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Zusatzbotschaft des

Bundesrates au die Bundesversammlung betreffend die Frage des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund.

(Vom 17. Februar 1920.)

Der Bundesrat hat bereits der Bundesversammlung von der neuen Phase Mitteilung gemacht, in die die Frage des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund nach Annahme des Bundesbeschlusses vom 21. November 1919 durch die Bundesversammlung getreten war. Die geschichtliche Entwicklung dieser Phase ist in der Erklärung dargelegt, die der Bundespräsident im Namen des Bundesrates in der Sitzung vom 3. Februar des National- und Ständerates verlesen hat. Diese Erklärung, der in bezug auf die Ereignisse vor dem 3. Februar nichts beizufügen ist, wird in dieser Botschaft wiedergegeben. Auch werden im Anhang tu. dieser Botschaft die diplomatischen Schriftstücke veröffentlicht, auf welche die Erklärung hinweist. Die Prüfung dieser Dokumente wird der Bundesversammlung ein möglichst getreues und vollständiges Bild sämtlicher Verhandlungen geben, die teils in Paris vor dein Obersten Rat der alliierten und assoziierten Mächte, teils in London mit dem Rat des Völkerbundes geführt wurden.

Die erwähnten Dokumente sind folgende : 1. Der Bundesbeschluss vom 21. November 1919.

2. Das Aide-Mémoire des Bundesrates vom 6. Dezember 1919.

3. Die Note des Obersten Rates vom 2. Januar 1920.

4. Das Memorandum des Bundesrates vom 13. Januar 1920.

5. Die Note der Pariser Botschafterkonferenz, im Namen des Obersten Rates am 26. Januar 1920 übergeben.

6. Die neue Note des Bundesrates vom 30. Januar 1920 an die im Rate des Völkerbundes vertretenen Mächte.

Die vom Bundespräsidenten am 3. Februar 1920 in der Bundesversammlung abgegebene Erklärung hat den folgenden Wortlaut :

,,Seit Beginn dieses Jahres ist die Frage des B e i t r i t t s d e r S c h w e i z zum Völkerbund in eine neue Phase getreten. In der Überzeugung, dass die Politik eines demokratischen Landes von vollkommener Offenheit getragen sein musa, hat der Bundesrat Wert darauf gelegt, durch möglichst genaue und eingehende amtliche Bekanntmachungen die öffentliche Meinung über alle Ereignisse dieser neuen Phase zu unterrichten. Es ist ihm wohl bekannt, dass das Schweizervolk diese Ereignisse mit äusserster Wachsamkeit und gespanntem Interesse verfolgt. 'Die ausserordentliche Session der Bundesversammlung würde den Vertretern des Volkes die natürliche und gesetzliche Gelegenheil geben,. vom Bundesrat Aufklärung zu verlangen. Der Bundesrat hält es jedoch für seine Pflicht, jeder möglichen Interpellation vorzugreifen und von sich aus den Räten die erläuternden Mitteilungen zu machen, die aus ihrer Mitte gewünscht werden könnten. Er hat daher den Bundespräsidenten beauftragt, Ihnen in einer amtlichen Erklärung die g e g e n w ä r t i g e L a g e genau darzulegen. Diese Erklärung kann nicht den Zweck verfolgen, irgendeine neue Tatsache bekanntzugeben; sie hat lediglich den Sinn, die Richtlinie erkennen zu lassen, welcher der Bundesrat bisher gefolgt ist, und seine Absichten für die Zukunft zu umschreiben.

Durch den Bundesbeschluss vom 21. November 1919. haben die eidgenössischen Räte den Bundesrat ermächtigt, im geeigneten Zeitpunkt den Beitritt der Schweiz zu dem auf der Pariser Konferenz geschaffenen Völkerbundsvertrag zu erklären. Die Bundesversammlung verfügte gleichzeitig die Unterstellung des Bundesbeschlusses unter die Abstimmung von Volk und Kantonen, stellte jedoch ausdrücklich fest, dass diese Abstimmung erst erfolgen könne, wenn sämtliche der fünf Grossmächte den Völkerbundsvertrag ratifiziert hätten.

