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Bundesblatt

72. Jahrgang.

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Bern, den 15. Dezember 1920. ·

Band V.

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschlüsse der ersten internationalen Arbeitskonferenz, abgehalten in Washington vom 29. Oktober bis 29. November 1919.

(Vom 10. Dezember 1920.)

Wir haben bereits in unserer Botschaft vom 4. August 1919 betreffend die Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund und in der Botschaft vom 21. Juni 1920 betreffend die Errichtung des eidgenössischen Arbeitsamtes Veranlassung genommen, über die durch die Friedensverträge ins Leben gerufene Internationale Arbeitsorganisation zu berichten. Mit der Entstehung dieser Organisation ist für den internationalen Arbeiterschutz eine neue Entwicklung angebrochen. Jetzt, wo es sich darum handelt, zum erstenmal zu den Beschlüssen der neuen Organisation Stellung zu nehmen, ist es wohl am Platz, sich über das Vergangene kurz Rechenschaft zu geben und zudem nochmals das Wesen und die Ziele der neuen Organisation und ihr Verhältnis zu den einzelnen Mitgliedstaaten im Zusammenhang auseinanderzusetzen.

Dabei müssen wir gleich zu Anfang darauf hinweisen, dass die im Anhang wiedergegebene deutsche Übersetzung der einschlägigen Bestimmungen der Friedensverträge und der Beschlüsse von Washington zum Teil von den bisher veröffentlichten Übersetzungen abweicht. Wie wir schon in der Botschaft über die Errichtung des Arbeitsamtes bemerkten, hatten die bisherigen deutschen Texte keinen offiziellen Charakter. Der Urtext der Friedensverträge und der Beschlüsse der Arbeitskonferenzen ist englisch und französisch. Um für alle deutschsprechenden Länder einen gemeinsamen deutschen Text zu haben, trat vom 11. bis 13. Oktober 1920 auf Initiative des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements hin ein Redaktionsausschuss zusammen, in Bundesblatt.

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welchem Deutschland, Österreich, die Schweiz und das Internationale Arbeitsamt vertreten waren. Dieser Ausschuss stellte einen Text her, den wir für die Schweiz als offiziellen deutsehen Text angenommen haben.

L Geschichtlicher Àbriss des internationalen Arheiterschutzes.

Der erste, der unseres Wissens den Gedanken eines internationalen Arbeiterschutzes öffentlich aussprach, war der Engländer Robert Owen. Als nach Einführung der Maschinen in der Industrie die industrielle Entwicklung zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit wachsender Kraft einsetzte und die Anfänge einer die ganze Welt umfassenden Wirtschaft immer deutlicher zutage traten, kam er auf die Idee," dass einer Weltwirtschaft auch eine Weltsozialpolitik entsprechen müsse. Er suchte Männer der Wissenschaft und der Praxis für seine Idee zu gewinnen und kam zu dem Zwecke im Sommer 1818 nach der Schweiz, wo er mit dem Genfer Pictet-de-Rochemont, dem Vertreter der Schweiz am Wienerkongress, und mit Pestalozzi zusammentraf. Er reiste im Oktober des gleichen Jahres nach Aachen und unterbreitete dort dem Kongresse der ,,Heiligen Allianz" seine Pläne, fand aber kein Gehör.

Später nahm der Elsässer Fabrikant Daniel le Grand die Idee des internationalen Arbeiterschutzes wieder auf. In einem Schreiben an die französische Deputiertenkammer, welche im Jahre 1841 einen Gesetzesentwurf über die Kinderarbeit beriet, wies er auf die Notwendigkeit eines internationalen Gesetzes über die Industriearbeit hin. Er arbeitete selbst einen Entwurf einer internationalen Regelung des Arbeitszeit, der Arbeit der Jugendlichen, der Nachtarbeit der Frauen und der Sonntagsruhe aus und sandte ihn in den Jahren 1853 bis 1855 mit einem Rundschreiben an die Regierungen verschiedener Länder. Ohne Erfolg; seine Eingaben verschwanden in den Kanzleiarchiven der Regierungen.

Im Jahre 1855 regte die Regierung des Kantons Glarus, der in Arbeiterschutzfragen eine führende Stellung einnahm, bei den industriellen Kantonen den Abschluss eines Konkordates über die Gesetzgebung in den Fabriken an. Sie wies dabei daraufhin, dass eine internationale Regelung wohl das Zweckmässigste, aber momentan nicht zu erreichen wäre.

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Die 1864 ins Leben gerufene ^Internationale" (Internationale Arbeiterassoziation) stellte an ihrem Kongress zu Genf im Jahre 1866 ein internationales Arbeiterschutzprogramm auf, das zum erstenmal die Forderung des Achtstundentages enthielt. Anfangs der siebziger Jahre gewann die Idee des internationalen Arbeiterschutzes zahlreiche Anhänger unter den Gelehrten und Volkswirtschaftern verschiedener Länder.

Als am 5. Juni 1876 die schweizerische Bundesversammlung zur Sommersession zusammentrat, an welcher der Entwurf des ersten schweizerischen Fabrikgesetzes beraten werden sollte, unterzog der damalige Nationalratspräsident Emil Frey das Ereignis in seiner Eröffnungsrede einer besondern Würdigung. Er empfahl dabei die Prüfung der Frage, ob nicht seitens der Schweiz der Abschluss internationaler Verträge zum Zwecke möglichst gleichmassiger Regulierung der Arbeitsverhältnisse in allen Industriestaaten sollte angeregt werden. Die Rede, welche in der Presse lebhaft erörtert wurde, gab den Anlass dazu, dass die Idee des internationalen Arbeiterschutzes zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion wurde.

In weiterer Verfolgung seiner Idee stellte Herr Emil Frey am 9. Dezember 1880 im Nationalrat die Motion, der Bundesrat sei einzuladen, mit den hauptsächlichsten Industriestaaten zum Zwecke der Schaffung einer internationalen Fabrikgesetzgebung in Verbindung zu treten. Nachdem die Motion im folgenden Jahr erheblich erklärt worden war, wandte sich der Bundesrat an die Regierungen von Belgien, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien und Österreich, ohne jedoch Entgegenkommen zu finden.

Dieser Misserfolg konnte die Idee des internationalen Arbeiterschutzes nicht aufhalten. Die Arbeiterschaft, auch Fabrikanten, wissenschaftliche Gesellschaften und politische Parteien setzten sich für sie ein. Auch in den Parlamenten Frankreichs und Deutschlands wurden in den Jahren 1884 und 1886 Anträge auf internationale Regelung des Arbeiterschutzes gestellt, blieben aber erfolglos.

Eine zweite Aktion des Bundesrates wurde veranlasst durch die am 23. Dezember 1887 eingebrachte und am 27. Juni 1888 erheblich erklärte Motion der Nationalräte Dr. Decurtins und Favon. Danach wurde der Bundesrat eingeladen, zum Zwecke internationaler Regelung des Schutzes minderjähriger Personen, der Beschränkung der Frauenarbeit und
der Sonntagsruhe mit andern Staaten in Verbindung zu treten. Ein von Nationalrat Dr. Decurtins im Auftrage des Bundesrates ausgearbeitetes und im Februar 1889 veröffentlichtes Memorial über die Angelegen-

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heit regte unter anderem die Schaffung einer internationalen Zentralstelle an mit der Aufgabe, die Berichte über die Handhabung der internationalen Vereinbarungen entgegenzunehmen und zu vermitteln, die Entwicklung der Arbeitergesetzgebung überhaupt zu studieren und ihre Studien zu publizieren.

In Ausführung der Motion Decurtins und Favon lud der Bundesrat im März 1889 die Regierungen der europäischen Industrieländer ein, an eine im September des gleichen Jahres in Bern abzuhaltende vorbereitende Konferenz zur Besprechung und Festsetzung derjenigen Aufgaben bezüglich Arbeiterschutz, deren Ausführung durch internationale Übereinkommen als wünschbar erachtet werden sollte, Delegierte abzusenden. Als Programmpunkte für diese Konferenz schlug der Bundesrat vor : 1. Verbot der Sonntagsarbeit; 2. Festsetzung eines Minimalalters für die Zulassung von Kindern in fabrikmässigen Betrieben; 3. Festsetzung eines Maximalarbeitstages für jugendliche Arbeiter ; 4. Verbot der Beschäftigung von jugendlichen und weiblichen Personen in besonders gesundheitsschädlichen und gefährlichen Betrieben ; 5. Beschränkung der Nachtarbeit für jugendliche und weibliche Personen; 6. Art und Weise der Ausführung allfällig abgeschlossener Verträge.

Da die Antworten der Regierungen günstig lauteten, so konnte an die Vorbereitung der Konferenz geschritten werden.

Allein mit Rücksicht auf die politischen Verhältnisse entschloss sich der Bundesrat, die Konferenz auf Mai 1890 zu verschieben.

Als im Februar 1890 die Einladungen hierzu versandt wurden, ·wurde gleichzeitig vom deutschen Kaiser die Einberufung eines internationalen Arbeiterschutzkongresses nach Berlin angeregt.

Der Bundesrat trat im Interesse der Sache von seiner Aktion zurück und überliess Deutschland den Vortritt. Vom 15. bis 29. März 1890 tagte daraufhin in Berlin eine Konferenz von Vertretern der hauptsächlichsten Industriestaaten Europas. Praktische Ergebnisse zeitigte sie nicht; ihre Beschlüsse hatten lediglich die Form von Wünschen, deren Erfüllung den einzelnen Staaten anheimgestellt wurde. Immerhin hatte die Konferenz zur Folge, dass die Idee des internationalen Arbeitersehutzes gefördert und in weitere Kreise getragen wurde.

In der Schweiz liess man sich durch die Misserfolge nicht entmutigen. Am 21. Juni 1895 beschloss die Bundesversammlung, die Verhandlungen
über eine internationale Regelung der Arbeiterschutzfragen seien wieder aufzunehmen. Infolgedessen richtete der Bundesrat mit Zirkularschreiben vom 1. Juni 1896 die Anfrage an die Regierungen verschiedener europäischer Staaten, ob

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nicht Verhandlungen zum Zwecke der Gründung eines internationalen Bureaus für Arbeiterschutz angebahnt werden sollten.

Abermals lauteten die Antworten ablehnend.

Es bedurfte in den nächsten Jahren wiederum der Tätigkeit privater Vereinigungen, der Arbeiterschaft und der Sozialpolitiker, um die Idee des internationalen Arbeiterschutzes wach zu halten und für sie zu werben. Das geschah namentlich durch Veranstaltung internationaler Kongresse, von denen insbesondere der der Initiative des schweizerischen Arbeiterbundes entsprungene erste internationale Kongress für Arbeitorschutz vom 25. bis 28. August 1897 in Zürich zu erwähnen ist. Ein umfassendes Arbeiterschutzprogramm wurde dort aufgestellt und die Errichtung eines internationalen Arbeiterschutzamtes gefordert.

An einem während der Weltausstellung in Paris im Juli 1900 abgehaltenen Kongress von Freunden des internationalen Arbeiterschutzes wurde die Gründung einer ,,Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz" und die Errichtung eines internationalen Arbeitsamtes beschlossen. Dieses auf privater Grundlage beruhende, durch verschiedene Staaten finanziell unterstützte Bureau wurde am 1. Mai 1901 in Basel eröffnet.

Es entfaltete im Laufe der Jahye eine rege Tätigkeit durch Bearbeitung von Fragen des Arbeitsreehtes, durch Erteilung von Gutachten und Auskünften, durch Veranstaltung von Versammlungen und Konferenzen und durch die Herausgabe einer fortlaufenden Sammlung der Arbeiterschutzgesetze der Welt.

Auf Anregung der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz lud der Bundesrat im Dezember 1904 neuerdings zu einer internationalen Arbeitersehutzkonferenz ein, an welcher das Verbot des weissen Phosphors bei der Herstellung von Zündhölzehen und das Verbot der gewerblichen Nachtarbeit der Frauen zur Behandlung gelangen sollten. Der Schritt hatte Erfolg. Vom 8. bis 17. Mai 1905 tagte in Bern zu dem Zweck eine von fünfzehn europäischen Staaten beschickte vorberatende Expertenkonferenz. Ihr folgte die diplomatische Konferenz vom 17. bis 26. September 1906 in Bern. Das Resultat dieser Konferenzen war der Abschluss zweier internationaler Übereinkommen, das eine betreffend das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen und das andere betreffend das Verbot der Verwendung von weissem Phosphor in der Zündholzindustrie. Damit
war die jahrzehntelange unablässige Arbeit für den internationalen Arbeiterschutz von den ersten Erfolgen gekrönt.

Ohne Kämpfe und Zugeständnisse war es dabei nicht abgegangen ; das Einlenken verschiedener Staaten konnte nur durch

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die Gewährung langer Fristen für das Inkrafttreten der Übereinkommen ermöglicht werden. Die Portentwicklung des internationalen Arbeiterschutzes, die das Verbot der Nachtarbeit der Jugendlichen und die Festsetzung einer zehnstündigen Arbeitszeit für Jugendliche und Arbeiterinnen umfassen sollte, konnte daher erst im Jahre 1913 nach umfangreichen Erhebungen vor sich gehen. Zur Behandlung jener Fragen tagte im September 1913 eine vom Bundesrate einberufene internationale Expertenkonferenz, welche die Grundzüge zweier neuer internationaler Übereinkommen feststellte. Eine für den September 1914 vorgesehene diplomatische Konferenz hätte zu diesen Entwürfen endgültig Stellung nehmen sollen. Der Krieg verhinderte ihre Abhaltung und damit die Ausführung der Berner Beschlüsse von 1913.

Der Krieg brachte sogar einen Rückschlag; verschiedene Länder wurden durch die Verhältnisse gezwungen, den Arbeiterschutz einzuschränken. Die Arbeiterschaft erwartete aber vom Frieden seine Wiederaufnahme und wesentliche Förderung. So schlug der amerikanische Arbeiterbund (American Labor Fédération) schon Ende 1914 die Abhaltung eines gleichzeitig mit dem Friedenskongress einzuberufenden Arbeiterkongresses vor.

Die im Juli 1916 in Leeds veranstaltete Konferenz von belgischen, britischen, französischen und italienischen Gewerkschaftsvertretern nahm diesen Vorschlag auf und arbeitete zur Berücksichtigung im kommenden- Friedensvertrag ein internationales Arbeiterschutzprogramm aus, das in einer vom schweizerischen Gewerkschaftsbund einberufenen Konferenz im Oktober-1917 in Bern von den Vertretern der Gewerkschaften Deutschlands, Österreich-Ungarns, Böhmens, Bulgariens, Dänemarks, Norwegens, Schwedens, Hollands und der Schweiz im wesentlichen bestätigt wurde. Nach Abschluss des Waffenstillstandes trat im Februar 1919 in Bern der erste internationale Gewerkschaftskongress unter Beteiligung von Arbeitervertretern fast aller bedeutenden Industrieländer zusammen und stellte in Anlehnung an die Programme von Leeds und Bern Mindestforderungen für die internationalen Arbeiterschutzbestimmungen im Friedensvertrage auf.

Unter dem Einfluss dieser Bestrebungen wurden in den Friedensverträgen Bestimmungen aufgenommen, die zwar nicht ein abgeschlossenes Arbeiterschutzprogramm darstellen, wohl aber die Schaffung der ständigen Internationalen
Arbeitsorganisation als völkerrechtliches Gebilde vorsehen, deren Hauptaufgabe darin besteht, das Arbeitsrecht auf internationaler Grundlage zu entwickeln und auszubauen.

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II. Die Internationale Arbeitsorganisation.

In den Friedeiisverträgen ist ein besonderer Abschnitt der ,,Arbeit" gewidmet; im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919, nach welchem wir zitieren, ist es der XIII. Teil, abgedruckt im Anhang als Beilage III. Danach wird eine ständige, dem Völkerbunde angegliederte Organisation geschaffen, die ,, I n t e r n a t i o n a l e A r b e i t s o r g a n i s a t i o n " 1 . Ihre ursprünglichen Mitglieder sind die ursprünglichen Mitglieder des Völkerbundes. Später wird die Mitgliedschaft durch den nachträglichen Beitritt zum Völkerbund erworben.

.Die Organe der Internationalen Arbeitsorganisation sind die ,,Allgemeine Konferenz" und das ,,Internationale Arbeitsamt", das unter der Aufsicht eines Verwaltungsrates steht.

Die A l l g e m e i n e K o n f e r e n z besteht aus den Delegierten der Mitglieder. Jedes Mitglied hat das Recht auf vier durch die Regierung zu ernennende Delegierte ; hiervon vertreten zwei die Regierung, einer die Arbeitgeber und einer die Arbeitnehmer.

Jedem Delegierten können ebenfalls von der Regierung zu ernennende technische Ratgeber beigegeben werden, in der Zahl von höchstens zwei für jeden einzelnen Gegenstand der Tagesordnung. Die Delegierten und technischen Ratgeber, welche nicht die Regierung vertreten, sind im Einverständnis mit den massgebenden Berufsverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu bezeichnen, vorausgesetzt, dass solche Verbände bestehen. Die Konferenz kann mit Zweidrittelmehrheit die Zulassung von Delegierten oder technischen Beratern, welche nicht diesen Vorschriften gemäss ernannt worden sind, ablehnen.

Jeder Delegierte hat in der Allgemeinen Konferenz eine Stimme ; er ist in seiner Stimmabgabe frei. Es wird also weder nach Staaten noch nach Gruppen gestimmt, ausser bei der Wahl des Verwaltungsrates. Sind an der Konferenz die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines Mitgliedes nicht gleichzeitig vertreten, sei es, weil die Regierung nur den Vertreter einer dieser Gruppen bezeichnete, oder sai es, weil die Konferenz die Zulassung eines Vertreters aus dem angegebenen Grunde verweigerte, so hat der Vertreter der andern Gruppe nur das Recht, an den Beratungen teilzunehmen ; stimmen darf er nicht.

Die technischen Ratgeber dürfen nur auf Antrag des Delegierten, dem sie beigeordnet sind, und nur mit Genehmigung des
Vorsitzenden der Konferenz das Wort ergreifen ; Stimmrecht besitzen sie nicht.

Ein Delegierter kann sich aber durch einen seiner Ratgeber vertreten lassen ; es bedarf hierzu bloss einer schriftlichen Mitteilung an den

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Vorsitzenden. In einem solchen Falle übt der Ratgeber die Rechte aus, die dem Delegierten zukommen; er kann an dessen Stelle an den Beratungen und Abstimmungen teilnehmen.

Die Tagungen der Konferenz werden je nach dem Bedürfnis, mindestens aber einmal jährlich, abgehalten. Sie finden am Sitze des Völkerbundes oder an dem Orte statt, der in einer früheren Tagung der Konferenz mit Zweidrittelmehrheit bezeichnet worden ist.

Die Konferenz stellt ihre Geschäftsordnung auf, wählt ihren Vorsitzenden und kann zur Prüfung und Berichterstattung über einzelne Fragen Ausschüsse einsetzen.

Der V e r w a 11 u n g s r a t d e s I n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t s a m t e s besteht aus 24 Mitgliedern, von denen 12 die Regierungen und je 6 die Arbeitgeber und Arbeiter vertreten. Die Amtsdauer beträgt drei Jahre. Von den 12 Regierungsvertretern fallen acht den Ländern zu, denen die grösste industrielle Bedeutung zukommt, und vier denjenigen Mitgliedern, die von den Regierungsdelegierten der Konferenz unter Ausschluss der Delegierten der erwähnten acht Länder bezeichnet werden. Streitigkeiten über die Frage, welchen Ländern die grösste industrielle Bedeutung zukommt, werden durch den Rat des Völkerbundes entschieden. Die Wahl der Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeiter erfolgt durch die entsprechenden Delegiertengruppen der Allgemeinen Konferenz.

Der Verwaltungsrat hat folgende Obliegenheiten: 1. er ordnet, vorbehaltlich der Zustimmung der Allgemeinen Konferenz, das Verfahren bei Besetzung freigewordener Sitze und ähnliche Fragen (Art. 393, Abs. 5) ; 2. er wählt seinen Vorsitzenden, setzt die Geschäftsordnung fest und bestimmt den Zeitpunkt des Zusammentritts (Art. 393, Abs. 6); 3. er hat die Aufsicht über das Arbeitsamt (Art. 388 und 393) ; 4. er wählt den Direktor des Arbeitsamtes, gibt ihm Anweisungen und erteilt ihm für seine Geschäftsführung Entlastung Art. 394) ; 5. er bestimmt die Sprache, in welcher Veröffentlichungen in der vom Arbeitsamt herausgegebenen Zeitschrift neben Französisch und Englisch erscheinen sollen (Art. 396, Abs. 4) ; 6. er prüft die Vorschläge für die Verhandlungsgegenstände der Tagungen der Allgemeinen Konferenz und setzt die Tagesordnung fest (Art. 400) ; 7. er bestimmt die Form der jährlichen Berichte, die ein Mitgliedstaat dem Internationalen Arbeitsamt über seine Massnahmen

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zur Durchführung eines angenommenen Übereinkommens einzureichen hat (Art. 408); 8. er wirkt bei Beschwerden über nicht genügende Durchführung angenommener Übereinkommen mit (Art. 409--411, 420); 9. er führt die Bildung der Untersuchungskommission herbei und prüft die Mandate der von den Mitgliedstaaten hierfür vorgeschlagenen Personen (Art. 411, Abs. 3, und 412, Abs. 3).

Dem I n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t s a m t sind folgende Aufgaben übertragen : 1. die Sammlung und Weiterleitung aller Unterlagen, die sich auf die internationale Regelung der Lage der Arbeiter und der Arbeitsverhältnisse beziehen (Art. 396, Abs. 1); 2. die Bearbeitung der Fragen, die an der Allgemeinen Konferenz zum Zwecke des Abschlusses internationaler Vereinbarungen behandelt werden sollen und die Vorbereitung der Tagesordnung für die Tagungen der Konferenz (Art. 396, Abs. l und 2); 3. die Durchführung aller besondern, von der Allgemeinen Konferenz angeordneten Untersuchungen (Art. 396, Abs. 1) ; 4. gewisse Obliegenheiten bei internationalen Streitigkeiten (Art. 396, Abs. 3), bestehend in der Entgegennahme von Beschwerden wegen Nichtdurchführung internationaler Arbeitsübereinkommen (Art. 409 und 411, Abs. 1); 5. Herausgabe einer regelmässig erscheinenden Zeitschrift für internationale Fragen der Industrie und der Arbeit (Art. 396, Abs. 4); 6. Entgegennahme der Berichte der Mitgliedstaaten über die zur Durchführung internationaler Übereinkommen getroffenen Massnahmen (Art. 408) ; 7. sonstige Befugnisse und Obliegenheiten, die ihm von der Allgemeinen Konferenz im Rahmen der Vorschriften des Teiles XIII des Friedensvertrages übertragen werden (Art. 396, Abs. 5).

Das Internationale Arbeitsamt steht unter der Leitung eines verantwortlichen D i r e k t o r s , dem insbesondere noch folgende Obliegenheiten übertragen sind : 1. er hat sich an die Anweisungen des Verwaltungsrates zu halten und ist diesem für die Erfüllung seiner Aufgaben verantwortlich (Art. 394, Abs. 1); 2. er oder sein Stellvertreter nimmt an allen Sitzungen des Verwaltungsrates teil (Art. 394, Abs. 2);' 3. er stellt das Personal des Arbeitsamtes an (Art. 395) ; 4. er vermittelt den Verkehr mit den Regierungen der Mitgliedstaaten (Art. 397) ;

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5. er beschafft die Mittel für die Kosten des Arbeitsamtes, sowie der Tagungen der Allgemeinen Konferenz u ad des Verwaltungsrates und ist dem Generalsekretär des Völkerbundes hierfür verantwortlich (Art. 399, Abs. 2); 6. er ist der Sekretär der Allgemeinen Konferenz und sorgt für die Mitteilung der Tagesordnung an die Mitgliedstaaten (Art. 401); 7. er übermittelt die Einwendungen gegen die Tagesordnung der Allgemeinen Konferenz an die Mitgliedstaaten (Art. 402, Abs. 1) ; 8. er händigt eine Ausfertigung der von der Allgemeinen Konferenz angenommenen Vorschläge und Entwürfe von Übereinkommen an den Generalsekretär des Völkerbundes aus (Art. 405, Abs. 4).

Was die K o s t e n anbetrifft, so hat jedes Mitglied seine Delegierten und deren technische Ratgeber, sowie seine Vertreter im Verwaltungsrate selbst zu entschädigen ; alle andern Kosten fallen zu Lasten der Kasse des Völkerbundes.

Die Beschlüsse der Allgemeinen Konferenz, welche die internationale Regelung der Arbeitsverhältnisse bezwecken, haben entweder die Form eines V o r s c h l a g e s 1 ) oder eines Entw u r f e s e i n e s Ü b e r e i n k o m m e n s . Zur Gültigkeit solcher Beschlüsse bedarf es in der Endabstimmung einer Zweidrittelsmehrheit der Stimmen der anwesenden Delegierten.

Die Beschlüsse der Konferenz haben für die Mitglieder keinen bindenden Charakter -, dagegen sind diese verpflichtet, sie binnen Jahresfrist vom Schluss der Konferenz hinweg, oder wenn dies infolge ausserordentlicher Umstände unmöglich sein sollte, sobald es angängig ist, spätestens aber innert achtzehn Monaten, derenigen Stelle vorzulegen, welche nach den Landesgesetzen zutändig ist. Dagegen ist nicht vorgeschrieben, dass die zuständige Stelle innert der nämlichen Frist entscheiden müsse. Findet ein Vorschlag die Billigung der zuständigen Stelle, so sind die darin enthaltenen Forderungen auf dem Wege der Landesgesetzgebung zu verwirklichen. Die so getroffenen Massnahmen sind dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Kenntnis zu bringen. Findet anderseits der Entwurf eines Übereinkommens die Billigung der zuständigen Landesstelle, so tritt die Bindung des Landes mit der förmlichen Ratifikation ein, · die ebenfalls dem Generalsekretär ') Im Englischen ,,recommendation", im Französischen ,,recommandation". Der Ausdruck ,,Vorschlag" wurde vom Redaktionsausschuss, der den deutschen Text herstellte, gewählt, weil er am besten den Sinn der Urtexte, hauptsächlich des englischen wiedergibt.

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des Völkerbundes mitzuteilen ist. Ein Land, das ein Übereinkommen ratifiziert, hat die Pflicht, die erforderlichen Massnahmen zu seiner Durchführung zu treffen.

Finden die Beschlüsse der Allgemeinen Konferenz nicht die Zustimmung der zuständigen Landesstelle, so erwächst dem betreffenden Mitgliedstaate keine Verpflichtung.

Kann ein Bundesstaat einem Übereinkommen nicht beitreten, weil er nach seinem Staatsrechte hierzu nicht zuständig ist, so kann seine Regierung den Entwurf des Übereinkommens als einfachen Vorschlag behandeln und das hierfür vorgesehene Verfahren einschlagen.

Kommt ein Mitglied der Pflicht nicht nach, die Beschlüsse der Arbeitskonferenz innert Jahresfrist der zuständigen Stelle zu unterbreiten, so hat jedes andere Mitglied das Recht, den ständigen Internationalen Gerichtshof anzurufen, der gegen das säumige Mitglied wirtschaftliche Strafmassnahmen verhängen kann.

Führt ein Mitglied ein von ihm ratifiziertes Übereinkommen nicht durch, so kann gegen es Beschwerde geführt werden, und zwar entweder von einem Berufsverband der Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder aber von einem andern Mitgliede. Geht die Beschwerde von einem Berufsverbande aus, so wird sie vom Verwaltuügsrate des Internationalen Arbeitsamtes erledigt; diesem steht das Recht zu, die Beschwerde und gegebenenfalls die Antwort der betreffenden Regierung zu veröffentlichen. Geht dagegen die Beschwerde von einem Mitgliede aus, so kann der Verwaltungsrat die Bildung einer Untersuchungskommission herbeiführen.

Er stellt zu dem Zwecke einen Antrag beim Generalsekretär des Völkerbundes, der aus einer hierfür aufgestellten Liste drei Personen bezeichnet, welche zusammen die Kommission bilden ; von diesen drei Personen, die nicht einem an der Beschwerde unmittelbar beteiligten Mitgliedstaate angehören dürfen, hat eine die Arbeitgeber und eine die Arbeitnehmer zu vertreten, während die dritte neutral sein muss. Die Kommission erstattet nach eingehender Prüfung einen Bericht mit Anträgen; sie kann die wirtschaftlichen Strafmassnahmen bezeichnen, welche sie gegenüber der fehlbaren Regierung für angebracht hält. Der Generalsekretär des Völkerbundes teilt den Bericht den am Streitfall beteiligten Regierungen mit und veranlasst seine Veröffentlichung.

Jede der beteiligten Regierungen hat sich innert einem Monat zu entscheiden, ob
sie die im Bericht enthaltenen Vorschläge annimmt oder nicht. Im Falle der Nichtannahme hat der ständige Internationale Gerichtshof zu entscheiden; er ist dabei an die-

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Anträge der Untersuchungskommission nicht gebunden; er bezeichnet gegebenenfalls die wirtschaftlichen Strafmassnahmen, welche der Regierung gegenüber zur Anwendung gelangen sollen.

Gegen seine Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel.

Die Vorschriften der Friedensverträge über die ,,Arbeit" können abgeändert werden, wenn dies von der Arbeitskonferenz mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Delegierten beschlossen und der Beschluss von den Staaten, deren Vertreter den Rat des Völkerbundes bilden, und von drei Vierteln der Mitgliedstnaten ratifiziert wird. Streitfragen und Schwierigkeiten der Auslegung sowohl der Vorschriften der Friedensverträge als der geschlossenen Übereinkommen sind vom ständigen Internationalen Gerichtshof zu entscheiden.

III. Die Stellungnahme zu den Beschlüssen der internationalen Arbeitskonferenzen Tom Standpunkt des schweizerischen Staatsrechtes aus.

Mit dem Beitritt zum Völkerbund ist die Schweiz ursprüngliches Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation geworden.

Als solches hat sie die Pflicht, innert nützlicher Frist die Beschlüsse der internationalen Arbeitskonferenzen, welche entweder die Form eines Vorschlages oder eines Entwurfes eines Übereinkommens haben, der zuständigen Stelle zu unterbreiten. Die Frage der Zuständigkeit und der zu treffenden Vorkehren ist einer grundsätzlichen Prüfung vom Standpunkte des schweizerischen Staatsrechtes aus zu unterwerfen. Dabei sind die ,,Vorschläge"1 und die ,,Entwürfe von Übereinkommen1'' entsprechend der Verschiedenheit ihrer rechtlichen Natur auseinanderzuhalten.

Der ,, V o r s c h l a g " ist ein Postulat, das die Internationale Arbeitsorganisation an die Mitgliedstaaten richtet und das darauf abzielt, diese Staaten zu veranlassen, auf landesrechtlichem, also auf dem ihrer internen Gesetzgebung entsprechenden Wege bestimmte Grundsätze oder Vorschriften zu verwirklichen. Ein solches Postulat kann nur auf dem landesrechtlich vorgesehenen Wege zum objektiven Recht erhoben werden, wobei jeder einzelne Staat in der Art der Verwirklichung eine gewisse, seinen besondern Verhältnissen und seiner Eigenart entsprechende Freiheit hat.

Die Verwirklichung eines Vorschlages wird bei uns in der Regel auf dem Wege eines Bundesgesetzes erfolgen können. In

445 diesem Falle ist zweifellos die Bundesversammlung als gesetzgebende Behörde die Stelle, welcher der Vorschlag zum Entscheide vorzulegen ist. Ein Vorschlag kann aber auch einen Gegenstand betreffen, mit Bezug auf den dem Bund die verfassungsmässige Befugnis zur Gesetzgebung fehlt, wie dies z. B. bezüglich der Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft der Fall ist. Dann muss der Bund, wenn er den Vorschlag verwirklichen will, vorerst die verfassungsmässige Grundlage für seine Gesetzgebungshoheit schaffen, indem er eine Revision der Bundesverfassung einleitet. Bei einem solchen Vorgehen ist wiederum die Bundesversammlung die zuständige Behörde. Die Verwirklichung eines Vorschlages kann unter Umständen auch bloss auf dem Verordnungswege geschehen, dann nämlich, wenn die Regelung des betreffenden Gegenstandes infolge Bundesrechtes dem Bundesrate vorbehalten ist. Auch in solchen Fällen, welche zwar die Ausnahmen bilden werden, wird es sich empfehlen, den Vorschlag den eidgenössischen Räten zu unterbreiten, damit sie orientiert werden und Gelegenheit erhalten, sich zur Sache zu äussern-, Teilen dann die Räte die Auffassung, dass eine blosse Verordnung genügt, so werden sie das in einem Beschlüsse zum Ausdruck bringen, worin erklärt wird, dass kein Anlass zu gesetzlichen Massnahmen vorliege. Wir kommen also zum Ergebnis, dass in jedem Falle die Vorschläge der Arbeitskonferenzen der Bundesversammlung zu unterbreiten sind. Dabei wird der Bundesrat jeweilen Bericht erstatten und Anträge stellen. Gehen diese dahin, dass einem Vorschlag durch Eiiass eines Bundesgesetzes Folge zu geben sei, so kann er gleichzeitig den Entwurf vorlegen oder, wenn die nötige Zeit hierzu fehlte, beantragen, es sei von den eingeleiteten Vorarbeiten Kenntnis zu nehmen oder schliesslich es sei ihm der Auftrag zur Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes zu erteilen. Fehlt dem Bund die verfassungsmässige Zuständigkeit zur Verwirklichung eines Vorschlages, so kann, wie bereits erwähnt, der Antrag auf Änderung der Bundesverfassung gestellt werden, oder es kann, wenn eine Verfassungsändernung nicht belieben sollte, der Vorschlag den Kantonen zur Verwirklichung durch die kantonale Gesetzgebung unterbreitet werden. Praktisch wird aber dieser Weg kaum gangbar sein, weil eine Verpflichtung der Kantone, einem solchen Ansuchen
Folge zu leisten, nicht besteht, und weil ein gemeinsames und einigermassen einheitliches Vorgehen der Kantone nur schwer zu erzielen wäre. Verhält sich die Bundesversammlung einem Vorschlage gegenüber vollständig ablehnend, so kann sie selbstverständlich beschliessen, dass keine weitern Massnahmen zu treffen seien. Das gleiche

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würde zutreffen, wenn ein Vorschlag durch die Landesgesetze bereits verwirklicht ist.

Nach Art. 405, Abs. 6, des Friedensvertrages sind die getroffenen Massnahmen dem Generalsekretär des Völkerbundes mitzuteilen. Über die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift können Zweifel entstehen. Sollen nur die Massnahmen mitgeteilt werden, die getroffen wurden, um der Pflicht zur rechtzeitigen Vorlage eines Vorschlages an die zuständige Behörde Genüge zu leisten, oder sind auch die Beschlüsse dieser Behörde und allfällige spätere Verwirklichungsmassnahmen mitzuteilen? Wir nehmen Umgang davon, uns für die eine oder andere Auslegung zu entscheiden. Wir werden alles tun, was auch einer weitgehenden Auslegung standhält, und demnach dem Generalsekretär des Völkerbundes von allen Massnahmen Kenntnis geben, die sich auf die Vorlage eines Vorschlages an die eidgenössischen Räte, auf deren Beschlüsse und auf allfällige gesetzliche Erlasse beziehen. Damit werden wir unsern Pflichten in jeder Hinsicht Genüge leisten ; eine andere völkerrechtliche Verpflichtung oder Bindung wird durch einen Vorschlag nicht begründet.

Was die ,, E n t w ü r f e von Ü b e r e i n k o m m e n " 1 anbetrifft, so ist davon .auszugehen, dass es sich um Staatsvertragsentwürfe handelt. Nach Art. 8 der Bundesverfassung ist der Abschluss von Staatsverträgen das alleinige Recht des Bundes; die Kantone haben nur ausnahmsweise und in beschränktem Umfange das Recht, mit dem Auslande Vereinbarungen zu treffen. Nach der Praxis und der herrschenden Auffassung ist das Recht des Bundes ein uneingeschränktes; er ist zuständig,Staatsverträgeabzuschliessen über Gegenstände, inbezug auf welche ihm die Gesetzgebungshoheit verfassungsmässig nicht zukommt. Die sachlichen Schranken, welche die Bundesverfassung der Gesetzgebungshoheit des Bundes gpsetzt hat, gelten daher nicht, wenn es sich um internationale Vereinbarungen handelt.

