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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend Gewässerkorrektionen und Bodenverbesserungen.

(Vom 11. Mai 1920.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Seit einiger Zeit gehen uns von allen Seiten eine Menge von Subventionsbegehren zu, die sich auf Gewässerkorrektionen aller Art, Entsumpfungsanlagen, Meliorationen usw. beziehen und die in erfreulicher Weise darauf hinweisen, dass der Gedanke, anbaufähiges Land zu gewinnen und bessern Schutz gegen Überschwemmungen zu schaffen, trotz der hohen Kosten und der schwierigen Arbeitsbedingungen immer noch lebendig geblieben ist.

Wenn man aber die starke finanzielle Belastung von Bund, Kantonen und Gemeinden, mit der die Ausführung solcher Bauten verbunden ist, in Betracht zieht, so scheint es uns angezeigt zu sein, die hierfür entwickelte Energie und Opferwilligkeit nur auf Unternehmen zu beschränken, deren Dringlichkei e r w i e s e n ist und die andern Arbeiten auf diesem Gebiete, wenn immer möglich, auf spätere, normalere Zeiten zu verschieben. Wir geben zu, dass eine solche Ausscheidung der Projekte nach dem Grade ihrer Notwendigkeit nicht immer leicht zu treffen sein wird; immerhin ersuchen wir die kantonalen Behörden, dahin zu wirken, dass in der Auswahl der Bauobjekte, für die Staatsbeiträge verlangt werden, strenger verfahren werde und dass Werke, deren Kosten in keinem richtigen Verhältnis zu dem zu erhoffenden Nutzen stehen, in die zweite Linie versetzt werden.

Das bisher verfolgte Verfahren im Erteilen von Ermächtigungen zur Inangriffnahme der Arbeiten gibt ebenfalls zu Bedenken Anlass, weil der Zeitabstand zwischen dem Baubeginn und der Einreichung bzw. Genehmigung des Projektes meistens zu gross ist. Wir möchten Sie daher einladen, derartige Gesuche nur g a n z a u s n a h m s w e i s e zu stellen "und Ihre technischen Beamten anzuweisen, die Ausführung der Arbeiten erst in Aussicht zu nehmen, wenn die erforderlichen Unterlagen vorgelegt und gutgeheissen worden, sind.

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Im Anschlüsse an diese Ausführungen, die sich ganz besonders a u f d i eV o r l a g e n f ü r G e w ä s s e r k o r r e k t i o n e n u n d B a c h v e r b a u u n g e n beziehen, die auf Grund des eidgenössischen Wasserbaupolizeigesetzes den eidgenössischen Bäten zur Genehmigung und Subventionierung zu unterbreiten sind, möchten wir Ihnen in bezug auf die B o d e n v e r b e s s e r u n g e n mitteilen was folgt: l. Das B o d e n v e r b e s s e r u n g s w e s e n hat, wie mit Befriedigung festgestellt werden kann, in den letzten Jahren in unserem Lande einen mächtigen Aufschwung genommen. Veranlasst wurde derselbe durch die zeitweise fast unüberwindlichen Hemmnisse in der Lebensmitteleinfuhr und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, die eigene Nahrungsmittelproduktion nach Möglichkeit zu vermehren; begünstigt wurde er durch die hohen Preise der Bodenerzeugnisse und erhöhte staatliche Unterstützungen. Dank dieser Faktoren wurden zahlreiche grosse Meliorationswerke in Angriff genommen, vor deren Kosten die beteiligten Grundbesitzer ehedem zurückschreckten.

So erfreulich diese Zunahme der Bodenverbesserungen ist, drängt sich doch angesichts der ausserordentlich hohen Kosten einzelner Werke die Frage auf, ob vor der Inangriffnahme solcher Arbeiten stets auch ihrer Wirtschaftlichkeit die gebührende Beachtung geschenkt wurde, d. h. ob die Projektverfasser jeweilen untersucht haben, ob der zu erwartende Nutzen zu den Ausführungskosten im richtigen Verhältnis steht. Vor dem Kriege erachtete man nur solche Verbesserungen als subventionswürdig, die einen Mehrertrag des Bodens erwarten lassen, der imstande ist, die Ausführungskosten zu verzinsen und zu amortisieren. Wenn nun auch infolge der ausserordentlichen Verhältnisse während des Krieges die Frage der Bentabilität etwas zurücktrat und man ohne ängstliche Bücksicht auf die Kosten mit allen Mitteln daraufhin arbeitete, durch Urbarisierung von Ödland neuen Boden für die Lebensmittelproduktion zu gewinnen, so wird man der Wirtschaftlichkeit der auszuführenden Werke in Zukunft doch wieder mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Man darf weder dem Grundbesitzer zumuten, Arbeiten auszuführen, deren Nutzen in schroffem Missverhältnis zu ihren Kosten steht, noch vom Staate verlangen, dass er dieselben unterstütze.