Der erste Artikel dieses Vertrages besagt nun, dass ursprüngliche Mitglieder des Völkerbundes unter anderen diejenigen im Anhang zum Völkerbundsvertrag bezeichneten Staaten sein werden, die ohne Vorbehalt dem Völkerbund mittels einer innerhalb der ersten zwei Monate nach Inkrafttreten des Friedensvertrages beim Generalsekretariat eingereichten und den übrigen Mitgliedern des Bundes mitgeteilten Erklärung beitreten.

Da war vorauszusehen, dass es für die Schweiz schwierig, wenn nicht unmöglich sein werde,
die Volksabstimmung innerhalb der durch Artikel l des Völkerbundsvertrages gesetzten Frist stattfinden zu lassen. Diese Schwierigkeit wurde zur gänzlichen politischen Unmöglichkeit unter der Voraussetzung, dass nach Beiginn der zweimonatlichen Frist die Bedingung des Beitritts sämtBandeablatt. 72. Jahrg. Bd. I.

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lieber Grossmächte zum Völkerbund noch nicht verwirklicht wäre.

Diese Voraussetzung ist nun aber zur Tatsache geworden : Während von den Grossmächten das Britische Reich, Frankreich, Italien und Japan dem Völkerbundsvertrag endgültig beigetreten sind, haben die V e r e i n i g t e n S t a a t e n ihre Entscheidung noch nicht getroffen. Am 10. J a n u a r dieses J a h r e s ist der V ö l k e r b u n d s v e r t r a g in K r a f t g e t r e t e n ; die Tatsache des Inkrafttretens wurde am gleichen Tag den zum Beitritt als ursprungliche Mitglieder eingeladenen Staaten mitgeteilt. E s scheint somit, als ob die für den Beitritt gewährte F r i s t am 10. M ä r z e r l ö s c h e n müsste. Ü b e r die Abs i c h t e n d e r Ve r e i n i g t e n S t a a t e n l i e g t j e d o c h n o c h gegenwärtig, in den ersten Tagen Februar, ein Dunkel.

Die nationalrätliche Kommission scheint gewissermassen eine Vorahnung der möglichen und wahrscheinlichen Hindernisse gehabt zu haben. Sie schlug dem Bundesrat vor, sich durch eine Anfrage an die kompetenten Instanzen darüber zu vergewissern, ob durch eine innerhalb der zweimonatlichen Frist abgegebene Beitrittserklärung der Schweiz Charakter und Vorteile der ursprünglichen Mitgliedschaft selbst in dem Falle gewahrt würden, wenn unter dem Zwang der Verhältnisse die Befragung des Volkes erst später stattfinden könne.

Der Bundesrat gab diesem Vorschlag statt. Er r i c h t e t e am 6. D e z e m b e r 1919 ein A i d e - M é m o i r e an die M ä c h t e des V ö l k e r b u n d e s , in dem er die Lage schilderte und die Lösung vorschlug, die den Interessen der Schweiz Rechnung trägt.

Der grössern Klarheit halber war dieser Erklärung der Text des Bundesbeschlusses vom 21. November als Anhang beigelegt. Das A i d e - M é m o i r e e r ö r t e r t e j e d o c h a u s s c h l i e s s l i c h dieFrage der ßeitrittsfrist und warf in keiner Weise die Fragen auf, welche die i m m e r w ä h r e n d e Neut r a l i t ä t des L a n d e s b e t r e f f e n und uns durch die Entstehungsgeschichte, den Sinn und den Wortlaut des Artikels 435 des Friedensvertrages von Versailles gelöst schienen. Die französische Regierung brachte nun das Aide-Mémoire vor dem Obersten Rat der alliierten und assoziierten Mächte zur Behandlung, der uns mit Note vom 2. Januar seine Antwort übermittelte. Der
Wortlaut dieser Note, sowie unseres Aide-Mémoires sind bekannt, da beide Dokumente von uns veröffentlicht wurden. Es mag daher genügen, den Kerngedanken der Kundgebung des Obersten Rates hervorzuheben. Sie nimmt zu z w e i verschiedenen Fragen Stellung: z u r F r a g e d e r B e i t r i t t s f r i s t , d i e d e r

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B u n d e s r a t a u f g e w o r f e n h a t t e , u n d s o d a n n z u r Frage der N e u t r a l i t ä t , auf die der B u n d e s r a t , da er sie für g e l ö s t a n s a h , gar n i c h t eingegangen war. Des weitem lässit sich die Kundgebung über die Datierung und das Inkrafttreten des Völkerbundsvertrages aus.

