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Schweizerisches Bundesblatt.

32. Jahrgang. L

Nr. 4.

24. Januar" 1880.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 franken.

Einrükungsgebühr per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden Druk und Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu einem Gesezentwurfe, enthaltend S c h w e i z e r i s c h e s Obligationen- und Handelsrecht.

(Vom 27. November 1879.)

Tit.

Nach Art. 64 der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 steht dem Bunde die Gesezgebung zu : ,, über alle auf den Handel und Mobiliarverkehr bezüglichen Rechtsverhältnisse (Obligationenrecht, mit Inbegriff des Handels- und Wechselrechts)."

In Anwendung dieser Verfassungsbestimmung beehren wir uns, Ihnen den Entwurf für ein " schweizerisches Obligationen- und Handelsrecht" zur Prüfung vorzulegen und dessen Annahme zu beantragen.

Derselbe ist in deutscher und französischer Sprache verfaßt in dem Sinne, daß beide Texte den gleichen Werth als Original beanspruchen und sich gegenseitig zu erläutern bestimmt sind.

Er zerfallt in zwei Theile, einen allgemeinen Theil, 6 Titel, und einen besonderen Theil, 24 Titel umfassend ; die Titel sind fast sämmtlich in Kapitel, und einzelne von diesen wiederum in Abschnitte eingetheilt. Das Ganze umfaßt 885 fortlaufend gezählte Artikel.

Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. 1.

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150 Der allgemeine Theil enthält alle diejenigen Bestimmungen über Obligationenrecht, deren Geltung n i c h t auf besondere obligationenrechtliche K o n t r a k t s Verhältnisse beschränkt ist. Er enthält daher außer den a l l g e m e i n e n Lehren über Entstehung, Wirkung, Beendigung, gewisse Modalitäten und Abtretung der Obligationen, eine erschöpfende s p e z i e l l e Normirung der Obligationsverhältnisse aus u n e r l a u b t e n Handlungen (Titel I, Kap. 2) und aus u n g e r e c h t f e r t i g t e r Bereicherung (Titel I, Kap. 3). Ueberdies enthält er in dem Titel VI eine Reihe von s a c h e n r e c h t l i e h e n Normen, die durch die besonderen Bedürfnisse des Handels und Mobiliarverkehres hervorgerufen und für dieselben von der allergrößten Bedeutung sind. Sie durften in einem Gesezbuche, das alle auf den Handel und Mobiliarverkehr bezüglichen Rechtsverhältnisse umfassen soll, nicht fehlen.

Der besondere Theil umfaßt der Reihe nach (Titel l bis XXIII) alle einzelnen obligationenrechtlichen K o n t r a k t s Verhältnisse, sofern sie nur irgendwie auch auf den Mobiliarverkehr Bezug haben können. Ausdrüklich ausgeschlossen und dem Kantonalrechte vorbehalten sind die Verträge, welche die Uebertragung des Eigenthums oder eines anderen dinglichen Rechtes (Servituten, Pfandrechte) an I m m o b i l i e n zum Gegenstande haben (Art. 10 und Art. 247). Aber auch der Schenkungsvertrag, obgleich er rein obligationenrechtlicher Natur sein und dem Mobiliarverkehr angehören kann, wurde ausgeschlossen, weil seine nähere Normirung nicht wohl von erbrechtlichen Bestimmungen (Verlezung des Pflichttheils u. s. w.) zu trennen ist, welche nach der Bundesverfassung der Kantonalgesezgebung vorbehalten sind. Die Behandlung des Assekuranzvertrages wurde nicht in dieses Gesezbuch hineingezogen, vielmehr in das Spezialgesez verwiesen, welches gemäß Art. 34, Absaz 2, der Bundesverfassung vom Bunde zu erlassen^ sein wird.

Dieses leztere Gesez wird die Bestimmungen über die Staats(Bundes-) Kontrole, sowie die civilrechtlichen Verhältnisse umfassen und im Zusammenhange behandeln. Ebenso ist in Aussicht auf eine künftige eidgenössische Spezialgesezgebung (Art. 276) die Normirung der Gewährleistung [beim Viehhandel weggelassen worden.

Dagegen ist dem besonderen Theile als Titel XXIV ein selbstständiger Anhang über
Handelsregister, Geschäftsfirmen und Geschäftsbücher beigefügt. Es sind dieses Rechtsinstitute, welche aus dem gleichen Grunde, wie die den Titel VI des allgemeinen Theiles bildenden s a c h e n r e c h t l i c h e n Normen, in einem das Handelsrecht umfassenden Gesezbuche ihre Stellung finden mußten.

Im Großen und Ganzen kann der Entwurf eharakterisirt werden als eine nahezu vollständige Kodifikation 1) des g e -

151 s a m m t e n Obligationenrechtes (alle Forderungs- und Schuldverhältnisse, mögen sie dem Wechsel- und Handelsverkehr oder dem allgemeinen bürgerlichen Verkehr angehören, umfassend), 2) derjenigen weiteren Rechtsinstitute, welche durch die b e s o n d e r e n Bedürfnisse des H a n d e l s v e r k e h r e s hervorgerufen und für denselben von besonderer Bedeutung sind.

Die Grundgedanken dieser umfangreichen legislatorischen Arbeit, die Zielpunkte und Tendenzen, welche sie verfolgt, glauben wir am besten dadurch klarlegen zu können, daß wir möglichst vollständig darstellen, wie der Entwurf selbst und die ihm zu Grunde liegende Verfassungsbestimmung zu Stande gekommen ist.

Dieser historischen Darstellung werden wir dann noch die Besprechung einiger Partien des Entwurfes folgen lassen, die theils wegen ihrer Abweichung vom bisherigen Rechte, theils wegen großer praktischer Bedeutung einer ganz besonderen Rechtfertigung zu bedürfen scheinen.

I. Entstehung und Grundlage des Entwurfes.

J1Versuche, ein einheitlich schweizerisches Wechselrecht auf dem Wege des Konkordates zu- Stande zu bringen.

Die bunte Mannigfaltigkeit des P r i v a t r e c h t e s in der Schweiz mußte sich zuerst und zumeist auf dem Gebiete des Wechselrechtes als ein Uebelstand fühlbar machen. Der Wechselverkehr hat mehr als jeder andere Verkehrszweig einen internationalen, gleichsam kosmopolitischen Charakter. Die Personen, die bei ein und demselben Wechselbriefe als Berechtigte und Verpflichtete betheiligt sind, befinden sich nur a u s n a h m s w e i s e an ein und demselben Plaze oder Verkehrszentrum ; sie sind in der Regel durch weite Distanzen getrennt , gehören nicht selten ganz verschiedenen Staaten, ja verschiedenen Welttheilen an. Für den Wechselverkehr ist daher das Bedürfniß nach einer Einigung über die für ihn geltenden Rechtsgrundsäze auf einem m ö g l i c h s t g r o ß e n Ländergebiete ein höchst dringendes. Prinzipielle Verschiedenheit und lokale Mannigfaltigkeit des Wechselrechtes innerhalb des verhältnißmäßig kleinen Gebietes der Schweiz mußte, seitdem dieselbe durch die Bundesverfassung von 1848 s t a a t l i c h und wirthschaftlich eine Einheit bildete, geradezu unerträglich erscheinen.

p ' - Es ist das Verdienst des Herrn Blösch, gewesenen Präsidenten des Berner Regierungsrathes, schon im Jahr 1853 auf diesen Uebelstand sehr nachdrüklich und thatkräftig hingewiesen zu haben.

152 Um demselben auf dem Wege der eidgenössischen Gesezgebung abzuhelfen, fehlte es an jedem Anhaltspunkte in der Bundesverfassung von 1848. Es wurde daher von der Regierung des Standes Bern eine Konferenz der Kantone nach Bern berufen, um über die Unifizirung des schweizerischen Wechselrechtes auf dem Wege des Konkordates in Unterhandlung zu treten. Diese im Januar 1854 zusammengetretene, von 14 Kantonsregierungen beschikte Konferenz sprach sich einstimmig für die Wünschbarkeit eines schweizerischen Wechselrechtskonkordates aus und ertheilte dem Herrn Rathsherrn Burkhardt-Fürstenberger von Basel Auftrag zur Ausarbeitung eines Entwurfes.

Bei Ausarbeitung dieses Entwurfes legte derselbe die a l l g e m e i n e d e u t s c h e Wechselordnung zu Grunde, die damals in fast allen zum deutschen Bunde gehörigen Ländern und überdies in ganz Preußen und dem ganzen österreichischen Kaiserstaate (einschließlich Ungarns, sowie der polnischen und italienischen Landestheile), und in etwas veränderter Gestalt auch in Schweden und Finnland in Geltungo war.

Er fügte aber dem Inhalte der deutschen Wechselordnung (dem sog. m a t e r i e l l e n Wechselrechte), die er ziemlich durchgreifend umarbeitete und in eine neue, mehr populäre Form zu bringen suchte, noch zwei weitere Partien hinzu, nämlich die Lehre von den sog. kaufmännischen oder wechselähnlichen Anweisungen und das p r o z e s s u a l i s c h e Wechselrecht (Wechselprozeß und Wechselexekution).

Diese beiden Vermehrungen der deutschen Wechselordnung wurden auch beibehalten in einem zweiten Entwurfe, der aus den Berathungen eines engern Ausschusses der Konferenz (bestehend aus den Herren Burkhardt-Fürstenberger, Regierungsrath Blösch und Bankier Ad. Burkhardt in Basel) hervorging, sowie in dem dritten definitiven Entwurfe, welcher von der im Mài 1856 nochmals zusammenberufenen, von 9 Kantonen beschikten Konferenz festgestellt wurde.

Dagegen wurden die Abänderungen der deutschen Wechselordnung, soweit sie nicht bloß redaktioneller Natur waren, schon in dem zweiten Entwurfe und noch mehr in dem dritten definitiven Entwurfe erheblich reduzirt, so daß nur ganz wenige rein sachliche Modifikationen der deutschen Wechselordnung (so z. B. Abkürzung der Verjährungsfristen, Beseitigung der sog. Notifikationspflicht, strengere Durchführung des formalen Charakters in der Lehre von den Einreden) stehen geblieben sind.

153 Auf Grundlage dieses dritten definitiven Entwurfes, welcher, mit Motiven von Burkhardt-Fürstenberger versehen, im Jahr 1857 im Buchhandel erschien, ist k e i n Konkordat zu Stande gekommen, dagegen haben 6 Kantone unter Benuzung desselben selbstständige kantonale Wechselgeseze erlassen,i die im Wesentlichen mit einander O übereinstimmen. Es sind dieses folgende: 1. Die Wechselordnung für den Kanton Aargau vom 12. Februar 1857, in Kraft seit 1. Mai 1857. Bei derselben scheint jedoch nur der zweite Entwurf zu dem Konkordate benuzt worden zu sein. Im Inhalte schließt sich dieses Gesez noch enger als der dritte Entwurf an die deutsche Wechselordnung an. In der Redaktion, namentlich in der Anordnung des Stoffes, weicht dasselbe ebensowohl von der deutschen Wechselordnung, als von dem Konkordatsentwurfe sehr bedeutend ab. Durch Beschränkung der Wechselfähigkeit auf die Personen, die sich in das Ragionenbuch einsehreiben lassen, bildet dieses Gesez einen sehr starken Gegensaz ebensowohl zur deutschen Wechselordnung, als zu allen in der Schweiz bestehenden Wechselordnungen.

2. Das Gesez des Kantons Solothurn vom 28. Februar 1857, in Kraft seit 1. Juli 1857. Hiedurch ist geradezu der definitive Konkordatsentwurf mit einziger Ausnahme der rein prozessualischen Bestimmungen (Abschnitt VI, §§ 96 bis 101, §§ 103 und 104) wörtlich und völlig unverändert rezipirt worden.

3. Die Wechselordnung für die a l t e n Kantoustheile des Kantons Bern vom 3. November 1859, in Kraft seit 1. Januar 1860.

Hier ist der materielle Theil des definitiven Konkordatsentwurfes, abgesehen von einer einzigen Modifikation (Wiederherstellung des in Art. 37 der deutschen Wechselordnung enthaltenen Prinzips über die Behandlung der Wechsel, auf f r e m d e Münzsorten lautend, gegenüber dem § 42 des Entwurfes), wörtlich rezipirt und nur im prozessualischen Theile sind eine Reihe von Aenderungen, jedoch ohne prinzipielle Bedeutung, vorgenommen worden.

4. Ganz denselben Standpunkt hat die Wechselordnung für den Kanton Luzern vom 30. November 1860 eingenommen.

5. Auch der Kanton Schaffhausen hat durch ein Gesez vom 23. Februar 1863 (in Kraft seit 1. Juni 1863) den materiellen Theil des Konkordatsentwurfes mit einziger Ausnahme des § 42 im Wesentlichen unverändert rezipirt, dagegen am prozessualischen Theile Aenderungen vorgenommen,
die von größerer prinzipieller Bedeutung sind,' als in dem Berner und Luzerner Gesez. Es wird nämlich zwischen in1 s Ragionenbuch eingetragenen und allen übrigen Wechsel-

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Schuldnern und bei ersteren wiederum zwischen Wechseln von 100 Franken (oder weniger) und größeren Wechseln unterschieden. Demgemäß soll eine sehr weitgehende, noch stärkere prozessualische Wechselstrenge, als der Konkordatsentwurf vorschreibt (Konkurs nach Ablauf eines Werktages seit der Zahlungsaufforderung), nur gegen ragionirte Wechselschuldner von mehr als Fr. 100 Plaz greifen.

6. Im Kanton Basel-Stadt galt früher eine sehr ausführliche Wechselordnung vom Jahre 1808, jedoch nur für die Stadt selbst mit Ausschluß der dazu gehörigen Landgemeinden, und mit Beschränkung der Wechselfähigkeit auf Kaufleute und andere ins Ragionenbuch eingetragene Personen. Durch Gesez vom 20. April 1863 (in Kraft seit 1. August 1863) wurde für den ganzen Kanton und ohne Beschränkung der Wechselfähigkeit eine Wechselordnung eingeführt, welche sich als Rezeption des Konkordatsentwurfes qualifizirt. Es ist jedoch in derselben der prozessualische Theil des Entwurfes sehr wesentlich und zwar im Sinne g r ö ß e r e r S t r e n g e gegen die Wechselschuldner (Konkurs nach Ablauf von 3 mal 24 Stunden) modifizirt, und auch im materiellen Theile sind einige nicht unbedeutende inhaltliche Veränderungen, die sich wohl sämmtlich als eigentliche Verbesserungen ansehen lassen dürften, vorgenommen worden.

Diese keineswegs vollständige Uebereinstimmung der kantonalen Wechselgesëzgebung von 6 Kantonen, welche durchaus n i c h t im Sinne eines Konkordates unter bundesrechtlichem Sclmze steht, ist bis zur Stunde das einzige Resultat der kantonalen Konferenzen von 1854 und 1856 geblieben.

In allen übrigen Theileu der Schweiz ist die bunte Mannigfaltigkeit der kantonalen Wechselrechte noch die gleiche, wie früher.

Wir glauben dieselbe hier näher schildern zu sollen, weil sie in ganz ähnlicher Weise auch bei den anderen Instituten des gegenwärtigen Handels- und Obligationenrechtes der Schweiz vorhanden ist und am schlagendsten das dringende Bedürfniß einer einheitlichen Gesezgebung rechtfertigt.

Es sind dabei drei Gruppen zu unterscheiden. Die erste Gruppe bilden diejenigen Kantone oder Kantonstheile, in welchen die im französischen Code de commerce vom Jahre 1807, Art. 110 bis 189, enthaltene Wechselordnung in mehr oder weniger veränderter Gestalt in Geltung ist.

Zu dieser gehören folgende Theile der Schweiz :

155 1. Der neue Kantonstheil des Kantons Bern. Hier gilt noch bis heute das Wechselrecht, welches im französischen Code dje commerce enthalten ist, völlig unverändert.

2. Der Kanton Genf. Hier gilt ebenfalls das französische Wechselreeht des Code de commerce, jedoch mit einigen sehr unbedeutenden Modifikationen durch spätere Kantonalgeseze (so z. B.

Geseze vom 12. Mai 1817, 28. Dezember 1821, 10. Mai 1844).

3. Der Kanton Waadt. Hier besteht eine .selbstständige Wechselordnung vom 4. Juni 1829, welche gegenüber der im französischen Code de commerce enthaltenen Wechselordnung zahlreiche Zusäze, so namentlich Bestimmungen über prozessualische Wechselstrenge, und auch mancherlei Abänderungen enthält, die sich zum Theil als wirkliche Verbesserungen darstellen.

4. Der Kanton Tessin. Hier ist als Anhang zum Civilgesezbuch vom Jahr 1837 (4. Buch, Art. 1234 bis 1316) eine Wechselordnung in Kraft gesezt worden, welche nur sehr wenige Aenderungen der französischen enthält, meistens solche, die schon durch die Nichtreception der übrigen Bestendtheile des französischen Code de commerce von selbst geboten waren.

5. Der Kanton Neuenburg. Hier gilt eine im Gesez vom 3. Juni 1838 (sur quelques matières commerciales), Art. 28 bis 86, enthaltene Wechselordnung, welche sich von der französischen durch zahlreiche Weglassungen, hie und da auch durch wesentliche Abänderungen, so z. B. Abschaffung der Acceptabilität bei auf das Inland gezogenen Wechseln, unterscheidet.

6. Der Kanton Freiburg. Hier ist seit 1. Juli 1850 ein selbstständiges , dem französischen Code de commerce nachgebildetes Handelsgesezbuch eingeführt, welches in den Artikeln 120 bis 178 eine vollständige Wechselordnung enthält. Die sehr zahlreichen hie und da tiefgreifenden Abweichungen vom französischen Wechselrechte schließen sich zum Theil an die Waadter Wechselordnung von 1829 an.

7. Der Kanton Wallis. Hier besteht seit 21. Dezember 1856 eine 84 Artikel enthaltende Wechselordnung vom 20. November 1856, welche von allen bisher erwähnten schweizerischen Nachbildungen des französischen Wechselrechtes am weitesten von ihrem Vorbilde abweicht. Die Abweichungen sind zum Theile aus der Waadter Wechselordnung entnommen, zum Theile dem Einflüsse deutscher Doktrin, oder der Kenntnißnahrne des Konkordatsentwurfes zuzuschreiben. So namentlich, die Bestimmung, daß das Wort ^Wechsel11 als wesentlicher Formbestandtheil für Wechselbriefe vorgeschrieben ist.

156 Als zweite Gruppe sind diejenigen Kantone, beziehungsweise Kantonstheile, hervorzuheben, in welchen Wechselordnungen auf Grundlage des älteren deutschen Wechselrechtes v o r dem Zustandekommen der allgemeinen deutschen Wechselordnung in Geltung, sind. Dahin gehört: 1. Die S ta dt St. Gallen. Hier gilt noch heute die St. Galler Wechselordnung vom 18. Juni 1784, welche in 10 sehr umfangreichen Titeln materielles und in einem 11. Titel prozessualisches Wechselrecht behandelt. Es liegt derselben die Augsburger Wechselordnung von 1778 zu Grunde.

2. Der Kanton Zürich. Hier trat, und zwar für den ganzen Kanton, eine Wechselordnung vom 16. Mai 1805 ins Leben, deren materieller Theil, §§ l bis 34, noch heute in Geltung ist, während der prozessualische Theil, der eine äußerst strenge Exekution (sofortige Pfändung oder Konkurseinleitung nach Ablauf von 24 Stunden nach der Präsentation) enthielt, durch neuere Gesezgebung geändert und zwar gemildert worden ist. F o r m e l l ist diese Wechselordnung eine selbstständige Originalarbeit, der man die rein kaufmännische, n i c h t juristische Bildung der Verfasser ansieht; inhaltlich ist der Einfluß der St. Galler und Augsburger Wechselordnung nicht zu verkennen. Auffallend ist die Erscheinung , daß einige Bestimmungen der allgemeinen deutschen Wechselordnung, welche der Konkordatsentwurf zu ändern sich veranlaßt fand, in dieser alten Zürcher Wechselordnung enthalten und bis zur Stunde im Kanton Zürich in Geltung geblieben sind. So z. B. 6 °/o Zinse und Häufung der Provisionen beim Regresse, und Provision des Ehrenacceptanten, welcher nicht zur Zahlung gelangt.

'Zu dieser zweiten Gruppe können auch die Kantone Glariis und Appenzell-Außerrhoden gerechnet werden, indem in diesen Kantonen Wechselordnungen in Kraft sind, bei deren Abfassung offenbar die alte Wechselordnung der Stadt Basel vom Jahre 1808, die sich als eine vervollständigende Rezeption der Zürcher Wechselordnung von 1805 darstellt, benuzt worden ist. Der Inhalt dieser Wechselordnungen (die von Außerrhoden vom 30. August 1835 enthält nur 8 kurze Paragraphen, die von Glarus vom Jahr 1852 nur 21 Paragraphen) ist freilich so dürftig, daß der thatsächliche Rechtszustand in diesen Kantonen sich nicht sehr wesentlich von den Kantonen der dritten Gruppe unterscheidet.

Zu der dritten Gruppe gehören das
Landgebiet des Kantons St. Gallen und alle bisher nicht erwähnten Kantone, nämlich Uri, Schwyzj Unterwaiden, Zug, Basel-Land, Appenzell-Innerrhoden,, Thurgau und Graubünden. Hier fehlt es noch bis zur Stunde au

157 jedem geschriebenen Wechsel rechte. Dennoch wird thatsächlich in diesen Gebieten vielfach mit Wechseln verkehrt. Die dort domizilirten Geschäftsleute, namentlich Fabrikanten, Kaufleute, Hotelbesizer treten nicht nur unter sich, sondern auch mit den Bewohnern anderer Kantone und weit über die Grenzen der Schweiz hinaus in die mannigfachsten wechselrechtlichen Beziehungen. Es werden daher auch von Zeit zu Zeit den Gerichten Fragen zur Entscheidung vorgelegt, bei denen sie schlechterdings genöthigt sind,.

Normen des Wechselrechtes zur Anwendung zu bringen.

Welches sind nun die Normen, nach denen die Gerichte dieser Gebiete dergleichen Fragen entscheiden sollen ? Soweit es sich um rein p r o z e s s u a l i s c h e Fragen (Exekutions- und Prozeßformen) handelt, unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß in jedem dieser Gebiete auch bei Wechselschulden dieselben Grundsäze zur An- wendung kommen, die für ganz gewöhnliche Geldschulden vorgeschrieben sind. Wie verhält es sich aber mit den weit wichtigere» Fragen des sogenannten materiellen Wechselrechtes? Mit der Frage, ob überhaupt der Zeichner des Wechsels, der in einem solchen Gebiete zu belangen ist, als Schuldner zu betrachten sei? So z.B.

ob überhaupt in der Zeichnung eines Wechsels als I n d o s s a ' n t ein eventuelles Zahlungsversprechen, ein Versprechen, nicht bloß, wie ein Cèdent, für die Aechtheit der Urkunde, sondern auch für die prompte Einlösung derselben einzustehen, gefunden werden solle, und wenn diese Frage bejaht wird, welches die Bedingungen für Geltendmachung und Fortexistenz dieser Verpflichtung 0 seien, ob durch Protestversäumniß, durch Unterlassung der Notifikation oder durch längeres Zuwarten eine solche Pflicht des Indossanten erlösche u. s.w.? Für dergleichen oft höchst f o r m e l l e und s u b t i l e Fragen des sogenannten m a t e r i e l l e n Wechselrechtes befindet sich der Richter in diesen Gebieten in einem Zustande der völligen Rathlosigkeit. Vergebens wird er sich nach einem Gerichtsgebrauche seines Kantons, nach lokalen Usancen oder gar nach Analogien aus andern Gesezen sei n es Kantons umsehen. Es wird ihm somit die äußerst schwierige Aufgabe gestellt, selbst Rechtsäze aufzusuchen und anzuwenden, die aus der Natur und dem Zweke der Wechselgeschäfte und den Bedürfnissen des gesammten Wechselverkehres hervorgehen
und deßhalb gleichsam als ein gemeines oder subsidiäres Wechselrecht eines größeren Verkehrs- und Kulturganzen zu betrachten sind, von welchem sein Kanton, ja die ganze Schweiz nur einen Bruchtheil bildet. Daß hiebei immer oder auch nur in der Regel das Richtige getroffen werde, ist schwerlich zu erwarten.

158 Der Wechselrechtszustand in der Schweiz ist daher ungeachtet der Bestrebungen, welche zu dem Konkordatsentwurfe von 1856 führten, ein äußerst unerquiklicher geblieben.

Als Gründe, welche diese Bestrebungen scheitern ließen, können -angeführt werden: 1) Die von Renaud (Kritik des Konkordatsentwurfes, Erlangen 1855 und Müuchener Ueberschau Bd. IV, Heft l, pag. 98 ff.)

und dem Präsidenten des Zürcher Obergerichtes, Dr. Finsler (Schaubergs Zeitschrift Bd. IV, Heft l, pag. 98 ff.), sehr lebhaft vertretene Ansicht, daß die vielfachen Abweichungen des Konkordatsentwurfes von der allgemeinen deutschen Wechselordnung vom Uebel seien, indem dadurch dem Bedürfnisse nach internationaler Uebereinstimmung des Wechselrechts entgegengewirkt werde. Sicher hat diese Erwägung darauf Einfluß gehabt, daß Zürich sein altes Wechselrecht beibehielt.

2) Die entschiedene Anhänglichkeit der romanischen Kantone an die französischen Kodifikationen.

··3) Die entschiedene Abneigung der Kantone mit vorwiegend agrikoler Bevölkerung gegen die p r o z e s s u a l i s c h e Wechselstrenge , welche der Konkordatsentwurf im Gegensaze zur allgemeinen deutschen Wechselordnung zum Gegenstande der Einigung machen wollte.

Den Ausschlag scheint die Betrachtung gegeben zu haben, daß -das Wechselrecht einen integrirenden Bestandtheil eines größeren Kreises von Rechtsinstituten bilde, die man herkömmlich unter dem Namen Handelsrecht zusammenfaßt, für die, wenn auch in etwas geringerem Masse, dasselbe Bedürfniß der interkantonalen Einigung vorliege. Diese Betrachtung führte dazu, die Bestrebungen nach Einigung im Wege, eines Konkordates auf diesen ganzen Kreis von Rechtsinstituten auszudehnen, zu deren Darstellung wir uns nunmehr wenden wollen.

§ .o i.

Versuche, ein einheitlich schweizerisches Handelsrecht (einschließlich des Wechselrechtes) auf dem Wege des Konkordats zu Stande zu bringen.

So lange die Rechtseinheitsbestrebungen sich auf das Wechselinstitut beschränkten, waren die Bundesbehörden denselben völlig fremd geblieben. Als aber nach der Vollendung des Entwurfes

159 für ein allgemeines deutsches Handelsgesezbuch (12. März 1861) der G-edanke nahe gelegt wurde, ein ähnliches Einigungswerk auch für die Schweiz anzubahnen, hat der Bundesrath, theils aus eigener Initiative, theils in Folge eines Beschlusses des Nationalrathes vom 30. 'Januar 1862, diese Angelegenheit in die Hand genommen.

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Der erwähnte Beschluß des Nationalrathes, der in Folge einer Motion seines Mitgliedes Curti zu Stande kam, lautete : ,,Der Bundes.,,rath ist eingeladen, zu untersuchen, ob es nicht angemessen wäre, .^Unterhandlungen zu pflegen, um auf dem Konkordatswege ein ^gemeinsames Handelsgesezbuch für die Schweiz, so lange dieß .,,aber nicht möglich sein sollte, wenigstens für eine größere Anzahl T, von Kantonen einzuführen und darüber der Bundesversammlung ,,Bericht und Antrag zu hinterbringen.11 Schon am 4. Oktober 1861 hatte der damalige Chef des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Dr. Dubs, dem Professor des Handels- und Wechselrechts in Zürich, Dr. Fick, Auftrag zur Abfassung eines einläßlichen Gutachtens ertheilt über die Frage: ,, O b überhaupt eine einheitlich nationale Gestaltung des »,,Handelsrechts einschließlich des Wechsel- und Eisenbahnspeditions,rechtes wünschbar jind ausführbar sei." In Folge des. Beschlusses vom 30. Januar 1862 wurden über dieselbe Frage von Dr. Munzinger, Professor des Handels- und Wechselrechtes in Bern, und vom Verfasser des Wechselkonkordatsentwurfes, Rathsherrn Dr. Burkhardt-Fürstenberger, Gutachten eingefordert.

Alle drei Gutachten wurden im Jahre 1862 beim eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement eingereicht und stimmten in dem Resultate überein, daß es nicht nur dringend wünschbar, sondern auch ausführbar sei, auf dem Konkordatswege ein gemeinsames Handelsgesezbuch für die Schweiz einzuführen.

Hierauf ertheilte am 22. August 1862 der Bundesrath Hrn.

Munzinger den Auftrag, ein auch das Wechselrecht umfassendes Handelsgesezbuch auszuarbeiten. Nachdem Munzinger am 7. Sept.

