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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Herabsetzung des Militärpflichtersatzes in Fällen der Ausmusterung nach einer Aktivdienstzeit von längerer Dauer.

(Vom 21. Mai 1920.)

Das Bundesgesetz vom 28. Juni 1878 betreffend den Militärpflichtersatz unterwirft alle im dienstpflichtigen Alter befindlichen Schweizerbürger, welche keinen persönlichen Militärdienst leisten, der Ersatzsteuerpflicht. Einem Gebot der Billigkeit folgend, bestimmt es in Art. 6, dass Wehrpflichtige, welche mindestens acht Jahre Dienst getan haben, und für den Rest des militärpflichtigen Alters dienstuntauglich oder temporär von der Dienstpflicht befreit werden, nur die Hälfte des für die betreffende Altersklasse festgesetzten Ersatzes zu leisten haben. Während nach einer altern Praxis des Bundesrates als notwendige Voraussetzung für die Steuerherabsetzung die effektive Dienstleistung während acht Jahren verlangt wurde, ist nach der neuern Praxis auch ein Jahr, in welchem jemand zwar einen bestimmten Dienst versäumt hat, sonst aber den Militärbehörden zur Verfügung gestanden ist, als Dienstjahr anzurechnen (vergi. Bericht des Bundesrates an die eidgenössischen Räte vom 20. Juli 1909, IV, 341 und Entscheid der eidgenössischen Räte vom 29. Oktober 1909/6. Juni 1910, Bundesblatt 1911,1, 695). Wenn diese Auslegung auch zweifellos dem Sien des Gesetzes und dem Wesen der Dienstpflicht, wie sie in Art. 8 und 9 der Militärorganisation vom 12. April 1907 definiert ist, besser entspricht (vergl, den genannten Bericht des Bundesrates an die eidgenössischen Räte vom 20. Juli 1909), so erlaubt sie doch nicht, den durch den Aktivdienst geschaffenen Verhältnissen zu genügen. Ein Wehrpflichtiger, der nach einigen hundert Diensttagen aus sanitarischen Gründen vorzeitig in den Landsturm versetzt oder dienstuntaug-

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lieh erklärt wird, hat die volle gesetzliche Taxe zu bezahlen, wie einer, der nie Dienst geleistet hat. Dass er dies ungerechtfertigt findet, und sich benachteiligt fühlt, ist verständlich. Esentspricht eine solche Lösung zweifellos auch nicht dem Willen des Gesetzes, der ganz offenbar der ist, die Wehrpflichtigen, welche eine gewisse Anzahl von Diensttagen geleistet haben, und nachher dienstuntauglich geworden sind, in militärsteuerrechtlicher Beziehung besser zu stellen, als diejenigen, die schon bei der Rekrutierung oder nach kurzer Dienstzeit dienstuntauglich erklärt wurden und deshalb gar keinen oder nur sehr wenig Dienst geleistet haben. Art. 6 des Militärsteuergesetzes lehnt sich in seinem Wortlaut an die Bestimmung des Art. 82 der Militärorganisation vom 13. November 1874 an, wonach zu den Unterrichtskursen des Auszuges die Soldaten der acht ersten Jahrgänge, .und überdies diejenigen, ,,welche weniger als die für die acht Dienstjahre gesetzlich vorgeschriebenen Übungen gemacht haben11, einberufen werden. Wenn also Art. 6 des Militärsteuergesetzes als begünstigte Personen diejenigen Wehrpflichtigen bezeichnet, welche mindestens acht Jahre Dienst getan haben, so ergibt sich aus dem Zusammenhang der beiden Bestimmungen, dass der Gesetzgeber alle diejenigen Wehrpflichtigen, welche die in Art. 82 der alten Militärorganisation vorgeschriebene Dienstpflicht erfüllt haben, und erst nachher dienstuntauglich wurden, nur zur halben gesetzlichen Taxe besteuern wollte. Der vom Soldaten nach der alten Militärorganisation während der ersten acht Jahre verlangte Dienst betrug bei der Infanterie 119, bei der Kavallerie 146 Tage; nach der neuen Militärorganisation ist während der gleichen Zeitepoche der Infanterist zu einer Dienstleistung von 158 und der Artillerist, der während der in Frage kommenden acht Jahre am meisten Dienst zu leisten hat, zu einer Dienstleistung von 187 Tagen verpflichtet (vergi. Art. 86, 103, 104, 107 und 108 der alten, und 115, 118 und 120 der neuen Militärorganisation). Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, dass der während der ersten acht Jahre zu leistende Dienst durch die Militärorganisation vom 12. April 1907 nicht sehr erheblich vermehrt wurde.

