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Aus den Verhandlungen der Schweiz. Bundesversammlung.

Die gesezgebenden Räthe der Eidgenossenschaft sind am 7. Juni 1880 zu ihrer ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

In Abwesenheit des Präsidenten des N a t i o n a l r a t h e s , Hrn.

Oberst K ü n z l i aus dem Aargau, eröffnete der Vizepräsident dieser Behörde, Hr. Dr. B u r c k h a r d t von Basel, die Session mit einer kurzen Ansprache, in welcher er der im Laufe dieses Jahres verstorbenen Nationalräthe F e e r - H e r z o g von Aarau und M e ß m e r von Frauen feld gedachte.

Vom Hrn. Meßmer erwähnte er seinen ehren werth en Charakter und sein freundliches liebevolles Benehmen gegen Jedermann, weßhalb er bei seinen Kollegen stets im besten Angedenken bleiben werde.

In Beziehung auf Hrn. F e e r - H e r z o g hob er seine erfolgreiche Thätigkeit auf handelspolitischem und nationalökonomischem Gebiete hervor, se daß sein Tod im Nationalräthe eine empfindliche Luke gerissen habe. Der Redner hob ferner hervor, daß Hr. Feer-Herzog die Vollendung des großen Werkes, an dessen Gelingen er einen so bedeutenden. Antheil hatte, nicht mehr erleben konnte.

Auf dieses Unternehmen übergehend, bemerkte Herr Dr.

B u r c k h a r d t : Wie der Gottharddurchbruch bestimmt sei, die Schweizer diesseits mit den Schweizern jenseits der Alpen materiell fester zu verbinden, so werde auch durch die Herstellung eines eidgenössischen Obligationen- und Handelsrechts das geistige Band enger gezogen und ein beträchtlicher Fortschritt auf dem Wege zur schweizerischen Rechtseinheit gemacht.

Im S t ä n d e r a t he hielt der abtretende Präsident, Herr Dr. Karl S t e h l i n von Basel, folgende Eröffnungsrede: Meine Herren Ständeräthe !

Gestatten Sie mir in dem Augenblike, da ich das Amt, welches Sie mir vor einem Jahre anvertraut haben, in Ihre Hände nieder-

208 lege, einige Worte an Sie zu richten über denjenigen Gegenstand unserer Verhandlungen, der vor allen andern vermöge seiner auf Jahre hinaus wirkenden Bedeutung Ihre volle Aufmerksamkeit, vielleicht auch Ihre Geduld in Anspruch zu nehmen geeignet ist: ich meine den Entwurf eines schweizerischen Obligationen- und Handelsrechtes.

Die Vorlage kündigt sich an als theilweise Ausführung eines Artikels der Bundesverfassung von 1874. In der Sprache des Gesezgebers ist diese Berufung auf das Grundgesez unzweifelhaft richtig. In Wirklichkeit aber verdankt der Entwurf sein Entstehen nicht sowohl dem geschriebenen Verfassungsartikel, als vielmehr einem seit Jahren, man kann sagen seit Jahrzehnten, stets wachsenden und immer deutlicher hervortretenden Drange nach einheitlicher Gestaltung einzelner Theile der Gesezgebung. Und wer diesen Drang in seinem allmäligen Entstehen und in seinen Aeußerungen verfolgt hat, wird zugeben müssen, daß er kein künstlich erzeugter und genährter, sondern ein naturgemäßer und spontaner war und ist.

In der That wird sein Ursprung der Hauptsache nach in Verhältnissen zu suchen sein, welche die Annahme des Gemachten oder Erzwungenen vollständig ausschließen, nämlich einmal in der gewaltigen Umgestaltung der Verkehrsmittel während "der lezten drei Jahrzehnte und sodann in der mit dieser Umgestaltung der Zeit nach beinahe zusammenfallenden Umwandlung des früheren Staatenbundes in den nunmehrigen Bundesstaat.

Die Schweiz, im Centrum der mitteleuropäischen Staatenfamilie gelegen, kann sich naturgemäß den Folgen der auch auf ihrem Gebiete rasch zu großer Entwiklung gelangten Verkehrsmittel auf die Dauer nicht entziehen; sie kann inmitten der sie umgebenden mächtigen Reiche wohl rüksichtlich ihrer politischen Organisation eine Oase bilden, nicht aber hinsichtlich aller derjenigen Einrichtungen, welche das ökonomische Leben ihrer Bewohner beherrschen, und zu diesen gehört auch das Recht. Am allerwenigsten verträgt sich die schrankenlose Vielgestaltigkeit, welche dermalen noch unsern Rechtszustand charakterisirt, mit der Beweglichkeit des modernen Verkehrs, dem es durchaus widerstrebt, von Ort xu Ort auf andere Rechtsformen zu stoßen und sich durch dieselben gehemmt zu sehen. Wenn die Schweiz an den Wohlthaten dieses Verkehrs theilnehmen will, und das muß sie in ihrem eigensten Interesse
wollen, so wird sie diese Schranken beseitigen müssen.