Zuständig zum Entscheide über den Beitritt zu einem Staatsvertrage ist die Bundesversammlung. Ihr Beschluss ist endgültig, da die Staatsverträge nach geltendem Rechte dem Referendum nicht unterstellt sind. Die Abgabe der Beitrittserklärung aber ist Sache des Bundesrates als obersten, vollziehenden und leitenden Organs der Eidgenossenschaft, dem die Wahrung der Interessen der Eidgenossenschaft nach aussen, namentlich ihrer
völkerrechtlichen Beziehungen, und die Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen ist.

Bei Abschluss von Staatsverträgen ist eine doppelte Rechtswirkung ins Auge zu fassen : eine völkerrechtliche nach aussen,

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eine staatsrechtliche nach innen. Die völkerrechtliche Wirkung tritt mit der Ratifikation ein, die staatsrechtliche Wirkung erst mit dem Gesetzesbefehl, der sich an die eigenen Staatsangehörigen richtet und ihnen ein vertragsgemässes Handeln vorschreibt. Die Frage, wie ein Staatsvertrag landesrechtlich verbindlich wird, wie also der Gesetzesbefehl zu erlassen sei, beurteilt sich in jedem Staate ausschliesslich nach seinem Staatsrechte. Bei uns geschieht das durch die Veröffentlichung des Staatsvertrages. Mit der Veröffentlichung wird der Staats vertrag dem Gesetzesakt gleichgestellt; sein Inhalt wird zum objektiven Bundesrecht, ohne dass es einer weiteren Äusserung des Gesetzgebungswillens bedarf. Dieser Grundsatz gilt auch für die von den internationalen Arbeitskonferenzen entworfenen Übereinkommen. Wenn nach Art. 405, Abs. 5, des Friedensvertrages ein Übereinkommen der zuständigen Stelle zu unterbreiten ist, damit es zum Gesetz erhoben oder eine anderweitige Massnahme ergriffen werde, so will damit nicht in das Staatsrecht der einzelnen Länder eingegriffen werden. Der Passus will vielmehr den W e g , auf dem ein Übereinkommen landesrechtlich verbindlich wird, den einzelnen Staaten anheimstellen. Ob das durch ein Gesetz, durch blosse Veröffentlichung oder sonstwie geschehe, ist im Verhältnis nach aussen gleichgültig.

Die Bundesversammlung ist demnach zuständig, auf dem Wege internationaler Übereinkommen ohne Volksbefragung Bundesreeht zu schaffen, auch da, wo dem Bunde die Gesetzgebungshoheit fehlt. Sie kann infolgedessen endgültig über den Beitritt oder Nichtbeitritt zu den. von den internationalen Arbeitskonferenzen entworfenen Übereinkommen beschliessen.

Wird das am 30. Januar 1921 zur Abstimmung gelangende Volksbegehren um Unterstellung von Staatsverträgen unter das Referendum angenommen, so erleidet das geltende Staatsrecht insofern eine Änderung, als in Zukunft Staatsverträge mit dem Auslande, welche unbefristet oder für die Dauer von mehr als fünfzehn Jahren abgeschlossen sind, der Volksabstimmung unterliegen, wenn es von 30,000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von acht Kantonen verlangt wird. Da aber alle von den internationalen Arbeitskonferenzen bis jetzt entworfenen Übereinkommen eine Bindung von nicht mehr als elf Jahren vorsehen, so würde die Neuerung für sie nicht zur Anwendung kommen, und es bleibt dabei, dass die Bundesversammlung endgültig über die Annahme oder Nichtannahme dieser Übereinkommen beschliessen kann.

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Praktisch stösst aber diese Lösung auf erhebliche Schwierigkeiten. Zur Durchführung eines Übereinkommens kann der Erlass von Ausführungs- und Strafbestimmungen erforderlich sein ; es kann auch im Übereinkommen selber die Verpflichtung der Staaten zum Erlass solcher Vorschriften vorgesehen sein. Die Zuständigkeit zu dem Erlass beurteilt sich ausschliesslich nach dem Staatsrecht eines jeden Staates. Nach schweizerischem Staatsrecht müssen die Ausführungsbestimmungen zu einem Staatsvertrag auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg erfolgen. In Fragen, welche der Gesetzgebungshoheit der Kantone unterstehen, haben diese die Ausführungsgesetze zu erlassen. Soweit der Bund die Gesetzgebungshoheit besitzt, hat die Ausführung durch ein Bundesgesetz zu geschehen ; in allen Fällen unter Vorbehalt der Volksbefragung, wo sie nach dem Staatsrechte der Kantone und des Bundes vorgesehen ist. Dabei besteht die Gefahr, dass, wenn die Ausführungsgesetze nicht die Zustimmung des Volkes finden, der Vollzug des Staatsvertrages nicht gewährleistet ist. Da nach den Bestimmungen der Friedensverträge ein Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das ein von ihm ratifiziertes Übereinkommen nicht oder ungenügend durchführt, Strafmassnahmen zu gewärtigen hat, so ist es angezeigt, ein Übereinkommen erst zu ratifizieren, wenn die Durchführung sichergestellt ist. In den parlamentarisch regierten Staaten, wo die Parlamente gleichzeitig mit der Annahme eines Übereinkommens auch die Ausführungsbestimmungen endgültig erlassen können, hat die Frage nicht die Bedeutung wie bei uns. Die internationalen Arbeitsübereinkommen schneiden zum Teil in hohem Masse in das Wirtschaftsleben ein. Alle Volksschichten sind daran interessiert ; infolgedessen sind da und dort die Widerstände grösser als das bei andern internationalen Verträgen der Fall gewesen sein mag. Da ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass sich das Volk im einen oder andern Falle zu den Räten in Widerspruch setzt. Wir dürfen aber unter keinen Umständen eine völkerrechtliche Bindung eingehen, solange ihre innerstaatliche Durchführung nicht gewährleistet ist. Das zwingt uns grundsätzlich, den Beitritt zu einem Arbeitsübereinkommen immer erst dann zu erklären, wenn die Durchführung gesichert ist.

Bei dieser Sachlage fragt es sich, wie die Verhandlungen in den eidgenössischen
Räten vor sich gehen sollen. Um eine zweimalige Behandlung eines Übereinkommens -- das erste Mal bei der Vorlage und das andere Mal nach Inkrafttreten der Ausführungsgesetze -- zu vermeiden, kann der Beitrittsbeschluss an die Bedingung geknüpft werden, dass die Ausführungsvorschriften

449 Gesetz werden, oder aber es kann in den Ausführungsgesetzen selber dem Bundesrate die Ermächtigung erteilt werden, das Übereinkommen zu ratifizieren. Wird der letztere Weg gewählt, so geschieht es aus rein praktischen Gründen, ohne dass dadurch an der verfassungsmässigen Zuständigkeit der Bundesversammlung zum Abschluss von Staatsverträgen etwas geändert werden soll.

Nach Art. 405, Abs. 7, des Friedensvertrages ist die förmliche Ratifikation eines Übereinkommens, das die Zustimmung der zuständigen Stelle erhalten hat, dem Generalsekretär des Völkerbundes mitzuteilen. In allen Fällen, wo besondere Ausführungsvorschriften zu erlassen sind, werden wir erst nach deren Inkrafttreten jene Mitteilung machen können. Wir werden aber unter Umständen schon vorher den Generalsekretär des Völkerbundes von den getroffenen Massnahmen in Kenntnis setzen.

Da verschiedene Arbeitsübereinkommen sehr ins einzelne gehen und Vorschriften enthalten, deren Verwirklichung Schwierigkeiten bietet, so ist die Frage aufgeworfen worden, ob ein Beitritt unter Vorbehalt möglich ist. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gilt die Annahme eines Vertrages unter Vorbehalt nicht als Annahme, sofern die andern Vertragsparteien sich mit dem Vorbehalt nicht einverstanden erklären. Das Völkerrecht kennt aber Fälle, wo Vorbehalte bei internationalen Abkommen zugelassen wurden. So haben eine ganze Reihe von Staaten die an der zweiten Haager Friedenskonferenz beschlossenen Abkommen nur unter Vorbehalt ratifiziert; auch die Schweiz hat sie nur ,,mit Ausnahme des Art. 53, Ziff. 2, des Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle11 angenommen. Der Völkerbundsvertrag dagegen bestimmt im Art. l, Abs. l, ausdrücklich, dass Vorbehalte -- wenigstens für die zum Beitritt eingeladenen Staaten -- ausgeschlossen seien. Die Vorschriften über die ,,Arbeit11 in den Friedensverträgen sprechen nur von der Ratifikation, ohne zu sagen, ob diese nur vorbehaltlos oder auch unter Vorbehalt erfolgen kann. Der Art. 421 sieht inbezug auf die Geltung der Übereinkommen für Kolonien, Besitzungen oder Protektorate der Mitgliedstaaten gewisse Vorbehalte vor.

Daraus ergibt sich ebensosehr die Auffassung, dass im übrigen ein Vorbehalt ausgeschlossen sei, als auch die Folgerung, dass die im Art. 421 bezeichneten Vorbehalte ohne weiteres gelten, auch
ohne dass sie bei der Ratifikation ausdrücklich erwähnt werden. In einzelnen Übereinkommen sind für gewisse Staaten Ausnahmen gemacht. Soll das die Bedeutung haben, dass im übrigen Vorbehalte nicht zulässig seien? Wir können die Frage Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

30

450 nicht entscheiden. Der Direktor des Internationalen Arbeitsamtes hat sich in seinem Berichte an den Verwaltungsrat vom 30. September 1920 mit allem Nachdruck gegen die Zulässigkeit von Vorbehalten ausgesprochen. Die Frage wird gemäss Art. 423 desFriedensvertrages endgültig nur durch den ständigen Internationalen Gerichtshof gelöst werden können. Vorläufig werden wir eher damit rechnen müssen, dass nur die Wahl zwischen bedingungsloser Zustimmung oder Ablehnung bleibt; wir behalten uns aber vor, die Frage nötigenfalls durch die zuständige Instanz entscheiden zu lassen.

. Im Fernern ist noch der Fall zu erörtern, wie es zu halten sei j-wenn, ein Übereinkommen nur von einzelnen wenigen Staaten ratifiziert wird. Die Friedensverträge machen das Inkrafttreten von Übereinkommen nicht von einer Mindestzahl von Beitritten abhängig. Dagegen ist in den bis jetzt abgeschlossenen Übereinkommen selber eine solche Zahl vorgesehen. So treten /. B.

sämtliche Washingtoner-Übereinkommen in Kraft, wenn zwei Mitgliedstaaten ratifiziert haben, mit Ausnahme des Übereinkommensüber die Arbeitslosigkeit, wo die Ratifikation wenigstens dreier Mitglieder verlangt wird. Unter Umständen kann aber ein Staat eine internationale Bindung nur verantworten, wenn sie eine grössere Zahl anderer Staaten mit ähnlichen wirtschaftlichen Verhältnissen umfasst; namentlich wird das sehr häufig dann der Fall sein, wenn die Dauer der Bindung eine lange ist. In solchen Fällen muss unseres Erachtens dem Bundesrate das Recht zustehen, von der ihm erteilten Ermächtigung zur Ratifikation nur dann Gebrauch zu machen, wenn feststeht, dass andere Länder mit ähnlichen Verhältnissen, besonders wichtige Industriestaaten., ebenfalls beitreten.

IT. Die erste internationale Arbeitskonferenz: von Washington.

In den Übergangsbestimmungen zu Titel XIII des Friedensvertrages war vorgesehen, dass die erste Arbeitskonferenz im Oktober 1919 in Washington abgehalten werden sollte. Mit der Einberufung und Durchführung wurde die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika betraut, unterstützt von einem internationalen Organisationsausschuss, der die Aufgabe hatte, die Unterlagen zu sammeln und die Konferenz vorzubereiten..

Der Ausschuss bestand aus sieben Personen, von denen je eine von den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika,.

451

Grossbritanniens, Frankreichs, Italiens, Japans, Belgiens und der Schweiz ernannt wurden. Die Schweiz verdankte ihren Sitz im, Ausschuss ihren bisherigen Verdiensten auf dem Gebiete des internationalen Arbeiterschutzes. Als Verhandlungsgegenstände für die Konferenz waren vorgesehen : 1. Anwendung des Grundsatzes des 8-Stundentages oder der 48-Stundenwoche ; 2. Fragen hinsichtlich der Mittel zur Verhütung der Arbeitslosigkeit und zur Bekämpfung ihrer Folgen; 3. Beschäftigung der Frauen: ..· a. vor und nach der Niederkunft (mit* Einschluss der Frage der Wöchnerinnenunterstützung), b. Nachtarbeit, c. gesundheitsschädliche Arbeiten; 4. Beschäftigung der Jugendlichen: a. Altersgrenze für .die Zulassung zur Arbeit, b. Nachtarbeit, c. gesundheitsschädliches Arbeiten; 5. Ausdehnung und Anwendung der im Jahr 1906 in Bern angenommenen internationalen Übereinkommen über das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen und über das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie.

Diesen Bestimmungen gemäss tagte die erste internationale Arbeitskonferenz vom 29. Oktober bis 29. November 1919 in Washington. Vierzig Staaten waren vertreten. Es sind in der Reihenfolge des französischen Alphabets folgende : Südafrika, Argentinien, Belgien, Bolivia, Brasilien, Kanada, Chili, China, Kolumbien, Kuba, Dänemark, Salvador, Equador, Spanien, Finnland, Frankreich, Grossbritannien, Griechenland, Guatemala, Haïti, Indien, Italien, Japan, Nicaragua, Norwegen, Panama, Paraguay, Niederlande, Peru, Persien, Polen, Portugal, Rumänien, Serbokroatien, Siam, Schweden, Schweiz, Tschecho-Slovakei, Uruguay, Venezuela.

Die Delegation der Schweiz war folgendermassen zusammengesetzt : Regierungsdelegierte waren die Herren Dr. Sulzer, schweizerischer Gesandter in Washington, und Dr. Rüfenacht, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung. Als technischer Berater war ihnen beigegeben Herr Fabrikinspektor Dr. Wegmann. Arbeitgeberdelegierter war Herr Schindler, Generaldirektor der Maschinenfabrik Oerlikon, und Arbeiterdelegierter Herr Ilg, Sekretär des schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes.

452

Ausser mit den erwähnten Verhandlungsgegenständen hatte sich die Konferenz mit der Aufstellung eines Geschäftsreglements, der Bestellung des Verwaltungsrates und der Frage der Zulassung Deutschlands und Deutsch-Österreichs zu befassen.

Im Friedensvertrage .(Art. 387) ist die Mitgliedschaft zur Internationalen Arbeitsorganisation nur für die Mitglieder des Völkerbundes vorgesehen. Über das Verhältnis der andern Staaten ist nichts bestimmt. Es lag daher nahe, anzunehmen -- wie wir es auch in unserer Botschaft betreffend die Frage des Beitrittes des Schweiz zum Völkerbund getan haben --, dass sie von der Mitgliedschaft ausgeschlossen seien. Die Entwicklung hat sich anders gemacht. Die alliierten und assoziierten Mächte erklärten sich einverstanden, dass die Aufnahme Deutschlands und Österreichs in die Internationale Arbeitsorganisation dem Entscheide der Konferenz von Washington überlassen werde. So wurden denn in Washington nicht nur die Staaten, welche sich nachträglich zum Beitritt in den Völkerbund angemeldet hatten, sondern auch Deutschland und Österreich endgültig in die Internationale Arbeitsorganisation aufgenommen. Allerdings konnten ihre Delegationen infolge Verkehrsschwierigkeiten nicht mehr an der Tagung teilnehmen.

Wie wir bereits in unserer Botschaft vom 21. Juni 1920 über die Errichtung des Arbeitsamtes berichtet haben, ist der Schweiz bei der Bestellung des Verwaltungsrates die Anerkennung zuteil geworden, unter die acht Länder eingereiht zu werden, denen die grösste industrielle Bedeutung zukommt. Sie hat infolgedessen einen Regierungsvertreter im Verwaltungsrat, als welchen wir Herrn Dr. Rüfenacht, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, bezeichnet haben. Überdies hat die Gruppe der Arbeitgeber den einem amerikanischen Industriellen reservierten Verwaltungsratssitz vorläufig bis zum Beitritt Amerikas einem Schweizer, Herrn Generaldirektor Schindler, überlassen.

Die Beschlüsse der Konferenz von Washington bestehen in folgenden Entwürfen von Übereinkommen und Vorschlägen, aufgezählt in der Reihenfolge, die das Internationale Arbeitsamt in seinen Veröffentlichungen beobachtet hat : 1. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Festsetzung der Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben auf 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich ; 2. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Arbeitslosigkeit; 3. Vorschlag betreffend die Arbeitslosigkeit;

453 4. Vorschlag betreffend die Gegenseitigkeit in der Behandlung der ausländischen Arbeiter; 5. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft ; 6. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Frauen; 7. Vorschlag betreffend die Verhütung des Milzbrandes; 8. Vorschlag betreffend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung ; 9. Vorschlag betreffend die Schaffung eines öffentlichen Gesundheitsdienstes ; 10. Entwurf eines Übereinkommens betreffend das Mindestalter für die Zulassung von Kindern zu gewerblicher Arbeit; 11. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen ; 12. Vorschlag betreffend die Anwendung des im Jähr 1906 in Bern abgeschlossenen internationalen Übereinkommens über das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie.

Als die Tagung der Konferenz von Washington am 29. November 1919 zu Ende ging, waren die Friedensverträge noch nicht ratifiziert. Es fragte sieh daher, ob ihren Beschlüssen die in den Friedensverträgen vorgesehene Wirkung zukommen konnte.

Um alle Zweifel zu heben, erteilte die Konferenz dem Verwaltungsrate die Befugnis, sie nach der Ratifikation der Friedensverträge rechtsgültig zu erklären. Das geschah denn auch in der Sitzung der Verwaltungsrates in Paris vom 26. Januar 1920. Von diesem Tage ab läuft die Frist nach Art. 405 des Friedensvertrages, innert welcher jedes Mitglied der internationalen Arbeitsorganisation die Beschlüsse seiner zuständigen Behörde zu unterbreiten hat.

Die Beschlüsse sind im Anhang als Beilage IV abgedruckt.

Von Anfang an ist ihnen von der Schweiz aus das allergrösste Interesse entgegengebracht worden. Die zuständigen Departemente haben sie einer sehr gründlichen Prüfung unterworfen und sich seit längerer Zeit mit der Frage ihrer Verwirklichung beschäftigt.

Frühzeitig ist dafür gesorgt worden, dass sie der Öffentlichkeit bekannt wurden. Im Januar 1920 wurde ihr Inhalt in einer amtlichen Mitteilung der Presse zugestellt. Im Mai und Juni 1920 machte das Volkswirtschaftsdepartement öffentlich bekannt, dass französische und deutsche Texte zur Verfügung stünden und dass Eingaben aus allen Kreisen der Bevölkerung gemacht werden können. Gleichzeitig wurden die Berufsverbände der Arbeitgeber

454 und Arbeitnehmer zur Vernehmlassung eingeladen. In Konferenzen, welche am 13. und 14. September 1920 in Zürich und am 11. November in Bern unter dem Vorsitz des Vorstehers des _Volkswirtschaftsdepartements stattfanden, hatten die Verbände Gelegenheit, ihre Stellungnahme durch ihre Vertreter mündlich zu erörtern.

Im folgenden werden wir nunmehr auf die einzelnen Beschlüsse eintreten und unsere Anträge stellen, wobei wir uns an eine Reihenfolge halten, welche von den Veröffentlichungen des Internationalen Arbeitsamtes abweicht.

455

T. Die Beschlüsse der Arbeitskonferenz von Washington.

1.

Entwurf eines Übereinkommens betreffend das Mindestalter für die Zulassung von Kindern zur gewerblichen Arbeit. (Nr. 10.)

2.

Entwurf eines Übereinkommens betreffend die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen. (Nr. 11.)

3.

Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Frauen. (Nr. 6.)

4.

Vorschlag betreffend-den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung. (Nr. 8.)

A.

Inhalf der vier Beschlüsse: «. Entwurf eines Übereinkommens betreffend das Mindestalter für die Znalassung von Kindern ewr gewerblichen Arbeit.

1. Das Übereinkommen gilt für die öffentlichen und privaten ,,gewerblichen Betriebe11, in denen nicht nur Mitglieder einer und derselben Familie arbeiten. Es gilt insbesondere auch für die Beförderung von Personen und Gütern auf Strassen, Eisenbahnen, inbegrifien den Verkehr mit Gütern auf Ausladeplätzen und in Lagerhäusern, mit Ausnahme der Handbeförderung.

Nach dem Sprachgebrauch der Washingtoner Beschlüsse sind unter den ,,gewerblichen Betrieben" die Betriebe der Industrie und

456

der Gewerbe zu verstehen, da anderswo die Unterscheidung zwischen Industrie und Gewerbe, die bei uns auf der geschichtlichen Entwicklung unserer Arbeiterschutzgesetzgebung beruht, nicht gemacht wird.

Das Übereinkommen gilt nicht für Handel und Landwirtschaft.

In jedem Lande hat die zuständige Behörde die Grenze zwischen Gewerbe einerseits und Handel und Landwirtschaft anderseits zu ziehen.

(Art. l und 2.)

'2. In den Betrieben, für welche das Übereinkommen gilt, oder in deren Nebenbetrieben, dürfen Kinder unter 14 Jahren nicht beschäftigt werden.

(Art. 2.)

3. Eine Ausnahme ist zulässig für die Arbeit von Kindern in Fachschulen, vorausgesetzt, dass diese Arbeit behördlich gestattet und beaufsichtigt ist.

(Art. 3.)

4. Zum Zweck einer Kontrolle hat jeder Betriebsinhaber ein Verzeichnis aller von ihm beschäftigten Personen unter 16 Jahren mit Geburtsdatum zu führen.

(Art. 4.)

5. Für Japan und Indien gelten Sonderbestimmungen.

(Art. 5 und 6.)

b. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen.

1. Der Geltungsbereich ist der nämliche wie beim vorhergehenden Übereinkommen.

(Art. l und 2.)

2. Während der Nacht, d. h. während eines Zeitraumes von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliesst, dürfen Jugendliche unter achtzehn Jahren in den erwähnten Betrieben und deren Nebenbetrieben nicht beschäftigt werden. (Art. 2 und 3.)

3. Einschränkungen und Ausnahmen sind vorgesehen: a. für gewisse Betriebe inbezug auf Arbeiten, die ihrer Natur nach nicht unterbrochen werden können. (Art. 2, Abs. 2) ; b. für die Arbeitin Stein- und Braunkohlengruben. (Art. 3, Abs. 2); c. für Länder, in denen die Nachtarbeit im Bäckergewerbe für alle Arbeiter gesetzlich verboten ist.

(Art. 3, Abs. 3) ; d. für diejenigen tropischen Länder, in denen die Arbeit um die Tagesmitte unterbrochen wird.

(Art. 3, Abs. 4) j,

45T e. im Fall einer Betriebsstörung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist.

(Art. 4) j f. aus Gründen des öffentlichen Interesses.

(Art. 7.)

4. Für Japan und Indien gelten Sonder Vorschriften.

(Art. 5 und 6.)

c. Entwurf eines Übereinkommens betreffend der Frauen.

die Nachtarbeit

1. Der Geltungsbereich ist der nämliche, wie für die beiden vorhergehenden Übereinkommen, mit der Ausnahme, dass es keine Anwendung findet auf die Betriebe, welche der Beförderung von Personen und Gütern dienen.

(Art. l und 2.)

2. Während der Nacht, d. h. während eines Zeitraumes von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden, der die Zeit von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens in sich schliesst, dürfen Frauen in den Betrieben, für welche das Übereinkommen gilt, nicht beschäftigt werden.

(Art. 2 und 3.)

3. In gewissen Fällen sind Ausnahmen vom Verbot zulässig.

(Art. 4, 6 und 7.)

4. Für Indien und Siam gelten Sonder Vorschriften. (Art. 5.)

d. Gleichlautende Bestimmungen aller drei Übereinkommen.

1. Sie treten in Kraft, sobald sie von zwei Mitgliedstaaten ratifiziert sind und der Generalsekretär des Völkerbundes die andern Mitglieder hiervon benachrichtigt hat.

2. Die ratifizierenden Mitglieder haben die Übereinkommen ab 1. Juli 1922 hinweg in Anwendung zu bringen.

3. Die Übereinkommen können nach Ablauf von zehn Jahren vom Tage ihres ersten Inkrafttretens ab gekündigt werden. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat des Völkerbundes ein.

4. Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz Bericht über die Durchführung der Übereinkommen zu erstatten und zu entscheiden, ob ihre Durchsicht oder Abänderung auf die'Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

458 e. Vorschlag betreifend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung.

Nach dem Vorschlag ist die Beschäftigung der Frauen und Jugendlichen unter 18 Jahren bei gewissen gewerblichen Arbeiten, mit denen die Gefahr der Bleivergiftung verbunden ist, gänzlich au verbieten und bei Arbeiten, bei denen Bleiverbindungen verwendet werden, nur unter schützenden Bedingungen zu gestatten.

B.

Kindesfalter für die Zulassung von Kindern zur gewerblichen Arbeit.

Die Arbeiterschutzgesetze der meisten Staaten gewähren den Kindern, Jugendlichen und Frauen einen besondern Schutz. Unter .,,Kinder" versteht man die jungen noch schulpflichtigen Leute; unter ,,Jugendlichen" die nicht mehr schulpflichtigen Minderjährigen bis zu einem gewissen Alter (meistens 18 Jahre) und unter ,,Frauen" weibliche Personen jeden Alters.

Erfahrungsgemäss nahm der Arbeiterschutz im heutigen Sinne überall zuerst die Formen des Kinderschutzes an; dieser bildet die Einleitung in die Geschichte des gesamten Arbeiterschutzes. Er findet seinen Ausdruck in der Festsetzung eines Mindestalters für die Zulassung der Kinder zur industriellen Arbeit.

Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist in der Schweiz das Zürcher ,,Mandat wegen dem Rastgeben" von 1779, das die Lohnarbeit für Kinder während der Schulpflicht (ungefähr bis .zum 9. Jahre) vollständig verbot und nachher bis ungefähr zum 18. Altersjahre nur gestattete, wenn sie für die Eltern im Elternhause selbst gemacht wurde. Als mit der Einführung der Ma·schinen die Hausindustrie zurückgedrängt wurde und Tausende von Kindern in zartem Alter, die früher im Sommer in der Landwirtschaft geholfen und im Winter die Schule besucht hatten, als Lohnarbeiter in die neu errichteten Fabriken wanderten und sich die üblen physischen und moralischen Folgen dieser Erscheinung bald bemerkbar machten, waren weitere gesetzliche Massnahmen notwendig. So erliess die Regierung von Zürich im Jahre 1815 eine ,,Verordnung wegen der minderjährigen ·Jugend in den Fabriken überhaupt und in den Spinnmaschinen besonders", wonach Kinder nicht vor dem vollendeten 9. Altersjahre in eine Fabrik aufgenommen, nicht mehr als 12--14 Stunden täglich und in keinem Falle zur Nachtzeit beschäftigt werden

459 ·durften. Thurgau folgte diesem Beispiel. Zürich erhöhte 1832 -das Zulassungsalter auf 12 Jahre und verschärfte und ergänzte in den folgenden Jahren die übrigen Bestimmungen. Andere Kantone folgten nur zögernd. Glarus (1848) setzte das Zulassungs.alter auf 12 Jahre fest, St. Gallen (1853) auf 12 oder 13 Jahre, Aargau (1862) auf 13 Jahre, Glarus (1864), Baselland (1868), Baselstadt (1869) und Schaffhausen (1873) ebenfalls auf 13 Jahre.

Das eidgenössische Fabrikgesetz von 1877 sodann erhöhte es auf 14 Jahre. Das neue Fabrikgesetz von 1914 behielt diese Grenze bei und verbot überdies die Fabrikarbeit von Kindern, die zwar das 14. Altersjahr zurückgelegt, aber die von der kantonalen Gesetzgebung vorgeschriebene Primarsehulpflicht noch nicht erfüllt haben (Art. 70 F.G.).

Das Ausland machte eine ähnliche Entwicklung durch.

Österreich ging 1786 und 1787 mit der Kinderschutzgesetzgebung voran; ihm folgte 1802 England, 1813 Frankreich, 1839 Preussen und 1840 Ungarn. Allerdings waren diese Anfangsversuche, gleich wie in der Schweiz, äusserst schüchtern.

Eine internationale Regelung des Zulassungsalters ist das Ziel der internationalen Arbeiterschutzbestrebungen seit ihrer Entstehung und erscheint daher in allen internationalen Arbeiterschutzprogrammen. An der Arbeiterschutzkonferenz in Berlin im Jahre 1890 traten die schweizerischen Delegierten kräftig für das Mindestalter von 14 Jahren ein, wurden aber nur von Österreich unterstützt. Die Konferenz, deren Beschlüsse die Form von Wünschen an die einzelnen Staaten hatten, entschied sich für ein Zulassungsalter von 10 Jahren für die südlichen und 12 für die andern Staaten. Seither hat die Entwicklung im Sinne einer Erhöhung bedeutende Fortschritte gemacht. Der bisherige Zustand war folgender: 15 Jahre: Liechtenstein, einzelne Staaten der nordamerikanischen Union, eine Provinz Kanadas und zwei Provinzen Kanadas nur für Mädchen.

Ì4 Jahre: Belgien, Bulgarien, Grossbritannien, Griechenland, Dänemark, Norwegen, Schweden (nur für Mädchen), Schweiz, Serbien, Tschechoslowakei, die meisten Staaten der nordamerikanischen Union, fünf australische Staaten, sieben Provinzen Kanadas und Neuseeland.

13 Jahre: Frankreich, Deutschland, Niederlande, Schweden (nur für Knaben) und Südaustralien.

460

12 11 10 9

Jahre : Argentinien, Brasilien, Italien, Japan, Mexiko, Portugal« Jahre: Rumänien.

Jahre: Spanien.

Jahre: Indien.

Die bisherigen Vorschriften bezogen sich meistens nur auf die Industrie und hier wieder zum grossen Teil nur auf fabrikmässige Unternehmungen. Das Washingtoner Übereinkommen sieht eine einheitliche Regelung mit einem Mindestalter von 14 Jahre.n für alle industriellen und gewerblichen Betriebe, mit Ausnahme der reinen Familienbetriebe, vor. Der Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen würde für die unter dem Fabrikgesetz stehenden Unternehmungen keine Neuerung bringen, da die Vorschriften dieses Gesetzes denjenigen des Übereinkommens entsprechen.

Anders ist es für die übrigen gewerblichen Betriebe. Da der Bund von der' ihm in Art. 34ter der Bundesverfassung eingeräumten Befugnis, auf dem Gebiete des Gewerbewesens einheitliche Bestimmungen zu erlassen, noch keinen Gebrauch gemacht hat, so unterliegen diese Betriebe noch der kantonalen Gesetzgebung.

Die kantonalen Gesetze zeigen grosse Verschiedenheiten. In den Kantonen Genf, Glarus, Tessin und Baselstadt bestehen für die Personen beider Geschlechter Schutzgesetze, nach denen das Zulassungsalter folgendermassen geordnet ist: Glarus zurückgelegtes 14. Altersjahr.

Tessin \zuruckgelegtes 14. Altersjahr und Baselstadt / Erfüllung der Schulpflicht.

Genf zurückgelegtes 13. Altersjahr.

In den Kantonen St. Gallen, Luzern, Solothurn, Neueuburg^ Aargau, Baselstadt, Appenzell A.-ßh., Zürich und Bern bestehen Arbeiterinnenschutzgesetze, welche als Mindestalter für Mädchen das vollendete 14. Altersjahr und teilweise auch die Erfüllung der obligatorischen Schulpflicht vorschreiben.

In 18 Kantonen bestehen Lehrlingsgesetze, von denen einige (Zürich, Bern, Luzern, Baselstadt, Baselland, St. Gallen, Schaffhausen, Wallis und Tessin) die Aufnahme von Lehrlingen vor vollendetem 14. Altersjahre und Erfüllung der Schulpflicht verbieten. Für die kaufmännische Lehre verlangen Zürich, Luzern, Baselland, St. Gallen und Schaffhausen ein Mindestalter von 15 Jahren.

Zieht man ferner in Betracht, dass der obligatorische Schulunterricht in den meisten Kantonen bis zum zurückgelegten 14. Altersjahr und darüber hinaus dauert und dass dadurch der

461

.gewerblichen Arbeit der Kinder von selbst Schranken gezogen sind, so gelangt man zum Schluss, dass auch da, wo ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen fehlen, das Zulassungsalter praktisch erst mit dem vollendeten vierzehnten Jahr und nach Erfüllung der Schulpflicht beginnt. Es bestehen demnach für die Schweiz keine besondere Schwierigkeiten, dem Übereinkommen beizutreten.

Auch abgesehen hiervon ist die einheitliche Regelung des Zulassungsalters, welche in der bevorstehenden eidgenössischen Gewerbegesetzgebung ohnedies hätte vorgenommen werden müssen, zu begrüssen. Die Berufsverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben sich ohne Ausnahme dafür ausgesprochen. In Übereinstimmung mit ihnen befürworten wir den Beitritt zum Übereinkommen.

C.

Nachtarbeit der Jugendlichen.

Der Schutz des Kindesalters vor allzu frühem Eintritt in das Erwerbsleben genügt nicht. Auch nach der Schulzeit bedarf der im Wachstum befindliche Organismus und das Bildungsbedürfnis des jugendlichen Arbeiters des Schutzes vor Verkümmerung durch ungemessene Nacht- und Tagesarbeit. Hand in Hand mit der Kinderschutzgesetzgebung ging daher das Bestreben, die Jugendlichen durch Begrenzung der Arbeitszeit und namentlich durch Verbot der Nachtarbeit zu schützen.

Das eidg. Fabrikgesetz von 1877 untersagte die Nachtarbeit der Jugendlichen unter 18 Jahren. Für die Gewerbe, für welche der ununterbrochene Betrieb eine Notwendigkeit war, konnte der Bundesrat Ausnahmen gestatten, namentlich da, wo es im Interesse der Berufserleruung war. Das neue Fabrikgesetz (Art. 71, Abs. 1) hielt am Verbot der Nachtarbeit bis zum vollendeten 18. Jahre fest und liess die nach dem frühern Gesetze gestattete Ausnahme nur noch für eine bestimmte Übergangszeit zu (Art. 94).

Die Arbeiterschutzkonferenz in Berlin von 1890 sprach sich in Übereinstimmung mit den Delegierten der Schweiz für das Verbot bis zum 18. Altersjahre aus. Die Bernerkonferenz von 1913 sollte die Grundlagen einer internationalen Ordnung schaffen.

Der Kampf drehte sich damals um das Schutzalter von 16 oder 18 Jahren. Die Anhänger der weniger weitgehenden Anforderungen hatten die Mehrheit, so dass die Grundzüge des aufgestellten Übereinkommens das Verbot der Nachtarbeit bloss bis

462 zum vollendeten 16. Altersjahre vorsahen. Die für das Jahr 1914 in Aussicht genommene diplomatische Konferenz zur Beratung der aufgestellten Grundlagen musste, wie wir früher ausführten, infolge Ausbruch des Krieges unterbleiben. Das Washingtoner Übereinkommen hat das Schutzalter auf 18 Jahre erhöht, im übrigen den Entwurf von 1913 im wesentlichen unverändert gelassen.

Der Zustand in den verschiedenen Ländern war bisher folgender: Die Nachtarbeit der Jugendlichen haben untersagt bis zum 18. Jahre Brasilien, Grossbritannien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Norwegen, Schweden, Schweiz, Serbien, drei amerikanische Staaten, bis zum 17. Jahre Niederlande, bis zum 16. Jahre Argentinien, Belgien, Deutschland, Luxemburg, Portugal, Spanien, Neuseeland, Vereinigte Staaten von Amerika, fünf australische Staaten, Südafrika, bis zum 15. Jahre Bulgarien, Italien, Japan, Rumänien.

Wie bereits erwähnt, besteht in der Schweiz das Verbot bis zum 18. Jahre für die dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe.

Für die andern Betriebe sind die kantonalen Gesetze massgebend.

Die Nachtarbeit jugendlicher Personen beider Geschlechter in diesen Betrieben ist untersagt in den Kantonen Glarus, Genf und Tessin. Die Kantone Aargau, Bern und Zürich verbieten sie für weibliche Personen bis zum 18. Jahre. Luzern, Solothurn, St. Gallen untersagen jede Überzeitarbeit für Mädchen unter 18 Jahren und Appenzell A.-Rh. für Mädchen unter 17 Jahren.

Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, St. Gallen, Neuenburg, Waadt, Wallis, Graubünden, verbieten die Nachtarbeit für Lehrlinge beider Geschlechter. Zieht man in Betracht, dass mit Ausnahme der kleinen Bäckereien die gewerblichen Unternehmen, welche während der Nacht arbeiten, grösstenteils dem Fabrikgesetze unterstellt sind, so wird man die Zahl der jugendlichen Arbeiter, welche in Wirklichkeit zur Nachtarbeit verwendet werden, verhältnismässig als gering annehmen müssen.

Wir befürworten auch hier den Beitritt zum Übereinkommen, in Übereinstimmung mit den Berufsverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

46$

D.

Nachtarbeit der Frauen.

Die Einführung des Maschinenbetriebes und die dadurch verursachte Verdrängung der Hausindustrie, führte den neu entstandenen Fabriken neben den Kindern auch einen gewaltigen Zustrom von Frauen zu. Übermässige Arbeitszeit, Arbeit zur Nachtzeit und unter gesundheitsschädlichen Bedingungen machten sich auch hier bald fühlbar und führten zu einer Untergrabung des Familienlebens und einer Schädigung der Gesundheit der Frauen und ihres Nachwuchses. Von England aus ging in den Dreissigerjahren des 19. Jahrhunderts eine Bewegung, welche einen besondern Schutz .für die Frauenarbeit zum Ziele hatte. Das Ergebnis dieser Bewegung war das englische Gesetz vom 3. Mai 1847, das die Nachtarbeit der Frauen in Textilfabriken verbot und ihre tägliche Arbeitszeit auf 10 Stunden an den ersten fünf Werktagen und 8 Stunden an Samstagen beschränkte. Der Gedanke des Arbeiterinnenschutzes gewann von da hinweg an Boden ; im allgemeinen ging man davon aus, den Frauen den.

gleichen Schutz zuteil werden zu lassen wie den Jugendlichen.

Auf diesen Boden stellte sich auch das erste eidgenössische Fabrikgesetz, indem es die Nachtarbeit für weibliche Personen vollständig untersagte. Das neue Fabrikgesetz (Art. 65) steht auf' dem nämlichen Standpunkt.

Die internationalen Arbeiterschutzbestrebungen hatten seit langem eine internationale Ordnung dieser Frage ins Auge gefasst.

Das Berner Übereinkommen vom 26. September 19.06 ist als ein erster Erfolg dieser Bestrebungen zu verzeichnen. Es untersagt die Nachtarbeit der Frauen in den gewerblichen Betrieben, welche mehr als zehn Personen beschäftigen. Dem Berner Übereinkommen sind beigetreten: Belgien, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien. Die Nachtarbeit der Frauen haben ferner verboten -- ohne dem Berner Übereinkommen beizutreten -- zehn Staaten der nordamerikanischen Union, Argentinien, Südafrika, Japan, Tschechoslovakei.

Das Washingtoner Übereinkommen hat die Einschränkung des Verbotes auf Betriebe mit mehr als zehn Arbeitern fallen gelassen, im übrigen am Berner Übereinkommen nichts geändert.

Die Schweiz hatte schon bei den Verhandlungen über das Berner Übereinkommen weitergehende Anträge gestellt, drang aber nicht durch. Sie ratifizierte das Berner Übereinkommen ge-

464 stützt auf den Bundesbesehluss vom 19. Dezember 1907 und ging in der Anwendung noch darüber hinaus, indem das Fabrikgesetz die Nachtarbeit der weiblichen Personen nicht nur für Betriebe mit mehr als zehn Arbeitern, sondern für alle ihm unterstellten Unternehmen untersagt.

Für die dem Fabrikgesetz nicht unterstellten Betriebe sind die kantonalen Vorschriften massgebend. In den Kantonen Aargau, Appenzell A.-Rh., Baselstadt, Bern, Glarus, Luzern, Neuenburg, St. Gallen, Solothurn, Tessin und Zürich ist die gewerbliche Nachtarbeit der Arbeiterinnen über achtzehn Jahre grundsätzlich verboten, allerdings meistens mit der Möglichkeit, Ausnahmen eintreten zu lassen.

Die Idee eines besondern Schutzes für Frauenarbeit hat aus Frauenkreisen selbst Anfechtung erfahren, indem die Anhängerinnen -der unbedingten Gleichstellung der Frauen mit den Männern Ausnahmebestimmungen für die Frauen bekämpfen. Diese Bewegung trat namentlich in nordischen Ländern stark hervor und ist schuld daran, dass Norwegen dem Berner Übereinkommen von 1906 nicht beitrat. Es ist zuzugeben, dass die Erwerbsarbeit der Frauen seit dem Ausbruch des Weltkrieges eine ungeahnte Umwälzung erfahren hat. Im allgemeinen hat es sich aber doch gezeigt, dass die Frauen der Last der Schwerarbeit und Nachtarbeit nicht gewachsen sind. Aus diesem Grunde stellte sich die Konferenz von Washington, trotz des Widerspruchs der norwegischen Frauenvertreterin, auf den bisherigen Standpunkt der Zweckmässigkeit eines besondern Frauenschutzes.

Da dieser Standpunkt unserm eigenen entspricht, so haben wir keinen Grund, von ihm abzuweichen. Wir befürworten daher, in Übereinstimmung mit den Berufsverbänden, den Beitritt zum Übereinkommen.

E.

Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung.

Die Erhaltung der Gesundheit ist ein Hauptzweck des Arbeiterschutzes. Die ursprünglichen Anforderungen an die Betriebshygiene beschränkten sich auf die Lüftung und Reinhaltung der Arbeitsräume. Später kam der Schutz vor Unfällen und Vergiftung dazu. Er nahm seinen Anfang durch das englische Gesetz von 1864, das Vorschriften zur Verhütung der Phosphor- und Bleivergiftung enthielt. In Frankreich, wo der Kampf gegen die Bleivergiftung seit 1848 geführt wurde, kam es 1864 zu einem gesetzlichen Ausschluss der Kinder aus Bleiweissfabriken. Nach

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diesen Vorbildern wurden nach und nach auch in andern Industriestaaten Schutzvorschriften erlassen. Die internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz nahm sich ganz besonders der Sache an und führte seit 1903 einen hartnäckigen Kampf gegen die Phosphor- und Bleivergiftung. Ihrem Vorgehen ist das Berner Übereinkommen von 1906 betreffend das Verbot des woissen Phosphors in der Zündholzindustrie zuzuschreiben.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Jugendlichen und Frauen den Gefahren der Vergiftung in erhöhtem Masse ausgesetzt sind.

Die Forderung nach schärferen Schutzvorschriften für diese Kreise ist daher begründet. So stellte eine von der englischen Regierung im Jahre 1908 eingesetzte Fachkornmission fest, dass in der Töpferei die Zahl der Bleivergiftungen bei den Frauen dreimal so gross ist als bei den Männern und dass die Zahl der Fehlgeburten bei Frauen, welche vor ihrer Verheiratung mit Blei hantieren mussten, dreimal grösser ist als bei den übrigen Arbeiterinnen.

Ausgehend von diesen Erfahrungen hat unser Fabrikgesetz in den Art. 65 und 71 dem Bundesrate die Ermächtigung erteilt, die Fabrikationszweige und Verrichtungen zu bezeichnen, bei denen weibliche Personen und Jugendliche unter sechzehn Jahren nicht verwendet werden dürfen. Als solche sind in der Vollziehungsverordnung (Art. 183, Ziffer 9, und Art. 189, Ziffer 12) unter anderm die Arbeiten bezeichnet worden, bei denen eine erhebliche Vergiftungsgefahr besteht.

Wir befürworten -- auch diesmal in Übereinstimmung mit den Berufsverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer -- die Verwirklichung des Washingtoner Vorschlages betreffend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung. Das bedingt einerseits eine Änderung des Fabrikgesetzes in dem Sinne, dass das Schutzalter für Jugendliche im Art. 71 von sechzehn auf achtzehn Jahre erhöht werden muss, und anderseits den Erlass entsprechender Bundesvorschriften für die gewerblichen Betriebe, für welche das Fabrikgesetz nicht gilt.

F.

Verwirklichung der vier Beschlüsse durch Erlass eines Bundesgesetzes über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben.

Wir haben uns im vorhergehenden für den Beitritt zu den drei Übereinkommen ausgesprochen. Er kann aber erst erfolgen, wenn unsere Landesgesetzgebung mit den Bestimmungen der Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

31

466

Übereinkommen in Einklang gebracht wird. Für die Unternehmen, auf welche das .Fabrikgesetz Anwendung findet, ist er vorhanden ; für die andern Betriebe, die unter die Übereinkommen fallen, ist er durch den Erlass eines Bundesgesetzes herzustellen.

In einem solchen Gesetze soll dann auch die Grundlage für die Verwirklichung des Vorschlages betreffend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung geschaffen werden.

Ferner halten wir es für zweckmässig, im Gesetz eine Bestimmung aufzunehmen, welche dem Bundesrate die Ermächtigung erteilt, den Beitritt zu den drei in Frage stehenden Übereinkommen zu erklären.

Wir legen Ihnen hiermit den Entwurf eines solchen Gesetzes, das seine verfassungsmässige Grundlage in Art. 34ler der Bundesverfassung hat, vor (Beilage I). Das Gesetz trägt den Titel ,,Bun desgesetz ü b e r die Beschäftigung der j u g e n d lichen und weiblichen Personen in den Gewerben".

Zu den einzelnen Bestimmungen haben wir folgende Bemerkungen zu machen : Art. 1. Er ordnet den Geltungsbereich.

Wir beschränken uns darauf, mit dem vorliegenden Gesetz Übereinstimmung mit den drei Washingtoner Übereinkommen zu schaffen und nehmen Umgang davon, die darin niedergelegten Grundsätze auch auf den"Handel auszudehnen, da die nötige Zeit nicht zur Verfügung stand, um die Verhältnisse im Handel einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen, ohne die gesetzliche Massnahmen nicht verantwortet werden können.

Die Vorlage beansprucht nur Geltung für diejenigen Betriebe der Industrie und der Gewerbe, für die das Fabrikgeseta nicht Anwendung findet und für die demgemäss das kantonale Recht bisher massgebend war. Da die Vorschriften des Entwurfes für die dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe bereits bestehen, so ist es nicht notwendig, diese ins Gesetz einzuschliessen. Man kann sich allerdings fragen, ob nicht ein einheitliches Bundesgesetz über die gewerbliche Arbeit der Jugend-, liehen und weiblichen Personen dem Nebeneinanderbestehen zweier Erlasse über den gleichen Gegenstand vorzuziehen sei.

Von dieser Lösung wurde Umgang genommen mit Rücksicht darauf, dass das neue Fabrikgesetz erst seit kurzem in Kraft ist und für die ihm unterstellten Betriebe eigene Aufsichtsorgane (Fabrikinspektoren) bestehen. Wir verhehlen uns aber nicht,

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dass sich mit der Zeit beim Weiterausbau der Gewerbegesetzgebung eine andere Systematik möglicherweise aufdrängen wird.

Dem Gesetz sind unterstellt : 1. die industriellen und gewerblichen Betriebe, für welche das Pabrikgesetz nicht Anwendung findet ; 2. die Betriebe, welche der Beförderung von Personen oder Giltern dienen, mit Ausnahme der Handbeförderung und der vom Bund betriebenen oder konzessionierten Verkehrsanstalten.

Im Gegensatz zu den Washingtoner Übereinkommen wurde davon abgesehen, die vom Gesetz erfassten industriellen und gewerblichen Betriebe noch beispielsweise aufzuzählen, in der Meinung, dass diese Einzelheiten den Vollzugsvorschriften vorbehalten sein sollen. Die der Beförderung von Personen oder Gütern dienenden Betriebe müssen besonders erwähnt werden, schon deshalb, weil sie in den drei Übereinkommen nicht gleichmässig behandelt sind, und sodann, weil ihre Einreibung unter die industriellen und gewerblichen Betriebe nicht ohne weiteres als selbstverständlich zu betrachten ist. Nach den Washingtoner Übereinkommen über das Mindestalter der Kinder und die Nachtarbeit der Jugendlichen, welche ebenfalls für die Transportbetriebe Geltung beanspruchen, gehören dazu auch die Eisenbahnen. Der Entwurf scheidet aber die vom Bund betriebenen oder -konzessionierten Verkehrsanstalten, worunter insbesondere dio Eisenbahnen und die Dampfschiffabrtsunternehinungen fallen, aus und überlässt die Anwendung der Grundsätze des Gesetzes auf sie einer Verordnung des Bundesrates (siehe Art. 10 des Entwurfes). Es geschieht das deshalb, weil diese Verkehrsanstalten der Aufsicht der Kantone nicht unterstellt sind und die Vollzugsbestimmungen des Gesetzes daher auf sie nicht passen.

In Übereinstimmung mit den Washingtoner Übereinkommen werden die reinen Familienbetriebe, die Landwirtschaft und der Handel ausgenommen. Für die zweifelhaften Fälle hat der Bundesrat die Abgrenzung vorzunehmen; zum vornherein werden die Hotels, Gasthüfe und Wirtschaften dem Handel zugewiesen. Es geschieht das, weil die Bestimmungen des Gesetzes, namentlich inbezug auf die Nachtarbeit weiblicher Personen, auf sie nicht ohne weiteres angewendet werden können. Wir machen übrigens darauf aufmerksam, dass die meisten kantonalen Wirtschaftsgesetze Vorschriften über die Beschäftigung jugendlicher Personen in diesen Betrieben enthalten. Eine allfällige bundesrechtliche

468

Regelung der Arbeit in denselben muss der zukünftigen Gewerbegesetzgebung vorbehalten werden.

Art. 2. In Übereinstimmung mit dem Fabrikgesetz (Art. 70) und den meisten kantonalen Vorschriften schlagen wir vor, die Zulassung zur gewerblichen Beschäftigung nicht nur vom Mindestalter von 14 Jahren, sondern überdies von der Erfüllung der Schulpflicht, wo diese über 14 Jahre hinausgeht, abhängig au machen.

Art. 3. Die Vorschriften über Nachtarbeit entsprechen den Washingtoner Übereinkommen über die Nachtarbeit der Jugendlichen und Frauen.

Art. 4. Die hier vorgesehenen Ausnahmen vom Verbot der Nachtarbeit entsprechen ebenfalls den Washingtoner Übereinkommen (Ziffer l entspricht dem Art. 4 des Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Jugendlichen und dem Art. 4, lit. « des Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Frauen ; Ziffer 2 dem Art. 4, lit. ö des letzern Übereinkommens).

Art. 5. Die Einschränkung des Verbotes der Nachtarbeit der Frauen für gewisse Saisonbetriebe und für ausserordentliche Fälle entspricht dem Art. 6 des Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Frauen.

Es ist notwendig, über die Vorschriften der Art. 4 und 3 nähere Ausführungsbestimmungen zu erlassen, namentlich über das Verfahren bei Erteilung der Ausnahmebewiüigungen. Diese Ausführungsbestimmungen sollen der Verordnung des Bundesrates vorbehalten sein.

Die Washingtoner Übereinkommen sehen weitere Ausnahmen vor, deren Aufnahme in das Gesetz uns nicht notwendig erscheint (wir verweisen auf den Art. 3 des Übereinkommens betreffend das Mindestalter, Art. 2, Abs. 2, und Art. 3, Abs. 2 und 3 des Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Jugendlichen).

Es soll aber die Möglichkeit geschaffen werden, diese Ausnahmen ebenfalls zu gestatten, wenn sich ein Bedürfais hierfür einstellen sollte. Daher soll der Bundesrat ermächtigt werden, für diese Fälle die nötigen Massnahmen zu treffen. Dazu gehören auck die Fälle des öffentlichen Interesses, wie sie in Art. 7 des Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Jugendlichen ebenfalls vorgesehen sind.

Art. 6. Das Übereinkommen betreffend das Mindestalter sehreibt in Art. 4 die Fuhrung eines Verzeichnisses aller in

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einem Betriebe beschäftigten Personen unter 16 Jahren vor mit der Angabe von Jahr und Tag der Geburt.

Wir halten es für zweckmässig, die Kontrolle für alle Jugendlichen unter 18 Jahren einzurichten und schlagen deshalb die Führung eines Verzeichnisses in diesem weitern Sinne vor.

Das Fabrikgesetz (Art. 73) sieht ferner einen Altersausweis Tor. Dem Bundesrat soll die Möglichkeit gewahrt werden, diesen Altersausweis und andere Kontrollmassnahmen auch für die dem vorliegenden Gesetz überstehenden Fälle vorzuschreiben, falls dies als notwendig erscheinen sollte.

Art. 7. Dieser Artikel soll die Grundlage schaffen für die Verwirklichung des Vorschlages betreffend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung. Die nähern Vorschriften im Sinne dieses Vorschlages sind in der Vollziehungsverordnung aufzustellen.

Art. 8. Der Vollzug des Gesetzes hat, gleich wie beim Fabrikgesetz, unter der Oberaufsicht des Bundes durch die Kantone zu erfolgen.

Art. 9. Die Straf bestimmungen entsprechen denjenigen im Fabrikgesetz, da wir es für zweckmässig erachten, hier Übereinstimmung "e zwischen den beiden Gesetzen tu schaffen.

Art. 10. Nach den Grundsätzen unseres Staatsrechtes geht Bundesrecht kantonalem Recht vor. Kantonale Vorschriften, welche dem gegenwärtigen Gesetze nicht entsprechen, haben daher keine Geltung mehr.

Nach Art. l fallen die vom Bunde betriebenen oder konzessionierten Verkehrsanstalten nicht unter das Gesetz, weil sie ihrer öffentlich-rechtlichen Stellung nach nicht unter der Aufsicht der Kantone stehen und infolgedessen die Vollzugsbestimmungen des Gesetzes auf sie nicht passen. Nach den Washingtoner Übereinkommen gelten aber die Bestimmungen über das Mindestalter und die Nachtarbeit der Jugendlichen auch für die Transportanstalten, insbesondere für die Eisenbahnen. Der Beitritt zu diesen Übereinkommen setzt demnach die Anwendbarkeit jener Bestimmungen auf diese Betriebe voraus. Wir halten es für das Zweckmässigste, dem Bundësratç die Kompetenz zu erteilen, diesen Erfordernissen auf dem Verordnungswege zu entsprechen.

Art. 11. Um die Grundsätze des Vorschlages betreffend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung

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in vollem Umfang für die dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe verwirklichen zu können, ist, wie bereits früher erwähat wurde, eine Änderung des Art. 71, Abs. 3 dieses Gesetzes im Sinne der Erhöhung des Schutzalters von 16 auf 18 Jahre notwendig.

Ferner ist eine Änderung des Art. 72 notwendig, die aber nur formelle Bedeutung hat.

Der Art. 11 enthält diese beiden Abänderungen. Man könnte sich fragen, ob nicht auch der Art. 94 des Fabrikgesetzes, deidie ausnahmsweise Zulassung von Knaben über 16 Jahren zur Nachtarbeit zum Zwecke der Berufserlernung vorsieht, abgeändert werden sollte, da er im Widerspruch zum Washingtoner Übereinkommen ist. Mit Rücksicht darauf, dass die Ausnahme im Art. 94 überhaupt nur für die Übergangszeit vorgesehen ist, kann aber von einer Abänderung Umgang genommen werden.

Art. 12. Da noch Ausführungsvorschriften zu erlassen sind, so ist es zweckmässig, den Beginn der Wirksamkeit durch den Bundesrat festsetzen zu lassen. Ferner schlagen wir die Aufnahme einer Bestimmung vor, .welche den Bundesrat ermächtigt, den in Frage stehenden Washingtoner Übereinkommen beizutreten.

Wie wir ausgeführt haben, bezweckt der Gesetzentwurf die Schaffung der Grundlagen für den Beitritt der Schweiz zu den erwähnten drei Übereinkommen und für die Verwirklichung des Vorschlages betreffend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung.

Wir beantragen Ihnen Annahme des Gesetzentwurfes (Beilage 1).

471 5.

Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Arbeitslosigkeit. (Nr. 2.)

Das Übereinkommen sieht im wesentlichen vor: 1. Die regelmässige, mindestens vierteljährliche Erstattung von Berichten an das Internationale Arbeitsamt über den Stand der Arbeitslosigkeit und die getroffenen oder in Aussicht genommenen Massnahmen zu deren Bekämpfung.

(Art. 1.)

2. Die Einrichtung unentgeltlicher öffentlicher Arbeitsnachweisstellen, die unter der Aufsicht einer Zentralbehörde stehen.

Die Bestellung von Ausschüssen, in denen Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sitzen, als beratendes Organ in allen Fragen des Arbeitsnachweises.

Massnahmen für das Zusammenarbeiten öffentlicher und privater Arbeitsnachweisstellen, wo solche nebeneinander bestehen.

(Art. 2.)

3. Die Pflicht der Staaten, welche eine Arbeitslosenversicherung eingeführt haben, den ausländischen Arbeitern die gleichen Versicherungsleistungen zu gewähren wie den einheimischen, und zwar unter Bedingungen, die von Staat zu Staat näher zu vereinbaren sind.

(Art. 3.)

4. Das Inkrafttreten des Übereinkommens, sobald es von drei Mitgliedstaaten ratifiziert ist und der Generalsekretär des Völkerbundes die andern Mitglieder hier von benachrichtigt hat. (Art. 6 u. 7.)

5. Die Pflicht der ratifizierenden Mitglieder, das Übereinkommen spätestens am 1. Juli 192l in Anwendung zu bringen.

(Art. 8.)

6. Die Möglichkeit der Kündigung des Übereinkommens nach Ablauf von 10 Jahren von dem Tage seines ersten Inkrafttretens ab, wobei die Wirkung der Kündigung erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat des Völkerbundes eintritt. (Art. 9.)

7. Die Pflicht des Verwaltungsrates, alle zehn Jahre der allgemeinen Konferenz über die Durchführung des Übereinkommens zu berichten und zu entscheiden, ob seine Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

(Art. 10.)

Um zu diesen Forderungen Stellung nehmen zu können, ist es notwendig, sich vorerst über den gegenwärtigen Stand des Arbeitsnachweises und der Arbeitslosenfürsorge in der Schweiz Rechenschaft zu geben.

472 Zur Durchführung des Arbeitsnachweises bestehen in den Kantonen öffentliche Arbeitsnachweisstellen, welche unparteiisch geleitet sind, kostenlos vermitteln und unter der Aufsicht paritätischer Ausschüsse stehen. Daneben bestehen zahlreiche Naturalverpflegungsstationen, namentlich in der deutschen Schweiz, die sich ebenfalls mit dem Arbeitsnachweis befassen. Nach dem Bundesbeschluss betreffend die Förderung des Arbeitsnachweises durch den Bund vom 29. Oktober 1909, werden diesen Stelle» und Verbänden, sowie dem Verband schweizerischer Arbeitsämter jährliche Bundesbeiträge gewährt. Eine Zentralstelle hat den Arbeitsmarkt zu beobachten und den Arbeitsnachweis zu fördern.

Den Dienst dieser Zentralstelle versah seit 1. Januar 1911 das Städtische Arbeitsamt in Zürich ; die Kosten trug der Bund. Als die durch den Krieg verursachte wirtschaftliche Krisis und Arbeitslosigkeit zu ausserordentlichen Massnahmen zwang und durch Bundesratsbeschluss vom 21. März 1919 das eidgenössische Amt für Arbeitslosenfürsorge errichtet wurde, würde ihm neben der Arbeitsbeschaffung und dem Unterstützungswesen auch die Arbeitsvermittlung übertragen. Da die vom Arbeitsamt der Stadt Zürich im Nebenamt geführte Zentralstelle den grossen Anforderungen, welche die Schwankungen des Arbeitsmarktes in der Nachkriegszeit an den öffentlichen Arbeitsnachweis stellten, nicht mehr genügte, da sich ferner das eidgenössische Amt für Arbeitslosenfürsorge bereits mil der Arbeitsvermittlung befasste, und da die Erfahrung immer deutlicher zeigte, dass ein Missbrauck im Unterstützungswesen nur dann vermieden werden kann, wenn es in engster Verbindung mit einem gut organisierten Arbeitsnachweis durchgeführt wird, so übertrugen wir durch unsern Beschluss vom 6. Januar 1920 die Weiterführung der bisher vom Arbeitsamt der Stadt Zürich geführten Zentralstelle dem eidgenössischen Amt für Arbeitslosenfürsorge. In den Geschäftskreis dieser Zentralstelle fallen insbesondere folgende Aufgaben : Ausbau und einheitliche Organisation des Arbeitsnachweises, Übersicht über den gesamten inländischen Arbeitsmarkt, Mitwirkung bei Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und Regelung des internationalen Arbeitsnachweises .und des Zustroms von Arbeitskräften aus dem Ausland. Die Zentralstelle erhält von den Gemeindearbeitslosenstellen und den kantonalen Zentralstellen
für Arbeitsnachweis, sowie von den Betriebsinhabern Meldung über die Zahl und Art. der offenen Stellen. Diese- Meldungen werden seit Februar 1920 zusammengestellt und im ,, Schweizerischen Arbeitsmarkte a wöchentlich veröffentlicht.

473

Was die Arbeitslosenfürsorge anbetrifft, so wurde der Bundesrat durch die am 3. Juli 1913 erheblich erklärte Motion des Herrn Nationalrat Eugster-Ziist eingeladen, zu prüfen und Bericht und Antrag einzubringen, ob, eventuell auf welche Weise, die Fürsorge für unverschuldet Arbeitslose, insbesondere die Versicherung gegen die Folgen unverschuldeter Arbeitslosigkeit, durch den Bund gefördert und unterstützt werden könnte. Ein in unsorm Auftrag von Herrn Nationalrat Hoffmann ausgearbeitetes, am 16. September 1917 eingereichtes Gutachten kam zum Schluss, die Arbeitslosenversicherung sei nicht, auf dem Wege der staatlichen Versicherung, sondern der Subventionierung der Arbeitslosenkassen durch den Bund durchzuführen. Eine Expertenkommission, welche die Vorschläge des Gutachtens zu überprüfen hatte, erklärte sich einstimmig damit einverstanden. Die Vorarbeiten zu einem diesbezüglichen gesetzgeberischen Erlass sind im Gang, und wir hoffen, den eidgenössischen Räten in nicht zu ferner Zeit einen Entwurf vorlegen zu können. Unterdessen zwangen die Folgen des Krieges gebieterisch zu ausserordentlichen Massnahmen. So wurde durch den Bundesratsbeschluss vom 24. März 1917 aus einem Teil der Kriegsgewinnsteuer ein ,,Fonds für Arbeitslosenfürsorgea gebildet, aus dem während der Dauer des Krieges und der durch den Krieg verursachten ausserordentlichen wirtschaftlichen Verhältnisse Beiträge gewährt wurden an die Leistungen, welche Kantone, Gemeinden und gemeinnützige Unternehmungen zur Milderung unverschuldeter Arbeitslosigkeit machten.

Für die Fürsorge bei Arbeitslosigkeit wurden besondere Massnahmen getroffen. Massgebend hierfür ist der nunmehr geltende Bundesratsbeschluss betreffend Arbeitslosenunterstützung vom 29. Oktober 1919.

Was das Übereinkommen in den Art. l und 2 verlangt, ist bei uns durchgeführt und erfordert keine weitern Massnahmen.

Da Zweifel geäussert wurden, ob eine internationale Arbeitslosenstatistik einen grossen praktischen Wert hat, so darf der Erwartung Ausdruck gegeben werden, dass die Mitteilungen an das Internationale Arbeitsamt in möglichst einfacher Form geschehen können.

Da das Übereinkommen den Staat, der es ratifiziert, auf elf Jahre bindet, so müssen wir uns fragen, ob unsere gegenwärtige Organisation, die zum Teil auf Kriegsmassnahmen beruht, dauernd gesichert ist. Das ist zu
bejahen, sofern der Bundesbeschluss über die Errichtung des eidgenössischen Arbeitsamtes vom 8. Oktober 1920 Gesetzeskraft erhält. Das eidgenössische Amt für Arbeitslosenfürsorge wird abgebaut werden ; die Vor-

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bereitung und Durchführung von Erlassen und Massnahtnen über Arbeitsnachweis und Arbeitslosigkeit gehören dauernd zu den Aufgaben des Arbeitsamtes.

Von den übrigen Bestimmungen des Übereinkommens gibt einzig der Art. 3, welcher die Gleichbehandlung der ausländischen Arbeiter vorschreibt, Anlass zu Bemerkungen. Vertreter der Arbcitgeberverbände haben gegen diese Bestimmung Bedenken geäussert; sie befürchten einen Zustrom ausländischer Arbeiter in Zeiten der Arbeitslosigkeit und eine zu starke Inanspruchnahme der für die Arbeitslosenfürsorge zur Verfügung stehenden Mittel, wenn der Grundsatz der Gleichbehandlung der Ausländer vorbehaltlos angenommen wird.

Wir begreifen, dass man in einem kleinen Lande wie die Schweiz, das einem starken Zustrom von Ausländern ausgesetzt ist, mit aller Vorsicht der Frage gegenübertritt, namentlich weil damit eine Bindung auf elf Jahre verknüpft ist. Gleichwohl können wir die Bedenken nicht teilen. Vorerst ist darauf hinzuweisen, dass die Pflicht zur Gleichbehandlung der Ausländer erst mit der Einführung einer Arbeitslosenversicherung eintritt.

Es gibt zwei Systeme von Arbeitslosenversicherung, entweder die staatliche Versicherung oder die Leistung von staatlichen Beiträgen an die Arbeitsiosenkassen privater Verbände. Wie bereits erwähnt, werden wir das letztere System zur gesetzlichen Verwirklichung vorschlagen. Der Grundsatz der Gloichbehandlung der Ausländer wird dann in der Weise zur Ausführung gelangen müssen, dass fremde Arbeiter Mitglieder von Arboitslosenkassen werden können, als solche Beiträge leisten und nach der für. die Kasse geltenden Karenzzeit Arbeitslosenunterstützung erhalten, sofern die Voraussetzungen hierzu im übrigen zutreffen. Die bestehenden Arbeitslosenkassen nehmen tatsächlich schon Ausländer, die in der Schweiz arbeiten, auf.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Gleichbehandlung der Ausländer immer an Bedingungen geknüpft ist, die von Staat zu Staat zu vereinbaren sind. Das Übereinkommen sagt nicht, welcher Art diese Bedingungen sein können. Es ist den betreffenden Staaten eine gewisse Freiheit gelassen. Wir stellen uns vor, dass z. B. Bestimmungen, welche vor dem Zustrom fremder Arbeiter in Zeiten der Arbeitslosigkeit schützen sollen, oder Bestimmungen, welche vom andern Lande nicht nur formelles Gegenrecht, sondern annähernd gleichwertige
Leistungen verlangen, unter jene Bedingungen fallen.

Nach dem noch in Kraft bestehenden Bundesratsbeschluss betreffend Arbeitslosenunterstützung vom 29. Oktober 1919

475

erhalten in der Schweiz wohnhafte Ausländer die Arbeitslosenunterstützung aus öffontlichea Mitteln nur, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor dem 1. August 1914 insgesamt wenigstens ein Jahr in der Schweiz gearbeitet oder eine Schule besucht haben und ihr Heimatstaat eine annähernd gleichwertige Arbeitslosenunterstützung den Schweizern ausdrücklich zusichert. Der Beitritt zum Übereinkommen betreffend die Arbeitslosigkeit wird nach unserer Auffassung an diesem Grundsätze nichts ändern, weil es sich bei dem im Bundesratsbeschluss vom 29. Oktober 1919 vorgesehenen Unterstützungssystem nicht um eine Versicherung, sondern um Unterstützungen handelt, welche aus Beiträgen des Bundes, der Kantone, der Gemeinden und der Betriebe aufgebracht werden, an die aber die Arbeiter nichts beitragen. Die Gleichbehandlung der Ausländer im Sinne des Art. 3 des Übereinkommens kann also erst mit der Einführung einer Arbeitslosenversicherung in Frage kommen.

Gestützt auf diese Erwägungen kommen wir zum Schluss, den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen betreffend die Arbeitslosigkeit vorzuschlagen. Demgemäss beantragen wir die Annahme des nachstehenden Bundesbeschlusses (Beilage II).

476

6.

Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft. (Nr. 5.)

A.

Der TnVia.1t, des Übereinkommens ist im wesentlichen folgender: 1. Es gilt -- im Gegensatz zu den übrigen Übereinkommen -- nicht nur für die «gewerblichen Betriebe», also Industrie und Gewerbe, Inbegriffen die Transportanstalten, sondern auch für den Handel.

Als Handelsbetrieb gilt jede Stelle, an der Waren verkauft werden oder Handel getrieben wird.

Nicht unter das Übereinkommen fällt somit nur die Landwirtschaft. In jedem Land hat die zuständige Behörde die Abgrenzung zwischen Gewerbe und Handel einerseits und Landwirtschaft anderseits vorzunehmen.

(Art. 1.)

2. Als «Frau» gilt jede Person weiblichen Geschlechtes, sei sie verheiratet oder nicht und unabhängig von ihrem Alter oder ihrer Staatsangehörigkeit, und als «Kind» jedes Kind, gleichviel ob es ehelich oder unehelich ist.

(Art. 2.)

8. In allen unter das Übereinkommen fallenden Betrieben und Nebenbetrieben, sowohl öffentlichen als privaten, mit Ausnahme derjenigen, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt sind, darf eine Frau während sechs Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden; ferner ist sie berechtigt, die Arbeit zu verlassen, wenn sie ein ärztliches Zeugnis beibringt, dass ihre Niederkunft voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird.

(Art. 3, lit. a und b.)

4. Während der ganzen Dauer ihrer Abwesenheit -- auch dann, wenn sich der Arzt oder die Hebamme in der Berechnung des Zeitpunktes der Niederkunft geirrt haben sollte -- ist der Frau eine Unterstützung auszurichten, die genügend sein soll, um sie und ihr Kind in guten gesundheitlichen Verhältnissen zu erhalten. Ausserdem hat sie Anspruch auf unentgeltliche Behandlung durch einen Arzt oder eine Hebamme.

Die Unterstützungsbeiträge, deren genauer Betrag durch die zuständige Behörde jedes Landes festzusetzen ist, sind entweder aus öffentlichen Mitteln zu decken oder durch eine Versicherung aufzubringen.

(Art. 3, lit. c.)

477

5. Schwangeren und Wöchnerinnen darf weder während ihrer Abwesenheit noch auf einen solchen Zeitpunkt gekündigt werden, dass die Kündigungsfrist während ihrer Abwesenheit abläuft, sofern letztere nicht eine von der zuständigen Behörde des Landes festzusetzende Höchstdauer überschreitet.

(Art. 4.)

6. Jeder Frau, die ihr Kind selber nährt, ist während der Arbeitszeit zum Stillen täglich zweimal je eine halbe Stunde frei zu geben.

(Art. 3, lit. d.)

7. Das Übereinkommen tritt in Kraft, sobald es von zwei Mitgliedstaaten ratifiziert ist und der Generalsekretär des Völkerbundes die andern Mitglieder hiervon benachrichtigt hat.

(Art. 7 und 8.)

8. Die ratifizierenden Mitglieder haben das Übereinkommen spätestens vom 1. Juli 1922 hinweg zur Anwendung zu bringen.

(Art. 9.)

9. Das Übereinkommen kann nach Ablauf von 10 Jahren vom Tag seines ersten Inkrafttretens an gekündigt werden. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Generalsekretariat des Völkerbundes ein.

(Art. 10.)

10. Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz Bericht über die Durchführung des Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

(Art. 11.)

B.

1. Der Gedanke des Schutzes der Schwangeren und Wöchnerinnen bildete schon seit Jahrzehnten einen wichtigen Bestandteil in den Arbeiterschutzgesetzen der verschiedenen Länder. Verwirklicht wurde er zum ersten Male in der Schweiz. Hier war es die Tat des Fabrikarbeitervereins von Glarus, der mit ärztlicher Unterstützung an der Landsgemeinde von 1864 die Forderung auf den Brlass eines Verbotes der Beschäftigung von Frauen vor und nach der Niederkunft durchsetzte. Diese Vorschrift wurde dann in das eidgenössische Fabrikgesetz vom 23. März 1877 aufgenommen, wo bestimmt wurde, dass die gesamte Ruhezeit vor und nach der Niederkunft acht Wochen betragen und zwischen Niederkunft und Wiedereintritt in die Fabrik jedenfalls sechs Wochen liegen müssten. Ausserdem enthielt es eine Bestimmung, die den Bundesrat ermächtigte, diejenigen Fabrikationszweige zu bezeichnen, bei denen schwangere Personen nicht beschäftigt werden dürften -- eine Vorschrift, die dann später im

478

neuen. Fabrikgesetz zu einem Verbot der Beschäftigung weiblicher Personen in gewissen Fabrikationszweigen und für gewisse Verrichtungen erweitert wurde.

