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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die ,, Ausländerinitiative".

(Vom 20. August 1920.)

Anfangs März 1920 sind der Bundeskanzlei 60,927 Unterschriften von Schweizerbürgern eingereicht worden, die folgende Begehren stellen : \

I.

Der Absatz 2 des Art. 44 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 wird aufgehoben und durch nachstehende Bestimmungen ersetzt : ,,Art. 44 bis. Ein Ausländer erlangt das Schweizerbürgerrecht durch die Erwerbung eines Gemeinde- und Kantonsbürgerrechts.

Er muss hierzu vorerst die Bewilligung des Bundesrates nachsuchen.

Diese darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer im Laufe der 15 Jahre, die seinem Gesuche vorausgegangen sind, während wenigstens 12 Jahren, wovon 2 Jahre unmittelbar vor der Einreichung des Gesuches, seinen tatsächlichen Wohnsitz in der Schweiz gehabt hat.

Diese Beschränkung gilt nicht für die Ehefrau, die .von Eechts wegen das Bürgerrecht des Ehemannes erlangt, und für Kinder unter 15 Jahren, wenn sie mit den Eltern eingebürgert werden.

Eingebürgerte Ausländer, die in der Zeit vom zurückgelegten fünften Altersjahre bis zur Erlangung der Mündigkeit nicht während wenigstens 12 Jahren ihren tatsächlichen Wohnsitz in der Schweiz gehabt haben, besitzen die Fähigkeit, in die politischen Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden gewählt zu werden, nicht; dagegen haben sie gleich den übrigen Schweizerbürgern das Recht zu stimmen und zu wählen*). Der Bundesrat prüft und entscheidet bei Erteilung der Einbürgerungsbewilligung darüber, ob der Neubürger nach dieser Bestimmung in die politischen Behörden wählbar ist.

*) Die Worte ,,dagegen haben sie gleich den übrigen Schweizerbürgern das Recht zu stimmen und zu wählen" fehlen im französischen Originaltext des Initiativbegehrens.

139 Im übrigen werden die Bedingungen für die Erteilung des Schweizerbürgerrechts durch die Bundesgesetzgebung bestimmt. Diese soll -die Einbürgerung der in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen Ausländer erleichtern; sie kann vorschreiben, dass solche Ausländer von Gesetzes wegen Schweizerbürger werden.

· · · Die Bundesgesetzgebung bestimmt ferner auch die Bedingungen, unter denen ein Schweizer zum Zwecke der Einbürgerung im Auslande auf sein Bürgerrecht verzichten kann."

II.

Art.'70 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 wird wie folgt abgeändert : ,,Der Bund hat das B,echt und die Pflicht, Ausländer, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft odej die Wohlfahrt des Schweizervolkes gefährden, aus dem Gebiete der Schweiz wegzuweisen.

, , Als solche Gefährdung gilt insbesondere die Teilnahme an verfassungswidrigen Umtrieben oder an politischen Unternehmungen, welche die guten Beziehungen der Schweiz zu auswärtigen Staaten zu stören geeignet sind, sowie auch eine wirtschaftliche Betätigung, die gegen Treu und Glauben im Verkehr verstösst und die allgemeinen Interessen der schweizerischen Volkswirtschaft verletzt.

Die Handhabung dieser Bestimmung liegt dem Bundesrate ob.

Ausländer, deren Wegweisung in Frage kommt, sind ihm von den Polizeibehörden der Kantone durch Vermittlung der Bundesanwaltschaft zu melden."

Sämtliche Unterschriften sind in üblicher Weise durch das statistische Bureau einer Prüfung unterzogen worden, die zu folgendem Ergebnis geführt hat.

Kantone Zürich . . . . .

Bern Luzern Uri Schwyz Unterwaiden ob dem Wald . . .

Unterwaiden nid dem Wald . .

Glarus . .

Übertrag

Eingelangte GUItige UnterUnterschriften schriften 7,467 7,580 7,418 7,287 1,997 1,984

199 417

199 885

145 113 1,370

135 108 1,312

19,239

18,877

Ungllltige Unterschriften 113

131 13

32 10 5

58 362

J

140 Kantone Übertrag Zug Freiburg . . . .

Solothurn . . .

Basel-Stadt. . .

Basel-Landschaft Schaffhausen . .