1863 einen vorläufigen Entwurf überreicht hatte, ernannte der Bundesrath noch am gleichen Tage zur Berathung desselben eine Kommission, bestehend aus den Verfassern der drei Gutachten und zwei Rechtsgelehrten der französischen Schweiz, Nationalrath Carlin in Delsberg und Advokat Friderich in Genf, welche in zwei Gesammtsizungen unter dem Vorsize des Hrn. Bundesrath Dr. Dubs vom 23. bis 30. November 1863 und vom 25. bis 31. Januar 1864 in Bern getagt hat. Aus diesen Berathungen und einer Reihe von Speziai konferenzen, welche der Redaktor mit einzelnen Mitgliedern der Kommission und anderen Rechtsgelehrten und Kaufleuten ein-

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leitete, ging ein definitiver Entwurf eines schweizerischen Handelsgesezbuches hervor, der im Juni 1864 durch den Buchhandel verbreitet wurde. Eine französische Uebersezung, verfaßt von dem Kommissionsmitgliede Friderich, erschien noch im gleichen Jahre.

Sehr einläßliche Motive dazu, im Auftrage des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom Redaktor Munzinger verfaßt, und unter seiner Mitwirkung von Professor Dr. Dufraisse ins Französische übersezt, erschienen im Jahre 1865.

Dieser in fünf Bücher zerfallende und im Ganzen 492 Artikel enthaltende Entwurf umfaßt nahezu den gesammten Stoff, der herkömmlich unter dem Begriffe des Handelsrechtes zusammengefaßt wird, wie er insbesondere dem französischen Code de commerce und den ihm nachgebildeten Handelsgesezbüchern zu Grunde liegt.

Er behandelt im ersten Buche den Einzelkaufmann und das Handelsregister, die Firmen, den Gerichtsstand, die Handelsbücher, die Vertretung der Kaufleute (Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte), sowie die Mäkler oder Sensale, im zweiten Buche die Handelsgesellschaften, im dritten Buche die wichtigsten Handelsgeschäfte (Kauf, Kommission, Frachtvertrag, Versicherung), das materielle Wechselrecht und andere wechselähnliche Papiere (Anweisungen, Checks, Warrants), im vierten Buche den kaufmännischen Konkurs.

Er ist aber, indem er im dritten Buche eine Reihe von allgemeinen Bestimmungen über Vertragsfähigkeit, Perfektion und Erfüllung der Verträge, über Vindikation, Verpfändung, Retention beweglicher Sachen u. s. w. (Art. 205 bis 243) der Lehre von den einzelnen Handelsgeschäften voranstellt, und durch die Art und Weise, wie die lezteren behandelt werden, weit über den herkömmlichen Umfang des Handelsrechtes hinaus gegangen. Es ist hier ein gutes Stük allgemeines Obligationenrecht und Mobiliar-Sachenrecht kodifizirt worden. Durch Art. 204, mit welchem das dritte Buch, ,,Von Geschäften des Mobiliarverkehresa, beginnt, wird vorgeschrieben, daß die allgemeinen und speziellen Bestimmungen dieses Buches mit Ausnahme derjenigen, welche sich ausdrüklich nur auf den Verkehr von Kaufleuten beziehen, allgemeine Gültigkeit für alle Geschäfte des Mobiliarverkehres haben sollen. Demgemäß wird insbesondere den sehr eingehenden Bestimmungen über den Kaufvertrag (Art. 244 bis 260) ganz ohne Rüksicht darauf, ob das Geschäft von
einem Kaufmanne oder Nichtkaufmanne, ob es mit merkantilischer Absicht (um durch Wiederverkauf einen Gewinn zu realisiren) oder ohne solche geschlossen wird, für alle Kaufverträge über bewegliche Sachen Geltung beigelegt. Auch die Normen über Kommissions-, Fracht- und Versicherungsvertrag sind so gefaßt, daß sie auch da"nn zur Anwendung kommen sollen, wenn im Sinne anderer Handelsgesezbücher, so namentlich des deutschen und fran-

161 aösischen Handelsgesezbuches, von einem H a n d e l s g e s c h ä f t e und einer Anwendung der besondern Vorschriften des Handelsgesezbuches keine Rede sein würde.

Offenbar ist hiedurcb schon der Grundgedanke anerkannt, der später zur Erweiterung der ganzen Gesezgebungsaufgabe geführt hat, daß der obligationenrechtliche Vertrag nach seinem objektiven Inhalte unabhängig vom Berufsstande und rein einseitigen subjektiven Nebenabsichten der Kontrahenten zu normiren ist, und daß das Bedürfniß interkantonaler einheitlicher Normirung sich auf alle Verträge erstrekt, in welchen sich der Mobiliarverkehr, d. h. derjenige Verkehr zu bewegen pflegt, welcher nicht durch die Unbeweglichkeit des Objektes an ganz bestimmte lokale Grenzen gebunden ist.

In dem fünften Buche, ,,Von der Kassation und Urtheilsfällung durch das Bundesgericht"', ist dem dringenden Bedürfnisse Rechnung zu tragen gesucht, durch Schaffung einer einheitlichen höchsten Instanz die einheitliche Auslegung und Fortbildung der gemeinsamen Normen im Wege der Gerichtspraxis zu ermöglichen. Es soll dem Bundesgerichte die Befugniß zustehen, die leztinstanzlichen kantonalen Entscheidungen, welche auf unrichtiger Auslegung des Handelsgesezbuches beruhen, sofern das Streitobjekt den Werth von Fr. 3000 erreicht, zu kassiren und ein neues Urtheil zu sprechen. Den Bestimmungen dieses fünften Buches auf dem Wege einer Vereinbarungunter den Kantonen Geltung zu verschaffen, konnte kaum erwartet werden. Es lag in diesem Vorschlage wohl nur die Hindeutung auf das Ziel, welches erst zehn Jahre später erreicht wurde, die Hinweisung auf die Nothwendigkeit einer Kompetenzerweiterung der Bundesorgane, wie sie schließlich im Art. 64 und Art. 114 deifi undes Verfassung von 1874 in Verbindung mit Art. 29 und 30 des Gesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 durchgedrungen ist.

Abgesehen von den wechselre.chtlichen Bestimmungen (Art. 348 bis 440), welche nahezu wörtlich dem Konkordatsentwurfe von 1856 entnommen sind, wird dem. Entwurfe der Charakter einer durchaus selbstständigen Arbeit zugesprochen werden müssen. Der Redaktor und die Kommission hatten sich redlich bemüht, den neuesten Fortschritten deutscher und französischer Handelsrechtswissenschaft, den Bedürfnissen des modernen Verkehrslebens überhaupt und den besonderen Bedürfnissen
der Schweiz Rechnung zu tragen und auf diesen Grundlagen zwischen den verschiedenen Rechtsanschauungen der deutschen und der romanischen Schweiz eine Ausgleichung zu erzielen.

162 Die praktische Einführung des Entwurfes scheiterte gänzlich, indem sich das Bedürfniß nach Erweiterung der Aufgabe und das Streben, durch Bundesverfassungsänderung einen geeigneteren Weg, als den des Konkordates, zur Einführung zu ermöglichen, mehr und mehr geltend machten.

Noch ehe die Motive publizirt waren, hatte der Bundesrath ini Dezember 1864 den Entwurf der Bundesversammlung Vorgelegt und einen Beschluß beantragt, dahin zielend, daß der Entwurf mit thunlichster Beförderung von den Kantonen in gemeinschaftliche Berathung gezogen werde. Der Ständerath nahm die Anträge des Bundesrathes nahezu mit Einstimmigkeit (10. Dezember 1864) an, der Nationalrath dagegen beschloß Verschiebung, und bei der Diskussion wurde schon damals die Frage aufgeworfen, ob nicht statt des Handelsrechtes das gesammte Obligationenrecht in den Entwurf aufzunehmen sei.

Erst am 22. Februar 1866, nachdem der im Jahre 1865 gemachte Versuch, im Wege der Bundesverfassungsrevision die Kompetenz der Bundesgesezgebung für eine einheitliche Handelsgesezgebung zu erringen, gescheitert war, kam ein Beschluß der Bundesversammlung zu Stande : ,,sie erachte es als im wohlverstandenen ,,Interesse der Eidgenossenschaft liegend, daß die- Kantone über ,, Erstellung eines schweizerischen Handelsgesezbuches oder doch ,,einzelner Theile des Handelsrechtes sich verständigen."1 Dieser Beschluß wurde durch Kreisschreiben des Bundesrathes vom 28. Februar 1866 sämmtlichen Kantonen zur Kenntuiß gebracht, mit dem Ersuchen, im Laufe des Jahres 1866 zu erklären, ob sie geneigt seien, an einer Konferenz über diese Angelegenheit Theil zu nehmen.

Nachdem alle Kantone mit einer einzigen Ausnahme sieh zur Theilnahme bereit erklärt hatten, fand am 13. Dezember 1867 die vom Bundesrathe berufene Konferenz in Bern unter dem Präsidium des Herrn Bundesrath Knüsel und unter Zuziehung des Herrn Professor Munzinger statt. Hier wurde namentlich von Seiten der Vertretung Berns die Ansicht verfochten, daß die Aufgabe auf das gesammte Obligationenrecht auszudehnen sei, und daß nur einzelne mit anderen Rechtszweigen allzu eng zusammenhängende Vertragsarten, wie namentlich der Hypothekarvertrag, der Heiraths- und Erbvertrag, sowie der Schenkungsvertrag, der Kantonalgesezgebung zu überlassen seien. Um den Kantonsregierungen Gelegenheit zu geben, über diesen neuen
Gedanken bestimmtere Instruktionen zu ertheilen, beschloß die Konferenz ihre Vertagung und sezte erst am 4. Juli 1868 in Folge eines Kreisschreibens des Bundesrathes vom 3. Februar 1868 die Berathungen fort.

163:

Theils aus den mündlichen Verhandlungen, theils aus schriftlichen Eingaben ergab sich, daß die von Bern vertretene Ansicht: von den Kantonen Uri, Glarus, Solothurn, Baselstadt, Baselland,, Schaffhausen, Appenzell A. Rh., St. Gallen, Graubünden, Aargau,.

Wallis vollständig getheilt werde, und daß auch die KantoneZürich, Luzern und Tessin wenigstens eventuell geneigt seien, dem Antrage Berns entsprechend auf weitere Verhandlungen über ein.

gemeinsames Obligationenrecht einzutreten, daß dagegen die KantoneFreiburg, Waadt, Neuenburg und Genf sehr entschieden die bisherige oder eine noch engere Begrenzung der Aufgabe für wünschbar erachteten.

Im Laufe der Berathungen trat noch die weitere Frage hervor, ob nicht auch für Betreibungs- und Konkursrecht ein Entwurf ausgearbeitet und den Kantonen zur Prüfung vorgelegt werden solle..

Die Sehlußabstimmung ergab 15 Stimmen dafür, daß auf die.Bearbeitung eines allgemeinen Obligationenrechtes eingetreten werde,, gegen 3 Stimmen, welche es bei dem Handelsrechte bewenden lassen wollten. Für einen Entwurf über Konkursrecht erklärten., sich 16 gegen 2 Stimmen, für die Bearbeitung des Betreibungsverfahrens 9 gegen 7 Stimmen.

Die Konferenz hat demnach beschlossen: ,, I. Sei an den Bundesrath das Gesuch zu richten, er möchte- · ,, ein allgemeines schweizerisches Obligationenrecht im Sinn0, des in ,, der .ersten Konferenzsizung von Bern gestellten Antrages redigiren< ,,lassen und den diesfälligen Entwurf seiner Zeit den Kantonen zur ,,Prüfung mittheilen.tt ,,II. Sei der Bundesrath ferner zu ersuchen, in getrennter ,, Redaktion ein allgemeines schweizerisches Konkursrecht und den-.

,,Entwurf zu einem allgemeinen Betreibungsgeseze bearbeiten zu, ..lassen."

§ 3.

Ausarbeitung der | [beiden ersten Entwürfe fllr ein schweizerisches.

__^ Obligationenrecht und Abänderung der Bundesverfassung.

In Ausführung der Beschlüsse der kantonalen Konferenz vom.

4. Juli 1868 bestellte der Bundesrath zwei Redaktoren, Herrn Prof.

Dr. Munzinger als Redaktor des Obligationenrechtes und Herrn Prof. Dr. Andreas Heusler in Basel als Redaktor der Entwürfefür Konkurs- und Schuldbetreibungsrecht.

164

Zur Prüfung der von den beiden Redaktoren auszuarbeitenden Entwürfe wurden zwei verschiedene Kommissionen gebildet.

Zu Mitgliedern der Kommission für das Obligationenrecht wurden neben dem Redaktor die zwei noch lebenden Mitglieder der früheren Kommission für das Handelsrecht, Prof. Fick in Zürich und Staatsrath Friderich in Genf, ferner die Herren Prof. Leuenberger in Bern, Landammann Sailer in St. Gallen, Gerichtspräsident (später Professor) Carrard in Lausanne und Dr. Karl Burkhardt-Burkhardt in Basel ernannt.

Nachdem der Redaktor einen vorläufigen, nur in wenigen Exemplaren lithographisch vervielfältigten und nur den allgemeinen Theil und den Titel vom Kaufvertrag umfassenden Entwurf ausgearbeitet hatte, trat diese Kommission unter dem Präsidium des damaligen Chefs des Justiz- und Polizeidepartements vollzählig am 22. Oktober 1869 in Bern zusammen und tagte bis zum 28. Oktober 1869.

In Gemäßheit der Beschlüsse dieser Kommission verfaßte der Redaktor einen ersten v o l l s t ä n d i g e n Entwurf für ,,schweizerisches Obligationenrecht"1, der schon am 12. Januar des Jahres 1871 den Kommissionsmitgliedern gedrukt zugestellt wurde.

Er enthält einen allgemeinen Theil mit 11 Titeln und einen speziellen Theil mit 27 Titeln, im Ganzen 892 Artikel. Er umfaßt im 25. Titel des besonderen Theiles, Art. 741 bis 867, das gesammte materielle Wechselrecht, wobei sich der Redaktor ebenso, wie in ·dem Entwurfe für das Handelsgesezbuch, nahezu wörtlich an den definitiven Konkordatsentwurf für ein schweizerisches Wechselrecht vom Jahr 1856 angeschlossen hat. Für den sonstigen handelsrechtlichen Inhalt und diejenigen Partien, welche sich als bloße Ausdehnung h a n d e l s r e c h t l i c h e r Institute auf Nichtkaufleute oder Geschäfte o h n e spezifisch merkantilischen Charakter dar.stellen, wie dieses namentlich bei der Lehre'von der Prokura, den Kollektiv-, Kommandit-, und Handelsgesellschaften, dem Makler-, Kornmissions-, Fracht- und Assekuranz-Kontrakte der Fall ist, liegt ihm der Entwurf für das schweizerische Handelsgesezbuch vom .Jahr 1864 oder doch die gleiche Tendenz zu Grunde. Die ausführliche Behandlung der Checks und Warrants, wie sie in Art. 443 bis 458 jenes Entwurfes enthalten war, die Lehre von den Geschäftsbüchern, den Firmen, vom Gerichtsstande der Kaufleute und vom kaufmännischen Konkurse
ist jedoch, ebenso wie das fünfte Buch (von der Kassation und Urtheilsfällung durch das Bundesgerieht) weggelassen worden. Die mobiliarsachenrechtlichen Be.stimmungen des Entwurfes von 1864 sind (mit erheblichen Vermeh-

165 ì-ungen, zum Theil auch prinzipiellen, höchst originellen Aenderungen) am Schlüsse des allgemeinen Theiles in einen besondern Titel XI (,,Dingliche Wirkungen von Obligationen11, Art. 212 bis 240), zusammengestellt; die Bestimmungen über Handelsregister bilden den Schluß des besonderen Theils (Titel XXIV, Art. 889 bis «92).

So weit der Inhalt dieses Entwurfes sich n i c h t als HandelsTecht oder doch als Generalisirung handelsrechtlicher Institute im -Sinne der schon der Arbeit von 1864 zu Grunde liegenden Tendenz darstellt, hat Munzinger vorzugsweise eine legislative Vorarbeit benuzt, welche im Jahre 1866 von einer in Dresden tagenden Kommission unter Mitwirkung bedeutender Kräfte zum Abschlüsse gekommen war.

Es ist dieses der ,,Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesezes über Schuldverhältnisse, bearbeitet von den durch die Regierungen von Oesterreich, Baiern, Sachsen, Hannover, Württemberg, HessenDarmstadt, Mecklenburg-Schwerin,. Nassau, Meiningen und Frankfurt hiezu abgeordneten Kommissaren und herausgegeben von Dr. B. Francke, Dresden 1866."

Die Arbeiten dieser Dresdener Kommission (vom 7. Januar 1863 bis 28. Mai 1866) hatten, ungerechnet die zahlreichen Ausschußsizungen, über welche Protokolle nicht aufgenommen wurden, 324 Plenarsizungen in Anspruch genommen und sind in 6 sehr umfangreichen, in Großfolio gedrukten Protokollbänden niedergelegt, welche nebst dem Entwurfe vom Bundesrathe dem Redaktor Munzinger zur Benutzung zugestellt wurden.

Die Dresdener Kommission hatte 'nicht bloß die gemeinrechtliche Literatur und die auf ihr fußenden neuesten deutschen Gese/esentwürfe (für Baiern und Darmstadt) und das kurz vorher zu Stande gekommene sächsische bürgerliche Gesezbuch, sondern auch die drei altern Kodifikationen benuzt, welche für die Schweiz von besonderer Bedeutung sind, nämlich 1) das österreichische bürgerliche Gesezbuch, welches dem Berner, Luzerner, Aargauer und zum Theil auch dem Solothurner Gesezbuch zu Grunde liegt; 2) den französischen Code civil, welcher in der romanischen Schweiz theils in seiner ursprünglichen Gestalt (neuer Kantonstheil Bern und Genf), theils in mehr oder weniger selbstständigen Umarbeitungen (Waadt, Tessin, Freiburg, Neuenburg) in Geltung ist, sowie endlich 3) das Zürcheriche Privatgesezbuch, welches in der deutschen Schweiz, auch außerhalb des Kantons
Zürich, für Gesezgebung und Rechtspflege sich eines großen Ansehens erfreut, und im Kanton Graubünden theilweise, im Kanton Schaffhausen sogar vollständig und in Beziehung auf Obligationenrecht nahezu wörtlich rezipirt ist.

Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. I.

12

166 Bei Verwerthung dieses Materiales ging Munzinger auf die Quellen zurük und zog namentlich den Code civil und das privatrechtliche Gesezbuch Zürichs in noch höherem Maße zu Rathe, al» es im Dresdener Entwurfe geschehen war. Ganz besonders bemühte er sich, die oft schleppende und allzu gelehrte Ausdruksweise in eine leichte und populäre Form zu bringen, alles Ueberflüssige auszuscheiden, und eine vollkommene Harmonie mit den oben erwähnten originellen Partien herzustellen, welche aus seiner Arbeit von Ib6e hervorgegangen waren oder sich als Weiterbildung der ihr zu Grunde liegenden Tendenzen darstellen.

Wie wenig der Vorwurf einer unselbstständigen Nachbildung des Dresdener Entwurfes gegenüber dem Entwurfe zu einem schweizerischen Obligationenrechte vom Jahre 1871 begründet ist, ergibt sich schon aus einer Vergleichung des äußern Umfanges beider Arbeiten. Der erstere, obwohl darin das Wechselrecht und die spezifisch merkantilischen Institute gänzlich fehlen, enthält 1045 Artikel, während der schweizerische Entwurf den viel umfangreicheren Stoff auf 892 durchschnittlich kürzer gefaßte Artikel zusammengedrängt hat.

In Folge der schon im Jahre 1871 eingeleiteten Schritte zu einer Bundesverfassungsrevision, welche im Jahre 1872 zu einem von der Bundesversammlung angenommenen Projekte führte, das im Art. 55 eine Kodifikation des g e s a m m t e n Civilrechtes in Aussicht stellte, wurde die Arbeit Munzingers vom Jahre 1871 eine Zeit lang bei Seite gelegt.

Nachdem das Verfassungsprojekt in der Volksabstimmung vom 12. Mai 1872 verworfen worden war, wurde sie zunächst durch Korrespondenzen und Spezialkonferenzen des Redaktors mit einzelnen Mitgliedern der ihm beigeordneten Kommission und vom 6. bis 13. Oktober 1872 in einer Plenarsizung in Bern einer gründlichen Prüfung unterzogen. Die Berathungen präsidirte, in Verhinderung des Herrn Bundesrath Knüsel, Herr Ständerath Blumer von Glarus, der als neues Mitglied an Stelle der durch den Tod inzwischen ausgeschiedenen Herren Landammann Sailer und Professor Leuenberger eingetreten war. Herr Friderich war verhindert, an der Plenarsizung Theil zu nehmen.

Von den zahlreichen Zusaz- und Abänderungsbeschlüssen dieser Plenarsizung ist insbesondere der auf Antrag eines Mitgliedes aus der romanischen Schweiz einstimmig gefaßte Beschluß hervorzuheben, daß das
gesammte Wechselrecht und die Lehre von den Aktien- und Komtnandit-Aktiengesellschaften in thunlichst engem Anschlüsse an die deutsche Gesezgebung ^deutsche Wechselordnung

167 und die sogen. Aktien-Novelle vom 11. Juni 1870) wegen des internationalen Charakters dieser Institute umzuarbeiten sei.

An der Aufgabe, im Sinne dieser Beschlüsse den Entwurf von 1871 umzuarbeiten, wurde Munzinger durch seinen am 28. April 1873 erfolgten Tod verhindert. Am 8. Mai 1873 wurde an seine Stelle das zürcherische Mitglied der Kommission vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement mit dieser Aufgabe betraut. Einer r a s c h e n Erledigung dieser Aufgabe traten eine Reihe von Umständen hindernd entgegen.

Zunächst mußte das Ergebniß der schon gegen Ende 1872 (Beschluß der Bundesversammlung vom 21. Dezember 1872) wieder an Hand genommenen Revisionsarbeiten abgewartet werden, welche mit der am 19. April 1874 durch Volksabstimmung angenommenen und am 29. Mai 1874 in Kraft getretenen Bundesverfassung endigten.

Erst durch die neue Bundesverfassung konnten die Zweifel ihre Erledigung finden, welche bis dahin über den Weg, auf welchem ein Stük des gesammten Civilrechtes für die Schweiz zu unifiziren sei, und über die Abgrenzung dieses Stükes gegenüber den der Kantonalgesezgebung vorzubehaltenden Partien immer wieder von Neuem auftauchten. Durch den Art. 64 der neuen Bundesverfassung wurde der Weg der e i d g e n ö s s i s c h e n Gesezgebung für das schon im Entwurfe von 1871 enthaltene Stük des Civilrechtes (,,Obligationenrecht mit Inbegriff des Handels- und Wechselrechtes") und einige andere speziell bezeichnete Rechtstheile (,,persönliche Handlungsfähigkeit"1, ,,Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst"1, ,,Betreibungsverfahren und Konkursrecht") bundesverfassungsmäßig festgestellt, zugleich aber für einmal den weiter gehenden Unifikationsbestrebungen, welche auf einheitliche Kodifikation des gesammten Civilrechtes gerichtet waren, ein Ziel gesezt.

Zwei Fragen, welche für die Umarbeitung des Entwurfes von 1871 von Bedeutung waren, traten erst durch die Fassung des Art. 64 neu hervor: 1) ob das in Aussicht gestellte Gesez über die persönliche Handlungsfähigkeit in den Entwurf aufzunehmen sei, und 2) ob wegen der im Art. 64 gewählten Wendung ,,alle auf den Handel und Mobiliarverkehr bezüglichen Rechtsverhältnisse" in Ausscheidung obligationenrechtlicher Verträge über Immobilien noch etwas weiter zu gehen sei, als es schon im Entwurfe von 1871 geschehen war.

Aber auch nachdem
diese beiden Fragen in Folge Korrespondenz mit dem damaligen Chef des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Herrn Bundesrath Ceresole, und zwar in bejahendem Sinne entschieden waren, stellten sich weitere Hindernisse ein.

168 Es war der mit der Umarbeitung des Entwurfes von 1871 Vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement Beauftragte ziemlich gleichzeitig auch vom Departement des Innern zu den weit dringlicheren legislativen Vorarbeiten des Bundesrathes, aus welchen die beiden Bundesgeseze betreffend den Transport auf Eisenbahnen, vom 20. März 1875, und betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschifffahrt-Unternehmungen, vom i. Juli 1875, hervorgegangen sind, herangezogen und dadurch längere Zeit von jener Arbeit abgelenkt worden. Auch durften diese beiden Geseze bei der Umarbeitung der entsprechenden Partien des Entwurfes für Obligationenrecht (der Lehre von den Deliktsobligationen und dem Frachtvertrage) nicht unberücksichtigt bleiben, so daß vor dem Zustandekommen derselben wenigstens diese beiden Partien n i c h t zum Abschlüsse gebracht werden konnten.

Endlich verlangsamte sich die Umarbeitung des Entwurfes von 1871 wesentlich dadurch, daß auf Anordnung des Justiz- und Polizeidepartements schon damals der Versuch gemacht wurde, die Umarbeitung gleichzeitig in deutscher und französischer Sprache vorzunehmen.

Es wurde dem deutschen Redaktor ein französischer in der Person des Herrn Dr. Gustav Fick, Advokat in Genf, beigeordnet.

Beide bemühten sich nun, Artikel für Artikel sich über die Fassung zu vereinbaren, die nicht nur den Beschlüssen und Wegleitungen, wie sie durch die Kommissionsberathungen von 1869 und 1872 und durch den Art. 64 der neuen Bundesverfassung und seine Auslegung seitens des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements gegeben waren, sondern auch dem Genius beider Sprachen vollkommen entsprechend wäre.

Dieses an sich gewiß berechtigte und im Interesse der Sache liegende Streben führte aber bei dem getrennten Wohnsize beider Redaktoren zu sehr zahlreichen und umfangreichen Korrespondenzen und verzögerte den Fortgang der Arbeit dergestalt, daß schließlich von Seiten des Justiz- und Polizeidepartements die Weisung gegeben wurde, ohne weitere Rüksicht auf eine später zu veranstaltende französische Uebersezung zuerst die deutsche Redaktion zu vollenden und druken zu lassen.

Im Juli 1875 kam diese Arbeit zum Abschlüsse und wurde vom Bundesrathe unter dem Titel ,,Schweizerisches ObligationenBrecht mit Einschluß des Handels- und Wechselrechtes (Art. 64 ,,der Bundesverfassung),
Entwurf, bearbeitet nach den Beschlüssen ,,einer Kommission vom 22. bis 28. Oktober 1869 und vom 6. bis ,,13. Oktober 1872, gedrukt im Juli 1875a, dem Buchhandel übergeben und so zur allgemeinen Kenntniß gebracht.

169 Dieser zweite Entwurf für schweizerisches Obligationenrecht ist ungeachtet einiger Kürzungen, welche dadurch erzielt werden konnten, daß die nähere Normirung auch rein obligationenrechtlicher Verträge über Immobilien, wie z. B. des Pachtvertrages, in Gemäßheit der erwähnten Korrespondenzen mit dem Justiz- und Polizeidepartement der Kantonalgesezgebung vorbehalten wurde, umfangreicher als der erste Entwurf. Die Artikelzahl hat sich von 892 auf 910 gesteigert. Es war dieses die nothwendige Folge davon, daß die Kommission für Wechsel- und Aktienrecht den engeren Anschluß an die weit umfangreichere deutsche Gesezgebung beschlossen hatte, und daß in der Lehre vom Frachtvertrage die sehr detaillirten Bestimmungen des Gesezes über den Transport auf Eisenbahnen berüksichtigt è wurden.

In der Eintheilung und Anordnung des Stoffes und, soweit es die Ausführung der gegebenen Aufgabe irgend gestattete, auch im Style ist an Munzingers Arbeit von 1871 möglichst wenig geändert worden.

Die offizielle französische Uebersezung des Herrn Dr. Gustav Fick in Genf ist erst nach der Veröffentlichung der deutschen Redaktion bruchstükweise zur Benuzung bei den weiteren Berathungen im Jahre 1876 verfaßt und gedrükt worden. Eine im Buchhandel in Genf 1877 erschienene französische Ausgabe des Entwurfes, eine Privatarbeit (traduction non-officielle) des gleichen Verfassers, bezieht sich auf den erst später zu Stande gekommenen dritten Entwurf.

§ 4-

Die weiteren Beratungen bis zum Abschlüsse des vorgelegten Entwurfes.

Der Entwurf von 1875 wurde zunächst einer erweiterten Kommission vorgelegt, und nachdem dieselbe eine Reihe von Veränderungen beschlossen hatte, nochmals umgedruckt und sodann im Sommer 1877 der Oeffentlichkeit übergeben. Die Vollendung der offiziellen französischen Redaktion hatte sich sehr lange verzögert.

Diesem Entwurfe wurde in der Absicht, daß er allseitig geprüft und durch die Kritik beleuchtet werden möchte, eine möglichste Verbreitung unter dem fachmännischen Publikum verschafft.

Namentlich wurde er den kantonalen Regierungen für sich und zuhanden der Gerichte beider Instanzen, den Rechtsfakultäten, den Organen des Handelsstandes (Handelskammern u. s. w.), Advokaten und Rechtsgelehrten übermittelt, unter Festsezung eines Termines

170 zur Vernehmlassung, welcher für die französische Schweiz wegen der Verzögerung der französischen Redaktion bis Ende 1K77 erstrekt werden mußte. (Vergi, unsern Geschäftsbericht pro 1877, Bundesblatt 1878, Band n, S. 464.)

