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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Vollziehung des Art. 27 der Bundesverfassung.

(Vom 3. Juni 1880.)

Tit.

Der Artikel 27 der Bundesverfassung hat in den ersten Zeiten seine Anwendung wesentlich auf dem Wege von Spezialentscheiden über eingegangene Beschwerden gefunden. Solche Beschwerden waren indessen nicht zahlreich, und es kommen dieselben bei weitem nicht der Zahl derjenigen gleich, welche andere Artikel der Bundesverfassung, wie z. B. den Art. 31 (Handels- und Gewerbefreiheit) betreffen. Seit Inkrafttreten der Verfassung von 1874 sind mit Rüksicht auf den Art. 27 derselben in der That erst 16 Rekurse eingereicht worden. Von denselben bezogen sich drei auf Verschmelzung protestantischer und katholischer Schulen, fünf auf Schulsteuern, einer auf Schulzwang, einer auf Verweigerung von Geldbeiträgen an die offizielle Schule seitens einer Gemeinde, welche eine freie Schule gegründet hatte, drei auf den Unterricht durch Lehrschwestern (Ordensschwestern), einer auf Abtretung des Unterrichts an einer öffentlichen Schule an die Kirche, einer auf Reduktion der Lehrergehalte, und einer auf das Schulwesen eines Kantons im Allgemeinen, Mit diesen Rekursen, bezüglich deren Einzelheiten wir auf unsere jeweiligen Geschäftsberichte verweisen, hatte sich die Bundesversammlung bisanhin nicht zu befassen; neuerlich erst sind zwei derselben vor Ihr Forum gebracht worden. Die Bundesversamm-

181 lung war dagegen wiederholt im Falle, bei Gelegenheit der Prüfung neuer zur Bundesgarantie vorgelegter Kantonsverfassungen sich über einzelne Punkte des Art. 27 auszusprecheu. Es geschah dies bezüglich der Verfassung von Zug vom Dezember 1873, derjenigen von Luzern von 1875, derjenigen von Wallis von 1876, derjenigen ' von Schwyz vom gleichen Jahre und endlieh derjenigen von Nidwaiden von 1877. Auf das Materielle der bezüglichen Beschlüsse näher einzutreten, haben wir dermalen keine Veranlaßung.

Die Geltendmachung der Vorschriften des Art. 27 bei Anlaß von einlangenden Beschwerden oder bei Vorlage von Verfassungen wird natürlich auch in Zukunft fortdauern ; dagegen kann der Bund dabei nicht stehen bleiben. Die den Kantonen gemäß Art. 27 obliegenden Verpflichtungen sind nämlich einerseits Verpflichtungen gegenüber allen Einzelnen, welche für ihre Angehörigen auf den Primarunterricht Anspruch haben; andererseits sind es aber auch Verpflichtungen eines jeden einzelnen Kantons gegenüber allen übrigen Kantonen, beziehungsweise gegenüber der ganzen Eidgenossenschaft. Hieraus folgt, daß der Einzelne, wie dies bisanhin thatsächlich praktizirt wurde, zwar ein Beschwerderecht an den Bund hat, wenn von Seite eines Kantons die demselben nach Art. 27 obliegenden Verpflichtungen gar nicht oder nur theilweise erfüllt werden, daß a b e r a u c h der B u n d e s r a t h , als V e r t r e t e r d e r E i d g e n o s s e n s c h a f t , d i r e k t d a r ü b e r z u wachen hat, daß die K a n t o n e ihren bezüglich en Verpflichtungen n a c h k o m m e n . Der Bundesrath wird sich also in unmittelbarer Weise überzeugen müssen, ob und inwieweit die Sehulzustände in den Kantonen den Vorschriften des Art. 27 entsprechen und da, wo dies nachweisbar nicht der Fall ist, von sich aus, ohne Beschwerden von Einzelnen abzuwarten, zu interveniren haben.