Appenzell A.-Rh.

Appenzell I.-Rh.

St. Gallen . . .

Graubünden . .

Aargau . . . .

Thurgau . . . .

Tessin Waadt . . . .

Wallis Neuenburg . . .

Genf

Schweiz

Eingelangte GUItige UnterUnterschriften schriften 19,239 18,877

532

524

2,123 1,439 1,373

2,081 1,436 1,372

477

471

1,580

1,561

888 75

881 71

2,845 1,902 8,877' 8,269 2,298 8,105 2,227 1,997 1,681

2,795 1,870 8,645 3,237 2,244 8,040 2,047 1,982 1,678

60,927

59,812

Ungültige Unterschriften:

362 8 42 3 1 6 19 7 4 50 32 232 32 54 65 180 15 -

3 1,115

Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, dass das Volksbegehren betreffend die Ausländerinitiative von 59,812 gültigen Unterschriften unterstützt wird und somit die zur Erreichung des Zustandekommens gesetzlich verlangte Minimalzahl übersteigt. Es muss jedoch die Frage geprüft werden, ob ein gültiges Initiativbegehren zustandegekommen ist. Wir beehren uns, Ihnen in dieser Beziehung di» folgenden Ausführungen zu unterbreiten.

I.

Der Art. 121, Abs. 3, BV lautet: ,,Wenn auf dem Wege der Volksanregung mehrere verschiedene Materien zur Revision oder zur Aufnahme in die Bundesverfassung vorgeschlagen werden, so hat jede derselben den Gegenstand eines besondern Initiativbegehrens zu bilden."

In der bundesrätlichen Botschaft vom 13. Juni 1890 betreffend Revision des Abschnittes III der BV (BBl.1890, III, 460/2) wurde ausgeführt, dass eine partielle Verfassungsrevision, auch wenn sie nur auf eine Materie gerichtet ist, mehrere- Verfassungsartikel beschlagen kann. ,,Eine wesentliche Frage ist nun aber die, ob ein und

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dasselbe Initiativbegehren mehrere verschiedene Materien zum Gegenstand haben könne. Dass bei einer Eevisionsbewegung gleichzeitig verschiedene Verfassungsfragen auftauchen und auf dem Wege der Volksinitiative zum Gegenstand von Eevisionsbegehren gemacht werden können, ist selbstverständlich; ob aber mehrere, vielleicht eine ganze Eeihe solcher Fragen, welche unter sich in keinem notwendigen Zusammenhange stehen und völlig verschiedene Materien betreffen, in einem Initiativbegehren miteinander verbunden auftreten können, verdient nähere Erwägung." ,,Darüber dürfte kaum Meinungsverschiedenheit herrschen, dass dem Volke, wenn es zur Abstimmung gerufen wird, nicht eine Inglobo-Frage über die Eevision verschiedener Materien gestellt werden darf, sondern dass die Abstimmung für jede Materie.getrennt stattzufinden hat. Dann aber ist es am einfachsten und natürlichsten, wenn die Trennung schon in den Initiativbegehren selbst stattfindet. Diese Trennung hat aber auch den Wert, dass sie die Freiheit der Bürger besser sichert. Ein Initiativbegehren darf nicht so eingereicht sein, dass ein Bürger, der mit der Eevision einer Materie einverstanden ist, mit, derjenigen einer oder mehrerer anderer aber nicht, entweder alles unterzeichnen muss oder gar nicht unterzeichnen kann. Und nur bei Trennung hat die Gesamtheit der stimmfähigen Bürger, welche auf den Bevisionsruf einer verhältnismässig kleinen Zahl von Initianten zur Urne gehen müssen, die Garantie, dass die Eevision jeder Materie, über welche sie angefragt werden, wirklich von der vorgeschriebenen Zahl stimmfähiger Bürger verlangt wird."