Zur F r a g e der B e i t r i t t s f r i s t bemerkt der Oberste Rat, dass die Beitrittserklärung ohne Vorbehalt innerhalb der zwei Monate nach Inkrafttreten des Völkerbundsvertrages erfolgen müsse, und dass eine vom Ergebnis der V o l k s a b s t i m m u n g abhängig gemachte Erklärung nicht als vorbehaltloser Beitritt augesehen werden könne.

H i n s i c h t l i c h der i m m e r w ä h r e n d e n Neutralität der Schweiz äusserte sich der Oberste Rat nicht, sondern behielt bloss die Prüfung der Frage vor.

A n g e s i c h t s d i e s e r Lage d e r D i n g e k o n n t e sich der B u n d e s rat n i c h t in S c h w e i g e n h ü l l e n . Es wa:r seine gebieterische Pflicht, sich zu e r k l ä r e n und s e i n e M e i n u n g d a r z u l e g e n . Er tat dies durch sein Memorandum vom 13. Januar und die Entsendung einer ausserordent« liehen Mission nach Paris. Der Inhalt des Memorandums wurde der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Mit der Mission wurden Herr alt Bundespräsident Gustave Ador und Herr Professor Max Huber, Rechtskonsulent des Politischen Departements, betraut.

Das Memorandum geht in Kürze auf sämtliche Punkte ein, die in der Note des Obersten Rates mittelbar oder unmittelbar berührt werden. Was z u n ä c h s t die D a t i e r u n g des V ö l k e r bundsvertrages anbetrifft, so k o n n t e sie nicht Gegens t a n d von E r ö r t e r u n g e n b i l d e n : Bundesrat und Bundesversammlung hatten das Datum vom 28. April 1919 gewählt;, demgegenüber hebt der Oberste Rat hervor, dass das Datum des Völkerbundsvertrages mit demjenigen des Friedensvertrages, dem 28. Juni 1919, zusammenfällt; diese Frage bleibt erledigt. A u c h d i e F r a g e , d i e sich a u f d e n Z e i t p u n k t d e s I n k r a f t tretens des V ö l k e r b u n d s Vertrages bezieht, k o n n t e nicht zu einer wirklichen Meinungsverschiedenheit A n las s geben. Es ist unbestreitbar, dass gemäss den Schlussbestimmungen des Friedensvertrages dessen erster Teil, der Völkerbundsvertrag, gleichzeitig mit jenem
in Kraft tritt, d. h.

sobald drei der Großmächte formell ratifiziert haben. Anderseits ist aber auch nicht su bestreiten, dass der Völkerbundsvertrag als einer der Hauptorgane des Bundes einen Rat ins Leben ruft, in welchem die fOaf Grossmächte neben vier anderen Mächten vertreten sind. Dem Völkerbundsvertrag wird daher hinsichtlich

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der endgültigen Organisation des Völkerbundes eine organisch wesentliche Bedingung fehlen, solange nicht der Rat die Vertretung sämtlicher Mächte umfasst, die in ihm mitzuwirken berufen sind.

Es ist auch ganz offenkundig, dass das Fernbleiben der Vereinigten Staaten, sowohl juristisch als politisch betrachtet, eine wichtige Tatsache darstellt.

