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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 17. Februar 1920 betreffend Pächter schütz.

(Vom 23. März 1920.)

Wir beehren uns, Ihnen über den am 17. Februar 1920 auf Grund von Ziff. I, Abs. 2 und 3, des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates (A. S. Bd. XXXV, S. 255) gefassten Bundesratsbeschluss betreffend Pächterschutz Bericht zu erstatten und um dessen Gutheissung zu ersuchen: Das Landwirtschaftsdepartement des Kantons Solothurn und die Direktion der Landwirtschaft des Kantons Bern haben am 26. bzw. 30. Dezember 1919 an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement Eingaben gerichtet, in welchen sie eine Regelung der durch die Maul- und Klauenseuche betroffenen landwirtschaftlichen Pachtverhältnisse vorschlugen. Es wurde darauf hingewiesen, dass Pächter, welche dieses Frühjahr das Pachtgut wechseln sollten, jedoch durch seuchenpolizeiliche Massnahmen, wie Stall- oder Ortsbann, verhindert waren, eine neue Liegenschaft ausfindig zu machen, sieh in einer schwierigen Lage befinden und des Schutzes bedürfen.

Das Volkswirtschaftsdepartement hat sich hierauf mit dem eidgenössischen Ernährungsamt in Verbindung gesetzt, welches die Angelegenheit in einer am 22. Januar 1920 mit Vertretern der Kantone über verschiedene landwirtschaftliche Fragen abgehaltenen Konferenz zur Sprache brachte. Die Notwendigkeit der Anordnung behördlicher Maasnahmen wurde bei diesem Anlasse anerkannt und eine Mf eidgenössischem Boden stehende Regelung seitens der Teilnehmer an der Konferenz begrüsst.

Das Volkswirtschaftsdepartement arbeitete nunmehr gemeinsam mit dem Ernährungsamt den Entwurf für einen auf Grund der ausserordentlichen Vollmachten zu erlassenden Bundesratsbeschluss betreffend den Pächterschutz aus, der am 17. Februar 1920 unsere Genehmigung fand. Zu dem Inhalt dieses in der Beilage abgedruckten Beschlusses bemerken wir folgendes: Zunächst sei darauf verwiesen, dass in den Beschluss auch die von der Maul- und Klauenseuche unabhängige Regelung der Frage der Rückkehr zur frühem Bewirtschaftungsart anlässlich der Auflösung von Pachtverhältnissen für diejenigen Fälle einbe-

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zogen wurde, bei welchen der abziehende Pächter infolge behördlicher Vorschriften seinerzeit die ursprüngliche Bewirtungsart hatte aufgeben müssen.

Die Art. l bis 3 enthalten die materiellen Bestimmungen zum Schütze von durch seucfienpolizeiliche Hassnahmen beeinträchtigten Pächtern landwirtschaftlicher Grundstücke. Es wird allgemein eine vorläufige Verlängerung des bisherigen Besitzstandes statuiert.

Hierbei sind folgende Kategorien von Pächtern in Betracht gezogen : a. solche, die sich zwar ein neues Pachtgut zu sichern vermochten, aber wegen seuchenpolizeilichen Anordnungen nach Ablauf ihres frühem Pachtvertrages das bisher bewirtschaftete Gut nicht verlassen oder das neue Gut nicht sofort beziehen können (Art. l, Abs. 2); b. solche, die durch seuchenpolizeiliche Massnahmen daran verhindert waren, sich noch vor Ablauf des bisherigen Pachtvertrages nach einem neuen Heimwesen umzusehen (Art. l, Abs. 3); c. solche, die einen Pachtvertrag für ein infolge seuchenpolizeilicher Anordnungen vorläufig unbeziehbares landwirtschaftliches Pachtgut abgeschlossen haben und nicht schon bis anbin in einem landwirtschaftlichen Pachtverhältnis gestanden hatten (Art. 2, Abs. 2).

Für die unter lit. a und b Genannten ist bestimmt worden, dass sie eine angemessene Verlängerung des Pachtverhältnisses verlangen können. Immerhin soll diese Verlängerung in der Regel ein Jahr, bzw. eine Anbauperiode nicht überschreiten.