Der Kommentar Burckhardt (S. 819 ff.) äussert sich folgendermassen: ,,Jedes Initiativbegehren soll aber nur eine Materie zum Gegenstand haben, damit sowoh Jdie Initianten als das Volk, dem es später vorgelegt wird, sich über jeden Gegenstand besonders aussprechen können. Die Einheit des Gegenstandes besteht nicht darin, dass er nur einen Artikel der BV berührt, sondern im innern Zusammenhang seiner Teile. Da aber alle Teile der Eechtsordnung miteinander zusammenhängen, kann es unter Umständen schwer werden, eine Entscheidung zu treffen, die nicht willkürlich und nicht kleinlich ist." Es gibt Fälle, wo zwei Seiten einer Initiative zwar logisch wohl unterscheidbar sind, sich jedoch als teleologisch untrennbare Seiten einer
und derselben Einrichtung darstellen (z. B. Zentralisation des Militärwesens und entsprechende Neuverteilung der Militärlasten unter Bund und Kantone). Bezieht sich ein Initiativbegehren auf verschiedene Materien, so fragt es sich, ob das Initiativbegehren ungültig erklärt oder aber zergliedert dem Volke vorgelegt werden soll.

,,Die Sanktion des Satzes, dass ein Initiativbegehren nicht verschiedene Materien zur Eevision stellen soll, kann unseres Erachtens nur

142

.

"die Ungültigerklärung des Begehrens durch die Bundesversammlung sein; diese Sanktion ist aber mit Mass anzuwenden." Sei die Initiative in der Form einer allgemeinen Anregung gestellt, so könne es leicht vorkommen, dass bei der Durchführung des allgemeinen Zweckgedankens (z. B. Revision des Finanzausgleichs zugunsten der 'Kari'tone) zwei Mittel vorgeschlagen werden, die einzeln oder kumulativ angewendet werden können. Es liege dann kein Grund vor, die Initiative ungültig zu erklären, denn die Initianten wollten alle dasselbe: die erforderliche Zahl der Unterschriften wurde nicht zusammengebracht durch Verkuppelung verschiedenartiger Begehren. Die Bundesversammlung' könne daher, ohne dem Initiativbegehren Gewalt anzutun, die verschiedenen Ausführungsmittel dem Volke zu besonderer Stimmabgabe vorlegen; sie solle es tun, wenn die beiden Teile der Initiative Fragen berühren, über welche sich die Bürger besonders werden äussern wollen. Der Grundsatz, dass nach Materien zu trennen sei, brauche auf die Formulierung des Initiativbegehrens nicht so streng angewendet zu werden, wie auf die Formulierung der Abstimmungsvorlage, weil sich dort jeder Bürger, wenn ihm die Formulierung nicht zusagt, der Unterschrift enthalten könne, während er sich hier aussprechen müsse. ,,Schwieriger ist es, wenn das Initiativbegehren in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes gestellt wird. Es entspricht wohl der B V und noch deutlicher dem Ausführungsgesetz vom 27. Januar 1892 (Art. 8 und 9), dass das Initiativbegehren, wenn es dem Volke nicht so vorgelegt werden kann, wie es formuliert worden ist, als ungültig zurückgewiesen werde.

'Es sprechen allerdings gute Gründe für die entgegengesetzte Lösung; ausser dem bei der allgemeinen Anregung erwähnten namentlich die Erwägung, dass der Grundsatz der Unabänderlichkeit des formulierten Initiativbegehrens nicht speziell im Hinblick auf diesen Fall aufgestellt worden ist."

v. Waldkirch (Mitwirkung des-Volkes bei der Rechtssetzung, S. 18) führt aus: ,,Allerdings gibt weder die BV noch das BG von 1892 darüber Auskunft, was die Eäte zu tun haben, wenn es sich zeigt, dass in der nämlichen Volksanregung mehrere Materien behandelt sind. Die Bundesversammlung trifft ihre Entscheidung wohl am richtigsten in folgender Weise. Insofern es ihr möglich ist, die Initiative in mehrere, je nur
eine Materie enthaltende Begehren zu zerlegen, ohne dass dadurch der Sinn der Initiative beeinträchtigt wird, so soll sie es tun. Nur wenn eine Zerlegung ohne Störung des Sinnes nicht möglich wäre -- was kaum je vorkommen wird -- dürfte _die Bundesversammlung erklären, die Initiative sei verfassungswidrig, und es könne ihr daher keine weitere Folge gegeben werden."

143 Nur zwei Kantonsverfassungen (Solothurn und Tessin) stellen eine dem Art. 121, Abs. 3, BV entsprechende Vorschrift auf. Der am 17. März 1895 angenommene Art. 80bis der Verfassung des Kantons Solothurn bestimmt in Abs. 3 und 7: ,,Wenn auf dem Wege der Initiative mehrere-miteinander nicht ·im Zusammenhang stehende Materien zur Aufnahme, Streichung oder Abänderung vorgeschlagen werden, so soll jede derselben den Gegenstand eines besondern Initiativbegehrens bilden."

