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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Erlass eines Bundesgesetzes über den Nachlass und die Stundung eidgenössischer Stempelabgaben.

(Vom 24. Dezember 1920.)

I.

Die durch den Krieg hervorgerufene Krisis hat gewisse Zweige unserer nationalen Wirtschaft, vorab das Hotel- und Transportgewerbe, so empfindlich in Mitleidenschaft gezogen, dass die gründliche Wiederherstellung der gestörten ökonomischen Verfassung vieler Unternehmungen ein dringendes Gebot geworden ist und dass sich auch der Staat der Aufgabe nicht entziehen kann, die Bestrebungen zu fördern und zu erleichtern, die sich auf eine solche Wiederherstellung richten. Der Bund hat diese Aufgabe nicht verkannt, sondern er hat sich bemüht, das Verfahren, das bei solchen finanziellen Eekonstruktionen einzuschlagen ist, zu ordnen, und er hat für notleidende Unternehmungen mehrfach gesetzliche Verpflichtungen, namentlich solche, die im Interesse der Gläubiger aufgestellt sind, gemildert. Diese Milderungen erstrecken sich aber bisher auf eine Art gesetzlicher Verpflichtungen nicht, die gerade durch die Sanierungsmassnahmen selbst, und zwar zugunsten des Bundes, begründet werden: auf die Stempelabgaben, welche bei der Sanierung notleidender Unternehmungen fällig werden. Während die Bestimmungen über die eidgenössische Kriegssteuer und die eidgenössische Kriegsgewinnsteuer ganz allgemein die Vorschrift enthalten, dass diese Steuern dem Pflichtigen erlassen werden dürfen, wenn ihre Erhebung für diesen eine besondere Härte bedeutete, besteht eine solche Ermächtigung im Stempelgesetze nicht Das ist an und für sich keineswegs unbegründet, da die indirekten Steuern nicht nach der Leistungsfähigkeit der Pflichtigen zu bemessen sind, ja in der Regel gar nicht nach diesem Gesichtspunkte bemessen werden können (die Bücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Steuerträger bestimmt nur die Auswahl der Steuerobjekte). Allein gerade bei den Abgaben, die in-

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folge der Sanierung von notleidenden Unternehmungen verfallen,, wäre die Milderung von Härten möglich und, wie wir glauben, in1.

Interesse der Billigkeit oft dringend geboten.

Die geltende Vollziehungsverordnung zum Stempelgesetze hat versucht, diesem Gebote im Rahmen des Gesetzes zu entsprechen, indem sie-der Steuerbehörde gestattet, für die bei Sanierung verfallenden Stempelabgaben Stundung zu gewähren. Es hat sich aboigezeigt, dass diese Erleichterung in manchen Fällen nicht ausreicht.

Bei einer Sanierung müssen sich beispielsweise die Gläubiger eines Unternehmens, denen für ihre Lieferungen fällige Forderungen zustehen, mit Obligationen mit einem niedrigen Zinsfusse oder gar mit Aktien des Unternehmens abfinden lassen. Die Aktionäre müssen mit ihrem Mitgliedschaftsrechte hintei' die Inhaber neuer Aktien zurücktreten oder infolge von Verlusten an Stelle ihrer Aktien ni;t Genussscheinen vorliebnehmen. Davon, dass die hierüber zu troffenden Vereinbarungen und Beschlüsse zustande kommen, hängt es ab, ob das Unternehmen, von dessen Bestände häufig viele Existenzen abhängen, weiterbetrieben werden kann oder nicht. Es ist wahr, dass das Gelingen der Sanierung gelegentlich ausserordeutlich erschwert wird, wenn nun bei der Ausgabe der von den Gläubigern zu übernehmenden Obligationen oder Aktien, bei der Ausgabe von Aktien geringern Rangs für die bisherigen Aktionäre usw. erheblicho Steuerbeträge zu entrichten sind, welche entweder von den schon von Verlusten betroffenen Übernehmern der Wertpapiere oder von den überlasteten Unternehmen getragen werden müssen. Für solche Fälle sollte der Bund ermächtigt sein, die geschuldeten Abgaben nicht bloss zu stunden, sondern sie auch unter Umständen ganz oder teilweise zu erlassen. Denn die Stundung ist keine wirkliche Erleichterung, weil dabei für das Unternehmen die Abgabeschuld doch entsteht und weil es daher mit der Notwendigkeit, sie zu tilgen, rechnen muss. Deshalb hat schon die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission in ihrem Berichte über das Jahr 1919 (Bundesbl. 1920, III, 525) eine Prüfung der Frage angeregt, ob man nicht den in schlimmster Lage befindlichen Unternehmungen noch weiter entgegenkommen könnte.