Im Fabrikgesetz vom 18. Juni 1914/27. Juni 1919 wurde die Schonzeit auf sechs Wochen festgesetzt, kann aber auf Wunsch der Wöchnerin bis auf acht Wochen verlängert werden ; sie gilt nur für die Zeit nach der Niederkunft, doch dürfen Schwangere auf blosse Anzeige hin die Arbeit vorübergehend verlassen oder von ihr wegbleiben (Art. 69). Über die Gründe, die zu dieser Änderung führten, hat sich der Bundesrat in seiner Botschaft vom 6. Mai 1910 betreffend die Eevision des Fabrikgesetzes folgendermasseu ausgesprochen: «Die Erfahrung beweist, dass der Zweck, der Schwangeren einen Schutz zu gewähren, nur zum kleinsten Teil erreicht wird, weil sie sehr oft über das Datum der Niederkunft im Ungewissen ist, oder der Fabrikarbeit wegen des entgehenden Verdienstes nicht fern bleiben will, oder statt derselben eine andere, vielleicht schädlichere Arbeit betreibt. Eine nach dem Urteil der jetzigen und der früheren Fabrikinspektoren undurchführbare Gesetzesvorschrift darf nicht beibehalten werden. Zwar verlassen wir den bisherigen Grundsatz ungern, aber die Macht der Verhältnisse ist stärker als die Absicht des Gesetzes von 1877. Weil diese nicht in Erfüllung ging und ein günstigeres Ergebnis auch in Zukunft nicht erzwungen werden kann, bringt tatsächlich unsere Vorlage keinen Eückschritt. Die Mehrheit der Expertenkommission gelangte ebenfalls zur Preisgabe der Kuhezeit vor der Niederkunft, und schon die .Expertenkommission des Eisenbahn- und Handelsdepartements von 1878 war der Ansicht gewesen, es sei beim Vollzug von Art. 15 das Schwergewicht darauf zu legen, dass die Zeit von 6 Wochen nach der Niederkunft streng aufrechterhalten werde, indem vor der Niederkunft gerade die 7eit, in der die Gefahren am grössten seien, sich am meisten aller Kontrolle entziehe. Wir bemerken, dass eine solche Kontrolle namentlich auch dann auf unübersehliche Schwierigkeiten stiesse, wenn sie sich auf die Beschäftigung, die eine Schwangere als Ersatz für die verbotene Fabrikarbeit betreibt, erstrecken sollte.» 2. Weitere Bestimmungen zum Schutz der Wöchnerinnen hat der Bund aufgestellt in dem am 31. Oktober 1920 vom Volk angenommenen Bundesgesetz betreffend die Arbeitszeit beim
Betrieb der Eisenbahnen und andern Verkehrsanstalten. Art. 8 dieses Gesetzes, der in etwas anderer Fassung schon in der Vollziehungsverordnung zum Gesetz vom 19. Dezember 1902 enthalten war, verbietet die Beschäftigung von Wöchnerinnen während sechs Wochen nach ihrer Niederkunft; Lohn oder Gehalt darf ihr deswegen nicht gekürzt werden (Art. 15).

479 3. Abgesehen von den erwähnten Vorschrift?n im Fabrikgesetz und im Arbeitszeitgesetz für die Transportanstalten hat die Schweiz den Gedanken des Mutterschaftsschutzes bereits verwirklicht im Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, insofern nämlich, als hier der Grundsatz niedergelegt ist, dass die Krankenkassen das Wochenbett einer versicherten Krankheit gleichzustellen haben (Art. 14 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911). Diese Bestimmung soll wenigstens teilweise einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Fabrikarbeiterin durch das Verbot der Beschäftigung nach ihrer Niederkunft der Verdienstmöglichkeit beraubt ist, und dies gerade in einer Zeit, die vermehrte Ausgaben verursacht.

4. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass für diejenigen Betriebe, die dem eidgenössischen Fabrikgesetz nicht unterstehen, in einer Anzahl von Kantonen besondere Schutzbestimmungen für Schwangere und Wöchnerinnen gelten. So z. B. im Kanton Glarus (Gesetz betreffend den Arbeiterschutz vom 8. Mai 1892), St. Gallen (Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen und die Arbeit der Bediensteten der Ladengeschäfte und Wirtschaften vom 26. Juni 1893), Zürich (Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen vom 12. August 1894), Solothurn (Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen vom 29. November 1985), Luzern (Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen vom 29. November 1895), Aargau (Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen vom 26. Mai 1903), Basel-Stadt (Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen vom 27. April 1905), Bern (Gesetz betreffend den Schutz von Arbeiterinnen vom 23. Februar 1908), Appenzell A.-Eh. (Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen vom 26. April 1908). Die in diesen Gesetzen aufgestellte Schonzeit beträgt in der Eegel sechs Wochen. Einige Kantone setzen sie auf vier Wochen fest, bestimmen aber gleichzeitig, dass die Frau berechtigt sei, bis auf 6 (Bern: bis auf 8) Wochen nach der Niederkunft von der Arbeit wegzubleiben, oder dass eine Beschäftigung während der fünften und sechsten Woche nur dann erlaubt sei, wenn das Zeugnis eines diplomierten Arztes sie für zulässig erklärt (so Bern).

Die Schonzeit wird überall erst vom Tag der Niederkunft an gewährt, mit Ausnahme von Glarus, das sie auf 8 Wochen festsetzt und gleichzeitig vorschreibt, dass wenigstens 6 Wochen davon auf die Zeit
nach der Niederkunft fallen müssen. Doch finden sich in den meisten der Gesetze Bestimmungen, die es einer Schwangeren oder Hochschwangeren erlauben, auf blosse Anmeldung hin von der Arbeit wegzubleiben; auch wird in der Eegel die Überzeitarbeit verboten.

5. Ein kurzer Blick auf den Stand der Gesetzgebung im Ausland zeigt -- die Angaben sind grösstenteils dem Bericht des Orga-

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nisationskomitees für die Internationale Arbeitskonferenz in Washington entnommen --, dass in fast allen Staaten Arbeitsverbote für Wöchnerinnen erlassen wurden (in Europa hatten, mit Ausnahme von Ungarn und Finnland, bereits im Jahre 1918 sämtliche Länder bezügliche Vorschriften aufgestellt). Von 29 Staaten schreibe« 14 eine Schonzeit von 4 Wochen oder weniger vor, 15 eine solche von 5 Wochen oder mehr, doch höchstens 8 Wochen (abgesehen von Südafrika, wo 12 Wochen vorgesehen sind). Diese Schonzeiten gelten in den meisten Fällen erst vom Tag der Entbindung an, doch räumen eine Anzahl Staaten einer Frau das Eecht ein, schon vor der Niederkunft die Arbeit zu verlassen, sei es nach Vorweisung eines ärztlichen Zeugnisses, sei es auf blosse Anmeldung hin oder auch ohne irgendwelche vorherige Mitteilung. In 7 Staaten wird ausdrücklich das Verbot der Kündigung bei dem Austritt wegen Schwangerschaft oder Niederkunft festgelegt. Die Verpflichtung der Betriebsinhaber, den Wöchnerinnen Stillpausen oder Stillräume zu gewähren, ist nach dem Vorbild Portugals in die Gesetze 7 weiterer Länder übergegangen, wovon 6 europäischen. Was die Unterstützung der Schwangeren oder Wöchnerinnen während der Zeit ihres Wegbleibens von der Arbeit betrifft, so haben mehrere Staaten -- es mögen ungefähr deren 8 sein -- diese Frage in Verbindung mit der Krankenversicherung gelöst, andere gleichzeitig mit der Aufstellung des Beschäftigungsverbotes, während wieder andere eine besondere Eegelung getroffen haben. Hinsichtlich des Geltungsbereiches der verschiedenen Gesetze endlich ist zu sagen, dass die einen -- wohl die Mehrzahl -- ähnlich wie in der Schweiz Anwendung finden nur auf Fabrikbetriebe, teilweise auch auf die Transportanstalten, dass dagegen andere ebenfalls das Kleingewerbe und den Handel umfassen.

C.

Ein Vergleich der Bestimmungen des Übereinkommens mit den vorstehend erwähnten, gegenwärtig geltenden Bundesvorschrifteu ergibt folgendes: 1. Für die dem Fabrikgesetz nicht unterstellten Gewerbe und den Handel, auf welche das Übereinkommen gleichermassen Anwendung findet wie auf die Fabrikbetriebe, bestehen von Bundes wegen keine Vorschriften.

2. Die vom Übereinkommen verlangte Schonzeit von 6 Wochen nach der Niederkunft entspricht dem Art. 69, Abs. l, des Fabrikgesetzes, der überdies bestimmt, dass diese Zeit auf den Wunsch der Wöchnerin bis auf 8 Wochen zu verlängern sei.

481 Eine Schonzeit von 6 Wochen nach der Niederkunft ist ferner in Art. 8 des Bundesgesetzes über die Arbeitszeit beim Betrieb der Eisenbahnen und anderer Verkehrsanstalten vom 6. März 1920 vorgeschrieben.

3. Die Schonzeit vor der Niederkunft betreffend, räumt das Übereinkommen der Frau das Eecht ein, die Arbeit zu verlassen, wenn sie ein ärztliches Zeugnis darüber beibringt, dass die Entbindung voraussichtlich innerhalb 6 Wochen stattfinden wird, während das Fabrikgesetz bestimmt, dass Schwangere auf blosse Anzeige hin die Arbeit vorübergehend verlassen oder von ihr wegbleiben dürfen (Art. 69, Abs. 5). Diese Bestimmung erlaubt es einer Frau, zu beliebiger Zeit, nicht erst 6 Wochen vor der Niederkunft -- deren genauer Zeitpunkt ihr oft gar nicht zum voraus bekannt ist --- die Arbeit niederzulegen; die Dauer des Wegbleibens kann sich dabei je nach dem gesundheitlichen Befinden ebenso nach Stunden wie nach Tagen und Wochen bemessen, wenn auch nicht an ein ununterbrochenes sechswöchentliches Fortbleiben als Hegel gedacht ist.

Das Arbeitszeitgesetz für die Transportanstalten enthält keine Bestimmungen über die Beschäftigung der Frauen vor der Niederkunft, doch ermächtigt es den Bundesrat ganz allgemein, über die Beschäftigung weiblicher Personen einschränkende Vorschriften aufzustellen.

4. Das Fabrikgesetz enthält keine Vorschriften, welche einer Frau die vom Übereinkommen verlangten Unterstützungsbeiträge sowie unentgeltliche Geburtshülfe zusichern würden.

Dagegen wird im Kranken- und Unfallversicherungsgesetz bestimmt (Art. 14), dass die Krankenkassen das Wochenbett einer versicherten Krankheit gleichzustellen und der Wöchnerin die für Krankheitsfälle vorgesehenen Leistungen während mindestens sechs Wochen zu gewähren haben. Es geht hinsichtlich des Kreises der geschützten Personen über die Washingtoner Konvention hinaus, indem die Versicherung mit staatlichem Beitrag jeder Frau und nicht nur den unselbständig erwerbenden Frauen offen steht. Auch ist unter gewissen Voraussetzungen die Ausrichtung eines Stillgeldes vorgesehen. Anderseits ist daran zu erinnern, dass die Krankenversicherung nach dem Gesetz vom 13. Juni 1911 nicht obligatorisch ist und dass ein Krankengeld auf Grund der erwähnten Vorschrift nur für die Zeit des Wochenbettes und nicht für die Zeit vor der Niederkunft gewährt wird.
Den bei den Eisenbahnen und andern Verkehrsanstalten angestellten Frauen muss für die sechs Wochen nach der Niederkunft, während denen ihnen die Beschäftigung verboten ist, der volle Lohn Bundesblatt.

72. Jahrg.

Bd. V.

32

482

ausbezahlt werden (Art. 15 des Gesetzes vom 6. März 1920). Dagegen ist auch hier keine besondere Unterstützung für die Zeit vor der Niederkunft vorgesehen.

5. Es fehlt eine Bestimmung, entsprechend derjenigen im Übereinkommen, welche die obligatorischen Stillpausen einführt.

6. Die Kündigung einer Wöchnerin gegenüber ist im Fabrikgesetz nur für die Zeit von sechs Wochen nach der Niederkunft und wegen ihres zeitweiligen Verlassens der Arbeit vor der Entbindung verboten (Art. 69, Abs. 2 und 5). Das Übereinkommen geht bedeutend weiter, indem es schon während den 6 Wochen vor der Niederkunft die Kündigung nicht zulässt und ausserdem auch dann nicht, wenn die Frau der Arbeit während längerer Zeit fernbleibt infolge einer Krankheit, die durch ärztliches Zeugnis als Folge ihrer Niederkunft oder Schwangerschaft erklärt worden ist und die sie zur Wiederaufnahme der Arbeit unfähig macht, sofern die Abwesenheit nicht eine von der zuständigen Behörde jedes Landes festzusetzende Höchstdauer überschreitet.

Das Arbeitszeitgesetz für die Transportanstalten enthält kein Kündigungsverbot. Doch ist in Wirklichkeit einer Frau wegen ihres Wegbleibens von der Arbeit nach der Niederkunft oder auch während der letzten Zeit der Schwangerschaft wohl nie oder doch nur ganz ausnahmsweise gekündigt worden. Wenigstens hat das, zuständige Departement diesbezüglich nie Klagen erhalten.

7. Der Vollständigkeit halber sei schliesslich noch erwähnt, dass auch die Vorschriften der Kantone über den Mutterschaftsschutz, da wo solche bestehen, sich mit den Bestimmungen des Übereinkommens in wesentlichen Punkten nicht decken. Insbesondere hat unseres Wissens kein Kanton die Ausrichtung von Unterstützungsbeiträgen vorgesehen.

Aus diesen Feststellungen folgt, dass die Schweiz, falls sie dem Übereinkommen beitreten wollte, das Fabrikgesetz sowie das erst vor wenigen Wochen angenommene Arbeitszeitgesetz für die Transportanstalten revidieren und ferner für das eigentliche Gewerbe und den Handel entsprechende gesetzliche Bestimmungen aufstellen müsste, und dass sie dabei vor allem auch hinsichtlich der von der Konvention geforderten Unterstützungspflicht die nötigen Vorschriften zu erlassen hätte.

D.

Die dem Übereinkommen zu Grunde liegende Idee ist sehr begrüssenswert. Die Berechtigung eines staatlichen Schutzes der Schwangeren und Wöchnerinnen ist zu anerkannt, sowohl vom medi-

483

zinischen als auch vom ethischen und namentlich vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus, als dass sie hier brauchte näher begründet zu werden. Es steht nicht nur das Wohl der Mutter und des Kindes in Frage ; auch die Allgemeinheit hat ein direktes und hohes Interesse daran -- gerade heutzutage angesichts des zunehmenden Geburtenrückganges --, dass eine Frau nicht vor und nach der Niederkunft unter Verhältnissen zu leben genötigt sei, die eine schwere Schädigung ihres Organismus und des Lebens des Kindes zur Folge haben können. Eichtig ist auch der Gedanke, dass die Aufstellung eines Beschäftigungsverbotes allein nicht genügt, um den Mutterschaftsschutz wirksam zu gestalten, sondern dass gleichzeitig ein Ersatz für den Verdienstausfall geschaffen werden muss. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das im Interesse der Frau erlassene Arbeitsverbot statt zu ihrem Nutzen zu ihrem Nachteil ausschlägt und deshalb vielfach umgangen wird. Zu dieser Auffassung hat sich der Bundesrat bereits früher bekannt. So schreibt er in seiner Botschaft vom 10. Dezember 1906 betreffend die Kranken- und Unfallversicherung: «Es ist somit an der Zeit, die rein negative Schutzmassnahme, die in diesem Verbot enthalten ist -- gemeint ist die acht·wöchentliche Schonzeit gemäss Art. 15 des Fabrikgesetzes von 1877 --, durch eine Bestimmung, die der durch das Gesetz am Arbeiten verhinderten Wöchnerin zu Hülfe kommt, zu vervollständigen», und weiter in seiner Botschaft vom 6. Mai 1910 betreffend die Bevision des Fabrikgesetzes : «Es lässt sich nun nicht leugnen, dass der gesetzliche Schutz der Wöchnerinnen ein mangelhafter bleibt, solange nicht dafür gesorgt ist, dass sie den schweren materiellen Sorgen enthoben werden. Der Verdienstausfall, den sie durch das gezwungene Wegbleiben von ihrer Erwerbsquelle erleiden, ist ein empfindlicher, besonders unter den gegebenen Umständen, die vermehrte Ausgaben mit sich bringen.» E.

Wie sehr wir auch die Berechtigung des Mutterschaftsschutzes anerkennen, so halten wir doch anderseits einzelne Bestimmungen des Übereinkommens für schwer durchführbar. So darf füglich in Zweifel gezogen werden, ob eine Schonzeit von 6 Wochen vor der Niederkunft notwendig ist. Die Gefahr liegt nahe, dass viele Frauen, trotz des Genusses einer Unterstützung, versuchen werden, sich ausserhalb des Betriebes, in dem
sie beschäftigt sind, Arbeitsgelegenheit zu verschaffen, um auf diese Weise zu einem erhöhten Einkommen zu gelangen. Dabei werden sie häufig, um einer Kontrolle zu entgehen, Arbeiten verrichten, die ihrer Gesundheit nachteiliger sind als diejenigen in den beaufsichtigten Betrieben. Anfechtbar ist ferner

484

die Vorschrift, dass ein vom Arzt oder von der Hebamme bei der Berechnung der Niederkunft begangener Irrtum auf den Unterstützungsanspruch der Frau keinen Einfluss haben soll (Art. 3, lit. c).

Sie wird leicht Anlass zu Missbräuchen geben. Nichts schadet aber einer guten Idee mehr, als wenn Missbrauch mit ihr getrieben wird und die gesetzlichen Bestimmungen eine Abhülfe nicht gestatten.

Abgesehen von diesen Aussetzungen stellen sich der Annahme des Übereinkommens grosse finanzielle Schwierigkeiten entgegen. Wir haben durch das Bundesamt für Sozialversicherung Berechnungen anstellen lassen über den mutmasslichen finanziellen Aufwand, den die Durchführung des Übereinkommens verlangt. Es hat nachstehenden Bericht abgegeben mit dem Hinweis darauf, dass genaue, unbedingt zuverlässige Berechnungen nicht möglich waren, weil die verwendeten statistischen Zahlen nicht über alle in Betracht fallenden Faktoren Auskunft geben und weil heute noch unbekannt sei, welche Unterstützung gemäss Art. 3, lit. c im Fall des Beitritts zum Übereinkommen von den Behörden festgesetzt würde. Der Bericht lautet wie folgt: «Das eidgenössische statistische Bureau schätzt die Zahl der Frauen in unserm Lande, denen nach Art. 3, lit. c des Konventionsentwurfes die dort vorgesehenen Leistungen gesichert werden müssten, auf 202,000 und die Zahl der jährlich zu entschädigenden Wöchnerinnen auf rund 20,000. Auf Industrie und Gewerbe würden hiervon 144,000 Frauen mit 14,300 Wochenbetten und auf Handel und Verkehr 58,000 Frauen mit jährlich 5700 Wochenbetten entfallen.

«Wir legen also diese Zahlen zugrunde, obgleich wir uns nicht verhehlen, dass der Durchschnitt von fast 10 Wochenbetten auf 100 Frauen für die hier in Betracht fallenden Verhältnisse -- unselbständig erwerbende und deshalb wohl vorwiegend unverheiratete Frauen in grösseren Zentren -- vielleicht etwas hoch gegriffen ist.

«Es besteht zurzeit keine Statistik, die in einwandfreier Weiso über die Lohnverhältnisse der hier in Betracht fallenden weiblichen Personen Auskunft geben würde, und zudem sind die Lohnverhältnisse in ständigem Flusse, so dass eine Statistik, die das verflossene Jahr umfassen würde, schon für das laufende Jahr nicht mehr als rnassgebend angesehen werden könnte. -- Einige Anhaltspunkte vermag inbezug auf Industrie und Gewerbe die im September 1920
erschienene Publikation des eidgenössischen statistischen Bureaus zu geben, betitelt: «Arbeitslöhne verunfallter Arbeiter im Jahre 1918 in den dem Unfallversicherungsgesetz unterstellten Betrieben».

«Wir können uns auf die Betrachtung der Mittelzahlen hinsichtlich des weiblichen Geschlechtes für sämtliche Industrien beschränken

485

und finden, dass im Jahre 1918 der durchschnittliche Tagesverdienst für eine verunfallte Arbeiterin Fr. 4. 96 oder rund Fr. 5. -- betrug.

Aus den Zahlenaufstellungen ergibt sich und ist auch in den textlichen Ausführungen besonders hervorgehoben, dass die Frauenlöhne im allgemeinen recht nahe beisammen liegen und scharf ausgeprägte Anhäufungsstellen in den Lohnklassen mit einem Tagesverdienst von Fr. 4. 50 bis Fr. 6. -- zeigen. Diese Feststellung erlaubt uns, hier mit einem einheitlichen, durchschnittlichen Tagesverdienst zu rechnen. Die Verschiebung in den Lebenskosten und damit auch in den Einkommensverhältnissen, die mit jenen, wenn auch nicht in vollem Masse, so doch zu einem ansehnlichen Teil, Schritt gehalten haben, zwingt uns jedoch, heute nicht mehr mit durchschnittlich Fr. 5. --, sondern mit Fr. 6. --· als durchschnittlichem täglichem Verdienst zu rechnen.

«Die Lohnverhältnisse in Handel und Verkehr sind im allgemeinen, auch für das weibliche Geschlecht, etwas bessere als in Industrie und Gewerbe. Ausgedehnte statistische Aufzeichnungen fehlen, man ist auf Mutmassungen angewiesen. Den nachstehenden Schätzungen soll für das weibliche Personal in Handel und Verkehr ein mittlerer Tagesverdienst von Fr. 8. -- zugrunde gelegt werden.

«Inbezug auf die Wöchnerinnenunterstützung lässt der Konventionsentwurf den Staaten freie Hand; er stellt immerhin das Prinzip auf, dass sie genügen solle, um der Wöchnerin und ihrem Kinde den Unterhalt in hygienisch guten Verhältnissen zu sichern.

«Es erscheint zweckmässig, die Höhe der Unterstützung ins Verhältnis zum Lohn zu setzen und dabei die finanzielle Tragweite z. B.

der drei folgenden Varianten zu prüfen: «1. Um bei der Wöchnerin in der Zeit vor der Niederkunft ein Interesse an der Fortsetzung der Arbeit wachzuhalten, sollen ihr im Falle der Arbeitsniederlegung während vier Wochen 8/4 des Tagesverdienstes und erst für die letzten 2 Wochen vor der Niederkunft der volle Tagesverdienst ersetzt werden, und es werde vermutet, dass unter diesen Verhältnissen 3/4 der Wöchnerinnen 6 Wochen vor der Niederkunft die Arbeit aussetzen, während V* die Zeit des Anspruches auf den vollen Lohnersatz abwarten würde. Für die Zeit von 6 Wochen nach der Niederkunft werde die Vergütung des vollen Tagesverdienstes vorgesehen und diese zum Unterhalt der Wöchnerin und ihres
Kindes in hygienisch guten Verhältnissen als genügend erachtet.

«2. Es soll angenommen werden, dass die Wöchnerinnen ausnahmslos 6 Wochen vor der Niederkunft die Arbeit niederlegen und ihnen für diese Zeit der volle Verdienst vergütet werde, ferner soll Torausgesetzt werden, dass die Vergütung des vollen Tagesverdienstes

486

für die 6 Wochen nach der Niederkunft auch genüge, um den Unterhalt der Wöchnerin mit ihrem Kinde in hygienisch guten Vorhältnissen zu sichern.

«3. Es werde für die 6 Wochen vor der Niederkunft der Ersatz des vollen Lohnes vorgesehen, diese Vergütung für die Zeit nach der Niederkunft aber nicht als genügend erachtet, sondern, im Hinblick auf die erforderlichen Anschaffungen und die Pflege des Kindes, der Bedarf auf 125 % des Tagesverdienstes eingeschätzt.

«Unter diesen Voraussetzungen und unter Ausschluss der Unterstützung für die Sonntage gelangt man für die drei Varianten zu den folgenden Belastungssummen, wobei ohne weiteres klar ist, dass der Fall l die Minimalbelastung, der Fall 8 die Maximalbelastung bringen muss: 1. 14,300 Wochenbetten mit einer Vergütung von täglich Fr. 6.-- während 8 Wochen . . Fr. 4,118,400 5,700 Wochenbetten mit einer Vergütung von täglich Fr. 8. -- während 8 Wochen . . » 2,188,800 10,700 Wochenbetten überdies mit einer Vergütung von täglich Fr. 4. 50 während 4 Wochen _ » 1,155,600 4,300 Wochenbetten überdies mit einer Vergütung von täglich Fr. 6. -- während 4 Wochen » 619,200 Fr. 8,082,000 2. 14,300 Wochenbetten mit einer Vergütung von täglich Fr. 6. -- während 12 Wochen . Fr. 6,177,600 5,700 Wochenbetten mit einer Vergütung von täglich Fr. 8. -- während 12 Wochen . » 3,283,200 Fr. 9,460,800 3. 14,300 Wochenbetten mit einer Vergütung von täglich Fr. 6. -- während 6 Wochen und Fr. 7. 50 wahrend 6 Wochen Fr. 6,949,800 5,700 Wochenbetten mit einer Vergütung von täglich Fr. 8. -- während 6 Wochen und von Fr. 10. -- während 6 W o c h e n . . . » 3,693,600 Fr. 10,643,400 «Man könnte versucht sein, diesen Schätzungen entgegenzuhalten, ein Teil der Summen werde heute schon auf Grund von Artikel 335 des schweizerischen Obligationenrechtes vom Arbeitgeber aufgebracht. In den Kommentaren wird in der Tat das Wochen-

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bett einer Krankheit, für die der Dienstpflichtige nach jenem Artikel für eine verhältnismässig kurze Zeit Anspruch auf Lohnzahlung hat, gleichgestellt. Dagegen ist zu beachten, dass nur ein relativ kleiner Teil der hier in Betracht fallenden weiblichen Personen zum Arbeitgeber auf Grund eines «auf längere Dauer abgeschlossenen Dienstvertrages» im Dienstverhältnis steht. Es ist daher davon abzusehen, aus Art. 335 OB eine Ermässigung der genannten Kostensumme abzuleiten. Dagegen wiederholen wir, dass die Schätzungen sich ganz bedeutend verschieben werden je nach dem Verhältnis, in das die «Unterstützung» des Art. 3, lit. c zum Lohne gesetzt wird.

«Zu den berechneten Summen gesellen sich jeweilen die Kosten des Hebammendienstes und der ärztlichen Behandlung, die im Mittel pro Wochenbett auf Fr. 35 veranschlagt werden können, das ist mit einer Gesamtsumme von jährlich Fr. 700,000 für die 20,000 Wochenbetten.» Aus diesen Berechnungen ergibt sich, dass es jährlich einer Summe von mindestens 10 Millionen Franken bedürfte, um die vom Übereinkommen geforderten Unterstützungsbeiträge und andern Leistungen ausrichten zu können. Diese Summe aus öffentlichen Mitteln aufzubringen, ist bei der gegenwärtigen Finanzlage des Bundes, der Kantone und der Gemeinden nicht möglich. Der einzige Weg zur Beschaffung der notwendigen Geldmittel ist die Einführung einer Mntterschaftsversicherung. Entsprechend unserer Stellungnahme zur Einführung der Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung -- wir erinnern an unsere Ausführungen in der Botschaft vom 21. Juni 1919 -- vertreten wir auch hier die Auffassung, dass die schönste Idee nichts nützt, wenn nicht ihre Verwirklichung dauernd sichergestellt ist; es ist nicht damit getan, die Schaffung eines sozialen Werkes zu beschliessen, vielmehr muss gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass die zu seiner Durchführung nötigen Mittel zur Verfügung stehen. Die Berechtigung dieses Standpunktes wurde an der Konferenz mit den wirtschaftlichen Verbänden vom 13./14.

September 1920 in Zürich auch von Arbeitnehmerseite anerkannt.

Die Einführung einer Mutterschaftsversicherung wäre unseres Erachtens ohne Verfassungsänderung möglich. Da nach Art. 14 des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes das Wochenbett einer versicherten Krankheit gleichgestellt wird, so bedürfte es lediglich
eines Ausbaues dieses Gesetzes. Der Bundesrat hat sich schon in seiner Botschaft vom 10. Dezember 1906 zum Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, sowie in der Botschaft vom 6. Mai 1910 betreffend die Eevision des Fabrikgesetzes dahin ausgesprochen, dass die Mutterschaftsversicherung in Verbindung mit der Krankenversicherung zu regeln sei.

488

Das Volkswirtschaftsdepartement hat bereits am 24. September 1920 das Bundesamt für Sozialversicherung beauftragt, dio Einführung der Mutterschaftsversicherung auf dem beschriebenen Weg zu prüfen und dabei auch zu untersuchen, ob die Versicherung sich nur auf die Kreise zu beschränken habe, welche das Washingtoner Übereinkommen ins Auge fasst, oder ob sie nicht auch auf dio Landwirtschaft ausgedehnt werden soll. Die ganze Frage wird Gegenstand eingehender Prüfung bilden im Zusammenhang mit der Totalrevision der Krankenversicherung, deren Inangriffnahme der Bundesrat am 27. September 1920 beschlossen hat. Sobald die Ergebnisse dieser Prüfung vorliegen, werden wir in der Sache weiter Stellung nehmen.

Unter den gegenwärtigen Verhältnissen kann von einem Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen nicht die Eede sein, da dessen Durchführung nicht gesichert ist. Wir müssen aber auch die Frage offen lassen, ob bei Einführung einer Mutterschaftsversicherung alle Bestimmungen des Übereinkommens verwirklicht werden können und ob ein späterer Beitritt in Aussicht zu nehmen sei.

Aus diesen Gründen stellen wir den Antrag : 1. Von einem Beitritt zum Übereinkommen sei abzusehen.

2. Von der Erklärung des Bundesrates, wonach die Einführung einer Mutterschaftsversicherung geprüft wird, sei in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen,

48 *

7.

Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Festsetzung der Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben auf acht Stunden täglich und achtundvierzig Stunden wöchentlich.. (Nr. 1.)

A.

Das Übereinkommen hat im wesentlichen folgenden Inhalt: 1. Es gilt für die «gewerblichen Betriebe», inbegriffen die Beförderung von Personen und Gütern.

Es gilt aber nicht für die Betriebe, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie arbeiten. Ferner gilt es nicht für Handel und Landwirtschaft. In jedem Lande hat die zuständige Behörde die Grenze zwischen Gewerbe einerseits und Handel und Landwirtschaft anderseits zu bestimmen.

(Art. l und 2.)

2. In den Betrieben, für welche das Übereinkommen gilt, seien sie öffentlicher oder privater Natur, und in deren Nebenbetrieben darf die Arbeitszeit der darin beschäftigten Personen 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich nicht übersteigen.

(Art. 2, Abs. 1.)

3. Ausnahmen von den in Ziffer 2 erwähnten Vorschriften sind in folgenden Fällen zulässig: a. Die Bestimmungen des Übereinkommens gelten nicht für Personen, welche mit der Aufsicht oder Leitung beauftragt sind oder eine Vertrauensstellung bekleiden.

(Art. 2 a.)

b. Beträgt die Arbeitszeit an einem oder mehreren Tagen der Woche (z. B. Samstag) infolge Gesetz, Gewohnheit oder Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern weniger als 8 Stunden, so kann die Arbeitszeit an den übrigen Tagen der Woche erhöht werden, darf aber nie mehr als 9. Stunden täglich betragen. Diese Erhöhung tritt nur ein, wenn sie durch die zuständige Behörde verfügt oder zwischen Arbeitgebern und Arbeitern vereinbart wird.

(Art. 2 6.)

c. Bei Schichtarbeit kann die Arbeitszeit über 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich verlängert werden, darf aber für die Zeit von drei oder weniger Wochen im Durchschnitt 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich nicht übersteigen.

(Art. 2 c.)

490

d. Die Arbeitszeit kann überschritten werden bei eingetretenem oder drohendem Unglücksfall, bei der Notwendigkeit, dringliche Arbeiten an Maschinen oder Betriebseinrichtungen vorzunehmen, oder im Falle höherer Gewalt, immer jedoch nur soweit es notwendig ist, um eine ernstliche Störung des regelmässigen Betriebes zu verhüten.

(Art. 8.)

e. Bei Arbeiten, die ihrer Natur nach einen ununterbrochenen Fortgang mit Schichtenwechsel erfordern, kann die Arbeits. zeit durchschnittlich bis auf 56 Stunden wöchentlich erhöht werden.

° (Art. 4.)

/. Erweist sich die Normalarbeitszeit als undurchführbar, so kann durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeiterverbänden die tägliche Arbeitszeit für einen längern Zeitraum nach einem besondern Arbeitsplane anders geregelt werden.

Diesen Vereinbarungen muss aber von der zuständigen Behörde die Kraft von Verordnungen gegeben werden und es darf die durchschnittliche Arbeitszeit, berechnet auf die Zahl der im Plane festgesetzten Wochen, unter keinen Umständen 48 Stunden wöchentlich übersteigen.

(Art. 5.)

g. Die Behörden können durch Verordnungen für einzelne Gewerbe oder Berufe bestimmen: 1. dauernde Ausnahmen für Vorbereitungs- und Hülfsarbeiten, die notwendigerweise ausserhalb der normalen Arbeitszeit vorgenommen werden müssen, oder für gewisse Gruppen von Arbeitern, deren Arbeit ihrem Wesen nach Unterbrechungen erfährt; 2. vorübergehende Ausnahmen bei aussergewöhnlicher Häufung der Arbeit.

Vor Erlass derartiger Verordnungen sind die beteiligten Berufsverbände anzuhören. Für jeden einzelnen Fall ist die Höchstzahl der zulässigen Überstunden vorzuschreiben. Für die Überstunden ist ein Lohnzuschlag von 25 % zu zahlen.

(Art. 6.)

4. Die Eegierung eines Landes, welches dem Übereinkommen beitritt, hat dem Internationalen Arbeitsamt bestimmte Verzeichnisse und Mitteilungen zukommen zu lassen.

(Art. 7.)

5. Zur Erleichterung der Kontrolle muss jeder Arbeitgeber Beginn und Schluss der Arbeitsstunden, bei Schichtarbeit Beginn und Schluss jeder Schicht und ferner die während der Arbeit gewährten Buhepausen, die nicht als Arbeitszeit gelten, durch Anschlag oder auf eine andere durch die Begierung genehmigte Weise bekanntmachen und die Überstunden in ein besonderes Verzeichnis eintragen.

(Art. 8.)

491

ö. Für Japan gelten Sonderbestimmungen, die im wesentlichen folgenden Inhalt haben: a. Das Übereinkommen gilt nicht für die gewerblichen Betriebe mit weniger als 10 Arbeitern, für die Betriebe des Baugewerbes, welche nicht von den japanischen Behörden als Fabrik bezeichnet sind und schliesslich nicht für die Beförderung von Personen und Gütern auf Strassen, für den Güterverkehr in Docks auf Ausladeplätzen, Werften und in Lagerhäusern.

b. Die Arbeitszeit in den Betrieben, für welche das Übereinkommen gilt, darf bis auf 57 Stunden wöchentlich gehen, in der Eohseidenindustrie sogar bis auf 60 Stunden.

Nur für die gewerbliche Arbeit von Personen unter 15 Jahren und. für die Arbeit in den Bergwerken gilt die 48-Stundenwoche.

Die erwähnte Höchstarbeitszeit von 57 und 60 Stunden kann aus den gleichen Gründen überschritten werden, wie es das Übereinkommen für die Normalarbeitswoche von 48 Stunden vorsieht.

Dabei ist ausdrücklich hervorzuheben, dass für Japan unter «Arbeitszeit» nur die wirkliche Arbeitszeit gilt. (Art. 9.)

7. Für China, Persien und Siam gilt das Übereinkommen nicht.

(Art. 11.)

8. Für Griechenland kann das Inkrafttreten des Übereinkommens für einzelne Betriebe auf den 1. Juli 1923 und für andere auf den 1. Juli 1924 hinausgeschoben werden; desgleichen soll das Übereinkommen für Rumänien erst am 1. Juli 1924 in Kraft treten.

(Art. 12 und 18.)

