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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien.

(Vom 26. November 1880.)

Tit.

Wir haben in unserm Geschäftsberichte für das Jahr 1877 (Bundesblatt 1878, II, S. 470 und 520) mitgetheilt, daß wir am 22. Dezember gl. J. uns veranlaßt gesehen haben, den A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g mit G r o ß b r i t a n n i e n vom 31. März/28. November 1874 (A. S. n. F. I, S. 356) zu kündigen, und die Gründe näher dargelegt, welche uns zu diesem Schritte nöthigten. Wir fügten aber bei, daß wir der groß britannisch en Regierung gegenüber gleichzeitig unsere Bereitwilligkeit zu Unterhandlungen über einen neuen Vertrag ausgesprochen haben, welche Verhandlungen in Bern stattfinden sollten.

Die Regierung Ihrer Majestät von Großbritannien ließ unterm 11. März 1878 ihr Bedauern aussprechen, daß wir uns zu der Kündigung des Vertrages von 1874 genöthigt gesehen haben, erklärte aber auch ihrerseits die Geneigtheit zur Eröffnung von Verhandlungen über einen neuen Vertrag und bezeichnete gleichzeitig ihren damaligen Minister-Residenten bei der Schweiz, Herrn Horace llumbold, als ihren Bevollmächtigten.

Nachdem wir am 16. April 1878 den Chef unsers Justiz- und Polizeidepartements zu unserm Bevollmächtigten ernannt hatten waren wir am 17. Mai gl. J. in der Lage, Herrn Rumbold unsere von ihm gewünschten Anträge für den neuen Vertrag mitzutheilen.

510 Nach verschiedenen Verhandlungen, die sich bis in die zweite Hälfte des Jahres 1879 ausdehnten, wurde die ursprüngliche Redaktion aufgegeben und zwischen dem Bevollmächtigten vereinbart, den inzwischen von Großbritannien mit Spanien abgeschlossenen Auslieferungsvertrag vom 4. Juni 1878 zur Grundlage und als Vorbild unseres Vertrages anzuerkennen.

Nachdem jedoch Herr Rumbold gegen Ende des Jahres 1879 die Schweiz verlassen hatte, blieben die bezüglichen Verhandlungen suspendirt, bis in neuester Zeit (Anfangs Oktober 1880) der neue Minister-Resident Großbritanniens, Herr Vivian, sich auch als Bevollmächtigten für den Abschluß des Auslieferungsvertrages präsentirte und die Wiederaufnahme der Unterhandlungen beantragte.

Wir bemühten uns, diese Unterhandlungen zu fördern, und zwar um so mehr, als der alte inzwischen durch Spezialabkommen wiederholt verlängerte Auslieferungsvertrag mit dem 22. D e z e m b e r n ä c h s t h i n außer Kraft treten wird.

Nachdem die Bevollmächtigten sich über das Projekt des neuen Vertrages geeinigt hatten, ertheilten wir demselben heute unsere Genehmigung, immerhin unter Vorbehalt Ihrer Ratifikation.

Wir begleiten diese Vorlage mit einigen kurzen Bemerkungen.

Zunächst erwähnen wir vorübergehend, daß dieser Vertrag dem formellen Verlaufe des Auslieferungsverfahrens besser angepaßt ist, als es im alten Vertrage der Fall war. Nach der Regulirung der provisorischen Verhaftung wird das Verfahren für das definitive Auslieferungsbegehren festgestellt; sodann folgen die Ausnahmen und das Verfahren in den englischen Kolonien.

Das Verfahren für die provisorische Verhaftung bleibt ziemlich, das gleiche wie früher.

Was das definitive Auslieferungsbegehren betrifft, so enthält der Vertrag eine Neuerung, von der wir Gutes hoffen. Es wird nämlich ziemlich ausführlich das formelle Verfahren dargestellt, wie es in beiden Staaten nach ihrer gegenwärtigen Gesezgebung und innern Organisation stattfinden muß. Hiemit wird den Kautonen ein sicherer Leitfaden an die Hand gegeben. Was England betrifft, so ist es identisch mit dem in den bezüglichen englischen Bills vorgeschriebenen und in, den Verträgen, die England in neuester Zeit mit Spanien und Frankreich abgeschlossen hat, formulirten Verfahren. Für die Schweiz ist diesFormulirungng etwas Neues; sie entspricht aber dem seit 1848
üblichen Verfahren und dem jezigen Gescze über die Organisation deBun-udesrechtspflege,betreffend die Mitwirkung des Bundesgerichtes in streitigen Fällen. Eine weitere Neuerung enthält der Schlußsaz von Art. VII, dahin gehend, daß künftig die Absendung von Zeugen in das andere Land nur noch zum Zweke der Identifizirung der verhafteten Person.

51 î also nicht mehr zur förmlichen Beweisführung (wie wir in einigen, Fällen es thun mußten), stattzufinden hat. -- Hiemit steht in Verbindung der neue Art. IX, wonach in Fällen, wo es nöthig sein magv die Schweiz vor den englischen Gerichtshöfen durch die Kronanwälte vertreten sein wird, wie es auch umgekehrt in der Schweiz durch die kompetenten Beamten (Staatsanwälte) der Fall sein soll, und zwar muß diese Rechtshilfe unentgeltlich gewährt werden. Wir hoffen-, daß dieser Nachsaz nicht auf Widerstand stoße, möchten aber auch die Hoffnungen nicht hoch spannen, die man auf diesen Artikel, angesichts der großen Kosten, die in einzelnen Fällen zu bestreiten waren, sezen möchte, indem das Verfahren in der Regel doch durch den schweizerischen Repräsentanten und dessen Rechtskonsulanteß zu führen ist und die Kosten für Uebersezungen etc. auch noch zu unsern Lasten bleiben.

