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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Hrn. Clément Maître, betreffend Verlezung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.

(Vom 10. August 1880.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath hat

in Sachen des Herrn Clément M a î t r e , römisch-katholischer Priester in La Motte, Kts. Bern, betreffend V e r l e z u n g der Glaubens- und Gewissensfreiheit; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. Am 18. April 1879 wurde der Rekurrent von dem Kirchgemeinderath St. Ursanne provisorisch für ein Jahr zum Hilfspriester der Pfarreiabtheilung Ocourt -- La Motte -- Montvoie ernannt. Die Direktion des Kirchenwesens des Kantons Bern lehnte jedoch die Bestätigung dieser Wahl ab, weil Hr. Maître nicht in den bernischen Klerus aufgenommen sei. Gleichwohl nahm derselbe in der Kirche zu La Motte alle kirchlichen Akte vor. Es wurde daher gegen ihn wegen rechtswidriger Ausübung öffentlicher Funktionen, sowie auch wegen Widerhandlung gegen das Gesez betreffend die Armenpolizei Strafklage erhoben, lezteres deßhalb, weil er zur Bestreitung der Kosten für die Anschaffung eines Harmoniums für die Kirche eine Kollekte veranstaltet hatte. Das Gericht des Amtes Pruntrut sprach ihn jedoch von beiden Anklagen frei. Die Polizeikammer des Kantons Bern erklärte ihn dagegen am 17 April 1880 der rechtswidrigen Ausübung öffentlicher Punktionen schuldig und verurtheilte ihn in Anwendung des Artikels 83, lezter Absaz, des

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bernischeu Strafgesezbuches zu 15 Tagen Gefängniß uud zu 25 Franken Buße.

II. Die Polizeikammer begründete dieses Urtlieil damit, daß Hr. Maître in Folge der Nichtbestätigung seiner Wahl nicht die Eigenschaft eines Hilfspriesters erworben habe und deßhalb nicht berechtigt gewesen sei, in La Motte die mit dieser Stelle verbundenen öffentlichen Funktionen auszuüben. Sein Einwand, daß der Artikel 83 des bernischen Strafgesezbuches auf ihn nicht Anwendung finde, indem derselbe nur von rechtswidriger Ausübung bürgerlicher und militärischer, nicht aber kirchlicher Funktionen spreche, sei unbegründet, da der Ausdruk ,,bürgerliche Funktionen11 alle öffentlichen Verrichtungen, die nicht militärischer Natur seien, also auch die kirchlichen, in sich begreife.

III. In dem gleichen Prozesse war auch gegen die neun Mitglieder des Kirchgemeinderathes von St. Ursanne Anklage wegen Mißbrauches der Amtsgewalt erhoben worden. Die Polizeikainmer erklärte diese Anklage als unbegründet, erkannte aber, daß die genannten Personen inkorrekt gehandelt haben, und verurtheilte sie deßhülb solidarisch mit Clément Maître zur Bezahlung der Prozeßkosten.

IV. Namens des Herrn Maître rekurrirte Hr. Adv. F o l i e t e t e in Pruntrut an den Bundesrath, und stellte das Gesuch, derselbe möchte erkennen, daß die Polizeikammer durch die Verurlheiluug des Herrn Maître den Grundsaz der Gewissens- und Glaubensfreiheit verlezt, und daß sie eine Strafe für ein Delikt ausgesprochen habe, das nicht bestehe; er möchte deßhalb das erwähnte Urtheil aufheben und erklären, daß der Kekurrent die pfarramtlichen Funktionen in der Kirche zu La Motte so lange ausüben könne, als er nicht von dem Kirchgemeinderath abberufen werde.

Vor dem Inkrafttreten des bernischen Gesezes über die Organisation des Kirchenwesens vom 18. Januar 1874 sei von den Personen, welche sich um eine katholische Pfarrei beworben haben, bloß der Ausweis gefordert worden, daß sie katholische Geistliche seien, und hiefür habe genügt, daß der Bischof den Betreffenden für die Stelle vorgeschlagen habe. Gemäß Artikel 25 des erwähnten Gesezes seien nun nur die Geistlichen wahlfähig, welche in den bernischen Klerus aufgenommen worden. Diese Aufnahme erfolge jedoch laut Artikel 26 des gleichen Gesezes nur auf Grund einer Staatsprüfung. Indeß habe die Regierung auf dieser Prüfung von
Seite der 69 jurassischen Pfarrer, welche seinerzeit die Protestation gegen die Absezung des Bischofs unterzeichnet haben, nach ihrer Amnestirung vom 12. September 1878 nicht bestanden, sondern es sei angenommen worden, daß sie in Folge der Amnestie

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in den bernischen Klerus eingetreten seien. Dagegen werde gegenüber allen andern Priestern, welche jene Protestation mitunterzeichnet haben, aber nicht Pfarrer seien, die Forderung der Staatsprüfung aufrecht erhalten, gleichviel wie lange sie schon im Dienste stehen. In diesem Falle befinde sich auch der Rekurrent.