Diese Aufgabe birgt eine Reihe sehr schwieriger Fragen in sich. Um deren Lösung vorzubereiten, ließ der Bundesrath zunächst sein Departement des Innern vorgehen, welches sich auch ohne Zögerung in ernstlichster Weise damit befaßte. Das Resultat seiner Untersuchungen hat dasselbe in der Drukschrift: ,,Art. 27 der Bundesverfassung und der Primarunterricht in der Schweiz, Bericht an den schweizerischen Bundesrath a , niedergelegt. Dieser Bericht weist zunächst die Entstehung
der Bestimmungen des Art. 27 nach, bespricht sodann die Tragweite der über den Primarunterricht angenommenen Verfassungsvorsehriften, durchgeht im Fernern die Maßregeln, welche der Bund behufs Ausführung des Art. 27 bis zu jener Zeit (Anfangs 1878} ergriffen, und gibt eine Uebersicht über den Stand des Primarunterrichts in der Schweiz mit Beziehung auf die verschiedenen Postulate des Art. 27. Hieran schließt sich eine Buudesblatt. 32. Jahrg. Bd. III.

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Prüfung der verschiedenen Systeme, welche anzuwenden wären,, um in sämmtlichen Kantonen den Primarunterricht auf eine möglichsthohe und gleiche Stufe zu bringen, und eine Zusammenstellung, derjenigen Prinzipien, welche gegebenenfalls einem bezüglichen Bundesgeseze als Grundlage dienen könnten. Der Bericht schließt mit nachstehenden allgemeinen Schlußfolgerungen ab: 1. Art. 27 der Bundesverfassung schreibt ein Bundesgesez.

nicht vor, steht demselben aber auch nicht entgegen.

2. Ein einheitliches, ausführliches Gesez bietet ausnahmsweise Schwierigkeiten dar. In jedem Falle muß dasselbe den Kantonen so viel Spielraum gestatten, als die im Artikel 27 ausgesprochenen.

Prinzipien es irgendwie zulassen. Wollte man dabei zu sehr in Einzelnheiten eintreten, so würde das Gesez seinen Zwek verfehlen und die Schulbehörden wie das Volk einem unerträglichen System unterwerfen. Die Entwiklung der Verfassungsgrundsäze durch ein Bundesgesez sollte über die Grundzüge des versuchten Gesezentwurfes nicht hinausgehen.

3. Gegenwärtiger Zeitraum, wo so viele politische und finanzielle Sorgen die Eidgenossenschaft bedrüken, scheint nicht zum Erlaß eines Bundesgesezes über den Primarunterricht geeignet.

Nichtsdestoweniger muß die Enlwiklung der Volksschule mehr und mehr ein Gegenstand der Fürsorge der Bundesbehörden sein.

4. Zu diesem Zweke und in jedem Falle ist es angemessen :.

a] das eidg. Departement des Innern behufs Ausübung einer wirksamen, doch keineswegs belästigenden Aufsicht über dia Vollziehung des Art. 27 besser zu organisiren; b/ mit den Rekrutenprüfungen fortzufahren, dabei das System derselben zu verbessern, damit die Ergebnisse ein möglichst getreuer Ausdruk des wirklichen Zustandes seien-, c/ jährlich einen allgemeinen Bericht über den Zustand des Volksunterrichts in der Schweiz zu veröffentlichen; dj die Kantone durch verschiedene Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgabe anzufeuern und geeignete Maßregeln gegen diejenigen zu ergreifen, welche ihre Aufgabe vernachläßigen ; ej ein Minimalprogramm aufzustellen, welches wohlverstanden nur als die äußerste Grenze gelten sollte, die von den durch äußere Verhältnisse am wenigsten in ihrer Geistesentwiklung begünstigten Kindern zu erreichen wäre; f} die Heranbildung tüchtiger Lehrer und Lehrerinnen zu unterstüzen, entweder durch Errichtung einer oder mehrerer Normal-

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schulen, sobald der Stand der eidg. Finanzen dies gestattet., oder durch Verständigung mit der Direktion schon bestehender Normalschulen (Art. 27 der Bundesverfassung, erstes Alinea) ;.

