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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Postulate über Protokollführung im Nationalrat und Ständerat und Drucklegung der Protokolle.

(Vom 27. Januar 1920.)

Bei Anlass der Behandlung des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1919 betreffend die Organisation der Bundeskanzlei (Gesetzsammlung. Bd. XXXV, S. 873) ist von den gesetzgebenden Räten folgendes Postulat angenommen worden : Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen: a. ob neue Bestimmungen betreffend Protokollführung im Nationalrat und Ständerat zu erlassen seien; b. ob die Protokolle des Nationalrates, Ständerates und Bundesrates gedruckt werden sollen.

Der Bundesrat hat damals erklärt, es sollte dieses Postulat bei Anlass der Revision der Geschäftsreglemente des Nationalrates und des Ständerates seine Erledigung finden; er hat deshalb einen Berieht über dasselbe auf diesen Zeitpunkt in Aussicht gestellt. Nachdem nun der Nationalrat beschlossen hat, eine Kommission mit der Prüfung aller Motionen, die eine Änderung des bestehenden Geschäftsreglementes des Nationalrates bezwecken, zu beauftragen, ist dieser Zeitpunkt gekommen. Der Bundesrat beehrt sich, Ihnen über das gestellte Postulat den nachfolgenden Bericht zu erstatten.

Der erste Teil des Postulates hat eine Entlastung des Kanzlers und des Vizekanzlers zum Zweck. Die Verfassung schreibt in Art. 105 vor, dass die Bundeskanzlei die Kanzleigeschäfte bei der Bundesversammlung und beim Bundesrat zu besorgen habe.

Das Bundesgesetz vom 9. Oktober 1902 betreffend den Geschäftsverkehr zwischen Nationalrat, Ständerat und Bundesrat spricht nur ganz allgemein von der Bundeskanzlei, ohne den Bundeskanzler oder die Vizekanzler speziell zu bezeichnen. Nur dio

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Geschäftsreglemente der beiden Räte weisen dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler besondere Aufgaben bezüglich der Protokollführung1 zu. Das Geschäftsreglement des Nationalrates vom 5. Juni 1903 schreibt in Art. 22 vor: Der Bundeskanzler oder einer seiner Stellvertreter führt das Protokoll; das Geschäftsreglement des Ständerates vom 27. März 1903 schreibt in Art. 23 vor: Der eidgenössische Vizekanzler oder ein Stellvertreter führt für jede Sitzung ein Protokoll. Seit der Einführung einer zweiten Vizekanzlerstelle hat stets der Vizekanzler deutscher Zunge in den Sitzungen des Ständerates die Verschreibung des Protokolls übernommen. Wenn also Änderungen in der Richtung vorgenommen werden sollen, dass der Bundeskanzler und der Vizekanzler von der Aufgabe, die Protokolle zu führen, in Zukunft zu entlasten seien, so sind lediglich in den beiden Gescbäftsreglementen die daherigen Bestimmungen abzuändern und neu zu formulieren.

Es kann nicht bestritten werden, dass eine teilweise Entlastung des Kanzlers und des Vizekanzlers deutscher Zunge als angezeigt erscheint. Beide sollten in die Lage versetzt werden, ihr Augenmerk mehr auf eine richtige und exakte Redaktion der Beschlüsse und Botschaften zu richten, als es bis dahin der Fall sein konnte. Beide sollten auch Übersetzungen von in französischer Sprache abgefassten Botschaften und Beschlüssen besorgen können, wozu erfahrungsgemäss ein Bedürfnis vorhanden ist. Die Zunahme der Zahl und der Dauer der Sessionen der gesetzgebenden Räte und die Ansetzung der vielen Nachmittagssitzungen, welche besonders im Nationalrate zur Bewältigung der vielen Geschäfte dringend notwendig geworden sind, nehmen dem Kanzler und dein Vizekanzler die nötige Zeit, um diesen wichtigen Aufgaben nachzukommen, müssen sie doch mindestens den dritten Teil des Jahres sich mit der Protokollführung in den gesetzgebenden Räten befassen.