Ganz anders verhält es sich nun aber mit dem seit 1914 geleisteten Aktivdienst. Die durchschnittliche Dienstdauer betrug in den
letzten Jahren für den Soldaten annähernd 100 Tage pro Jahr. Der Abgang von Mannschaften war aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt wegen teilweise sehr strengen Dienstes von langer Dauer ziemlich bedeutend. Fälle, in denen Wehrmänner nach mehreren hundert Diensttagen ausgemustert wurden, waren nicht selten. Alle diese Leute mussten bisher dem Mili-

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tärpflichtersatz zur vollen gesetzlichen Taxe unterworfen werden, weil die Voraussetzung des Art. 6 des Militärsteuergesetzes .^mindestens acht Jahre Dienst11 nicht gegeben war. Nachdem nun aber die zum Grenzschutz aufgebotenen Truppen sämtliche entlassen worden sind, und der Sicherheitsdienst an der Grenze von einer aus Freiwilligen gebildeten Bewachungstruppe besorgt wird, ist eine Änderung dieses Rechtszustandes zu empfehlen.

Es ist unbillig, dass ein Soldat, der in der kritischen Zeit während mehreren hundert Tagen den strengen, mit verschiedenen persönlichen und wirtschaftlichen Opfern verbundenen Dienst geleistet hat, nach der aus sanitarischen Gründen erfolgten Aus-musterung gleichviel Militärsteuern- bezahlen muss, wie ein Wehrpflichtiger, der schon bei der Rekrutierung dienstuntauglich erklärt worden ist, und infolgedessen keinen Tag Militärdienst geleistet hat.

In unserm Beschluss vom 21. Mai 1920, den wir Ihnen hiermit zur Genehmigung unterbreiten, haben wir als Voraussetzung der Steuerermässigung eine Dienstleistung von mindestens 251 Tagen Aktivdienst festgesetzt. Wir glauben damit das richtige getroffen zuhaben. Die Zahl 251 erscheint einerseits im Vergleich mit der durchschnittlichen Aktivdienstzeit eines Soldaten während des Weltkrieges von ungefähr 500 Tagen als nicht übersetzt, und anderseits im Hinblick auf die im Friedensverhältnis für die ersten acht Dienstjahre gesetzlich vorgeschriebene Dienstzeit von 151 bis 186 Tagen als hoch genug bemessen. Dass der bei der Grenzbewachungstruppe oder bei einer Warentransport-Eskorte gegen eine höhere Tagesentschädigung als der gesetzliche Sold freiwillig geleistete Dienst hierbei nicht mitgerechnet werden kann, erachten wir als selbstverständlich.