9. Das Übereinkommen tritt in Kraft, sobald es von zwei Mitgliedstaaten ratifiziert ist und die Mitteilung hiervon durch den Generalsekretär des Völkerbundes stattgefunden hat. (Art. 17 und 18.)

10. Die Staaten, welche das Übereinkommen ratifizieren, haben es, vorbehaltlich der erwähnten Ausnahmen, spätestens vom 1. Juli 1921 hinweg zur Anwendung zu bringen.

(Art. 19.)

11. Jeder Mitgliedstaat kann das Übereinkommen nach Ablauf von 10 Jahren, gerechnet von dem Tage seines ersten Inkrafttretens an, künden. Die Wirkung der Kündigung tritt ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Generalsekretariat des Völkerbundes ein. (Art. 20.)

12. Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle 10 Jahre der Allgemeinen Konferenz über die Durch-

492

.

führung des Übereinkommens zu berichten und zu entscheiden, oh seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

(Art. 21.)

B.

Die Schweiz hat den Grundsatz des Achtstundentages gesetzlich verwirklicht für die dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe sowie für die Eisenbahnen und andern Verkehrsanstalten, für erstere durch das Bundesgesetz vom 27. Juni 1919 betreffend die Arbeitszeit in den Fabriken, für letztere durch das in der Volksabstimmung vom 31. Oktober 1920 angenommene Bundesgesetz vom 6. März 1920 betreffend die Arbeitszeit beim Betrieb der Eisenbahnen und anderer Verkehrsanstalten. Ausserdem ist der Achtstundentag durch freie Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern in einer grössern Zahl der dem Fabrikgesetz nicht unterstellten Gewerbe eingeführt, während dies in andern Gewerbezweigen, namentlich im Kleingewerbe, nicht der Fall ist. Da Handel und Landwirtschaft vom vorliegenden Übereinkommen nicht erfasst werden, so fallen sie für unsere Erörterungen ausser Betracht.

Da das Arbeitszeitübereinkommen für die dem Fabrikgesete unterstellten Betriebe und die Transportanstalten Geltung hat, so ist in erster Linie zu untersuchen, ob die beiden gesetzlichen Erlasse über die Arbeitszeit in diesen Betrieben mit dem Übereinkommen im Einklang stehen.

Über die Auslegung mehrerer Bestimmungen des Washingtoner Übereinkommens waren die Meinungen geteilt. Das Volkswirtschaftsdepartement liess daher an den Direktor des Internationalen Arbeitsamtes .ein Gesuch um Darlegung seiner Auffassung stellen, dem in verdankenswerter Weise entsprochen wurde. Obschon er in der Antwort darauf hinwies, dass sie nicht Anspruch auf eine authentische Interpretation erheben könne, so ist ihr doch ein grosses Gewicht beizumessen. Wir werden uns im folgenden mehrfach auf sie berufen.

C.

Zieht man vorerst einen Vergleich zwischen dem Übereinkommen und dem eidgenössischen Fabrikgesetz, so ist festzustellen, dass das Fabrikgesetz als Normalarbeitszeit für einschichtige Betriebe 48 Stunden wöchentlich vorsieht, während das Übereinkommen auf 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich abstellt, allerdings mit der Möglichkeit dann, wenn an einem Tage weniger als 8 Stunden

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gearbeitet wird, die tägliche Arbeitszeit im Ausgleich bis auf 9 Stunden zu erhöhen. Das Fabrikgesetz kennt eine solche Beschränkung der täglichen Arbeitszeit nicht. Fällt z. B. die Arbeit an einem Tage gänzlich aus, so kann die Arbeitszeit an den übrigen Werktagen Oyz Stunden betragen; nach dein Übereinkommen ist das nicht zulässig.

Ein weiterer Unterschied zeigt sich in der Behandlung des kaufmännischen und technischen Personals, sowie der mit der Leitung und Aufsicht betrauten Personen. Nach der Vollziehungsverordnung zum Fabrikgesetz (Art. 3 c) fällt das Personal kaufmännischer und technischer Bureaux überhaupt nicht unter das Fabrikgesetz, also auch nicht unter dessen Arbeitszeitbestimmungen, während das Übereinkommen sie dem übrigen Personal gleichstellt. Anderseits zieht das Übereinkommen den Kreis der Aufsichtspersonen, für welche die Arbeitszeitbestimmungen nicht gelten, weiter als die Vollziehungsverordnung zum Fabrikgesetz, indem es nach Art. 2, lit. a alle Personen, die mit der Aufsicht oder Leitung betraut sind oder eine Vertrauensstellung bekleiden, dazu zählt, die Vollziehungsverordnung (Art. 3 d) aber nur Personen in höherer leitender Stellung.

Eine besondere Behandlung erfahren in den beiden Erlassen die mehrschichtigen Betriebe. Das Fabrikgesetz, sieht im Art. 53 die Gestattung dauernder Nacht- und Sonntagsarbeit vor für Betriebe, für die sie dauernd oder in regelmässig wiederkehrender Weise «technisch oder wirtschaftlich» unentbehrlich ist, und in der Vollziehungsverordnung (Art. 172) sind diese Betriebe aufgezählt. Dabei ist darauf aufmerksam zu machen, dass in einzelnen Industrien Nacht- und Sonntagsarbeit, in andern nur Nacht- oder Sonntagsarbeit oder sogar nur teilweise Nacht- oder Sonntagsarbeit gestattet ist. Diese Fälle zwingen zum Schichtenbetrieb. Die wirkliche Arbeitszeit einer Schicht darf acht Stunden nicht übersteigen; dagegen kann sich für die Betriebe mit Nacht- oder Sonntagsarbeit ein Wochendurchschnitt von mehr als 48 Stunden ergeben; für die ununterbrochenen Betriebe (Nacht- und Sonntagsarbeit) kann er sogar bis auf 56 Stunden ansteigen (wir verweisen auf Art. 169 der Vollziehungsverordnung zum Fabrikgesetz und die der Verordnung beigelegten Schichtenpläne). Nach dem Übereinkommen von Washington (Art. 2 c) kann die tägliche und wöchentliche Normalarbeitszeit
an einzelnen Tagen und in einzelnen Wochen überschritten werden, der Ausgleich muss aber innert drei Wochen erfolgen. Danach wäre es den Betrieben mit Nacht- oder Sonntagsarbeit nicht mehr möglich, den Wochendurchschnitt von 48 Stunden zu übersteigen. Für Arbeiten, die «ihrer Natur nach» einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, gestattet auch das Übereinkommen einen Wochendurch-

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schnitt von 56 Stunden. Nach der Auslegung des Direktors des Internationalen Arbeitsamtes sind unter dem Ausdruck «ihrer Natur nach» ausschliesslich technische, nicht aber wirtschaftliche Notwendigkeiten zu verstehen. Wenn dem so wäre, so könnte eine grosse Zahl ununterbrochener Betriebe nicht mehr wie bisher mit einem Wochendurchschnitt bis auf 56 Stunden rechnen. Nicht etwa, dass sie nicht ununterbrochen arbeiten können; allein sie müssten sich nach Art. 2c des Übereinkommens an einen Wochendurchschnitt von 48 Stunden halten. Die Bückwirkung bestünde in der Vermehrung des Personals und infolgedessen in der Verteuerung des Betriebes. Wir erlauben uns aber Zweifel zu äussern, ob sich die Praxis an die Auslegung des Direktors des Internationalen Arbeitsamtes halten wird. Unser Fabrikgesetz von 1877 hatte genau den nämlichen Ausdruck wie das Übereinkommen, indem es von Betrieben sprach, die «ihrer Natur nach» einen ununterbrochenen Betrieb erfordern. Die Praxis zwang dazu, darunter nicht nur technische, sondern auch wirtschaftliche Gründe zu verstehen. Dieser Praxis entsprechend wurde bei der Revision des Gesetzes zur Hebung aller Zweifel der neue Ausdruck der «technischen oder wirtschaftlichen» Unentbehrlichkeit gewählt.

Es ist auch nicht einzusehen, warum nicht wirtschaftliche Notwendigkeiten ebensosehr ins Gewicht fallen sollen wie technische. Das tj pische Beispiel hierfür sind die Elektrizitätswerke. Hier sind es zwingende wirtschaftliche Gründe, welche einen ununterbrochenen Betrieb erfordern. Dem ursprünglichen Entwurf des Arbeitszeitübei einkommens von Washington war ein Verzeichnis der ununterbrochenen Betriebe im Sinne des Art. 4 beigegeben. Die Allgemeine Konferenz beseitigte dieses Verzeichnis, weil sie sich nicht durch eine abgeschlossene Aufzählung bestimmter Beispiele binden wollte, worin unseres Erachtens ein wichtiger Anhaltspunkt für eine freiere Auslegung liegt. Es ist auch nicht einzusehen, warum Naturnotwendigkeiten nicht wirtschaftliche Notwendigkeiten in sich schliessen sollen. Das Verzeichnis selber, von dem wir soeben sprachen, enthielt Beispiele, wo wirtschaftliche, nicht technische Notwendigkeiten aupschlaggebend waren, wie z. B. Elektrizitäts- und Wasserwerke1.

In vielen Fällen ist es überhaupt schwierig, zwischen technischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu
unterscheiden. Folgt die Praxis der von uns vertretenen Auffassung, so würde für die ununterbrochenen Betriebe unser bisheriger Zustand bleiben; andernfalls aber würden für sie ganz wesentliche Erschwerungen eintreten.

Nach dem Fabrikgesetz (Art. 41, lit. a) kann einzelnen Industrien aus zwingenden Gründen, insbesondere wenn die Konkurrenzfähigkeit im Hinblick auf die Arbeitszeit in andern Ländern in Frage gestellt wäre, eine wöchentliche Arbeitszeit von höchstens 52 Stunden gc-

495 währt werden. Diese Vorschrift verliert bei einer einheitlichen internationalen Eegelung der Arbeitszeit von selbst ihre Daseinsberechtigung, und es ist aus diesem Grunde auch erklärlich, dass das Übereinkommen eine ähnliche Bestimmung nicht hat. Allein aus Kreisen der schweizerischen Industrie wird darauf hingewiesen, dass zwei wichtige Konkurrenzländer, die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan, Sonderstellungen auch in Zukunft einnehmen werden; ersteres weil es der internationalen Arbeitsorganisation nicht angehört, und letzteres, weil ihm im Übereinkommen selber sehr weitgehende Vergünstigungen gewährt sind. In dieser Sonderstellung erblicken jene Kreise eine Gefahr für die Industrie derjenigen Länder, welche das Übereinkommen annehmen, namentlich in Anbetracht der damit verknüpften langfristigen Bindung.

Das Übereinkommen0 von Washington lässt, ausser den bereits erwähnten, weitere Ausnahmen von der Normalarbeitszeit zu. So bestimmt es in Art. 5, dass da, wo sich die normale Arbeitszeit ausnahmsweise als undurchführbar erweist, durch Vereinbarungen zwischen Arbeiter- und Arbeitgeberverbänden die tägliche Arbeitszeit auf der Grundlage eines für einen längern Zeitraum aufgestellten Arbeitsplanes geregelt werden kann unter der Bedingung, dass jenen Vereinbarungen die Kraft von Verordnungen gegeben wird und die durchschnittliche Arbeitszeit, berechnet auf die Zahl der im Plan festgesetzten Wochen, 48 Stunden wöchentlich nicht übersteigt.

Eine ähnliche Bestimmung kennt das Fabrikgesetz nicht. Es ist zuzugeben, dass jene Vorschrift des Übereinkommens geeignet ist, in gewissen Fällen die Härten und Mängel einer starren Eegelung der Arbeitszeit auszugleichen, aber immer nur dann, wenn die Voraussetzung einer Verständigung zwischen Arbeiter- und Arbeitgeberverbänden zutrifft. Wir haben volles Verständnis für ein solches Verfahren, das dem Selbstbestimmungsrecht der Berufsverbände innerhalb der gesetzlichen Schranken freien Spielraum lässt und erlaubt, der Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit des wirtschaftlichen Lebens besser Eechnung zu tragen, als starre Gesetze es zu tun vermögen. Aus diesen Erwägungen heraus hatten wir seinerzeit in dem vom Volke verworfenen Gesetz über die Ordnung des Arbeitsverhältnisses die Verbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen vorgeschlagen. Wir stellen
auch mit Genugtuung fest, dass der Weg der Verständigung in manchen Berufszweigen zum Ziele geführt bat.

Anderseits lehrt die Erfahrung, dass es doch mitunter an der notwendigen Einsicht und am Verständnis dafür fehlt, was ohne Störung des Wirtschaftslebens zweckmässig und durchführbar ist. Zähes Anklammern am Überlieferten auf der einen und starres Festhalten au einem Dogma ohne Eücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse

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auf der andern Seite haben schon mehrfach Verständigungen vereitelt. Damit wird man auch in Zukunft rechnen müssen. Bei aller Anerkennung der Richtigkeit des Grundsatzes des Art. 5 des Übereinkommens darf man daher seine Bedeutung nicht überschätzen.

Inbezug auf die Hülfsarbeiten, d. h. die Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten, gehen sowohl das Fabrikgesetz als das Übereinkommen vom Grundsatz aus, dass sie ausserhalb der normalen Arbeitszeit verrichtet werden müssen (Art. 64 F. G. und Art. 6 a Übereinkommen). Es besteht somit sachliche Übereinstimmung zwischen den beiden Erlassen.

Das Übereinkommen sieht ferner vor (Art. 6 a), dass für gewisse Gruppen von Arbeitern, deren Arbeit ihrem Wesen nach keine ununterbrochene ist, durch behördliche Verordnungen Ausnahmen von der Normalarbeitszeit zugelassen werden können. Es werden damit dio Fälle ins Auge gefasst, wo die Dienstzeit nicht mit wirklicher Arbeit ausgefüllt ist, wie z. B. beim Dienst der Automobilchauffeure. Das Fabrikgesetz hat keine ähnliche Bestimmung, was sich daraus erklärt, dass es nur für Fabriken und fabrikähmicho Betriebe Geltung hat, in denen in der Eegel die Arbeitszeit mit der Dienstzeit übereinstimmt.

Beide Erlasse sehen im fernem die Zulässigkeit vorübergehender Überzeitarbeit vor; das Fabrikgesetz (Art. 48) bei ((nachgewiesenem Bedürfnis», das Übereinkommen (Art. 6 b) bei «aussergewöhnlicher Häufung der Arbeit». Wenn letztere Fassung auch etwas enger ist ;ils diejenige des Fabrikgesetzes, so ist doch praktisch der Unterschied nicht gross. Wie in allen neuern Gesetzen, sehen Fabrikgesetz (Art.27) und Übereinkommen (Art. 6 Schlussatz) für die Überzeitarbeit einen Lohnzuschlag von mindestens 25 % vor. Es sind Zweifel darüber entstanden, ob nach dem Übereinkommen dieser Lohnzuschlag nur für die eigentliche Überzeitarbeit oder auch für die andern in Art. 6, Ht. a des Übereinkommens erwähnten Überschreitungen der Normalarbeitszeit gelten. Der Wortlaut des Artikels würde eher für letztere Auslegung sprechen; der Direktor des Internationalen Arbeitsamtes ist aber anderer Ansicht. Gestützt auf die Entstehungsgeschichte der betreffenden Bestimmung ist er der Auffassung, dass der Lohnzuschlag nur für die wirklichen Überstunden, d. h. für die vorübergehend über 'die regelmässige Arbeitszeit hinausgehende Überzeit zu zahlen sei. Beträgt
beispielsweise die regelmässige Arbeitszeit eines Arbeiters, gestützt auf eine der zulässigen Ausnahmen, 9 Stunden täglich, so ist als Überzeit mit Lohnzuschlag zu betrachten die .Zeit, die er über diese 9 Stunden hinaus vorübergehend arbeiten muss.

Bei dieser Auslegung, die dem Sinn des Übereinkommens und dem

497 "Willen der Washingtonerkonferenz entsprechen soll, würde in diesem Punkte Übereinstimmung zwischen Fabrikgesetz und Übereinkommen bestehen.

Damit haben wir die zwischen den beiden Erlassen bestehenden Verschiedenheiten skizziert. Einige davon sind von untergeordneter Bedeutung. Die wesentlichsten Änderungen, die die Annahme des Übereinkommens für das Fabrikgesetz bringen würde, erblicken wir in der Ausschaltung der Möglichkeit, die Arbeitszeit aus zwingenden Gründen der internationalen Konkurrenz zu verlängern, und ferner in der Auswirkung auf die Betriebe mit Nacht- oder Sonntagsarbeit, ganz besonders aber auf die ununterbrochenen Betriebe für den Fall, dass die Vergünstigung eines erhöhten Wochendurchschnittes nur auf die technischen Notwendigkeiten beschränkt werden sollte.

D-

Nachdem wir einen Vergleich zwischen dem Fabrikgesetz und dem Übereinkommen angestellt haben, bleibt uns noch übrig zu untersuchen, ob die Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die Arbeitszeit beim Betriebe der Eisenbahnen und anderer Verkehrsanstalten mit dem Übereinkommen vereinbar seien.

Nach diesem Gesetz (Art. 3) darf der Durchschnitt der täglichen Dauer der Arbeitszeit, berechnet für eine Gruppe von höchstens vierzehn aufeinanderfolgenden oder durch einzelne Euhetage getrennten Tagen, acht Stunden nicht übersteigen. Für Dienste, bei denen die Arbeitszeit in reichlichem Masse aus blosser Dienstbereitschaft besteht, ist die durchschnittliche Dauer der täglichen Arbeitszeit bis auf neun Stunden zulässig.

Die Arbeitszeit kann innerhalb einer Dienstschicht im Ausgleich bis auf 10 Stunden ansteigen. Das Personal kann auf den Ausgleich bis zu 150 Stunden im Kalenderjahr verzichten. Die Uberzeit, d. h.

die Überschreitung der massgebenden durchschnittlichen Arbeitszeit, muss besonders bezahlt werden mit einem Lohnzuschlag von mindestens 25 %.

Wird infolge von Zugs- oder Kursverspätungen oder aus andern zwingenden Gründen des Betriebes die gesetzliche Höchstdauer der Arbeit um mehr als eine Viertelstunde überschritten, so hat innerhalb der nächsten drei Arbeitstage ein Ausgleich stattzufinden. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass das Personal Anspruch hat auf 56 Euhetage im Jahr und auf Ferien in der Dauer von 7 bis 28 Tagen, je nach Dienstjahren und Alter (Art. 9 und 10).

Nach Art. 16 des Gesetzes kann der Bundesrat beim Vorliegen besonderer Verhältnisse, nach Anhörung des beteiligten Personals, Bundesblatt. 72. Jahrg.

Bd. V.

33

498

Ausnahmen anordnen, namentlich sollen den Nebenbahnen hinsieht lieh der Arbeitszeit und der Buhetage Erleichterungen gewährt werden können.

Es ergibt sich ohne weiteres, dass sich das vorliegende System mit der Normalarbeitszeit des Übereinkommens nicht deckt, weil dieses in Anpassung an die Verhältnisse der Industrie mit der 48Stundenwoche den wöchentlichen Euhetag fordert. Es fragt sich nun, ob' nicht eine der Ausnahmebestimmungen des Übereinkommens zutrifft. Diesbezüglich kommen die Art. 2, lit. c (Schichtenbetriebe) und Art. 5 (Vereinbarungen zwischen Berufsverbänden) in Betracht.

Auf. Art. 2, lit. e könnte man sich nur für die Personalgruppen berufen, die im Schichtenbetrieb arbeiten, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Begriff des Schichtenbetriebes sich nicht etwa mit der Dienstschicht unseres Gesetzes deckt. Wo nicht Schichtenbetrieb vorliegt, ist Art. 2, lit. c des Übereinkommens nicht anwendbar. Eher würde Art. 5 in Betracht fallen, vorausgesetzt, dass die dort vorgesehenen Bedingungen erfüllt wären. Es müssten in diesem Falle die Bestimmungen des Gesetzes über die Dauer der täglichen Arbeitszeit zum Gegenstand von Vereinbarungen zwischen dem Personal und den betreffenden Unternehmen gemacht werden. Der Gesetzgeber wollte aber bei allem Verständnis für das Eecht des Personals, gehört zu werden, das in den Art. 16 und 18 des Gesetzes gewahrt ist, die von ihm aufgestellten Grundsätze nicht vom Belieben des Personals abhängig machen, sondern er wollte ihnen dauernde und bindende Kraft verleihen. Dieser klare Wille des Gesetzgebers käme bei Annahme des Übereinkommens nicht mehr zur Geltung. Abgesehen hiervon ist darauf hinzuweisen, dass selbst vom Standpunkt des Art. 5 des Übereinkommens aus nicht allen Bestimmungen des Gesetzes auf dem Wege von Vereinbarungen Eechnung getragen werden könnte; so wäre es nicht möglich, ausnahmsweise oder als Erleichterung für die Nebenbahnen über den Durchschnitt von 48 Stunden wöchentlich hinauszugehen, womit der Art. 16 des Gesetzes an Bedeutung wesentlich verlieren würde.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Zulässigkeit von Überstunden nach dem Gesetz von keiner andern Bedingung als der Zustimmung des betreffenden Arbeitnehmers abhängig gemacht ist, während nach dem Übereinkommen (Art. 6 6) Überstunden nur vorübergehend bei aussergewöhnlichem
Arbeitsandrang zulässig sind.

Man mag die Sache drehen wie man will, Abweichungen sind vorhanden, und ohne Änderung des Gesetzes kann die Übereinstimmung mit dem Übereinkommen nicht hergestellt werden, sofern man nicht zu gewaltsamer Auslegung greifen will.

499

E.

Nachdem wir im vorhergehenden auseinandergesetzt haben, dass sich das Fabrikgesetz und das Arbeitszeitgesetz der Verkehrsanstalten mit dem Übereinkommen nicht decken, so haben wir nunmehr die Frage zu beantworten, ob der Beitritt zum Übereinkommen und infolgedessen eine entsprechende Änderung jener Gesetze zu befürworten seien. Es ist klar, dass internationale Begelungen von den einzelnen Staaten Zugeständnisse erfordern und dass demnach kein Staat von vornherein erwarten darf, seine eigenen gesetzlichen Bestimmungen in den internationalen Ordnungen unverändert wiederzufinden. Wir sind auch der Meinung, dass die Schweiz ihrer bisherigen Eolle in den Fragen des Arbeiterschutzes nicht untreu werden und nur dann internationalen Abmachungen auf diesem Gebiete fern bleiben darf, wenn wichtige, im Interesse der Allgemeinheit liegende Gründe hierfür sprechen. Anderseits ist aber ebenso richtig -- namentlich mit Bücksicht auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die uns bevorstehen --, dass nicht die Volkswirtschaft des Landes einer internationalen Abmachung zuliebe aufs Spiel gesetzt werden darf.

Von diesen Gesichtspunkten aus halten wir die Abweichungen des Fabrikgesetzes vom Übereinkommen nicht für derart schwerwiegend, dass eine Anpassung nicht zu verantworten wäre, insofern unsern Bedenken wegen der ununterbrochenen Betriebe durch eine entsprechende Auslegung des Übereinkommens Bechnung getragen ·würde und auf den Beitritt anderer Industrieländer zum Übereinkommen gerechnet werden könnte. Weitere Erörterungen hierüber erübrigen sich aber mit Bücksicht darauf, dass wir aus andern Gründen den Beitritt nicht empfehlen können.

Inbezug auf die Verkehrsanstalten ist vorerst zu untersuchen, was für Betriebe unter das Übereinkommen fallen. Nach den Mitteilungen des Direktors des Internationalen Arbeitsamtes rechnet Frankreich den Post-, Telegraphen- und Telephondienst zum Handel, wodurch das Übereinkommen für ihn nicht Geltung hat. Ist diese Auslegung zulässig -- eine Frage, die wir für den Telegraph- und Telephondienst ohne weiteres bejahen, für den Transportdienst der Post aber offen lassen möchten -- so könnte auch die Schweiz eine gleiche Abgrenzung vornehmen, so dass dann nur noch die Eisenbahnen und die vom Bunde konzessionierten geleiselosen Bahnen, Aufzüge und Kraftwagenunternehmungen vom Übereinkommen erfasst würden.

Auch so behält die Frage ihre volle Wichtigkeit. Um sie zu beant-

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·werten, ist es notwendig, nochmals auf die Grundgedanken hinzuweisen, die uns seinerzeit bei der Ausarbeitung des Arbeitszeitgesetzes geleitet haben und die in unserer Botschaft vom 16. Juni 1919 niedergelegt sind. Sie lassen sich dahin zusammenfassen, dass das Gesetz den heutigen Anschauungen über die Regelung der Arbeitsverhälthisse in weitgehendem Masse Rechnung tragen, gleichzeitig aber auch .eine Lösung enthalten solle, die sich mit einem wirtschaftlichen Betriebe der Verkehrsanstalten noch vereinbaren lasse. Die Botschaft führt dies folgendermassen aus: Seite 13: «Das Hauptaugenmerk muss darauf gerichtet seni, die gesetzlichen Grundsätze in einem Sinn und Geiste zu fassen, der den verschiedenartigen Bedürfnissen der Verkehrsanstalten billige Rücksicht trägt und ihre Verwaltungen nicht zur Anstellung von Arbeitskräften zwingt, für die eine wirtschaftliche Verwendung wegen des starren, allzu engen Rahmens des Gesetzes praktisch ausgeschlossen wäre.

Die Verwirklichung der wesentlichen Postulate des Personals im Sinne unserer Vorlage ist nur möglich, wenn die Verkürzung der Arbeitszeit nach praktischen Gesichtspunkten des Betriebes der Verkehrsanstalten, nicht nach einer Schablone, nach theoretischen Prinzipien oder, einseitig nach dem Muster der gesetzlichen Ordnung, etwa des Fabrikbetriebes, erfolgt. Wir bitten Sie, bei Ihren Beratungen und Bntschliessungen sich der eigenartigen Verhältnisse bei den Verkehrsanstalten stets gegenwärtig zu bleiben und bei allem Verständnisse für die Forderungen des Personals und im Interesse ihrer weitgehenden Verwirklichung danach zu trachten, dass dio Verwaltungen ihren Dienst auch künftig den Anforderungen des Verkehrs entsprechend gestalten können und nicht gezwungenerrnassen zu Anordnungen schreiten müssen, die für die Allgemeinheit mit bedeutenden Nachteilen verbunden wären.» Seite 22: «Nun ist ohne weiteres verständlich, dass die für den Fabrikbetrieb in Aussicht genommene gesetzliche Regelung der Arbeitszeit nicht kurzerhand auf die Verkehrsanstalten übertragen werden kann, weil die Verhältnisse dort ungleich einfacher liegen als hier und starre, unabänderliche Normen bei diesen mehr oder weniger unabhängig von der bürgerlichen Arbeitszeiteinteilung sich abwickelnden Diensten zu einem unhaltbaren Zustande im Betriebe der Verkehrsanstalten, in der
Verwendung der Arbeitskräfte und in der Erfüllung der diesen Anstalten obliegenden öffentlichen Verkehrsaufgaben führen müsste.

Sollen Eisenbahnen, Post, Telegraph und Telephon, wie bis anhin,

501 den grossen Anforderungen des Verkehrs genügen, konkurrenzfähig bleiben und nach wie vor wirtschaftlich arbeiten können, so muss ihnen in der Verwendung der menschlichen Arbeitskraft diejenige Freiheit und Beweglichkeit gewahrt bleiben, die ihnen gestattet, unter voller Wahrung der Betriebssicherheit, unter Schonung auch der Arbeitskraft und Gesundheit jedes einzelnen den praktischen Bedürfnissen und Anforderungen des Dienstes in ausreichendem Masse Rechnung zu tragen.» Diese Grundsätze haben die Zustimmung der Bäte und des Volkes gefunden. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dem Gesetze Freunde zu werben und ihm in der Volksabstimmung zum Durch^ brach zu verhelfen. Sie haben noch heute ihre Eichtigkeit, und wir können von ihnen nicht abweichen. Mit den Belastungen, welche das Arbeitszeitgesetz den Verkehrsanstalten bringt, ist die äusserste Grenze dessen, was verantwortet werden kann, erreicht. So unbedeutend die Abweichungen zwischen dem Arbeitszeitgesetz und dem Übereinkommen auf den ersten Blick scheinen mögen, so sind sie in ihrer Gesamtheit und in ihrer Auswirkung von grosser wirtschaftlicher Tragweite. Eine Anpassung unseres Gesetzes an das "Übereinkommen würde eine weniger zweckmässige und wirtschaftliche Verwendung der Arbeitskräfte und infolgedessen eine weitere Vermehrung des Personals und Verteurung des Betriebes zur Folge haben. Solchen Anforderungen gebietet die durch den Krieg und seine Nachwirkungen verursachte missliche Lage unserer Verkehrsanstalten ein entschiedenes Halt. Wir können daher eine Annahme des Überein^ komrnens und eine dementsprechende Abänderung des Arbeitszeitgesetzes der Verkehrsanstalten nicht verantworten. Wir halten es aber auch für ausgeschlossen, dass das Schweizervolk, das dem Gesetz erst kürzlich zugestimmt hat; eine Abänderung gutheissen werde, bevor es sich nur über dessen Wirkungen hat Rechenschaft geben können. Wir bedauern dieses Ergebnis um so mehr, als unser Arbeits^ zeitgesetz der Verkehrsanstalten den neuzeitlichen Anforderungen an den Arbeiterschutz in jeder Hinsicht entspricht und in verschiedener Beziehung weiter geht als das Übereinkommen von Washington.

Es sei diesbezüglich auf die Bestimmungen hingewiesen über die Gewährung von 56 bezahlten 34- bis 86-stündigen Ruhetagen und bezahlten Ferien bis zu vier Wochen, ferner auf die Begrenzung
der Dauer der Dienstschicht und Festsetzung einer Mindestdauer für die Ruheschicht. Infolge der Bestimmungen über die Ferien erreicht der wöchentliche Durchschnitt der Arbeitszeit für das nach Art. 8, Abs. l beschäftigte Personal im Kalenderjahr 48 'Stunden nicht.

502 F.

Ein weiterer Umstand, der unseres Erachtens die Annahme des Übereinkommens unmöglich macht, ist die Einbeziehung aller Gewerbe, namentlich der kleinen Gewerbe. Da nur Betriebe, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie arbeiten, ausgeschlossen sind, so genügt die Beschäftigung eines einzigen Gesellen oder Lehrlings, der nicht zur Familie des Betriebsinhabers gehört, um die Unterstellung des Betriebes unter das Übereinkommen zu bewirken. Wir halten aber die Anwendung seiner Bestimmungen über die Arbeitszeit auf alle Gewerbe weder als notwendig noch als zweckmässig noch als durchführbar.

Die Verhältnisse in den Gewerben sind vielgestaltiger und weniger einheitlich als in der Industrie und lassen sich nicht unter ein starres Schema zwingen. Man wird in der Schweiz mit ihrem Kleingrundbesitz, wo der Bauer mit seinen Arbeitskräften eine Hausgemeinschaft bildet und mit ihnen in der Regel unter gleichen Verhältnissen arbeitet und lebt, niemals an eine Regelung der Arbeitszeit der Landwirtschaft denken. Ebensowenig wird man den Handwerker auf dem Lande, der für die Bedürfnisse der Landwirtschaft arbeitet und bei dem die Verhältnisse ähnlich liegen, an die gleiche Arbeitszeit und an das gleiche System binden wollen wie die hochentwickelten Industriebetriebe mit Tausenden von Arbeitern und einer bis ins kleinste durchgeführten Arbeitsteilung. Ferner wird man einer abgelegenen Gebirgsgegend, wo der Güter- und Personentransport nur mittels Fuhrwerk oder Säumen vor sich geht und die Beschaffenheit und Steilheit der Wege eine rasche Beförderung verunmöglichen, nicht die gleichen Vorschriften zumuten dürfen wie einer Grosstadt mit ihren dem Grossverkehr angepassten mannigfachen Verkehrsmitteln.

Ähnlich liegen die Verhältnisse noch in vielen andern Fällen. Die kleinen Bäckereien, Metzgereien, überhaupt eine grosse Zahl kleiner Betriebe, sie alle lassen sich nicht gleich behandeln wie die Grossbetriebe, da die Arbeitsmethode und die Produktionsweise eine gänzlich verschiedene ist.

Wir haben schon in der Botschaft vom 29. April 1919 über die Arbeitszeit in den Fabriken darauf hingewiesen, dass für die Gewerbe besondere Vorschriften über die Arbeitszeit aufzustellen sind. «Dabei -- sagt die Botschaft (Seite 13) -- müsste zur Ausführung dieses Grundsatzes tunlichste Freiheit gelassen werden. Es wäre
nicht klug und nicht angemessen, den Bundesrat zu beauftragen, schlechthin die Vorschriften über die Arbeitszeit in den geschlossenen Fabrikbetrieben, so wie sie sind, auf die Gewerbe zu übertragen.» Den gleichen Standpunkt hat auch die schweizerische Arbeiterschaft in

503

einer Eingabe des schweizerischen Arbeiterbundes vom 20. Juli 1914 betreffend die Gewerbegesetzgebung eingenommen. Es wird dort eingehend auf die verschiedenartigen Arbeitsverhältnisse in den Gewerben hingewiesen und sodann wörtlich gesagt: «Will der Arbeiterschutz (in den Gewerben) eine positive Wirkung erzielen, 'dann müssen die verschiedenartigen Betriebsverhältnisse auch gebührend berücksichtigt werden»; ferner: «Beim kommenden Gewerbegesetz aber wird eine allgemeine Bestimmung z. B. über die Arbeitszeit gar nicht möglich sein; es wird nach Berufsgruppen unterschieden werden müssen. Ferner bleibt auch in den Spezialgesetzen noch sehr viel dem Verordnungsweg anheimgestellt.» Obschon zuzugeben ist, dass seit dieser Eingabe in der Dauer der Arbeitszeit erhebliche Änderungen eingetreten sind, so sind die Grundsätze doch die gleichen geblieben.

Man darf sich der Einsicht nicht verschliessen, dass die Existenz vieler Gewerbebetriebe in Frage gestellt wäre, wollte man ihnen die im Übereinkommen vorgesehene Arbeitszeit vorschreiben. Die Fortschritte der Technik und die Möglichkeit einer vervollkommneten Organisation, welche in den Grossbetrieben den durch die Verkürzung der Arbeitszeit verursachten Ausfall der Produktion unter Umständen auszugleichen vermögen, sind Faktoren, welche bei einzelnen Gewerbebetrieben nicht ernstlich in Betracht fallen. Die Erhaltung der Gewerbe liegt im Interesse einer gesunden Volkswirtschaft, und wir können ihnen daher nicht Arbeitsbedingungen vorschreiben, welche zu weit gehen und nicht ertragen oder gehalten werden können.

Nach eingezogenen Erkundigungen bestehen die gleichen Bedenken auch in andern Ländern, und man ist sich dort darüber bewusst, dass, selbst nach einem Beitritt zum Übereinkommen, dessen Beatimmungen in vielen Betrieben des Kleingewerbes und des Handwerks mangels einer Kontrolle nicht gehalten würden. Wir müssen es ablehnen, uns auf diesen Standpunkt zu stellen. Der oberste Grundsatz eines auf der Demokratie aufgebauten Staatswesens ist die Achtung vor dem Gesetz. Es dürfen keine Gesetze erlassen werden, die nicht gehalten werden können, und es müssen einmal erlassene Gesetze auch durchgeführt werden. Wir haben denn auch immer auf eine strenge Durchführung unserer gesetzlichen Bestimmungen über Arbeiterschutz hingewirkt. Wir werden auch in Zukunft an
diesem Grundsatz festhalten.

Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht der einzelne Staat die Möglichkeit besitze, die kleinen Gewerbebetriebe vom Geltungsbereich des Übereinkommens auszuschliessen. Unseres Erachtens ist das unmöglich. Jeder Staat kann eine Abgrenzung zwischen den gewerblichen Betrieben einerseits und Handel und Landwirtschaft

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anderseits vornehmen. Er hat dadurch die Möglichkeit, gewisse Grenzfälle dem einen oder andern Gebiete zuzuweisen. So ist es angängig, die Hotels und Wirtschaften dem Handel und die Gärtnereien der Landwirtschaft anzugliedern; allein es ist nicht zulässig, die Betriebe ausgesprochener gewerblicher Natur dem Handel oder der Landwirtschaft zuzuteilen.

Wenn wir aus den angeführten Gründen die Arbeitszeitbestimmungen des Übereinkommens für die Gewerbe als unannehmbar halten, so soll damit nicht gesagt sein, dass von einer gesetzlichen Ordnung überhaupt Umgang genommen werden soll. Wir stehen noch heute auf dem Boden, den wir in derBotschaft über die Arbeitszeit in den Fabriken eingenommen haben, dass auch für die Gewerbe und den Handel eine gesetzliche Eegelung vorgenommen werden muss.