Außerdem forderte das Justizdepartement auch einzelne Mitglieder der Kommission auf, zuhanden der nächsten Plenarsizung Spezialreferate über einzelne Materien abzufassen.

In Folge dieser Aufforderungen sind bis zürn 11. September 1877 zusammen 46 Eingaben eingelaufen, welche den Entwurf theils im Ganzen, theils nur einzelne Partien desselben von den verschiedensten Seiten beleuchteten. Darunter waren verhältnißmäßig nur wenige Eingaben aus der französischen Schweiz, die Mehrzahl trafen aus der deutschen Schweiz ein, und drei von auswärtigen Rechtslehrern, nämlich von den Herren Prof. Regelsberger in Würzburg, Prof. Lewis in Berlin und Prof. Gareis in Gießen.

Die ausführlichste und einschneidendste Kritik haben die ersten 77 Artikel des allgemeinen Theiles in zwei größeren Drukschriften erfahren : 1) Entwurf eines schweizerischen Obligationenrechtes, besprochen von Dr. Emil Vogt in Bern, Heft l, Einleitung und Artikel l bis 77; 2) Bemerkungen zum Kommissionsentwurfe erster Lesung eines schweizerischen Obligationenrechtes, von Professor Friedrich von Wyß in Basel, Juli 1877.

Die leztere Schrift wurde blos als Manuskript zur Benüzung der Kommissionsmitglieder gedrukt und enthält eine ganze Reihe von Abänderungsvorschlägen, theils sachlicher, theils redaktioneller Art, von sehr gründlichen Motiven begleitet. Sie macht auf Luken aufmerksam und empfiehlt eine neue streng logische Anordnung der Titelfolge.

Auch auf dem schweizerischen Juristentage, der im Juli 1877 in Zürich zusammengetreten war und bei dem die Herren Professoren König und Hilty von Bern die Referate besorgten, wurde der Entwurf diskutirt. Dabei wurde von verschiedenen Seiten die allzugroße Strenge des Entwurfes gegenüber den Versicherungsgesellschaften und theilweise auch gegenüber den Aktiengesellschaften getadelt. Energische Opposition wurde gegen die schon in den Entwürfen von 1871 und 1875 enthaltene und im Entwurfe von 1877 beibehaltene Behandlung des Eigenthumsüberganges und der Vindikation beweglicher Sachen, nämlich gegen die dem französischen Code civil entnommene Statuirung des Eigenthumsüberganges

171

durch b l o ß e n Vertragswillen einerseits und die noch weiter als der Code civil gehende Abschneidung j e d e r Vindikation beweglicher Sachen aus der Hund eines gutgläubigen Besizerwerbers andererseits, erhoben. Dieselbe Opposition war auch schon in einer am 9. Mai 1877 in Basel abgehaltenen Delegirtenversammlung des schweizerischen Handels- und Industrievereins hervorgetreten.

In einem von dem Justizdepartement eingezogenen Spezialreferate des Herrn Professor Andr. Heusler in Basel, vom 30. Juni 1877, wurde die der französischen Praxis und dem deutschen Handelsgesezbuche entsprechende und im Entwürfe durchgeführte Auffassung der Kollektiv- und Kommandit-Gesellschaften als selbstständiger Vermögenssubjekte bekämpft und im Gegensaze zu der Diskussion am Juristentage in Zürich noch größere Strenge gegenüber den Aktiengesellschaften empfohlen.

Dieses gesammte reichhaltige Material hat den weiteren Kommissionsberathungen zur Grundlage gedient und von vorneherein ·die Klarheit gegeben, daß der Entwurf einer gründlichen Umarbeitung bedürftig sei. Es wurde deßhalb die Anordnung getroffen, daß sowohl der allgemeine als auch der besondere Theil in einzelne Partien zerlegt und für jede derselben in der Kommission selbst Referenten und Korreferenten ernannt wurden, welche die Aufgabe der Sichtung, Begutachtung und neuen Antragstellung zu übernehmen hatten. Die Kommission selbst wurde durch Zuziehung neuer Kräfte vervollständigt. Da man zum vorneherein in's Auge faßte, womöglich einen Entwurf aufzustellen, der sachlich und redaktionell von den eidgenössischen Räthen ganz oder wenigstens partienweise als Gesez angenommen werden könnte und um alle an Betracht fallenden verschiedenen Elemente der schweizerischen Bevölkerung und des schweizerischen Rechtswesens in Mitwirkung zu ziehen, so wurde die Kommission. ziemlich zahlreich bestellt.

Dabei berüksichtigte man auch, daß wegen der zahlreichen Sizungen flicht immer särnmtliehe Mitglieder Antheil nehmen konnten, immerhin aber als wünschenswerth erschien, daß die Detailberathung in Anwesenheit einer Gruppe von Rechtskundigen stattfinde, welche das schweizerische Rechtsleben nach seinen verschiedenen Richtungen zu vertreten im Stande waren. An der Kommissionsarbeit, resp. an den einzelnen Partien derselben, haben, unter dem Vorsize des Herrn Bundesrath Anderwert,
Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, folgende Personen Antheil genommen : Herr Nationalrath Aepli in St. Gallen, ,, Advokat Battagliai in Lugano, Y, Handelsgerichtsschreiber Blanc in Genf,

·172 Herr ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,,

Geheimrath Prof. Dr. Bluntschli in Heidelberg, Prof. Dr. Ch. Brocher in Genf, Nationalrath Brunner in Bern, Dr. K. Burkhardt-Burkhardt in Basel, Prof. Carrara in Lausanne, Handelsgerichtspräsident Dr. Jak. Escher in Zürich, Prof. Dr. H. Fick in Zürich, Advokat Ch. Friderich in Genf, Prof. Dr. Andr. Heusler in Basel, Prof. Dr. Hilty in Bern, .Bundesrichter AI. Kopp in Lausanne, Nationalrath Lambelet in Neuenburg, Bundesrichter Niggeler in Lausanne, Prof. Alph. Rivier von Lausanne in Brüssel^ Nationalrath Ruchonnet in Lausanne, Prof. Dr. Treichler in Zürich, Bundesrichter Weber in Lausanne, und Prof. Dr. Fr. v. Wyß in Basel.

Außerdem wurden über einzelne Materien, wie über das Gesellschaftswesen, über Fracht und Spedition, über den Werkvertrag, den Verlags vertrag, über das Wechselrecht, über kaufmännische Usancen in verschiedenen Beziehungen u. s. w. eineReihe von Sachverständigen durch die Ausschüsse der Kommission einvernommen.

Gleich beim Beginne der neuen Berathungen, beziehungsweise?

der zweiten Lesung des Entwurfes, wurde eine Redaktionskommission,, bestehend aus 'dem Präsidenten der Gesammtkommission und den Mitgliedern Bluntschli, v. Wyß , Fick , Rivier und Friderich, mit.

der Aufgabe betraut, jeweilen in Gemäßheit der Plenarbeschlüsse.

den Text gleichzeitig in beiden Sprachen festzustellen, so daß beide Redaktionen als Original (keine als bloße Uebersezung) zu betrachten und sich gegenseitig zu erläutern und zu ergänzen geeignet seien..

Bei der definitiven Fassung des Wechselrechtes wirkte eine Speziaikommission und zwa.r vorzugsweise deren Präsident Dr. Burkhardt-Burkhardt in Basel mit, und endlich ist noch zu erwähnen,, daß bei der durchgreifenden neuen Eintheilung des allgemeinen Theiles ein von Herrn Professor Dr. Treichler verfaßtes Schema benüzt worden ist.

Der Entwurf wurde somit einer gründlichen Umarbeitung, sowohl was Inhalt als was Redaktion und Systematik betrifft, unterworfen. In einem verhältnißmäßig kurzen Zeiträume bewältigten!

die Kommission und ihre Redaktoren die umfangreiche Arbeit. Die.

173

abschließliche Durchsicht wurde hinsichtlich des deutschen Textes.

von dem Vorstande des Justizdepartements vorgenommen, wobei noch einige Abänderungen angebracht worden sind, und der französische Text erlitt eine genaue Revision und theilweise Umarbeitung durch Herrn Oberrichter Dr. Juillard in Bern.

II. Erörterung einzelner Bestimmungen des Entwurfes.

§ 1.

Leitende Gesichtspunkte.

Wie wir schon im Eingange unserer Botschaft bemerkt haben, kann es nicht die Aufgabe derselben sein,l eine vollständige MotiO o virung des Entwurfes vorzulegen.

Die allgemeinen Zielpunkte und Grundgedanken desselben näher auszuführen und den Nachweis zu liefern, daß der Entwurf, soweit er auf ihnen beruht, denselben auch wirklich entspreche, würde eine wissenschaftliche Arbeit erfordern, die schon ihres äußern Umfanges wegen in einer Botschaft keinen Plaz finden kann.

Wir glauben daher unter Hinweisung auf unsere obige Darstellung der umfangreichen Vorarbeiten, welche dem Entwurfe zu Grunde liegen, die Frage, ob die Systematik, die äußere Ordnung des Stoffes und die Redaktion des Entwurfes das Richtige getroffen haben, und in Beziehung auf weitaus die meisten Bestimmungen desselben auch die weitere Frage, ob der Inhalt der Aufgabe entspreche, ohne besondere Motivirung Ihrer Beurtheilung und der weiteren wissenschaftlichen Kritik anheimgeben zu dürfen.

Nur von solchen Bestimmungen, welche auf wesentlich neuen Gesichtspunkten beruhen, sollen die wichtigsten ihrem Inhalte nach und, soweit es ohne den Zusammenhang zu stören thunlich ist, in der Reihenfolge des Entwurfes etwas ausführlicher besprochen werden.

Ehe wir zu diesen speziellen Erörterungen selbst übergehen, glauben wir zwei leitende Gesichtspunkte hervorheben zu sollen, welche aus ganz eigen! hümlichen Bedürfnissen und Verhältnissen der Schweiz hervorgegangen sind, und vorzugsweise dazu geführt haben, daß der Entwurf in einzelnen Bestimmungen mit allgemein herrschenden Theorien und gangbaren Vorstellungen im Widerspruche steht.

174

Es ist dieses erstens die Generalisirung solcher Rechtsinstitute, deren Anwendung sich in anderen Gesezgebungen, so namentlich im französischen Code de commerce und deutschen Handelsgesezbuche, entweder geradezu auf einen besondern Stand der Kaufleute, oder doch auf Rechtsgeschäfte mit merkantilem Zweke beschränkt.

Diese eigenthümliche Tendenz steht mit den demokratischen Staatseinrichtungen in der Schweiz und mit der demokratischen Gesinnung des Schweizervolkes im Zusammenhange, vermöge deren es jeder Sonderstellung eines Berufstandes entschieden abgeneigt ist.

Diese Tendenz rechtfertigt sich durch die wohl in keinem andern Lande Europa's in so hohem Grade durch alle Schichten der Gesellschaft gleichmäßig verbreitete Schulbildung und geschäftliche Begabung des Volkes.

Es liegt der Einwand nahe, daß wenigstens die im deutschen und französischen Handelsrechte vorkommende Beschränkung handelsrechtlicher Institute auf Geschäfte mit merkantilem Zweke dem Prinzipe der rechtlichen Gleichstellung aller Volksklassen nicht widerstreite und daher hätte beibehalten werden können. Dagegen ist aber zu bemerken, daß auch eine scheinbar rein objektive Abgrenzung des Handelsgeschäftes von andern Geschäften ähnlichen Inhaltes ohne merkantile Zweke, wie z. B. des Kaufvertrages mit der Absicht, wieder zu verkaufen, von einem Kaufvertrage, um das Kaufobjekt zu behalten, praktisch auf eine Sonderstellung der Person hinausläuft. Denn regelmäßig wird die merkantile Absicht eben nur aus der sonstigen Berufstätigkeit des Kontrahenten sicher erkannt werden können.

Diese mit anderen modernen Gesezgebungen im Widerspruche stehende Tendenz der Beseitigung jeder rechtlichen Sonderstellung eines besondern Kaufmannsstandes war übrigens in den früheren Entwürfen von 1871, 1875 und 1877 weit konsequenter durchgeführt, als in dem jezt vorgelegten von 1879. Wir werden darauf bei der besondern Besprechung der Institute zurükkommen, welche aus besonderen Bedürfnissen des Handels hervorgegangen sind, und daher auch dann noch als Handelsrecht bezeichnet werden können, wenn sie dieser Tendenz entsprechend nicht mehr in ihrer Anwendung auf Handelsleute beschränkt sind. Nur ganz wenige der hierher gehörigen Institute haben im allgemeinen Theile des Entwurfes ihre Stellung erhalten. Außer diesen, die vorzugsweise im Titel VI des allgemeinen
Theiles enthalten sind, gehören dahin die Titel des besonderen Theiles über Prokuristen, Kollektiv-, Kommanditund Aktiengesellschaften, über Handelsregister, Firmen und Geschäftsbücher.

175 Die zweite eigenartige Tendenz des Entwurfes beruht auf der Notwendigkeit, besonderen Rechtsanschauungen und Traditionen der französischen Schweiz Rechnung zu tragen, welche oft sehr weit von den in der deutschen Schweiz vorherrschenden gemeinrechtlichen Theorien abweichen. Diese Gegensäze treten weit weniger schroff bei der Gestaltung einzelner Kontrakt Verhältnisse und den eben erwähnten handelsrechtlichen Instituten hervor. Das Streben nach Ausgleichung derselben hat daher namentlich im allgemeinen Theile des Entwurfes zur Rezeption einzelner Bestimmungen des französischen Rechtes oder zu ganz eigenthümlichen Rechtsgebilden geführt, die einen Mittelweg zwischen französischer und gemeinrechtlicher Theorie bezweken. Von Rechtsinstituten, die im speziellen Theile des Entwurfes behandelt sind, deren besondere Gestaltung auf diese Tendenz zurükzuführen ist, haben wir nur den 22. Titel (Wechsel- und Ordrepapiere) hervorzuheben.

Abschluss der Verträge unter Abwesenden. Art. 3, 5, 8.

Auf die obenerwähnte Tendenz der Beseitigung jeder Sonderstellung eines besonderen Handelstandes sind die Bestimmungen der Art. 3, 5, 8 über den Abschluß von Verträgen unter Abwesenden zurükzuführen.

Sie stimmen im Wesentlichen mit ähnlichen Normen des zürcherischen Gesezbuches (§906, Absaz 2, in Verbindung mit § 908) und des deutschen Handelsgesezbuches (Art. 319 und 321) überein, sind aber nicht, wie der Absaz 2 des § 906 des zürcherischen Gesezbuches ausdrüklich hervorhebt, auf den ,,kaufmännischen Verkehr1* oder wie sich nach deutschein Gesezbuche von selbst versteht, auf ,,Handelsgeschäfte"1 beschränkt. Es wird dadurch eine einseitige Verbindlichkeit des Vertragsproponenten schon vor der Acceptation für die Zeit statuirt, bis zu welcher die Autwort eingelaufen sein kann. Es ist dieses eine Abweichung von der streng logischen Konsequenz des Vertragsbegriffes, die sich in der That durch Verkehrsbedürfnisse, wie sie die moderne Entwiklung des Postund Telegraphenwesens herbeigeführt hat, ganz allgemein und nicht blos für den Kaufmannsstand oder den spezifisch kaufmännischen Verkehr rechtfertigen läßt.

§ 3.

Ehefrauen und Bevormundete, welche selbstständig einen Beruf betreiben. Art. 40 und 41.

Mit der Tendenz, Institute des Handelsrechtes zu generalisiren, hängen auch die Art. 40 und 41 zusammen.

176 Der Art. 41 generalisirt das schon auf altem gemeinrechtlichem Gewohnheitsrechte beruhende Institut der H a n d e l s f r a u , welches auch in §§169 bis 174 des zürcherischen Gesezbuches und Art. & bis 9 des deutschen Handelsgesezbuches anerkannt und speziell normirt ist. Die exzeptionelle Verpfliehtungsfähigkeit einer Ehefrau und die Haftbarkeit ihres ganzen Vermögens, ohne Rüksicht auf die Rechte des Mannes an demselben, wenn sie mit Bewilligung des Mannes H a n d e l auf eigene Rechnung betreibt, wird hier im Gegensaze zu den ähnlichen Bestimmungen des zürcherischen Gesezbuches und des deutschen Handelsgesezbuches auf alle Frauen ausgedehnt, welche irgend einen B e r u f oder ein G e w e r b e mit ausdrüklicher oder stillschweigender Bewilligung des Mannes selbstständig betreiben. Der Art. 40 hat in analoger Weise eine selbstständige Verpflichtungsfähigkeit auch bei anderen in ihrer Vertragsfähigkeit beschränkten Personen eingeführt, welche mit ausdrüklicher oder stillschweigender Bewilligung ihres gesezlichen Vertreters irgend einen Beruf oder ein anderes Gewerbe selbstständig betreiben.

Durch diese Bestimmungen der Art. 40 und 41 wird sehr tief in das kantonale Recht eingeschnitten. Um die exzeptionelle Haftbarkeit des Vermögens der Ehefrau auch da praktisch durchzuführen, wo, wie z. B. im Kanton Bern, die Rechte des Ehemannes an demselben geradezu als E i g e n t h u m des Ehemannes aufgefaßt werden, mußte für diesen Fall sogar eine persönliche Haftbarkeit des Ehemannes für % die von der Frau eingegangenen Verpflichtungen eingeführt werden. Absaz 2 des Art. 41.

Dessen ungeachtet glauben wir die Annahme der Art. 40 und 41 dringend empfehlen zu sollen. Gerade wegen der großen Verschiedenheit der kantonalen ehelichen Güterrechte und Vormundschaftseinrichtungen kann den Ehefrauen und Bevormundeten, wenn der Ehemann oder Vertreter sie an den Vortheilen des gewerblichen Lebens selbstständig theilnehmen lassen will, nur auf diesem Wege auch außerhalb der Grenzen ihres Kantons der dazu erforderliche Kredit verschafft werden. Auch kann nur durch einen derartigen tiefgreifenden Einschnitt in das kantonale Recht Täuschungen und Beschwindelungen derjenigen wirksam entgegengetreten werden, welche mit solchen Personen, auf die Zustimmung des Ehemannes oder Vertreters vertrauend, sich in geschäftliche
Beziehungen einlassen.

§ 4.

Form der Verträge im Allgemeinen. Art. 9 bis 18 und Art. 1 und 2.

In Beziehung auf die Form der Verträge besteht ein sehr tiefgreifender Gegensaz zwischen der gemeinrechtlichen Theorie und dem französischen Rechte.

177

Nach ers Lerer gilt als Prinzip die F o r m l o s i g k e i t der Verträge.

"Die obligationenrechtliche Wirksamkeit einer Vereinbarung ist an -keine besondere Form, namentlich nicht an die Errichtung einer öffentlichen oder Privaturkunde gebunden.

Der Abschluß und Inhalt des Vertrages, durch welchen eine -Obligation begründet, verändert oder aufgehoben werden soll, kann durch dieselben Beweismittel, wie irgend eine andere Thatsache, also namentlich auch durch Zeugen bewiesen werden. Haben die Parteien freiwillig eine Vertragsurkunde errichtet, so kann dessen ungeachtet der Beweis mit jedem an sich zuläßigen Beweismittel, namentlich auch durch Zeugen, darüber zugelassen werden, daß der Vertrag überhaupt nicht ernstlich gemeint 'gewesen sei, daß er geradezu eine Simulation enthalte. Ebenso kann Beweis durch Zeugen oder irgend ein anderes Beweismittel darüber zugelassen werden, daß bei oder nach der Abfassung der Urkunde m e h r oder etwas Anderes, als geschrieben steht, mündlich oder durch konkludente Handlungen unter den beiden Kontrahenten vereinbart worden sei. Derartige Einreden des Ausstellers gegen den Inhalt einer Vertragsurkunde müssen sich nicht nur der andere Kontrahent und seine Universalsuccessoren, sondern auch diejenigen gefallen lassen, welche die Urkunde als Singularsuccessoren des ersten Erwerbers {z. B. in Folge einer Abtretung, Verpfändung oder Pfändung) geltend -zu machen versuchen. Die besonderen Vorschriften , die in dieser Richtung zu dunsten des Erwerbers von Inhaber- und Ordrepapieren bestehen, sind vom Standpunkte des gemeinrechtlichen Prinzipes u als höchst singuläre Ausnahmen zu betrachten.

o Mit diesem Prinzipe des gemeinen Rechtes steht das französische Recht in diametralem Gegensaz.

Für alle Verträge über Gegenstände, welche die Summe oder den Werth von Fr. 150 übersteigen, ist in Art. 1341 des Code civil als Form die Errichtung einer notariellen oder doch gehörig unterzeichneten Urkunde vorgeschrieben. Dabei hat es die Meinung, daß zwar ein Vertrag, der ohne Beobachtung dieser Form abgeschlossen wurde, wenn er durch freiwillige Anerkennung in einer später errichteten Urkunde oder vor Gericht oder durch Eideszuschiebung festgestellt werden kann, Geltung habe, daß aber andere Beweismittel, namentlich der Zeugenbeweis zur Feststellung des Vertrages, abgesehen von
besonderen Ausnahmefällen (Art. 1347 und 1348 des Code civil, Art. 109 des Code de commerce), gar nicht zugelassen werden dürfen.

Liegt eine Vertragsurkunde voi1, mag sie nun in Gemäßheit dieser Formvorschrift nothwendig gewesen sein, oder, weil es sich

178 um einen Gegenstand von Fr. 150 oder weniger handelte, freiwillig errichtet worden sein, so ist der Zeugenbeweis unstatthaft, um irgend eine mündliche Verabredung g e g e n den Inhalt der Urkunde oder a u ß e r demselben festzustellen.

Dritten gegenüber, welche aus dem Inhalte einer gehörig geformten öffentlichen Vertragsurkunde Rechte ableiten, soll sogar nach Art. 1321 des Code civil nicht einmal Uikundenbeweis (contrelettres) über eine den Vertragsinhalt ändernde Vereinbarung der Kontrahenten zugelassen werden. (Vergi. Stabel, Institutionen des franz. Civilrechtes, § 165, Seite 397, lit. b.)

Der Entwurf hat diese Form Vorschriften des französischen Rechtes n i c h t angenommen, im Gegentheil in-Art. l, 2 und 9 das gemeinrechtliche Prinzip der Formlosigkeit der Verträge an die Spitze gestellt. Im Art. 9 wird ausdrüklich gesagt, daß Verträge nicht nur zu ihrer Gültigkeit, sondern auch ,, z u i h r e m B e w e i s e " , abgesehen von den im Geseze enthaltenen Ausnahmen, keiner besonderen Form bedürfen, und im Art. 10 werden, k a n t o n a l e Formvorschriften nur für Schenkungen und für Verti-äge über dingliche Rechte an Immobilien vorbehalten.

Somit sind durch den Entwurf prinzipiell alle Bestimmungen, der kantonalen Rechte abgeschafft, welche entweder in wörtlicher Uebereinstimmung mit dem Code civil, oder doch in ähnlicher Weise wie das französische Recht den Zeugenbeweis zur Feststellung mündlicher oder stillschweigender Verträge ausschließen.

Man wird sich nicht zur Aufrechthaltung solcher Bestimmungen, darauf berufen können, daß es sich dabei gar nicht um matériel les,, sondern um prozessualisches Recht handle, und daß für lezteres die: Bundesgesezgebung nicht kompetent sei. Die Frage, ob das gemeinrechtliche Prinzip der Formlosigkeit der Verträge oder das umgekehrte französische zu Grunde zu legen sei, ist eine so tief in, das materielle Obligationenrecht und in das gan7e Verkehrsleben einschneidende, daß sie in einem Geseze über ein einheitliches Obligationen- und Mobilienverkehrs-Rec-ht ohne Rüksicht auf ein solches konstitutionelles Bedenken ihre ganz bestimmte Lösungfinden mußte.

Indem man sich für das gemeinrechtliche Prinzip entschied,, hat man dasselbe aber in den Art. 11, 15 und 18 so wesentlich modifizirt, daß bis zu einem gewissen Grade die Gegensäze ausgeglichen- werden.
Ein Hauptvortheil des französischen Systems für Sicherheit, des Verkehres besteht darin, daß nach demselben der gutgläubige dritte Erwerber eines b e u r k u n d e t e n Forderungsrechtes bet

179 weitem nicht in dem Maße, wie nach gemeinem Rechte, der Gefahr ausgesezt ist, durch den Beweis einer Simulationseinrede überrascht und geschädigt zu werden.

Diese Gefahr hat der Entwurf durch eine sehr weitgehende Modifikation des gemeinen Rechtes gänzlich beseitigt.

Im Art. 18, Absaz 2, hat der Enwurf verfügt, daß die Simulationseinrede gegenüber dem gutgläubigen dritten Erwerber einer Schuldurkunde, gleichviel ob es eine öffentliche oder Privaturkunde ist, nicht nur durch Beschränkung der Beweismittel erschwert, sondern ganz direkt und unbedingt ausgeschlossen sein solle. Man ist hiedurch im Schuze des gutgläubigen Dritten sogar noch einen Schritt weiter gegangen als das französische Recht, indem nach diesem bei P r i v a t Urkunden die Einrede der Simulation, wenn sie auf Urkundenbeweis (contre-lettres) oder Eideszuschiebung gestüzt wird, auch einem Dritten gegenüber zuläßig sein würde.

(Vergi, die oben zitirte Stelle bei Stabel.)

Aber auch bezüglich Zulassung von Einreden, die auf mündliche, den schriftlichen Vertrag abändernde oder wesentlich ergänzende Verabredungen gestiizt werden wollen, hat der Entwurf den guten Glauben, wenn auch in ganz anderer Weise, als das französische Recht, dochg mindestens in gleichem Maße in Schuz.

genommen.

Nach ^französischem Rechte sind solche Einreden nur sehr erschwert (durch Ausschließung des Zeugen beweise«), aber prinzipiell selbst dann n i c h t ausgeschlossen, wenn ihre Zulassung, z. B.

gegenober einem dritten gutgläubigen Erwerber der Urkunde, mit den Rüksichten auf den guten Glauben im Widerspruche stehen würde.

Der Entwurf hat in den besonderen Fällen, wo das Gesez die Schriftlichkeit vorschreibt (wie z. B. beim Bürgschaftsvertrage, Art. 426 und 500, und beim Leibrentenkonti-akt, Art. 528), solche Einreden rund und unbedingt ausgeschlossen (Art. 11), und da, wodie schriftliche Form freiwillig gewählt wurde, sie n u r zugelassen (Art. 15), ,, w e n n e s d e r g u t e G l a u b e u n d b e s t e h e n d e U e b u n g e n e r f o r d e r n a.

Endlich sind noch zwei Bestimmungen des Entwurfes über die Wirkung schriftlicher Verträge (Art. 17 und 16) zu erwähnen^ welche mit Theorien des gemeinen Rechtes in direktem Widerspruche stehen und als Rezeption des französischen Rechtes bezeichnet werden können.

ISO

Im Art. 17 hat man die ältere gemeinrechtliche Theorie der Ungülligkeit eines den Verpflichtungsgrund nicht enthaltenden Schuldbekennlnisses (sog. cautio indiscreta) sehr entschieden verworfen und den umgekehrten Grundsaz des französischen Rechtes angenommen. Der Art. 1132 des Code civil: ,,La convention n'est pas moins valable, quoique la cause n'en soit pas exprimée" wird "durch die französische Jurisprudenz, den Verkehrsbedürfnissen vollkommen entsprechend, dahin interpretirt, daß eia Schuldbekenntniß, mit fehlender Angabe des Schuldgrundes, die Rechtsvermuthung des Vorhandenseins eines genügenden Schuldgrundes begründe und daher bis zum Beweise des Gegentheils gültig und klagbar sei.

(Vergi.

Anmerkungo 5 a zu diesem Artikel in der Ausgabe der v.

O O Codes français von Rivière, pag. 137.) Man konnte diesen Grundsaz des französischen Rechtes in einem schweizerischen Obligationenrechte um so unbedenklicher aufnehmen, als derselbe schon längst auch in der deutschen Schweiz, so namentlich im Kanton Zürich (Schaubergs Beiträge, Bd. III, S. 261, Nr. 31; Bd. XI, 399, Nr. 30 und Zeitschrift, Bd. I, 206, Nr. 58) vielfach von der Gerichtspraxis befolgt wurde.

Im Art. 16 hat man das wohl bisher nirgends in der deutschen Schweiz geltende, aber zur Verminderung von fraudulosen Geschäften bedrängter Schuldner sehr heilsame Prinzip des französischen Rechtes (Art. 1328 des Code civil) rezipirt, daß für die o b j e k t i v e Richtigkeit des u n b e g l a u b i g t e n D a t u m s einer Privaturkunde Dritten gegenüber keine Vermuthung streite, daß daher für das Datum einer Privaturkunde, wenn es von Dritten bestritten wird, andere Beweise beizubringen sind.

Eine sehr weitgehende praktische Bedeutung gewinnt dieses Prinzip durch die eigentümlichen Formvorschriften, welche für Cessionsgeschäfte im Entwurfe enthalten sind.

§ 5.

Form des Cessionsvertrages insbesondere. Art. 202 bis 205, 209.

Der Entwurf hat ein ganz eigenthümliches, sowohl von den herrschenden Ansichten des gemeinen Rechtes, als von der Bestimmung des französischen Code civil (Art. 1689 ff.) abweichendes System bezüglich der Formen aufgestellt, von denen die Wirkungen der vertragsmäßigen Abtretung des Forderungsrechtes abhängig sein sollen.