gj zu prüfen, ob es nicht in jedem Falle angemessen wäre, daß.

die Lehrer auf der Basis eines von der Bundesbehörde gutgeheißenen Programms ausgebildet würden und Fähigkeitszeugnisse erhielten, welche für die ganze schweizerische Eidgenossenschaft Gültigkeit hätten (Art. 33 der Bundesverfassung)Mit unserer Zustimmung wurde dieses Gutachten unterm 27. Mai 1878 den Kantonen mit der Einladung überschikt, dasselbezu prüfen und uns sodann die Bemerkungen mitzutheilen, zu denen sie sich veranlaßt finden würden. Ueberdies wurde jener Bericht allen Kreisen, welche ein besonderes Interesse an der Angelegenheit haben können, zugänglich gemacht.

Es verging eine lange Zeit, bis die Vernehmlassungen sämmtlicher Kantone eingekommen waren. Die lezte derselben datirt vom 8. Februar 1880. Nachdem diese Einvernahme einmal angeordnet war, mußte, bevor die Angelegenheit in weitere Behandlung genommen werden konnte, das Ergebniß derselben abgewartet werden. Indem wir auf die zu den Akten gelegten Eingaben der Kantonsregierungen selbst verweisen, beschränken wir uns hier auf eine ganz kurze Berichterstattung.

G e g e n den E r l a ß e i n e s B u n d e sgesezes werden wesentlich folgende Gründe geltend gemacht: 1. Der Artikel 27 bedarf einer weitern gesezgeberischen Entwiklung durch den Bund gar nicht (Luzern, Nidwaiden); denn wenn es heißt, der Primarunterricht müsse obligatorisch, unentgeltlich, ausschließlieh der Staatsbehörde unterstellt und konfessionslos sein, so werden damit lauter evidente Maximen ausgesprochen, so daß auch ohne den Leitfaden eines Gesezes die kompetente Behörde im Falle ist, sich davon zu überzeugen, ob jene von den Kantonsbehörden beachtet werden oder nicht (Tessin).

2. Vom Standpunkt der Zwekmäßigkeit aus betrachtet, steht einem eidgenössischen Primarschulgeseze entgegen : einmal die Verschiedenheit der Verhältnisse. Ist nämlich deren Berüksichtigung eine wirkliche und ausreichende, so kann von Uniformität und einem einheitlichen Gesez nicht die Rede sein ; wird aber eine Berüksichtigung der Verhältnisse thatsächlich nicht geübt, dann wäre die Ausführung eines Gesezes ohne Tyrannei unmöglich (BaselStadt). Weiter kommt die Verschiedenheit der Bedürfnisse in Betracht.

Diese sind nicht überall die gleichen, vielmehr kaum irgendwo so

184 grundverschieden, wie in den einzelnen Kantonen unseres Landes, immerhin können die Forderungen des allgemeinen Stimmrechts und der allgemeinen Wehrpflicht erfüllt werden ohne hochgradige Schulbildung (Uri). Bin einheitliches Gesez würde nur eine nachtheilige Entwiklung des Schulwesens zur Folge haben, weil es auf der einen Seite den Unwillen und zähen Widerstand des Volkes erweken, andererseits auf die Schulfreunde in den Kantonen entmuthigend und abspannend wirken würde (Glarus, Waadt, Wallis).

Einem eidgenössischen Primarschulgesez steht endlich die Tendenz der sogenannten Schulstürmer entgegen, denen es weniger um die Bildung als um die Entchristlichung des Volkes zu thun ist, eine Tendenz, welcher die große Mehrheit des christlichen Volkes widerstrebt (Uri, Appenzell I.-Rh.).

3. Die Kantone werden von sich aus die vorgestekten Ziele eben so gut und sicher erreichen, als wenn der Bund mit der weitangelegten Maschinerie von eidgenössischen Seminarien, Inspektoren und Gesezen in dieses nach Landesgegenden, Volk und Bedürfnissen so unendlich verschiedene Gebiet hineingreifen würde (Obwalden, Zug).