Während in Art. 6 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1878 der damaligen Organisation entsprechend, welche nur zwischen auszugs- und landwehrtauglich einerseits und dienstuntauglich anderseits unterschieden hat, als begünstigte Personen nur die dienstuntauglich erklärten und die nach Art. 2 der alten (Art. 13 der neuen) Militärorganisation temporär vom Dienst befreiten Wehrpflichtigen genannt sind, hat der Bundesrat in seinem Beschluss vom 21. Mai 1920 auch die zu den Hülfsdiensten und die aus sanitarischen Gründen vorzeitig zum Landsturm versetzten Wehrpflichtigen einbezogen. Er ist damit über
den Wortlaut, aber nicht über den Sinn des Bundesgesetzes von 1878 hinausgegangen. Die Praxis hatte Art. 6 des Militärsteuergesetzes in Verbindung mit Art. 82 der Militärorganisation vom 13. November 1874 von jeher dahin ausgelegt, dass alle sanitarisch Ausgemusterten Anspruch auf Steuerherabsetzung gemäss Art. 6 des

369 Gesetzes haben. Es wäre in der Tat nicht einzusehen, warum ein aus sanitarischen Gründen vorzeitig zum Landsturm versetzter Wehrpflichtiger, der in gewissem Umfange dienstpflichtig bleibt, doppelt so viel an Militärsteuern bezahlen müsste, als derjenige, welcher nach einer gleichen Anzahl von Dienstjahren wegen körperlicher Unfähigkeit dienstuntauglich erklärt und von sämtlichen Militärdiensten befreit wird.

Um einerseits Gleichmässigkeit in der Steuerauflage für alle im gleichen Steuerjahr vorkommenden Fälle zu erreichen, und anderseits das Geltungsgebiet des Beschlusses gegenüber eventuell noch nicht durchgeführten Veranlagungen der Vorjahre genau abzugrenzen, war es notwendig, den Beschluss vom 21. Mai 1920 mit Wirkung ab 1. Januar 1920 in Kraft zu setzen.

Auf Antrag unseres Finanzdepartementes wurde daher aus den vorstehend angeführten Gründen unterm 21. Mai nachfolgender Beschluss betreffend die Anrechnung von Aktivdienst bei der Bemessung des Militärpflichtersatzes gefasst (s. Beilage).

Indem wir Ihnen diesen Beschluss nach Massgabe von Absatz 3, Ziffer I, des Bundesbeschlusses betreffend die Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesgesetzes vom 3. April 1919 zur Genehmigung unterbreiten, benützen wir den Anlass, Sie unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 21. Mai 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Buaöesblatt. 72. Jahrg. Bd. III.

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Beilage.

Bundesratsbeschluss betreffend

die Anrechnung von Aktivdienst bei der Bemessung des Militärpflichtersatzes.

(Vom 21. Mai 1920.)

Der schweizerische Bundesrat, auf den Antrag seines Finanzdepartem entes, in Anwendung des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend die Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates, beschliesst: Art. 1. Wehrpflichtige, welche mindestens 251 Tage Aktivdienst geleistet haben und welche 1. für den Rest des militärpflichtigen Alters a. dienstuntauglich erklärt worden sind, b. zu den Hülfsdiensten versetzt worden sind, c. aus sanitarischen Gründen vorzeitig zum Landsturm versetzt worden sind, 2. nach Art. 13 der Militärorganisation vom 12. April 1907 temporär vom Militärdienst befreit worden sind, haben nur die Hälfte des für die betreffende Altersklasse festgesetzten Ersatzes zu bezahlen, sofern letzterer ihnen nicht nach den Bestimmungen von Art. 2 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1878 betreffenden Militärpflichtersatz*) gänzlich erlassen werden muss.

Bei der Bestimmung der Zahl der Aktivdiensttage fällt der seit 1. Januar 1919 geleistete freiwillige Dienst (Dienst bei der Bewachungstruppe, bei Warenzügen ins Ausland, oder Kriegsgefangenentransporten durch die Schweiz) nicht in Berechnung.

Art. 2. Dieser Beschluss tritt mit Rückwirkung ab 1. Januar 1920 in Kraft.

B e r n , den 21. Mai 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

*) Siehe Gesetzsammlung n. F. Bd. III, S. 665.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Herabsetzung des Militärpflichtersatzes in Fällen der Ausmusterung nach einer Aktivdienstzeit von längerer Dauer. (Vom 21. Mai 1920.)

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