Zwei weitere Punkte bleiben noch übrig: während in der F r a g e der B e i t r i t t s f r ist sich zwei s c h e i n b a r entgegengesetzte Auffassungen gegenüberstehen, für die im gemeinsamen Interesse ein Ausgleich gesucht und gefunden werden muss, handelt es sich bei der N e u t r a l i t ä t s f r a g e n i c h t um w i d e r sprechende M e i n u n g e n , sondern um Einzelheiten, die in aller D e u t l i c h k e i t festgelegt und h e r v o r g e h o b e n w e r d e n m ü s s e n . Die Schweiz ist das e i n z i g e L a n d d e r W e l t , das um dem Geiste und den Forderungen seiner demokratischen Einrichtungen Genüge zu tun, zu einer Volksabstimmung schreiten muss. Diese Feststellung scheint uns von entscheidender Bedeutung zu sein. Die A b s t i m m u n g des V o l k e s ist von einer p a r l a m e n t a r i s c h e n A b s t i m m u n g g r u n d v e r s c h i e d e n ; sie setzt voraus eine klare und präzise Fragestellung unter Ausschaltung aller Zweideutigkeiten und Unklarheiten. Darin, dass sie das helle Tageslicht erfordert, liegt die Grosse dieser Einrichtung und ihr ethischer Wert. A u c h b e d a r f eine V o l k s a b s t i m m u n g einer längeren und eindringlichen Vorb e r e i t u n g , unter Ansetzung ausreichender Fristen, sowie einer in öffentlichen Versammlungen und in der Presse geführten Diskussion. All diese Gründe, die der Bundesrat aufgeführt hat, werden hoffentlich den massgebenden Instanzen eine Lösung nahelegen, die den auf dem Spiele stehenden Interessen Rechnung trägt. U l t r a p o s s e n e m o t e n e t u r .

D i e Frage u n s e r e r i m m e r w ä h r e n d e n N e u t r a l i t ä t wurde vom Bundesrat in aller Offenheit seit dem ersten Auftauchen der Projekte erörtert, die schliesslich zur Schaffung des Völkerbundes führten. D e r S t a n d p u n k t d e r S c h w e i z w u r d e z u e r s t i m M e m o r a n d u m v o m 4 . F e b r u a r 1919 a u s e i n a n d e r g e s e t z t , in dem der Friedenskonferenz die
Notwendigkeit und die Gründe unserer auf Jahrhunderte zurückblickenden Neutralität auseinandergesetzt und auf deren Bedeutung für die Zukunft hingewiesen wurde. A u s f ü h r l i c h e r w u r d e dieser Sta-ndpunkt in der Botschaft vom 4. August 1919 d a r g e l e g t . Die Delegierten des Bundesrates, die sich im April 1919 in Paris befanden, haben mehreren Persönlichkeiten der Friedenskonferenz die Möglichkeit bewiesen, unsere Neutralität mit den aus der internationalen Solidarität erwachsenden Pflichten

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zu vereinbaren. Der A r t i k e l 435 des F r i e d e n s v e r t r a g e ä , über den hierauf mit Frankreich verhandelt wurdo, b r a c h t e die L ö s u n g der Frage. Dieser Artikel anerkennt unsere immerwährende Neutralität und reiht sie ein unter die internationalen Übereinkommen zur Aufrechterhaltung des Friedens, die Artikel 21 des Völkerbundsvertrages ausdrücklich als mit keiner Bestimmung dieses Vertrages unvereinbar erklärt. Es handelt sich dabei wohlverstanden um unsere militärische Neutralität, deren Konsequenzen folgende sind : 1. Die Schweiz nimmt militärisch an keinem Kriege teil, auch nicht an den in Artikel 16 des Völkerbundsvertrages vorgesehenen Kriegen.

2. Die Schweiz ist unverletzlich; sie ist zu allen Opfern bereit, um die Unverletzlichkeit ihres Gebietes zu verteidigen.

3. Die Schweiz kann keinen Durchzug und keinerlei Vorbereitung militärischer Unternehmungen auf ihrem Boden dulden.

W ü r d e n U n g e w i s s h e i t o d e r Z w e i f e l über Sinn und T r a g w e i t e unserer m i l i t ä r i s c h e n N e u t r a l i t ä t bestehen bleiben, so w ü r d e sich u n s e r Volk mit Recht beunr u h i g e n und in seiner überwältigenden Mehrheit, ohne Unterschied der Landesteile und Sprachen, sich weigern, die überlieferte Neutralität gegen eine neue, unbeständige, unsichere oder mangelhaft umschriebene ,,Neutralität" zu vertauschen.