4. Zum Erlaß eines Gesezes über den Primarschulunterricht ist der Bund nicht berechtigt, weil derselbe weder im Wortlaute, noch im Sinne der Bundesverfassung vorgesehen ist, was sich schon aus den Protokollen der eidgenössischen Räthe über die Verfassungsrevisionsberathungen von 1874, sowie aus dem lezten Alinea des Art. 27 selbst ergibt (Schaffhausen). Der nämliche Schluß ist aber auch aus der äußern Form der übrigen Verfassungsartikel, namentlich aus denjenigen zu ziehen, welche die Hoheitsrechte der Kantone beschränken: überall ist nämlich dort die Bundesgesezgebung ausdrüklich vorgesehen, so in Art. 19, 20, 23, 24 und 25 (Nidwaiden, Zug).

5. Die Bundesverfassung sorgt in jedem ihrer Artikel für die Unterscheidung : ob der aufgestellte Grundsaz in das Gebiet der Bundesgesezgebung gehöre -- Art. 18, 20, 23, 24, 25, 26, 34, 39, 44, 46, 47, 48, 49 leztes Lemma, 53, 64, 66, 67, 68, 69, -- oder ob er durch die kantonalen, der eidgenössischen Genehmigungunterstellten Geseze reglirt werde -- Art. 6, 7, 9, 31, 43, 55, 56, -- oder ob es sich nur um allgemeine Grundsäze handle, welche der Oberaufsicht des Bundes unterstellt sind, ohne jedoch auf dem Gesezeswege reglirt zu sein -- Art. 27, 49, 50, 54,
57, 58, 59, 61, 65 -- (Freiburg, Basel-Stadt, Waadt).

6. Im Bundesgesez vom 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege ist Art. 27 unter denjenigen Bestimmungen

185 der Bundesverfassung aufgeführt, welche nicht durch ein Bundesgesez geregelt werden -- vide Art. 59 eodem. -- Es ist dies eine Interpretation des Art. 27, welche unmittelbar nach Erlaß der Bundesverfassung und von derselben Behörde, welche dieselbe aufgestellt hat, gegeben worden ist (Basel-Stadt).

7. Das zu Gunsten der Erlassung eines eidgenössischen Schulgesezes geltend gemachte Motiv, daß über den Turnunterricht bereits gesezliche Bundesvorschriften bestehen, beweist, daß außerhalb des den Kantonen überlassenen Primarunterrichts der Bund da, wo er mit Rüksicht auf andere Interessen glaubte Bestimmungen aufstellen zu sollen, solches gethan hat und es auch ferner ungehindert thun kann, ohne dasjenige zu berühren, was das Wesentliche und Eigentliche des Primarunterrichts ausmacht (Tessin).

8. Ein Bundesgesez wäre nicht leichter zu handhaben als ein Kantonalgesez. Denn, wollte man nicht das eidgenössische Aufsichtspersonal in einem Maße vermehren, daß dasselbe, unter gleichzeitiger Verursachung enormer Kosten, mit den Rechten der Kantone, selbst für den Primarunterricht zu sorgen, kollidiren würde, -- so würde am Ende der Dinge doch immer den Kantonen .die Anwendung des Bundesgesezes anheimfallen, und sind diese sonst nicht von den Vortheilen einer guten Schulbildung überzeugt, so ist nicht einzusehen, daß dieselben durch ein Bundesgesez hiezu besser befähigt würden (Tessin).

9. Die Befürchtungen wegen Beeinträchtigung der Glaubensund Gewissensfreiheit haben in der Theorie viel Berechtigtes, sind aber in der Praxis nur von sehr relativem Belange. Denn in den Gebieten, wo mehrere und oft stark unterschiedene Konfessionen bestehen, ist die scrupulöse Anwendung der Vorschrift vom Lemma 3 des Art. 27 eine unerläßliche Gewähr dafür, daß die Eltern zu der Schule das Vertrauen haben, daß sie keine Proselytenanstalt sei.