Die Verhältnisse, aus welchen die unter lit. c zusammengefassten Pächter stammen, sind zu verschiedenartige, als dass wir auch für sie zum vornherein die Fortdauer des bisherigen Zustandes hätten erklären können. Wir stellten es dem Ermessen der Kautonsregierungen auheim, die hier im Einzelfalle zweckdienlichen Massnahmen zu treffen.

Art. 4 und 5 enthalten die bereits angedeutete Regelung der Kulturverhältnisse und der Streue-, Dürrfutter- und Düngervorräte für den Fall des Rücktrittes von Pächtern, die seinerzeit durch behördliche Vorschriften die hergebrachte oder vertraglich geordnete Bewirtschaftungsart hatten ändern müssen. Es ist bestimmt worden, dass diese Landwirte bei der Auflösung der Pacht nicht verpflichtet seien, das anlässlich des Pachtantrittes bestandene Kulturverhältnis wieder herzustellen, jedoch immerhin das Pachtgut in einem Zustande zurückzulassen haben, welcher derzeit einer
rationellen Bewirtschaftung entspricht. An der Tragung der dem Pächter hieraus allfällig erwachsenden Mehrauslagen soll sich der Verpächter angemessen beteiligen. Anderseits hielten wir dafür, dass aber

651 nach dem letztern eine Entschädigung durch den abtretenden Pächter nicht versagt werden könne, wenn jenem aus der anschliessenden Bepflanzung des Pachtgutes Mehrauslagen erwachsen.

Gleich wie der Pächter nicht verpflichtet ist, bei der Auflösung der Pacht das anlässlich der Übernahme bestandene Kulturverhältnis wieder herzustellen, so soll er, wenn während der Pachtdauer infolge behördlicher Massnahmen oder im Interesse der Landesversorgung eine Betriebsänderung durchgeführt worden ist, auch nicht gehalten werden, Streue, Dürrfutter und Dünger nach Massgabe der zur Zeit des Pachtantrittes vorhanden gewesenen Vorräte zurückzulassen. Diese Vorräte sollen sich vielmehr in der Regel nach den veränderten Betriebsverhällnissen richten. Immerhin erachteten wir es als billig, für den Verpächter eine angemessene, durch den Pächter zu bezahlende Entschädigung vorzusehen für den Fall, dass jenem aus dieser Regelung Nachteile, dem Pächter aber Vorteile erwachsen.

Es ist anzunehmen, dass in der Mehrzahl der Fälle die in Art. l bis 5 des Bundesratsbeschlusses aufgestellten Grundsätze ohne behördliche Intervention beobachtet werden. Für Streitfälle sind in dem Beschluss von den Kantonsregierungen zu bestellende Schiedsgerichte vorgesehen. Sind die in Betracht kommenden Personen in mehreren Kantonen domiziliert, so soll das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement einem von ihm eingesetzten Schiedsgericht sämtliche miteinander im Zusammenhang stehende Fragen zur Entscheidung übertragen können. Diese Lösung ist in der eingangs erwähnten Konferenz vom 22. Januar 19^0 besonders gewünscht worden.

* * * Es Hess sich in dieser Angelegenheit, mit Rücksicht auf ihre Dringlichkeit,nicht umgehen, von den ausserordentlichen Vollmachten Gebrauch zu machen. Der Beschluss musste rasch gefasst werden, da zahlreiche Pachtverhältnisse dem Ende entgegengingen und die Beteiligten ohne die oben beschriebene Regelung in eine prekäre Lage gekommen wären. Das Datum des Inkrafttretens wurde auf den 1. März 1920 angesetzt.

B e r n , den 23. März 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft r Stelger.

652 Beilage.

Bundesratsbeschluss betreffend

Pächterschutz.*) (Vom 17. Februar 1920.)

Der schweizerische Bundesrat, gestützt auf den zweiten Absatz von Ziffer I des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend die Beschränkung der ausserordentliehen Vollmachten des Bundesrates **), beschliesst: Art. 1. Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke, die in einem auf das Frühjahr 1920 aufgelösten Pachtverhältnisse stehen, und die infolge behördlicher mit der Maul- und Klauenseuche zusammenhängender Massnahmen e n t w e d e r A verhindert sind, das bisherige Pachtgut zu verlassen oder auf das neu gepachtete aufzuziehen, o d e r B keinen Pachtvertrag über ein anderes Heimwesen für das Frühjahr 1920 abschliessen konnten, sind berechtigt, eine angemessene Verlängerung des Pachtverhältnisses vom bisherigen Verpächter zu beanspruchen.