Allein wir wiederholen auch heute, dass diese nicht nach dem auf die Fabriken zugeschnittenen starren Systeme erfolgen darf. Wir verhehlen uns nicht die Schwierigkeit des Problems; allein wir wählen auf die Mitwirkung der Berufsverbände und auf die Einsicht der Arbeitgeberschaft und Arbeiterschaft, zu einer Verständigung auf dem Boden einer vernünftigen Lösung gelangen zu müssen. Das Volkswirtschaftsdepartement befasst sich mit den notwendigen Vorarbeiten, nach deren Abschluss wir Ihnen einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf unterbreiten werden.

G.

Wir haben im vorstehenden die Gründe auseinandergesetzt, welche es uns unmöglich machen, den Beitritt zum Arbeitszeitübereinkommen von Washington zu beantragen. Wir bedauern aufrichtig, dadurch einer wichtigen internationalen Abmachung fern bleiben zu müssen. Allein wir können nicht dieser Abmachung zuliebe, die nach unserer Überzeugung der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse zu wenig Eechnung trägt, wichtige volkswirtschaftliche Interessen opfern. Wir müssen daher auch einen allfälligen Vorwurf ablehnen, dass die Schweiz die mit, dem Beitritt zum Völkerbund übernommenen moralischen Verpflichtungen nicht erfülle. Sie hat den 8-Stundentag und die 48-Stundenwoche überall da verwirklicht, wo es möglich und angezeigt ist. Darüber hinaus können wir nicht gehen, und wir halten auch dafür, dass die Bestimmungen in den Friedensverträgen, welche von der Einführung des 8-Stundentages als erstrebenswertes Ziel sprechen, nicht im Sinne einer einheitlichen, starren, die Vielgestaltigkeit und Verschiedenheit des Wirtschaftslebens nicht berücksichtigende Eegelung aufzufassen seien. Die Erfahrung lehrt, dass jede gute Idee durch Übertreibung gefährdet werden kann. Wir sind überzeugt,

505

dass nichts so sehr geeignet wäre, unser Volk, das durch die Annahme des Arbeitszeitgesetzes der Verkehrsanstalten erst kürzlich Verständnis für die neuzeitlichen sozialen Strömungen bewiesen hat, der Idee des 8-Stundentages zu entfremden, als wenn dieser überall da eingeführt würde, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse es nicht rechtfertigen.

Aus diesen Erwägungen stellen wir den Antrag: 1. Von einem Beitritt zum Übereinkommen sei abzusehen.

2. Von der Erklärung des Bundesrates, wonach dieser den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Arbeitszeit in den Gewerben und im Handel, das den besondern Bedürfnissen dieser Berufszweige Eechnung tragen soll, vorlegen wird, sei in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen.

§06

8.

Vorschlag betreffend die Arbeitslosigkeit. (Nr. 3.)

Der Vorschlag enthält folgende vier Postulate : I. Die Errichtung neuer Arbeitsnachweisstellen, die gegen Gebühr oder gewerbsmässig arbeiten, ist zu verbieten.

Die bestehenden derartigen Arbeitsnachweisstellen sind von einer staatlichen Erlaubnis abhängig zu machen, und es sind Massnahmen zu ihrer baldigen Aufhebung zu treffen.

II. Die Anwerbung von Arbeitergruppen in einem Lande zur Beschäftigung in einem andern Lande ist nur auf Grund gegenseitiger Verständigung zwischen den beteiligten Staaten und nach Befragung der Arbeiter und Arbeitgeber der beteiligten Gewerbe jedes Landes zu erlauben.

III. Es ist eine wirksame Arbeitslosenversicherung einzuführen, sei es durch staatliche Versicherung, sei es durch Beiträge des Staates an Verbände, deren Satzungen die Leistung von Arbeitslosenentschädigungen an ihre Mitglieder vorsehen.

IV. Die Ausführung der öffentlichen Arbeiten ist so zu regeln, dasa sie soweit als möglich in Zeiten der Arbeitslosigkeit und in den besonders davon betroffenen Gegenden vorgenommen wird.

Wir haben zu den einzelnen Postulaten folgendes zu bemerken : Zu I. Die gewerbsmässig betriebene Stellenvermittlung hat seit langem starke Anfechtung erfahren, weil sie häufig zur Ausbeutung der Arbeitsuchenden führt. Bei uns ist bis jetzt die Gesetzgebung in dieser Sache noch bei .den Kantonen verblieben. Elf Kantone haben hierfür besondere gewerbepolizeiliche Bestimmungen aufgestellt. Da nach Art. 34ter der Bundesverfassung der Bund berechtigt ist, auf dem Gebiete des Gewerbewesens einheitliche Bestimmungen zu erlassen, so ist er auch zur gesetzlichen Regelung des gewerbsmässigen Arbeitsnachweises zuständig. Bei Anlass der Beratung des Geschäftsberichtes wurde am 23. Juni dieses Jahres im Nationalrat von Herrn Viret ein Postulat eingereicht, wonach der Bundesrat eingeladen wurde, umgehend zu prüfen, ob nicht ein Bundesgesetz über Aufhebung privater Stellenvermittlungsbureaux , auszuarbeiten sei. Der Vorsteher des Volkswirtsohaftsdepartementes erklärte damals, dass die Frage in Verbindung

507 mit den Postulateli der Washingtoner Konferenz werde geprüft werden. In diesem Sinne wurde das Postulat Viret entgegengenommen. Wir können heute wiederholen, dass die Frage in ihrem ganzen Zusammenhange geprüft werden soll und dass wir den -eidgenössischen Räten zu gegebener Zeit einen Gesetzesentwurf unterbreiten werden. Ob man dabei die private Stellenvermittlung gänzlich verbieten wird, darüber können wir uns heute nicht aussprechen.

Ausser dem gewerbsmässigen Arbeitsnachweis gibt es Arbeitsnachweise von Arbeiter- und Angestelltenverbänden, bei denen .zur Deckung der Selbstkosten oft eine Gebühr erhoben wird. Nach dem Postulat von Washington wären auch diese Arbeitsnachweise au verbieten. Es fragt sich, ob es notwendig sei, so weit zu .gehen. Auch diese Frage ist bei der in Aussicht gestellten gesetzlichen Regelung des Stellenvermittlungswesens näher zu erörtern.

Zu, II. Die durch das Postulat geforderte Reglierung der auf kollektiver Anwerbung beruhenden Ein- und Auswanderung verfolgt einen doppelten Zweck: einmal soll der Heimatstaat die ·Gewissheit haben, dass seine zur Arbeit im Ausland angeworbenen Angehörigen nicht einem Ungewissen Schicksal entgegengehen, sondern von vornherein auf sichere und annehmbare Arbeitsbedingungen rechnen können ; anderseits soll die Möglichkeit geschaffen werden, die Einwanderung den Ansprüchen des Arbeitsmarktes anzupassen, sie also da, wo Arbeitslosigkeit herrscht, zurückzuhalten.

Abgesehen von den durch den Krieg notwendig gewordenen Massnahmen, unterwarf die Schweiz bisher die Einwanderung und Auswanderung von Arbeitern keinen Einschränkungen. Kollektivanwerbungen von schweizerischen Arbeitern durch ausländische Unternehmer sind jedenfalls nur vereinzelt vorgekommen ; dagegen ist das gruppenweise Anwerben fremder Arbeiter in verschiedenen Zweigen unserer Volkswirtschaft zu verzeichnen ; so vor allem aus im Baugewerbe, sodann in der Textilindustrie und in geringem Umfange auch in der Landwirtschaft. Allerdings gibt es neben den gruppenweise angeworbenen fremden Arbeitern eine grosse Zahl solcher, welche auf eigene Initiative hin in die Schweiz kommen und hier Beschäftigung suchen. Mangels sicherer Unterlagen ist es uns nicht möglich anzugeben, in welchem StärkeTerhältnis die beiden Arten ausländischer Einwanderer zueinander stehen. Dass die Fragen der Ein- und Auswanderung der Arbeiter eine gewaltige Bedeutung für unsere Volkswirtschaft^haben, ist

508 zuzugeben. Wir sind auch der Überzeugung, dass die Schweiz ihnen in Zukunft eine bedeutend grössere Aufmerksamkeit wird schenken müssen, als dies bisher der Fall war. Es wird das eine der vielen Aufgaben des eidgenössischen Arbeitsamtes sein. Die Frage wird auch international durch eine von der Arbeitskonferenz von Washington eingesetzte Kommission in Verbindung mit dem Internationalen Arbeitsamt geprüft. Wir halten es für zweckmässig, vorerst die Ergebnisse dieser Prüfungen abzuwarten und sich dann erst zu entscheiden, welche Grundsätze in Zukunft die Ein- und Auswanderung beherrschen sollen. Zurzeit ist für uns der ganze Fragenkomplex viel zu wenig abgeklärt, als dass wir uns bereits auf bestimmte Lösungen festlegen können. Es wäre daher verfrüht, schon jetzt gesetzgeberische Massnahmen zur Verwirklichung des Postulates treffen zu wollen. Das schliesst nicht aus, dass in einzelnen Fällen, wo es als notwendig erscheint, das Postulat durch Abschluss von Vereinbarungen von Staat zu Staat verwirklicht werden kann. Solche Vereinbarungen würden infolge ihrer Natur als Staatsverträge der Genehmigung der eidgenössischen Räte unterliegen.

ZM III. Wir verweisen auf unsere Ausführungen zum Entwurfe eines Übereinkommens betreffend die Arbeitslosigkeit. Wir wiederholen, dass die Vorarbeiten für die Einführung einer Arbeitslosenversicherung in Form der Leistung staatlicher Beiträge an die Arbeitslosenkassen im Gange sind, und dass wir hoffen, den eidgenössischen Räten in nicht zu ferner Zeit einen Gesetzesentwurf unterbreiten zu können.

ZM IV. Die Grundsätze dieses Postulates inbezug auf die Ausführung öffentlicher. Arbeiten sind in der Schweiz in den letzten Jahren sowohl vom Bund als von den Kantonen und Gemeinden befolgt worden. Sie werden auch in Zukunft zur Anwendung gelangen, ohne dass es hierzu des Erlasses besonderer Vorschriften bedarf.

Gestützt auf diese Ausführungen stellen wir den A nt r ag: Von den Erklärungen des Bundesrates, dass er der Bundesversammlung zu gegebener Zeit Gesetzesentwürfe über die Arbeitslosenversicherung und den Arbeitsnachweis unterbreiten werde, sei Kenntnis zu nehmen, von weiteren Massnabmen aber abzusehen.

509

9.

Vorschlag betreffend die Gegenseitigkeit in der Behandlung der ausländischen Arbeiter. (Nr. 4.)

Der Vorschlag verlangt, dass ein Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation den auf seinem Gebiete beschäftigten ausländischen Arbeitern und ihren Familien die Wohltat der eigenen Arbeiterschutzgesetzgebung zusichere und ihnen innerhalb der für die einheimische Arbeiterschaft geltenden Grenzen das Koalitionsrecht gewährleiste -- alles auf Grundlage der Gegenseitigkeit und der von Staat zu Staat festzusetzenden Bedingungen.

Was vorab das Koalitionsrecht anbetrifft, so besitzen es die Ausländer in der Schweiz in vollem Umfange und in gleichem Masse wie die Einheimischen. In diesem Punkte ist daher das Postulat bereits erfüllt und gibt zu keinen weitern Massnahmen Anlass. Selbstverständlich bleiben vorbehalten die Fälle, in denen nach geltendem öffentlichem Rechte oder gemäss Staatsverträgen den Ausländern die Bewilligung zur Niederlassung oder zum Aufenthalt in der Schweiz verweigert oder entzogen werden kann.

Inbezug auf den Arbeiterschutz geniessen die Ausländer die gleichen Rechte wie die Einheimischen, abgesehen von den hiernach näher zu behandelnden Fällen.

In der Krankenversicherung gewährleistet das schweizerische Gesetz nur dem Schweizerbürger den Eintritt in eine anerkannte Kasse, deren statutarische Aufnahmebedingungen er erfüllt. Unseres Wissens wird aber von der Befugnis, Ausländern den Eintritt zu verwehren, nie oder nur äusserst selten Gebrauch gemacht.

Der Ausländer, der Mitglied einer Kasse ist, hat die gleichen Vorteile wie der Schweizerbürger. Ein dringendes Bedürfnis zur sofortigen Änderung des Gesetzes aus diesem einen Grunde besteht nicht, dagegen werden wir die Frage bei der bevorstehenden Cresamtr e vision näher prüfen.

In der Unfallversicherung sind -- nach Art. 90 des Gesetzes -- den Einheimischen die Angehörigen derjenigen fremden Staaten gleichgestellt, deren Gesetzgebung den Schweizerbürgern Vorteile bietet, die denjenigen des Bundesgesetzes gleichwertig sind. Wo das nicht zutrifft, haben die Ausländer nur Anspruch auf drei Vierteile der Invaliden- und Hinterlassenenrente. Diese Bestimmung wurde ins Gesetz aufgenommen, einerseits um auf eine Besserstellung der Schweizer im Ausland hinwirken zu können und anderseits um in der Ausgestaltung des Schutzes der Ein-

510 heimischen nicht beengt zu sein. Die drei Vierteile, welche die Schweiz jedem Ausländer gewährt, übersteigen immer noch die Leistungen der meisten fremden Staaten, und zwar teilweise ganz beträchtlich. Der Bundesrat, als die hierfür zuständige Behörde, ist vor dem Kriege wiederholt in die Lage gekommen, die Frage zu prüfen, ob ein fremder Staat Versicherungsleistungen gewähre, die den schweizerischen gleichwertig sind, hat sie aber stets verneinen müssen. Sollte sich die Sachlage seither geändert haben, so wird der Bundesrat die Prüfung in jedem einzelnen Falle neu vornehmen und die Gleichstellung gewähren, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen.

Wollte die Schweiz den grundsätzlichen Standpunkt ihres Gesetzes aufgeben, so würde das eine Gesetzesänderung bedingen.

Die vorbehaltlose Anerkennung der Gleich behandlung der Ausländer setzt aber voraus, dass in allen Staaten ungefähr gleichwertige Leistungen gewährt werden; andernfalls führt sie zu Ungerechtigkeiten. Bevor international die Gleichbehandlung verlangt wird, sollten internationale Mindestanforderungen an die Leistungen der Sozialversicherung gestellt werden. Ein diesbezüglicher Antrag ist im Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes vom schweizerischen Vertreter gestellt worden und wir hoffen, dass er auf die Tagesordnung einer der nächsten Arbeitskonferenzen gesetzt werde. Unseres Erachtens ist das Ergebnis dieses Vorgehens abzuwarten, bevor wir unsere Gesetzgebung ändern.

Schliesslich ist noch eine weitere unterschiedliche Behandlung der Ausländer zu erwähnen. Nach den Vorschriften des schweizerischen Obligationenrechts hat bei einem auf längere Zeit abgeschlossenen Dienstvertrag ein Dienstpflichtiger während eines schweizerischen obligatorischen Militärdienstes für eine Verhältnismassig kurze Zeit Anspruch auf Lohnzahlung, und nach den Vorschriften des Fabrikgesetzes darf das Dienstverhältnis vom Arbeitgeber wegen schweizerischen obligatorischen Militärdienstes nicht gekündigt werden ; für den in solchem Militärdienst befindlichen Arbeiter steht der Ablauf der Kündigungsfrist während der Dauer des Dienstes still. Diese Vorschriften sind auf die eigenartigen Verhältnisse der Schweiz mit ihrem Milizsystem zugeschnitten.

Es wird sich niemals rechtfertigen, den Ausländern für den Militärdienst in ihrem Heimatstaate gleiche
Vorteile einzuräumen, schon mit Rücksicht auf die wesentlich längere Dauer der Dienstpflicht in fremden Staaten.

Im Vorschlag ist vorgesehen, dass die Gleichstellung der Ausländer auf Grundlage der Gegenseitigkeit und gemäss den

511

von Staat zu Staat festzusetzenden Bedingungen gewährleistet werden soll. Damit ist für die Sache nicht viel gewonnen. Wenn die Gegenseitigkeit in der Gewährung gleichwertiger Leistungen besteht, so ist die Gleichstellung bei uns gesetzlich anerkannt.

Wie aus einem Berichte des Internationalen Arbeitsamtes an den Verwaltungsrat vom 22. März 1920 hervorgeht, soll sich auch die Auswanderungskommission mit der Frage befassen und bestimmtere Vorschläge machen. Mit Recht weist nämlich der Bericht darauf hin, dass die Konferenz von Washington unterlassen habe, den Begriff der Gegenseitigkeit und der Gleichbehandlung, der zu verschiedenen Auslegungen Anlass geben könne, näher zu umschreiben.

Zurzeit ist die ganze Frage viel zu wenig abgeklärt, als dass wir uns zu einer sofortigen Änderung unserer Gesetze entschliessen können. Wir halten es für richtiger, abzuwarten, bie die notwendige Klarheit geschaffen ist.

Aus diesen Erwägungen stellen wir den Antrag: Dem Vorschlag sei zur Zeit keine Folge zu geben.

512

10.

Verschlag" betreffend die Schaffung eines öffentlichen Gesundheitsdienstes. (Nr. 9.)

Nach dem Vorsehlag hat jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation eine wirksame Gewerbeaufsicht einzuführen, falls es nicht schon geschehen ist, und ausserdem einen besondern Öffentlichen Dienst einzurichten, der mit dem Internationalen Arbeitsamt in Verbindung tritt.

In der Schweiz besteht für die Betriebe, auf welche die Vorschriften des Fabrikgesetzes anwendbar sind, eine wirksame Aufsicht. Für die andern Betriebe liegt die Aufsicht den Kantonen ob. Der Bund ist aber nach Art. 34ter der Bundesverfassung zuständig, auch für diese Betriebe Vorschriften aufzustellen. Es wird das im Zusammenhang mit der zukünftigen eidgenössischen Gewerbegesetzgebung geschehen. Wir halten es nicht für angezeigt und notwendig, vorher besondere gesetzliche Massnahmen zu treffen.

Im Internationalen Arbeitsamt ist eine besondere Sektion für Gesundheitsdienst geschaffen worden, die sich ganz allgemein mit den Fragen der Arbeitshygiene zu befassen hat. Der zweite Teil des Vorschlages wünscht nun, dass die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation einen besondern Dienst einrichten, der sich mit diesen Fragen beschäftigt und mit dem Internationalen Arbeitsamt in Verbindung tritt. Wir besitzen diesen Dienst bereits in den eidgenössischen und kantonalen Organen, welche die Aufsicht über die industriellen und gewerblichen Betriebe ausüben.

Eine Annahme des Vorschlages hat daher für uns nicht etwa die Errichtung neuer Dienstzweige zur Folge. Das einzige, was wir tun müssen, ist die Bezeichnung der Stelle, welche in diesen Fragen direkt mit dem Internationalen Arbeitsamt zu verkehren hat. Da dies eine rein organisatorische Frage ist, so ist es zweckmässig, dem Bundesrate den Entscheid hierüber zu überlassen.

Wenn der Bundesbeschluss über die Errichtung des eidgenössischen Arbeitsamtes in Rechtskraft erwachsen wird, werden wir voraussichtlich das Arbeitsamt mit jener Aufgabe betrauen, da zu seinen Obliegenheiten ohnedies die Bearbeitung der aus der Zugehörigkeit der Schweiz zur Internationalen Arbeitsorganisation entstehenden Aufgaben gehört.

Wir stellen daher den A nt r ag: Von den Erklärungen des Bundesrates sei in zustimmendem Sinn Kenntnis zu nehmen.

513

11.

Vorschlag betreffend die Verhütung des Milzbrandes. (Nr. 7.)

Nach dem Vorschlag werden die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation eingeladen, zur Entseuchung milzbrandkeimverdächtiger Wolle geeignete Massnahmen zu. treffen, sei es im Ursprungsland, sei es im Löschungshafen des Einfuhrlandes.

Der Vorschlag ist zu begrüssen, da er die Verhütung des Milzbrandes bezweckt. Da die Schweiz aber nicht zu den Ländern gehört, welche Wolle erzeugen oder eigene Löschungshäfen besitzen, so gibt er nicht Anlass zu weitern Massnahmen.

Wir stellen den Antrag: Dem Vorschlag sei mit Rücksicht darauf, dass er für die Schweiz gegenstandslos ist, keine Folge zu geben.

JBundesblatt.

72. Jahrg. Bd. V.

34

514

12.

Vorschlag betreffend die Anwendung des im Jahr 1906 in Bern abgeschlossenen internationalen Übereinkommens über das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der ZUndholzindustrie. (Nr. 12.)

Das Postulat wünscht, dass die Mitglieder der internationalen Arbeitsorganisation dem Berner' Übereinkommen betreffend das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem") Phosphor beitreten, sofern es nicht bereits geschehen ist.

Die Schweiz hat schon durch das Bundesgesetz vom 2. November 1898 Fabrikation, Einfuhr, Ausfuhr und Verkauf von Zündhölzchen mit gelbem Phosphor verboten. Sie hat auch das internationale Übereinkommen von 1906 gestützt auf den Bundesbeschluss vom 19. Dezember 1907 ratifiziert. Der Vorschlag ist somit für die Schweiz gegenstandslos.

Wir stellen den Antrag: Dem Vorschlag sei mit Rücksicht darauf, dass er von der Schweiz bereits verwirklicht ist, keine weitere Folge zu geben.

B e r n , den 10. Dezember 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates> Der Vizepräsident: Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

515

(Entwurf.)

Beilage I.

Bundesgesetz über

die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 84ter der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. Dezember 1920, beschliesst: Art. 1. Dieses Gesetz hat Geltung: 1. für die öffentlichen und privaten industriellen und gewerblichen Betriebe, auf die das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 18. Juni 1914 und 27. Juni 1919 keine Anwendung findet; 2. für die öffentlichen und privaten Betriebe, welche der Beförderung von Personen oder Gütern dienen, mit Ausnahme der Handbeförderung und der vom Bund betriebenen oder konzessionierten Verkehrsanstalten.

Das Gesetz gilt nicht für Betriebe, in denen nur Mitglieder einer und derselben Familie arbeiten, ferner nicht für die Landwirtschaft und den Handel, inbegriffen die Hotels, Gasthöfe und Wirtschaften.

Der Bundesrat hat die Abgrenzung zwischen den unter dieses Gesetz fallenden Betrieben einerseits, dem Handel und der Landwirtschaft anderseits vorzunehmen.

, Geltungsbereich.

Art. 2. Kinder, welche das vierzehnte Altersjahr noch nicht 2. Mindestzurückgelegt haben oder über dieses Alter hinaus zum täglichen alter.

Schulbesuch gesetzlich verpflichtet sind, dürfen zur Arbeit in den in Art. l, Ziffer l und 2 genannten Betrieben und deren Nebenbetrieben nicht verwendet werden.

516 3. Nachtarbeit.

a. Yerbot.

Art. 8. Personen, die das achtzehnte Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, dürfen in den in Art. l, Ziffer l und 2 genannten Betrieben und deren Nebenbetrieben während der Nacht nicht beschäftigt werden.

Ebenso dürfen weibliche Personen über achtzehn Jahre während der Nacht zur Arbeit in den in Art. l, Ziffer l erwähnten Betrieben und deren Nebenbetrieben nicht verwendet werden.

Unter «Nacht» ist ein Zeitraum von wenigstens elf aufeinanderfolgenden Stunden zu verstehen, welcher die Zeit von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens in sich schliesst.

&. Ausnahmeu.

Art. 4. Das Verbot der Nachtarbeit kann ausser Kraft treten : 1. für Personen im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren und für weibliche Personen über achtzehn Jahre im Fall einer nicht vorherzusehenden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsunterbrechung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist; 2. für weibliche Personen über achtzehn Jahre ausserdem in Fällen, wo es sich um die Verarbeitung von Eohstoffen oder um die Bearbeitung von Gegenständen handelt, die einem sehr raschen Verderben ausgesetzt sind, wenn es zur Verhütung eines sonst unvermeidlichen Verlustes an diesen Eohstoffen oder Gegenständen erforderlich ist.

,,.

Art. 5. In den dem Einfluss der Jahreszeiten unterworfenen schränkung Betrieben, sowie in allen Fällen, in denen ausserordentliche Umstände es erheischen, kann für die weiblichen Personen über achtzehn Jahre der Zeitraum, in dem die Nachtarbeit verboten ist, auf 10 Stunden herabgesetzt werden.

Der Bundesrat erlässt die nötigen Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften der Art. 4 und 5. Er ist ermächtigt, weitere Ausnahmen, die im öffentlichen Interesse geboten oder in internationalen Übereinkommen vorgesehen sind, zu gestatten.

4 Verzeichnis Art- ^- I*1 den diesem Gesetz unterstellten Betrieben ist ein der Verzeichnis der darin beschäftigten Personen unter achtzehn Jahren Jugendlichen, mit Angabe ihres Geburtsdatums zu führen.

Der Bundesrat kann auch die Vorlage eines Altersausweises oder anderer Kontrollmassnahmen vorschreiben.

5. Unzulässige Art. 7. Der Bundesrat bezeichnet diejenigen gewerblichen ArArbeit, beiten, bei denen jugendliche Personen unter achtzehn Jahren und weibliche Personen über achtzehn Jahre nicht oder nur unter besondern Bedingungen beschäftigt werden dürfen.

517 Art. 8. Der Bundesrat erlässt die zum Vollzug dieses Gesetzes 6. Vollzugserforderlichen Vorschriften.

bestimDie Durchführung des Gesetzes und der Vollziehungsbestiin- muuSenmungen liegt den Kantonen ob.

Die Kantonsregierungen bezeichnen die kantonalen Vollzugsorgane.

Der Bundesrat hat die Oberaufsicht. Er ist berechtigt, von den Kantonen periodische Berichte über den Vollzug zu verlangen.

Art. 9. a. Zuwiderhandlungen der Betriebsinhaber oder der 7. Strafverantwortlichen Stellvertreter gegen die Bestimmungen dieses bestimGesetzes und gegen die zu seinem Vollzug erlassenen Vorschriften mungen.

werden mit Busse von Fr. 5 bis Fr. 500 bestraft.

Im Wiederholungsfall kann mit der Busse Gefängnis bis zu 8 Monaten verbunden werden.

&. Strafrechtlich verantwortlich ist der Betriebsinhaber oder die Person, der die Leitung des Betriebes übertragen wurde.

Eine Stellvertretung entlastet den Betriebsinhaber von seiner Verantwortung nur dann, wenn er nicht selbst die Leitung auszuüben im Falle war und wenn die Stellvertretung Personen übertragen wurde, die sich zur Erfüllung einer solchen Aufgabe eigneten.

c. Die Zuwiderhandlungen verjähren innert einem Jahr nach der Begehung.

Die rechtskräftig gewordenen Strafen verjähren innert 5 Jahren.

d. Die Untersuchung und Beurteilung der Zuwiderhandlungen ist Sache der kantonalen Gerichts- oder Verwaltungsbehörden.

Die Kantone haben jedoch, wenn die Busse Fr. 50 übersteigt oder wenn Gefängnisstrafe ausgesprochen wird, die Möglichkeit gerichtlicher Berurteilung zu bieten.

e. Der Bundesrat kann anordnen, dass die Endentscheide der kantonalen Gerichts- und Verwaltungsbehörden einer von ihm bezeichneten Amtsstelle unentgeltlich einzusenden sind.

Dem Bundesrat steht das Eecht zu, gegen diese Entscheide nach Massgabe des Art. 161 ff. des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1898 die Kassationsbeschwerde zu erheben.

Art. 10. Die Bestimmungen kantonaler Gesetze und Vorschriften, 8. Schlussweiche dem gegenwärtigen Gesetz nicht entsprechen, sind auf- bestimgehoben.

a »TMJJ^ Die Grundsätze dieses Gesetzes können durch Verordnung des "zu^kante-8 Bundesrates auf die vom Bunde betriebenen oder konzessionierten nalen Recht Transportanstalten anwendbar erklärt werden.

und zu den Transportanstalten.

518

b. Abänderung Art. 11. Die Art. 71, Absatz 8 und Art. 72 des Bundesgesetzes des Fabrik- betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 18. Juni 1914 und 27. Juni gesetzee. jgjg werden abgeändert und durch folgende neue Fassungen ersetzt : Art. 71, Absatz 3: «Der Bundesrat bezeichnet diejenigen Fabrikationszweige und Verrichtungen, in denen Personen unter achtzehn Jahren überhaupt nicht verwendet werden dürfen.» Art. 72 : «Für Personen unter achtzehn Jahren muss die Nachtruhe unter allen Umständen wenigstens elf aufeinanderfolgende Stunden betragen und die Zeit von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens in sich schliessen.

c. Beginn der Art. 12. Der Bundesrat setzt den Beginn der Wirksamkeit Wirksamkeit, dieses Gesetzes fest.

ternationalen ^r 's* ermächtigt, den Beitritt der Schweiz zu folgenden, von Überein- der Arbeitskonferenz in Washington beschlossenen internationalen kommen. Übereinkommen zu erklären: 1. Übereinkommen betreffend das Mindestalter für die Zulassung von Kindern zur gewerblichen Arbeit.

2. Übereinkommen betreffend die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen.

3. Übereinkommen betreffend die Nachtarbeit der Frauen.

519

(Entwurf.)

Beilage II.

Bundesbeschluss betreffend

die Ratifikation des von der Internationalen [Arbeitskonfecenz in Washington beschlossenen Übereinkommens betreffend die Arbeitslosigkeit.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 85, Ziffer 5 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. Dezember 1920, beschliesst: I. Der Bundesrat wird ermächtigt, den Beitritt zu dem von der Internationalen Arbeitskonferenz in Washington beschlossenen Übereinkommen betreffend die Arbeitslosigkeit zu erklären.

II. Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

520

Beilage III.

XIII. Teil des

Friedensvertrages von Versailles vom 28. Juni 1919.

Arbeit.

.A-bsclrnitt I.

Organisation der Arbeit.

Einleitung.

Da der Völkerbund die Begründung des Weltfriedens zum Ziele hat und ein solcher Friede nur auf dem Boden der sozialen Gerechtigkeit aufgebaut werden kann, da ferner Arbeitsbedingungen bestehen, die für eine grosse Anzahl von Menschen mit so viel Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, dass eine den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdende Unzufriedenheit entsteht, und da eine Verbesserung dieser Bedingungen dringlich erforderlich ist, z. B. hinsichtlich der Eegelung der Arbeitszeit, der Festsetzung einer Höchstdauer des Arbeitstags und der Arbeitswoche, der Eegelung des Arbeitsmarkts, der Verhütung der Arbeitslosigkeit, der Gewährleistung von Löhnen, welche angemessene Lebensbedingungen ermöglichen, des Schutzes der Arbeiter gegen allgemeine und Berufskrankheiten, sowie gegen Arbeitsunfälle, des Schutzes der. Kinder, Jugendlichen und Frauen, der Alters- und Invalidenunterstützung, des Schutzes der Interessen der im Ausland beschäftigten Arbeiter, der Anerkennung des Grundsatzes der Freiheit gewerkschaftlichen Zusammenschlusses, der Gestaltung des beruflichen und technischen Unterrichts und ähnlicher Massnahmen, da endlich die Nichtannahme einer wirklich menschlichen Arbeitsordnung durch irgendeine Begierung die Bemühungen der andern, auf die Verbesserung des Loses der Arbeiter in ihrem eigenen Lande bedachten Nationen hemmt, NB. Diese Übersetzung des Teils XIII des Friedensvertrages von Versailles weicht von der früher veröffentlichten Übersetzung (Beilage VI, 20 zur Völkerbundsbotschaft vom 4. August 1919) in einigen Punkten ab, namentlich mit Rücksicht darauf, dass sie dem neuen deutschen Text der Washingtoner Beschlüsse angepasst wurde.

521

haben die Hohen vertragschliessenden Teile, geleitet sowohl TOD den Gefühlen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit als auch von dem Wunsche, einen dauernden Weltfrieden zu sichern, folgende» vereinbart :

Kapitel I, Organisation.

Art. 387.

Es wird eine ständige Einrichtung geschaffen, die an der Verwirklichung des in der Einleitung dargelegten Planes zu arbeiten berufen ist.

Die ursprünglichen Mitglieder des Völkerbundes sind zugleich die ursprünglichen Mitglieder dieser Organisation; später bringt die Mitgliedschaft im Völkerbund die Mitgliedschaft in der genannten Organisation mit sich.

Art. 388.

Die ständige Organisation umfasst: 1. eine Allgemeine Konferenz von Vertretern der Mitglieder,, 2. ein Internationales Arbeitsamt unter der Aufsicht des im Art. 393 vorgesehenen Verwaltungsrates.

Art. 389.

Die Allgemeine Konferenz von Vertretern der Mitglieder hält je nach Bedarf, aber mindestens einmal jährlich, ihre Tagungen ab. Sie setzt sich aus je vier Vertretern eines jeden Mitgliedes zusammen. Von diesen sind zwei Eegierungsvertreter; von den zwei andern vertritt je einer die Arbeitgeber und je einer die Arbeiter eines jeden Mitgliedes.

Jedem Vertreter können technische Eatgeber beigegeben werden. Ihre Zahl darf höchstens zwei für jeden einzelnen Gegenstand betragen, der auf der Tagesordnung der Konferenz steht. Sind Fragen, die besonders die Frauen angehen, an der Konferenz zu erörtern, so muss wenigstens eine der zu technischen Eatgebern bezeichneten Personen eine Frau sein.

Die Mitglieder verpflichten sich, diejenigen Vertreter und technischen Eatgeber, die nicht Eegierungsvertreter sind, im Einverständnis mit den massgebenden Berufsverbänden der Arbeitgeber oder Arbeiter des betreffenden Landes zu bezeichnen, vorausgesetzt, dass solche Verbände bestehen.

522

Die technischen Batgeber dürfen nur auf Antrag des Vertreters, dem sie beigeordnet sind, und mit besonderer Genehmigung des Vorsitzenden der Konferenz das Wort ergreifen. An den Abstimmungen nehmen sie nicht teil.

Ein Vertreter kann durch eine an den Vorsitzenden gerichtete schriftliche Mitteilung einen seiner technischen Eatgeber als seinen Stellvertreter bezeichnen; der Stellvertreter kann in dieser Eigenschaft an den Beratungen und Abstimmungen teilnehmen.

Die Namen der Vertreter und ihrer technischen Eatgeber werden dem Internationalen Arbeitsamt durch die Begierung eines jeden Mitgliedes mitgeteilt.

Die Vollmachten der Vertreter und ihrer technischen Batgeber werden von der Konferenz geprüft: diese kann mit Zweidrittelmehrheit der von den anwesenden Vertretern abgegebenen Stimmen die Zulassung eines jeden Vertreters oder technischen Batgebers ablehnen, der nach ihrer Auffassung nicht gemäss den Bestimmungen dieses Artikels ernannt worden ist.

Art. 390.

Jeder Vertreter hat das Becht der unabhängigen Stimmabgabe über alle der Konferenz unterbreiteten Prägen.

Hat ein Mitglied die Bezeichnung eines der Vertreter, die nicht Begierungsvertreter sind, unterlassen, so hat zwar der andere Vertreter, der nicht Begierungsvertreter ist, das Becht, an den Beratungen der Konferenz teilzunehmen ; ein Stimmrecht jedoch1 steht ihm nicht zu.

Lehnt die Konferenz kraft der ihr durch Artikel 389 übertragenen Befugnis die Zulassung eines Vertreters eines der Mitglieder ab, so sind die Bestimmungen dieses Artikels so anzuwenden, als ob der betreffende Vertreter nicht ernannt worden wäre.

Art. 391.

Die Tagungen der Konferenz finden am oder an jedem andern Ort statt, der in einer die Konferenz mit Zweidrittelmehrheit der Vertretern abgegebenen Stimmen bezeichnet

Sitz des Völkerbundes frühern Tagung durch von den anwesenden worden ist.

Art. 392.

Das Internationale Arbeitsamt wird am Sitz des Völkerbundes errichtet und bildet einen Bestandteil der Bundeseinrichtungen.

523 Art. 393.

Das Internationale Arbeitsamt tritt unter die Aufsicht eines aus 24 Mitgliedern bestehenden Verwaltungsrates, für deren Ernennung folgende Bestimmungen gelten: Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes setzt sich f olgendermassen zusammen : 12 Personen als Vertreter der Eegierungen, 6 Personen, die von den zur Konferenz abgeordneten Vertretern der Arbeitgeber gewählt werden, 6 Personen, die von den zur Konferenz abgeordneten Vertretern der Arbeiter gewählt werden.