Wo dagegen eine sogenannte herrschende Religion besteht, kommen solche Befürchtungen nur ausnahmsweise vor, und für diese Ausnahmsfälle ist es den Kantonen selbst immer leicht, Vorsorge zu treffen, und es wäre nicht der Mühe werth, für dieselben ein Bundesgesez zu erlassen (Tessin).

10. Wofern ein eidgenössisches Schulgesez ersprießlich sein soll, hätten die in demselben aufgestellten Grundsäze immer eine Ergänzung durch Réglemente und Vollziehungsverordnungen in der Weise nöthig,
daß dadurch die Bedeutung des Art. 27 alterirt würde. Sonst würden jene Grundsäze ein todter Buchstabe bleiben, und es fiele deren Auslegung doch nur wieder dem Ermessen und dem Eifer der Kantonsbehörden anheim (Tessin).

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11. Ein Bundesgesez könnte nur dann erlassen werden, wenn nachgewiesen wäre, daß man durch kein anderes Mittel zu einer gleichförmigen Anwendung der im Art. 27 enthaltenen Grundsäze zu gelangen vermöge. Nun kann man aber heute im Ernste nicht mehr behaupten, daß dem also wäre und daß noch von der Mehrzahl der Kantone in diesem Punkte Nachläßigkeit oder böser Wille zu befürchten sei (Waadt, Schwyz).

F ü r den E r l a ß eines eidgenössischen Schulgesezes wird dagegen insbesondere geltend gemacht: 1. Durch ein Bundesgesez sollen die Normen festgestellt werden, welche die den Forderungen der Bundesverfassung entsprechenden Leistungen näher bestimmen (Zürich, Bern, Thurgau, Genf, Neuenburg, Graubünden); denn eine wirksame Intervention des Bundes im schweizerischen Schulwesen ist nur an der Hand eines Gesezes möglich, welches die hiezu nöthigen Mittel und Organe schafft (Solothurn).

2. Nur durch ein Gesez kann Einheit und Gerechtigkeit in den Entscheidungen der Bundesbehörden in Schulrekursfällen ge schaffen werden. Ohne ein solches tragen die betreffenden Einzelentscheide stets mehr oder weniger den Makel der Willkür. Der gleichen Gefahr eines, wenigstens scheinbar willkürlichen Einschreitens würde sich der Bund dann aussezen, wenn er in einem Kantone wegen Nichtbeachtung der Bestimmungen des Art. 27 durch Instruktionen, SpezialVerordnungen, Strafandrohungen etc.

hineinregieren wollte, ohne hiezu gesezlich berechtigt zu sein.

Sollte sich aber die den Bundesbehörden durch den Art. 27 gegebene Kompetenz nur darin äußern, daß dieselben den Kantonen zu lösende Aufgaben zu bezeichnen, Anleitungen, Rathschläge etc.

zu ertheilen hätten, Alles ohne obligatorischen Charakter, so wäre das ein ^Messer ohne Heft, dem die Klinge fehlt. In den Kantonen mit geordnetem Unterrichtswesen wäre Solches überflüssig; die anderen a,ber würden sich darum gerade soweit kümmern, als [es ihnen konveniren würde (Thurgau).

3. Die freie Entwiklung der kantonalen Bestrebungen ist indessen durch ein Schulgesez nicht zu hemmen; es ist vielmehr nur «in Oberaufsichtsrecht des Bundes nach bestimmten Richtungen festzustellen (Zürich, Thurgau, Appenzell A. Rh.)

4. Da das schwierige Werk einer eidg. Schulgesezgebung in der Verwaltung, wie im Volksbewußtsein, noch nicht genügend vorbereitet ist, so steht die Organisation des eidg. Departements des Innern für Ausübung einer wirksamen Kontrole über die Vollziehung

·187 der betreffenden Bundesvorschriften in erster Linie (St. Gallen, Thurgau, Bern), und es erscheint besonders wünschbar, den Zustand des Volksschulunterrichts, wie derselbe in seinen Leistungen nicht nur in den Rekrutenprüfungen zu Tage tritt, immer genauer zu eruiren und die Resultate in regelmäßigen Zeiträumen zur allgemeinen Kenntniß zu bringen (Zürich).