Die Delegierten des Bundesrates haben gemäss ihren schriftlichen Instruktionen am 21. Januar die Wünsche des Bundesrates dargelegt. Der Oberste Rat, dessen Auflösung unmittelbar bevorstand, hörte unsere Delegierten mit grösster Aufmerksamkeit und mit grösstem Wohlwollen an. Die vom neuen französischen Ministerpräsidenten, Herrn Millerand, präsidierte Botschafterkonferenz war es, die im Namen des Obersten Rates mit einer vom 26. J a n u a r d a t i e r t e n Note der Delegation antwortete. Diese N o t e , die e b e n f a l l s v e r ö f f e n t l i c h t w u r d e , bildet keineswegs eine E n t t ä u s c h u n g für den B u n d e s r a t . Sie verkündet in sehr kategorischer Form, da ss die Vertreter der Mächte, unter denen sich die Regierungshäupter G-rossbritanniens, Frankreichs und Italiens persönlich befinden, e i n s t i m m i g der Ansicht s i n d , dass die S i g n a t a r m ä c h t e des F r i e d e n s r e r t r a g e s d u r c h d e n
A r t i k e l 4 3 5 diesas V e r t r a g e s g e b u n d e n s i n d und b l e i b e n . Indessen fügt die Note bei, dass die vom Bundesrat in seinem Memorandum und durch seine Delegierten vorgebrachten Bemerkungen erst durch den Rat des Völkerbundes ihre endgültige Beantwortung finden können.

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Diese Antwort kam nicht unerwartet, da der B u n d e s rat w o h l wusste, d a s s d i e F r a g e d e r K o m p e t e n z zweifelh a f t w a r . G e g e n w ä r t i g i s t n u n diese K o m p e t e n z f r a g e z u g u n s t e n d e s V ö l k e r b u n d s rate s e n t s c h i e d e n w o r d e n , der nach London zu einer Sitzung berufen ist, die voraussichtlich vom 11. bis zum 13. Februar dauern wird. Durch Vermittlung des Generalsekretariats des Völkerbundes haben wir den Rat darum ersucht, die die-Schweiz betreffenden Fragen auf die Tagesordnung seiner Session zu setzen. Gleichzeitig haben wir in einer kurzen Note an die im Völkerbund vertretenen Mächte auf die Notwendigkeit hingewiesen, der S c h w e i z i n f o l g e i h r e r d u r c h a u s e i n z i g a r t i g e n Lage e i n e b e s o n d e r e R e c h t s s t e l l u n g zuzubilligen.

Die Herren Ador und Huber werden sich zur Wahrung unserer Interessen zu neuen Verhandlungen nach London begeben.

Die innigen Wünsche aller Vaterlandsfreunde werden sie dorthin begleiten. D i e i h n e n ü b e r t r a g e n e M i s s i o n i s t v o n a u s s e r o r d e n t l i c h g rosser B e d e u t u n g ; sie k a n n für die k ü n f t i g e n Schicksale, die internationale Lage u n d d i e G e l t u n g d e r S c h w e i z i n d e r Welt b e s t i m m e n d sein. Wir setzen unser Vertrauen in die F r e u n d s c h a f t , die sämtliche im Rat des Völkerbundes vertretenen Mächte uns so oft bewiesen haben, und zählen auf die R e c h t m ä s s i g k e i t u n s e r e r S a c h e . Wir glauben auch, dass es für niemanden gleichgültig sein kann, ob die alte schweizerische Demokratie, die mit all ihren Fasern nach Recht, G e r e c h t i g k e i t und F r i e d e n auf E r d e n s t r e b t , das Eingangstor zum Völkerbunde geöffnet oder verschlossen finde; jedenfalls kann es denjenigen nicht gleichgültig sein, die -- ebenso wie wir -- auf die Errichtung einer neuen internationalen Rechtsordnung so hohe Hoffnungen setzen.