Da aber die Prüfungskommission unter dem Vorsize eines Mitgliedes des Regierungsrathes aus drei altkatholischen und aus drei römischkatholischen Geistlichen bestellt sei, so können die römisch-katholischen Priester dieser Prüfung sich nicht unterziehen. In Folge dessen sei eine Reihe von Untersuchungen gegen solche Priester wegen rechtswidriger Ausübung öffentlicher Funktionen aufgenommen worden.

Hr. Maître habe schon vor der Amnestie der abgesezten Pfarrer den Kirchendienst in La Motte besorgt. La Motte sei früher eine besondere Pfarrei gewesen, allein durch Dekret vom 9. April 1874 mit der Pfarrei St. Ursanne vereinigt worden. Diese Pfarrei sei so ausgedehnt, daß ein Hilfspriester in La Motte durchaus nöthig sei. Man habe daher angenommen, die Verweigerung der Bestätigung der Wahl habe nur den Sinn, daß dem Herrn Maître vom Staate kein Salär bezahlt werde. Da er somit weder vom Staate, noch aus dem Kirchengute (caisse de fabrique) etwas beziehe, so habe Niemand daran gezweifelt, daß seine Position in Ordnung sei, zumal der Pfarrer von St. Ursanne dessen Funktion in La Motte genehmigt oder wenigstens nichts dagegen eingewendet habe. Seit der Aufstellung des Kirchgemeinderathes in St. Ursanno sei nur die Aenderung eingetreten, daß Herr Maître den Gottesdienst aus einer Scheuer in die Kirche von La Motte verlegt habe, deren Schlüssel ihm vom Kirchgemeinderath überlassen worden. So lange aber ein Priester vom Staate kein Salär anspreche, stehe er mit Rüksicht auf seine geistlichen Verrichtungen nicht unter der Verfügungsgewalt desselben.

V. Die Polizeikammer des Kantons Bern bezog sich in ihrer Antwort lediglich auf die Erwägungen ihres Urtheils, und die Regierung erklärte, daß sie nichts beizufügen habe.

In r e c h t l i c h e r Beziehung kommt in B e t r a c h t : 1) Der Artikel 50 der Bundesverfassung gewährleistet die freie Ausübung gottesdienstlicber Handlungen nur innerhalb der Schranken d e r Sittlichkeit u n d d e r ö f f e n t l i c h e n O r d n u n g , und behält den Kantonen,
sowie dem Bunde das Recht vor. zur Handhabung dieser öffentlichen Ordnung, sowie gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die R e c h t e des S t a a t e s die geeigneten Maßnahmen zu treffen.

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2) Die Kantone sind daher unzweifelhaft befugt, Bestimmungen über die persönlichen Erfordernisse zu erlassen, welche Diejenigen zu erfüllen haben, die in der anerkannten Landeskirche eine amtliche Stellung bekleiden wollen.

3) Die Bestimmungen des bernischen Gesezes über die Organisation des Kirchenwesens vom 18. Januar 1874 (§§ 25 und 26), wonach nur solche Geistliche zu geistlichen Stellen an öffentlichen Kirchgemeinden wahlfähig sind, welche durch den Regierungsrath in den bernischen Kirchendienst aufgenommen wurden, wofür eine vorausgegangene Staatsprüfung und ein empfehlendes Gutachten der betreffenden Prüfungsbehörde über die Befähigung des Kandidaten zum geistlichen Amte seiner Konfession erforderlich sind, stehen somit in Uebereinstimmung mit der Bundesverfassung.

4) Der Rekurrent, Hr. Maître, anerkennt nun selbst, in La Motte staatskirchliche Funktionen ausgeführt zu haben, ohne die Eigenschaften zu besizen, welche das Gesez des Kantons Bern über die Organisation des Kirchenwesens fordert.

5) Gemäß § 29 des gleichen Gesezes werden die Vikariatsund Pfarrverweserstellen durch den betreffenden Kirchgemeinderath im Einverständniß mit der Kirchendirektion besezt. Die Stellung des Rekurrenten ist auch mit dieser Vorschrift im Widerspruch, insofern die Genehmigung seiner Wahl durch die Kirchendirektion mangelt.

6) Die Frage ob Artikel 83 des bernischen Strafgesezbuches auf eine derartige Uebertretung der bernischen Gesezgebung über das Kirchenwesen anwendbar sei, ist gerichtlicher Natur und liegt somit außer jeder Cognition der a d m i n i s t r a t i v e n Bundesbehörden; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Bern für sich und zuhanden der Polizeikammer dieses Kantons, sowie dem Herrn Advokat Folietete in Pruntrut, als Anwalt und zuhanden des Rekurrenten, unter Rükschluss der Akten mitzutheilen B e r n , den 10. August 1880.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß.

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