Seitdem die Eisenbahnen und Telegraphen das Hinderniß des Raumes beinahe aufgehoben haben, seitdem der Markt sozusagen zum Weltmarkte geworden, läßt sich der Einfluß dieser Veränderungen auf die Gestaltung des Rechtes deutlich genug beobachten. Alle die-

209 jenigen Theile des Rechtes, welche dem Handel seine festen Normen zu geben bestimmt sind, gewinnen nach und nach einen internationalen, einzelne sogar einen kosmopolitischen Charakter. Kann das leztere vom Wechselrechte gesagt werden, so gilt das erstere vom gesammten Handelsrechte und manchen Instituten des eigentlichen Privatrechtes. Diesem allmäligen Nivellirungs- und Ausgleichungsprozesse der Rechtsanschauungen und Rechtseinrichtungen wird auch die Schweiz sich unterziehen müssen, und indem sie es thut, gehorcht sie einem naturnothwendigen Gebote. Sollen wir diesem Gebote widerstehen? Ich glaube Nein. Thäten wir's, so geschähe es zu unserrn eigenen Schaden. Das Werk nun aber, das uns vorliegt, ist bestimmt, dieser Forderung der Zeit entgegenzukommen und ihr nach Möglichkeit gerecht zu werden.

Diese mehr von außen auf uns wirkenden Einflüsse sind es indessen nicht allein, welche die Notwendigkeit der einheitlichen Gestaltung des Rechtes über den Handels- und Mobiliarverkehr immer deutlicher, immer faßbarer vor Augen stellen; es wirkte in der gleichen Zeitperiode auch die innere politische Umgestaltung der Schweiz dazu mit. Die festere Gliederung des Bundesstaates, welche an die Stelle des lokern Staatenbundes trat, beseitigte schon in ihrem Entstehen eine Reihe von Schranken des inneru Verkehrs, und es werden heute nur noch Wenige sein, welche nicht umumwunden die Vorzüge dieser Veränderungen anerkennen.

Ihnen verdankt die Schweiz eine jahrzehntelange Prosperität, und es ist nur die Fortsezung des ursprünglichen Gedankens, wenn jezt außer der Entfernung der äußern Schlagbäume auch die Beseitigung der innern, in den Sazungen und Gebräuchen des Rechtes wurzelnden Hemmnisse gefordert wird. Zwar ist es bekannt, daß diese Bestrebungen auf der einen Seite genährt und unterstüzt werden, weil man hofft, damit dem Ideal des Einheitsstaates einen erheblichen Schritt näher zu rüken, und daß sie auf der andern Seite, wenn nicht gerade bekämpft, so doch kühl und mit einer gewissen Resignation hingenommen werden, weil man damit ein Stük der kantonalen Souveränität zu Grabe gehen sieht. Allein sowohl die Hoffnungen der Centralisten, als die Befürchtungen der Förderalisten dürften zu weitgehend sein. Die Unifikation des Obligationen- und Handelsrechtes wird allem Anscheine nach das Gewicht der Waage weder
nach der einen, noch nach der andern Seite hin erheblich verrüken. Allerdings mögen die Unitarier darin eine Etappe nach ihrem Ziele erbliken, aber daß der Weg dahin noch ein sehr weiter ist, kann ihnen nicht entgehen, und die Föderalisten haben keinen Grund, sich ablehnend zu verhalten ; denn auch sie werden unschwer erkennen, daß der Bundesstaat,

210 wie er die Centralisation der Zölle, der Posten, des Münzwesens ohne Gefahr ertragen hat, auch diese partielle Unifikation des Rechtes ertragen, ja daß er durch dieselbe innerlich gefestigt wird, insofern die Zusammengehörigkeit der Bundesglieder durch das Eine Recht auf dem Gebiete des Verkehrs noch mehr als bisher zum Bewußtsein kommt. Treten wir deßhalb, welcher politischen Ansicht wir im Uebrigen sein mögen, ohne Vorurtheil an das Werk heran, das unserer Prüfung unterbreitet ist.