Wir glauben, dass die B u n d e s v e r s a m m l u n g wohl daran täte, sich der D i s k u s s i o n ü b e r die V ö l k e r b u n dsf rage so l a n g e zu e n t h a l t e n , als wir über die Resultate der Verhandlungen, die in kurzem in der britischen Hauptstadt eröffnet werden, im klaren sind. Unmittelbar nach Abschluss dieser
Verhandlungen werden wir über dieselben entweder vor den eidgenössischen Räten -- sofern sie noch versammelt sind -- oder vor der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen. S o l l t e n in j e n e m A u g e n b l i c k d i e Ve r e i n i g t e n S t a a t e n dem V ö l k e r b u n d n o c h nicht beigetreten sein, so werden wir den Beitritt der Schweiz nicht erklären, ohne zuvor der B u n d e s v e r s a m m l u n g Gelegenheit zu geben, sich --

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wenn nötig in einer a u s s e r o r d e n t l i o h e n Session, -- zu ä u s s e r n . Wir erachten uns in dieser Hinsicht für gebunden, sowohl durch die Erklärungen, die der Bundesrat an dieser Stelle und im letzten November in den parlamentarischen Kommissionen abgegeben hat, als auch durch das politische Gesamtbild unserer Lage. Die A n t r ä g e , die wir I h n e n zu g e g e b e n e r Zeit u n t e r b r e i t e n w e r d e n , w e r d e n u n vermeidlich vom Ergebnis der Londoner Verhandl u n g e n b e e i n f l u s s t sein. Es ist unsere Pflicht und unsere Absicht, wie bisher so auch in Zukunft die Entwicklung de>r Völkerbundsfrage i m L i c h t e v o l l k o m m e n e r O f f e n h e i t zu v e r f o l g e n . Durch ehrliche Befolgung dieser Richtlinie hoffen wir, uns Ihr Vertrauen und dasjenige des Volkes uns zu bewahren."

Der Rat des Völkerbundes ist in den Tagen vom 11. b:is zum 13. Februar unter dem Vorsitz des Vertreters des englischen Reiches, Herrn Arthur Balfour, Lord-Präsidenten des englischen Geheimen Rates, in London zusammengetreten. Die Delogierten des Bundesrates, welche die Schweiz am 7. Februar mit genauen Instruktionen verlassen hatten, kamen am 9. in London an und wurden im Laufe des 11. vom Rate des Völkerbundes angehört. Herr Gustave Ador legte nochmals den schweizerischen Standpunkt, wie er bereits im Memorandum vom 13. und in der Note . vom 30. Januar ausführlich entwickelt worden war, mündlich i:a allen Einzelheiten dar. In der öffentlichen Sitzung vom Freitag den 17. Februar, nachmittags, gab darauf der Rat des Völkerbundes seine Antwort bekannt. Sie kam dem Bundesrat auf telegra,phischem Wege zu und konnte am folgenden Morgen dem Nationalrat noch vor Unterbrechung der Session mitgeteilt werdeci.

Dagegen war es nicht mehr möglich, auch dem Ständerat die gleiche Eröffnung zu machen, da dieser in dem Augenblick, in dem der Bundesprasident seine Erklärung im Stäaderatssaal zu wiederholen beabsichtigte, bereits den ersten Teil seiner Session geschlossen hatte.

Der Wortlaut der Londoner Erklärung ist folgender: ,,Der Rat des Völkerbundes, in seiner am 13. Februar 1920 im St. James-Palast zu London gehaltenen Sitzung, in Anwesenheit: des Sehr Ehrenwerten Herrn Arthur James Balfour, Lord-Präsidenten des geheimen Rates, Vertreter des Britischen Reicb.ee, des Herrn Léon Bourgeois, Präsidenten des französischen Senates, Vertreter der französischen Republik,