,,Sollten trotz der im dritten Absätze aufgestellten Bestimmung gleichwohl mehrere miteinander nicht im Zusammenhang stehende Materien in demselben Initiativbegehren enthalten sein, so kann der Kantonsrat sowohl bei der allgemeinen Anregung als bei der ausgearbeiteten Initiative eine -nach Materien ausgeschiedene Abstimmung anordnen."

Das tessinische Verfassungsgesetz vom 2. Juli 1892 schreibt im Art. 28, Abs. 2, vor: ,,Se la domanda d'iniziativa per 1' adottamento o per la modificazione od abrogazione di più articoli è relativa a materie differenti, ciascuna di queste dovrà formare oggetto di una domanda particolare d'iniziativa."

Die solothurnische Verfassung sieht ausdrücklich vor, dass der Kantonsrat bei einer Initiative, die mehrere nicht im Zusammenhang -stehende Materien enthält, eine nach Materien ausgeschiedene Abstimmung anordnen kann; im tessinischen Eecht ist die Frage, ob ^ine derartige Initiative ungültig zu erklären oder zergliedert dem Volke vorzulegen ist, nicht geregelt. In einigen Kantonen (Verfassungen von Bern, Art. 104; Aargau, Art. 105; St. Gallen, Art.123), die ein Initiativbegehren mit verschiedenartigen Materien zulassen, wird ausdrücklich vorgeschrieben, dass die Volksabstimmung über jeden einzelnen Gegenstand gesondert stattfindet. v.Waldkirch (a. a.O., S. 40 und 45/6) vertritt die Auffassung, dass allgemein auch in Kantonen, die keine derartige Vorschrift aufgestellt haben,. das Parlament einen mehrere Materien umfassenden Entwurf der Initianten nach Materien zu trennen habe, eine solche Trennung werde fast immer möglich sein, ohne dass der Wortlaut der Initiative bedeutend geändert werden müsste; der Sinn der Initiative müsse jedenfalls gewahrt bleiben, und es dürfe zu diesem Zwecke nötigenfalls auch eine erhebliche Änderung des Wortlautes vorgenommen werden.

Dem Wesen der Partialrevision entspreche es, dass dem Volke jede Materie gesondert unterbreitet werde.*) s

) Vgl. auch folgende Ausführungen von Waldkirch (S. 40) : Damit dass die Behandlung mehrerer Materien im nämlichen Begehren zugelassen werde, sei nicht gesagt, dass auch die Abstimmung über das Begehren als

144

IL

Für die Feststellung, ob eine Initiative mehrere verschiedene Materien umfasst, ist nicht entscheidend, ob das Begehren nur einen oder aber mehrere Artikel der BV revidieren will, ebensowenig, ob der Gegenstand des Begehrens den Geschäftskreis nur eines oder mehrerer Departemente betrifft. Massgebend ist vielmehr der innere Zusammenhang des Gegenstandes des Initiativbegehrens.

Die Ausländerinitiative besteht aus zwei Teilen ; ihre Ziff. I will den Art. 44, Abs. 2, BV durch einen neuen Art. 44bls ersetzen, ihre Ziff. II will den Art. 70 BV abändern. Wie schon die Bezeichnung der Initiative zeigt, ist beiden Teilen gemeinsam, dass eine Neuregelung der Behandlung der Ausländer, und zwar im Sinne einer Verschärfung, angestrebt wird. Einerseits soll den Ausländern die Möglichkeit einer Einbürgerung (sowie nach ihrer Einbürgerung die Erlangung des Passivwahlrechts) erschwert werden, anderseits soll eine schärfere Handhabung der Fremdenpolizei vorgeschrieben werden.

Beide Vorschläge lassen sich zwar als Bestandteile einer Lösung der Ausländerfrage auffassen; sie bezwecken die Bekämpfung der Überfremdungsgefahr. Es sind jedoch zwei Teile zu unterscheiden, von denen jeder die Überfremdungsgefahr in bezug auf andere Verhältnisse bekämpfen will, nämlich die Ziff. I in betreff der Einbürgerung und die Ziff. II hinsichtlich der Handhabung der Fremdenpolizei.