Es scheint in der Tat gerechtfertigt, dass der Bund zu solchen Sanierungen die Hand biete, indem er den Steuererlass, der schon auf andern
Gebieten ermöglicht worden ist, in diesem beschränkten Umfange auch für die Stempelabgaben zulässt. Die Steuerverwaltu.ng, die nicht selten in der Lage gewesen ist, Stundungen zu bewilligen, käme bei manchen Unternehmungen in Verlegenheit, wenn sie genötigt wäre, die gestundeten Abgaben einzufordern. Ein über den blossen Auf-

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schub des Abgabebezuges hinausgehendes Entgegenkommen würde sich in solchen Fällen auf natürliche Weise an die Massnahmen anschliessen, die der Bund zur Erleichterung der bestehenden Krise getroffen hat.

Hierzu bedarf es indessen einer gesetzlichen Grundlage, da die Verwaltungsbehörde von sich aus nicht die Befugnis hat, auf die dem Staate geschuldeten Abgaben zu verzichten. Es empfiehlt sich ferner, die erforderlichen Bestimmungen rasch in Wirksamkeit zu setzen, damit den Anforderungen der gegenwärtigen Lage Eechnung getragen werden kann. Über den in Frage stehenden Gegenstand auf Grund der Vollmachten zu legiferieren, geht nicht an, da nicht davon gesprochen werden kann, dass es sich um eine zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Landes unumgänglich notwendige Massnahme handle. Wir beantragen deshalb den Erlass eines selbständigen Bundesgesetzes in der Erwartung, dass die wenig umfangreiche, sachlich einleuchtende und von der eidgenössischen Stempelkommission einlässlich vorberatene Vorlage bald erledigt werden kann.

Der Erlass wird später bei einer Eevision des Stempelgesetzes in dieses hineingearbeitet werden können; jetzt aber erscheint es als zweckmässig, der Vorlage nicht die Form einer Abänderung jenes Gesetzes zu geben, damit Zweck und Umfang der beantragten Neuerung zu klarem Ausdruck gelangen und der Erlass die seiner Dring^ lichkeit angemessene Erledigung erfährt.

II.

Im einzelnen ist zu den vier Artikeln des Entwurfes folgendes zu bemerken: Art. 1. Wenn bei einer Sanierung die Erhebung der Stempelabgaben, die auf der Ausgabe inländischer Wertpapiere lasten, eine offenbare Härte gegen den Abgabepflichtigen bedeutete, so können diese Abgaben nach Massgabe von Art. 2 und 3 gestundet oder erlassen werden.

Der Erlass und die Stundung der Abgaben sollen an die Voraussetzung geknüpft sein, dass die Einforderung eine offenbare Härte darstellte. Die Behörden sollen den Sachverhalt in jedem Einzelfall untersuchen; von vornherein unter bestimmten Voraussetzungen Steuerbefreiung zu statuieren, ginge nicht an. Der Artikel bringt nicht besonders zum Ausdruck, dass die weitergehende Massnahme des Steuererlasses nur zu treffen ist, wenn eine Stundung die Härte . nicht zu beseitigen vermag; eine formale Abstufung der Anforderungen wäre aber kaum zu finden und ist wohl auch nicht möglich; be-

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stimmend werden im Einzelfall vielmehr das Abwägen des jeweiligen Notstandsgrades und die Prognose der künftigen Prosperität und Steuerkraft des Abgabepflichtigen sein.

Art. 2. Stundung und Erlass sind nur bei Abgaben zulässig, welche verfallen, a. wenn Gläubiger eines Unternehmens für ihre Forderungen ganz oder zum Teil durch Obligationen oder Beteiligungsurkunden (Aktien, Genussaktien, Genussscheine oder Stamrakapitalanteile) abgefunden werden; b. wenn Mitglieder von Aktiengesellschaften, Kommanditaktieûgesellschaften oder Genossenschaften infolge von Verlusten des Unternehmens an Stelle ihrer Beteiligungsurkunden, sei es zu deren vollem Betrage oder zu einem Teile dieses Betrages, neue mit geminderten Eechten übernehmen müssen oder auf ihre infolge von Verlusten abgeschriebenen Beteiligungsurkunden neue Einzahlungen leisten.

Die Fälle, in denen die durch Art. l gestatteten Erleichterungen bewilligt werden dürfen, sind genau zu umschreiben, da man sich von den Bücksichten, welche die gegenwärtige Vorlage veranlassen, nicht zu weit verleiten lassen darf. Die Abgrenzung entspricht derjenigen, die in der geltenden Vollziehungsverordnung zum Sternpelgesetze für die Stundung getroffen worden ist und die sich bewährt hat. Steuerbefreiung soll nur dann gewährt werden, wenn, die Übernahme neuausgegebener Wertpapiere für die Übernehmer mit der Aufopferung bestehender Rechte und Ansprüche verbunden ist, sei «s, dass Gläubiger für ihre Forderungen mit den neuausgegebenon Wertpapieren abgefunden werden (lit. a), sei es, dass Aktionäre usw.