Von den zwölf die Eegierungen vertretenden Personen werden acht durch die Mitglieder ernannt, denen die grösste industrielle Bedeutung zukommt, und vier durch die Mitglieder, die zu diesem Zweck von den Eegierungsvertretern in der Konferenz unter Ausschluss der Vertreter der erwähnten acht Mitglieder bezeichnet worden sind.

Streitigkeiten über die Frage, welchen Mitgliedern die grösste industrielle Bedeutung zukommt, werden durch den Eat des Völkerbundes entschieden.

Die Amtsdauer der Mitglieder des Verwaltungsrates beträgt drei Jahre. Das Verfahren bei der Besetzung freigewordener Sitze und andere Fragen ähnlicher Art sind, vorbehaltlich der Zustimmung der Konferenz, vom Verwaltungsrat zu regeln.

Der Verwaltungsrat wählt eines seiner Mitglieder zum Vorsitzenden und stellt seine Geschäftsordnung auf. Er bestimmt selbst den Zeitpunkt seines jedesmaligen Zusammentritts. Eine besondere Tagung ist jedesmal abzuhalten, wenn wenigstens zehn Mitglieder des Verwaltungsrates schriftlich einen entsprechenden Antrag stellen.

Art. 394.

An der Spitze des Internationalen Arbeitsamtes steht ein Direktor; er wird durch den Verwaltungsrat ernannt, empfängt von ihm seine Anweisungen und ist ihm gegenüber sowohl für den Geschäftsgang als auch für die Ausführung aller andern ihm anvertrauten Aufgaben verantwortlich.

Der Direktor oder sein Stellvertreter wohnen allen Sitzungen des Verwaltungsrates bei.

Art. 395.

Das Personal des Internationalen Arbeitsamtes wird vom Direktor gewählt. Soweit es mit der gebotenen Eücksicht auf die

524

Erzielung von möglichst guten Arbeitsleistungen vereinbar ist, hat sich die Wahl auf Personen verschiedener Nationalitäten zu erstrecken. Eine bestimmte Anzahl dieser Personen müssen Frauea sein.

Art. 896.

Die Tätigkeit des Internationalen Arbeitsamtes besteht in der Sammlung und Weiterleitung aller Unterlagen, die sich auf die internationale Eegelung der Lage der Arbeiter und der Arbeitsverhältnisse beziehen, sowie besonders in der Bearbeitung der Fragen, die an der Konferenz zum Zweck des Abschlusses internationaler Vereinbarungen behandelt werden sollen, sowie endlich in der Durchführung aller besondern, von der Konferenz angeordneten Untersuchungen.

Das Internationale Arbeitsamt hat die Tagesordnung für die Konferenzen vorzubereiten.

Es erfüllt ferner gemäss den Bestimmungen dieses Teiles des vorliegenden Vertrages die ihm bei allen internationalen Streitigkeiten zufallenden Obliegenheiten.

Es verfasst und veröffentlicht in französischer, englischer und in jeder andern Sprache, die der' Verwaltungsrat für angebracht hält, eine regelmässig erscheinende Zeitschrift, die sich den die Industrie und die Arbeit betreffenden Fragen von internationalem Interesse widmet.

Überhaupt hat es neben der in diesem Artikel bezeichneten Tätigkeit alle anderen Befugnisse und Obliegenheiten, die ihm von der Konferenz übertragen werden.

Art. 397.

Die Ministerien der Mitglieder, in deren Zuständigkeit die Arbeiterfragen fallen, können mit dem Direktor durch Vermittlung des Vertreters ihrer Eegierung beim Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamts oder in Ermangelung eines solchen Vertreters durch Vermittlung eines andern dazu geeigneten, von der beteiligten Eegierung damit beauftragten Beamten unmittelbaren Geschäftsverkehr unterhalten.

Art. 398.

Das Internationale Arbeitsamt kann die Mitwirkung des Generalsekretärs des Völkerbundes bei allen Fragen .in Anspruch nehmen, bei denen er zu einer solchen Mitwirkung in der Lage ist.

525

Art. 399.

Jedes Mitglied bezahlt die Eeise- und Aufenthaltskosten seiner Vertreter und ihrer technischen Eatgeber, die an den Tagungen der Konferenz und des Verwaltungsrates teilnehmen.

Alle andern Kosten des Internationalen Arbeitsamtes, der Tagungen der Konferenz oder des Verwaltungsrates werden dem Direktor durch den Generalsekretär des Völkerbundes zu Lasten des allgemeinen Haushalts des Völkerbundes erstattet.

Der Direktor ist dem Generalsekretär des Völkerbundes für die Verwendung aller Gelder, die ihm nach den Bestimmungen dieses Artikels ausgezahlt werden, rechenschaftspflichtig.

Kapitel II.

Verfahren.

Art. 400.

Der Verwaltungsrat setzt die Tagesordnung der Konferenz fest nach Prüfung aller Anträge, die von der Eegierung eines Mitgliedes oder von irgendeinem der in Artikel 389 genannten Verbände bezüglich der Verhandlungsgegenstände gestellt worden sind.

Art. 401.

Der Direktor versieht das Amt des Sekretärs der Konferenz; er hat die Tagesordnung vier Monate vor der Eröffnung an alle Mitglieder gelangen zu lassen und durch deren Vermittlung an die Vertreter, die nicht Begierungsvertreter sind, sobald ihre Ernennung erfolgt ist.

Art. 402.

Die Eegierung eines jeden Mitgliedes hat das Eecht, gegen die Aufnahme einer oder mehrerer der vorgesehenen Gegenstände in die Tagesordnung der Konferenz Einspruch zu erheben. Die Einspruchsbegründung ist in einer an den Direktor zu richtenden erläuternden Denkschrift darzulegen, der sie den Mitgliedern der ständigen Organisation mitzuteilen hat.

Die beanstandeten Gegenstände bleiben trotzdem auf der Tagesordnung, wenn die Konferenz mit Zweidrittelmehrheit der von den Anwesenden Vertretern abgegebenen Stimmen so beschliesst.

Jede Frage, deren Prüfung die Konferenz ausserhalb des im vorigen Absatz vorgesehenen Verfahrens mit der gleichen Zweidrittel-

526

mehrheit beschliesst, ist auf die Tagesordnung der folgenden Tagung zu setzen.

Art. 403.

Die Konferenz stellt ihre Geschäftsordnung auf; sie wählt ihren Vorsitzenden; sie kann Ausschüsse einsetzen, denen die Erstattung von Berichten über alle von ihr für prüfungsbedürftig befundenen Fragen obliegt.

Die einfache Mehrheit der von den anwesenden Mitgliedern der Konferenz abgegebenen Stimmen ist entscheidend, es sei denn, dass eine grössere Mehrheit ausdrücklich durch andere Artikel dieses Teils des vorliegenden Vertrages vorgeschrieben ist.

Die Abstimmung ist ungültig, wenn die Zahl der abgegebenen Stimmen geringer ist als die Hälfte der an der Konferenz teilnehmenden Vertreter.

Art. 404.

Die Konferenz kann den von ihr eingesetzten Ausschüssen technische Eatgeber mit beratender, aber nicht beschliessender Stimme beigeben.

Art. 405.

Erklärt sich die Konferenz für die Annahme von Anträgen, die in Verbindung mit einem Gegenstand der Tagesordnung stehen, so hat sie zu bestimmen, ob diese Anträge die Form haben sollen o. eines «Vorschlages», der den Mitgliedern zur Prüfung vorzulegen ist zu dem Zweck, ihn auf dem Weg der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise zur Ausführung gelangen zu lassen, oder b. eines «Entwurfs zu einem internationalen Übereinkommen», das den Mitgliedern zur Eatifikation vorzulegen ist.

In beiden Fällen bedarf es zur Annahme eines Vorschlages oder eines Entwurfs zu einem Übereinkommen in der Endabstimmung der Konferenz einer Zweidrittelmehrheit der Stimmen der anwesenden Vertreter.

Bei der Aufstellung eines Vorschlages oder eines Entwurfs zu einem Übereinkommen, das allgemeine Geltung erhalten soll, hat die Konferenz auf diejenigen Länder Bücksicht zu nehmen, in denen das Klima, die unvollkommene Entwicklung der industriellen Organisation oder andere Sonderumstände die Verhältnisse der Industrie wesentlich abweichend gestalten. Sie hat in solchen Fällen die Abänderungen anzuregen, die sie angesichts der besondern Verhältnisse dieser Länder für notwendig erachtet.

Eine Ausfertigung des Vorschlages oder des Entwurfs eines Übereinkommens wird vom Vorsitzenden der Konferenz und dein

527 Direktor unterzeichnet und dem Generalsekretär des Völkerbundes ausgehändigt. Dieser übermittelt jedem Mitglied eine beglaubigte Abschrift des Vorschlages oder des Entwurfs des Übereinkommens.

Jedes Mitglied verpflichtet sich, spätestens ein Jahr nach Schiusa der Tagung der Konferenz (oder, wenn dies infolge aussergewöhnlicher Umstände innerhalb eines Jahres unmöglich sein sollte, sobald es angängig ist, aber unter keinen Umständen später als achtzehn Monate nach Schluss der Tagung der Konferenz) den Vorschlag oder den Entwurf eines Übereinkommens der zuständigen Stelle oder den zuständigen Stellen zum Zweck der Verwirklichung durch ein Gesetz oder durch anderweitige Massnahmen zu unterbreiten.

Handelt es sich um einen Vorschlag, so haben die Mitglieder den Generalsekretär von den getroffenen Massregeln in Kenntnis zu setzen.

Handelt es sich um den Entwurf eines Übereinkommens, so hat das Mitglied, das die Zustimmung der zuständigen Stelle oder Stellen erhält, die förmliche Eatifikation des Übereinkommens dem Generalsekretär mitzuteilen und die zu seiner Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Hat ein Vorschlag keine gesetzgeberische oder andere Massregel zur Folge, die ihr Wirkung verschafft, oder findet ein Entwurf eines Übereinkommens nicht die Zustimmung der dafür zuständigen Stelle oder Stellen, so hat das Mitglied keine weitere Verpflichtung.

Handelt es sich um einen Bundesstaat, dessen Befugnis zum Beitritt zu einem Arbeitsübereinkommen bestimmten Beschränkungen unterliegt, so hat die Eegierung das Becht, den Entwurf eines Übereinkommens, der unter diese Beschränkungen fällt, als einfachen Vorschlag zu betrachten ; in diesem Falle gelangen die Bestimmungen dieses Artikels über Vorschläge zur Anwendung.

Der vorstehende Artikel ist nach folgendem Grundsatz auszulegen : In keinem Falle begründet die Annahme eines Vorschlages oder des Entwurfs eines Übereinkommens durch die Konferenz für ein Mitglied die Verpflichtung, den schon durch seine Gesetzgebung den betreffenden Arbeitern gewährten Schutz zu vermindern.

Art. 406.

Jedes dergestalt ratifizierte Übereinkommen wird vom Generalsekretär des Völkerbundes eingetragen; es bindet aber nur die Mitglieder, von denen es ratifiziert worden ist.

528 Art. 407.

Vereinigt eine Vorlage bei der endgültigen Gesamtabstimniung nicht die Zweidrittelmehrheit der von den anwesenden Vertretern abgegebenen Stimmen auf sich, so steht es den Mitgliedern der ständigen Organisation, die dies wünschen, frei, ein Sonderüber«inkommen mit dem gleichen Inhalt zu schliessen.

Jedes derartige Übereinkommen ist durch die beteiligten Eegierungen dem Generalsekretär des Völkerbundes mitzuteilen, der ·es eintragen lässt.

Art. 408.

Jedes Mitglied verpflichtet sich, dem Internationalen Arbeitsamt jährlich einen Bericht über seine Massnahmen zur Durchführung der Übereinkommen, denen es beigetreten ist, vorzulegen. Die Form dieser Berichte bestimmt der Verwaltungsrat; sie müssen die von ihm geforderten Einzelheiten enthalten. Der Direktor legt der nächstfolgenden Tagung der Konferenz einen zusammenfassenden Auszug aus diesen Berichten vor.

Art. 409.

Jede von einem Berufsverband der Arbeiter oder Arbeitgeber an das Internationale Arbeitsamt gerichtete Beschwerde gegen ein Mitglied wegen nicht befriedigender Durchführung eines von ihm angenommenen Übereinkommens, kann durch den Verwaltungsrat deiin Frage kommenden Eegierung übermittelt werden. Diese Eegierung kann ersucht werden, sich zur Sache zu erklären.

Art. 410.

Geht von der in Frage kommenden Eegierung innert angemessener Frist keine Erklärung ein, oder hält der Verwaltungsrat die eingehende Erklärung für unzureichend, so hat er das Eecht, die eingegangene Beschwerde und gegebenenfalls die erteilte Antwort zu veröffentlichen.

Art. 411.

Jedes Mitglied kann beim Internationalen Arbeitsamt eine Beschwerde gegen ein anderes Mitglied vorbringen, das nach seiner Ansicht ein von beiden Teilen auf Grund der vorstehenden Artikel .ratifiziertes Übereinkommen in unzureichender Weise durchführt.

Der Verwaltungsrat kann, wenn er es für angebracht hält, sich mit der in Frage kommenden Eegierung auf die im Artikel 409 be-

529 zeichnete Weise in Verbindung setzen, bevor er eine Untersuchungskommission nach dem weiter unten angegebenen Verfahren mit der Angelegenheit betraut.

Hält es der Verwaltungsrat nicht für nötig, die Beschwerde der in Frage kommenden Eegierung mitzuteilen, oder läuft bei ihm nach erfolgter Mitteilung innerhalb einer angemessenen Frist keine befriedigende Antwort ein, so kann er die Bildung einer Untersuchungskommission herbeiführen, welche die strittige Frage zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten hat.

Das gleiche Verfahren kann vom Verwaltungsrat entweder von Amtes wegen oder auf die Beschwerde eines Vertreters bei der Konferenz eingeschlagen werden.

Kommt eine auf Grund der Artikel 410 oder 411 aufgeworfene Frage vor den Verwaltungsrat, so hat die in Betracht kommende Eegierung, falls sie nicht schon einen Vertreter im Verwaltungsrat hat, das Eecht, einen Abgeordneten zur Teilnahme an den betreffenden Beratungen des Verwaltungsrats zu ernennen. Der für diese Verhandlungen bestimmte Zeitpunkt ist der in Frage kommenden Eegierung rechtzeitig mitzuteilen.

Art. 412.

Die Untersuchungskommission wird auf folgende Weise zusammengesetzt : Jedes Mitglied verpflichtet sieh, binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages drei in industriellen Fragen massgebende Personen zu bezeichnen, eine zur Vertretung der Arbeitgeber, eine zweite zur Vertretung der Arbeiter und eine von beiden unabhängige dritte. Diese Personen bilden zusammen eine Liste, aus der die Mitglieder der Untersuchungskommission zu wählen sind.

Der Verwaltungsrat hat das Eecht, zu prüfen, ob die bezeichneten Personen den für ihre Bestellung vorgesehenen Bedingungen entsprechen und mit Zweidrittelmehrheit der von den anwesenden Vertretern abgegebenen Stimmen die Ernennung derjenigen abzulehnen, deren Eigenschaften nicht den Bestimmungen dieses Artikels entsprechen.

Auf Antrag des Verwaltungsrates bezeichnet der Generalsekretär des Völkerbundes zur Bildung der Untersuchungskommission drei Personen, und zwar je eine aus jeder der drei Klassen der Liste.

Ausserdern ernennt er eine der drei Personen zum Vorsitzenden der Kommission. Keine der auf diese Weise bezeichneten drei Personen darf zu einem der an der Beschwerde unmittelbar beteiligten Mitglieder gehören.

Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

35

530

Art. 418.

Wird auf Grund des Artikels 411 eine Beschwerde vor eine Untersuchungskommission gewiesen, so ist jedes Mitglied verpflichtet, gleichviel, ob es unmittelbar an der Beschwerde beteiligt ist oder nicht, der Kommission alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die es zum Gegenstand der Beschwerde besitzt.

Art. 414.

Nach eingehender Prüfung der Beschwerde erstattet die Untersuchungskommission einen Bericht ; in diesem legt sie ihre tatsächlichen Feststellungen, diee ine genaue Beurteilung des Streitfalls in seinem ganzen Umfang gestatten, sowie ihre Vorschläge zur Zufriedenstellung der beschwerdeführenden Eegierung nieder; er hat sich auch über die dazu nötigen Fristen auszusprechen.

Gegebenenfalls hat der Bericht zugleich die wirtschaftlichen Strafmassnahmen zu bezeichnen, welche die Kommission der in Betracht kommenden Eegierung gegenüber für angebracht half; und deren Anwendung durch die übrigen Eegierungen ihr gerechtfertigt erscheint.

Art. 415.

Der Generalsekretär des Völkerbundes teilt den Bericht der Untersuchungskommission jeder an dem Streitfall beteiligten Eegierung mit und veranlasst seine Veröffentlichung.

Jede der beteiligten Eegierungen hat dem Generalsekretär des ·Völkerbundes binnen einem Monat mitzuteilen, ob sie die im Kommissionsbericht enthaltenen Vorschläge annimmt oder nicht, und falls sie diese nicht annimmt, ob sie den Streitfall dem ständigen Internationalen Gerichtshof des Völkerbundes zu unterbreiten wünscht.

Art. 416.

Ergreift ein Mitglied bezüglich eines Vorschlages oder eines Entwurfs zu einem Übereinkommen die im Artikel 405 vorgesehenen Massnahmen nicht, so hat jedes andere Mitglied das Eecht, den ständigen Internationalen Gerichtshof anzurufen.

Art. 417.

Der Entscheid des ständigen Internationalen Gerichtshofes über eine Beschwerde oder eine ihm gemäss den Artikeln 415 oder 416 unterbreitete Streitfrage ist endgültig.

531 Art. 418.

Die Anträge oder Vorschläge der Untersuchungskommission können vom ständigen Internationalen Gerichtshof bestätigt, abgeändert oder aufgehoben werden. Dieser hat gegebenenfalls die wirtschaftlichen Strafmassnah'men zu bezeichnen, die er einer schuldigen Regierung gegenüber für angebracht hält und deren Anwendung durch die übrigen Regierungen ihm gerechtfertigt erscheint.

Art. 419.

Befolgt irgendein Mitglied in der vorgeschriebenen Zeit die im Bericht der Untersuchungskommission oder im Entscheid des ständigen Internationalen Gerichtshofes enthaltenen Vorschläge nicht, so darf jedes andere Mitglied ihm gegenüber die wirtschaftlichen Strafmassnahmen ergreifen, die der Bericht der Kommission oder der Entscheid des Gerichtshofes in diesem Falle für zulässig erklärt hat.

Art. 420.

Die schuldige Regierung kann jederzeit den Verwaltungsrat davon in Kenntnis setzen, dass sie die nötigen Massnahmen getroffen hat, um entweder den Vorschlägen der Untersuchungskommission oder denen, die im Entscheid des ständigen Internationalen Gerichtshofes niedergelegt sind, Folge zu leisten, und kann den Verwaltungsrat ersuchen, durch den Generalsekretär des Völkerbundes eine Untersuchungskommission zur Nachprüfung ihrer Angaben einzusetzen. In diesem Falle finden die Bestimmungen der Artikel 412, 413, 414, 415, 417 und 418 Anwendung. Fällt der Bericht der Untersuchungskommission oder der Entscheid des ständigen Internationalen Gerichtshofes zugunsten der schuldigen Regierung aus, so haben die andern Regierungen sofort die wirtschaftlichen Strafmassnahmen, die sie gegenüber dem betreffenden Staat ergriffen haben, einzustellen.

Kapitel III.

Allgemeine Vorschriften.

Art. 421.

Die Mitglieder verpflichten sich, die Übereinkommen, denen sie zugestimmt haben, entsprechend den Bestimmungen dieses Teiles des vorliegenden Vertrages für diejenigen ihrer Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten:

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1. die Anwendbarkeit dès Übereinkommens darf nicht durch die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein; 2. die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt seine Entschliessung hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.

Art. 422.

Abänderungen zu diesem Teil des vorliegenden Vertrages, die von der Konferenz mit Zweidrittelmehrheit der von den anwesenden Vertretern abgegebenen Stimmen angenommen sind, werden rechtswirksam, sobald sie von den Staaten, deren Vertreter den Eat des Völkerbundes bilden sowie von drei Vierteln der Mitglieder ratifiziert worden sind.

Art. 423.

Alle Streitfragen und Schwierigkeiten der Auslegung dieses Teils des vorliegenden Vertrages und der später von den Mitgliedern gemäss diesem Teil geschlossenen Übereinkommen unterliegen dem Entscheid des ständigen Internationalen Gerichtshofes.

Kapitel IV.

Übergangsbestimmungen.

Art. 424.

Die erste Tagung der Konferenz findet im Oktober 1919 statt.

Ort und Tagesordnung ergeben sich aus der beigefügten Anlage.

Einberufung und Organisation dieser ersten Tagung liegt der dafür in der vorerwähnten Anlage bezeichneten Regierung ob. Bei der Beschaffung der Unterlagen wird diese Regierung durch einen internationalen Ausschuss unterstützt, dessen Mitglieder in dergleichen Anlage genannt sind.

Die Kosten dieser ersten Tagung und jeder folgenden bis zu dem Zeitpunkt, wo die notwendigen Kredite in den Haushalt des Völkerbundes aufgenommen werden können, werden mit Ausnahme der Reise- und Aufenthaltskosten der Vertreter und der technischen Ratgeber auf die Mitglieder nach dem für das Internationale Bureau des Weltpostvereins festgesetzten Schlüssel umgelegt.

533

Art. 425.

Bis zur Errichtung des Völkerbundes werden alle Mitteilungen, die nach den vorstehenden Artikeln an den Generalsekretär des Bundes zu richten sind, vom Direktor des Internationalen Arbeitsamtes aufbewahrt; dieser hat sie dem Generalsekretär zu übermitteln.

Art. 426.

Bis zur Errichtung des ständigen Internationalen Gerichtshofes werden die ihm kraft dieses Teils des vorliegenden Vertrages zu unterbreitenden Streitfragen einem Gericht überwiesen, das aus drei vom Rat dos Völkerbundes ernannten Personen besteht.

Anlage.

Erste Tagung der Arbeitskonferenz 1919.

Versammlungsort der Konferenz ist Washington.

Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika wird gebeten, die Konferenz einzuberufen.

Der internationale Organisationsausschuss bestellt aus sieben Personen, von denen je eine von den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Grossbritanniens, Frankreichs, Italiens, Japans, Belgiens und der Schweiz ernannt wird. Der Ausschuss kann, wenn er es für nötig hält, andere Mitglieder auffordern, sich in ihm vertreten zu lassen.

Die Tagesordnung ist folgende: 1. Anwendung des Grundsatzes des 8-Stundentags oder der 48- Stundenwoche ; 2. Fragen hinsichtlich der Mittel zur Verhütung der Arbeitslosigkeit und zur Bekämpfung ihrer Folgen; 3. Beschäftigung der Frauen: a. vor und nach der Niederkunft (mit Einschluss der Frage der Wöchnerinnenunterstützung), b. Nachtarbeit, c. gesundheitsschädliche Arbeiten; 4. Beschäftigung der Jugendlichen: a. Altersgrenze für die Zulassung zur Arbeit, b. Nachtarbeit, c. gesundheitsschädliche Arbeiten;

534 Ausdehnung und Anwendung der im Jahr 1906 in Bern angenommenen internationalen Übereinkommen über das Verbot der indusriellen Nachtarbeit der Frauen und über das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie.

-A.bschn.itt H.

Allgemeine Grundsätze.

Art. 427.

Die Hohen vertragschliessenden Teile haben in Anerkennung dessen, dass das körperliche, sittliche und geistige Wohlergehen der Lohnarbeiter vom internationalen Standpunkt aus von höchster Bedeutung ist, zur Erreichung dieses erhabenen Zieles die in Abschnitt I vorgesehene und' dem Völkerbund angegliederte, ständige Einrichtung geschaffen.

Sie anerkennen, dass die Verschiedenheiten des Klimas, der Sitten und Gebräuche, der wirtschaftlichen Zweckmässigkeit und industriellen Überlieferung die sofortige Herbeiführung der vollständigen Einheitlichkeit in den Arbeitsverhältnissen erschweren.

Aber in der Überzeugung, dass die Arbeit nicht als blosse Handelsware betrachtet werden darf, glauben sie, dass Wege und Grundsätze für die Regelung der Arbeitsverhältnisse sich finden lassen, die alle Industriegerneinschaften zu befolgen sich bemühen sollten, soweit ihre besondem Verhältnisse dies gestatten.

Unter diesen Wegen und Grundsätzen erscheinen den Hohen vertragschliessenden Teilen die folgenden von besonderer und dringender Wichtigkeit: 1. der erwähnte leitende Grundsatz, dass die Arbeit nicht lediglich als Ware oder Handelsartikel betrachtet werden darf; 2. das Recht des Zusammenschlusses zu allen rechtmässigen Zwecken sowohl für Arbeiter als auch für Arbeitgeber; 3. die Bezahlung der Arbeiter mit einem Lohn, der ihnen eine nach der Auffassung ihrer Zeit und ihres Landes angemessene Lebensführung ermöglicht ; 4. die Annahme des 8-Stundentages oder der 48-Stundenwoche als zu erstrebendes Ziel überall da, wo es noch nicht erreicht ist ;

535 5. die Annahme einer wöchentlichen Arbeitsruhe von mindestens 24 Stunden, die nach Möglichkeit den Sonntag einschliessen soll; · 6. die Beseitigung der Kinderarbeit und die Verpflichtung, die Arbeit Jugendlicher beiderlei Geschlechts so einzuschränken, wie es notwendig ist, um ihnen die Fortsetzung ihrer Ausbildung zu ermöglichen und ihre körperliche Entwicklung sicherzustellen ; 7. der Grundsat? gleichen Lohnes ohne Unterschied des Geschlechts für eine Arbeit von gleichem Wert; 8. die in jedem Land über die Arbeitsverhältnisse erlassenen Vorschriften haben allen im Lande sich erlaubterweise aufhaltenden Arbeitern eine gerechte wirtschaftliche Behandlung zu sichern; 9. jeder Staat hat einen Aufsichtsdienst einzurichten, an dem auch Frauen teilnehmen, um die Durchführung der Gesetze und Vorschriften für den Arbeiterschutz sicherzustellen.

Die Hohen vertragschliessenden Teile verkünden nicht die Vollständigkeit oder Endgültigkeit dieser Grundsätze und Wege, erachten sie jedoch für geeignet, der Politik des Völkerbundes als Bichtschnur zu dienen und, im Fall ihrer Annahme durch die ihm als Mitglieder angehörenden Industriegemeinschaften sowie der Sicherstellung ihrer praktischen Durchführung durch eine geeignete Aufsichtsbehörde, dauernde Wohltaten unter den Lohnarbeitern der Welt zu verbreiten.

536 Seilage IV.

Internationale Arlbeitskonferenz.

Erste Jahrestagung Washington, 29. Oktober bis 29. November

1919.

Von der Konferenz angenommene Entwürfe von Übereinkommen und Vorschläge.

Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Festsetzung der Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben auf acht Stunden täglich und achtundvierzig Stunden wöchentlich.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Anwendung des Grundsatzes des Achtstundentages oder der Aehtundvierzigstundenwoche», eine Frage, die den ersten Verhandlungsgegenstand der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen, nimmt den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an, das den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919 zur Eatifizierung vorzulegen ist: Artikel 1.

Als «gewerbliche Betriebe» im Sinne dieses Übereinkommens gelten insbesondere: a. Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen; Ì). Gewerbe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt, verkaufsbereit gemacht oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, mit Einschluss des Schiffbaues, der Abbruchunternehmungen, der

587

Erzeugung, Umformung und Übertragung von motorischer Kraft irgendwelcher Art und von Elektrizität; c. der Bau, der Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, der Umbau oder der Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Strassenbahnen, Häfen, Docks, Dämmen, Kanälen, Anlagen für die Binnenschiffahrt, Strassen, Tunneln, Brücken, Strassenüberführungen, Abwasserkanälen, Brunnenschächten, Telegraph- und Telephonanlagen, elektrischen Anlagen, Gas- und Wasserwerken und andern Bauarbeiten, sowie die dazu nötigen Vor- und Grundarbeiten; d. die Beförderung von Personen oder Gütern auf Strassen, Eisenbahnen, Binnengewässern oder zur See, inbegriffen der Verkehr mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen , Werften und in Lagerhäusern, mit Ausnahme der Handbeförderung.

Die Bestimmungen über die Beförderung zur See und auf Binnengewässern werden durch eine besondere Konferenz zur Eegelung der Arbeitsverhältnisse der Seeleute und der Binnenschiffer getroffen werden.

In jedem Land bestimmt die zuständige Behörde die Grenze zwischen Gewerbe einerseits, Handel und Landwirtschaft anderseits.

Artikel 2.

Die Arbeitszeit der in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder deren Nebenbetrieben beschäftigten Personen darf acht Stunden täglich und achtundvierzig Stunden wöchentlich nicht übersteigen. Dies gilt nicht für Betriebe, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt sind. Ferner gelten folgende Ausnahmen : a. Die Bestimmungen dieses Übereinkommens finden keine Anwendung auf Personen, die mit der Aufsicht oder Leitung beauftragt sind oder eine Vertrauensstellung bekleiden.

b. Beträgt nach Gesetz, Gewohnheit oder Vereinbarung zwischen Arbeitgebor- und Arbeiterverbänden (oder, in Ermangelung solcher Verbände, zwischen Vertretern der Arbeitgeber und Arbeiter) die Arbeitszeit an einem oder mehreren Tagen der Woche weniger als acht Stunden, so kann durch Verfügung der zuständigen Behörde oder durch Vereinbarung zwischen den genannten Verbänden oder Vertretern der Beteiligten eine Überschreitung der achtstündigen Arbeitszeit an den übrigen Tagen der Woche gestattet werden. Diese Über-

538

schreitung darf indessen nie mehr als eine Stunde täglich betragen.

o. Bei Schichtarbeit kann die Arbeitszeit an einzelnen Tagen über acht Stunden täglich und in einzelnen Wochen über achtundvierzig Stunden wöchentlich verlängert werden ; in diesem Falle darf jedoch der Durchschnitt der Arbeitszeit, berechnet auf einen Zeitraum von drei Wochen oder weniger, acht Stunden täglich und achtundvierzig Stunden wöchentlich nicht übersteigen.

Artikel 3.

Die in Artikel 2 festgesetzte Arbeitszeit kann überschritten werden, wenn ein Unglücksfall eintritt oder droht, wenn dringliche Arbeiten an den Maschinen oder den Betriebseinrichtungen vorzunehmen sind oder wenn höhere Gewalt vorliegt, jedoch nur soweit es erforderlich ist, um eine ernstliche Störung des regelmässigen Betriebes zu verhüten.

Artikel 4.

Die in Artikel 2 festgesetzte Arbeitszeit kann bei Arbeiten, die ihrer Natur nach einen ununterbrochenen Fortgang mit Schichtenwechsel erfordern, unter der Bedingung überschritten werden, dass die Arbeitszeit durchschnittlich sechsundfünfzig Stunden wöchentlich nicht übersteigt. Durch diese Bestimmung wird der Anspruch der Arbeiter auf die freie Zeit, die ihnen etwa nach den Landesgesetzen als Ersatz für den wöchentlichen Ruhetag zugesichert ist, nicht berührt.

Artikel 5.

Erweisen sich die Bestimmungen des Artikels 2 über die Arbeitszeit ausnahmsweise als undurchführbar, aber nur in diesem Fall, kann durch Vereinbarungen zwischen Arbeiter- und Arbeitgeberverbänden die tägliche Arbeitszeit auf der Grundlage eines für einen längern Zeitraum aufgestellten Arbeitsplanes geregelt werden, sofern jenen Vereinbarungen von der Regierung, der sie vorzulegen sind, die Kraft von Verordnungen gegeben wird.

Die durchschnittliche Arbeitszeit, berechnet auf die Zahl der im Plan festgesetzten Wochen, darf unter keinen Umständen achtundvierzig Stunden wöchentlich übersteigen.

Artikel 6.

Die Behörden können durch Verordnungen für einzelne Gewerbe oder Berufe zulassen:

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a. dauernde Ausnahmen für Vorbereitungs- oder Hilfsarbeiten, die notwendigerweise ausserhalb der für den Betrieb allgemein festgesetzten Arbeitszeit vorgenommen werden müssen, oder für gewisse Gruppen von Arbeitern, deren Arbeit ihrem Wesen nach Unterbrechungen erfährt; b. vorübergehende Ausnahmen bei aussergewöhnlicher Häufung der Arbeit.

Derartige Verordnungen dürfen erst nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeiterverbände, falls solche bestehen, erlassen werden. Sie müssen für jeden einzelnen Fall die Höchstzahl der zulässigen Überstunden vorschreiben. Diese Überstunden müssen mindestens um fünfundzwanzig vom Hundert höher bezahlt werden.

Artikel 7.

Jede Eegierung hat dem Internationalen Arbeitsamt zu übersenden: a. ein Verzeichnis der Arbeiten, die im Sinn des Artikels 4 ihrer Natur nach einen ununterbrochenen Betrieb erheischen; fe. eingehende Mitteilungen über die im Artikel 5 vorgesehenen Vereinbarungen ; c. eingehende Mitteilungen über die auf Grund des Artikels 6 erlassenen Verordnungen und ihre Anwendung.

Das Internationale Arbeitsamt hat der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation alljährlich einen Bericht darüber zu erstatten.

Artikel 8.

Um die Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens zu erleichtern, muss jeder Arbeitgeber: a. durch Anschläge an gut sichtbarer Stelle im Betrieb oder an einem andern geeigneten Ort, oder auf sonst eine von der Eegierung genehmigte Weise Beginn und Schluss der Arbeitsstunden oder bei Schichtarbeit Beginn und Schluss jeder Schicht bekanntgeben. Die Arbeitsstunden müssen so festgesetzt werden, dass sie die in diesem Übereinkommen vorgeschriebenen Grenzen nicht überschreiten und dürfen, einmal bekannt gemacht, nur in der von der Eegierung genehmigten Art und Weise abgeändert werden; b. in gleicher Weise die während der Arbeit gewährten Buhepausen, die nicht als Arbeitszeit gelten, bekanntgeben;

540

e. alle auf Grund der Artikel 3 und 6 dieses Übereinkommens geleisteten Überstunden in ein Verzeichnis eintragen, nach den Vorschriften der Landesgesetze oder der Verordnungen der zuständigen Behörde.

Die Beschäftigung einer Person ausserhalb der nach Absatz a festgesetzten Arbeitsstunden oder während der nach Absatz b festgesetzten Buhepausen gilt als ungesetzlich.

Artikel 9.

Für die Anwendung dieses Übereinkommens auf Japan gelten folgende Änderungen und Bestimmungen : a. Als «gewerbliche Betriebe» gelten insbesondere: die in Artikel l, Absatz a aufgezählten Betriebe; die in Artikel l, Absatz b aufgezählten Betriebe, sofern sie mindestens zehn Personen beschäftigen; die in Artikel l, Absatz c aufgezählten Betriebe, sofern sie von der zuständigen Behörde als «Fabriken» bezeichnet werden; die in Artikel l, Absatz d aufgezählten Betriebe mit Ausnahme der Beförderung von Personen oder Gütern auf Strassen, des Verkehrs mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen, Werften und in Lagerhäusern, sowie der Handbeförderung, und ohne Rücksicht auf die Zahl der beschäftigten Personen diejenigen in Artikel l, Absatz b und c aufgezählten gewerblichen Betriebe, die von der zuständigen Behörde als sehr gefährlich oder als gesundheitsschädlich bezeichnet werden.

b. Die tatsächliche Arbeitszeit von Personen im Alter von mindestens fünfzehn Jahren, die in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder deren Nebenbetrieben beschäftigt sind, darf siebenundfünfzig Stunden wöchentlich nicht überschreiten, abgesehen von der Bohseidenindustrie, in der die Höchstarbeitszeit sechzig Stunden wöchentlich betragen darf.

c. Die tatsächliche Arbeitszeit von Personen unter fünfzehn Jahren, die in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder deren Nebenbetrieben beschäftigt sind, und von Personen ohne Altersunterschied, die Bergwerksarbeit unter Tag verrichten, darf achtundvierzig Stunden wöchentlich nicht überschreiten.

d. Die Höchstarbeitszeit kann im Sinne der Artikel 2, 8, 4 und 5 dieses Übereinkommens abgeändert werden; doch darf die bewilligte Verlängerung im Verhältnis zur normalen Arbeitswoche

541

nicht grösser sein als diejenige, die sich aus den Bestimmungen der erwähnten Artikel ergibt.

e. Allen Arbeitern ohne Unterschied ist eine wöchentliche ununterbrochene Euhezeit von vierundzwanzig Stunden zu gewähren.