Denn, meine Herren, es gibt noch andere Schwierigkeiten zu überwinden, als diejenigen, welche in der Ansicht über die politische Gestaltung unseres Vaterlandes ihren Grund haben. Eine Vereinheitlichung des Rechtes oder auch bloß einzelner Theile wird sich nie ohne große Kämpfe und Diskussionen- vollziehen, weil die Rechtsanschauungen, darin ähnlich den religiösen Ueberzeugungen, bei den Menschen tief sizen und mit ihrer ganzen Existenz verwachsen und verwoben sind ; man trennt sich schwer und ungerne von ihnen. Wir haben zwar große Beispiele um uns herum, wo die Unifikation des Rechtes durchgeführt worden ist, ohne daß äußerlich sichtbare Erschütterungen stattgefunden hätten.

Allein wir befinden uns in einer völlig verschiedenen Lage. Bei uns kann kein einheitliches Gesezbuch den Völkerschaften von oben herab gegeben, oktroyirt werden, sondern wir bedürfen der Mitwirkung des gesammten Volkes und können ohne diese nichts zu Stande bringen. Es kann sich bei uns auch nicht darum handeln, eine Codifikation bestehender und allgemein anerkannter Rechtsgebräuche zu veranstalten, sondern wir haben entweder die ot't weit auseinander liegenden Gegensäze verschiedener Nationalitäten auszugleichen und zu versöhnen, oder die Gestaltungen des Rechtes auf ihren innern Werth und Gehalt zu prüfen und der einen oder andern den Vorzug einzuräumen. Diese großen Schwierigkeiten sind wohl auch der Grund, warum so manche frühere Anläufe, auf dem Wege des Konkordats einzelne Theile des Rechtes zu unifiziren, fehlgeschlagen haben, bis Art. 64 der Bundesverfassung der Rathlosigkeit zu Hilfe kam und die äußere Handhabe darbot, um den sonst schon vorhandenen Bestrebungen zum Durchbruche zu verhelfen. Es muß sich nun zeigen, ob es dem Bundesrathe und den zahlreichen Experten, die er um sich versammelt hat, gelungen ist, den Weg zu finden,
der uns zum Ziele führt.

Man sollte es glauben. Das Gesez, das uns vorliegt, ist nicht das Werk einer Improvisation; es ist die langsam gereifte Frucht jahrelanger, einsichtiger und sorgfältiger Arbeit. Seine Anfänge reichen beinahe ein Menschenalter zurük, und die besten Kräfte des Landes haben seinen Abschluß herbeigeführt. V o l l k o m m e n

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wird es so wenig zu nennen sein, als ein anderes Produkt menschlicher Thätigkeit; aber das Zeugniß wird man ihm nicht versagen können, daß das schwierige Problem der Vereinigung auseinandergehender Gesichtspunkte mit praktischem Geschike gelöst ist, und daß auch da, wo der Zwiespalt den Grundsäzen sich unversöhnlich erwies und zur Schaffung neuer Rechtsnormen führte, die Hand meistens eine glükliche war. Und bei alledem hält unser Entwurf nach dem Urtheile berufener Rechtslehrer vor einer wissenschaftlichen Kritik Stand und könnte leicht einen ersten Beitrag zur Ausbildung eines internationalen Privatrechtes liefern.

Vermöge dieses eigentümlichen Charakters des Gesezes wird die Aufgabe derjenigen, welche als Vertreter der verschiedenen Völkerschaften unseres Vaterlandes zunächst über dessen Annahme oder Verwerfung zu entscheiden haben, keine leichte sein. Keiner wird in dem Geseze Alles so finden, wie er es wünscht, oder wie seine Wähler es erwarten; jeder wird in die Lage kommen, sich die Frage zu stellen, ob er eher auf ererbte, angewohnte und liebgewonnene Eigentümlichkeiten im Rechtsleben seines Kantons, oder auf die einheitliche Gesezgebung verzichten soll. Und daß die Wahl oft schwer sein wird, wer kann es billigerweise bestreiten?

Aber hierin gerade wird der Entwurf zu einem Prüfsteine für den ächten schweizerischen Patriotismus werden.