Wertpapiere geringern Banges an Stelle ihrer ursprünglichen Anteile übernehmen müssen (lit. b). Die Begünstigung bleibt für solche Fälle versagt, wo ein Unternehmen neues Kapital erhält, das nicht gemiiss den massgebenden Beschlüssen von den bisher Beteiligten aufgebracht werden muss; denn dass es auf dem Markte neue Titel zu placieren vermag, ist stets ein Zeichen wiedererlangter Leistungsfähigkeit. Der Entwurf fasst, um nicht zu schwerfällig zu werden, Aktien, Genussaktien, Stammkapitalanteile und Genussscheine unter der Bezeichnung «Beteiligungsurkunden,) zusammen, obschon die Genussscheine streng genommen keine Mitgliedschaftsrechte (Beteiligung) verbriefen; die Vereinfachung schien erlaubt, da auch das Stempelgesetz die Genussscheine den Aktien gleichstellt.

Art. 3. Für gestundete Abgaben kann Sicherheit verlangt werden. Für die Entrichtung der gestundeten Abgaben sind bo-

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stimmte Termine festzusetzen, die nötigenfalls bei Eintritt hinausgeschoben werden können.

Um den Bezug voraussichtlich einbringlicher Abgaben zu erleichtern, wird der Verwaltung zur Pflicht gemacht, bei Zubilligung von Stundungen jeweils bestimmte Zahlungstermine festzusetzen; die Stundungsfristen können erforderlichenfalls erstreckt werden, wenn sie sich bei Ablauf als unzureichend erweisen. Die zur Einräumung von Stundungen zuständigen Instanzen werden ferner ermächtigt, für die Steuer, deren Bezug verschoben wird, Sicherheit zu verlangen.

Art. 4. Der Bundesrat erlässt die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Verordnungen; er regelt insbesondere die Zuständigkeit zum Erlass und zur Stundung von Abgaben und die Abstempelung von Wertpapieren, für welche die Abgaben gestundet oder erlassen sind.

Zur Ausführung des Gesetzes werden verschiedene Bestimmungen nötig sein. In bezug auf die Zuständigkeit wird entschieden werden müssen, ob die Verfügung insbesondere des Abgabeerlasses dem eidgenössischen Finanzdepartement oder der eidgenössischen Steuerverwaltung zu übertragen sei; es kommt auch eine Verteilung der Zuständigkeit in Frage. Ferner wird bestimmt werden müssen, was auf den Titeln, für welche die Abgaben erlassen worden sind, in bezug auf die Erfüllung der Abgabepflicht zu vermerken sei, damit keine Anstände wegen der Zirkulation ungestempelter Titel entstehen. Die Vollziehungsvorschriften werden aber immerbin nicht von grösserm Umfang sein. Strafbestimmungen sind in dem Gesetze nicht aufzunehmen. Wer Titel ohne Bücksicht auf die Abgabepflicht ausgibt, unterliegt, wenn die Abgaben ihm nicht erlassen worden sind, den Strafen, die das Stempelgesetz festsetzt.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 24. Dezember 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä d i d e n t : Motta.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

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(Entwurf.)

Bundesgesetz betreffend

Erlass und Stundung von Stempelabgaben.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung des Art. 41bls der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, nach Einsichtnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 24. Dezember 1920, beschliesst: Art. 1. Wenn bei einer Sanierung die Erhebung der Stempelabgaben, die auf der Ausgabe inländischer Wertpapiere lasten, eine offenbare Härte gegen den Abgabepflichtigen bedeutete, so können diese Abgaben nach Massgabe von Art. 2 und 3 gestundet oder erlassen .werden.

Art. 2. Stundung und Erlass sind nur bei Abgaben zulässig,, welche verfallen, a. wenn Gläubiger eines Unternehmens für ihre Forderungen ganz oder zum Teil durch Obligationen oder Beteiligungsurkunden (Aktien, Genussaktien, Genussscheine oder Stammkapitalanteile) abgefunden werden; b. wenn Mitglieder von Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften oder Genossenschaften infolge von Verlusten des Unternehmens an Stelle ihrer Beteiligungsurkunden, sei es zu deren vollem Betrage oder zu einem Teile dieses Betrages, neue mit geminderten Bechten übernehmen müssen oder auf ihre infolge von Verlusten abgeschriebenen Beteiligungsurkunden neue Einzahlungen leisten.

Art. 3. Für gestundete Abgaben kann Sicherheit verlangt werden.

Für die Entrichtung der gestundeten Abgaben sind bestimmte Termine festzusetzen, die nötigenfalls bei Eintritt hinausgeschoben werden können.

Art. 4. Der Bundesrat erlässt die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Verordnungen ; er regelt insbesondere die Zuständigkeit zum Erlass und zur Stundung von Abgaben und die Abstempelung von Wertpapieren, für welche die Abgaben gestundet oder erlassen sind.

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29.12.1920

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