Art. 2. Der Pachtantritt eines neuen Pächters ist bis zu dem Zeitpunkt zu verschieben, in welchem der nach Art. l verlängerte Pachtvertrag seines Vorgängers dahinfällt. Dem neuen Pächter steht hingegen, wenn die Verhältnisse es gebieten, das Recht zu, von dem Pachtvertrag zurückzutreten.

Zum Schütze derjenigen neuen Pächter, die nicht schon bis anhin ein landwirtschaftliches Pachtgut inné hatten, * sind durch die Kantonsregierungen nötigenfalls Massnahmen zu treffen, die *) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXVJ, S. 93.

**) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 255.

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im Hinblick auf die vorläufige Beibehaltung der bisherigen Unterkunft und Betätigung als billig erscheinen.

Art. 3. Die Verlängerung des Pachtverhältnisses soll in der Regel auf keine längere Dauer als auf ein Jahr bzw. eine Anbauperiode festgesetzt werden.

Art. 4. Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke, die infolge ·behördlicher Vorschriften eine Änderung in der hergebrachten oder vertraglich geordneten Bewirtschaftung des Pachtgegenstandes vornehmen mussten, können nicht gehalten werden, bei Auflösung der Pacht das bei der Übernahme bestandene Kulturverhältnis wieder herzustellen. Sie sind aber verpflichtet, den Pachtgegenstand in . einem Zustande zurückzulassen, der zurzeit einer rationellen Bewirtschaftung entspricht.

Entstehen dem Pächter aus dieser Pflicht Mehrauslagen, so hat der Verpächter an dieselben einen angemessenen Beitrag zu leisten. Indessen kann auch der Verpächter auf eine angemessene durch den abtretenden Pächter zu bezahlende Entschädigung Anspruch erheben, wenn ihm aus der anschliessenden Bepflanzung des Pachtgutes Mehrauslagen erwachsen.

Art. 5. Der abziehende Pächter eines landwirtschaftlichen Gewerbes hat in der Regel die der veränderten Bewirtsehaftungsweise entsprechenden Vorräte an Streue, Dürrfutter und Dünger zurückzulassen, ohne Rücksicht auf die zur Zeit des Pachtantrittes vorhandenen Vorräte, insofern die Betriebsänderung infolge behördlicher Massnahmen oder im Interesse der Landesversorgung durchgeführt worden ist. Ergeben sich hieraus für den abziehenden Pächter Vorteile, so hat er den Verpächter für die diesem erwachsenden.

Nachteile angemessen zu entschädigen.

Art. 6. In Streitfällen aus den Art. l--o entscheidet nach Anhörung der Beteiligten, unter Berücksichtigung des Ortsgebrauchs, nach freiem Ermessen und in freiem Verfahren endgültig ein von der Regierung desjenigen Kantons aufgestelltes Schiedsgericht, in welchem das Pachtgut gelegen ist.

Art. 7. Sind die bei Erledigung eines Streitfalles in Betracht kommenden Personen in verschiedenen Kantonen domiziliert, so kann das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement einem von ihm eingesetzten Schiedsgericht sämtliche miteinander im Zusammenhang stehende Fragen zur Entscheidung übertragen.

Bundesblatt.

72. Jahrg. Bd. I.

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In dieses Schiedsgericht ordnet jede beteiligte Kantonsregierung einen Schiedsrichter ab. Der Obmann und eventuell ein weiteres Mitglied werden vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement bezeichnet.

Die Entscheide der Schiedsgerichte (Art. 6 und 7) sind für den »Vollzug den Urteilen des Bundesgerichtes gleichgestellt.

Art. 8. Die kantonalen Regierungen haben die von ihnen* gestützt auf diesen Beschluss erlassenen Ausführungsbestimmungen dem eidgenössischen Volksvvirtschaftsdepartement einzusenden.

Art. 9.

Dieser Beschluss tritt am 1. März 1920 in Kraft.

B e r n , den 17. Februar 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der Bundespräsident:

Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 17. Februar 1920 betreffend Pächterschutz. (Vom 23. März 1920.)

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1920

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575

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31.03.1920

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