Die Ziff. I hat eine Materie zum Gegenstand, die schon durch die bundesrätliche Vorlage vom 28. Juni 1919 betreffend Abänderung von Art. 2, Abs. l, des B G über die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts (BB1.1919, IV, 225 ff.) bei der Bundesversammlung anhängig gemacht und durch · Annahme der Novelle zum Bürgerrechtsgesetz zum Teil erledigt worden ist.

Ganzes.anzuordnen sei, wodurch allerdings der Wille des Volkes in verzerrter Weise zum Ausdruck gebracht würde. ,,Gerade die Vorschriften über die Trennung nach Materien bei der Abstimmung lassen erkennen, dass die Anbringung eines Begehrens mit verschiedenartigem Inhalt erlaubt ist. Sie erleichtert die Ausübung des Initiativrechtes des Volkes. Es ist zwar denkbar, dass verschiedene Gegenstände nur deshalb in einem Begehren vereinigt werden, damit die erforderliche Unterschriftenzahl leichter erreicht wird. Dieser Missbrauch bleibt indessen unschädlich, sobald die Materien bei der Abstimmung getrennt werden,
und kann daher gegenüber der Erleichterung, welche die Zulassung verschiedener Materien im nämlichen Begehren gewährt, nicht ins Gewicht fallen. Diese Erwägung führt auch dazu, die Bestimmung, dass jedes Begehren nur eine Materie betreffen dürfe, nicht als Gültigkeits-, sondern als blosse Formvorschrift aufzufassen.

Wird sie nicht beobachtet, so ist das Begehreu nicht ungültig, sondern das Parlament trennt es nach Materien."

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Der Umstand, dass die beiden Teile der Ausländerinitiative letzten Endes ein gemeinsames Ziel verfolgen, genügt nicht, um die innere Einheit ihres Gegenstandes bejahen zu können. Dabei fällt auch in Betracht, dass dieses gemeinsame Ziel ein sehr allgemeines ist (Bekämpfung der Überfremdungsgefahr) und daher ausser den in der Initiative erwähnten noch allerhand andere Massnahmen, die ebenfalls letzten Endes das gleiche Ziel verfolgen, vorgeschlagen werden könnten. Die Vereinigung aller derartigen Vorschläge in einer einzigen Abstimmungsvorlage würde Bedenken erwecken. Es erscheint als richtiger, bei einem so losen Zusammenhang zwischen den beiden Teilen den Gegenstand der Ziff. I und den der Ziff. II der Ausländerinitiative als zwei verschiedenartige Materien zu betrachten.

Wir gelangen somit zum Schlüsse, dass das vorliegende Initia* tivbegehren ,,mehrere verschiedene Materien" im Sinne des Art. 121, Abs. 8, BV umfasst.

III.

Es ist noch die grundsätzliche Frage zu prüfen, worin die Sanktion der Vorschrift, wonach ein Initiativbegehren nicht mehrere verschiedene Materien zum Gegenstand haben darf, besteht. Weder die BV noch das BG vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Bevision der B V (A. S.

XII, 885) enthalten eine Bestimmung darüber, was mit einem mehrere verschiedene Materien umfassenden Initiativbegehren zu geschehen hat. Als Sanktion kann nur entweder die Ungültigerklärung oder die Trennung der Initiative nach Materien durch die Bundesversammlung in Frage kommen; es fragt sich nun, welche von beiden Folgen an die Einreichung eines gegen Art. 121, Abs. 3, BV verstossenden Initiativbegehrens zu knüpfen ist.

Ist ein Partialrevisionsbegehren in der Form einer allgemeinen Anregung gestellt, so haben die eidgenössischen Bäte laut Art. 7, Abs. l, des zitierten BG spätestens binnen Jahresfrist sich schlüssig zu machen, ,,ob sie mit dem Begehren einverstanden sind oder nicht" ; lehnen sie es ab oder kommt binnen Jahresfrist ein Beschluss darüber nicht zustande, so ordnet der Bundesrat ,,über das gestellte Begehren" die Vornahme der Volksabstimmung an (Art. 7, Abs. 3). Ist das Partialrevisionsbegehren in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes gestellt, so haben die eidgenössischen Bäte spätestens binnen Jahresfrist darüber Beschluss zu fassen, ,,ob
sie dem Initiativentwurf, so wie derselbe lautet, zustimmen oder nicht" (Art. 8); der Initiativentwurf ist dann der Volksabstimmung zu unterbreiten (eventuell mit einem Verwerfungsantrag oder mit einem Gegenentwurf der Bundesversammlung, Art. 9 und 10). Das Gesetz stellt nament-

