt, daß dem Volke die allgemeine, aber auch ganz einfache Frage vorgelegt werde, ,,ob es eine Revision wolle oder nicht^, und der irn bejahenden Fall die Wahl neuer Räthe fordert, die das verfassungsmäßige Recht haben, über Partial- oder Totalrevision zu deliberiren und zu entscheiden, ist allein maßgebend gegen abweichende persönliche Meinungen auch noch so angesehener Staatsmänner oder auch noch so sympathischer Schriftsteller.

Wenn Herr Blumer an den Verhandlungen der Revisionskommission Antheil genommen hätte, so hätte er, das ist meine feste Ueberzeugung, niemals einen Passus in sein Werk aufgenommen, deiin unbestreitbarem Widerspruch mit denjenigen Prinzipien steht, welche er selbst in seiner vieljährigen Funktion als Ständerath mit bekannter Entschiedenheit jederzeit in dem Sinn vertheidigt hat, daß in Bundesfragen niemals eine irgend erhebliche Schlußnahme gefaßt werden dürfe, die mit dem Prinzip, das ein Zusammenwirken des kantonalen mit dem nationalen Element fordert, im Widerspruch wäre. Wie-dem nun auch sein möge, so steht auch er gleich dem ganzen Land unter der Herrschaft dieses Prinzips, und jede hievon abweichende Aeußerung, die man in anderai Sinne zu interpretiren sucht, muß demselben untergeordnet werden.

A m i c u s B l u m
e r sed magis amica veritas.

Es ist schon in den Tagsazungs-Verhandlungen vom Jahr 1847 und in neuester Zeit in der Presse darauf hingedeutet worden, als seien die Bestimmungen des nordamerikanischen Bundesrechts weit

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mehr die Revision erleichternd, als diejenigen des schweizerischen Bundesrechts. Solche Behauptungen beruhen auf Irrthum.

Allerdings enthält die nordamerikanische Bundesurkunde auch einen Artikel, der wie die unsrigen erklärt: ,,eine Aenderung der Unionsverfassung kann jederzeit sowohl von dem Kongreß als von dem gesezgebenden Staate vorgeschlagen werden (Ars. V der U.-V.)

Aber es ist dabei nicht zu vergessen, daß die gleiche Unionsverfassung folgende Beschränkungen vorschreibt: ,,Zu einem diesfälligen Beschlüsse des Kongresses ist im Repräsentantenhaus sowohl als im Senate eine Mehrheit von z w e i Drittel S t i m m e n erforderlich ! Damit wird allerdings allzu häufigen Revisionsagitationen von vornherein ein Riegel vorgeschoben. Es wird überdies vom Kongreß keine Frist bestimmt, in welcher die Staaten sich auszusprechen haben; es kann daher die Revision Jahre laug in der Schwebe bleiben, und es ist öfters vorgekommen, daß ein Staat in der Zwischenzeit seine Ansichten geändert und seine Zustimmung zurükzuziehen versucht hat.

Der Verfasser des Werkes ,, D a s n o r d a m e r i k a n i s c h e Bundesstaats r echt v e r g l i c h e n mit den politis c h e n E i n r i c h t u n g e n d e r S c h w e i z " , Herr Ständerath und Regierungsrath R üt i m an n von Zürich, verweist daher mit allem Recht darauf, wie sehr die Revision der Unionsverfassung durch die mitgetheilten Vorschriften (§ 76) erschwert sei, und er fügt betreffend die Schweiz bei : ,, S o l c h e B e s c h r ä n k u n g e n fi n d e n s i c h in dem s c h w e i z e r i s c h e n G r u n d g e s e z e nicht, und es ist ü b e r h a u p t die Umgestaltung desselben s e h r l e i c h t g e m a c h t.a Es stimmt dieses Urtheil ganz überein mit der zu Gunsten der Ansichten der Revisionspetenten zitirten Autorität von Hrn. Ständerath B l u me r, welcher ebenfalls, nachdem er die Revisionsbestimmungen, so wie sie in unserer Bundesverfassung enthalten sind, reproduzirt hat, Folgendes erklärt: ,,Offenbar sind die Bestimmungen von der Art, daß sie der Vornahme einer Revision, w e n n d a f ü r ein in weitem Kreisen gefühltes Bedürfniß besteht, k e i n e r l e i e r h e b l i c h e S c h w i e r i g k e i t e n bereiten."