Ein weiterer Grund, der für eine Änderung der bisherigen Ordnung in der Protokollführung spricht, besteht darin, dass insbesondere der Bundeskanzler, in geringerem Masse auch der Vizekanzler, wählend der Sitzungen der Räte durch Beantwortung von allerlei Anfragen, durch Erteilung von Auskunft an die Ratsmitglieder und durch Verfügungen der Vorsitzenden, sowie die Besorgung von Kanzleigeschäften, öfters in die Unmöglichkeit versetzt werden, den Verhandlungen
der Räte diejenige Aufmerksamkeit zu schenken, die notwendig ist, um eine richtige und genaue Protokollführung besorgen zu können. Eine solche wird nur dann ermöglicht, wenn dem Protokollführer keine

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andere Aufgabe zugeteilt wird als diejenige, die Verhandlungen der Räte korrekt und richtig im Protokoll niederzulegen. Wir stimmen also dem im Postulat ausgesprochenen Gedanken einer Änderung der Protokollführung im Sinne der Entlastung des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers zu.

Es entsteht nun die Frage, wer in Zukunft die Protokolle der gesetzgebenden Räte zu führen habe. In dieser Beziehung machen wir keine Vorschläge, sondern wir halten dafür, es sei Sache der gesetzgebenden Räte, die ihnen zweckentsprechend erscheinenden Vorschriften in die Geschäftsreglemente aufzunehmen. Wir machen aber darauf aufmerksam, dass ein stetiger Kontakt zwischen den gesetzgebenden Räten und dem Bundesrate aufrechterhalten bleiben sollte, was dadurch geschehen könnte, dass der Bundeskanzler behufs Beantwortung von Anfragen, Erteilung von Auskunft, Unterstützung der Präsidien und Besorgung von KanzleigeschäTten an den Sitzungen der gesetzgebenden Räte teilnimmt, ohne jedoch genötigt zu sein, während der ganzen Dauer den Verhandlungen beizuwohnen.

Was die Person des Protokollführers anbelangt, fallen verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Wir beschränken uns darauf, hier einzelne derselben hervorzuheben. In verschiedenen Parlamenten werden besondere Sekretäre bezeichnet, die den Mitgliedern der Räte entnommen werden und für eine Amtsdauer mit der Führung des Protokolles beauftragt werden. In andern Parlamenten werden Beamte der Kanzleien mit dieser Aufgabe betraut, und anderwärts wählt die Exekutive besondere Personen, welche sich für die Führung der Protokolle eignen. Das letztere System hat sich bei uns Eingang verschafft für die Besorgung der Übersetzungen. Die Übersetzer werden vom Bundesrate bezeichnet und beziehen für ihre Verrichtungen ein Taggeld, besorgen also die daherigen Arbeiten im Nebenamte.

Der zweite Teil des Postulates handelt von der Frage der Drucklegung der Protokolle des Nationalrates, Ständerates und Bundesrates. Die Protokollführung in den Bundesratssitzungen ist in dem durchaus veralteten Reglement vom 1. August 1850 festgelegt. Dieses Reglement wird nächstens durch das in Art. 3, Absatz 2, des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1919 betreffend die Organisation der Bandeskanzlei vorgesehene, vom Bundesrat zu erlassende neue Reglement ersetzt werden. Bei Erlass dieses neuen Réglementes wird die Frage, ob die Protokolle der Sitzungen des Bundesrates zu drucken seien, ihre Erledigung finden.

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Bezüglich der Drucklegung der Protokolle des Nationalrates und des Ständerates ist zu bemerken, däss bis dahin diejenigen Verhandlungen, welche in den gesetzgebenden Räten stenographisch aufgenommen worden sind, im Druck erschienen sind. Die daherige Vorschrift findet sich in Art. 17 des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1902 über den Geschäftsverkehr zwischen Nationalrat, Ständerat und Bundesrat und lautet wie folgt : ,,Die Verhandlungen über Bundesgesetze und allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse sind in beiden Räten stenographisch aufzunehmen. Jeder Rat kann auch in andern Geschäften seine Verhandlungen stenographieren lassen." Von dieser Befugnis ist in den letzten Jahren öfters Gebrauch gemacht worden. Wir erinnern nur an den Beschluss des Nationalrates, die Verhandlungen über den Voranschlag des Bundes für 1920 stenographisch aufnehmen zu lassen.