5. Es werden darum die vom eidg. Departement des Innern aufgestellten, oben reproduzirten Schlußfolgerungen unterstüzt (Bern, Aargau, Basel-Landschaft) und speziell die subZiffer 4 daselbst geltend gemachten Postulate für geeignet erachtet, einem zu erlassenden Gesez vorzuarbeiten, indem dadurch ein richtiger Kontakt zwischen der eidg. Centralbehörde und den Kantonen hergestellt und so einerseits der erstem eine lebendige Anschauung der bestehenden Primarschulverhältnisse ermöglicht, andererseits die Kantone von allfälligen Vorurtheilen und Befürchtungen mit Bezug auf ein zu erlassendes Gesez befreit werden (Thurgau).

Die Vernehmlassungen der Kantone würden uns, namentlich was deren Hauptpunkt, die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesezes betrifft, zu mannigfachen Erörterungen Anlaß bieten. Wir können aber füglich hierauf verzichten, da wir, wie Sie aus der Ihnen unterbreiteten Vorlage ersehen, ein solches Gesez Ihnen nicht vorschlagen.

Die Wünschbarkeit freilich einer gesezlichen Regulirung läßt sich wenigstens nach gewissen Seiten hin kaum bestreiten. Die Verpflichtungen nämlich, welche den Kantonen auferlegt werden, «ind in Folge der Allgemeinheit der Ausdrüke, welche der Art. 27 gebraucht, sehr verschiedener Deutung fähig und lassen sowohl die Kantone über das, was sie zu leisten haben, als die Einzelnen über das, was sie zu verlangen berechtigt sind, als die Bundesexekutive über das, was sie zu überwachen und welches Verfahren sie hiebei zu beobachten hat, mehr oder minder im Zweifel. Diese Unsicherheit und Unbestimmtheit, unter welcher die rekursweise Prüfung und Erledigung einzelner Beschwerden und noch in viel höherem Grade die direkte Kontrole der Bundesbehörde leidet, würde am richtigsten gehoben werden durch ein von der Bundesversammlung zu erlassendes Gesez, welches die im Art. 27 enthaltenen allgemeinen Verpflichtungen der Kantone näher zu präzisiren hätte.

Wir halten aber dafür, daß der Zeitpunkt dermalen noch nicht
gekommen sei, wo ein solches Gesez mit Aussicht auf Zustimmung der Räthe vorgelegt, mit Hoffnung auf Annahme durch das Volk beschlossen und mit Beruhigung über den Erfolg promulgirt und ins Werk gesezt werden könnte. Zur Rechtfertigung dieser An-

188 schauung der Sachlage berufen wir uns wesentlich auf Vernehmlassungen der Kantonsregierungen.

Aber abgesehen von diesen, dem Erlaß eines Gesezes zurzeit entgegenstehenden Schwierigkeiten, müssen wir darauf aufmerksam machen, daß uns die Vorbedingungen zu einer sicher gehenden gesezlichen Regulirung der schwierigen Fragen des Art. 27 überhaupt noch fehlen. Als die wichtigste dieser Vorbedingungen und als unerläßlich erachten wir eine möglichst gründliche, genaue Kenntniß der thatsächlichen Verhältnisse, deren Regulirung Aufgabe des Gesezes sein soll. Diese Kenntniß scheint uns nicht nur unumgänglich nöthig für die vorberathende Behörde, welcher es obliegt, für die aufzustellenden Postulate die richtige, praktische Linie zu suchen, sondern eben so sehr für die eidg. Räthe, die Kantonsregierungen und das Volk, welche nur durch klare, vergleichende Darlegung der in den Kantonen bestehenden Verhältnisse über die Notwendigkeit weitern Vorgehens aufgeklärt und demselben zugänglich gemacht werden können.