Wir fügen bei, daß gemäß Art. IV der schweizerische Generalkonsul in London für die Auslieferungsangelegenheiten auch fernerhin als diplomatischer Repräsentant der Schweiz anerkannt wird, und daß in den Kolonien das Auslieferungsbegehren auch durch den Konsularagenten eines andern Staates präsentirt werden kann, ohne daß derselbe, wie früher, für den Spezialfall bestellt werden muß.

Bezüglich jener Artikel, welche Ausnahmen enthalten, erwähnen wir, daß Art. X wesentlich identisch ist mit dem ersten Saze von Art. VIII des alten Vertrages. Die Bestimmung, daß der Vertrag auch auf Verbrechen anwendbar sein soll, die vor seiner Unterzeichnung' verübt worden, entspricht einem in der Praxis (vgl. Fall Limosin) anerkannten Saze, der hier um so leichter vertraglich süpulirt werden kann, als die Scala der Verbrechen, wegen welcher die Auslieferung stattfinden muß, im neuen Vertrag mit einer einzigen Ausnahme die gleiche ist, wie sie im alten Vertrage bestanden hat. -- Der Art. XI behandelt die Ausnahme der politischen Verbrechen gleich wie früher, jedoch sind die Worte ,,oder mit einem derartigen Verbrochen zusammenhängt" 1 gestrichen worden. Es geschah dieses in London, ohne daß uns der Grund bekannt gegeben wurde. Wir glaubten keine Einwendung erheben zu sollen, weil der übrige Wortlaut des Artikels genügt. -- Im Art. XII ist der Ausdruk ,,Verjährung" durch den allgemeinem ,,Befreiung'1 (,,exemption anstatt ,,exemption by lapse of time a
im Art. V des alten Vertrages) ersezt. -- Die übrigen hierauf bezüglichen Artikel geben zu keinen weitern Bemerkungen Anlaß; sie sind wesentlich identisch mit den entsprechenden Artikeln des alten Vertrages Es bleibt uns aber noch die wichtigste Neuerung des ganzen Vertrages mit einigen Worten zu besprechen. Der alte Vertrag, mußte bekanntlich darum gekündigt werden, weil derselbe im Art. III

512 das absolute Verbot enthielt, daß keiner der Vertragsstaaten seine eigenen Angehörigen ausliefern dürfe, so daß in Folge dieser bestimmten Redaktion es nicht möglich war, den Engländer Wilson, welcher erwiesenermaßen in Zürich die Post auf offener Straße um beiläufig 50,000 Franken bestellten hatte, aber schnellstens wieder nach England fliehen konnte, zu bestrafen, weil er (leider erst nach einem langen, für die Schweiz sehr kostspieligen Verfahren) als englischer Unterthan anerkannt wurde, das Verbrechen aber nicht der Art war, daß die englische Gesezgebung dessen Bestrafung in England möglich gemacht hätte. Wilson ging somit straflos aus und behielt noch seinen Raub. Es mußte daher im neuen Vertrag ein System festgestellt werden, das künftig einen solchen Scandai unmöglich machen wird.

Dieses geschieht nun mit der Bestimmung im Art. I, wonach künftig Großbritannien a l l e P e r s o n e n ausliefern wird, die wegen eines in Art. II vorgesehenen Verbrechens oder Vergehens in der Schweiz verfolgt werden, während die Schweiz sich nur verpflichtet, alle diese Personen, m it Au s n a h m e i h r e r e i g e n e n A n g e h ö r i g e n , auszuliefern. Diese Vorschrift stimmt überein mit Art. I des englisch-spanischen Vertrages und ist ganz bewußt eingegangen worden, daß sie für England die Auslieferung eines eigenen Unterthans zur Folge haben kann. Was die Schweiz betrifft, so bleibt der Vorbehalt der Nichtauslieferung ihrer eigenen Angehörigen in Uebereinstimmung mit allen ihren andern Auslieferungsverträgen. Es kommt für die Schweiz nur die Weiterung hinzu, daß unter Umständen auch die Beurtheilung eines Engländers von dem betreffenden Kanton übernommen werden muß. Da jedoch hiemit lediglich der natürliche Gerichtsstand am Orte der That gewahrt bleibt, wo die Untersuchung und Beurtheilung doch stattfinden müßte, wenn- der Thäter nicht zufällig ein Engländer wäre, so erwächst für den betreffenden Kauton keine größere Last.

Wir schließen mit der Empfehlung, Sie möchten dem vorliegenden Vertrage durch Annahme des folgenden Beschlußentwurfes die vorbehaltene Ratifikation ertheilen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 26. November 1880.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schieß,

513 (Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Großbritannien.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenoßenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 26. November 1880, beschließt: 1. Es wird dem zwischen dem schweizerischen Bundesrathe und der Regierung von Großbritannien am 26. November 1880 zu Bern abgeschlossenen Vertrage, betreffend gegenseitige Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien. (Vom 26. November 1880.)

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04.12.1880

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