Wir halten dafür, ein Bedürfnis, die Protokolle über a l l e Verhandlungen drucken zu lassen, liege nicht vor. Die Protokolle über die wichtigern Verhandlungen werden gemäss den bestehenden Vorschriften in Druck gelegt, und es steht jedem Rate frei, wenn wichtige Geschäfte behandelt werden, die nicht in die Form eines Bundesgesetzes oder allgemein verbindlichen Bundesbeschlusses eingekleidet sind, zu beschliessen, dass die Verhandlungen stenographiert und demgemäss die Protokolle gedruckt werden. Es besteht daher unter der Herrschaft der jetzigen Vorschriften die Möglichkeit, die Protokolle über alle Verhandlungen, die allgemeines Interesse bieten, drucken zu lassen. Liegen nur beschränkte oder lokale Interessen vor, so fehlt jeder Grund zur Drucklegung. Der Vollständigkeit halber fügen wir bei, dass die geschriebenen Protokolle selbstverständlich den Mitgliedern der Räte behufs Einsichtnahme auf der Bundeskanzlei zur Verfügung stehen.

Wird dem Postulate Folge gegeben, so erwachsen daraus ganz erhebliche Kosten, die in keinem Verhältnisse zu seinem Zwecke stehen. Eine approximative, auf Grund der Protokolle des Jahres 1919 vorgenommene Schätzung hat ergeben, dass der Druck der in diesem Jahre geschriebenen Protokolle in deutscher Sprache -- ohne das stenographische Bulletin -- auf ungefähr Fr. 14,000 zu stehen kommen würde. Die französische und die italienische Übersetzung würden den nämlichen Betrag ausmachen, so dass sich die Gesamtkosten auf
Fr. 42,000 belaufen würden.

Wir machen darauf aufmerksam, dass die vom Postulat in Aussicht genommene Art der Drucklegung kaum befriedigen dürfte. Derjenige Teil der Verhandlungen, welcher stenographisch aufgenommen worden ist, würde wörtlich, der Rest aber nur

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in summarischer Übersicht, ohne Wiedergabe der Voten, im gedruckten Protokoll erscheinen. Um diesen Übelstand zu vermeiden, müssten in Abänderung des Art. 17 des Bundesgesetze?

vom 9. Oktober 1902 über den Geschäftsverkehr zwischen Natioaalrat, Ständerat und Bundesrat alle Verhandlungen der gesetzgebenden Räte stenographisch aufgenommen werden. Die daherigen Mehrkosten gegenüber dem jetzigen System werden auf mindestens Fr. 100,000 pro Jahr veranschlagt, nachdem der im Jahre 1919 für das stenographische Bulletin im Voranschlage vorgesehene Posten von Fr. 45,000 um Fr. 65,000 überschritten werden musste.

Es kann keine Rede davon sein, dass mit der Einführungdes Druckes der Protokolle eine Ersparnis in der Weise eintreten würde, dass dadurch bisherige Beamte überflüssig würden, denn die Expedition der schriftlichen Protokolle des Nationalund des Ständerates musste auch für die Buchdruckereien besorgt werden und nimmt übrigens nicht viel Zeit in Anspruch.

Ob die Zahl der Abonnenten des stenographischen Bulletins sich etwas vermehren würde, wenn die sämtlichen Verhandlungen der Räte stenographisch aufgenommen und die gedruckten Protokolle veröffentlicht würden, kann nicht vorausgesagt werden.

Eine wesentliche Vermehrung der Einnahmen wird aber nicht eintreten, da die Presse in vorzüglicher und prompter Weise für die Bekanntmachung der Verhandlungen der Räte sorgt.

Wir müssen davor warnen, das Budget und die Rechnungen der Eidgenossenschaft mit erheblichen neuen Ausgaben zu belasten, ohne dass hierzu eine Notwendigkeit besteht. Die gegenwärtigen finanziellen Verhältnisse verbieten die Bewilligung von Mitteln für Zwecke, deren Erfüllung vielleicht als wünschbar erscheinen mag, aber nicht einem eigentlichen Bedürfnisse entspringt.

Aus diesen Gründen beantragen wir, es sei dem zweiten Teil des Postulates keine Folge zu geben.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 27. Januar 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der Bundespräsident:

Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Postulate über Protokollführung im Nationalrat und Ständerat und Drucklegung der Protokolle. (Vom 27.

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