Der gleiche Staatsmann weist in seinem Werke darauf hin, wie unvergleichlich mehr Erschwerungen jeder Revision der Entw u
r f d e r B u n d e s U r k u n d e v o n 1 8 3 2 entgegensezte.

(Siehe Blumer, Schweiz. Bundesrecht II, Seite 108 und 106.) So enthält z. B. der Entwurf der Bundesurkunde von 1832, ,,le projet du pacte Rossi", nachfolgende Beschränkungen gegenüber von Revisionsbestrebungen :

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,,Art. 109. Die Bundesurkunde kann einer Revision unterworfen werden. Es ist aber kein Antrag auf Revision vor Ablauf von zwölf Jahren, von der Annahme der Bundesurkunde an gerechnet, zuläßig.tt Der Berichterstatter R o s s i begründete diesen Vorschlag mit folgenden Worten : ,,Bei Annahme der neuen Bundesurkunde müssen ,,die Kantone vor Allem die Gewißheit erhalten, daß die Frage der ,,Revision während eiues hinreichend langen Zeitraums nicht wieder ,,aufgenommen werden darf. Man kann verschiedener Ansicht sein ,,über die Zahl der Jahre. Wir haben den Zeitraum von 12 Jahren ,,vorgeschlagen ; das ist die strikte nothwendige Zeit, um die Wir,,kungen des neuen Systems zu beurtheilen.a ,,Art. 110. Ein Antrag muß von wenigstens fünf Kantonen gestellt sein.

Art. 111.

Die Vornahme kann mit der Mehrheit von zwölf Kantonsstimmen beschlossen werden.

Art. 113. Ist die Revision ausgesprochen, so wird die T a g s a z u n g die Frage entscheiden, ob sie eine allgemeine oder eine bloß theilweise sein soll.

Art. 117. Die auf eine solche Weise revidirte Bundesurkunde wird jedoch erst dann in Kraft treten, wenn sie die Sanktion von wenigstens J 5 Kantonen erhalten hat." ! ! !

Ob die Bestimmungen der Bundesverfassung von 1848 oder der Entwurf von 1832 liberaler seien, und ob nicht die erstere weit mehr Erleichterung gewähre, in fortschreitender Entwiklung reellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, mag jeder Unbefangene selbst beurtheilen.

Und dennoch möchte man, daß die einzige erhebliche Beschränkung beseitigt werde, welche verlangt, daß ehe und bevor das Grundgesez revidirt werde, vor Allem dem Volke auf ein Begehren von zirka Vs der Bürger die Vorfrage zum Entscheid vorgelegt werden müsse, daß das Schweiz. Volk zunächst nur darüber angefragt werden müsse, ob es eine Revision verlange, was nach parlamentarischen Ausdrüken ungefähr sagt : Ob das Volk ein yprgelegtes Begehren so erheblich finde, daß sofort neue Räthe gewählt werden müssen, und sodann den neugewählten Räthen die weitere Frage vorzulegen ist, welche Artikel wirklich abgeändert und welche neu hinzukommen sollen.

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III.

Möge es noch gestattet sein, auch die Konsequenzen zu berühren, welche sich voraussichtlich ergeben müßten, wenn der Entscheid im Sinne der Revisionspetenten gefaßt würde, im Gegensaz gegen das konstitutionelle Procedere, welches vom Bundesrathe in der Botschaft vom 18. v. Mts. vorgeschlagen wird, und welcher ganz im Einklänge steht mit denjenigen Bestimmungen, die im Geseze vom 5. Dezember 1867 vorgesehen sind.

Man kann mit allem Recht sagen: die Botschaft des Bundesrathes und der damit verbundene Antrag sei nichts anderes, als die Vollziehung und Anwendung des Gesezes vom 5. Dezember 1867 , daß man -- ohne schon von vornherein eine Abstimmung über einen oder mehrere Revisionspunkte zu provoziren, dem Volk die ganz allgemein gehaltene Frage vorlegen müsse : ,, o b e i n e R e v i s i o n der B u n d e s v e r f a s s u n g s t a t t f i n d e n solle oder nicht."

Einem anderen Abstimmungsverfahren müßte eigentlich, streng genommen, eine Abänderung des erwähnten Gesezes vorausgehen.

