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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Schutzhaftinitiative.

(Vom 6. September 1920.)

Der Bundeskanzlei sind Ende Juli 1919 109,536 Unterschriften von Schweizerbürgern übermittelt worden, die verlangen, dass in die Bundesverfassung folgender Artikel aufgenommen werde : ,, D e r B u n d h a t d i e P f l i c h t , S c h w e i z e r b ü r g e r , die die innere Sicherheit des Landes gefährden, u n v e r z ü g l i c h in S c h u t z h a f t zu nehmen." Von diesen Unterschriften wurden 62,323 als gültig und 47,213 als ungültig erkannt. Mit Bericht vom 22. November 1919 (Bundesbl. 19'19, V, 651) leitete der Bundesrat das Initiativbegehren gemäss Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung vom 27. Januar 1892 an die Bundesversammlung. Der Nationalrat nahm am 25. Februar und der Ständerat am 5. März 1920- von diesem Berichte Vormerk, mit der Einladung an den Bundesrat, die weitem Vorkehren zu treffen.

Soweit aus der Presse bekannt wurde, wird das Initiativbegehren wie folgt begründet: Einerseits wird hervorgehoben, dass die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zur Bekämpfung der revolutionären Propaganda und der Umsturzversuche nicht genügen, anderseits wird geltend gemacht, die Gerichte und die Administrativbehörden hätten es an der furchtlosen Anwendung dieser Bestimmungen fehlen lassen ; durch den neuen Verfassungsartikel soll dem Bundesrat die gesetzliche Grundlage gegeben werden, um in Zeiten des öffentlichen Notstandes mit aller Schärfe einzugreifen und Volksverhetzer in Schutzhaft zu nehmen, ohne jedesmal einen Sensationsprozess in Szene setzen zu müssen, der oft im Sande verlaufe.

Es wäre ungerecht und undankbar, wenn nicht gerade der Bundesrat den guten Willen der Initianten, den Behörden eine

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wirksame Waffe zur Bekämpfung der staatsunterwühlenden Umtriebe in die Hand zu geben, anerkennen würde. Ein durchaus gesundes Empfinden sagt ihnen, dass die Tätigkeit revolutionärer Individuen und Gruppen in der Schweiz, die unter sich und mit revolutionären Elementen des Auslandes in steter Fühlung stehen, eine Ausdehnung angenommen hat, die unerträglich wird und der Abwehr ruft.

Ist die Schutzhaft, wie sie vorgeschlagen wird, das richtige Mittel? Wir müssen es verneinen. Sie bedeutet einen so einschneidenden Eingriff in die Freiheit des Bürgers, dass von ihr nur dann die Rede sein kann, wenn sie zur Aufrechthaltung der allgemein gefährdeten innern Sicherheit des Staates unumgänglich notwendig wird oder wenn sie mit den für eine individuelle Anwendung notwendigen, genau umschriebenen Voraussetzungen umgeben ist. Der Begriff ,,Gefährdung der innern Sicherheit des Landes" ist keine solche genügende Voraussetzung. Er genügt zur Umschreibung der allgemeinen Aufgabe des Bundesrates im Sinne des Verfassungsartikels 102, Ziffer 10. Er mag auch noch genügen, um einen speziellen Ordnungsauftrag gegenüber denjenigen, die wir als Gäste im Lande beherbergen, zu umschreiben im Sinne von Art. 70 der Bundesverfassung. Aber er genügt nicht mehr, um dem Schweizerbürger gegenüber in normalen Zeiten eine Freiheitsberaubung -- nicht nur als Recht, sondern sogar als Pflicht der Behörde -- zu- rechtfertigen. Der Bundesrat hat es nie abgelehnt, von seiner in Art. 70 der Bundesverfassung begründeten Ausweisungsbefugnis gegenüber Landfremden Gebrauch zu machen, weil die Voraussetzung hierfür zu vag gehalten sei.