Durch die Steigerung der Arbeitslöhne und
Materialpreise wurden auch die Bodenverbesserungen gewaltig verteuert. Die Kosten der Entwässerung einer ha mittels Drainage, die vor dem Kriege Fr. 1000 -- 1200 betrugen, sind auf Fr. 3000 und mehr emporgeschnellt, ja sie überschreiten in einzelnen Fällen Fr. 10,000. Ähnlich

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liegen die Verhältnisse bei den Bedungen, wurden uns doch Projekte zur Subventionierung vorgelegt, wo die Kosten Fr. 14,000 für die ha übersteigen. Dass bei solchen Aufwendungen eine Bendite nur unter ausserordentlich günstigen Verhältnissen möglich ist, liegt auf der Hand.

Zufolge der Steigerung der Ausführungskosten, der Zunahme der Zahl der Projekte und der Erhöhung der Subventionsquote sind die Aufwendungen des Bundes für das Bodenverbesserungswesen in den letzten Jahren gewaltig angewachsen. Das veranschaulichen folgende Zahlen: Jahr

- .. .

,, ...i,,.

Projekte

Kostenvoranschläge Fr

Zugesicherte Bundesbeiträge in Franken in Prozent de|. Kosten

1917 . . . .

248 5,186,623.85 , 1,121,965.50 23,6 1918 . . . .

231 10,163,886.05 2,592,330.75 25,5 1919 . . . .

328 26,417,073.70 7,359,627.60 27,8 Vom 1. Januar 1920 bis heute wurden bereits Bundesbeiträge in der Höhe von rund 4 Millionen Franken zugesichert, und weitere Projekte mit einem Gesamtkostenvoranschlag von annähernd 20 Millionen Franken sind zur Subventionierung angemeldet.

Diese grossen Summen und die aussergewöhnlich hohen Kosten mancher Unternehmungen zwingen dazu, die Frage zu prüfen, ob nicht bei den Meliorationen grösseres Gewicht auf die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Unternehmung zu legen wäre und welche Massnahmen geeignet sein möchten, um solche Projekte auszuschalten, die erhöhten Ansprüchen an die Wirtschaftlichkeit nicht genügen.

Die Wirtschaftlichkeit einer Bodenverbesserung hängt nicht einzig von der Höhe ihrer Ausführungskosten ab, sondern sie wird durch eine ganze Beihe von Faktoren bedingt, so die bisherige Ertragsfähigkeit des Bodens, die nach der Melioration zu erwartenden Mehrertfäge, die Absatzverhältnisse und Preise für die verschiedenen Bodenprodukte usw. Es ist daher nicht möglich, die Wirtschaftlichkeit einer Unternehmung lediglich anhand des Kostenvoranschlages oder nach einem kurzen Augenschein zu beurteilen, es bedarf dazu vielmehr von Fall zu Fall der gründlichen Untersuchung aller in Betracht fallenden Verhältnisse. Diese Untersuchung ist Sache der kantonalen kulturtechnischen Organe, der Bund verfügt nicht über genügend Personal, um sie selbst vorzunehmen. Wir bitten Sie deshalb, in Zukunft alle uns zur Subventionierung vorzulegenden Boden- und Alpverbesserungsprojekte, deren Kosten, auf die Masseinheit berechnet, aussergewöhnlich hohe sind, durch Ihre Organe auf ihre Wirtschaftlichkeit prüfen zu lassen und Bericht und,

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soweit möglich, auch Berechnungen darüber den Projektakten beizugeben. Dabei ist folgendes zu beachten: Für den Grundbesitzer ist die Wirtschaftlichkeit einer Melioration gegeben, wenn die zu erwartenden hohem Eeinerträge des verbesserten Bodens die Verzinsung und Amortisation des von ihm selbst aufgewendeten Kapitals ermöglichen, da Kanton und Bund ihre Beiträge à fonds perdu leisten, eine Verzinsung und Amortisation also nicht verlangen. Anderseits erscheint die Aufwendung staatlicher Mittel zur Unterstützung von Bodenverbesserungen von volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten aus betrachtet nur dann gerechtfertigt, wenn dadurch eine Vermehrung des Nationaleinkommens erzielt wird.

Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens sollten deshalb die staatlichen Subventionen nicht ohne weiteres ausser Bechnung gesetzt werden. Auch im ungünstigsten Falle müssen aber die zu unterstützenden Unternehmungen Mehrerträge erwarten lassen, die selbst bei sinkenden Preisen der Bodenprodukte zum mindesten noch die Verzinsung und Amortisation der eigenen Aufwendungen des Grundbesitzers gestatten.

2. Schon im Jahre 1895 empfahl die nätionalrätliche Kommission zur Prüfung der Finanzlage des Bundes dem Bundesrat, während der Defizitperiode die Bundesbeiträge an Bodenverbesserungen in der Begel nicht höher als 25% zu bemessen und bei der Bewilligung von Subsidien an Private deren ökonomische Verhältnisse zu berücksichtigen. Anlässlich der Bewilligung eines Nachtragskredites für das Jahr 1909 durch den Nationalrat wurde der genannte Prozentsatz auch von Vertretern der Landwirtschaft als genügend anerkannt.

Da der Bundesbeitrag von 25% in der Begel eine mindestens ebenso hohe Subvention des Kantons oder von anderer unbeteiligter Seite bedingt, hat der Grundbesitzer höchstens noch die Hälfte der Kosten der 'Melioration aus eigenen Mitteln aufzubringen. Kann er sich trotzdem zur Ausführung der Verbesserung nicht entschliessen, weil ihm ihre Wirtschaftlichkeit zweifelhaft erscheint, so wird die Nichtausführung der Arbeiten in der Begel auch vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus kaum zu bedauern sein. Diesen Erwägungen gemäss wurde der Bundesbeitrag an Bodenverbesserungen vom Jahre 1910 hinweg nur noch da über 25% festgesetzt, wo besondere Verhältnisse es rechtfertigten. Angesichts der Notwendigkeit,
der Lebensmittelproduktion möglichst viel neuen Boden zu erschliessen, erklärte sich der Bundesrat dann im Jahre 1917 bereit, unter bestimmten Bedingungen die Subventionsquote für Bodenverbesserungen, die unmittelbar der Vermehrung der Lebensmittelproduktion dienen, für die Dauer der ausserordentlichen Verhältnisse allgemein zu er-

39 höhen. Soweit die Voraussetzungen dafür erfüllt waren, wurden seither an derartige Verbesserungen wieder Beiträge von 80% und mehr bewilligt.

Die wachsenden Ansprüche an die Bundeskasse zwingen nun die Bundesbehörde, sich auch in der Bewilligung von Beiträgen an Bodenverbesserungen wieder eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Die Erwägungen, die im Jahre 1910 zur Beschränkung des Beitragsmaximums auf 25% führten, verdienen auch jetzt noch volle Beachtung. Kantons- und Bundesbeiträge von zusammen höchstens 50% der Kosten dürften auch weiterhin in der Eegel ausreichen, um zur Durchführung rationeller Bodenverbesserungen anzuspornen und sie zu sichern. Ein Bundesbeitrag von mehr als 25% wird sich nur noch da begründen lassen, wo besonders schwierige Verhältnisse vorliegen, die eine vermehrte Unterstützung zur Notwendigkeit machen. Wir ersuchen Sie, bei Vorlage von Projekten, bei denen derartige Verhältnisse bestehen, dem Volkswirtschaftsdepartement dies mitzuteilen und die Gründe darzulegen, die für eine erhöhte Subvention sprechen, unter Beilage eines Berichtes über die Wirtschaftlichkeit des auszuführenden Werkes und die ökonomischen Verhältnisse der beteiligten Grundbesitzer. Voraussetzung für die Bewilligung eines höhern Beitrages ist auch in diesem Falle die Ausrichtung eines entsprechenden Beitrages des Kantons oder von anderer unbeteiligter Seite.

Die durch Art. 3 des Bundesratsbeschlusses vom 23. März 1918 betreffend die Förderung der Güterzusammenlegungen in Aussicht gestellte Erhöhung der Bundesbeiträge an Güterzusammenlegungen wird durch die Beschränkung des Beitragsmaximums nicht berührt.

Im übrigen benützen wir diesen Anlass, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 11. Mai 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespr.äsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Steiger.

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