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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der Abänderung von Art. 3 und 92 der Verfassung des Kantons Schaffhausen.

(Vom 7. Juni 1920.)

Mit Schreiben vom 1. April 1920 sucht der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen um die eidgenössische Gewährleistung des in der Volksabstimmung vom 21. März 1920 mit 6338 gegen 2086 Stimmen angenommenen Verfassungsgesetzes betreffend · Abänderung der Art. 3 und 92 der Verfassung des Kantons Schaffhausen vom Jahre 1876 nach.

Die Art. 3 und 92 lauten wie folgt: Bisherige Fassung.

;

Neue Fassung.

Art. 3.

Art. 3.

,,Aktivbürger ist jeder Kantonsbürger und jeder im Kauton niedergelassene Schweizerbürger mit zurückgelegtem 20.

Altersjahre, sofern er nicht durch die Verfassung vom Aktivbürgerrechte ausgeschlossen ist.

Bezüglich des Aktivbürgerrechtes der schweizerischen Aufenthalter ist das durch Art. 47 der Bundesverfassung vorgesehene Bundesgesetz massgebend."

,,Aktivbürger und damit stimmberechtigt in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten sind, unter Vorbehalt der Bestimmungen des Art. 5, mit vollendetem 20. Altersjahr: ! a. die in der Gemeinde wohnenden Ortsbürger; b, die niedergelassenen Kantonsund Schweizerbürger; c. die kantonsbürgerlichen Aufenthalter in kantonalen Angelegenheiten mit der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung, in Gemeindeangelegenheiten nach einem Aufenthalt von 3 Monaten, von der Erteilung der

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Aufenthaltsbewilligung an gerechnet ; d. die schweizerischen Aufenthalter in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten nach einem Aufenthalt von 6 Monaten seit der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung."

Art. 92.

,,Die Einwohnergemeinde umfasst sämtliche Ortseinwohner.

Stimmberechtigt in derselben sind die im Genüsse des Aktivbürgerrechts befindlichen Ortsbürger und niedergelassenen Kantons- und Schweizerbürger.

Bezüglich der Stimmberechtigung der schweizerischen Aufenthalter ist das durch Art. 47 der Bundesverfassung vorgesehene Bundesgesetz massgebend."

Art. 92.

,,Die Einwohnergemeinde umfasst sämtliche Ortseinwohner.

Stimmberechtigt in derselben sind alle in der Gemeinde wohnhaften, nach Art. 3 der Verfassung stimmberechtigten Ortseinwohner."

Die Verfassungsänderung besteht in einer Neuregelung des Stimmrechts der Aufenthalter in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten. Bisher waren gemäss Art. 6 des Wahlgesetzes des Kantons Schaffhausen vom 15. März 1904 die kantonalen Aufenthalter in kantonalen Angelegenheiten stimmberechtigt; kein Stimmrecht hatten die schweizerischen Aufenthalter in kantonalen und in Gemeindeangelegenheiten sowie die kantonalen A.ufenthalter in Gemeindeangelegenheiten. Das im Art. 47 B V vorgesehene Bundesgesetz, auf das die bisherigen Art. 3 und 92 der Kantonsverfassung verwiesen, ist nicht zustandegekommen. .Die neuen Verfassungsbestimmungen «eben die Stimmberechtigung in k a n t o n a l e n Angelegenheiten den kantonsbürgerlichen Aufenthaltern mit der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung, den schweizerischen Aufenthaltern erst nach einem Aufenthalt von sechs Monaten; in G e m e i nd e angelegenheiten erlangen die kantonsbürgerlichen Aufenthalter das Stimmrecht nach drei Monaten, die schweizerischen Aufenthalter nach sechs Monaten seit der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung.

Einer nähern Prüfung bedarf nur die Erage, ob die verschiedene Behandlung der kantonsbürgerlichen und der schweizerischen

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Aufenthalter in bezug auf die Dauer des zur Erlangung der Stiinmberechtigung erforderlichen Aufenthalts mit der Bundesverfassung im Einklang steht. Zur Begründung dieser verschiedenen Behandlung führt der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen in seiner Botschaft vom 28. Januar 1920 an die Stimmberechtigten aus: ,,Mit Recht wurde geltend gemacht, dass die Voraussetzung für eine fruchtbringende Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten ein gewisses Einleben in die besondern politischen Einrichtungen und örtlichen Verhältnisse eines Kantons und einer Gemeinde sei.

Auch dürfte es im Interesse einer stabileren Entwicklung liegen, wenn nicht jeder Ortsfremde sofort stimmberechtigt wird. Naturgemäss wird die Angewöhnung eines Kantonsbürgers in die örtlichen Verhältnisse einer Gemeinde eine raschere sein, als diejenige eines Schweizerbürgers, der möglicherweise aus einem Kanton mit anderer politischer Auffassung oder Sprache herstammt."

Im Jahre 1878 hat der Bundesrat anlässlich der Prüfung eines tessinischen Gesetzes über die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter die Auffassung vertreten, dass alle Aufenthalter, gleichviel ob sie im Heimatkanton wohnen oder ob sie Bürger eines andern Kantons sind, gleichgehalten werden müssen (vgl. Salis III, Nr. 1109, S. 216). Im gleichen Jahre hat aber der Bundesrat in einem Beschwerdeentscheid (Salis III, Nr. 1155) festgestellt: ,,Solange das in Art. 47 BV vorgesehene Bundesgesetz nicht erlassen ist, sind die Kantone frei, darüber zu entscheiden, ob sie den Aufenthaltern ein Stimmrecht in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten zugestehen wollen oder nicht, ferner ob sie einen Unterschied zwischen kantonsangehörigen Aufenthaltern und den übrigen schweizerischen Aufenthaltern machen wollen oder nicht". Eine feste Praxis besteht nicht.