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lieh im Art. 8 den Grundsatz der Vnabänderlichkeit des formulierten Initiativbegehrens auf; der Entwurf der Initianten ist ,,tel quel" der Volksabstimmung zu unterbreiten; die Bundesversammlung darf dessen Inhalt oder Fassung nicht verändern. Diese Vorschrift will sicherstellen, dass der Initiativentwurf in der dem Willen der Initianten entsprechenden Weise der Volksabstimmung unterbreitet werde. Bei einem Initiativbegehren, das beispielsweise zwei Verfassungsartikel revidieren will, von denen jeder Artikel eine verschiedene Materie umfasst, liesse sich eine Trennung in zwei Eevisionspunkte ohne weiteres durchführen, ohne dass dadurch Inhalt oder Wortlaut des Entwurfes der Initianten abgeändert würden; in diesem Falle widerspricht eine Trennung durch die Bundesversammlung dem Zweckgedanken nicht, der dem Prinzip der Unabänderlichkeit des formulierten Initiativbegehrens zugrunde liegt. Wie verhält es sich aber, wenn die beiden verschiedenen Materien im gleichen Artikel, vielleicht im gleichen Satze, des Initiativbegehrens vereinigt sind ? Eine Scheidung in zwei Eevisionsvorlagen setzt hier notwendigerweise eine Abänderung des Wortlautes des Initiativentwurfes voraus. Sobald aber der Wortlaut verändert wird, kann dadurch unter Umständen auch der Inhalt des Entwurfes modifiziert werden. Es lassen sich Fälle denken, wo eine solche Scheidung Schwierigkeiten bereitet und ohne Beeinträchtigung des Inhaltes kaum durchführbar ist.

Gemäss der Vorschrift, wonach für jede Materie ein besonderes Initiativbegehren zu stellen ist, soll die Scheidung nach Materien schon von den Initianten bei der Formulierung ihrer Begehren vorgenommen werden. Daraus ergibt sich aber nicht mit Notwendigkeit, dass im Falle, wo die Initianten diese Vorschrift nicht befolgt haben, das Initiativbegehren ungültig zu erklären sei und die Bundesversammlung es nicht nach Materien trennen dürfe. Die Hauptsache ist, dass bei einem Partialrevisionsbegehren die Abstimmung über jede Materie gesondert erfolge. Durch die Trennung wird die Stellungnahme der Bürger zu jeder einzelnen Materie des Begehrens klarer und freier gestaltet; bei der Abstimmung gelangt so der Wille des Volkes besser zum Ausdruck.

Für die Sanktion der Ungültigkeit lässt sich zwar geltend machen, der Art. 121, Abs. 3, BV wolle auch verhindern, dass die erforderliche Anzahl
der Unterschriften durch Zusammenkoppelung verschiedenartiger Begehren zusammengebracht werde. Diese Gefahr ist jedoch nicht gross, da die Zahl der notwendigen Unterschriften im Verhältnis zur Zahl der Stimmberechtigten eine geringe ist (gegenwärtig zirka ^i») und daher -- ohne Zusammenkoppelung verscniedenartiger Begehren -- leicht zusammengebracht werden kann. Sodann

147

ist zu beachten, dass die Initianten durch die Unterzeichnung ihren Willen erklären, den ganzen im Begehren enthaltenen Bevisionsentwurf vorzuschlagen; dieser deutlich erklärte Wille von mindestens 50,000 Stimmberechtigten muss unseres Erachtens berücksichtigt werden.

Da kein zwingender Grund für die Annahme vorliegt, dass die Sanktion des Art. 121, Abs. 3, BV in der Ungültigerklärung bestehen müsse, und da die -- allerdings weder in der B V noch im B G von 1892 ausdrücklich vorgesehene -- Trennung nach Materien durch die Bundesversammlung diejenige Sanktion ist, die es ermöglicht, die im Vorschlag enthaltene Willenserklärung der Initianten zu berücksichtigen, sind wir der .Ansicht, dass eine Initiative, die mehrere verschiedene Materien zum Gegenstand hat, nicht als ungültig zu erklären, sondern von der Bundesversammlung nach Materien zu trennen ist. Es entspricht dem demokratischen Prinzip, dass ein solches Volksbegehren nicht ungültig erklärt, sondern korrigiert werde.