Doch ich lasse diese Frage dahingestellt und halte dafür, es sei besser, auch in dieser Hinsicht alles zu vermeiden, was Verzögerung des Entscheides über die Hauptfrage nach sich ziehen müßte.

Welches sind nun aber die F o l g e n , die sich ergeben, je nach dem die Abstimmungsweise stattfindet, nach dem Gesez vom 5. Dezember 1867 und nach Antrag des Bundesrathes vom 18. August 1880, oder aber nach dem Begehren der Revisionspetenten ?

Wenn nach dem bundesräthlichen Antrage und im Einklang mit den Direktionen, welche in den Verhandlungen und Beschlüssen der Revisionskommission und derTagsazung enthalten sind, vorgegangen wird, so wird gegenüber dem Volke und den Kantonen nichts präjudizirt ; man erfüllt gegenüber den Revisionspetenten die Vorschriften des Bundesrechtes, und die Frage an das Volk wird ganz genau und textuell so gestellt, wie die Verfassung es haben will. Ist das Resultat der Abstimmung verneinend, so fällt für einmal die Revision dahin. Ist es aber bejahend, so müssen die Räthe neu gewählt werden, und es wird alsdann unter der Mitwirkung des nationalen und kantonalen Elementes in den Räthen die Frage ihre Erörterung finden, ob -- um die übliche Terminologie zu gebrauchen -- eine totale, oder eine partielle Revision vorgenommen werden wolle, wobei somit auch diejenigen Repräsentanten, welche

679 die Ansicht der Revisionspetenten vertreten, ihre Anschauung geltend zu machen Gelegenheit erhalten.

Wird hinwieder im Sinne der Revisionspetenten vorgegangen, so werden die Folgen die sein, daß in diesem Falle die provozirte Abstimmung zu geschehen hätte, ohne daß die Räthe oder einzelne Mitglieder derselben zum Entscheide in irgend einer Weise hätten mitwirken können. Sie wären mithin von ihrem verfassungsmäßigen Initiativrecht zum vornherein ausgeschlossen. Neben dieser Ausschließung jeglicher Mitwirkung von Seite der konstituirten Räthe müßten noch andere Folgen gewärtigt werden, die als ziemlich sicher vorauszusehen sind. Sollte nämlich das, was von den Revisionspetenten nun beabsichtigt wird, wirklich gelingen, so würde dies ohne Zweifel ähnliche Vorgänge nach sich ziehen, indem bald dieser, bald jener Artikel angefochten und darüber eine Revision in gleicher Weise anbegehrt werden dürfte. Damit würde, was mühevoll und häufig nur in Bethätigung gegenseitiger konziliatorischer Absichten errungen worden war, neuerdings in Frage gestellt werden. Der ordentliche Geschäftsgang für anderweitige Interessen müßte nothwendig leiden unter solchen, mit derartigen Fragen jederzeit verbundenen und der Natur der Sache nach schwer zu vermeidenden Agitationen. Das ist es, was man 1847/48 durch die aufgestellten Revisionsbestimmungen so weit zu verhindern trachtete, als dies geschehen konnte, ohne die durch die Zeit und die Bedürfnisse geforderten Verbesserungen zu sehr zu erschweren.

Man muß sich heute noch in jene Zeit zurükversezen, in welcher die Bundesurkunde von 1848 berathen und abgeschlossen wurde.

Ein solcher Rükblik zeigt uns, daß damals und schon längere Zeit bei Volk und Behörden die Idee lebhaft sich geltend machte, politisch unhaltbare Zustände, welche wesentlich auf das alte Vertragsrecht sich stüzten, durch einen nicht mehr auf einen Bundesvertrag, sondern auf eine B u n d e s v e r f a s s u n g basirten Zustand zu ersezen. Nach jahrelangen Kämpfen und vielfach mißlungenen Versuchen wurde der auf das Vertragsrecht sich stüzende Widerstand gebrochen und die lange gehegte Idee zur Wirklichkeit gebracht.

Als es sich bei den damaligen Verhandlungen darum handelte, solche Bestimmungen in den Verfassungsentwurf niederzulegen, welche geeignet seien, für die Zukunft einer weitern Entwiklung
den Weg zu öffnen, so fand man dann doch nöthig, dem Volke und den Kantonen gewisse Garantien dafür zu geben, daß an dem Verfassungswerke nicht zu oft gerüttelt und daß das vorn Volke und von den Kantonen Angenommene nicht zu leichthin durch Anderes ersezt werde.