Es wird hier ein scharfer Unterschied gemacht zwischen der Verbindlichkeit eines Cessionsvertrages unter den beiden Kontrahenten

181 (dem Cederiten und Cessiouar) einerseits und den Wirkungen des Cessionsgeschäftes gegenüber dritten Personen andererseits.

Für die Verbindlichkeit des Cessionsvertrages zwischen Cèdent .und Cessionar ist das gemeinrechtliche Prinzip der Formlosigkeit vollständig festgehalten. Die völlig formlose, nur mündliche oder durch bloße konkludente Handlungen erklärte Uebereinkunft zwischen ·Cèdent und Cessionav ist unter diesen verbindlich, von einer Ausschließung des Zeugenbeweises für den Abschluß einer solchen Uebereinkunft ist keine Rede. (Art. 202, Absaz 1.)

Der Cèdent wird durch'den formlosen Cessionsvertrag verpflichtet, dem Cessionar eine schriftliche Cessionsurkunde mit beglaubigtem Datum auszustellen und ihm überdieß die etwa vorhandenen Urkunden über das cedirte Forderungsrecht aushinzugeben.

(Art. 209.)

Dritten, und zwar namentlich auch etwaigen Konkursgläubigem des Cedenten gegenüber soll aber die Forderung nur dann als dem Cessionar gehörig betrachtet werden, wenn dem Cessionar entweder eine schriftliche Cessionsurkunde oder die etwa vorhandene Urkunde über das cedirte Forderungsrecht vom Cedenten zugestellt worden ist. (Art. 202, Absaz 2.)

O

O

7

Im Konkurse des Cedenten wird daher die aus völlig formlosem Cessionsvertrage entspringende Berechtigung des Cessionars als rein persönlicher Anspruch, als gewöhnliche laufende Forderung, aber keineswegs etwa als Vindikation der cedirten Forderung, oder als Anspruch auf Separation derselben aus dem Aktivetat zu behandeln sein (Art. 202, Absaz 2). Nach Art. 16 wird der Cessionar im Konkurse des Cedenten selbst dann in diese ungünstige Lage kommen können, wenn er zwar eine schriftliche Cessionsurkunde, aber nicht eine solche mit beglaubigtem Datum vorzulegen im Stande ist.

Hat der Cèdent, bevor er eine der beiden im Art. 202, Absaz 2 alternativ vorgeschriebenen Formen dem Cessionar gegenüber erfüllt hat, eine zweite Cession zu Gunsten eines Anderen vorgenommen und hiebei eine der beiden Fonnen erfüllt, so ist dieser Andere sowohl dem Debitor cessus als dem früheren formlosen Cessionar und den Konkursgläu bigern des Cedenten gegenüber als der ausschließlich berechtigte Erwerber der Forderung zu behandeln.

Sollte der Cèdent, was bei der alternativen Fassung dieser Formvorschrift nicht undenkbar ist, zu Gunsten verschiedener Personen die zum Uebergange der Forderung auch Dritten gegenüber erforderliche Form erfüllt haben (sollte er z. B. erst dem A, Bnndesblatt. 32. Jahrg. Bd. I.

13

182 dann dem B eine schriftliche Cessionsurkunde und schließlich dem C die Schuldurkunde selbst zugestellt haben), so würde der der Zeit nach früheste Erwerbsakt (in dem gewählten Beispiele die Cessionsurkunde zu Gunsten von A) als e n t s c h e i d e n d zu betrachten sein. (Art. 205, Absaz 1.)

Bei einem solchen Prioritätsstreite unter mehreren Cessionaren wird der oben erwähnte Art. 16 von der allergrößten Bedeutung sein. Auch soll der Debitor cessus, wenn er an einen Cessionar bezahlt hat, der nach Art. 205, Absaz i und Art. 16 im Prioritätsstreite unterliegen müßte, gleichwohl definitiv befreit werden, sofern er weder von der altern a l l e i n gültigen Uebertragung (Art. 205, Absaz 2), noch auch von dem etwaigen Prioritätsstreite (Art. 206, Absaz 1) Kenntniß erlangt hatte.

Ganz ebenso soll der Debitor cessus auch durch eine Zahlung an den C e d e n t e n selbst (oder einen Stellvertreter, Einkassirungsmandatar, Assignatar desselben) befreit werden, sofern er zur Zeit der Zahlung weder von dem Abtretungsvertrage (Art. 204, Absaz 1), noch von einem etwaigen zwischen Cèdent und Cessionar bestehenden Streite (Art. 206, Absaz 1) Kenntniß gehabt hat.

Ob die Kenntniß des Debitor cessus, welche nach den Bestimmungen der Art. 204, Absaz l, Art. 205, Absaz 2 und Art. 206, Absaz l, eine Befreiung desselben durch Zahlung an den Cedenten, beziehungsweise einen zweiten, formell legitimirten Cessionar h i n d e r t , durch eine förmliche Zustellung oder Warnung oder auf irgend eine andere Weise bewirkt worden sei, ist nach dem System des Entwurfes im Gegensaze zu Art. 1691 des Code civil und zu einer von hervorragenden Rechtslehrern (vergi. Windscheids Pandekten § 331, Note 9) vertretenen Theorie des gemeinen Rechtes vollkommen gleichgültig. Auch darauf, ob der Streit, dessen Kenntniß die erwähnte Befreiung des Debitor cessus ausschließt, vor den Gerichten bereits anhängig ist oder sich noch im Stadium außergerichtlicher widerstreitender Behauptungen befindet, wird kein großes Gewicht gelegt. Nach Absaz 2 des Art. 206 soll die gerichtliche Anhängigmachung eines solchen Streites nur die weitergehende Wirkung haben, daß der Debitor cessus, um der Gefahr der doppelten Zahlung zu entgehen, nicht mehr- zwischen einfacher Zahlungsweigerung und gerichtlicher Deposition wählen darf, sondern geradezu zur gerichtlichen
Deposition von jeder Prozeßpartei gezwungen werden kann.

Das System des Entwurfes ist durchaus neu, nicht nur gegenüber den bisher geltenden Rechten, sondern auch gegenüber den älteren Entwürfen von 1871, 1875 und 1877, die sich mehr den

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herrschenden Theorien des gemeinen Rechtes und dem Zürcherischen Gesezbuche angeschlossen hatten. Dennoch glauben wir dasselbe zur Annahme empfehlen zu dürfen.

Es wurde dasselbe, namentlich auf Anrathen der im Jahre 1878 zu der Kommission neu hinzugetretenen Mitglieder, als ein zwekmäßiger Mittelweg zwischen entgegenstehenden Meinungen, nach sehr gründlichen Berathungen durch die Kommission beschlossen. Die Mitglieder der Kommission aus der* französischen Schweiz stimmten dazu, weil es nach ihrer Ansicht sich mit den besonderen Rechtsanschauungen der französischen Schweiz weit eher vereinbaren lasse, als die in den früheren Entwürfen enthaltenen Bestimmungen. Dem bisherigen positiven Rechte der einzelnen Kantone gegenüber empfiehlt sich dasselbe schon dadurch, daß eine große Reihe von praktisch bedeutungsvollen Kontroversen klar und bestimmt entschieden sind. Zur Rechtfertigung kann auch noch angeführt werden, daß dadurch eine gewisse Harmonie hergestellt wird mit der später zu erörternden Behandlung des Eigenthumsüberganges an beweglichen Sachen, welche schließlich in vorliegendem Entwurfe gegenüber den frühern Entwürfen durchgedrungen ist.

§ 6.

Formloser Uebergang eines Forderungsrechtes. Art. 134, 187 Abs. 2, 203, 406 Abs. 1, 450 Abs. 2, 514 Abs. 1.

Durch den Art. 203 wird die gemeinrechtlich sehr bestrittene Frage (vgl. Windscheids Pandekten, § 330, Note 12), ob in allen Fällen, wo das G e s e z den Gläubiger zur Uebertragung seiner Forderung verpflichtet, die Forderung sofort, ohne jeden weiteren Akt von Seite des Gläubigers, übergegangen sei, in bejahendem Sinne entschieden.. Mit dem Momente, wo die thatsächlichen Voraussezungen zutreffen, von denen die gesezliche Verpflichtung zur Uebertragung abhängt, soll das Forderungsrecht mit allen seinen übertragbaren Vorzugs- und Nebenrechten (Art. 208) in einer auch Dritten, namentlich den Konkurskreditoren des Gläubigers, sowie dem Schuldner und seinen etwaigen Bürgen gegenüber wirksamen Weise auf den neuen Erwerber übergehen.

Von ganz besonderer praktischer Bedeutung, aber auch einiges Bedenken erregend, erscheint das Prinzip in seiner Anwendung auf den Fall, wo ein Beauftragter (Art. 406, Abs. 1), oder ein Kommissionär (Art. 450, Abs. 2) ein Forderungsrecht gegen einen Dritten in e i g e n e m N a m e n , aber für Rechnung seines Auf-

184 traggebers oder Kommittenten erworben hat. Es soll nach diesem Prinzipe der Auftraggeber oder Kommittent, sobald er seinen Verpflichtungen gegenüber dem Beauftragten oder Kommissionär aus dem Auftrags- oder Kommissionsverhältnisse nachgekommen ist, ohne alles Weitere die Rechte eines Cessionars d i r e k t gegen den dritten Schuldner geltend machen können. Bedenklich erscheint diese Konsequenz nur, wenn der Beauftragte oder Kommissionär völlig zahlungsfähig und belangbar ist, während vielleicht der Auftraggeber oder Kommittent auf schwachen Füßen steht. Unter dieser Voraussezung hat wenigstens das zürcherische Gesezbuch, § 1621, und das deutsche Handelsgesezbuch, Art. 368, dem Kommissionär die aus dem entgegengesezten Prinzipe folgende. Rechtsstellung gewahrt, vermöge deren er sich auch für Gegenforderungen, die n i c h t aus dem Auftrags- oder Kommissionsverhältnisse hervorgehen, durch Einklagung und Einkassirung der in eigenem Namen erworbenen Forderung bezahlt machen kann.

Völlig unbedenklich und von der größten praktischen Bedeutung ist diese Konsequenz, wenn der Beauftragte oder Kommissionär in Konkurs geräthj oder doch sonst unbelangbar geworden ist.

Unter dieser Voraussezung gestehen selbst Vertheidiger des umgekehrten Prinzips (vgl. Windscheid a. a. 0.) ausnahmsweise ein solches direktes Klagerecht gegen den Dritten zu, und auch das Zürcher Gesezbuch § 1621, Saz 2, und das deutsche Handelsgesez Art. 368, Abs. 2, obgleich sie das umgekehrte Prinzip an die Spize stellen, kommen unter dieser Voraussezung zu demselben praktischen Resultate.

Durch den Art. 134, welcher eine gesezliche Vermuthung für den Uebergang der Forderung ausspricht, wenn ein Dritter aus eigenen Mitteln den Gläubiger befriedigt, in Verbindung mit dem Prinzipe des Art. 203 ist ein völlig neues Rechtsinstitut ins Leben getreten. Es beruht dasselbe auf demselben Grundgedanken, vermöge dessen in den besonderen Fällen, wo der Dritte als regreßberechtigter Solidarschuldner (Art. 187, Abs. 2), oder als Bürge (Art. 514, Abs. 1), eine ihm m a t e r i e l l fremde Schuld zahlt, wohl so ziemlich überall schon nach bisherigem Rechte eine gesezliche Cession angenommen wird. Man glaubte durch dieses neue Rechtsinstitut zugleich den Bedürfnissen Rechnung getragen zu haben, auf welchen die Bestimmungen des Code civil über Subrogation (Art. 1249 bis 1252) beruhen.

185 § 7-

Die unerlaubten Handlungen. Art. 56 bis 77, Art. 3 Abs. 2, Art. 29, Art. 39 Abs. 3, Art. 881 Abs. 2.

In der Lehre von den unerlaubten Handlungen ist ein der deutschen Rechtsanschauung bisher völlig fremdes Prinzip des französischen Rechtes (Art. 1382 und 1383 des Code civil) aufgenommen worden. Die von jedem bestehenden Kontraktsverhältnisse unabhängige Schadensersazpflicht wegen bloßer culpa (irn^ Gegensaze zu dolus) ist überall, wo die gemeinrechtliche Theorie die Grundlage der Gesezgebung und Praxis bildet (vgl. § 1834 des Zürcher Gesezbuches), beschränkt auf Beschädigung körperlicher Sachen oder des Körpers oder der Gesundheit von Mensehen. Diese Beschränkung hat der Art. 56 des Entwurfes nach dem Vorgange des französischen Rechtes prinzipiell fallen gelassen. Es soll nach , Art. 56 auch in solchen Fällen die Verpflichtung zum Ersaze des durch widerrechtliches Handeln verursachten Schadens bestehen, wo weder von einer Beschädigung einer körperlichen Sache oder des Körpers oder der Gesundheit eines Menschen, noch von einer w i s s e n t l i c h rechtswidrigen Herbeiführung eines schädlichen Erfolges (dolus), noch endlich von Verlezung einer v e r t r a g s m ä ß i g übernommenen Verbindlichheit die Rede sein kann. Zur Begründung einer Schadensersazforderung unter dem Gesichtspunkte einer unerlaubten Handlung (unabhängig von einer Kontraktsverlezung) soll es genügen, wenn nur überhaupt irgend eine objektiv rechtswidrige, Schaden verursachende Handlung vorliegt, und der widerrechtlich Handelnde bei gehöriger Aufmerksamkeit, d. h. bei demjenigen Grade derselben, der ihm nach allgemeiner Rechtsanschauung oder nach positiver Rechtsvorschrift zuzumuthen ist, die Widerrechtlichkeit hätte erkennen und den daraus hervorgehenden Schaden hätte vermeiden können. Die praktische Tragweite dieses neuen Prinzipes ist eine außerordentlich weitgehende. Nach demselben wird derjenige, welcher über einen Anderen etwas U n w a h r e s , die Ehre, den guten Namen und den Kredit desselben Beeinträchtigendes, ohne die Absicht, zu beleidigen, und ohne das Bewußtsein der Unwahrheit behauptet hat, den dadurch verursachten Schaden ersezen müssen, sofern er bei gehöriger Aufmerksamkeit die Unwahrheit seiner Behauptung hätte kennen sollen.

Nach dem bisherigen Rechte der deutschen Schweiz würde in einem solchen Falle wohl
kaum ein Gericht zu einer Verurtheilung gelangen können.

Nach diesem neuen Prinzipe erledigen sich auch eine Reihe von Schwierigkeiten sehr einfach, die vom Standpunkte der ge-

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meinrechtlichen Theorie hervortreten, wenn ein verbindlicher Vertrag b e a b s i c h t i g t , jedoch n i c h t zu Stande gekommen ist, also auch von einer Klage aus Vertrag keine Rede sein kann, aber durch ein nachweisbares V e r s c h u l d e n eines der beiden Theile, zwischen denen der Abschluß des Vertrages beabsichtigt wurde, oder eines Dritten, der dabei mitwirkte, Schaden entstanden ist.

Dahin gehören die im Art. 3 Abs. 2, Art. 29, Art. 39 Abs. 3 des Entwurfes erwähnten Fälle, welche man in der neuesten gemeinrechtlichen Literatur als culpa iu contrahendo zu bezeichnen pflegt. Der im Art. 54 des Entwurfes erwähnte Fall wird dagegen nach diesem Gesichtspunkte nur zu behandeln sein, wenn der unbefugt handelnde Stellvertreter vertragsunfähig ist, und ihm ein spezielles Verschulden nachgewiesen wird. War derselbe vertragsfähig, so wird er nach Art. 54 auch ohne Nachweis eines Verschuldens haften, indem die Klage .auf eine vertragsmäßige stillschweigende Garantie für die Existenz seiner Ermächtigung zurükgeführt werden kann. (Vgl. Windscheids Pandekten § 74, Note 7a.)

Zur Anwendung dieses neuen Prinzipes dürften noch eine Reihe anderer, im Entwurfe zerstreuter Bestimmungen, so Art. 832, 833, 865, 873, 879, Gelegenheit darbieten. Insbesondere wird die im Art. 881, Abs. 2, enthaltene Bestimmung auf Grundlage dieses Prinzipes in folgender Weise auszulegen sein : Auch wegen bloß c u l p o s e n unbefugten Gebrauches einer Firma, so namentlich wenn Jemand in Folge f a h r l ä ß i g e n Irrthums sich für befugt hält, kann zum Ersaze des dadurch schon vor Aufdekung des Irrthumes verursachten Schadens erkannt werden. Nur dann muß der durch unbefugten Gebrauch einer Firma Beeinträchtigte sich mit der Klage auf Unterlassung jeder w e i t e r e n Störung begnügen und kann für den vor Aufdekung des Irrthumes verursachten Schaden keinen Ersaz begehren, wenn der objektiv unbefugte Firmaführer ohne jedes Verschulden sich irrthümlich für befugt gehalten hat.

Ganz ähnlich wird es sich auch in Gemäßheit dieses Prinzipes verhalten, wenn in Folge bereits vorhaudener oder noch zu erlassender Geseze zum Schuze der Autorrechte oder der Fabrikund Handelszeichen u. s. w. sich eine Handlung als o b j e k t i v r e c h t s w i d r i g e , als Nachdruk, contrefaçon u. s. w. qualifizirt, und in dem betreffenden Geseze
die rein civilrechtlichen Rechtsfolgen derselben nicht speziell normirt sind. Hier wird derjenige, der durch eine solche objektiv rechtswidrige Handlung Schaden verursacht, auch wenn ihm kein dolus, sondern nur schuld hafter Irrthum zum Vorwurfe gemacht werden kann, auf Grund des Art. 56 zum Ersaze desselben verurtheilt werden können. Hat Jemand den Eingriff in das gesezlich geschüzte Recht o h n e j e d e s

187 V e r s c h u l d e n in Folge Irrthumes begangen (wie z. B. wenn ein Nachdruker unter völlig unverdächtigen Umständen das Manuskript von einem Betrüger, einem plagiarius, der sich für den Autor ausgab, redlich erworben halte), so wird nur eine Civilklage auf Unterlassung1 jeder weiteren Störung, nicht aber auf Ersaz des schon v o r der Aufdekung des Irrthumea entstandenen Schadens angestellt werden können.

Diese weite Ausdehnung der außerkontraktlichen Schadensersazverbindlichkeit führte mit Nothwendigkeit dazu, in einer der bisherigen Gerichtspraxis der deutschen Schweiz wenig entsprechenden Weise im Art. 57 dein richterlichen Erachten einen sehr weiten Spielraum bei Bestimmung der Art und Größe des Schadensersazes einzuräumen und den Richter anzuweisen, dabei die besonderen Umstände und namentlich die Größe der Verschuldung (ob rechtswidrige Absicht oder bloß Fahrläßigkeit, ob ein größerer oder geringerer Grad derselben vorliege) zu würdigen. Namentlich sind die subtilen Fragen, ob bloß direkter oder auch indirekter Schaden, ob bloß positiver Schaden oder auch entgangener Gewinn, ob insbesondere in den Fällen der sogenannten culpa in contrahendo (Art. 3 Abs. 2, Art. 29, Art. 39 Abs. 3), wie auch in dem Falle des Art. 54, sofern dabei überhaupt der Gesichtspunkt des Deliktes in Betracht kommt, bloß das rein negative Interesse oder auch das Erfüjlungsinteresse zu berüksichtigen sei, dem richterlichen Ermessen anheim gegeben.

Nach dem Vorgange des Bundesgesezes betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnen, vom 1. Juli 1875, Art. 7, ist in Fällen der Tödtung oder Körperverlezung, namentlich bei ganz schwerer Verschuldung dem Richter im Art. 60 des Entwurfes die Befugniß eingeräumt worden, Angehörigen des Getödteten oder dem Verlezten völlig unabhängig vom Ersaze erweislicher Verm.ögensnachtheile eine angemessene Geldsumme zuzuerkennen. Es kann dieses als eine Weiterbildung der gemeinrechtlichen Theorie über das sogenannte Schmerzensgeld, als eine Ausdehnung der Entschädigung für ausgestandene körperliche Schmerzen auf rein moralische Leiden betrachtet werden. Auf Antrag der Kommissions-Mitglieder der französischen Schweiz, welche auf die französische Gerichtspraxis Bezug nahmen, ist im Art. 61 eine analoge Befugniß dem Richter auch bei anderen unerlaubten Handlungen, ,,welche die persönlichen
Verhältnisse eines Anderen ernstlich verlezen11, eingeräumt worden.

Dabei wurde in den Berathungen auf den möglichen Fall hingewiesen, daß ein ehrbares Mädchen durch betrügerische Vorspiegelungen, Angabe falscher Namen, Vorlegung gefälschter Papiere u. s. w.

zu einer Verlobung mit einem schon verheiratheten Manne verleitet

188 worden sei. Hier müsse auch dann, wenn gar kein Vermögensschaden vorläge, eine angemessene Summe für moralische Leideo zuerkannt werden können.

Weit auffallender, als die im Art. 60 und 63 dem Richter eingeräumte Befugniß, ist die Bestimmung des Art. 66. Hier wird der Richter ermächtigt, aus dringenden Rüksichten der Billigkeit eine n i c h t zurechnungsfähige Person , bei der daher von einem Verschulden gar keine Rede sein kann, ganz oder theilweise zum Ersaze des von ihr verursachten Schadens zu verurtheilen. Es ist diese Bestimmung aus § 1835, Abs. 2 des Zürcher Gesezbuches entnommen! Aehnliches enthalten das Preußische Landrecht Theil I, Tit. 6, § 43 und das Oesterreichische GesezBuch § 1310.

Wir glauben die Aufnahme dieser Bestimmung empfehlen zu sollen, weil sich in der That Fälle denken lassen, wo die Freisprechung einer nicht zurechnungsfähigen Person von jeder Schadensersazpflicht das natürliche Rechts- und Billigkeitsgefühl im .höchsten Grade verlezen würde. Man seze nur den Fall, daß ein Wahnsinniger, ein Fieberkranker oder ein Kind, welche ein Haus angezündet, ein Sttlk Vieh getödtet oder Jemanden eine schwere Verwundung beigebracht haben, sehr wohlhabend sind, während der Verlezte sich in ärmlichen Verhältnissen befindet, oder daß der Verlezte die energische Abwehr des Angriffes aus Schonung für den Angreifer unterlassen hat.

Rein j u r i s t i s c h fällt diese exceptionelle Entschädigungsverbindlichkeit, obgleich sie auf durchaus anderen legislatorischen, Motiven beruht, mit einer anderen Bestimmung des Entwurfesunter denselben Gesichtspunkt, die vom Standpunkte des schon jezt geltenden Rechtes durchaus n i c h t auffallend erscheint. Es ist dieses der Art. 74, indem nach diesem der Eigenthümer einesfehlerhaften Gebäudes oder Werkes, selbst wenn er erwiesenermaßen völlig außer Verschulden ist, für gestifteten Schaden haftbar wird. Auf Grund dieser beiden Artikel (66 und 74) entstehen unmittelbar kraft Rechtsvorschrift ohne Vertrag und ohne Verschulden Entschädigungsverbindlichkeiten, welche den Deliktsobligationen gleich behandelt werden. Namentlich sind auf dieselben) die im Art. 76 und 77 enthaltenen Vorschriften über beschränkte Vererblichkeit und abgekürzte Verjährung anwendbar. Es sind Obligationen aus fingirtem Delikte (quasi ex delicto). Nicht vollständig fallen unter
denselben Gesichtspunkt die Bestimmungen der Art. 68, 69 und 72 des Entwurfes, indem hier der Geschädigte zwar von dem Beweise der speziellen Verschuldung befreit ist, aber doch sich den Gegenbeweis des Nichtverschuldens gefallen lassen muß. Die in diesen Art. 68, 69 und 72 normirten Ent-

189' Schädigungsverbindlichkeiten sind nur insofern bloße Q u a s i Deliktsobligationen, als auch hier wegen der Schwierigkeit desGegenbeweises ein völlig Schuldloser haftbar werden kann.

Von diesen Bestimmungen glauben wir nur den Art. 69 und-, zwar im Zusammenhange mit dem Art. 123 einer weitern Besprechung unterziehen zu sollen.

§ 8.

Die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn flir sein Personal.

Art. 69 und 123.

Der Art. 1384 des Code civil stellt den Grundsaz auf, daß Gesehäftsherren (les maîtres et les commettants) für den Schaden, verantwortlich seien, welchen ihre Angestellten und die in ihrem Dienste stehenden Arbeiter (leurs domestiques et préposés) in Aus übung der ihnen anvertrauten geschäftlichen Verrichtungen verursachen. Ein Entschuldigungsbeweis, daß der Geschäftsherr dieHandlung nicht verhindern konnte, wird n i c h t zugelassen. Begeht dieses aus dem Sehlußsaze klar hervor, indem hier nur bei Schadenzufügungen, welche von Kindern, Zöglingen und Lehrlingen verübt werden, den Eltern, Lehrern und Lehrherrn ein derartiger Entschuldigungsbeweis gestattet wird.

Dieser Grundsaz wird bei Gelegenheit der Behandlung der Delikte und Quasidelikte aufgestellt; er wird daher in weit höherem Maße zur Anwendung zu bringen sein, wenn es sich um Verschuldungen der Arbeiter oder Angestellten handelt, durch welche bei Erfüllung bereits bestehender kontraktlicher oder sonstiger Obligationen des Geschäftsherrn ein Schaden verursacht wird.

Nach gemeinrechtlicher Theorie, wie sie sich auf Grundlage des römischen Rechtes gebildet bat, und noch heutzutage in allen Ländern, deren Gesezgebung und Praxis auf ihr beruht, prinzipiell festgehalten wird (vergi, v. Wyß, Haftung für fremde culpa, Zürich.

1867), "ist von einer derartigen Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn für sein Personal keine Rede.

Abgesehen von ganz exceptionellen Bestimmungen des römischen.

Rechtes über Schiffer, Wirthe und Stallwirthe, die durch neue Ausnahmsgeseze auf einige andere Gewerbsarten (so z. B. durch Art. 395 und 400 des deutschen Handelsgesezbuches auf Prachtführer, durch § 1646 des zürcherischen Gesezbuches überdies auch auf Spediteure, durch das eidgenössische Gesez vom 20. März lfc>75 nur auf Eisenbahnen) ausgedehnt worden sind, wird der Geschäftsherr selbst

190 ·dann mit dem Entschuldigungsbeweise, daß er die schuldhafte Handlung nicht verhindern konnte, daß ihm keinerlei Verschulden bei Auswahl oder Beaufsichtigung seiner Leute zur Last falle, zugelassen, wenn es sich um Erfüllung bereits bestehender Verbindlichkeiten handelt. Von einer Haftung des Geschäftsherrn für Delikte seiner Leute ist selbst nicht einmal in dem Sinne die Rede, daß auch nur eine Präsumption für eine indirekte Mitverschuldung des Geschäftsherrn, für eine Nachläßigkeit bei der Auswahl oder Beaufsichtigung angenommen würde. Die besonderen Geseze, vermöge deren wenigstens bei Tödtungen und Verlezungen gegenüber den Eisenbahnunternehmungen und anderen besonders gefährlichen Ge·werbsarten (vergi, das deutsche Haftpflichtgesez vom 7. Juni 1871, ·das schweizerische Gesez betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnund Dampfschifffahrtunternehmungen, vom 1. Juli 1875, und Art. 5 des schweizerischen Gesezes betreffend die Arbeit in den Fabriken) eine derartige Haftbarkeit eingeführt wurde, erscheinen vom Standpunkte der gemeinrechtlichen Theorie als höchst singuläre Ausnahmsbestimmungen.

Der frühere Entwurf -des Obligationenrechtes von 1875 hatte sich in Art. 142, wenn es sich um Erfüllung von bestehenden Obligationen handelt, ganz und unbedingt dem französischen Prinzipe angeschlossen und in Art. 96 auch für Delikte das französische Prinzip, wenigstens gegenüber Gesellschaften und juristischen Personen , wenn sie irgend ein Gewerbe betreiben, eingeführt. Der Entwurf von 1877 war noch einen Schritt weiter gegangen und hatte in Art. 96 ganz allgemein, auch in Beziehung auf Delikte, in gleichem Maß, wie das französische Recht, den Geschäftsherrn für haftbar erklärt.

In dem Entwurfe, wie er jezt vorliegt, ist dagegen ein Mittelweg zwischen der gemeinrechtlichen Theorie und dem Prinzipe des französischen Rechtes eingeschlagen. Handelt es sich um Erfüllung bereits bestehender Verbindlichkeiten des Geschäftsherrn, so findet nach Art. 123 nicht bloß im Sinne der gemeinrechtlichen Theorie eine Präsumption für eine eigene Mitschuld des Geschäftsherrn statt, es wird vielmehr im Sinne des französischen Rechtes der Geschäftsherr unbedingt für die Verschuldungen seiner Leute verantwortlich.

Handelt es sich dagegen um Delikte der Arbeiter oder Angestellten, durch die sie in Ausübung der. ihnen anvertrauten
geschäftlichen Verrichtungen Schaden zufügen, so wird derselbe Entschuldigungsbeweis zugelassen, den das französische Recht bloß bei Delikten ·der Kinder, Zöglinge und Lehrlinge gestattet.