Bei der Zergliederung darf die Bundesversammlung nur, sofern und soweit es unbedingt notwendig ist, den Wortlaut des Eevisionsentwurfes der Initianten abändern; solche zur Durchführung der Trennung unbedingt notwendige redaktionelle Änderungen sollen den Inhalt des Entwurfes der Initianten nicht modifizieren. Die Möglichkeit, dass unter Umständen derartige redaktionelle Änderungen doch eine gewisse materielle Modifikation der Vorlage mit sich bringen, müssen die Initianten als Folge des Umstandes, dass sie der Vorschrift des Art. 121, Abs. 3, BV nicht nachgekommen sind, hinnehmen.

Bei der Ausländerinitiative lässt sich die Trennung nach Materien ohne Veränderung des Inhaltes und Wortlautes durchführen, indem die Ziff. I und II als zwei Vorlagen behandelt werden.

Wir fügen bei, dass anlässlich der Erledigung der Motion Grünenfelder, die eine Eevision des BG vom 27. Januar 1892 anregt, auch geprüft werden kann, ob und in welcher Weise eine gesetzliche Regelung der oben erörterten Fragen Platz greifen soll.

IV.

Laut Art. 5 (letzter Absatz) und 6 des erwähnten B G hat die Bundesversammlung festzustellen, ob ein gültiges Initiativbegehren zustande gekommen ist.

Schon in diesem Stadium hat die Bundesversammlung unseres Erachtens zu entscheiden, ob die Ausländerinitiative gegen Artikel 121, Abs. 3, BV verstösst, und gegebenenfalls festzustellen, welche Folge die Nichtbeachtung dieser Verfassungsvorschrift seitens der Initianten nach sich zieht. Da die grundsätzliche Frage, ob diese

148 Folge in der Ungültigerklärung oder in der Trennung nach Materien besteht, noch nie entschieden worden ist, muss die Prüfung der vorliegenden Initiative vom Gesichtspunkt des Art. 121, Abs. 3, BV schon im gegenwärtigen Stadium der Behandlung des Initiativbegehrens erfolgen. Dies erscheint auch dann als angezeigt, wenn man annimmt, dass die Sanktion nicht in der Ungültigerklärung, sondern in der Zergliederung durch die Bundesversammlung bestehe. Die Frage, ob ein Initiativbegehren zu trennen sei, gehört nämlich zu dessen formeller Überprüfung und nicht zur materiellen Stellungnahme zum Inhalt des Begehrens. Die materielle Stellungnahme setzt voraus, dass schon feststehe, ob das Begehren als ganzes oder zergliedert der Volksabstimmung zu unterbreiten sei. Je nachdem kann die materielle Stellungnahme verschieden sein, da sie im einen Falle in Zustimmung, Gegenvorschlag oder Verwerfungsantrag zum ganzen Initiativbegehren, im andern Falle in Zustimmung, Gegenvorschlag oder Verwerfungsantrag zu jedem einzelnen Teile, über den gesondert abzustimmen ist, besteht. Es liegt auch im Interesse einer grundsätzlichen Entscheidung, wenn die Fragen, ob eine Initiative dem Erfordernis des Art. 121, Abs. 3, BV entspricht, und verneinendenfalls, welche Folgen sich daraus für ihre Behandlung ergeben, schon anlässlich der Feststellung des Zustandekommens -- also bevor Bundesrat und Bundesversammlung materiell zur Initiative Stellung genommen haben -- entschieden wird, weil in diesem Zeitpunkte Opportunitätsrücksichten, die sich möglicherweise später geltend machen könnten, den Beschluss über diese für die Ausübung des Volksrechts der Initiative wichtigen Fragen nicht beeinflussen können.

V.

Da nach den vorstehenden Ausführungen die Trennung der Initiative nach Materien im gegenwärtigen Stadium sowohl möglich als zweckentsprechend ist, so beehren wir uns, Ihnen den Antrag zu stellen, Sie wollen den hier beigefügten Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend die Erwahrung des Zustandekommens des Volksbegehrens «Ausländerinitiative» zum Beschluss erheben.