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des Herrn Demetrios Caclamauos, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers Seiner Majestät des Königs von Griechenland, in London, Vertreter Griechenlands, des Herrn Gastao de Cunha, Botschafters der Vereinigten Staaten von Brasilien, in Paris, Vertreter von Brasilien, des Herrn Maggiorino Ferraris, Senators des Königreichs Italien, Vertreter Italiens, . des Herrn Paul Hymans, belgischen Minister des Äussern, Vertreter Belgiens, des Herrn K. Matsui, Botschafters Seiner Majestät des Kaisers von Japan, in Paris, Vertreter von Japan, des Herrn José Quinones de Leon, Botschafters Seiner Majestät des Königs von Spanien in Paris, Vertreter von Spanien, hat in bezug auf die Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund den folgenden Beschluss gefasst: Der Rat des V ö l k e r b u n d e s , indem er grundsätzlich feststellt, dass der Begriff der Neutralität der Mitglieder des Völkerbundes nicht vereinbar ist mit jenem andern Grundsatz, dass alle Mitglieder des Völkerbundes gemeinsam zu handeln haben, um dessen Verpflichtungen Nachachtung zu verschaffen, anerkennt dennoch, dass auf Grund einer Jahrhunderte alten Überlieferung, die im Völkerrecht ausdrücklich Aufnahme gefunden hat, die Schweiz sich in einer einzigartigen Lage befindet und dass die den Völkerbund bildenden Signatarmächte des Vertrages von Versailles in Artikel 435 zu Recht anerkannt haben, dass die zugunsten der Schweiz durch die Verträge von 1815 und insbesondere durch die Akte vom 20. November 1815 begründeten Garantien internationale Abmachungen zur Aufrechterhaltung des Friedens darstellen. Die Mitglieder des Völkerbundsrates sind zu der Erwartung berechtigt, dass das Schweizervolk sich nicht abseits halten werde, wenn es gilt, die erhabenen Grundsätze des Völkerbundes zu verteidigen. In diesem Sinne hat der Rat des Völkerbundes von den Erklärungen Kenntnis genommen, die die schweizerische Regierung in ihrer Botschaft vom 4. August 1919 an die Bundesversammlung und in ihrem Memorandum vom 13. Januar 1920 niedergelegt hat und die von den schweizerischen Delegierten in der Sitzung des Völkerbundsrates bestätigt worden sind, wonach die Schweiz die Pflichten der Solidarität feierlich anerkennt, die ihr daraus erwachsen, dass sie Mitglied des Völkerbundes sein wird, einschliesslich der Verpflichtung, an den vom Völkerbund verlangten kommerziellen und finanziellen Massnahmen gegenüber einem bundesbrüchigen Staat

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mitzuwirken, wonach die Schweiz auch zu allen Opfern bereit ist, ihr Gebiet unter allen Umständen, selbst während einer vom Völkerbund unternommenen Aktion, aus eigener Kraft zu verteidigen, aber nicht verpflichtet ist, an militärischen Unternehmungen teilzunehmen oder den Durchzug fremder Truppen oder die Vorbereitung militärischer Unternehmungen auf ihrem Gebiet zu dulden.

Indem der Rat diesen Erklärungen beipflichtet, .anerkennt er, dass die immerwährende Neutralität der Schweiz und die Garantie der Unverletzlichkeit ihres Gebietes, wie sie, namentlich durch die Verträge und die Akte von 1815 zu Bestandteilen des Völkerrechts wurden, im Interesse des allgemeinen Friedens gerechtfertigt und daher mit dem Völkerbund vereinbar sind.

Was die von der schweizerischen Regierung abzugebende Beitrittserklärung anbelangt, so ist der Rat des Völkerbundes in Anbetracht der ganz eigenartigen Verfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft der Auffassung, dass eine auf den Beschluss der Bundesversammlung sich stützende Mitteilung, die innerhalb der am 10. Januar 1920 beginnenden zweimonatigen Frist vom Inkrafttreten des Völkerbundsvertrages an abgegeben wird, von den übrigen Mitgliedern des Völkerbundes als die nach Art. l für die Zulassung eines ursprünglichen Mitgliedes erforderliche Erklärung angenommen werden kann, sofern diese Erklärung durch Volk und Stände der Eidgenossenschaft sobald als möglich bekräftigt wird.

Gegeben im St. James-Palast zu London am 13. Februar 1920."