Durch den Zusaz zu Art. 69, betreffend juristische Personen, welche ein Gewerbe betreiben, wollte man andeuten, daß ein

191 solcher Entschuldigungsbeweis nicht etwa darauf gestüzt werden dürfe, daß eine juristische Person überhaupt nicht fähig sei, in e i g e n e r Person ein Delikt zu begehen oder zu verhindern, und daß ihr daher überhaupt gar nicht ein Mangel an Sorgfalt bei Verhütung des Deliktes zur Last fallen könne.

§ 9.

Die Lehre von der Verjährung. Art. 152 bis 180, 35, 77, 273, 339, 370, 472, 511, 513, 595 bis 599, 622, 647, 704 bis 706, 760, 815 bis 819, 842.

Die Bestimmungen des Entwurfes über Verjährung sind höchst mannigfaltig und vielgestaltig. Außer einer allgemeinen subsidiären Verjährung von 10 Jahren für alle unversicherten Obligationen (Art. 152) kennt der Entwurf noch eine große Reihe von kürzeren Verjährungen und ähnlichen gesezlichen p e r e m p t o r i s c h e n Fristen für ' besondere Obligationsverhältnisse, die theils in dem Kapitel des allgemeinen Theiles über Verjährung, theils an sehr verschiedenen Stellen des Entwurfes näher normirt sind. Solche kurze Verjährungen, beziehungsweise gesezliche peremptorische Fristen, kommen vor im Entwurfe: von 4 Wochen (Art. 511), l Monat (Art. 816 und 817), von 60 Tagen (Art. 161, 162, 171, 172), von 3 Monaten (Art. 816 und 817), von l Jahr (Art. 35, 273, 370, 472, 706, 760, 816, 817), von 2 Jahren (Art. 77, 154, 513, 647, 704, 705), von 3 Jahren (Art. 815, 819, 842), von 5 Jahren (Art. 153, 370, 595 bis 599, 622).

Bei dieser außerordentlichen Fülle einzelner Bestimmungen glauben wir, uns etwas einläßlicher über dieses Institut aussprechen zu sollen.

Die Natur des Verjährungsinstitutes bringt es mit sich, daß dabei eine sehr große Reihe von Fragen auftauchen, bei denen es weniger darauf ankommt, vv i e sie entschieden werden, als daß sie überhaupt k l a r und b e s t i m m t , jeden weiteren Zweifel abschneidend, erledigt werden. Namentlich ist die nähere Abgrenzung 'der Verjährungsfristen etwas durchaus Willkürliches. Ob der Gesezgeber dieselben etwas größer oder geringer greife, ist gleichgültig, sofern er nur im Großen und Ganzen den besonderen Verkehrssitten und Bedürfnissen entspricht, welche bei gewissen Klassen von Obligationsverhältnissen eine längere, bei anderen eine kürzere Verjährungszeit wünschbar machen. Von der größten Bedeutung ist es aber, daß durch klare und' unzweideutige Abgrenzung der Fristen und der verschiedenen Klassen von Obligationsverhältnissen

192 mit verschiedenen Verjährungszeiten Richter und Parteien in die Lage versezt werden, Anfang und Ende der Verjährung in jedem einzelnen Falle sicher berechnen zu können.

Gerade wegen dieser eigenthttmlichen, in hohem Grade rein willkürlichen Natur des Verjährungsinstituts ist das Bedürfniß nach einheitlichen und detaillirten Normen ein äußerst dringendes.

Das bisherige Recht der einzelnen Kantone über Verjährung von unversicherten Forderungen ist außerordentlich verschieden.

Selbst die Frist für die lange oder allgemeine subsidiäre Verjährung ist in den verschiedenen Kantonen eine sehr verschiedene. Die Kantone St. Gallen , Appenzell A.-Rh. und I.-Rh. und Basel-Land kennen eine solche Verjährung überhaupt nicht.

Glarus kennt wenigstens für beurkundete Forderungen keine Verjährung, hat aber für alle anderen Forderungen die Verjährungszeit auf 4 Jahre fixirt. In dem neuen Kantonstheil Bern und in Genf gilt der Code civil mit seiner dem römischen Rechte entlehnten 30jährigen Verjährung. Tessin hat je nach Beschaffenheit des Titels für beurkundete Forderungen 15 und 30 Jahre, für andere 10 Jahre, Neuenburg für beurkundete Forderungen 30, für die übrigen 10 Jahre, Wallis für alle Forderungen 30 Jahre als allgemeine Verjährungsfrist bestimmt. In Unterwaiden nid dem Wald beträgt die allgemeine Verjährungsfrist 9 Jahre und in Graubünden 12 Jahre. In allen übrigen Kantonen und im alten Kantonstheile Berns besteht schon jezt die in den Entwurf aufgenommene 10jährige Verjährung.

Noch weit größer sind die Verschiedenheiten der kantonalen Rechte bezüglich abgekürzter Verjährungsfristen für besondere Obligationen, sowie über eine Reihe anderer Fragen, die, wie namentlich über Hemmung und Unterbrechung der Verjährung, von der größten Bedeutung sind, um iu jedem einzelnen Falle Anfang und Ende der Verjährung bestimmen zu können, Bei Obligationsverhältnisseu, welche auf i n t e r k an t o n al e m Verkehre beruhen, ist daher nach dem bisherigen Rechte die Entscheidung der Frage, ob ein Forderuugsrecht als verjährt zu betrachten sei oder nicht, oft mit den allergrößten Schwierigkeiten verbunden.

Aber nicht bloß die kantonale Verschiedenheit, sondern auch die Lükenhaftigkeit und Unvollständigkeit der Verjährungsgeseze schafft dem Richter die größte Verlegenheit. Bei Rechtsinstituten, die auf allgemeinen Prinzipien des Rechtes und der Billigkeit beruhen , kann ein gebildeter und wohlmeinender Richter auch ohne

193 Anleitung durch ein detaillirtes Gesez sehr wohl das Richtige treffen.

Rechtsstudium, Rechtserfahrung und gesunder Sinn können dabei vollkommen ausreichen, um über Zweifel und Luken eines Gesezes hinauszuhelfen. Ganz anders verhält es sich bei der Verjährung und ähnlichen Rechtsinstituten, durch welche die allgemeinen Prinzipien des Rechtes und der Billigkeit im Interesse unabweisbarer praktischer Bedürfnisse modifizirt oder durchbrochen werden. Hier wird der Richter, wenn ihm das Gesez über einzelne Fragen, die ·ohne Gefährdung des Zwekes des Instituts gelöst werden können {z. B. ob bei Unterbrechung einer kurzen Verjährung für die neu beginnende Verjährung wieder dieselbe kurze Frist oder die längere der allgemeinen subsidiären Verjährung maßgebend sei), im Stiche läßt, in die höchst mißliche Lage versezt, an der Stelle des Gesezgebers rein willkürlich entscheiden zu müssen.

Aus diesen Gründen dürfte es als ein Vorzug des Entwurfes erscheinen, daß er das Institut der Verjährung möglichst erschöpfend und weit umfangreicher, als es in irgend einem kantonalen Gesezbuche geschehen ist, normirt hat.

Auf den Inhalt der einzelnen Bestimmungen, soweit darin Fragen der erwähnten Art ohne prinzipielle Bedeutung entschieden sind, glauben wir nicht näher eintreten zu sollen. Dahin gehören namentlich die sehr einläßlichen Bestimmungen (Art. 156 bis 176) über Anfang, Hemmung und Unterbrechung der Verjährung.

Zur Erörterung einer Reihe von prinzipiellen .Fragen gibt der Art. 154 Veranlassung, indem hier in Absaz 2 dem Gläubiger, wenn sich ihm gegenüber der Schuldner auf Verjährung berufen will, eine Befugniß eingeräumt wird, welche den in der deutschen Schweiz vorherrschenden gemeinrechtlichen Anschauungen über das Wesen der Verjährung prinzipiell widerspricht.

Der Art. 154 des Entwurfes beruht auf den gleichen praktischen Bedürfnissen und legislativen Erwägungen, welche den Bestimmungen der Art. 2271 bis 2275 des Code civil zu Grunde liegen. In diesen Artikeln des Code civil ist für eine ganze Reihe von Geschäftsobligationen, so lange sie nicht durch einen Rechnungsabschluß (compte arrêté), einen Schein fcédule) oder eine .Schuldverschreibung (obligation) anerkannt sind, eine besondere Verjährung mit kurzen Fristen (6 Monate, l Jahr, 2 Jahre, 5 Jahre) vorgeschrieben. Es soll aber dem ursprünglichen
Schuldner, der sich auf diese Verjährung beruft, über die Frage, ob wirklich Zahlung geleistet worden sei, und seiner Wittwe und seinen Erben, beziehungsweise den Vormündern derselben, über die Frage, ob sie nicht wissen, daß die Schuld wirklich besteht, der Eid zugeschoben werden können.

194

Die Obligationen, welche dieser besonderen Verjährung unterworfen sind, so mannigfach sie sind, haben alle das mit einander gemein, daß sie auf zweiseitigen Verträgen (Tauschvertrage im weiteren Sinne des Wortes) beruhen, bei welchen die Verkehrssitte eine r a s c h e Abwiklung mit sieh bringt, und weder die Ausstellung von Vertragsurkunden, noch die längere Aufbewahrung von Quittungen üblich ist. Offenbar liegt dieser Verjährung die Erwägung zu Grunde, daß aus längerem Zuwarten des Gläubigers mit gerichtlichen Schritten gefolgert werden könne, es sei derselbe der Verkehrssitte entsprechend befriedigt worden. Diese rein faktische Vermuthung soll nach Ablauf der fixirten Frist zu einer Rechtsvermuthung und zwar insofern zu einer sog. proesumptio Juris et de jure erhoben werden, als der Gegenbeweis nur in höchst beschränkter Weise (nur durch Produktion einer Anerkennungsurkunde oder durch gerichtliches Zugeständnis, beziehungsweise Verweigerung des zugeschobenen Eides) gestattet wird.

In ganz ähnlicher Weise und aus denselben legislativen Erwägungen hat der Art. 154, Absaz l, des Entwurfes über eine Reihe ähnlicher Geschäftsobligationen, ,,sofern nicht eine schriftliche, die Schuldsumme bestimmende Anerkennung vorliegt,tt eine exzeptionelle Verjährung von 2 Jahren vorgeschrieben. Dabei wird dem Gläubiger in Absaz 2 die Befugniß eingeräumt, von dem Gegner zwar keine eidliche, aber doch eine p e r s ö n l i c h e E r k l ä r u n g vor Gericht über die Frage zu verlangen, ob er von dem Fortbestehen der Schuld bestimmte Kenntriiß habe.

Von der Gestattung einer derartigen Befugniß des Gläubigers ist bei den Verjährungen des gemeinen Rechtes und der bisherigen kantonalen Rechte der deutschen Schweiz durchaus keine Rede.

Auch der Entwurf weiß bei allen anderen Verjährungen, die er eingeführt hat, rein 'Nichts davon.

Durch die Gestattung dieser Befugniß des Gläubigers bildet diese besondere Art von Verjährung des Art. 154 einen schroffen Gegensaz sowohl zu der allgemeinen 10jährigen Verjährung, als auch zu allen sonstigen speziellen kürzeren Verjährungen, welche der Entwurf au sehr verschiedenen Stellen eingeführt hat.

Bei allen Verjährungen des Entwurfes, welche n i c h t unter den Gesichtspunkt des Art. 154 fallen, ist es den Prinzipien des gemeinen Rechtes entsprechend, den Schuldner selbst dann mit
dem Einwände der Verjährung zu hören, wenn er geradezu zugesteht, daß die Forderung rechtsgiltig ins Leben getreten und bis zur Stunde weder durch Befriedigung des Gläubigers noch auf irgend eine andere Weise getilgt sei. (Vgl. Ullmer, Kommentar zum Zürcher Gesezbuch, Nr. 1722 und 1736.)

195.

Diese entgegengesezte Behandlung der kurzen Verjährung de& Art. 154 einerseits, und aller übrigen kurzen Verjährungen und der allgemeinen 10jährigen Verjährung anderseits bedarf einer besondern Motivirung.

Es muß mindestens für die 10jährige Verjährung höchst auffallend erscheinen, daß man in schroffem Gegensaze zu der Verjährung des Art. Ì54 den Schuldner selbst dann mit der Anrufung, der Verjährung zuläßt, wenn er zugesteht, daß die Forderung rechtsgiltig entstanden und auch seitdem nicht getilgt worden sei. Denn es ist nicht zu verkennen, daß der 10jährigen Verjährung vorwiegend die Erwägung zu Grunde liegt, daß durch allzulangesZuwarten des Gläubigers der Schuldner,leicht in die Lage gebracht werden könne, an und für sich wohl begründete Einreden (der Simulation, des dolus, des Verzichtes, namentlich aber der Befriedigung des Gläubigers) nicht mehr gehörig beweisen zu können..

Es liegt daher die Frage sehr nahe, warum nicht auch hier dein Gläubiger eine ähnliche Befugniß wie im Art. 154, Absaz 2, eingeräumt, oder doch mindestens bei einem freiwilligen Zugeständnisse des Schuldners betreffend das Nichtvorhandensein anderer Einreden, die Berufung auf Verjährung ausgeschlossen werde.

Aus diesen Gründen haben auch in der That einige kantonale Gesezgebungen der französischen Schweiz (Waadt, Freiburg, Wallis> eine ähnliche Befugniß, wie sie der Art. 154, Absaz 2, enthält (nämlich die Eideszuschiebung über die Existenz der Forderung),, auf die allgemeine Verjährung von 10, resp. 30 Jahren ausgedehnt^ Daß der Entwurf einen derartigen Schritt n i c h t gethan und es nicht nur bei allen übrigen kurzen Verjährungen, sondern auch bei der allgemeinen Verjährung bei dem gemeinrechtlichen Prinzipe belassen hat, rechtfertigt sich durch folgende Betrachtungen.

Die Obligationen, bei welchen der Entwurf in Art. 154 die zweijährige Verjährung mit Zulassung der erwähnten Befugniß ^desGläubigers eingeführt hat, sind s ä m m t l i c h von der Art, daß eine Befreiung des Schuldners o h n e Befriedigung des Gläubigers iii Folge bloßen Zeitablaufes als eine höchst unbillige Härte gegen den Gläubiger, als eine völlig grundlose Bereicherung des Schuldners, mit dem Schaden des Gläubigers erscheinen müßte. Bei allen diesen Obligationen wird ja vorausgesezt, daß der Schuldner einen bestimmten Vermögenswerth (Arbeit,
bewegliche Sache) wirklich erhalten habe und dafür eine entsprechende Geldsumme schuldig geworden sei. Nur das Forderungsrecht auf diese entsprechende S u m m e , nicht etwa die Entschädigungsforderung des andern Kontrahenten wegen schlechter Arbeit oder mangelhafter Sachlieferung^

196

ist der Verjährung des Art. 154 unterworfen. Eine Berufung des Schuldners auf die Verjährung des Art. 154, wenn er zugesteht, daß die schuldige Summe nicht bezahlt worden sei, wird daher i m m e r als ein durchaus verwerflicher Versuch erscheinen, sich mit dem Schaden des Gläubigers grundlos zu bereichern. Der Wunsch des Schuldners, durch b l o ß e n Z e i t a b l a u f ohne Befriedigung des Gläubigers und gegen dessen Willen frei zu werden, kann hier niemals als ein berechtigter angesehen werden.

Es bilden die Forderungsrechte, welche der Verjährung des Art. 154 unterliegen, einen schroffen Gegensaz zu gewissen anderen ·eigenthümlich gearteten Forderuugsrechten, bei denen umgekehrt wegen ihres besonders gefährlichen Charakters für dea Schuldner ·der Wunsch desselben, d u r c h b l o ß e n Ablauf einer Verjährungsoder ähnlichen peremptorischen Frist, o h n e Befriedigung des Gläubigers und ohne jeden anderen materiellen Tilgungsgrund, frei zu werden, ein durchaus berechtigter ist.

Es sind dieses alle diejenigen Obligatiousverhältnisse, bei ·welchen der Schuldner entweder von vorneherein oder doch bei Verzögerung der Geltendmachung der Forderung Gefahr läuft, durch den Zwang zur Zahlung einen effektiven Vermögensverlust zu erleiden, für den er keinerlei Gegenwerth besizt, und den er auch nicht durch eigenes schuldhaftes Handeln herbeigeführt hat. Dahin gehören alle auf Schadensersaz gerichteten Forderungen (sowohl Kontrakts- als Deliktsklagen), wenn der Schaden durch eine dritte Person, für welche der Schuldner einzustehen hat, ohne wirkliches eigenes Verschulden herbeigeführt worden ist. Dahin gehören ferner alle aus wirklichen Bürgschaften oder aus ähnlichen Rechtsverhältnissen entspringenden Forderungsrechte, in Folge deren der Schuldner gezwungen werden kann, aus seinen eigenen Mitteln eine ihm materiell fremde Schuld zu bezahlen, eine Zahlung zu leisten, für welche nicht er, sondern eine ganz andere Person die entsprechende Gegenleistung erhalten hat. In allen diesen Fällen erleidet der Schuldner einen solchen effektiven Verlust, wenn die dritte Person, für deren culpa er einzustehen hat, oder der materiell verpflichtete Hauptschuldner, für den er sich verbürgt oder doch einem Bürgen ähnlich einzustehen hat, insolvent oder sonst unbelangbar geworden ist.

Dahin gehören auch die wenigen
Obligationsverhältnisse, bei welchen der Schuldner ohne jedes eigene Verschulden für einen ·Schaden einzustehen hat, der durch Z u f a l l (im Gegensaze zur höheren Gewalt) entstanden ist (vgl. Art. 199, 465, 495, 496).

Bei den noch selteneren höchst singulären ObligationsverhältJiissen endlich, welche geradezu eine Bereicherung des Gläubigers

197 mit dem Schaden des Schuldners bezweken, wie nani entlich bei sogenannten z w e i s e i t i g e n Privatstrafen (vgl. Wind>,cheids Pandekten, § 326, Note 10, und Art. 198, Absaz l des Entwurfes) ist der Wunsch des Schuldners, durch bloßen Zeitablauf frei zu werden, selbst dann als berechtigt anzuerkennen, wenn ihm ein e i g e n e s Verschulden zur Last fällt.

Die nicht unter den Gesichtspunkt des Art. 154 fallenden k u r z e n Verjährungen des Entwurfes beziehen sich, abgesehen von zwei ,,Ausnahmefällen (Art. 153 und 339J insgesammt auf solche Obligationsverhältnisse, bei denen jene eigenthümliche Gefahr für den Schuldner entweder immer eintritt oder doch besonders häufig eintreten kann. Bei den Obligationen, auf welche sich die kurzen Verjährungen der Art. 472, 511, 513, 595 bis 599, 622, 647, 704, 705 beziehen, kann ein Zweifel über diesen für den Schuldner gefährlichen Charakter kaum entstehen.

Bei sehr vielen dieser kurzen Verjährungen des Entwurfes ist überhaupt nur der für den Schuldner gefährliche Charakter der Obligation und gar nicht die aus längerem Zuwarten des Gläubigers entstehende Präsumption für wirkliche Befriedigung des Gläubigers das legislative Motiv ihrer Einführung. So z. B. bei den kurzen Wechsel Verjährungen gegenüber rden I n d o s s a n t e n , indem hier die Thatsache der Nichtbefriedigung durch die Protesturkunde außer Zweifel steht und dennoch d e f i n i t i v e Befreiung durch die kurze Verjährung eintreten soll. Offenbar ist hier das alleinige Motiv der kurzen Verjährung die mit jedem Tage wachsende Gefahr des Schuldners, durch Zahlungsunfähigkeit oder sonstige Unbelangbarkeit derjenigen Personen, gegen die er weiteren Regreß zu nehmen berechtigt ist, einen effektiven Vermögensverlust zu erleiden.

Ein ähnlicher Gesichtspunkt liegt auch den kurzen Verjährungen der Art. 273 und 370 zu Grunde, indem sehr häufig der Verkäufer und der Werklieferer durch ein ihnen völlig fremdes Verschulden ihres Personals oder der Personen, von denen sie selbst gekauft oder geliefert erhalten haben, zur Rédhibition oder Schadensersaz verpflichtet und dann der mit jedem Tage wachsenden Gefahr ausgesezt werden, durch Insolvenz oder sonstige Unbelangbarkeit der regresspflichtigen Personen einen effektiven Vermögensverlust zu erleiden.

Auch bei der in Art. 77, Absaz l, angeführten
Verjährung ist kaum an eine Präsumption für wirklich geleistete Zahlung gedacht worden. Daß die von dieser Verjährung betroffenen Klagen sehr häufig die erwähnte Gefahr für den Schuldner mit sic'h bringen können, geht aus den obigen Erörterungen über die Verantwortlichkeit für das Personal und aus Art. 66, 67, 68, 69 und 72 hervor.

Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. I.

14

198 Was die kurze Verjährung des Art. 153 und die Verjährung des Art. 339 betrifft, so muß zugegeben werden, daß hier von einem für den Schuldner gefährlichen Charakter der Obligation inr dem angegebenen Sinne nicht die Rede sein kann.

Der kurzen Verjährung der Zinsschulden liegt offenbar vorwiegend dieselbe Präsumption der Befriedigung zu Grunde, wie bei den Obligationen des Art. 154; daß man hier die Befugniß de» Gläubigers im Sinne des Absaz 2 des Art. 154 nicht zuläßt, rechtfertigt sich aber durch die Erwägung, daß der Schuldner :diirch die allzulange Nachsicht, durch das mehrjährige Auflaufen der periodischen Leistungen gar nicht selten in ökonomische Verlegenheiten versezt wird, in die er bei prompterer Einklagung nicht gekommen sein würde. Bei dem in Art. 339 normirten Verhältnisse (Verabredung der Eingehung eines Darlehnsverhältnisses) kommt weder eine Vermuthung der Erfüllung noch ein besonders gefährlicher Charakter der erwähnten Art in Betracht. Es ist dasselbe aber seiner Natur nach so sehr auf eine rasche Erledigung berechnet, daß eine längere Verzögerung derselben im wohlverstandenen Interesse beider Kontrahenten nur als freiwilliger Rüktritt ausgelegt werden kann. ' Nach diesen Betrachtungen wird die entgegengesezte Behandlung der kurzen Verjährung des Art. 154 und aller übrigen kurzen Verjährungen kaum noch auffallen.

In Beziehung auf die allgemeine Verjährung von 10 Jahren liegt schon darin, daß diese eben für alle Obligationen, und somit auch für alle diejenigen gilt, welche den erwähnten gefährlichen Charakter für den Schuldner an sich tragen, hinreichender Grund dafür, daß man dabei eine ähnliche Befugniß, wie sie der Absaz 2 des Art. 154 dem Gläubiger einräumt, jedenfalls nicht allgemein und unbedingt zulassen durfte.

Gegen eine bedingte Zulassung der Befugniß spricht aber die Erwägung, daß der erwähnte gefährliche Charakter der Obligation vorhanden sein k a n n , ohne äußerlich erkennbar hervorzutreten.

So z. B. kann sogar eine ganz gewöhnliche Darlehns- oder Kaufgeldforderung diesen Charakter äußerlich unerkennbar an sich tragen, wenn der Entlehner oder Käufer zwar in eigenem Namen, aber für Rechnung eines Dritten (vgl. Art. 43, Absaz 2, Art. 438, 553, Absaz 1) gehandelt hatte.

Daß man aber selbst dann, wenn im einzelnen Falle z u g e s t a n d e n e r m a ß e n weder
eine Zahlung erfolgt, noch irgend eine andere Einrede begründet ist, und überdieß zugestandenermaßen das Obligationsverhältniß sich n i c h t als ein solches qualifizirt, bei

199 welchem die erwähnte Gefahr für den Schuldner besteht, die Berufung auf die 10jährige Verjährung gestattet, bedarf noch einer weitern Rechtfertigung.

Diese ist nur darin zu finden, daß bei dieser allgemeinen langen Verjährung nicht bloß die erwähnten Privatinteressen der Parteien, sondern bis zu einem gewissen Maße auch öffentliche Interessen (Verminderung und Vereinfachung der Prozesse im Allgemeinen) berüksichtigt werden. Insbesondere sollen die Gerichte nicht ohne dringende Gründe in die immerhin mißliche Lage versezt werden, sich über thatsächliche Vorgänge aussprechen zu müssen, die vor s e h r l a n g e r Zeit stattgefunden haben, und daher in der Regel nur mit großer Mühe festzustellen sind. Durch die Rüksicht auf dergleichen öffentliche Interessen erklärt es sich, daß man dem Gläubiger für Versäumniß der l Ojährigeif Verjährungsfrist den definitiven Verlust seiner Forderung auch dann, wenn erweislich dem Schuldner dadurch eine grundlose Bereicherung zugewendet würde, somit gleichsam als Strafe für die Nichtbeachtung öffentlicher Interessen angedroht hat.

Auf diesen Gesichtspunkt läßt sich auch die Bestimmung des Art. 155 zurükführen, daß durch Privatverfügung die 10jährige Verjährung nicht verlängert oder gänzlich wegbedungen werden könne.

Daß gemeinen nicht als ist, geht

übrigens dieser Gesichtspunkt auch bei der langen allVerjährung durchaus nicht als der vorwiegende, durchaus das Hauptmotiv für ihre Einführung betrachtet worden aus den Bestimmungen in Art. 177 und 178 hervor.

Hier wird der Verzieht auf die Einrede der Verjährung nach deren Vollendung für verbindlich erklärt und dem Richter verboten, die Einrede der Verjährung von Amtswegen zu ergänzen.

§ 10.

Mobiliar-Sachenrecht (Art. 217 bis 244).

Der Entwurf hat in Titel VI des allgemeinen Theiles 1) die Lehre vom Uebergange des Eigentums an beweglichen Sachen, Art. 217 bis 219, 226, Absaz l, und die damit im Zusammenhange stehenden Fragen betreffend üebergang der Gefahr bei Veräußerung beweglicher Sachen, Art. 220, und betreffend Vindikation beweglicher Sachen, Art. 221 bis 225 und Art. 226, Absaz 2, 2) die Lehre vom Pfandrechte an beweglichen Sachen und Forderungsrechten, Art. 227 bis 239,

200

3) die Lehre vom Retentionsrecht an beweglichen Sachen, Art. 240 bis 244, sehr ausführlich und zum Theil sehr tief in das bisherige kantonale Recht einschneidend behandelt.

In Beziehung auf die Lehre vom Eigenthumsübergange an beweglichen Sachen und die damit zusammenhängenden Fragen stehen sich zwei grundaus verschiedene Systeme, das gemeinrechtliche oder römische, welches vielfach den kantonalen Rechten der deutschen Schweiz, so namentlich dem Zürcher Gesezbuche zu Grunde liegt, und das französische gegenüber.

Nach dem römischen Systeme geht das Eigenthum an einer beweglichen Sache durch den V e r ä u ß e r u n g s v e r t r a g (Kauf, Tausch, Schenkung u. s. w.) n i c h t über, sofern nicht ein weiterer Vorgang, vermöge dessen der Brwerber die thatsächliche Herrschaft über die Sache erlangt (traditio, Besizesühergäbe) stattgefunden hat.

Durch den Veräußerungsvertrag als solchen, ohne Besizesühergäbe, wird nur ein Forderungsrecht gegen den Veräußerer auf Besizübertragung, aber kein Recht an der Sache selbst begründet. Bricht der Veräußerer diese obligationeurechtiiche Verpflichtung und überträgt er den Besiz an eine andere Person, mit der er ein zweites Veräußerungsgeschäft über ganz dieselbe Sache abgeschlossen hat, so geht sein Eigenthum auf diese Person über und zwar selbst dann, wenn sie die allergenaueste Kenntniß von dem früheren Veräußerungsvertrage gehabt haben sollte. Fällt der Veräußerer, ehe es zur Besizesühergäbe gekommen ist, in Konkurs, so gehört die Sache zu den Konkursaktiven und kann von dem etwaigen Käufer selbst dann nicht vindizirt oder aus der Masse separirt werden, wenn er den verabredeten Preis längst bezahlt hat oder doch Zug um Zug an die Masse zu bezahlen bereit ist. Seine Entschädigungsforderung wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages von Seiten der Masse ver waltung wird als gewöhnliche laufende Forderung kollozirt. Es kann dieses namentlich dann sehr hart gegen den Käufer sein, wenn die Sache inzwischen an Werth bedeutend zugenommen hat. Die Konkursgläubiger sind selbst dann nicht zur Herausgabe der Sache in natura verpflichtet, wenn es für den Käufer von Vortheil sein würde, den verabredeten Preis gegen Auslieferung der Sache zum zweiten Male zu bezahlen.

Diese Härte gegenüber einem Käufer erscheint um so auffallender, als nach dem römischen System der Uebergang
der G e f a h r (Verschlechterung, Untergang der Sache) durchaus n i c h t mit dem Eigenthumsübergange zusammenfällt. Die Gefahr geht u n m i t t e l b a r durch den Abschluß des Veräußerungsvertrages mit individuell bestimmtem Objekte schon vor der JBesizesübertragung ·>

201 über. Der Käufer muß daher den versprochenen Preis auch dann zahlen, wenn die Sache vor der Besizesübergabe gänzlich untergegangen, verschlechtert oder entwerthet ist. Auch der Konkursmasse des Verkäufers gegenüber kann er die nachträgliche Zahlung des Preises nicht vorenthalten, wenn die Sache gänzlich untergegangen ist, oder wenn die Gläubigerschaft im Falle der bloßen Verschlechterung oder Entwerthung es für gut findet, den Veräußerungsvertrag freiwillig zu erfüllen, d. h. die verschlechterte oder entwerthete Sache in natura aushinzugeben.