Er hat im Gegenteil erst kürzlich wieder auf Interpellation hin erklärt, 'dass er von diesem seinem Rechte -- bei aller Zusicherung gerechter Untersuchung -- nach wie vor ohne Zimpferlichkeit Gebrauch machen werde. Die Aufgabe ist ihm hier einmal dadurch erleichtert, dass für ihn nicht die zwingende Pflicht, sondern nur eine Befugnis aufgestellt wird; er kann sich der Einzelheit des Falles anpassen, an die Stelle der Ausweisung die Verwarnung treten lassen. Aber auch dann, wenn er im Zweifel scharf dreinfährt und den Fremden vor die Türe stellt, wird er sich immer darauf berufen können, dass der Fremde zum mindesten nicht ganz unverschuldet die Ausweisungsmassregel erleidet. Der Fremde hat bei uns keine politischen
Rechte. Mischt er sich trotzdem in unsere politischen Verhältnisse und benimmt er sich so taktlos, dass die Störung unserer innern Ordnung durch sein Verhalten auch nur in Frage kommen kann, so hat er die Folgen in erster Linie sich selbst zuzuschreiben. Er kann sich auch über

'215 diese Folgen nicht allzusehr beklagen, die ja nur darin bestehen, dass man ihn anweist, seine unerwünschte Tätigkeit in das eigene Heimatland zu verlegen -- wenn dieses sie ihm gestattet !

Anders ist es mit der verlangten Schutzhaft. Diese richtet sich nicht gegen Fremde, sondern ausdrücklich gegen Schweizerbürger und interessanterweise nur gegen Schweizerbürger. Wir nehmen an, die Fremden seien hier weggelassen worden, einerseits, weil man gegen sie den Art. 70 der Bundesverfassung als genügende und auch wünschenswertere Abwehrbestimmung erachte -- wir sind auch hiermit einverstanden --, anderseits vielleicht weil man -- ob zu Recht oder Unrecht -- die Haftbefugnis gegenüber gefährlichen Fremden schon Jetzt als gegeben betrachte.

Wir sind nun aber der Ansicht, dass die Formulierung der Voraussetzung wohl für den Fremden genügen mag, nicht aber für den Schweizerbürger. Der Schweizerbürger hat politische Rechte, dio er ausüben darf und soll. Zur Ausübung dieser Rechte darf er die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Redefreiheit, die Pressfreiheit, die Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen. Unsere demokratische Überlieferung, errungen in Freiheitsbewegungen, auf die wir heute noch stolz sind, will nichts wissen von einer Beschränkung dieser Freiheiten, soweit solche Sehranken nicht durch das allgemeine Strafrecht gesetzt sind. Es ist eher zu konstatieren, dass man sich sogar scheut, von den durch das Strafgesetz wirklich gezogenen Sehranken Gebrauch zu machen, namentlich denjenigen Missbräuchen der Presse gegenüber, bei denen es eines speziellen Antrages bedarf. Nun soll plötzlich, während man sich über das bisherige Ungenügen sogar der Gerichte beklagt, eine Verwaltungsbehörde eingreifen können, und zwar mit dem Freiheitsentzug! Wir nehmen nämlich an, dass als Ausführungsbehörde des Bundes, der im Initiativentwurf genannt ist, gleich wie für Art. 70 der Bundesverfassung, der Bundesrat in Aussicht genommen sei. Die Verantwortlichkeit, die damit ihm, oder welch andere Behörde immer hierfür in Frage kommen sollte, aufgebürdet würde, ist unübersehbar, um so mehr, als sie, wie bereits oben bemerkt, auf einer Pflicht und nicht bloss auf einer Befugnis beruhen soll. Auch wenn man annimmt, dass die vorgesehene Verfassungsbestimmung durch ein Ausführungsgesetz präzisiert werden soll, werden die
Hauptübelstände der zu weiten Fassung der Initiative nicht beseitigt werden können.

Während andere Staaten die Anwendung der Schutzhaft nur für Zeiten eines öffentlichen Notstandes, der ausdrücklich als solcher verkündet werden muss (Ausnahmezustand, Belagerungszustand), vorsehen, legt das Volksbegehren dem Bunde ganz all-