Wir benützen auch diesen Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 20. August 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Motta.

Der Vizekanzler: Kaeslin.

1.49

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Erwähnung des Zustandekommens des Volksbegehrens ,,Ausländerinitiative".

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrates vom 20. August 1920, gestützt auf Art. 121, Abs. 8, der Bundesverfassung und auf das Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung, beschliesst : 1. Das im März 1920 eingereichte Volksbegehren «Ausländerinitiative», welches von 59 812 stimmberechtigten Schweizerbürgern gültig unterzeichnet worden ist, wird als zustandegekommen erklärt.

2. Das Begehren wird in zwei Teile zerlegt, welche getrennt der Volksabstimmung zu unterbreiten sind.

Begehren I: Der Absatz 2 des Art. 44 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 wird aufgehoben und durch nachstehende Bestimmungen ersetzt : « Art. 44bis. Ein Ausländer erlangt das Schweizerbürgerrecht durch die Erwerbung eines Gemeinde- und Kantonsbürgerrechts.

Er muss hierzu vorerst die Bewilligung des Bundesrates nachsuchen.

Diese darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer im Laufe der fünfzehn Jahre, die seinem Gesuche vorausgegangen sind, während wenigstens zwölf Jahren, wovon zwei Jahre unmittelbar vor der Einreichung des Gesuches, seinen tatsächlichen Wohnsitz in der Schweiz gehabt hat. Diese Beschränkung gilt nicht für die Ehefrau, die von Rechts wegen das Bürgerrecht des Ehemannes erlangt, und für Kinder unter fünfzehn Jahren, wenn sie mit den Eltern eingeMrgert werden.

Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. IV.

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150 Eingebürgerte Ausländer, die in der Zeit vom zurückgelegten fünften Altersjahre bis zur Erlangung der Mündigkeit nicht während wenigstens zwölf Jahren ihren tatsächlichen Wohnsitz in der Schweiz gehabt haben, besitzen die Fähigkeit, in die politischen Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden gewählt zu werden, nicht; dagegen haben sie gleich den übrigen Schweizerbürgern das.

Eecht zu stimmen und zu wählen. Der Bundesrat prüft und entscheidet bei Erteilung der Einbürgerungsbewilligung darüber, obder Neubürger nach dieser Bestimmung in die politischen Behörden, wählbar ist.

Im übrigen werden die Bedingungen für die Erteilung de» Schweizerbürgerrechts durch die Bundesgesetzgebung bestimmt.

Diese soll die Einbürgerung der in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen Ausländer erleichtern ; sie kann vorschreiben, dass solche» Ausländer von Gesetzes wegen Schweizerbürger werden.

Die Bundesgesetzgebung bestimmt ferner auch die Bedingungen, unter denen ein Schweizer zum Zwecke der Einbürgerung im Auslands auf sein Bürgerrecht verzichten kann».

Begehren II: Art. 70 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 wird wie folgt, abgeändert : «Der Bund hat das Eecht und die Pflicht, Ausländer, welche dieinnere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft oder die Wohlfahrt des Schweizervolkes gefährden, aus dem Gebiete der Schweiz, wegzuweisen.

Als solche Gefährdung gilt insbesondere die Teilnahme an verfassungswidrigen Umtrieben oder an politischen Unternehmungen,, welche die guten Beziehungen der Schweiz zu auswärtigen Staaten zu stören geeignet sind, sowie auch eine wirtschaftliche Betätigung,, die gegen Treu und Glauben im Verkehr verstösst und die allgemeinen.

Interessen der schweizerischen Volkswirtschaft verletzt.

Die Handhabung dieser Bestimmungen liegt dem Bundesrate' ob. Ausländer, deren Wegweisung in Frage kommt, sind ihm von den Polizeibehörden der Kantone durch Vermittlung der Bundesanwaltschaft zu melden ».

3. Der Bundesrat wird eingeladen, den eidgenössischen Bäten über die beiden Begehren Bericht und Antrag zu unterbreiten behufs Beschlussfassung gemäss Art. 8 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen, betreffend Bevision der Bundesverfassung.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die ,,Ausländerinitiative". (Vom 20. August 1920.)

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