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Es waren, wie man aus den Verhandlungen der Revisionskommission und der Tagsazung entnehmen kann, xu diesem Zwekc verschiedene Vorschläge gemacht worden, die wesentlich dahin zielten, daß Abänderungen nur dann möglich sein sollten, wenn dieselben von einer, die absolute Mehrheit überschreitenden Stimmenzahl, z. B. von 2/3 oder 3/4 der Bürger verlangt würden. Diese Anträge fanden aber bei der Mehrheit keinen Anklang, weil es den Mitgliedern der Kommission und der Tagsazung widerstrebte, Bestimmungen aufzunehmen, die in ihrer Anwendung zur Folge gehabt hätten, daß Verbesserungen entweder ausgeschlossen oder im günstigem Falle doch nur mit größter Mühe durchzubringen gewesen wären, und weil es der Mehrheit widerstrebte, Beschränkungen aufzunehmen, welche zum Voraus den Willen der absoluten Mehrheit des Volkes einer Minderheit von lk. oder VE unterordnete.

Es schien überdies der großen Mehrheit der Kommission und der Tagsazung eben sowohl dem Hauptzwek als auch der Billigkeit entsprechend, den Besorgnissen der kleinem und mittelgroßen, sowie überhaupt den für ihre Kantonalsouveränitätsrechte sehr besorgten Kantonen insoweit Rechnung zu tragen, daß Verfassungsabänderungen nicht allzu leicht und nicht allzu oft das ganze Gebäude mehr oder weniger sollten in Frage stellen können. Dies aber wäre namentlich dann der Fall, wenn Beschwerden oder Reklamationen gegen diesen oder jenen Verfassungsartikel auf Begehren von lk der Bürger in Folge von durch eine Minorität provozirte Abstimmungen sofort direkte zum Volksentscheid gebracht und als eine sogenannte Partialrévision qualifizirt werden könnten. Den eben erwähnte:! Besorgnissen der Kantone glaubte man aber in der Weise Rechnung tragen zu können und zu sollen, daß unter allen Umständen eine sogenannte Partialrevision, die oft viel weiter führt, als man denkt, immer nur dann zur Hand genommen werden darf, wenn das Volk vorher darüber angefragt worden ist, ob überhaupt irgend welche Revision an die Hand genommen werden soll oder nicht.

Ob es nun am Plaze sei, diese Garantie, welche man durch eine solche vorausgehende allgemeine Abstimmung über diese Vorfrage den Kantonen geben wollte, zu beseitigen und ein Revisionsverfahren zuzulassen, das gar leicht die früheren Besorgnisse wieder aufweken und vielleicht noch verstärken könnte, oder ob es nicht angemessen
erscheine, auch jezt noch diejenigen Garantien festzuhalten, welche im Jahr 1848 aufgestellt worden sind und damals zur Annahme der Bundesverfassung unzweifelhaft wesentlich beigetragen haben,' stelle ich Ihrem Ermessen anheim. Nach meiner festen persönlichen Ueberzeugung verdienen auch jezt noch vom Standpunkt einer gesunden Politik ganz besonders in einem föderativen Staat, wie die schweizerische Eidgenossenschaft, die gleichen

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Rüksichten, welche 1847/48 in der Revisionskommission und in der Tagsazung sich geltend machten, a l l e A c h t u n g und g e r e c h t e B e r ü k s i c h t i g u n g , soweit es i m m e r mit den allgemeinen I n t e r e s s e n d e s B u n d e s v e r e i n b a r ist.