Aber auch der gutgläubige Erwerber der beweglichen Sache, dem sie auf Grund eines Veräußerungsvertrages thatsächlich übergeben wurde, ist nach dem römischen Systeme Gefahren ausgesezt, die für ihn als eine unbillige Härte erscheinen können, und überdies mit den Bedürfnissen des Verkehres im größten Widerspruche stehen.

Er erwirbt nämlich durch die Besizesübergabe ohne alles Weitere Eigenthum nur dann, wenn der Veräußerer selbst Eigenthümer war.

War der Veräußerer selbst n i c h t Eigenthümer, so kann, abgesehen von dem besondern Falle, wenn der Fiskus veräußert hatte (vgl. Windscheid, Pandekten § 165, Note 6), oder wenn fremde Geldstüke mit den eigenen des Erwerbers vermischt worden sind (Windscheid, § 189, Note 8), der wahre Eigenthümer die Sache dem gutgläubigen Besizer gegenüber vindiziren, ohne ihm den dafür gezahlten Kauf- oder Tauschpreis zu ersezen. Nur fortgesezter gutgläubig erworbener Besiz während drei Jahren, und bei gewissen Sachen, so namentlich bei gestohlenen oder auch nur unterschlagenen Sachen, erst nach 30 Jahren, begründet ohne Rüksicht darauf, ob der Veräußerer selbst Eigeuthümer war oder nicht, volles gegen jede Vindikation geschüztes Eigenthum.

Nach dem französischen System verhält sich dieses Alles ganz .anders. , Durch den bloßen Veräußerungsvertrag über eine individuell bestimmte Sache geht ohne alles Weitere, namentlich ohne Besizesübertragung, das Eigenthum des Veräußerers und die Gefahr auf den Erwerber über (Art. 938, 1138 und 1583 des'Code civil).

Sofern der Erwerber den Kaufpreis oder sonstigen versprochenen Gegenwerth bezahlt hat oder zu zahlen bereit und im Stande ist (Code civil, Art. 1613), kann er, obwohl keinerlei Besizesübergabe stattgefunden hatte, die Sache nicht nur aus den Händen des Veräußerers selbst, oder aus seiner Erb- oder Konkursmasse, sondern auch aus den Händen eines Dritten, der den Besiz der Sache später

202 von demselben Veräußerer nachweisbar in b ö s e m G l a u b e n erworben hat (Art. 1141 und 1599), als E i g e n t h ü m e r abfordern.

Daß dieses Recht des Erwerbers in schroffem Gegensaze zu dem römischen System im Konkurse des Veräußerers den Charakter einer V i n d i k a t f o n und nicht etwa den einer laufenden Forderung an sich trägt, scheint nach der französischen Praxis unbestritten zu sein. (Vgl. Pardessus, cours de droit commercial, n°" 1273 et 1177.)

Dagegen wird der g u t g l ä u b i g e Besizerwerber einer beweglichen Sache ohne Rüksicht darauf, ob der Veräußerer selbst Eigenthümer war oder nicht, in ganz anderer, viel wirksamerer Weise, wie nach dem römischen Recht, in Schuz genommen.

Gutgläubiger Besizerwerb einer beweglichen Sache aus der Hand eines N i c h t eigenthümers gilt ohne Weiteres, ohne daß dazu der Ablauf einer Ersizungsfrist erforderlich ist, a l s Eigenthumserwerb. Dieses ist der Sinn von Art. 2279 : ,, En fait de meubles la possession vaut titre. tt Dieses Prinzip wird aber nicht konsequent durchgeführt, indem verlorene oder gestohlene Sachen drei Jahre lang, vom Momente des Verlustes oder Diebstahles an gerechnet, vom Verlierer oder Bestohlenen aus der Hand eines gutgläubigen Besizerwerbers vindizirt werden können. Dabei hat der Vindikant dem gutgläubigen Erwerber im Allgemeinen den Gegenwerth, den dieser für den Erwerb der Sache gegeben hat, nicht zu ersezen. Einzig und allein, wenn der gutgläubige Erwerber die verlorene oder gestohlene Sache auf einer Messe, einem Markt oder bei einem öffentlichen Verkaufe oder bei einem Kaufmanne, der mit dergleichen Sachen handelt, gekauft hatte, kann er vom Vindikanten Ersaz des Preises verlangen.

In sämmtlichen früheren Entwürfen (1871, 1875 und 1877) hatte man das römische System vollständig verworfen und sich ia allen Punkten an das französische System angeschlossen. Man hatte, aber das Prinzip, daß gutgläubiger Besizerwerb als Eigenthum gelten solle, in seiner vollen Konsequenz durchgeführt; man hatte die Ausnahme bezüglich verlorener und gestohlener Sachen einfach gestrichen.

Zur Verwerfung des römischen Systems betreffend die Nothwendigkeit der Besizesübergabe für den Eigenlhumsübergang bestimmte zunächst die augenscheinliche Unbilligkeit, welche die oben erwähnten praktischen Konsequenzen desselben für den Käufer (Ertauscher oder sonstigen onerosen Erwerber) mit sich bringen, wenn die Veräußerer vor der Besizesübergabe in treubrüchiger Weise die

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Sache an einen bösgläubigen zweiten Erwerber tradirt, oder in Konkurs geräth. Ferner ging man von der Ansicht aus, es entspreche demi gemeinen Sprachgebrauch und der natürlichen Anschauungsweise weit mehr, wenn Jemand, auf welchen die Gefahr des Unterganges oder der Verschlechterung oder Entwerthung schon vor der Besizesübergabe bereits in dein Sinne übergegangen ist, daß er den Gegenwerth für die untergehende oder verschlechterte oder entwerthete Sache voll und unverkürzt zahlen muß, auch schon vor der Besizesübergabe E i g e n t h ü m e r genannt und als solcher dem Veräußerer, seinen Erben und Konkurskreditoren und einem u n r e d l i c h e n Singularsuccessor desselben gegenüber behandelt werde.

Endlich glaubte man durch Verwerfung des römischen Systems der großen Schwierigkeit der juristischen Konstruktion gewisser Verkehrserscheinungen überhoben zu sein, denen · man, ohne mit unabweisbaren Bedürfnissen in Widerspruch zu treten, die gesezliche Anerkennung nicht versagen kann. Der Uebergang des Eigenthums durch Konnossemente und ähnliche Papiere (Lagerschein, Ladeschein u. s. w.), welcher vom Standpunkte des römischen Systems aus so viel Kopfzerbrechens verursacht. (Vgl. Goldschmidt, Handbuch des -Handelsrechts, 1. Aufl., § 73, Seite 718 u. f., § 79, Note 3, Seite 803, und Exner, die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition, Seite 186 bis 211), hat durchaus nichts Auffallendes, sofern man überhaupt die Möglichkeit der Eigenthumsübertragung o h n e Besizesübergabe zugesteht.

Zur Annahme des französischen Prinzips betreffend den Eigenthumserwerb durch gutgläubigen Besizerwerb einer beweglichen Sache ohne das Erforderniß einer ergänzenden Ersizung von 3 oder 30 Jahren, und zur Beseitigung der speziellen Ausnahmen betreffend verlorene oder gestohlene Sachen waren die früheren Entwürfe durch folgende Betrachtungen gelangt.

Man ging von der Ansicht aus, daß die Bedürfnisse des modernen Verkehrslebens eine Beschränkung des Vindikationsprinzips des römischen Rechtes bei beweglichen Sachen wenigstens in dem Maße erforderlich machen, wie es das französische System mit sich bringt.

Man glaubte aber den weiteren Schritt thun zu sollen, auch bei gestohlenen und verlorenen Sachen dem gutgläubigen Besizerwerber denselben Schuz zu gewähren, der ihm bei bloß u n t e r s c h l a g e n e n nach dem Code civil
u n b e d i n g t , und auch nach deutschem Handelsgesezbuche, Art. 306, wenigstens unter der Bedingung gewährt wird, daß die Sache von einem Kaufmanne in dessen Handelsbetriebe veräußert und übergeben worden ist.

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Die Unterscheidung zwischen gestohlenen oder verlorenen Sachen einerseits und den unterschlagenen andererseits beruht auf einem altgermanischen Prinzip: ,,Hand wahre Hund". Innere, aus den Bedürfnissen des Verkehres und allgemeinen Prinzipien des Rechtes und der Billigkeit entnommene Gründe für diese Unterscheidung seien aber -- so argumentirten die- Verfasser der früheren Entwürfe -- schwer zu finden. Der Vorwurf der Nachläßigkeit, der den Eigenthümer trifft, welcher seine Sache einem ungetreuen.

Mittelsmanne anvertraute, und dadurch zu der Täuschung des redlichen Besizerwerbes Veranlaßung gibt, werde in den meisten Fällen mit mehr Recht demjenigen gemacht werden können, der die Sache .verloren hat. Dieses ist auch bei der Motivirung eines Gesezes des Kantons Basel-Stadt von '1864, welches unterschlagene und verlorene Sachen gleichgestellt hat, sehr nachdrüklich betont worden.

(Vgl. Munzinger's Motive zum schweizerischen Handelsgesezbuche, Seite 228.) Aber auch bei gestohlenen Sachen werde man dem Vindikanten eher eine Nachläßigkeit vorwerfen können, als Demjenigen, der dem tha thatsächlichen B e s i z e r der Sache,-welcher unter durchaus unverdächtigen Umständen sich als Eigen th um er gerirte, Glauben geschenkt und für die Aushingabe des Besizes einen, angemessenen Preis vergütet hat.

Durchschlagend war für die Verfasser der Entwürfe von 1871,, 1875 und 1877 die Erwägung, daß jedenfalls gar kein innerer Grund vorhanden sei, zwischen solchen Inhaberpapieren, welche n i c h t zur Cirkulation, wie Geld, sondern vielmehr zu dauerndem Besize, ähnlich fruchttragenden Sachen, bestimmt sind, einerseits, und allen übrigen nicht wie G e l d cirkulirenden beweglichen Sachen anderseits in Beziehung auf Vindikabilität eine Unterscheidung zu machen, wie dieses im deutschen Handelsgesezbuche Art. 307 geschehen ist.

Wenn man bei allen beweglichen Sachen, einschließlich der H a n d e l s w a a r e n (selbstverständlich mit Ausnahme des Geldes), dem Bestohlenen oder Verlierer die Vindikation einräumt, warum soll man sie bei denjenigen Werthobjekten ausschließen, die heutzutage gerade den w i c h t i g s t e n Bestandthe.il des Mobiliarvermögens bilden? Sollte nicht Jemand, welchem durch Einbruch und Diebstahl seine zins- und dividendentragenden Inhaberpapiere wider seinen Willen abhanden kommen, weit eher
des Schuzes durch Vindikation bedürfen, als Derjenige, welcher seine goldene Uhr verloren hat, oder dem ein Hund davongelaufen ist?

Man glaubte daher sich in das Dilemma versezt, entweder auch bei Inhaberpapieren, im Widerspruche mit dem deutschen Handelsgesezbuche und einer auch in der deutschen Schweiz sehr

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verbreiteten Ansicht (vgl. das Zürcher Gesezbuch, § 1106) dem Verlierer oder Bestohlenen die Vindikation gegen den gutgläubigen Besizerwerber gestatten, oder jenen Unterschied zwischen unterschlagenen Sachen einerseits und gestohlenen und verlorenen Sachen andererseits gänzlich fallen lassen zu müssen.

Das französische Recht hat sich im Art. 14 des Gesezes vom 15. Juni 1872, in welchem ausdrüklich für Inhaberpapiere die Art. 2279 und 2280 des Code civil als anwendbar hingestellt werden, für die erstere Alternative entschieden.

Die Kommission entschied sich dagegen in denBerathungen, aus denen die Entwürfe von 1875 und 1877 hervorgegangen sind, mit dem von Munzinger verfaßten Entwurfe von 1871 (Art. 216 und 219) für die leztere Alternative.

Der jezt vorliegende Entwurf hat der entschiedenen Abneigung, welche sich gegen die durchgreifende Verwerfung des römischen Systems auf dem schweizerischen Juristentage, sowie in einer Reihe von Eingaben aus der deutschen Schweiz (der Basler Handelskammer, des Regierungsrathes und Obergerichts von Baselland, des Regierungsrathes von Unterwaiden n. d. W. u. s. w.), ja sogar auch bei einigen Juristen der französischen Schweiz (vgl. die Eingabeder juristischen Fakultät in Lausanne) geltend machte, Rechnung, getragen.

Er hat. zwischen dem römischen und französischen System einen: Mittelweg eingeschlagen.

Im Art. 217 ist das römische System betreffend die Nothwendigkeit der Besizesübergabe für vertragsmäßige Eigenthumsübertragung prinzipiell festgehalten.

Um aber die oben erwähnten Härten für den Käufer oder sonstigen onerosen Erwerber zu ermäßigen, hat man in Art. 218den Begriff der Besizesübergabe wesentlich erweitert und im Art. 220 den römischen Saz, daß bei perfektem Veräußerungsvertrage schon, vor dem Eigenthumsübergange die Gefahr übergehe, prinzipiell abgeschafft.

Hinsichtlich der Vindikationslehre hat man das französische System völlig unverändert mit seiner Zulassung der Vindikation verlorener und gestohlener Sachen, Art. 221 bis 224, rezipirt. Ummit demselben nicht durch die in Art. 218 erweiterte Definition der Besizesübergabe in Widerspruch zu gerathen, war es nothwendig, hinzuzufügen, daß in Beziehung auf die Vindikationsfragedie Besizesübergabe n i c h t , als vollzogen gelte, so lange die veräußerte Sache im Gewahrsam des Veräußerers verbleibt (Art. 221,, Absaz 1; Art. 222, Absaz 2).

206 Um der obigen Erwägung bezüglich des innerlich nicht begründeten Unterschiedes zwischen Inhaberpapieren und anderen beweglichen Sachen Rechnung zu tragen, hat man in Art. 225 ·auch bei Inhaberpapieren dem Verlierer und Bestohlenen die VindiJjation eingeräumt. Nur bei solchen Inhaberpapieren, die offenbar wie Geld zu zirkuliren bestimmt (Banknoten), oder doch dazu geeignet sind (verfallene Coupons), hat man das Prinzip des Art. 307 des deutschen Handelsgesezbuches angenommen. Außerdem mußte man die Interessen des schweizerischen Verkehres mit Ländern, in welchen das Prinzip des deutscheu HHndelsgesezbuches Anwendung findet, billig berüksichtigen. Man hat daher Art. 225, Nr. 2, die Vindikation eines verlorenen oder gestohlenen Inhaberpapieres, das aus einem solchen Lande in gutem Glauben gegen Entgelt erworben ·worden ist, auch innerhalb der Schweiz ausgeschlossen.

Im Art. 219 hat man Bestimmungen über gewisse Rechtsgeschäfte aufgenommen, die ganz besonders häufig von bedrängten Schuldnern zur Benachtheiligung ihrer Gläubiger eingegangen werden, nämlich über das sog. constitutum possessorium einerseits und das ;sog. pactum reservati dominii andererseits.

Das Erstere, die Uebertragung des Eigenthums, ohne daß die iSache reell in den G e w a h r s a m des Eigenthümers gelangt, welches an sich nach dem Systeme des Entwurfes durch den erweiterten Begriff der Besizesübergabe, Art. 218, sehr erleichtert ist, soll nur insofern gelten, als nicht eine Benachtheiligung der Gläubiger der Person, welche die Sache in ihrem Gewahrsame behält, beabsichtigt wurde.

Das Leztere, die Uebertragung des Besizes der Sache auf Grund eines Veräußerungsvertrages mit der Verabredung, daß da,s Eigenthum beim Veräußerer zur Sicherheit einer Forderung desselben, z. B. bezüglich des Kaufpreises, zm-ukbleiben, solle, wird geradezu den anderen Gläubigern des Besizerwerbers gegenüber für unwirksam erklärt.

Dieses Verbot des pactum reservati dominii, obwohl dem bisherigen Rechte völlig fremd, hat insofern durchaus nichts Auffallendes, als es mit den Prinzipien in Einklang steht, welche der Entwurf in Uebereinstimmung mit dem französischen Rechte (Code ·civil art. 2076, Code de commerce art. 92) und der Mehrzahl der tantonalen Rechte (vergi. Munzinger's Motive. Seite 465 u. ff.) der Lehre vom Pfandrechte au beweglichen Sachen
in den Art. 227 «nd 235 zu Grunde gelegt hat. Nach Art. 227 soll keinerlei vertragsmäßiges Pfandrecht an beweglichen Sachen oder Inhaberpapiereu errichtet werden können, welche im Gewahrsam des Verpfänders

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verbleiben. Es soll überhaupt nur ein wirkliches Faustpfandrecht an beweglichen Sachen durch Vertrag errichtet werden können.

Ja, nach Art. 235 verliert ein an sich gültig entstandenes Faustpfandrecht seine Wirksamkeit, sobald die Sache mit Zustimmung des Gläubigers wieder in den Gewahrsam des Verpfänders gelangt.

Durch diese Prinzipien der Art. 227 und 235 wird sehr tief nur in diejenigen kantonalen Rechte eingeschnitten, welche in ähnlicher Weise, Wie das zürcherische Gesezbuch, Pfandrechte an beweglichen Sachen, die im Besize des Schuldners verbleiben (hypotheca im engern Sinne), gestatten. Die nach dem zürcherischen Gesezbuche, Art. 874 bis 886, sehr speziell normirten gemeindeammannamtlichen Pfand verschreibungen von beweglichen Sachen, die im Gewahrsame des Verpfänders verbleiben, sind durch die Art. 227 und 235 des Entwurfes abgeschafft und für rechtlich unmöglich erklärt.

. Mit den Prinzipien der Art. 227 und 235 steht die im Art. 219, Absaz 2, enthaltene Bestimmung insofern vollkommen im Einklang, als durch das sog. pactum reservati domimi im Grunde genommen unter dem äußern Scheine eines Eigenthumsrechtes nur ein sehr weit gehendes Pfandrecht des Veräußerers an der im Besize seines Schuldners befindlichen Sache bezwekt wird.

Im Uebrigen ist über das Pfandrecht, wie es in den Art. 227 bis 229 näher normirt worden ist, nur noch hervorzuheben, daß in Art. 229 Demjenigen, welcher auf Grund eines F a u s t p f a n d v e r t r a g e s in gutem Glauben den Besiz einer beweglichen Sache oder eines Inhaberpapieres von einem Nichtbereehtigten erworben hat, ganz derselbe Schuz gegen Vindikation gewährt wird, wie Demjenigen, der den Besiz der Sache auf Grund eines V e r ä u ß e r u n g s v e r t r a g e s von einem Nichteigenthümer in gutem Glauben erworben hat. Der gutgläubige Besizerwerber der Sache zu Faustpfand kann nur dann, wenn die Sache g e s t o h l e n oder v e r l o r e n war, ohne Zahlung der darauf haftenden Pfandschuld zur Herausgabe der Sache angehalten werden.

Was endlich das Retentionsrecht (Art. 240 bis 244) anbetrifft, so ist dasselbe im Wesentlichen dem deutschen Handelsgesezbuche (Art. 313 bis 315) ähnlieh gestaltet.

Das Retentionsrecht des deutschen Handelsgese/buches bezieht sich n u r auf den Verkehr unter Kaufleuten. Der Entwurf hat dagegen dieses Retentionsrecht ganz
allgemein auch für den Verkehr unter Nichtkaufleuten eingeführt, wenn die F o r d e r u n g , zu deren Sicherheit dasselbe dienen soll, und die S a c h e des Schuldners, die im Gewahrsam oder sonst in der Verfügungsgewalt des Gläubigers sich befindet, in einem nachweisbaren Zusammenhange stehen.

208 Fehlt es an einem solchen nachweisbaren Zusammenhange, so erkennt auch der Entwurf das Retentionsrecht nur an, wenn sowohl die Forderung als auch die Innehabung der Sache des Schuldners aus dem geschäftlichen Verkehre zwischen Kaufleuteu hervorgegangen sind.

Zu den Kaufleuten im Sinne unseres Entwurfes dürften wohl nach Analogie der Bestimmungen der Art. 430, 562, 600, 882 Nr. l alle die gerechnet werden, welche ein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben.

Durch die Generalisirung des Retentionsrechtes für den Fall des nachweisbaren Zusammenhanges ist einem Bedürfnisse Rechnung getragen worden, das sich auch schon in der- gemeinrechtlichen Praxis vielfach geltend gemacht hat (vergi. Goldschmidts Handbuch, t. Auflage, § 94).

Ein weiterer Vorzug des Entwurfes gegenüber dem deutschen Handelsgesezbuche dürfte darin zu finden sein, daß der Entwurf für die Wirkungen des Retentionsrechtes ein weit einfacheres und klareres Prinzip aufgestellt hat. Es wird nämlich den Retentionsberechtigten, sobald sämmtliche Voraussezungen für die Geltendmachung des Retentionsrechtes vorliegen, die Befugniß eingeräumt, nach vorgängiger Benachrichtigung des Schuldners alle Rechte eines Faustpfandgläubigers an den Retentionsobjekten geltend zu machen.

§ 11-

Von den Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten und Handlungsreisenden. Art. 430 bis 437.

Mit dem Fremdworte ,,Prokura" bezeichnet der Sprachgebrauch des Handelsstandes in allen Ländern deutscher Zunge eine sehr weit gehende Vollmacht zum Betriebe eines Handelsetablissementes, vermöge deren sogar W e c h s e l v e r b i n d l i c h k e i t e n für den Prinzipal gezeichnet werden können. Der Inhaber einer solchen Vollmacht wird P r o k u r i s t , P r o k u r a t r ä g e r oder P r o k u r a f ü h r e r genannt.

Das deutsche Handelssesezbuch hat. an diesen eigenthümlicheu Sprachgebrauch und damit verbundene Handelssitten, die ganz besonders auch in deutsch-schweizerischen Handelsstädten (St. Gallen, Basel und Zürich) verbreitet sind, sich anschließend, ein ganz eigenthümliches Handelsrechtsinstitut geschaffen.

,,Prokura" ist hienach eine höchst generelle Vollmacht zum Betriebe eines Handelsetablissements, deren Umfang durch daa O

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209

Gesez selbst in der Weise näher bestimmt ist, daß er Dritten gegenüber n i c h t wirksam beschränkt werden könne.

Die Ertheilung dieser weitgehenden und unbeschränkbaren Vollmacht ist an keine besondere Form gebunden; sie kann sogar rein thatsächlich vor sich gehen, so z. B., wenn der Prinzipal wissentlich duldet, daß sich Jemand als sein Prokurist dem Publikum gegenüber gerirt.

Jedoch ist es dem Prinzipal bei Meldung von Ordnungsbußen .zur Pflicht gemacht, die Ertheilung der Prokura in das öffentliche Handelsregister (Ragionenbuch u. s. w.) eintragen zu lassen.

Die einmal rechtsgültig ertheilte Prokura wird zu Gunsten gutgläubiger Dritter, ungeachtet eines Widerrufes derselben, so lange als fortbestehend angesehen, bis der Widerruf in das Handelsregister eingetragen und publizirt ist. Sogar der Tod des Prinzipals beendigt die Prokura nicht ohne Weiteres. Es ist Sache der Erben oder ihrer gesezlichen Vertreter, wenn sie es in ihrem Interesse finden, die Prokura nach dem Tode des Prinzipals aufzuheben, dieses in das Handelsregister eintragen und publiziren zu lassen.

Obgleich durch dieses Institut sehr tief in das bisherige Recht der französischen Schweiz, die dasselbe weder dem N a m e n , noch der S a c h e nach kennt, eingeschnitten wird, hatte doch schon Munzinger in dem Entwürfe zu einem schweizerischen Handelsgesezbuche 1865 dessen Rezeption empfohlen. Dabei wurde schon damals seine Generalisirung für andere Berufsstände außer dem eigentlichen Handelsstande, in ganz ähnlicher Weise wie in dem vorliegenden Entwurfe, beantragt. Es sollte für Kaufleute an dem Prinzipe des deutschen Handelsgesezbuches festgehalten werden, daß die Ertheilung der Prokura auch o h n e Eintragung in die Handelsregister wirksam werden könne. Dagegen gestattete man den Nicht-Kaufleuten die Prokuraertheilung mit denselben Wirkungen , aber nur sofern die Eintragung in das Handelsregister stattgefunden hat (Vergi. Munzingers Motive, Seite 49 bis 54).

Die Entwürfe von 1871, 1875 und 1877 waren in der iSirung dieses Institutes noch weiter gegangen, indem sie Inhaber n i c h t k o m m e r z i e l l e r Unternehmungen eine ertheilung o h n e vorherige Eintragung in's Handelsregister werden Hessen.

Generaliauch für Prokurawirksam

Der jezt vorliegende Entwurf hat n u r dem Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes die Ertheilung einer Prokura ohne vorherige Eintragung in das Handelsregister ermöglicht; bei anderen

210 Berufsarten ist dagegen die Eintragung nicht bloß eine Verpflichtung des Prinzipals, sondern vielmehr (ganz so, wie nach Art. 41 des Munzinger'sehen Entwurfes für ein Handelsgesezbuch) die wesentliche Vorauesezung der wirksamen Prokuraertheilung.

Außer dem Institute der ,,Prokura a ist auch das der ,,Handlungsbevollmächtigten tt aus dem deutschen Handelsgesezbuche in deu Entwurf aufgenommen worden. Bei lezterem hat man jedoch eine Ausdehnung auf andere Berufsarten, welche nicht zu den nach kaufmännischer Art geführten Gewerben gehören, nicht für angemessen erachtet.

IP Beziehung auf die ,,Handlungsreisenden" hat der Entwurf, wie er _jest vorliegt, abweichend von den Vorschlägen Munzinger's, Art. 34 des Schweiz. Handelsgesezbuches, und von sämmtlichen früheren Entwürfen von 1871, 1875 und 1877, ein dem deutschen Haudelsgesezbuche entgegengeseztes Prinzip aufgestellt. Der Art. 437 hat für alle Handlunssreisenden, mosten sie in einem dauernden O ?

O Dienstverhältnisse zum Prinzipal stehen (Commis voyageurs) oder nicht (sog. Provisionsreisende), sich gegen jede präsumptive Ermächtigung zum Inkasso, oder zur Quiturung, oder zur Bewilligung von Zahlungsfristen entschieden. Zur Rechtfertigung dieser Bestimmung kann angeführt'werden, daß das entgegengesezte Prinzip des deutschen Handelsgesezbuches, Art. 49, und aller früheren Entwürfe jedenfalls nicht für die sog. Provisionsreisenden paßt, und daß die Unterscheidung dieser von dauernd angestellten Reisenden, oft große Schwierigkeit verursacht. Außerdem wurde durch dea Art. 437 einem dringenden Wunsche der Kommissionsmitglieder aus der französischen Schweiz Rechnung getragen.

§ 12.

Kollektivgesellschaft. Art. 562 bis 599.

Die Gestaltung, welche dns Institut der Kollektivgesellschaft: (offene Handelsgesellschaft, solidarische Handelsgesellschaft) im.

deutschen Handelsgesezbuche, Art. 85 bis 149, erholten hat, stimmt im Wesentlichen mit der Praxis des französischen Rechtes und den Rechtsanschauungen und Bedürfnissen des gesammten europäischenHandelsstandes überein.

Es kann daher wohl kaum als ein Mißgriff betrachtet werden,, wenn der Entwurf sich im Allgemeinen an die Bestimmungen des deutschen Handelsgesezbuches angeschlossen und, abgesehen von mannigfachen Redaktionsänderungen, Vereinfachung des Styles und' Entscheidung kontroverser Detaillrngen, nur in ganz wenigen Punkten, prinzipielle Aenderungen vorgenommen hat.

21l: Diese Aenderungen sind folgende: 1. Die Ausdehnung des Instituts auf a n d e r e , nicht kaufmännische Gewerbe, Art. 562, Absaz 3.

2. Die Milderung der Solidarhaft der einzelnen Gesellschafterdurch Behandlung derselben nach Analogie einfacher Bürgen, Art. 574, Absaz 3.

3. Größere Berüksichtigung der Interessen der Privatgläubigerim Konkurse der Gesellschaft, Art. 577.

4. Gestaltung der Abfindung eines ausscheidenden oder ausgeschlossenen Gesellschafters auch dann, wenn die Gesellschaft nur aus 2 Personen bestanden hat, Art. 587, Absaz 2,., und Art. 588.

5. Ermächtigung der geschäftsführenden Gesellschafter, sofern?

in ihrer Person kein Hinderniß eingetreten ist, nach gänzlieber Auflösung der Gesellschaft als Liquidatoren zu fungiren,, Art. 590.

Zu 1.

Nach dem deutschen Handelsgesezbuche und dem französischen Code de commerce ist eine K o l l e k t i v g e s e l l s c h a f t mit ihren Eigenthümlichkeiten gegenüber einer gewöhnlichen oder civilen Gesellschaft (m unserem Entwurfe ,,einfache Gesellschaft," genannt), namentlich mit der weitgehenden gesezlichen Vertretungsbefugniß, jedes einzelnen Mitgliedes und der Behandlung des Gesellschaftseigenthums, als wäre es das eines besondern Rechtssubjektes (im Gegensaz zum römischen condominium), n u r möglich, wenn es sich, um den Betrieb eines Handelsgewerbes handelt.