Ganz abgesehen aber auch von diesem weitern Vorgehen, das sich später als nothwendig herausstellen mag, legen wir auf dio gedachte Ermittlung und vergleichende Darstellung der Schulverhältnisse der Kantone an und für sich schon den größten Werth.

Wir sehen in ihr ein wesentliches und erfolgreiches, unter den gegenwärtigen Verhältnissen auch das richtigste Mittel, diejenigen Ziele anzustreben, welche die Bundesverfassung durch den Art. 27 in Aussicht genommen hat.

Die Rekrutenprüfungen haben uns in dieser Beziehung sehr beachtenswerthe Erfahrungen gebracht. Es bedurfte nur der Konstatirung und der Veröffentlichung der Resultate, ihrer jährlichen vergleichenden Zusammenstellung, um in den Kantonen sofort ernstliche Erwägungen und intensive Bestrebungen zur Verbesserung ihrer Schulerfolge zu veranlaßen. Es war keine Intervention des Bundes nothwendig; die Schulbehörden der Kantone, aufmerksam gemacht lediglich durch die ermittelten Thatsachen, suchten sofort selbst nach den Ursachen der konstatirten Mängel und ergriffen je nach den besondern Verhältnissen die geeignet scheinenden Mittel, denselben bestmöglich abzuhelfen.

Wir dürfen sagen, daß die Kantonsbehörden fast ohne Ausnahme den besten Willen für die Pflege und die Hebung des Volksunterrichts beurkunden. Wir sind aber auch überzeugt, daß ihnen
allen eine genaue, nicht nur einmalige, sondern periodisch wiederkehrende Ermittlung ihrer Schulzustände, soweit solche durch Art. 27 der Bundesverfassung unter gemeinsame Obhut gestellt sind, nur

18£ erwünscht ist ; daß die Darlegung der Resultate von ihnen in gleicher Weise verwerthet werden wird, wie dies bei den Rekrutenprüfungea der Fall war und ist; daß auf diese Weise ohne weitere Aktion und Intervention des Bundes das öffentliche Volksschulwesen in den Kantonen sich verbessern, sich vorwärts bewegen wird, und daß der Bund auf diesem sehr bescheidenen Wege den Kantonen sehr schäzenswerthe Dienste leisten kann.

Eine ähnliche Einrichtung, wie die angestrebte, nur mit ungleich größerm Kostenaufwand, besizen die Vereinigten Staaten von Nordamerika in dem Bureau des öffentlichen Unterrichts in Washington.

Obwohl die nordamerikanische Verfassung der Centralgewalt in Sachen des Schulwesens keine Befugnisse verleiht, hat der Kongreß dennoch für nothwendig erachtet, dieses Bureau zu errichten, dessen Veröffentlichungen über den Stand des Unterrichts von hohem Interesse und anerkanntem Nuzen sind.

Sollte sich nach längerer intensiver und einsichtiger Bethätigung dieses Verfahrens, welchem selbstverständlich die spezielle Untersuchung und Erledigung eintretender Beschwerdefälle zur Seite gehen würde, zeigen, daß zur Aufstellung allgemeiner gesezlicher Bestimmungen geschritten werden muß, so werden die gesezgebenden Behörden dies alsdann thun können auf Grundlage einer vollkommenen Kenntniß der Verhältnisse und mit Zustimmung nicht nur der öffentlichen Meinung, sondern wohl auch der Mehrzahl der kantonalen Regierungen.

Nach dieser allgemeinen Darlegung unserer Anschauungen erübrigt uns noch, über die wesentlichen Punkte der Vorlage einige erläuternde Bemerkungen beizufügen.

Wenn es sich um eine einmalige, generelle Ermittlung handeln würde, so hätte der Bundesralh wohl ohne weitere Ermächtigung der gesezgebenden Räthe vorgehen und für allfällig außerordentliche Kosten auf dem Wege des Budget die nöthige Bewilligung nachsuchen können ; allein es erhellt schon aus dem Gesagten, daß dies nicht unsere Meinung ist. Wir wünschen über alle Schulverhältnisse, welche mit den Postulaten des Art. 27 der Bundesverfassung zusammenhängen, Jahr für Jahr Rechenschaft geben zu können, und zwar nicht nur in Ziffern und Tabellen, welche Vieles hier Einschlägige nicht zu erreichen und auszudrüken vermögen.