Fragen wir, welches werden die Rükwirkungen sein, welche einem Entscheide in einem oder andern Sinne in Bezug auf gewisse nie zu vergessende m o r a l i s c h e Seiten unseres republikanischen Lebens haben werde, so fällt die Antwort auch in dieser Richtung nicht schwer. Ist es im Einklang mit Achtung vor Gesez.

und vor Verfassung, wenn schon nach wenigen Jahren, nachdem leztere einer Revision unterworfen worden ist, wobei manche sehr gute neue Bestimmungen aufgenommen wurden, die man sich hüten soll, neuen Kämpfen und neuen Gefahren auszusezen, während möglicherweise über andere das Urtheil kaum schon hinreichend durch Erfahrung festgestellt ist, nun dennoch schon jezt im Gegensaz mit übereinstimmenden Schlußnahmen beider Räthe eine abermalige Revision proponirt wird, und zwar wegen eines einzigen Punktes, der seiner Natur nach geeignet zu sein scheint, auf dem Wege der Gesezgebung geregelt werden zu können, und wo bereits zur beförderlichen Behandlung der betreffenden Frage auf gesezlichem Wege von den Behörden Sehritte gethan sind. Wie erklärt es sich, daß.

dessenungeachtet man sofort über einen von einem Einzelnen oder mehrern redigirten neuen Verfassungsartikel direkten Urtheilsentscheid zu provoziren sucht, obgleich man nirgends ein solches Prozedere durch irgendwie dasselbe legitimirende Bestimmung der Verfassung rechtfertigen kann, und obgleich vielmehr dokumentarisch konstatirt ist, daß ein solches Verfahren konstitutionell unzuläßig ist? Wäre es ferner im Einklang mit Achtung vor Gesez und Grundgesez, wenn man die verfassungsmäßig den Räthen eingeräumte Initiative von vornherein ausschließen würde? Es ist.

ein allgemein längst anerkanntes Prinzip, daß eine wesentliche Bedingung einer glüklichen Existenz eines republikanischen Staates in der Achtung vor dem Gesez liegt. Das schweizerische Volk, das unter Beachtung dieses Prinzips Freiheit und Fortschritt Jahrhunderte zu behaupten wußte, wird, das ist meine volle Ueberzeugung, diesem Grundprinzip auch jezt noch da treu bleiben, wo nicht nur Achtung vor einem gewöhnlichen
Gesez, sondern vor unserm Grundgesez in Frage kömmt.

Wenn man endlich derjenigen Ansicht, welche in den Verhandlungen von 1847/48 ihre Begründung findet und die auch der Botschaft des Bundesrathes vom 18. August 1880 zu Grunde liegt, den Vorwurf macht, sie sei nicht im Einklang mit dem Volkswillen, so stelle ich einem derartigen Vorwurfe die Frage entgegen: W a s i s t

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d e n n i n u n s e r e r S i t u a t i o n u n d i n B e z u g a u f Revisionsv e r f a h r e n der w i r k l i c h e V o l k s w i l l e ? Es ist derjenige, welcher von den Repräsentanten der Nation und der Kantone nach reiflicher Berathung durch übereinstimmende Schlußnahmen beider Kammern in legaler Weise mit großer Mehrheit ausgedriikt und überdies in Bezug auf die Spezialfrage bezüglich der Revision von der Mehrheit der Nation und der Kantone durch Annahme der Bundesverfassung vom Jahre 1848 und derjenigen von 1874 -- indem bekanntlich leztere betreffend das Verfahren bei Revisionen ganz die gleichen Bestimmungen b e i b e h a l t e n hat wie die V e r f a s s u n g v o n 1848 -- in konstitutioneller Weise tnanifestirt worden ist.

Es bleibt mir, indem ich verschiedene minderwichtige einzelne Punkte den Debatten in den Räthen überlasse, nu:.1 noch übrig, bezüglich Form und Inhalt des vorstehenden an das eidgenössische Departement des Innern gelichteten Antwortschreibens schließlich ein Paar Bemerkungen beizufügen.