Der Entwurf hat zwar in Art. 562 die Möglichkeit einerKollektivgesellschaft o h n e vorherige Eintragung in das Handelsregister auch nur bei Handels-, Fahrikations- oder andern nach: kaufmännischer Art geführten Gewerben anerkannt; er hat aber in Absaz 3 auch bei allen übrigen Berufsarten gestattet, d u r c h , Eintragung in das Handelsregister eine Kollektivgesellschaft mit.

allen ihren Eigenthümlichkeiten in's Leben zu rufen.

Für die erwähnten merkantilen Gewerbsarten begründet die> Errichtung einer Kollektivgesellschaft die Verpflichtung der Mitglieder, die Eintragung in das Handelsregister nach den besondernVorschriften der Art. 563 und 564 vornehmen zu lassen; bei den n i c h t merkantilen Berufsarten ist dagegen die Eintragung die unerläßliche Voraussezung für die Entstehung der Kollektivgesellschaft..

212 Zu 2.

Das deutsche Handelsgesezbuch, obgleich es die vermögensrechtliche Selbständigkeit der Kollektivgesellschaft vollständig anerkennt, hat den Gesellschaftsgläubigern gestattet, ganz nach ihrem Belieben, entweder gegen die Gesellschaft als gleichsam selbstständiges Rechtssubjekt, oder gegen den einzelnen Kollektivgesellschafter vermöge seiner Solidarhaft vorzugehen. (Vgl. Reichspräjudiziensammlung Bd. V, pag. 392.)

Der Entwurf hat dagegen itn Anschlüsse an die französische Praxis (vgl. Pardessus, cours de droit commercial, n08 976, 1026, 1090 und Tioplong, du contrat de société, n° 1044) und an das Zürcherische Gesezbuch (§§ 1301 und 1302) eine sehr wesentliche Milderung eingeführt, indem er den einzelnen Kollektivgesellschafter für die Schulden des gleichsam selbstständigen Subjektes der Gesellschaft nicht einem Bürgen und Selbstzahler (Art. 504), sondern vielmehr einem e i n f a c h e n Bürgen (Art. 502) analog haften läßt
Zu 3.

Das deutsche Handelsgesezbuch (Art. 122) hat in Uebereinstimmung mit dem Zürcherischen Gesezbuche (§§ 1305 und 1306) im Konkurse der Gesellschaft das gesammte Gesellschaftsvermögen den Gesellschaftsgläubigern zu ihrer ausschließlichen Befriedigung überwiesen, in der Meinung, daß sie für den unbezahlt bleibenden Rest ihrer Forderungen jeden einzelnen Kollektivgesellschafter als Solidarschuldner in Anspruch nehmen können. Fallen die einzelnen Gesellschafter ebenfalls in Konkurs, so konkurriren in jedem einzelnen Privatkonkurse die Gesellschaftsgläubiger für ihre Restforderung bei der Vertheilung der Privataktiva mit sämmtlichen unprivilegirten -Privatgläubigern.

So kann es kommen, daß die Gesellschaftsgläubiger zum großen Nachtheile von Privatgläubigern einzelner Gesellschafter zur vollen O g Befriedigung gelangen, obgleich nicht nur das Gesellschaftsvermögen, sondern auch alle einzelnen Gesellschafter m a t e r i e l l insolvent sind.

Noch ungünstiger gegen die Privatgläubiger scheint die Praxis der Länder des französischen Rechtes zu sein, indem hier durchaus nicht t, wie nach deutschem Handelsgesezbuche und Zürcherischem Rechte, die vorherige Abwiklung des Gesellschaftskonkurses vorgeschrieben ist, ehe zur Liquidation der Privatmassen geschritten werden kann.

Nach französischem Rechte werden daher die Gesellschaftsgläubiger .nicht blos ihre Restforderung, sondern die g a n z e Gesellschafts.schuld i n d e n Privatkonkursen d e r einzelnen Gesellschafter

213 Das englische Recht, welches ebenfalls dje Gesellschaftsaktiva .zur ausschließlichen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger überweist, hat der dadurch für die Privatgläubiger entstehenden Härte .zu begegnen gesucht, indem es in Beziehung auf die Privataktiven allen Privatgläubigern0 ein Vorzugsrecht vor den Gesellschafts.gläubigern einräumt.

Das deutsche Handelsgesezbuch hat es der.Partikulargesezgebung überlassen, ein solches Privilegium der Privatgläubiger einzuführen.

In einer andern und viel wirksameren Weise hat Munzinger durch einen in seinen Motiven zum schweizerischen Handelsgesezbuch, Seite 83 u. ff., einläßlich begründeten Vorschlag Abhülfe zu schaffen versucht.

Er hält im Allgemeinen an dem Systeme des deutschen Handelsgesezbuches und des Zürcherischen Rechtes fest, verlangt aber, daß bei der Liquidation des Gesellschaftskonkurses die Ansprüche der einzelnen Gesellschafter nicht blos aus Rechtsgeschäften, die sie, wie Dritte, mit der Gesellschaft eingegangen haben, sondern auch auf Rükgabe ihrer Kapitaleinlagen, soweit sie nicht durch ·societätsmäßige Veiiustantheile aufgezehrt sind, ganz so wie die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger berüksichtigt werden sollen.

Was auf diesem Wege aus der Gesellschaftsmasse dem einzelnen Gesellschafter zu Gute kommt, wird mit seinen sonstigen Privataktiven vereinigt und bild it das Objekt der Vertheilung unter seine Privatgläubiger in Konkurrenz mit den Restforderungen der Gesellschaftsgläubiger.

Dieser Vorschlag Munzingers ist in dem vorliegenden Entwürfe, Art. 577, in Uebereinstimmung mit den Entwürfen von 1875 und 1877 angenommen worden.

Erwägt man, daß unser Entwurf an den Konkursprivilegien der kantonalen Rechte, soweit es sich um die P r i v a t k o n k u r s e der einzelnen Gesellschafter handelt, durchaus nichts geändert hat, daß also z. B. das Privilegium der Ehefrau für ihr ganzes Weibergut nach Zürcherischem Rechte, oder für die Hälfte des Weibergutes nach Aargauer Recht, auch nach Einführung des Entwurfes in Geltung bleibt, so erscheint die praktische Tragweite dieser Bestimmung als eine sehr bedeutende.

Es dürfte dieses durch ein Beispiel am besten zu erklären sein: Man seze den Fall: A, der von seiner Ehefrau Fr. 100,000 als Weibergut erhalten hat, geht mit B eine Kollektivgesellschaft ein. Er legt das ganze Weibergut in das Geschäft, B legt nichts ein. Nach Ablauf eines größeren oder kleineren Zeitraumes stellt Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. I.

15

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sich die Insolvenz der Gesellschaft A und B heraus. Es ergibt sich, daß die sämmtlichen Gesellschaftsaktiven, obgleich beim Betriebe des gemeinsamen Gewerbes keinerlei Verluste gemacht worden sind, doch in Folge davon, daß B Fr. 150,000 successive zu Privatzweken unter Belastung seines Conto aus der Societätskasse genommen hat, Fr. 50,000 weniger werth sind, als der Betrag der Sooietätsschulden ausmacht. Es ergibt sich, daß, abgesehen von dem Guthaben der Firma auf B, nur Fr. 1,000,000 Aktiven in Wechseln, Waaren, Ausständen u. s. w. vorhanden sind, während die Societätsschulden an D r i t t e Fr. 1,050,000 und inclusive des Kapitalcontoguthabens des A Fr. 1,150,000 betragen. Nach dem Systeme des deutschen Handelsgesezbuches und des Zürcherischen* Rechtes würden die Societätsgläubiger die ganze Million beziehen und dann für den Rest von Fr. 50,000 noch in den Privatmassen A und B ihre Forderung stellen. Sezen wir, daß weder A noch B irgend welche Privataktiven besizt, so würde die Ehefrau des A gar nichts erhalten, und die Gesellschaftsgläubiger würden nur Fr. 50,000 im Ganzen, somit ein jeder nur einen höchst minimea Bruchtheil seiner Forderung (circa 5 °/o) einbüßen.

Nach dem Systeme des Entwurfes würde dagegen die Million Aktiven zunächst unter die Gesellschaftsgläubiger und die Privatmasse des A nach dem Verhältnisse von 1,050,000 zu 100,000 zu vertheilen sein. Es würden somit in die Privatmasse des A 86,957 Franken und an die Gesellschaftsgläubiger Fr. 913,043 fallen. Den Betrag von Fr. 86,957 würde die Frau des A ganz erhalten, sofern der Konkurs über A im Kanton Zürich, und Fr. 50,000 davon, sofern er im Kanton Aargau zu erledigen wäre. Aber selbst in< Kantonen, wo das Weibergut gar nicht privilegin ist, würde immerhin die Frau von diesen Fr. 86,957 noch einen erheblichen Theil erhalten. Sofern A außer der eigenen Ehefrau keine anderen Privatgläubiger hat, würden die Fr. 86,957 zwischen der Ehefrau und den Gesellschaftsgläubigern nach dem Verhältniß von Fr. 100,000 zu Fr. 136,957 zu theilen sein. Es würde ihr somit nach dem Systeme des Entwurfes sogar in Kantonen ohne jedes Vorrecht desWeibergutes der Betrag von Fr. 36,700 zukommen.

Die Annahme des Art. 577 gegenüber dem Systeme des deutschen Handelsgesezbuches dürfte sich übrigens nicht bloß durch diese billige Berüksichtigung der
Privatkreditoren, insbesondere der Ehefrauen empfehlen. Es spricht dafür auch die innere Konsequenz.

Von dem Standpunkte aus, der die Durchführung eines G e s e l l s c h a f t s konkurses mit Ausschluß aller Privatkreditoren der einzelnen Gesellschafter, gleich als ob die Gesellschaft ein selbstständiges Rechtssubjekt wäre, rechtfertigt, ist der einzelne Gesellschafter

215 für seine Einlage, soweit sie nicht durch die von ihm zu tragenden Verlustantheile absorbirt wird, als ein Gläubiger der Gesellschaft zu betrachten. Das gleichsam selbstständige Rechtssubjekt der Gesellschaft ist für diese Einlage sein Schuldner. Von anderen Gesellschaftsgläubigern ist er freilich dadurch wesentlich unterschieden, daß er zugleich auch wie ein Bürge für die sämmtlichen Schulden dieses gleichsam selbstständigen Rechtssubjektes Dritten gegenüber einzustehen hat. Dieser wesentliche Unterschied wird aber nach dem Systeme des Entwurfes völlig konsequent n i c h t schon im Gesellchaftskonkurse, sondern erst im Privatkonkurse des betreffenden Gesellschafters berüksichtigt.

Zu 4.

Das deutsche Handelsgesezbuch hat unter gewissen Voraussezungen, sofern die Gesellschaft aus drei oder mehr Personen besteht, und in der Person eines einzelnen Gesellschafters ein Auflösungsgrund eintritt, den zwei oder mehreren anderen Gesellschaftern die Befugniß eingeräumt, den ausscheidenden oder ausgeschlossenen Gesellschafter mit einer entsprechenden Geldsumme abzufinden und unter Uebernahme sämmtlicher Gesellschaftsaktiven das Unternehmen fortzusezen. Es liegt nun durchaus kein genügender innerer Grund dafür vor, warum man nicht auch dann, wenn bloß zwei Gesellschafter vorhaoden sind, ein analoges Recht dem e i n e n Gesellschafter einräumen solle, sofern in der Person des anderen Gesellschafters der fragliche Auflösungsgrund eingetreten ist. Durch diese Erwägung, von der auch die Praxis des zürcherischen Rechtes bei Entscheidung einer ähnlichen Frage ausgegangen ist (vgl. Ullmer's Kommentar zu § 1314, Nr. 1953), dürften sich die vom deutschen Handelsgesezbuche prinzipiell abweichenden Bestimmungen in Art. 587, Absaz 2, und Art. 588 rechtfertigen.

Zu 5.

Nach Art. 133 des deutschen Handelsgesezbucb.es erlischt ohne Weiteres im Stadium der Liquidation, auch wenn nicht der mindeste Streit unter den bisherigen Gesellschaftern stattfindet, die Vertretungsbefugniß der bisherigen geschäftsführenden Gesellschafter.

Es ist von Rechtswegen für jeden einzelnen Liquidationsakt, sofern der Gesellschaf tsvertrag oder ein einstimmiger Beschluß sämmtlicher Gesellschafter nichts Anderes angeordnet hat, ein Zusammenwirken aller bisherigen Gesellschafter, beziehungsweise ihrer Erben oder gesezlichen Vertreter, erforderlich. Der Entwurf, Art. 590, hat dagegen den bisherigen, zur Geschäftsführung befugten Gesellschaftern auch die Besorgung der Liquidation überlassen, sofern in ihrer

216 Person kein Hinderniß eingetreten ist, und nicht von einem einzelnen Gesellschafter Einsprache erhoben wird. Man glaubte durch diese Modifikation sich mehr mit den thatsächlich bestehenden Verkehrssitten in Uebereinstimmung sezen zu sollen.

§ Ì3.

Kommanditgesellschaft. Art. 600 bis 622.

Auch in Beziehung auf die Kommanditgesellschaft hat sich der Entwurf im Allgemeinen den Bestimmungen des deutschen Handelsgesezbuches angeschlossen. Dabei sind die prinzipiellen Modifikationen des deutschen Handelsgesezbuehes bezüglich der Kollektivgesellschaft im Wesentlichen auch bei der Kommanditgesellschaft durchgeführt worden.

In Art. 600, Absaz 3, ist das Institut der Kommanditgesellschaft auch n i c h t merkantilen Berufsarten durch Eintragung in das Handelsregister zugänglich gemacht.

In .Art. 611 ist dem unbeschränkt haftenden Gesellschafter, analog dem Art. 574, Absaz 2, die Stellung eines e i n f a c h e n Bürgen eingeräumt und in Art 612 die nach deutschem Handelsgesezbuche zweifelhafte Frage, ob gegen den Kommanditär v o r Auflösung der Kommanditgesellschaft ein direktes Klagerecht der Gesellschaftsgläubiger bestehe, verneinend entschieden.

Für die Interessen der Privatgläubiger der unbeschränkt haftenden Gesellschafter ist durch Art. 618, Absaz 3, in analoger Weise, wie durch den Art. 577, gesorgt. Für eine ähnliche Rüksicht auf die Interessen der Privatgläubiger des Kommanditärs lag dagegen kein Bedürfniß vor, da ja nur äußerst selten der Konkurs der Kommanditgesellschaft den des einzelnen Kommanditärs nach sich ziehen wird. Es ist daher in Art. 619 verfügt, daß der Kommanditär im Konkurse der Kommanditgesellschaft für seinen Anspruch auf Rükzahlung seiner Einlage n i c h t einem Gesellschaftsgläubiger analog behandelt werden solle.

Die oben erwähnten Modifikationen des deutschen Handelsgesezbuehes in Gemäßheit der Art. 587, Absaz 2, und 588 und des Art. 590 des Entwurfes sind durch Art. 622 direkt auf die Kommanditgesellschaften übertragen worden.

Abgesehen von diesen und einigen anderen weniger wichtigen Abweichungen bildet der vorliegende Entwurf hinsichtlich der Gestaltung der Kommanditgesellschaften dadurch einen sehr tiefgreifenden Gegensaz zum deutschen Handelsgesezbuche, daß in

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diesem n e b e n der Kommanditgesellschaft, wie sie vorzugsweise der französischen Législation und Praxis nachgebildet ist, noch ein anderes ähnliches Institut, die sogenannte ,,stille Gesellschaft" (Art. 250 bis 265 des deutschen Handelsgesezbuches), Anerkennung gefunden hat, während unser Entwurf dieselbe mit Stillschweigen übergeht.

Das deutsche Handelsgesezbuch hat gestattet, daß sich zwei Vertragsparteien in der Weise zum Betriebe eines Handelsgewerbes für g e m e i n s a m e R e c h n u n g vereinigen, daß die eine Vertragspartei der a u s s c h l i e ß l i c h e Eigenthümer der Societätseinlagen und überhaupt aller zum Betriebe gehörigen Vermögensgegenstände , sowie auch der e i n z i g e Schuldner für die durch den Betrieb angeknüpften Verbindlichkeiten werde, daß aber die andere Vertragspartei (der sogenannte stille Gesellschafter), welche ein Kapital zum Betriebe einlegt, am Gewinn und Verluste des Handelsgewerbes (an lezterm jedoch nur bis zum Betrage der Einlage) partizipire, und ein r e i n p e r s ö n l i c h e s Forderungsrecht auf periodische Auszahlung des Gewinnantheiles und nach Beendigung des Verhältnisses auf Rükzahlung der Einlage, soweit sie nicht durch Verlustvertheilung absorbirt ist, erhalte.

Wenn ein solches Verhältniß beabsichtigt ist, so soll im Konkurse des Eigentümers des Etablissements von einem Vorzuge der Etablissementsgläubiger bezüglich der Etablissementsaktiven weder vor dem stillen Gesellschafter noch vor sonstigen Privatgläubigern desselben selbst dann keine Rede sein, wenn auch das fragliche Handelsgewerbe unter Anwendung einer G e s e l l s c h a f t s fi r m a geführt worden ist. · Denn der Art. 251, Absaz 2, des deutschen Handelsgesezbuches verbietet die Annahme einer solchen Gesellschaftsfirma nur bei Meidung von Ordnungsstrafe, ohne irgend einen weitergehenden Rechtsnachtheil anzudrohen.

Selbst dann, wenn das Vorhandensein einer solchen stillen Gesellschaft mit Bewilligung des stillen Gesellschafters zur öffentlichen Kenntniß gebracht wird, sollen keineswegs ohne Weiteres die Grundsäze der Kommanditgesellschaft darauf Anwendung finden, es soll vielmehr nach allgemeinen Grundsäzen beurtheilt werden, ob und in wie weit dieses eine rechtliche Wirkung zu Gunsten Dritter äußere (Art. 260).

Indem der Entwurf dieses Institut der sogenannten stillen Gesellschaft
n i c h t sanktionirt hat, wird nach demselben die Verabredung eines derartigen Verhältnisses in der Regel als eine f o r m l o s e Kommanditgesellschaft angesehen werden müssen, bei welcher die Bestimmungen der Art. 600, Absaz 2, 609, 612, Saz 2,

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und Art. 869 des Entwurfes zur Anwendung kommen. Es wird die Registerbehörde die Vertragsparteien zur Eintragung durch Ordnungsbußen anhalten müssen, und für alle Verbindlichkeiten, welche vorher für das gemeinsame Handelsgewerbe eingegangen worden, wird der stille Gesellschafter nach Art. 609 unseres Entwurfes als Solidarschuldner haften, sofern er nicht beweist, daß dem Dritten seine beschränkte Betheiligung bekannt war.

Nur dann, wenn nach den besonderen Umständen die Annahme des Publikums, daß die Firma, unter welcher das Handelsetablissement auf gemeinsame Rechnung der beiden Vertragsparteien betrieben wird, eine g e m e i n s a m e im Sinne des Art. 600, Absaz 1, sei, nicht denkbar ist, wenn z. B. die Betheiligung des stillen Gesellschafters mit einem Kapital und Partizipation an Verlust und Gewinn i n k e i n e r Weise nach Außen bemerklich gemacht worden ist, wird ausnahmsweise ein solches Verhältniß, sei es nun unter dem Gesichtspunkte eines Darlehensverhältnisses (wo statt oder neben den Zinsen Gewinnanteile stipulirt sind) oder einer einfachen Gesellschaft (Art. 553, Absaz 1), den von den Parteien gewollten Erfolg herbeiführen können.

§ 14.

Von den korporativen Vereinen (Aktiengesellschaften und Genossenschaften). Art. 623 bis 732. Tit. XX und XXI.

Bis in die Mitte unseres Jahrhunderts galt in den meisten, namentlich den g r ö ß e r e n Staaten Europa's das Prinzip, daß k o r p o r a t i v e V e r e i n e (PersonenVereinigungen m i t juristischer Persönlichkeit, privatrechtliche Korporationen oder universitates personarum) n i c h t ohne spezielle Genehmigung der höchsten Gewalt im Staate in's Leben treten können.

Ganz besonders wurde dieser Grundsaz für korporative E r w e r b s vereine festgehalten, bei denen die Gestaltung als juristische Persönlichkeit wesentlich daraufhinzielte, daß die Vereinsmitglieder zwar o h n e Schranke am Gewinne des Unternehmens partizipiren, dagegen für die etwaigen Verluste und Schulden des Vereins nicht über das zum Voraus genau fixirte Maß ihrer Beitragspflicht (Betrag der Aktien u. s. w.) in Anspruch genommen werden können.

Selbst in der Schweiz, obgleich hier mehr als in anderen Staaten das korporative Leben sich frei und ungehindert entwikeln konnte, ist noch bis zur Stunde, von ganz vereinzelten Ausuahmen abgesehen (Genf, Graubünden, St. Gallen; vgl. den Aufsaz in Goldschmidts Zeitschrift, Bd. XIII, Seite 409 u. ff.), das Prinzip in

219 ·Geltung, daß für derartige korporative Er w er bs vereine, namentlich aber für die wichtigste Art derselben, für Aktiengesellschaften oder sociétés anonymes, eine spezielle Staatsgenehmigung erforderlich sei.

Erst in den lezten Dezennien, und zwar von England ausgehend , wo bisdahin das Prinzip der Notwendigkeit der Staatsgenehmigung am allerstrammsten festgehalten wurde, hat sich in der Gesezgebung der größeren Staaten Europas eine Strömung geltend gemacht, welche in einer früher ungeahnten Weise die rein privatwillkürliche Bildung k o r p o r a t i v e r Vereine, sowohl zu Erwerbs- als zu andern Zweken, begünstigt.

Der erste Schritt in dieser Richtung war eine sehr umfangreiche Gesezgebung vom Jahre 1844 in England, vermöge deren unter gewissen Voraussezungen (mindestens 7 Mitglieder) die Bildung wirklicher Korporationen zu merkantilen Zweken ohne spezielle Staatsgenehmigung ( o h n e charters of incorporation, letters patent oder private acts of parliament) unter Beobachtung bestimmter Formen (namentlich Eintragung des Gesellschafts Vertrages in öffentliche Register), jedoch nur in der Weise gestattet wurde, daß sämmtliche Mitglieder, der Korporation solidarisch gleichsam als Bürgen mit ihrem g e s a m m t e n P r i v a t v e r m ö g e n für die Schulden der Korporation einzustehen hatten. (Vgl. Goldschmidts Zeitschrift Bd. V, Seite 53 u. ff.)

Durch ein Gesez vom 14. August 1855 wurde unter gewissen Voraussezungen privatwillkürlich gebildeten Korporationen die Befugniß eingeräumt, die s o l i d a r i s c h e Haftbarkeit der einzelnen Mitglieder in der Weise wegzubedingen, daß die Mitglieder nicht über ihre zurfï Voraus fest bestimmte Beitragspflicht (Aktienbetrag) hinaus für Verluste oder Schulden des Unternehmens in Anspruch genommen werden konnten.

Dieses Prinzip der privatwillkürlichen Korporationsbildung wurde durch eine Reihe neuerer Geseze, deren wichtigste vom 7. August 1862 und 20. August 1867 daliren, in England dahin weiter entwikelt, daß Vereine von mindes^ns 7 Mitgliedern, gleichviel ob sie m e r k a n t i l e oder andere wirthschaftliche oder r e i n i d e a l e Zweke verfolgen, unter Beobachtung gewisser Formen (Eintragung in das öffentliche Register) und unter Einhaltung gewisser Grenzen ganz nach ihrem Belieben sich als K o r p o r a t i o n e n mit oder · o h n e
solidarische Haftbarkeit ihrer Mitglieder, m i t einem zum Voraus bestimmten, in Aktien zerlegten Kapitale oder o h n e ein solches konstituiren können. Das Gesez von 1867 hat sogar gestattet , die Mitgliedschaft bei solchen Korporationen an Inhaber-

220 papiere (Aktien auf Inhaber jedoch nur nach Volleinzahlung de» versprochenen Aktienbetrages) zu knüpfen. Es hat ferner gestattet, eine Mittelform zwischen den Korporationen mit beschränkter uni denen mit solidarischer Haftbarkeit (auf dem Kontinente Kommanditaktiengesellschaft genannt) in der Weise zu schaffen, daß für die Direktoren und Verwalter solidarische, für die übrigen Mitglieder beschränkte Haftbarkeit stipuliti wird.

In Frankreich hat sich das Streben, k o r p o r a t i v e Vereine o h n e S t a a t s g e n e h m i g u n g in's Leben zu rufen, zuerst in* der Praxis auf einem ganz eigenthümlichen Wege ohne direkte legislative Anordnung Bahn gebrochen. Der Code de commerce,, der für sociétés anonymes, Art. 37, die Notwendigkeit der Staatsgenehmigung streng festhält, hatte in Art. 38 gestattet, das Kapital einer Kommanditgesellschaft in Aktien zu zerlegen. Nach Art. 4& des Code de commerce ist die Nennung der N a m e n der Kommanditäre zum Zweke der Publikation eines Auszuges aus dem; Gesellschaftskontrakte n i c h t vorgeschrieben, es genügt vielmehr, nur die Größe des Kapitals in dem betreffenden Auszuge anzugeben.

Es lag daher sehi1 nahe, daß man, um korporative Vereine zu schaffen, die Rechte der Kommanditäre an übertragbare Urkunden-, knüpfte und durch den Societätsvertrag den gérants die Stellung von Repräsentanten einer aus den jeweiligen Kommanditären gebildeten Korporation einräumte. Auf diesem Wege versuchte man.

Vereine in's Leben zu rufen, welche thatsächlich sieh ganz so wie sociétés anonymes gerirten, mit der einzigen Modifikation, daß die höchsten Korporationsorgane gleichsam als Bürgen für die Korporationsschulden einzustehen hatten.

Seit durch ein Urtheil des Kassationsgerichtes in Paris vomì 7. Februar 1832 anerkannt worden war, daß bei einer derartigen Kommanditgesellschaft die Rechte der Kommanditäre rechtsgültig als Inhaberpapiere.formirt werden können, sind geradezu massenhaft solche korporative Gebilde (Kommanditaktiengesellschaften) inFrankreich in's Leben getreten und haben die Absicht des Gesezgebers, durch den Vorbehalt der Staatsgenehmigung Mißbräuchen und Schwindeleien entgegenzutreten, nahezu illusorisch gemacht.

^ Ein Vorschlag der Regierung vom Jahre 1838, um diesen.

Mißbräuchen entgegenzutreten, solche Vereine streng zu verbieten, wurde von der
Kammer abgelehnt. Die Schwindeleien schienen eine Zeit lang durch die bitteren Erfahrungen des Publikums ganz von selbst wieder abzunehmen. Im Jahre 1856 erreichten aber die Mißbräuche dieser Rechtsform, ganz besonders durch die sog. Apports (Vergütung von n i c h t in Geld bestehenden, häufig rein fiktiven Einlagen der Gründer durch Aushingabe liberirter Inhaberaktien

221 an dieselben) einen ganz außerordentlichen Höhepunkt. Es entschloß sich daher die Gesezgebung Frankreichs, die 'korporative Natur solcher Vereine und ihre Gründung o h n e s p e z i e l l e S t a a t s g e n e h m i g u n g anzuerkennen, zugleich aber durch eine ganze Reihe von Formvorschriften, reglementarischen Anordnungen und Strafbestimmungen in dem betreffenden Geseze vom 17. Juli 1856 den Mißbräuchen dieser Rechtsform, namentlich aber den Schwindeleien mit den sog. Apports entgegenzutreten.

Zur Gestattung der rein privatwillkürlichen Bildung von korporativen Vereinen, bei welchen gar N i e m a n d , auch nicht die Direktoren oder Verwaltungsräthe über ein zum Voraus flxirtes Kapital hinaus für die Korporationsschulden einzustehen haben, ist die französische Gesezgebung offenbar nach dem Vorbilde der englischen erst durch ein Gesez vom 23. Mai 1863 geschritten, indem dieses Vereinen von mindestens 7 Mitgliedern und einem Kapital von höchstens Fr. 20,000,000 gestattet, unter dem Namen Sociétés à responsabilité limitée und unter Beobachtung bestimmter Formen und reglementarer Vorschriften eine derartige Gestaltung ohne spezielle Staatsgenehmigung anzunehmen.

Durch das Gesez vom 24. Juli 1867 hat die französische Gesezgebuug einen noch weiteren Schritt gethau.

Sie hat die beiden Geseze vom 17. Juli 1856 und 23. Mai 1863 wieder aufgehoben und in dem neuen Geseze zuerst die Kommanditaktiengesellschaft von Neuem anerkannt und speziell normirt, und sodann die Bildung der sociétés anonymes von dem Erfordernisse der Staatsgenehmigung, wie es im Code de commerce, Art. 37, vorgeschrieben ist, unter Einführung schüzender Formvorschriften, reglementarischer Bestimmungen und Strafandrohungen, dispensirt.