/. Die Bestimmung der japanischen Fabrikgesetzgebung, wonach diese nur für Betriebe gilt, in denen mindestens fünfzehn Personen beschäftigt sind, ist dahin abzuändern, dass sie künftig auf Betriebe, in denen mindestens zehn Personen beschäftigt sind, Anwendung finden soll.

g. Es treten in Kraft: die vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels spätestens am 1. Juli 1922, die durch Absatz d dieses Artikels abgeänderten Bestimmungen des Artikels 4 spätestens am 1. Juli 1923.

h. Die in Absatz o dieses Artikels vorgesehene Altersgrenze voa fünfzehn Jahren wird spätestens am 1. Juli 1925 auf sechzehn Jahre erhöht.

Artikel 10.

In Britisch-Indien wird der Grundsatz der Sechzigstundenwoche für alle Arbeiter derjenigen Gewerbe eingeführt werden, welche gegenwärtig unter die Fabrikgesetzgebung fallen, deren Vollzug der indischen Eegierung obliegt, ferner für die Bergwerke, sowie für diejenigen Arten von Eisenbahnarbeiten, die von deç zuständigen Behörde bestimmt werden. Diese Behörde darf Abänderungen der hier festgesetzten Grenze nur unter Beobachtung der in den Artikeln 6 und 7 dieses Übereinkommens enthaltenen Bestimmungen bewilligen .

Im übrigen gelten die Bestimmungen dieses Übereinkommens nicht für Indien; dagegen soll eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit an einer spätem Tagung der Allgemeinen Konferenz erwogen werden.

Artikel 11.

Für China, Persien und Siam gelten die Bestimmungen dieses Übereinkommens nicht ; dagegen soll die Festsetzung der Arbeitszeit in diesen Ländern an einer spätem Tagung der Allgemeinen Konferenz erwogen werden.

Artikel 12.

In Griechenland kann das nach Art. 19 vorgesehene Inkrafttreten dieses Übereinkommens hinausgeschoben werden, und zwar auf den 1. Juli 1923 für die folgenden gewerblichen Betriebe:

542

1. Schwefelkohlenstoffabriken, 2. Säutefabriken, 3. Gerbereien, 4. Papierfabriken, 5. Druckereien, 6. Sägereien, 7. Tabaklagerhäuser und Betriebe zur Verarbeitung des Tabaks, 8. Arbeiten über Tag in Bergwerken, 9. Giessereien, 10. Kalkwerke, 11. Färbereien, 12. Glashütten (Bläser), 13. Gaswerke (Heizer), 14. Auf- und Abladen von Waren, und spätestens auf den 1. Juli 1924 für die folgenden gewerblichen Betriebe : 1. Mechanische Gewerbe: Maschinenbau, Herstellung von Geldschränken, Wiegevorrichtungen, Betten, Nägeln, Jagdschrot, Eisen- und Bronzegiessereien, Klempnerei, Verzinnanstalten, Herstellung hydraulischer Apparate; 2. Baugewerbe: Kalköfen, Zement- und Gipsfabriken, Ziegeleien, Backsteinbrennereien, Fliesenfabriken, Töpfereien, Marmorwerke, Erd- und Bauarbeiten; 3. Faserstoffgewerbe: Spinnereien und Webereien jeder Art, mit Ausnahme der Färbereien; 4. Nahrungsfflittelgewerbe : Getreidemühlen, Bäckereien, Teigwaren, abriken, Weinkellereien, Alkohol- und Getränkefabriken, ölfabriken, Brauereien, Eis- und Mineralwasserfabriken, Zuckerwaren- und Schokoladefabriken, Wurst und Konservenfabriken, Schlachthäuser und Metzgereien; 5. Chemische Industrie: Fabriken zur Herstellung synthetischer Farben, Glashütten (mit Ausnahme der Bläser), Terpentinölund Weinsteinfabriken, Sauerstoffabriken und Fabriken zur Herstellung pharmazeutischer Produkte, Leinölfabriken, Glyzerinfabriken, Kalziumkarbidfabriken, Gaswerke (mit Ausnahme der Heizer); 6. Lederverarbeitung: Schuhfabriken, Lederwarenfabriken; 7. Papier- und Buchdruckereigewerbe: Briefumschlag-, Geschäftsbücher-, Schachtel- und Tütenfabriken, Buchbindereien, Steindruckereien und Zinkätzanstalten;

548

8. Bekleidungsgewerbe: Näh- und Weissnähwerkstätten, Plättanstalten, Bettdecken-, Kunstblumen-, Federn- und Posamentenfabriken, Hut- und Schirmfabriken; 9. Holzverarbeitungsgewerbe: Tischlereien, Küfereien, Wagenfabriken, Möbel- und Stuhlfabriken, Einrahmewerkstätten, Bürsten- und Besenfabriken; 10. Elektrische Industrie: Kraftwerke, Werkstätten für elektrische Einrichtungen ; 11. Beförderung zu Lande: Eisenbahn- und Strassenbahnangestellte, Chauffeure, Kutscher und Wagenführer.

Artikel 13.

In Rumänien kann das nach Artikel 19 vorgesehene Inkrafttreten dieses Übereinkommens auf den 1. Juli 1924 hinausgeschoben werden.

Artikel 14.

Die Bestimmungen dieses Übereinkommens können in jedem Lande durch die Regierung im Fall eines Krieges oder anderer Ereignisse, welche die Landessicherheit gefährden, ausser Kraft gesetzt werden.

Artikel 15.

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles vom 28. Juni 1919 und des Vertrages von Saint-Germain vom 10. September 1919 dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 16.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es für diejenigen seiner Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten : a. die Anwendbarkeit des Übereinkommens darf nicht durch die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein; b. die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

544

Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt seine Entschliessung hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.

Artikel 17.

Sobald die Eatifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit.

Artikel 18.

Dieses Übereinkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem die Mitteilung durch den Generalsekretär des Völkerbundes stattgefunden hat. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, die ihre Eatifikation beim Sekretariat haben eintragen lassen. In der Folge tritt für jedos andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 19.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, seine Bestimmungen spätestens am 1. Juli 1921 zur Anwendung zu bringen und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

' Artikel 20.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 21.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 22.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

540

Entwurf eines Obereinkommens betreffend die Arbeitslosigkeit.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Kegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf.ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Mittel zur Verhütung der Arbeitslosigkeit und zur Bekämpfung ihrer Folgen», eine Frage, die den zweiten Verhandlungsgegenstand der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen, nimmt den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an, das den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrage von Versailles vom 28.

Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919 rar Ratifizierung vorzulegen ist: Artikel 1.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat dem Internationalen Arbeitsamt in möglichst kurzen Zeiträumen, jedenfalls aber mindestens alle drei Monate, sämtliche verfügbaren statistischen oder anderweitigen Aufschlüsse über die Arbeitslosigkeit zu geben, Inbegriffen die Massnahmen, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit getroffen oder in Aussicht genommen sind. Die Unterlagen sind, wenn immer möglich, so zeitig zu beschaffen, dass der Bericht innerhalb dreier Monate nach Ablauf des Zeitraumes, auf den er sich bezieht, erstattet werden kann.

Bundeablatt. 72. Jahrg. Bd. Y.

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546 Artikel 2.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat ein System öffentlicher Arbeitsnachweisstellen einzurichten, die unter der Aufsicht einer Zentralbehörde stehen und unentgeltlich arbeiten.

Zur Begutachtung aller die Tätigkeit dieser Stellen betreffenden Angelegenheiten sind Ausschüsse zu bilden, in denen Arbeitgeber und Arbeiter vertreten sein müssen.

Wenn unentgeltliche öffentliche und private Arbeitsnachweise nebeneinander bestehen, sind Massnahmen für ein Zusammenarbeiten nach einem das ganze Land umfassenden Plan zu treffen.

Das Internationale Arbeitsamt hat im Einverständnis mit den beteiligten Ländern auf ein planmässiges Zusammenarbeiten der Arbeitsnachweise der einzelnen Länder hinzuwirken.

Artikel 3.

Die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, die dieses Übereinkommen ratifiziern und eine Arbeitslosenversicherung eingeführt haben, haben -- unter Bedingungen, die zwischen den beteiligten Mitgliedern vereinbart werden -- Massnahmen zu treffen, welche hinsichtlich der Versicherungsleistungen die Gleichbehandlung ihrer Angehörigen, die auf dem Gebiet des andern Staates arbeiten, gewährleisten.

Artikel 4.

Die förmlichen Batifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles vom 28. Juni 1919 und des Vertrages von Saint-Germain vom 10. September 1919 dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 5.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es für diejenigen seiner Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten : a. die Anwendbarkeit des Übereinkommens darf nicht durch, die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein; b. die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

547: Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt seine Entschliessung hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.

...

..

Artikel 6..

Sobald die Eatifikation durch drei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit.

Artikel 7.

Dieses Übereinkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem die Mitteilung durch den Generalsekretär des Völkerbundes stattgefunden hat. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, die ihre Batifikation beim Sekretariat haben eintragen lassen. In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 8.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, seine Bestimmungen spätestens am 1. Juli 1921 zur Anwendung zu bringen und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Artikel 9.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 10.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten

548

und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 11.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

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Vorschlag betreffend die Arbeitslosigkeit.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Mittel zur Verhütung der Arbeitslosigkeit und zur Bekämpfung ihrer Folgen», eine Frage, die den zweiten Verhandlungsgegenstand der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Vorschlages zu fassen, nimmt den nachstehenden Vorschlag an, der den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen ist zu dem Zweck, ihn auf dem Weg der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten zu lassen, entsprechend den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919: I.

Die Allgemeine Konferenz schlägt vor, jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation möge Massnahmen treffen, um die Errichtung von Arbeitsuachweisstellen zu untersagen, die gegen Gebühr oder gewerbsmässig arbeiten.

Die Konferenz schlägt ferner vor, die Tätigkeit schon bestehender derartiger Arbeitsnachweisstellen von einer Erlaubnis der Eegierung abhängig zu machen und alle Massnahmen zu treffen, tun sie sobald als möglich aufzuheben.

II.

Die Allgemeine Konferenz schlägt den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation vor, die Anwerbung von Arbeitergrappen in einem Lande zurfcBeschäftigung in einem andern Lande

S50

nur auf Grund einer gegenseitigen Verständigung zwischen den beteiligten Staaten und nach Befragung der Arbeitgeber und der Arbeiter der beteiligten Gewerbe jedes Landes zu-erlauben.

III.

Die Allgemeine Konferenz schlägt vor, jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation möge eine wirksame Arbeitslosenversicherung einführen, sei es durch eine staatliche Einrichtung, sei es durch Beiträge des Staates an Verbände, deren Satzungen die Leistung von Arbeitslosenentschädigungen an ihre Mitglieder vorsehen.

IV.

Die Allgemeine Konferenz schlägt vor, jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation möge die Ausführung der öffentlichen Arbeiten so regem, dass sie, soweit als möglich, in Zeiten der Arbeitslosigkeit und in den besonders davon betroffenen Gegenden vorgenommen werden.

551

Vorschlag betreffend die Gegenseitigkeit in der Behandlung der ausländischen Arbeiter.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Mittel zur Verhütung der Arbeitslosigkeit und zur Bekämpfung ihrer Folgen», eine Frage, die den zweiten Verhandlungsgegenstand der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Vorschlages zu fassen, nimmt den nachstehenden Vorschlag an, der den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen ist zu dem Zweck, ihn auf dem Weg der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten zu lassen, entsprechend den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 and im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919: Die Allgemeine Konferenz schlägt vor, jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation möge --- auf Grundlage der Gegenseitigkeit und gemäss den im gemeinsamen Einverständnis zwischen den beteiligten Ländern festzusetzenden Bedingungen -- den auf seinem Gebiete beschäftigten ausländischen Arbeitern und ihren Familien die Wohltat der eigenen Arbeiterschutzgesetzgebung zusichern und ihnen das Koalitionsrecht gewährleisten innerhalb der gesetzlichen Grenzen, die für die einheimische Arbeiterschaft gelten.

552

Entwurf eines Obereinkommens betreffend die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Begierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft (inbegriffen die Frage der Wöchnerinnenunterstützung)», eine Frage, die einen Teil des dritten Verhandlungsgegenstandes der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen, nimmt den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an, das den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrage von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrage von Saint-Germain vom 10. September 1919 zur Katifizierung vorzulegen ist.

Artikel 1.

Als «gewerbliche Betriebe» im Sinne dieses Übereinkommen* gelten insbesondere: ° a. Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen; 6. Gewerbe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt, .verkaufsbereit gemacht oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, mit Einschluss des Schiffbaues, der Abbruchunternehmungen, der Erzeugung, Umformung und Übertragung von motorischer Kraft irgendwelcher Art und von Elektrizität;

553

c. der Bau, der Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, der Umbau oder der Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Strassenbahnen, Häfen, Docks, Dämmen, Kanälen, Anlagen für die Binnenschiffahrt, Strassen, Tunneln, Brücken, Strassenüberführungen, Abwasserkanälen, Brunnenschächten, Telegraph- und Telephonanlagen, elektrischen Anlagen, Gas- und Wasserwerken und andern Bauarbeiten sowie die dazu nötigen Vor- und Grundarbeiten; d. die Beförderung von Personen oder Gütern auf Strassen, Eisenbahnen, Binnengewässern oder zur See, Inbegriffen der Verkehr mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen, Werften und in Lagerhäusern, mit Ausnahme der Handbeförderung.

Als «Handelsbetrieb» im Sinne dieses Übereinkommens gilt jede Stelle, an der Waren verkauft werden oder Handel getrieben wird.

In jedem Land bestimmt die zuständige Behörde die Grenze »wischen Gewerbe und Handel einerseits und Landwirtschaft anderseits.

Artikel 2.

Im Sinne dieses Übereinkommens gilt als «Frau» jede Person weiblichen Geschlechts ohne Unterschied des Alters oder der Staatsangehörigkeit, gleichviel ob sie verheiratet oder ledig ist, und als «Kind» jedes Kind, gleichviel ob es ehelich oder unehelich ist.

Artikel 8.

In allen öffentlichen oder privaten gewerblichen oder Handelsbetrieben oder deren Nebenbetrieben -- mit Ausnahme derjenigen, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt sind -- o. darf eine Frau während sechs Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden; b. ist eine Frau berechtigt, die Arbeit zu verlassen, wenn sie ein ärztliches Zeugnis beibringt, dass ihre Niederkunft voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird; e. erhält jede Frau während ihrer gemäss Absatz a und b dauernden Abwesenheit eine Unterstützung, die ausreicht, um sie und ihr Kind in guten gesundheitlichen Verhältnissen zu erhalten. Diese Unterstützung, deren genauer Betrag durch die zuständige Behörde jedes Landes festzusetzen ist, ist entweder aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten oder durch eine Versicherung aufzubringen. Ausserdem hat die Frau Anspruch

554

auf unentgeltliche Behandlung durch einen Arzt oder eine Hebamme. Irrt sich der Arzt oder die Hebamme in der Berechnung der Zeit der Niederkunft, so hat die Frau dennoch Anspruch auf diese Unterstützung von dem aus dem ärztlichen Zeugnis sich ergebenden Zeitpunkt an bis zu ihrer Entbindung; d. ist jeder Frau, die ihr Kind selber nährt, während der Arbeitszeit zum Stillen täglich zweimal je eine halbe Stunde frei zu geben.

Artikel 4.

Verlässt eine Frau gemäss Absatz a und b von Artikel 3 dieses Übereinkommens ihre Arbeit oder bleibt sie ihr während längerer Zeit infolge einer Krankheit fern, die durch ärztliches Zeugnis als Folge ihrer Schwangerschaft oder Niederkunft erklärt worden ist und die sie zur Wiederaufnahme der Arbeit unfähig macht, so darf der Arbeitgeber ihr weder während der Abwesenheit noch auf einen solchen Zeitpunkt kündigen, dass die Kündigungsfrist während ihrer Abwesenheit abläuft, sofern letztere nicht eine von der zuständigen Behörde des Landes festzusetzende Höchstdauer überschreitet.

Artikel 5.

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles vom 28. Juni 1919 und des Vertrages von Saint-Germain vom 10. September 1919 dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 6.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es für diejenigen seiner Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten: a. die Anwendbarkeit des Übereinkommens darf nicht durch die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein; &. die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt seine Entschliessung hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.

555

Artikel 7.

Sobald die Eatifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit.

Artikel 8.

Dieses Übereinkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem die Mitteilung durch den Generalsekretär des Völkerbundes stattgefunden hat. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, die ihre Ratifikation beim Sekretariat haben eintragen lassen. In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen ·worden ist.

Artikel 9.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, seine Bestimmungen spätestens am 1. Juli 1922 zur Anwendung zu bringen und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

x Artikel 10.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert- hat, kann ·es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 11.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 12.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

556

Entwurf eines Obereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Frauen.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener' Anträge betreffend «die Nachtarbeit der Frauen», eine Präge, die einen Teil des dritten Verhandlungsgegenstandes der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen, nimmt den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an, das den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919 zur Ratifizierung vorzulegen ist: Artikel 1.

Als «gewerbliche Betriebe» im Sinne dieses Übereinkommen« gelten insbesondere: a. Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen; b. Gewerbe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt, verkaufsbereit gemacht oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, mit Einschluss des Schiffbaues, der Abbruchunternehmungen, der Erzeugung, Umformung und Übertragung von motorischer Kraft irgendwelcher Art und von Elektrizität; e. der Bau, der Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, der Umbau oder der Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Strassenbahnen, Häfen, Docks, Dämmen, Kanälen,

557

Anlagen für die Binnenschiffahrt, Strassen, Tunneln, Brücken, Strassenüberführungen, Abwasserkanälen, Brunnenschächten, Telegraph- und Telephonanlagen, elektrischen Anlagen, Gasund Wasserwerken und andern Bauarbeiten sowie die dazu nötigen Vor- und Grundarbeiten.

In jedem Land bestimmt die zuständige Behörde die Grenze zwischen Gewerbe einerseits, Handel und Landwirtschaft anderseits.

Artikel 2.

Als «Nacht» im Sinne dieses Übereinkommens gilt ein Zeitraum von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliesst.

In den Ländern, in denen die Nachtarbeit der Frauen in gewerblichen Betrieben noch nicht gesetzlich geregelt ist, kann für eine Übergangsfrist von höchstens drei Jahren von der Eegierung bestimmt werden, dass unter «Nacht» ein Zeitraum von nur zehn Stunden EU verstehen ist, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliesst.

Artikel 3.

Frauen ohne Unterschied des Alters dürfen während der Nacht in öffentlichen oder privaten gewerblichen .Betrieben oder deren Nebenbetrieben nicht beschäftigt werden. Dies gilt nicht für Betriebe, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt sind.

Artikel 4.

Artikel 8 findet keine Anwendung: o. im Fall einer nicht vorherzusehenden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsunterbrechung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist; b. in den Fällen, wo es sich um die Verarbeitung von Eohstoffen oder um die Bearbeitung von Gegenständen handelt, die einem sehr raschen Verderben ausgesetzt sind, wenn es zur Verhütung eines sonst unvermeidlichen Verlustes an diesen Eohstoffen oder Gegenständen^erforderlich ist.

Artikel 5.

In Indien und Siam kann die Anwendung des Artikels 8 dieses Übereinkommens durch die Eegierung aufgehoben werden, ausser für Fabriken im Sinne der Begriffsbestimmung der Landesgesetzgebung. Von jeder derartigen Ausnahme ist dem Internationalen Arbeitsamt Mitteilung zu machen.

558

Artikel 6.

In den dem Einfluss der Jahreszeiten unterworfenen gewerblichen Betrieben sowie in allen Fällen, in denen ausserordentliche Umstände es erheischen, kann die in Artikel 2 'angegebene Dauer der Nacht an sechzig Tagen im Jahr auf zehn Stunden herabgesetzt werden.

Artikel 7.

In den Ländern, in denen das Klima die Arbeit am Tage besonders mühsam macht, kann die Nacht kürzer bemessen werden, als in den vorhergehenden Artikeln bestimmt ist, vorausgesetzt, dass am Tag als Ersatz eine entsprechende Ruhezeit gewährt wird.

Artikel 8.

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles vom 28. Juni 1919 und des Vertrages von Saint-Germain vom 10. September 1919 dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 9.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es für diejenigen seiner Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten : a. die Anwendbarkeit des Übereinkommens darf nicht durch die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein; 6. die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt seine Entschliessung hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.

Artikel 10.

Sobald die Ratifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit.

559

Artikel 11.

Dieses Übereinkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem die Mitteilung -durch den Generalsekretär des Völkerbundes stattgefunden hat. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, die ihre Eatifikation beim Sekretariat haben eintragen lassen. In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 12.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, seine Bestimmungen spätestens am 1. Juli 1922 zur Anwendung zu bringen und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Artikel 18.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 14.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 15.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

560

Vorschlag betreffend die Verhütung des Milzbrandes.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Beschäftigung der Frauen bei gesundheitsschädlichen Arbeiten», eine Frage, die einen Teil des dritten Verhandlungsgegenstandes der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Vorschlages zu fassen, nimmt den nachstehenden Vorschlag an, der den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen ist zu dem Zweck, ihn auf dem Weg der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten zu lassen, entsprechend den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919: Die Allgemeine Konferenz schlägt den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation vor, zur Entseuchung milzbrandkeimverdächtiger Wolle geeignete Massn.ahmen, sei es im Ursprungsland, sei es, falls dies nicht angeht, im Löschungshafen des Einfuhrlandes zu treffen.

561

Vorschlag betreffend den Schutz der Frauen und Jugendlichen gegen Bleivergiftung.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Beschäftigung der Frauen und Jugendlichen bei gesundheitsschädlichen Arbeiten», eine Frage, die einen Teil des dritten und vierten Verhandlungsgegenstandes der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Vorschlages zu fassen, nimmt den nachstehenden Vorschlag an, der den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen ist zu dem Zweck, ihn auf dem Weg der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten zu lassen, entsprechend den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919: Die Allgemeine Konferenz schlägt den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation vor, mit Rücksicht auf die Gefahren, welche gewisse gewerbliche Arbeiten für die Mutterschaft der Frauen sowie für die körperliche Entwicklung der Jugendlichen in sich schliessen, die Beschäftigung der Frauen und der Jugendlichen unter achtzehn Jahren bei den folgenden Arbeiten zu untersagen: a. Arbeiten an den Öfen zur Eeduktion von Zink- und Bleierzen ; b. Verarbeitung, Behandlung oder Eeduktion bleihaltiger Aschen und Bntsilberung des Bleies; c. Schmelzen von Blei oder Altzink im Grossen; d. Herstellung von Lot oder Legierungen mit einem Bleigehalt von mehr als zehn Prozent; Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

·

37

562

e. Herstellung von Bleiglätte, Bleigelb, Mennige, Bleiweiss, Orangenmennige, Bleisulfat, Bleichromat oder Bleisilikat (Fritten); /. Mischen und Einstreichen der Füllmasse bei der Herstellung und Ausbesserung von elektrischen Akkumulatoren; g. Eeinigen der Arbeitsräume, in denen die genannten Arbeiten ausgeführt werden.

Die Konferenz schlägt ausserdem vor, die Beschäftigung der Frauen und der Jugendlichen unter achtzehn Jahren mit Arbeiten, bei denen Bleiverbindungen verwendet werden, nur unter folgenden Bedingungen zu gestatten: a. Staub und Dämpfe sind gleich bei ihrem Entstehen durch Absaugung zu beseitigen; b. Werkzeuge und Arbeitsräume sind sauber zu halten; c. sämtliche Bleivergiftungsfälle sind der zuständigen Behörde anzuzeigen und die betreffenden Personen zu entschädigen; d. mit den genannten Arbeiten beschäftigte Peisonen sind regelmässig ärztlich zu untersuchen; e. ausreichende und zweckmässige Ankleide-, Wasch- und Speiseräume und besondere Schutzkleider sind zur Verfügung zu stellen ; f. das Mitbringen von Speisen und Getränken in die Arbeitsräume ist zu verbieten.

Die Konferenz schlägt weiter vor, in denjenigen Gewerben, in denen sich lösliche Bleivergiftungen durch ungiftige Stoffe ersetzen lassen, die Verwendung dieser löslichen Bleiverbindungen strengeren Bestimmungen zu unterwerfen.

Als löslich im Sinne dieses Vorschlages gilt eine Bleiverbindung, wenn mehr als fünf Prozent ihres Gewichts (gerechnet als metallisches Blei) in einer viertelprozentigen wässerigen Lösung von Salzsäure löslich sind.

568

Vorschlag betreffend die Schaffung eines öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Die Allgemeine Konferenz der Inernationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Beschäftigung der Frauen bei gesundheitsschädlichen Arbeiten», eine Frage, die einen Teil des dritten Verhandlungsgegenstandes der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Vorschlages zu fassen, nimmt den nachstehenden Vorschlag an, der den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation vorzulegen ist zu dem Zweck, ihn auf dem Weg der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten zu lassen, entsprechend den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919: mS

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|Die Allgemeine Konferenz schlägt vor, jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation möge, falls es nicht schon geschehen ist, sobald als möglich nicht nur eine wirksame Gewerbeaufsicht, sondern ausserdem auch einen besondern mit dem Schutze der Gesundheit der Arbeiter betrauten öffentlichen Dienst einrichten, der mit dem Internationalen Arbeitsamt in Verbindung tritt.

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Entwurf eines Übereinkommens betreffend das Mindestalter für die Zulassung von Kindern zur gewerblichen Arbeit.

Die Allgemeine Konferenz , der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Beschäftigung der Jugndlichen: Altersgrenze für die Zulassung zur Arbeit», eine Frage, die einen Teil des vierten Verhandlungsgegenstandes der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen, nimmt den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an, das den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 xmd im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919 zur Ratifizierung vorzulegen ist: Artikel 1.

Als «gewerbliche Betriebe» im Sinne dieses Übereinkommeiis gelten insbesondere: a. Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen; b. Gewerbe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt, verkaufsbereit gemacht oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, mit Einschluss des Schiffbaues, der Abbruchunternehmungen, der Erzeugung, Umformung und Übertragung von motorischer Kraft irgendwelcher Art und von Elektrizität;

565

c. der Bau, der Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, der Umbau oder der Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Strassenbahnen, Häfen, Docks, Dämmen, Kanälen, Anlagen für die Binnenschiffahrt, Strassen, Tunneln, Brücken, Strassenüberführungen, Abwasserkanälen, Brunnenschächten, Telegraph- und Telephonanlagen, elektrischen Anlagen, Gas- und Wasserwerken und andern Bauarbeiten sowie die dazu nötigen Vor- und Grundarbeiten; d. die Beförderung von Personen oder Gütern auf Strassen, Eisenbahnen oder Binnengewässern, inbegriffen der Verkehr mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen, Werften und in Lagerhäusern, mit Ausnahme der Handbeförderung.

In jedem Land bestimmt die zuständige Behörde die Grenze zwischen Gewerbe einerseits, Handel und Landwirtschaft anderseits.

Artikel 2.

Kinder unter vierzehn Jahren dürfen in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder deren Nebenbetrieben weder beschäftigt werden noch arbeiten. Dies gilt nicht für Betriebe, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt sind.

Artikel 3.

Die Bestimmungen des Artikels 2 finden keine Anwendung auf die Arbeit der Kinder in Fachschulen, vorausgesetzt, dass diese Arbeit von der Behörde gestattet ist und von ihr überwacht wird.

Artikel 4.

Damit die Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens überwacht werden -kann, hat jeder Inhaber eines gewerblichen Betriebes ein Verzeichnis aller von ihm beschäftigten Personen unter sechzehn Jahren mit Angabe von Jahr und Tag der Geburt zu führen.

Artikel 5.

Bei Anwendung dieses Übereinkommens auf Japan sind folgende Abänderungen des Artikels 2 gestattet: a. Kinder über zwölf Jahre können zur Arbeit zugelassen werden, wenn sie den Volksschulunterricht beendet haben; b. für Kinder von zwölf bis vierzehn Jahren, die bereits beschäftigt werden, können Übergangsbestimmungen getroffen werden.

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Die Bestimmung des bestehenden japanischen Gesetzes, -welche Kinder unter zwölf Jahren zu gewissen leichten Arbeiten zulässt, ist aufzuheben.

Artikel 6.

Die Bestimmungen des Artikels 2 finden keine Anwendung auf Indien. Doch dürfen in Indien Kinder unter zwölf Jahren nicht beschäftigt werden: a. in Fabriken mit motorischem Betrieb, die mehr als zehn Personen beschäftigen; b. in Bergwerken, Steinbrüchen und andern Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen; c. bei der Beförderung von Personen, Gütern oder Postsendungen auf Eisenbahnen und beim Verkehr mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen und Werften, mit Ausnahme der Handbeförderung.

Artikel 7.

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles vom 28. Juni 1919 und des Vertrages von Saint-Germain vom 10. September 1919 dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 8.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es für diejenigen seiner Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten : a. die Anwendbarkeit des Übereinkommens darf nicht durch die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein; b. die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt seine Entschliessung hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen oder Pfotektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.

Artikel 9.

Sobald die Batifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit.

567

Artikel 10.

Dieses Übereinkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem die Mitteilung durch den Generalsekretär des Völkerbundes stattgefunden hat. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, die ihre Ratifikation beim Sekretariat haben eintragen lassen. In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Ratifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist Artikel 11.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, seine Bestimmungen spätestens am 1. Juli 1922 zur Anwendung zu bringen und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Artikel 12.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 18.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 14.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

568

Entwurf eines Übereinkommens betreffend die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend «die Beschäftigung der Jugendlichen: Nachtarbeit», eine Frage, die einen Teil des vierten Verhandlungsgegenstandes-der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in die Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen, nimmt den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens au, das den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gernäss den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919 zur Ratifizierung vorzulegen ist: Artikel 1.

Als «gewerbliche Betriebe» im Sinne dieses Übereinkommens gelten insbesondere: a. Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen; b. Gewerbe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt, verkaufsbereit gemacht oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, mit Einschluss des Schiffbaues, der Abbruchunternehmungen, der Erzeugung, Umformung und Übertragung von motorischer Kraft irgendwelcher Art und von Elektrizität;

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c. der Bau, der Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, der Umbau oder der Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Strassenbahnen, Häfen, Docks, Dämmen, Kanälen, Anlagen für die Binnenschiffahrt, Strassen, Tunneln,.

Brücken, Strassenüberführungen, Abwasserkanälen, Brunnenschächten, Telegraph- und Telephonanlagen, elektrischen Anlagen, Gas- und Wasserwerken und andern Bauarbeiten sowiedie dazu nötigen Vor- und Grundarbeiten; d. die Beförderung von Personen oder Gütern auf Strassen und Eisenbahnen, inbegriffen der Verkehr mit Gütern in Docks, auf Ausladeplätzen, Werften und in Lagerhäusern, mit Ausnahme der Handbeförderung.

In jedem Land bestimmt die zuständige Behörde die Grenze zwischen Gewerbe einerseits, Handel und Landwirtschaft anderseits.

Artikel 2.

Jugendliche unter achtzehn Jahren dürfen während der Nacht in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder deren Nebenbetrieben nicht beschäftigt werden. Dies gilt nicht für Betriebe, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt sind. Ferner gilt folgende Ausnahme: Jugendliche über sechzehn Jahre dürfen während der Nacht in den nachstehenden Betrieben beschäftigt werden mit Arbeiten, die ihrer Natur nach nicht unterbrochen werden können: a. Eisen- und Stahlwerke; Arbeiten, zu denen Eeverberier- und Eegenerativöfen benützt werden, und Verzinkung von Eisenblech und Eisendraht (mit Ausnahme der Glühräume), &. Glashütten, c. Papierfabriken, d. Eohzuckerfabriken, c. Eüduktion des Golderzes.

Artikel 8.

Als «Nacht» im Sinne dieses Übereinkommens gilt ein Zeitraum von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliesst.

In Stein- und Braunkohlengruben dürfen Jugendliche zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr morgens arbeiten, wenn ihnen zwischen zwei Arbeitsschichten in der Eegel fünfzehn Stunden, keinesfalls jedoch weniger als dreizehn Stunden Euhe gewährt werden.

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In Ländern, in denen die Nachtarbeit im Bäckergewerbe für alle Arbeiter gesetzlich verboten ist, kann statt der nächtlichen Arbeitsruhe von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens eine Arbeitsruhe von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens festgesetzt werden.

In denjenigen tropischen Ländern, in denen die Arbeit um die Tagesmitte unterbrochen wird, kann die Dauer der Nacht weniger als elf Stunden betragen, wenn am Tag als Ersatz eine entsprechende Buhezeit gewährt wird.

Artikel 4.

Die Bestimmungen der Artikel 2 und 3 finden keine Anwendung auf die Nachtarbeit Jugendlicher von sechzehn bis achtzehn Jahren im Fall einer nicht vorherzusehenden oder zu verhindernden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsstörung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist.

Artikel 5.

Bei der Durchführung dieses Übereinkommens in Japan findet Artikel 2 bis zum 1. Juli 1925 nur auf Jugendliche unter fünfzehn Jahren, und von da ab nur auf Jugendliche unter sechzehn Jahren Anwendung.

Artikel 6.

Bei der Durchführung dieses Übereinkommens in Indien bedeutet der Ausdruck «gewerbliche Betriebe» lediglich «Fabriken» im Sinne des indischen Fabrikgesetzes; ferner findet Artikel 2 keine Anwendung auf männliche Jugendliche über vierzehn Jahre.

Artikel 7.

Das Verbot der Nachtarbeit kann für Jugendliche von sechzehn bis achtzehn Jahren von der Behörde ausser Kraft gesetzt werden, wenn es das öffentliche Interesse infolge besonders zwingender Gründe erfordert.

Artikel 8.

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages .von Versailled vom 28. Juni 1919 und des Vertrages von Saint-Germain vom 10. September 1919 dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

571

Artikel 9.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es für diejenigen seiner Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, in Kraft zu setzen, jedoch unter den folgenden Vorbehalten : a. die Anwendbarkeit des Übereinkommens darf nicht durch die örtlichen Verhältnisse ausgeschlossen sein; i>. die für die Anpassung des Übereinkommens an die örtlichen Verhältnisse erforderlichen Abänderungen dürfen ihm eingefügt werden.

Jedes Mitglied hat dem Internationalen Arbeitsamt seine Entschliessung hinsichtlich seiner einzelnen Kolonien, Besitzungen oder Protektorate, die keine völlige Selbstregierung haben, mitzuteilen.

Artikel 10.

Sobald die Eatifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit.

Artikel 11.

Dieses Übereinkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem die Mitteilung durch den Generalsekretär des Völkerbundes stattgefunden hat. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, die ihre Eatifikation beim Sekretariat haben eintragen lassen. In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 12.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, seine Bestimmungen spätestens am 1. Juli 1922 zur Anwendung zu bringen und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Artikel 13.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

572

Artikel 14.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 15.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

573

Vorschlag betreffend die Anwendung des im Jahr 1906 in Bern abgeschlossenen internationalen Übereinkommens über das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, einberufen von der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf den 29. Oktober 1919 nach Washington, gestützt auf ihren Beschluss über die Annahme eines Antrages betreffend «die Ausdehnung 'und die Anwendung des im Jahr 1906 in Bern abgeschlossenen internationalen Übereinkommens über das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie», eine Frage, die einen Teil des fünften Verhandlungsgegenstandes der Konferenz von Washington bildete, gestützt ferner auf ihren Beschluss, diesen Antrag in die Form eines Vorschlages zu fassen, nimmt den nachstehenden Vorschlag an, der den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen ist zu dem Zweck, ihn auf dem Weg der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten zu lassen, entsprechend den Bestimmungen über die Arbeit im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 und im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919: Die Allgemeine Konferenz schlägt vor, jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation möge, sofern es nicht schon geschehen ist, dem im Jahr 1906 in Bern abgeschlossenen internationalen Übereinkommen über das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie beitreten.

--Sî~-

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschlüsse der ersten internationalen Arbeitskonferenz, abgehalten in Washington vom 29. Oktober bis 29.

November 1919. (Vom 10. Dezember 1920.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1920

Année Anno Band

5

Volume Volume Heft

51

Cahier Numero Geschäftsnummer

1332

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

15.12.1920

Date Data Seite

433-573

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10 027 771

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