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gemein die Pflicht auf, die Schweizerbürger, die die innere Sicherheit des Landes gefährden, in Schutzhaft zu nehmen. Es wird kein Unterschied gemacht, ob diese Gefährdung in Zeiten einer revolutionären Aktion oder während einer verhältnismässig ruhigen Periode erfolgt. Nur im erstem Falle darf unseres Ermessens eine den Rahmen des heutigen Verfassungszustandes überschreitende, die Freiheit des einzelnen Bürgers beschneidende Massregel ins Auge gefasst werden, während für normale Zeiten unter allen Umständen die Reohtsgarantien aufrechterhalten werden müssen zur Vermeidung der Willkürgefahr. Das heisst mit andern Worten, dass als Voraussetzung zum Einschreiten gegeben sein muss zum mindesten die V o r b e r e i t u n g einer straf baren Handlung, nach geltendem Rechte also eines bestimmten hochverräterischen oder aufrührerischen Unternehmens. Damit sind dann auch für die ausführende Behörde die Anhaltspunkte gegeben zur Feststellung der Dauer der anzuordnenden Haft, während nach dem Initiativvorschlag auch nach dieser Richtung Willkür kaum zu vermeiden sein dürfte. Nur bei allgemeiner Proklamierung eines Ausnahmezustandes, dessen Dauer vielleicht auch für die Schutzhaft befristend wirkte, wäre eine relativ gesetzliche Grundlage geschaffen, die uns aber durch die Formulierung der Initiative ausgeschlossen erscheint. Das vorgeschlagene Mittel ist auch ein durchaus einseitiges; man wird nicht behaupten können, dass es in allen Gefährdungsfällen das r i c h t i g e sei.

Wenn somit der Bundesrat, gestützt auf die dargelegten Bedenken, nicht in der Lage ist, die Aufnahme der allgemeinen Schutzhaft in die Verfassung zu empfehlen, bevor alle in der jetzigen Verfassung vorgesehenen gesetzgeberischen Massnahmen zur Verhütung und Bestrafung von hochverräterischen Unternehmungen erschöpft sind, so gibt ihm allerdings die Initiative Veranlassung, auf diese bestehenden Möglichkeiten ganz ausdrücklich hinzuweisen. Bevor die allgemeine Schutzhaft als Präventivmassnahme in die Bundesverfassung eingeführt wird, sollten die in der Bundesverfassung vorgesehenen Massnahmen gegen den Missbrauch der Pressfreiheit (Art. 55, AI. 2) und der Vereinsfreiheit (Art. 56) erlassen werden. Durch den gestützt auf Art. 102, Ziff. 9 und 10, der Bundesverfassung und die ausserordentlichen Vollmachten erlassenen Bundesratsbeschluss
vom 12. Juli 1918 betreffend Massnahmen der Kantonsregierungen zur Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung wurden die Kantonsregierungen ermächtigt, ausserordentliche Massnahmen zur Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung zu treffen, insbesondere öffentliche Versammlungen und

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Umzüge von einer polizeilichen Genehmigung abhängig zu machen und unter polizeiliche Kontrolle zu stellen, Ansammlungen und Zusammenrottungen zu verbieten. Bei einer zielbewussten Anwendung dieser Massnahmen wird sich das Bedürfnis nach einer allgemeinen Schutzhaft verringern.

Die von den Initianten zur Begründung des Volksbegehrens angeführte Untätigkeit der Behörden sowie die im nämlichen Zusammenhang erwähnten Freisprüche erklären sich zum grossen Teil aus der Lückenhaftigkeit der geltenden Gesetze, insbesondere des veralteten Bundesstrafrechtes in bezug auf die Verfolgung der heutigen revolutionären Umtriebe. Bevor eine allgemeine Schutzhaft durch eine Verfassungsrevision eingeführt wird, käme eine Ergänzung des Bundesstrafrechtes auf dem ordentlichen Gesetzgebungswege in Betracht, wie schon die Niederlande, England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika ihre Strafgesetze ergänzt haben. Von den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zur Bekämpfung der revolutionären Umtriebe hajben die Bundesbehörden immer Gebrauch gemacht, wenn sie überhaupt zur Anwendung kommen konnten.

Der -Bundesrat verfolgt die Umsturzbewegung in unserm Lande mit aller Aufmerksamkeit. Er wird zu gegebener Zeit von allen ihm gemäss Art. 102, Ziff. 10, der Bundesverfassung und dem Bundesbeschluss vom 3. April 1919 zustehenden Massnahmen Gebrauch machen, um einer Gefährdung oder Störung der innern Sicherheit der Eidgenossenschaft vorzubeugen.

Wir empfehlen Ihnen die Ablehnung des Volksbegehrens und benützen auch diesen Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 6. September 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler: Steiger.

·>^K--

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