Außerdem hat dieses Gesez einem Bedürfnisse, das sich inzwischen in Deutschland durch die bekannten Bestrebungen von Schultze Delitzseh thatsächlich geltend gemacht hatte, Rechnung zu tragen gesucht, indem es neben den beiden korporativen Vereinsarten mit zum Voraus bestimmtem Kapitale, unter gewissen Voraussezungen und mit Feststellung bestimmter Formen und Schranken die privatwillkürliche Bildung anderer korporativ organisirter Vereine (sociétés à capital variable) ohne zum Voraus bestimmtes Kapital gestattete. Dabei hatte es die Meinung, daß abgesehen von der Veränderlichkeit des Kapitales ein
solcher Verein nach Belieben der Parteien die Form einer Kollektiv-, einer Kommandit- oder anonymen Gesellschaft annehmen, folglich ganz ähnlich, wie nach dem englischen Geseze, nach Belieben m i t oder o h n e beschiänkte Haftbarkeit der Mitglieder konstituirt werden könne.

222 Die deutsche Gesezgebung hat das Prinzip der privatwillkürlichen Bildung von korporativen Vereinen mit b e s t i m m t e m K a p i t a l e (Kommanditgesellschaften auf Aktien und Aktiengesellschaften in engerem Sinne) zuerst durch die Aktiennovelle vom 11. Juni 1870 für den Norddeutschen Bund, die später auf das ganze deutsche Reich ausgedehnt wurde, der Partikulargesezgebung gegenüber obligatorisch eingeführt und im Wesentlichen ähnlich wie die französische Gesezgebung gestaltet. Dem Bedürfnisse nach korporativen Vereinen ohne zum Voraus bestimmtes Kapital hat zuerst das Bundesgesez betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, vom 4. Juli 1868, das später zum Reichsgeseze erhoben wurde, legislative Anerkennung gewährt. Dabei wurde aber im Gegensaze zu der englischen und französischen Behandlung dieser Vereine, dem ausdrüklichen Wunsche des bereits genannten Förderers dieser korporativen Bestrebungen, Schultze-Delitzsch, entsprechend, an dem Prinzipe der subsidiären Solidarhaft sämmtiicher Mitglieder festgehalten.

Unser Entwurf hat, alle diese legislativen Vorgänge in England, Frankreich und Deutschland benuzend, für die privatwillkürliche Bildung korporativer Vereine in den Art. 623 bis 732 eine Reihe von Normen aufgestellt, durch welche gleichzeitig dem Bedürnisse .nach möglichst freier Bewegung und nach Abschneidung von Mißbräuchen, wie wir glauben, in höherem Maße als durch alle bis'herigen Gesezgebungen Rechnung getragen wird.

Titel XIX, Art, 623 bis 690, hat die korporativen Vereine mit zum Voraus bestimmtem Kapitale (die Aktien- und Kommanditaktiengesellschaften) normirt. Dabei hat die deutsche Aktiennovelle als Grundlage gedient. Man hat aber die darin festgehaltene, g e s o n d e r t e Behandlung der Kommanditaktiengesellschaft (als Modifikation der Kommandite, beziehungsweise als selbstständiges Rechtsinstitut) fallen gelassen. Eine solche Behandlung war ja offenbar nur durch die oben geschilderte, ganz eigenthümliche Entstehung dieser Rechtsfonn in F r a n k r e i c h rein äußerlich veranlaßt worden. Man hat die Kommanditaktiengesellschaft nach dem Vorgange des oben erwähnten englischen Gesezes vom 20. August 1867 als das, was sie wirklich ist, als eine bloße Modifikation der société anonyme oder Aktiengesellschaft in engerem Sinne behandelt.
Man hat im Art. 689, nachdem vorher die Lehre von der Aktiengesellschaft oder société anonyme erschöpfend behandelt ist, die wenigen Besonderheiten zusammengestellt, die sich daraus ergeben, daß bei der sog. Kommanditaktiengesellschaft die Mitglieder des Vorstandes eine subsidiäre Solidarhaft für die Schulden des von ihnen repräsentirten Vereines übernehmen.

223 Von prinzipiellen Abweichungen des Entwurfes gegenüber der deutschen Gestaltung der Aktiengesellschaft, durch welche man den Mißbräuchen dieser Rechtsform wirksamer entgegenzuwirken versuchte, wollen wir nur beispielsweise einige wenige hervorheben.

Nach Art. 646 und 647 des Entwurfes haftet der Subskribent einer Inhaberaktie für den ganzen Nominalbetrag, während das deutsche Gesez eine Entbindung des Subskribenten nach Zahlung von 40 °/o gestattet.

Nach Art. 683 und 688 des Entwurfes sind nicht bloß, wie nach dem deutschen Geseze, die Personen, welche Mitglieder des Vorstandes oder Aufsichtsrathes gewesen sind, sondern auch alle übrigen Personen, die irgendwie bei der Gründung des Vereines mitgewirkt haben, für eine Reihe von wissentlichen Verschuldungen, durch welche die das Publikum schüzeuden Formvorschriften (Art. 629 und 632) illusorisch gemacht werden können, für schadenersazpflichtig und in besonders schweren Fällen sogar für strafbar erklärt.

Die Haftbarkeit für diese im Art. 683 speziell angeführten Verschuldungen, sowie die im Art. 686 ausgesprochene Haftbarkeit a l l e r Vereinsorgane für dolose Verlezung ihrer Verwaltungs- und Aufsichtsverpflichtungen kann nicht bloß von der juristischen Person des Vereines, sondern auch von jedem ein z e l n e n1 Aktionär und von den Gesellschaftsgläubigern d i r e k t geltend gemacht werden.

Selbst ein Beschluß der Generalversammlung, welcher die erwähnten Personen von jeder Verantwortlichkeit entbindet, soll dem einzelnen Aktionär, der nicht zugestimmt hat, und den zu Schaden kommen-' den Gläubigern n i c h t präjudiziren. (Art. 687.)

In Beziehung auf korporative Vereine ohne zum Voraus bestimmtes Kapital hat sich der Entwurf Tit. XXI, Art. 691 bis 732, insofern dem englischen Systeme angeschlossen, als er für Vereine dieser Art m i t w i r t h s c h a f t l i c h e n Zweken die Zahl von mindestens 7 Mitgliedern erfordert (Art. 692) und die subsidiäre Solidarhaft aller Mitglieder von Rechtswegen eintreten läßt, sofern sie nicht in dem e i n g e t r a g e n e n und gehörig publizirten Gründungsvertrage ausdrüklich wegbedungen ist (Art. 701).

Für Vereine zu i d e a l e n Zweken, Art. 730, ist das Erforderniß dieser Zahl nicht vorgeschrieben und auch davon keine Rede, daß in Ermangelung einer gehörig eingetragenen entgegenstehenden statutarischen
Bestimmung subsidiäre Solidarhaft der einzelnen Mitglieder eintreten solle. Die Eintragung in das Handelsregister ist für solche Vereine mit idealen Zweken nur dann wesentliche Voraussez'ung ihrer juristischen Persönlichkeit, wenn n i c h t

224 schon nach kantonalem Recht, wie z. B. nach Art. 20 des Zürcherischen Gesezbuches, ihnen juristische Persönlichkeit zuerkannt wird.

§ 15.

Wechsel und Ordre-Papiere. Art. 733 bis 850.

Das Wechselrecht der Länder mit französischer Rechtsbildung unterscheidet sich von demjenigen der Länder deutscher Rechtsbildung, wie es in der allgemeinen deutschen Wechselordnung zum Abschluß gekommen ist, sehr wesentlich schon in den formellen Voraussezungen, von welchen die strengere Behandlung der Zeichner gezogener und eigener Wechselbriefe (lettres de change und billets à ordre) im Gegensaz zu anderen ci vil rechtlichen Zahlungsversprecheii (simples promesses) abhängig gemacht wird.

In den Ländern der deutschen Rechtsbildung betrachtet man das Wort ,, Wechsel tt (cambio, de change u. s. w.) als ein wesentliches Kennzeichen für die Absicht der Zeichner der Urkunde, eine Reihe von besonderen, durch das Wechselrecht näher uormirten Rechtsfolgen über sich nehmen zu wollen, welche sich nach dem bloßen Wortlaute der Urkunde und den sonstigen Interpretatiousregeln für Schuldurkunden nicht von selbst verstehen.

In den Ländern des französischen Rechtes ist hievon absolut keine Rede. Es ist zwar bei g e z o g e n e n Wechseln in Ländern französischen Rechtes, wie ü b e r a l l , ü b l i c h , einen dem . Worte Wechsel entsprechenden Ausdruk (contre cette première de c h a n g e ) in die Urkunde aufzunehmen. Es zieht aber die schriftliche Anweisung, wenn sie an 0 r d r e lautet und den übrigen formellen Voraussezungen der Tratte (Orts- und Zeitdatum, Ortsverschiedenheit zwischen Zahlungs- und Ausstellungsort u. s. w.)

entspricht, die in dem Code de commerce speziell normirten besonderen Rechtsfolgen des gezogenen Wechsels (lettre de change) auch dann nach sich, wenn das Wort ,, Wechsela (,, de change u ) in der Urkunde weggelassen und überhaupt gar keine Bezeichnung für die Urkunde, gegen welche der Bezogene Zahlung leisten soll, in dieselbe aufgenommen worden ist.

Die .schriftlichen Zahlungsversprechen, wenn sie an Ordre lauten und den übrigen formellen Voraussezungen eines billet à ordre entsprechen, ziehen die für eigene Wechsel, welche der Code de commerce billets à ordre nennt, speziell normirten Rechtsfolgen ebenso nach sich, wenn weder ein dem deutschen Wort ,, Wechsela (de change) entsprechender Ausdruk, noch auch das französische Wort ,, billeta im Kontexte der Urkunde gebraucht wird. Ja, es

225 ist in den Ländern französischer Rechtsbildung nicht einmal ü b l i c h , ein dem deutschen Wort ,, Wechsel" entsprechendes Wort im Kontexte der billets à ordre zu gebrauchen.

Unser Entwurf, der sich für die nähere Gestaltung des Wechselrechtes möglichst eng an die deutsche Wechselordnung anschließt, hat dieser entgegengesehen Rechtsanschauung der Kantone mit französischem Wechselrechte dadurch Rechnung getragen, daß er in den Art. 843 und 844 Papiere, in welchen das Wort ,, Wechsel tt fehlt, wenn sie ausdrüklich an Ordre lauten und den übrigen formellen Erfordernissen eines gezogenen oder eigenen Wechsels entsprechen, im Allgemeinen den Wechseln gleichstellt.

Hinsichtlich der p r ozess u al i s e h en Wechselstrenge, welche in den Kautonen mit französischem Wechselrechte nur geringe Bedeutung hat, und abgesehen von der einzigen Bestimmung des Art. 824 der Kantonalgesezgebung, beziehungsweise dem in Aussicht stehenden eidgenössischen Geseze über Rechtstrieb und Konkurs überlassen ist, sollen diese beiden Klassen von wechselähnlichen Ordrepapieren n i c h t als Wechsel behandelt werden (Art. 847).

Außerdem ist die Anwendung der mit der A c c e p t a b i l i t ä t der Tratten (Regreß Mangels Annahme und Regreß wegen Unsicherheit des Acceptanten oder Eigenwechselausstellers) zusammenhängenden Institute bei solchen das Wort ,, Wechsel" nicht enthaltenden Urkunden ausgeschlossen (Art. 846 und 845). Es entspricht dieses einer nicht bloß in allen Ländern deutschen Wechselrechtes, sondern auch in Frankreich verbreiteten Anschauung des Handelsstandes, daß die Weglassung des Wortes ,,Wechsel"- (,,de changea), oder die Substituirung desselben durch ein anderes Wort: ,,Anweisung" (,,mandat") in einem Papiere, das im Uebrigen allen Erfordernissen eines gezogenen Wechselbriefes entsprechen würde, als Wegbedingung der Acceptabilität (der Verpflichtung, schon v o r Verfall für Acceptation, beziehungsweise für Zahlungsfähigkeit des Acceptante!!, einstehen zu müssen) auszulegen sei. Diese Ansicht des Handelsstandes hat bekanntlich vielfach in Ländern, wo im Uebrigen die deutsche Wechselordnung gilt, so namentlich in Bayern, Königreich Sachsen und Frankfurt a. M., dazu geführt, n e b e n der acceptabeln Tratte sog. kaufmännische Anweisungen, d. h. das Wort Wechsel n i c h t enthaltende Urkunden anzuerkennen,
die abgesehen von der Acceptabilität den Tratten gleichstehen. (Vgl. Wächter, Encyklopädie des Wechselrechts. 1880. Bd. I, pag. 87.) In Frankreich wurden Uebungen, in denen sich diese Ansicht des Handelsstandes geltend zu machen versuchte, als ein abus que les magistrats ne doivent pas consacrer, unterdrükt (vgl. die Literatur in Sirey, code ·de commerce annoté, Nr. 4 zu Art. 118).

226

Es wird daher, ungeachtet dieser beiden Beschränkungen (Ausschließung der prozessualischen Wechselstrenge, Art. 847, und der mit der Acceptabilität zusammenhängenden Institute, Art. 846 und 845), in dieser prinziellen Gleichstellung der erwähnten an O r d r e lautenden Papiere mit den Wechseln eine sehr wichtige Konzession an die besonderen Rechtsanschauungen der romanischen Schweiz gefunden werden können. (Vgl. Kritische Uebersicht der schweizerischen Handels- und Wechselgesezgebung, Goldschmidts Zeitschrift, Beilageband VI, Seite 10.4 und 105.)

Abgesehen hievon sind nur folgende Aenderungen der deutschen Wechselordnung, die sich ebenfalls meist als Konzession an die französische Rechtsanschauung darstellen, zu erwähnen.

In Art. 773 ist zwar die längere Protestationsfrist der deutschen Wechselordnung beibehalten, aber im Anschlüsse an Art. 162 des Code de commerce die Erhebung des Protestes am Verfalltage selbst für unzuläßig erklärt.

Das dem französischen Recht unbekannte Notifikationssystem der deutschen Wechselordnung, Art. 45 bis 47, wonach der Regreßnehmer zur p r o m p t e n Notifikation seines Vormanues unter Androhung gewisser Rechtsnaehtheile (Verlust des Anspruches auf 'Zinsen und Kosten und Ersaz eines nachweisbaren Schadens) verpflichtet ist, hat der Entwurf weggelassen.

Er hat jedoch, und zwar in Folge einer von Waadt ausgehenden Anregung, die hiedurch für die Regreßpflichtigen, namentlich den Aussteller einer Tratte resp. den ersten Indossanten eines Eigenwelchsels entstehenden Gefahren zu mindern gesucht, indem im Art. 832 resp. 840, Nr. 13, dem protestireuden Beamten zur Pflicht gemacht wird, spätestens am zweiten Werktage dem Aussteller der Tratte oder dem ersten Indossanten eines Eigenwechsels eine Abschrift des Protestes in einem rekommandirten Briefe zuzusenden.

Mit der Weglassung des Notifikationssystems der deutschen Wechselordnung steht in Verbindung, daß im Art. 792 eine besondere Notifikationspflicht des Ehrenzahlers eingeführt worden ist.

Keine Konzession an französische Rechtsanschauungen, vielmehr bloß eine weitere Ausführung der schon in der deutschen Wechselordnung ausgesprochenen Prinzipien, enthalten die Art. 802 bis 812 des Entwurfes, welche das Verfahren im Falle des Abhandenkommens von Wechseln näher normiren. Es gilt hievon, sowie von einigen Zusäzen zu den entsprechenden Bestimmungen der deutschen Wechselordnung im Art. 818 und 819 über Verjährung, ganz das, was früher bei der Besprechung des Institutes der Ver-

227 jährung gesagt ist. Es sind dieses Bestimmungen willkürlicher Natur, bei denen es wesentlich nur darauf ankommt, daß durch klare und erschöpfende Normirung der betreffenden Verhältnisse jeder Zweifel über das, was Rechtens sein soll, abgeschnitten wird.

Durch den Art. 822 ist eine empfindliche Luke der deutschen Wechselordnung, die zu den entgegengeseztesten Ansichten Veranlaßung gegeben hat, ausgefüllt worden, indem hier im Wesentlichen in Uebereinstimmung mit den Prinzipien des französischen Rechtes (Art. 542 bis 545 des Gesezes vom 28. Mai 1838) und der neuen deutschen Reichskonkursordnung (Art. 61) das Verfahren näher normirt wird, welches, wenn mehrere Regreßpflichtige in Konkurs kommen, einzuschlagen ist.

Schließlich ist hier noch die gegenwärtig vielfach, so namentlich in einer erst vor Kurzem publizirten Abhandlung von Herrn Regierungsrath und Professor Dr. Speiser in Basel (Zeitschrift für schweizerisches Recht Bd. XXI, Heft 1) angeregte Frage zu erörtern, ob es nicht zwekmäßig sei, die Wechselfähigkeit auf Handelsleute, und solche Personen, die sich durch Eintragung in die Handelsregister denselben freiwillig gleichstellen, zu beschränken.

Der Entwurf hat diese Frage stillschweigend verneint. Wir glauben, Ihnen die Annahme dieser Entscheidung empfehlen zu sollen. Die für eine entgegengesezte Entscheidung, namentlich in der erwähnten Schrift von Speiser, angeführten Gründe scheinen uns nicht hinreichend, um von dem Prinzipe der gleichen Rechtsstellung aller Berufsklassen in einem Punkte abzuweichen, in. welchem auch außerhalb der Schweiz dieses Prinzip fast überall durchgeführt worden ist. (Vgl. Wächter, Encyklopädie, 1880, sub voce Fähigkeit.)

Eventuell würden wir eine Beschränkung der Wechselfähigkeit nur in Beziehung auf die prozessualische Wechselstrenge empfehlen können, in dem Sinne, daß diese (nämlich die Anwendung des Art. 824 und sonstiger Bestimmungen über schnelle Wechselexekution und Wechselprozeß) nur den Personen gegenüber gestattet würde, die ein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben, oder in das Handelsregister eingetragen sind.

Die Gefahren, welche aus der rein m a t e r i e l l e n Wechselstrenge für Personen ohne besondere Geschäftserfahrung hervorgehen können, sind kaum sehr hoch anzuschlagen, wie. sich aus
folgender Betrachtung ergibt. Dem beklagten Wechselschuldner sind nach Art. 823 auch civilrechtliche, der Wechselurkunde und dem Wechselrechte f r e m d e Einreden gestattet, sofern sie nur auf ein d i r e k t zum Kläger begründetes Rechtsverhältniß (einen

228

Kontrakt mit dem Kläger, eine Zahlung an den Kläger, eine koinpensable Gegenforderung gegen den Kläger oder ein Delikt des Klägers) zurükgeführt werden können.

§ 16.

Von den Handelsregistern, Geschäftsfirmen und Geschäftsbuchern.

Art. 864 bis 885.

Die im lezten Titel zusammengestellten Rechtsinstitute beruhen auf besonderen Bedürfnissen des Handelsstandes, die zum großen Theile schon in der bisherigen kantonalen Gesezgebung und Praxis namentlich in St. Gallen, Zürich und Basel Anerkennung gefunden hatten. Die nähere Normirung hat sich vorwiegend an die entsprechenden Bestimmungen der Art. 12 bis 40 des deutschen Handelsgesezbuches, hie und da auch an Art. 8 bis 17 des Code de commerce angeschlossen.

Eine durchgreifende Verschiedenheit unseres Entwurfes gegenüber dem deutschen Handelsgesezbuche und, was die Handelsbücher anbetrifft, auch gegenüber dem Code de commerce besteht darin, daß alle diese Institute ihres ausschließlich für H a n d e l s l e u t e berechneten Charakters entkleidet sind.

Die Eintragung der Geschäftsfirmen in das Handelsregister, welche nach deutschem Handelsgesezbuche ein besonderes Recht und eine besondere Pflicht der Kauf leute ist, wird in dem Entwurfe jedem Geschäftsinhaber, auch wenn das Geschäft keinerlei merkantilen Charakter an sich trägt, g e s t a t t e t , und, abgesehen von den besonderen Bestimmungen über Kollektiv-, Kommanditgesellschaften ,und korporative Vereine, gar N i e m a n d e m zur Pflicht gemacht.

Die Verpflichtung zur Führung gehöriger Geschäftsbücher ist nicht bloß jedem Inhaber eines nach kaufmännischer Art geführten Geschäftes, sondern auch denjenigen Gesellschaften und korporativen Vereinen auferlegt, welche zur Eintragung ihrer Firmen verpflichtet .sind, sowie endlich auch jedem andern Geschäftsinhaber, welcher sich freiwillig in das Handelsregister hat eintragen lassen.

Die weitest gehende Aenderung, welche der Entwurf sowohl · dem deutschen Handelsgesezbuche, als sämmtlichen früheren Entwürfen und dem bisherigen Rechte der deutschen Schweiz gegenüber vorgenommen hat, bezieht sich auf die Normirung der Frage, wie die Geschäftsfirma, eines einzelnen Geschäftsinhabers oder einer Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft zu formiren sei.

229 Für Normirung dieser Frage kommen drei sehr weit auseinandergehende Systeme in Betracht.

1. Das System der vollkommenen Freiheit in der Wahl der Geschäftsfirma in dem Sinne, daß auch bei völlig neuer Gründung eines Etablissements ein von dem bürgerlichen Namen des einzelnen Inhabers, oder der Kollektivgesellschafter oder der Gérants der Kommanditgesellschaften völlig abweichender Name als Firma angenommen werden könne. Dieses System war von Munzinger in seinem Entwurfe für ein schweizerisches Handelsgesezbuch, Art. 8, mit der einzigen, der Natur der Sache durchaus eutsprechenden Modifikation angenommen worden, daß die gewählte Firma nicht zu Täuschungen oder zu Verwechslung mit einer andern, bereits eingetragenen Firma Veranlassung geben dürfe, und daß die Aufnahme des bürgerlichen Namens eines Kommanditärs in die Firma einer Kommanditgesellschaft die Behandlung desselben als Kollektivgesellschafter zur Folge habe. Dieses System ist im Wesentlichen auch in den frühern Entwürfen für ein Obligationenrecht, von 1871, 1875 und 1877, festgehalten worden.

2. Das System des Zürcherischen Gesezbuches, Art. 1259, welches konsequent durchgeführt in das deutsche Handelsgesezbuch, Art. 22, übergegangen ist.

Hienach soll zwar bei der ersten Begründung eines Etablissements die Firma aus dem bürgerlichen Namen des einzelnen Geschäftsinhabers, oder, wenn die Gründung durch eine Kollektivoder Kommanditgesellschaft vorgenommen wird, aus einem oder mehreren bürgerlichen Namen eines oder mehrerer unbeschränkt haftender Gesellschafter gebildet werden; wenn aber ein bereits bestehendes Etablissement auf einen neuen einzelnen Inhaber oder auf eine neue Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft übergeht, so soll mit Bewilligung des einen oder der mehreren Theilhaber des Etablissements, beziehungsweise ihrer Erben, die b i s h e r i g e Firma ungehindert fortgeführt werden dürfen.

3. Das System des französischen Rechtes, nach welchem die Geschäftsfirma s t e t s in Uebereinstimmung mit dem bürgerlichen Namen des jeweiligen einzelnen Inhabers oder mit einem oder mehreren bürgerlichen Namen eines oder mehrerer Kollektivgesellschafter oder Gérants einer Kommanditgesellschaft im Einklänge stehen muß.

Der Entwurf hat dieses dritte System in den Bestimmungen der Art. 874 u. ff. mit der größten Strenge durchgeführt. In Art. 880 ist den Registerbehörden zur Pflicht gemacht, die Betheiligten von Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. L

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230 Amtes wegen zur Beobachtung dieser Vorschrift anzuhalten, und nach Art. 881, Absaz 2, wird auch jeder Privatperson, welche dadurch beeinträchtigt wird, daß Jemand eine Firma im Widerspruche mit diesen Vorschriften annimmt und führt, die Befugniß eingeräumt, dagegen einzuschreiten. Ueber die Natur dieses Klagerechts haben wir uns bereits oben bei Gelegenheit der Besprechung des Art. 56 des Entwurfes näher ausgesprochen.

Wir haben uns nicht verhehlt, daß durch die Annahme und strenge Durchführung dieses Systems sehr tief in thatsächliche Verhältnisse eingegriffen wird, welche seit Jahrhunderten in der deutschen Schweiz, namentlich in St. Gallen, Basel und Zürich bestanden haben. Sehr viele alte und renommirte Etablissemente werden unter den alten Firmen von einzelnen Inhabern oder Kollektivgesellschaften oder Gérants von Kommanditgesellschaften fortgeführt, deren bürgerliche Namen gar nichts mit dem einen oder den mehreren Namen zu thun haben, aus denen die Firma zusammengesezt ist.

Sehr häufig, so z. B. bei Buchhandlungen, sind ganz enorme Summen von dem neuen Erwerber des Etablissements für die Befugniß zur Fortführung der Firma ganz unabhängig von dem, was außerdem für Uebernahme der reellen Aktiva des Etablissements vergütet werden mußte, bezahlt worden.

Dessen ungeachtet glauben wir das System des Entwurfes empfehlen zu sollen. Es sprechen dafür Interessen der öffentlichen Ordnung.und es ist dasselbe nicht bloß einstimmig von allen Experten der romanischen Schweiz, sondern sogar von kompetenten Organen des Handelsstandes aus der deutschen Schweiz dringend empfohlen worden.

Es wird natürlich Aufgabe der Uebergangsbestimmungen sein, bei der Durchführung dieses neuen Systems, z. B. durch Gestattung von geräumigen Fristen für die Niederlegung der nach demselben unzuläßigen Firmen, billige Rüksichten walten zu lassen.

Nicht bloß die Reform des Firmawesens, sondern noch eine ganze Reihe anderer Bestimmungen des Entwurfes, durch welche das bisherige Recht geändert wird, machen ein Einführungsgesez mit einläßlichen Uebergangsbestimmungen nothwendig. So wird namentlich in Beziehung auf die sehr mannigfaltigen Verjährungsund sonstigen gesezlichen peremtorischen Fristen, die wir oben zusammengestellt haben, bestimmt werden müssen, nach welchen Normen der Anfang und die Dauer der Frist zu berechnen ist, wenn nach dem bisherigen Rechte zur Zeit, wo das neue Obli-

231 gationenrecht Gesezeskraft erlangt, der Anspruch, um dessen Verjährung oder Verwirkung es sich handelt, noch geltend gemacht werden könnte, während nach den Bestimmungen des Entwurfes die Frist schon g a n z oder doch zum Theil abgelaufen sein würde.

Bei Normirung dieser Frage in einem Einführungsgeseze wird auch die große prinzipielle Verschiedenheit der einzelnen Verjährungsinstitute, die wir oben zu erörtern Gelegenheit hatten, zu berüksichtigen sein ; insbesondere wird diese Frage bei der ganz eigenthümlichen Verjährung des Art. 154 anders, als bei den übrigen kurzen Verjährungen und bei diesen anders, als bei der langen subsidiären 10jährigen Verjährung zu entscheiden sein.

Auch die vielfach neuen Vorschriften über Eingehung der Gesellschaften und Vereine und deren Wirkungen Dritten gegenüber, ganz besonders aber die zum Schuze der Interessen des Publikums für die mannigfaltigen korporativen Vereine erlassenen obligatorischen Bestimmungen, Verbot «der nicht voll eingezahlten Inhaberaktien, Organisation des Vorstandes, des Aufsichtsrathes, der Generalversammlung u. s. w. geben Veranlaßung zu Uebergangsbestimmungen, durch welche einerseits bestehende thatsächliche Verhältnisse zu berüksichtigen und andererseits darauf hinzuwirken ist, daß die neuen Einrichtungen allmälig bei a l l e n Gesellschaften und Vereinen, auch wenn sie schon vor Inkraftsezung des neuen Gesezes entstanden sind, zur Anwendung kommen.

Da sich aus den obigen Bemerkungen ergibt, daß die Ausarbeitung eines Einführungsgesezes eingehende Untersuchungen über das in den Kautonen bestehende Recht und Rechtsfristen erfordert, glaubten wir den Abschluß des Gesezbuches selbst nicht länger verschieben zu dürfen. Wir werden natürlich nicht ermangeln, auf den Zeitpunkt, wo die Räthe und ihre Kommissionen die Durchberathung des Gesezbuches beendigt haben werden, ein Einführungsgesez, beziehungsweise Uebergangsbestimmungen vorzulegen.

Ueber die Behandlung unserer Vorlagen betreffend das Obligationen- und Handelsrecht, sowie betreffend die Handlungsfähigkeit durch die eidgenössischen Räthe- geben die Zusazartikel zu den Geschäftsreglementen, vom 21./22. Juni J877 (A. S. n. F. III, 111 und 113), die nöthige Wegleitung. In der Redaktion der beiden Gesezestexte wurde auf möglichste Präzision und auf inneren Zusammenschluß gehalten, und wenn dieses Ziel überhaupt erreicht worden ist, so kann das Errungene nur dann auf die Dauer erhalten werden,

232

wenn sich die gesezgebenden Käthe auf die prinzipielle Diskussion beschränken und allfällige abweichende Beschlüsse an den Bundesrath zum Zweke der redaktionellen Umarbeitung durch die Expertenkommission und zur Wiedervorlage zurükweisen wollen.

Wir haben in unserer heutigen Sizung dio Vorlage unseres Justiz- und Polizeidepartementes in ihrem ganzen Umfange gutgeheißen und beehren uns, Ihnen dieselbe mit dem Antrage auf Annahme zu unterbreiten.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 27. November 1879.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu einem Gesezentwurfe, enthaltend Schweizerisches Obligationen- und Handelsrecht. (Vom 27. November 1879.)

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1880

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04

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24.01.1880

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