Meine Herren! Der Ständerath hat in der Dezembersizung troz wiederholter Anläufe an der Erstbehandlung dieses Gesezea festgehalten. Mir scheint, es lag dieser Zähigkeit ein tieferer Sinn zu Grunde, als bloße Rechthaberei. Noch sind die Kantone, als deren Vertreter der Ständerath zu gelten hat, in der Gesezgebung über das Privatrecht souverän; von ihnen wird also zunächst das Opfer verlangt, das durch die Annahme des Entwurfes der Gesezgebung des Bundes gebracht werden soll. Es ist deßhalb nur korrekt, daß der Ständerath auch zuerst über das Gesez Beschluß faßt. Allerdings wird uns damit auch eine gewisse Verantwortung auferlegt. Seien wir uns dessen bewußt; lassen wir uns durch Nebenrüksichten nicht von dem großen Ziele ablenken; verlieren wir über dem Einzelnen das Ganze nicht aus dem Auge, und lassen wir namentlich unsere Berathungen von dem Geiste des Entgegenkommens und der Nachgiebigkeit beherrscht und getragen sein, ohne den dieses Werk nicht zu Stande kommen kann.

Mit diesem Wunsche erkläre ich die Sizung für eröffnet.

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Die Bestellung der Bureaux beider Räthe fand in folgender Weise statt : Nationalrath.

Präsident: Herr Dr. Karl B u r c k h a r d t , von und in Basel; Vizepräsident : ,, Louis R u c h o n n e t , von St. Saphorin (Waadt), in Lausaune; Stiramenzähler: ,, Paul W u i l l é m o t , von Vuarens (Waadt), in Payerne; ,, ,, Gottfried J o o s t , von und in Langnau (Bern) ; ,, ,, Robert D ü r r er, von Thalwyl (Nidwaiden), in Stans; ,, ,, Anton Steinhauser, von und in Sagens (Graubünden).

Ständerath.

Herr Christian S ahi i, von Wohlen (Bern), in Bern, gew. Vizepräsident; Vizepräsident: ,, Karl K a p p e i e r , von Frauenfeld, in Zürich; Stimmenzähler: ,, Gustave Ad or, von und in Genf; ,, v Joh. Jakob Hohl, v. Heiden(Appenzell A.Rh.), in Herisau.

Präsident:

Als neue Mitglieder sind erschienen: Im N a t i o n a i r a t h .

Herr Ludwig Kar r er, Regierungsrath, von Teufenthal und OberEntfelden (Aargau), in Aarau, gewählt am 15. Februar 1880 im 35. eidg. Wahlkreise, für den am 23. Januar gì. J. verstorbenen Hrn. Fee r - H e r z o g .

,, Karl Justin S o n d e r e g g e r , Landammann, von Oberegg (Appenzell I. Rh.), in Appenzell, vom 28. eidg. Wahlkreise gewählt am 2. Mai 1880, in Ersezuag des am 17. November 1879 verstorbenen Hrn. Landammann Alois Broger.

T, Philipp Heitz, Artilleriehaupttnann, von Zürich und Stein am Rhein (Schaff hausen), Fabrikbesizer in Münchweilen (Thurgau), an der Stelle des am 29. März 1880 verstorbenen Hrn. Joh. Meß mer gewählt am 23. Mai gì. J. im 38. Wahlkreise.

213 Im Ständerath.

Für Graubünden: Herr Andreas B e z z o l a , Großrathspräsident, von und in Zernetz, in Ersezung des Hrn.

Florian Gengel.

,, Wallis: ,, Joseph Chappex,Staatsrath,von Massongex,, in Sitten, au der Stelle des Hrn. E v ê q u o t .

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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 7. Juni 1880.)

Der Bundesrath hat sein Post- und Eisenbahndepartement ermächtigt , diejenigen Konzessionen für Privattelegraphen von sieh aus zu ertheilen, bei welchen keine Abweichungen von den im Bundesrathsbeschluß vom 18. Februar 1878 *) aufgestellten Grundsäzen vorkommen, oder keine sonstigen Fragen von prinzipieller Bedeutung zum Entscheid gelangen.

Das Post- und Eisenbahndepartement ist vom Bundesrathe ermächtigt worden, einen Lokal - Sommerkurs zwischen C h u r und I l a n z zur Ausführung zu bringen.

Vom Bundesrathe sind gewählt worden : als Posthalter in Birmenstorf: Hr. J. Jakob Bickel, von und in Birmenstorf (Zürich), Gemeindschreiber daselbst ; *) Siehe-Bundesblatt vom Jabr 1878, Band I, Seite 291.

Bundesblatt

32. Jahrg. Bd. III.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Aus den Verhandlungen der schweiz. Bundesversammlung.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1880

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

26

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

12.06.1880

Date Data Seite

207-213

Page Pagina Ref. No

10 010 709

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