Gegen den A r t . 60 B V verstösst die vom Kanton Schaffhausen vorgesehene verschiedene Behandlung der kantonsbürgerlichen und der kantonsfremden Aufenthalter nicht. Wie nämlich das Bundesgericht entschieden hat (BGE 38, I, 830), kommt der Art. 60 BV für die politischen Rechte der Aufenthalter überhaupt nicht in Betracht, weil die Bundesverfassung selbst anderweitig hinsichtlich der Ausübung der politischen Rechte in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten eine besondere Stellung der kantonsfremden Schweizerbürger
anerkennt (vgl. die direkte Bestimmung des Art. 43, Abs. 5, für die Niederlassung und den einschlägigen Gesetzgebungsvorbehalt im Art. 47 für den Aufenthalt).

Was sodann den A r t. 4 B V anbelangt, so ergibt sich folgendes : a. Dass in k a n t o n a l e n Angelegenheiten die kantonsbürgerlichen Aufenthalter die Stimmberechtigung mit der Erteilung der

489 Aufenthaltsbewilligung, die kantonsfremden Aufenthalter dagegen erst sechs Monate später erlangen, lässt sich sachlich rechtfertigen.

Von den kantonsangehörigen Aufenthaltern darf nämlich ohne weiteres angenommen werden, dass sie mit den Verhältnissen des Heimatkantons vertraut sind, während bei denjenigen Aufenthaltern, die Bürger eines andern Kantons sind, eine solche Kenntnis der Verhältnisse des Aufenthaltskantons nicht vorausgesetzt werden kann.

Auf diejenigen Kantonsfremden, die zunächst in einer Gemeinde des Kantons Schaffhausen wohnen und daselbst .(auf Grund einer Niederlassung oder eines sechsmonatlichen Aufenthaltes) das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten erlangen, später aber in eine andere Gemeinde des Kantons Schaffhausen als Aufenthalter ziehen, passt diese Erwägung allerdings nicht ; sie wären nach der Verlegung des Wohnortes in eine andere Gemeinde desselben Kantons in gleicher Weise befähigt, in kantonalen Angelegenheiten zu stimmen, wie an ihrem bisherigen Wohnort (abgesehen von gewissen Wahlen, in bezug auf die der Kanton in mehrere Wahlkreise eingeteilt ist und bei denen eine spezielle Kenntnis der Verhältnisse des einzelnen Wahlkreises in Betracht fallen kann). Solche Fälle der Verlegung des Aufenthalts von Kantonsfremden in eine andere Gemeinde des gleichen Kantons sind jedoch Ausnahmefälle; der Bund kann nicht unter Berufung auf Art. 4 BV verlangen, dass der Kanton bei der Eegelung der Stimmberechtigung der Aufenthalter auch derartige Ausnahmeverhältnisse berücksichtige.

b. Auch mit bezug auf die G e m e i n d e a n g e l e g e n h e i t e n erscheint die Erwägung, dass die kantonsbürgerlichen Aufenthalter sich in die Verhältnisse einer andern Gemeinde ihres Heimatkantons rascher einleben und mit diesen Verhältnissen näher vertraut sind als die aus andern Kantonen stammenden Aufenthalter, jedenfalls nicht als willkürlich. Auch hier kann es einzelne Ausnahmefälle geben, auf die die angeführte Erwägung nicht pas'st. Der Bund könnte aber einer kantonalen Verfassungsvorschrift, die den kantonsbürgerlichen Aufenthaltern das Gemeindestimmrecht nach drei Monaten, den kantonsfremden Aufenthaltern dagegen erst nach sechs Monaten einräumt, die eidgenössische Gewährleistung nur dann versagen, wenn diese verschiedene Behandlung sich als willkürlich darstellen würde. Wir
fügen bei, dass beispielsweise auch die Abstimmungsverordnung des Kantons Schwyz vom 26. Januar 1904 eine ähnliche Unterscheidung in der Behandlung der Aufenthalter trifft. Endlich ist darauf hinzuweisen, dass es den Kantonen freisteht, den Begriff der ,,Aufenthalter" auf Nichtkantonsbürger zu beschränken; in diesen Kantonen kann sich tatsächlich ebenfalls eine ähnliche Schlechterstellung der Nichtkantonsbürger gegenüber

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den Kantonsangehörigen ergeben, wie sie in den neuen Verfassungsbestimmungen des Kantons Schaffhausen vorgesehen ist.

Wir gelangen somit zum Schlüsse, dass die neuen Art. 3 und 92 mit der Bundesverfassung im Einklang stehen, und beantragen Urnen, diesen Verfassungsartikeln durch Annahme des nachfolgenden Beschlussesentwurfes die Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

B e r n , den 7. Juni 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Gewährleistung der Abänderung von Art. 3 und 92 der Verfassung des Kantons Schaffhausen.

Die B n n d e sv er s a m m l u n g der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t

nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 7. Juni 1920 über die Gewährleistung der Abänderung von Art. 3 und 92 der Verfassung des Kantons Schaffhausen, in Erwägung, dass die abgeänderten Verfassungsbestimmungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst: 1. Der in der Volksabstimmung vom 21. März 1920 angenommenen Abänderung von Art. 3 und 92 der Verfassung des Kantons Schaffhausen vom 24. März 1876 wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der Abänderung von Art. 3 und 92 der Verfassung des Kantons Schaffhausen. (Vom 7. Juni 1920.)

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