Wir hoffen, die Kantonsregierungen dazu bewegen zu können, ihre jährlichen Rechenschaftsberichte über
das Schulwesen durch Annahme einer gewissen Uebereinstimmung in Form und Materie so zu gestalten, daß es möglich sein sollte, ohne jeweilen eigene Erhebungen veranlaßen zu müssen, durch Verarbeitung jener

190 Rechenschaftsberichte einen vergleichenden Gesammtjahresberich herzusteUen. Wir wünschen in den Stand gesezt zu werden, dem Volksschulwesen der Schweiz zunächst, dann aber auch demjenigen anderer nach dieser Seite hin vorwärtsstrebender Länder eine stetige Aufmerksamkeit zuwenden und innerhalb der dem Bunde zukommenden Kompetenz auf diesem Gebiete eine dauernde fördernde Thätigkeit entwikeln zu können.

Hiezu bedarf es aber einer dauernden Einrichtung in der Bundesadministration, welche nur auf dem Wege des Gesezes aufgestellt werden kann. Als ihrer Natur nach, wenn auch in weitem Sinne, wesentlich statistisch und informatorisch, scheint uns dieselbe am richtigsten dem statistischen Bureau eingefügt zu werden. Zu diesem Zweke wünschen wir dem Direktor desselben einen Adjunkt beizugeben, und zwar in der Meinung, daß dieser zweite Beamte des statistischen Bureau in allererster Linie sich mit allen denjenigen Arbeiten zu befassen hätte,, welche mit dem Art. 27 der Bundesverfassung in Verbindung stehen. Es ist selbstverständlich, daß hiezu nur eine Kraft in Aussicht genommen werden kann, die mit dem Schulwesen der Schweiz bereits wohl vertraut und im Stande ist, aus eigener Initiative an der Lösung der gestellten Aufgabe za arbeiten. Mit Rüksicht auf die besondern Anforderungen in Bildung und Erfahrung, welche an einen solchen Beamten gestellt werden müssen, nehmen wir eine Besoldung von Fr. 4500 bis Fr. 5000 in Aussicht.

Auf das Angebrachte gestüzt, beehren wir uns, Ihnen die Annahme des nachstehenden Gesezentwurfes zu empfehlen, und ergreifen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 3. Juni 1880.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

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(Entwurf)

Bundes!) escili uss betreffend

die Vollziehung des Art, 27 der Bundesverfassung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 3. Juni 1880, beschließt: 1. Der Bundesrath wird beauftragt, durch das Departement des Innern die zur Vollziehung des Art. 27 der Bundesverfassung nöthigen Erhebungen über das Schulwesen der Kantone zu machen und für die regelmäßige und fortlaufende Sammlung, Zusammenstellung, Verarbeitung und Veröffentlichung der Ergebnisse zu sorgen.

Um das statistische Bureau in den Stand zu sezen, den ihm zufallenden Antheil an dieser Aufgabe zu erfüllen, wird dem Direktor desselben ein Adjunkt beigegeben. Lezterer bezieht eine Besoldung von Fr. 4500 bis Fr. 5000. Die Obliegenheiten dieser Amtsstelle werden durch ein besonderes Regulativ des Bundesrathes geordnet.

2. Die Kantone sind verpflichtet, dem Bundesrathe und seinen Organen über die im Art. l genannten Verhältnisse, gemäß den gestellten Fragen und innerhalb der in angemessener Weise gestellten Fristen, jederzeit die erforderlichen Angaben zu liefern.

ö 3. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Juni 1874 (Amt!.

Samml. n. F. I, 116), betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung des gegenwärtigen Beschlusses zu veranstalten und dea Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Vollziehung des Art. 27 der Bundesverfassung. (Vom 3. Juni 1880.)

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12.06.1880

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