Wie Sie seiner Zeit schon Kenntniß erhalten haben, lag es nicht in meiner Absicht, in Bern zum üblichen Jahresbesuch während meiner Urlaubszeit einzutreffen vor dem Schluß der gegenwärtigen Session, berüksichtigend, daß es den Mitgliedern des Bundesrathes weniger möglich ist, während der Sizung der Räthe zu persönlicher Besprechung von bei der Legation schwebenden Fragen die erforderliche Zeit zu finden. Ich hielt mich übei'dies mit Rüksicht auf meine gegenwärtige amtliche Stellung in keiner Weise berufen, bezüglich der Verhandlungen über die Tagesfrage, welche gegenwärtig vor den Räthen schwebt, in irgend welcher Form meine persönlichen Ansichten geltend zu machen. Erst in Folge Ihres mit Schreiben vom 8. September ausgesprochenen und Eingangs erwähnten Wunsches entschloß ich mich, ohne Verzug mich von Zürich hieher zu begeben und im Sinn desselben ganz besonders die Verhandlungen der Revisionskommission und der Revisionstagsazung, soweit es mir nöthig schien, auf Erinnerung und auf amtliche Berichte gestuft, etwas näher zu beleuchten. Wenn ich dabei aber einläßlicher wurde, als es anfänglich in meiner Absicht lag, so möge es damit entschuldigt werden, daß ich es d e r W i c h t i g k e i t der S a c h e und meinen früheren Kollegen der Revisionskommission, von denen (es waren 23)
heutzutage außer mir nur noch zwei unter den Lebenden sich befinden (Ochsenbein und Näf), schuldig zu sein glaubte, keine der wie mir schien unrichtigen Auslegungen unbeantwortet zu lassen, und weil eine bloße Auseinandersezung persönlicher Ansichten ohne dokumentirte Nachweisungen dern Zweke nicht entsprochen hätte, den Sie offenbar bei der an mich erlassenen Einladung im Auge hatten. Dabei darf ich nicht

683 unterlassen beizufügen, daß wenn vielleicht hie und da gedrängtere Argumentationen wünschbar sein mochten, oder wenn zuweilen ein Punkt behandelt wurde, der schon in der Botschaft des Bundesrathes berührt ist, dies darin seine Entschuldigung finden dürfte, daß das Gesagte im Interesse des Zusammenhangs unerläßlich wurde, sowie endlich auch darin, daß mir die Zeit vom 9. September bis zur Eröffnung der Session am 13. gl. Bits, so kurz zugemessen war, daß mir nach meiner Ankunft in Bern, für neue Durchsicht und Prüfung der Protokolle und Berichte von 1847 und 1848 nebst der Redaktion und Ausfertigung dieses Antwortschreibens n u r z w e i Tage zur Verfügung blieben. Ich glaube daher in Bezug auf Form und Inhalt desselben einigen Anspruch auf wohlwollende Nachsicht zu haben.

Es lag in meiner aufrichtigen Absicht, ungeachtet diese Fragen mit großer Lebhaftigkeit, ja zuweilen nicht ohne eine gewisse Heftigkeit in der Oeffentlichkeit besprochen worden sind, von allen und jeden Persönlichkeiten ganz abzusehen und diese Fragen allerdings mit Entschiedenheit, aber doch stets objektiv zu erörtern. Ich habe nicht unberüksichtigt gelassen, daß verschiedene Umstände über gewisse Punkte abweichende, aber nach meiner Ueberzeugung irrige Auffassungen erklärlich machen, und glaube erwarten zu dürfen, daß mir das Zeugniß einer objektiv gehaltenen Behandlung der Frage kaum wird verweigert werden können. Sollte sich übrigens im Hinblik auf die für ao umfassende bundesstaatsrechtliche Erörterungen offenbar zu kurz zugemessene Zeit irgend ein Irrthum eingeschlichen haben, so werde ich jede auf dokumentirte Wahrheit sich stüzende Berichtigung dankbar entgegen nehmen, besonders dann, wenn sie mit der gleichen Unbefangenheit und Objektivität vorgebracht wird, die ich mir zur Pflicht gemacht habe.

Zum Schlüsse darf ich nicht unterlassen, Ihnen meine aufrichtige Erkenntlichkeit auszusprechen, daß Sie mir durch Ihr oben erwähntes Schreiben eine g a n z u n e r w a r t e t e , aber doch erwünschte Veranlaßung gegeben haben, über einen so wichtigen Theil des in Kraft bestehenden Bundesrechtes die Ansichten, die ich schon längst hatte und auch meinen Freunden und Bekannten gegenüber jederzeit unverholen äußerte, durch erneutes Studium der darauf bezüglichen offiziellen und nicht offiziellen Dokumente n e u e r d i n g s
und im v o l l s t e n Maße zu bekräftigen.

Genehmigen Sie, Herr Bundesrath, den erneuerten Ausdruk meiner ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 13. September 1880.

Dr. Kern.

Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. II L.

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Antwortschreiben von Hrn. Dr. Kern an den Vorsteher des eidg. Departements des Innern, Hrn. Bundesrath Schenk, betreffend die Revision der Bundesverfassung. (Vom 13.

September 1880.)

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