Die historische B e d e u t u n g dieser Urkunde kann schwerlich hoch genug bewertet werden. Es ist nicht mehr als recht und billig, die Kundgebung des Völkerbundsrates auf eine Stufe mit der Erklärung zu stellen, die in der Anerkoonungs- und Gewährleistungsurkunde der immerwährenden Neutralität der Schweiz und der Unverletzbarkeit ihres Gebietes vom 20. November 1815 niedergelegt ist. Die wesentliche Bestimmung dieser letztern Erklärung, die bekanntlich dem Einfluss Pictet de Rochemont's zu verdanken ist, verkündet, dass ,,die Neutralität und Unverletzbarkeit der Schweiz, sowie ihre Unabhängigkeit von jedem fremden Einfluss dem wahren Interesse aller europäischen Staaten entsprechen."1 Dieses schicksalsschwere und politisch bedeutungsvolle Wort wurde stets als das Wesen unserer Neutralität kennzeichnend und gewissermassen als deren Grundgesetz betrachtet.

Nachdem seither mehr ab ein Jahrhundert verstrichen ist und wir zur Stunde auf eine geschichtliche Erschütterung zurück-

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blicken, durch die unsere Neutralität ihrer schwersten Existenzprobe ausgesetzt war, hat die Schweiz alle Ursache, Trost und Genugtuung darüber zu empfinden, dass der Rat des Völkerbundes in seiner Londoner Erklärung die in der Akte vom 20. November 1815 niedergelegten Wahrheiten hervorhebt und aufs neue bekräftigt.

Der Rat des Völkerbundes hat dem Standpunkt des Bundesrates in vollem Umfange beigepflichtet. Grundsätzlich stellt er zwar fest, dass begrifflich die Neutralität der Mitglieder des Völkerbundes mit jenem andern Grundsatz unvereinbar ist, wonach alle Mitglieder gemeinsam zu handeln haben, um den Verpflichungen des Bundes Nachachtung zu verschaffen ; es wird jedoch unmittelbar darauf beigefügt, dass sich die S c h w e i z in e i n e r e i n z i g a r t i g e n L a g e b e f i n d e t , der eine Jahrhunderte alte Überlieferung zugrunde liegt und die ein w e s e n t l i c h e r B e s t a n d t e i l des V ö l k e r r e c h t s geworden ist. Der Rat des Völkerbundes erklärt auch feierlich, dass die Signatarmächte des Vertrages von Versailles mit gutem Recht den Artikel 435 in diesen Vertrag aufgenommen haben. Die Neutralität der Schweiz, so führt er aus, und die Unverletzlichkeit ihres Gebietes, so wie s i e e i n e n Teil d e s g e l t e n d e n V ö l k e r r e c h t s b i l d e n , sind im Interesse des allgemeinen F r i e d e n s gerechtfertigt und daher mit dem V ö l k e r b u n d s v e r t r a g vereinbar.

Gemäss den in der Botschaft des Bundesrates vom 4. August 1919 und im Memorandum vom 13, Januar 1920 niedergelegten Erklärungen haben die schweizerischen Delegierten anerkannt, dass der Schweiz als Mitglied des Völkerbundes Pflichten der Solidarität erwachsen, darunter die Pflicht, an den kommerziellen und finanziellen Massnahmen teilzunehmen, deren Anwendung gegen einen bundesbrüchigen Staat vom Völkerbund gefordert wird. Die Existenz dieser Solidaritätspflichten kann nicht bestritten werden. Sie erfüllen, heisst freilich für die Schweiz nicht, im Falle eines Krieges den Werken der Barmherzigkeit und Menschenliebe entsagen, die während des Weltkrieges ihr zur Ehre und zum Verdienst gereicht haben und zu einem Kernbestandteil ihrer geistigen Rüstung geworden sind. Der Sitz und die Wiege des Roten Kreuzes können unmöglich ihre Aufgabe verleugnen.

Dennoch bestehen die Pflichten der
Solidarität; sie verkennen hiesse sich gegen den Grundgedanken einer internationalen Ordnung auflehnen, ja verunmöglichen, und wollte die Schweiz sie verkennen, so würde sie ihren vornehmsten Daseinszweck verleugnen und ihre Stellung beeinträchtigen.

Die Delegierten des Bundesrates haben indessen klargelegt, dass die Schweiz zu allen Opfern bereit ist, um selber ihr Gebiet

345 unter allen Umständen, selbst während einer Aktion des Völkerbundes, zu verteidigen, dass sie ferner zu keiner militärischen Unternehmung irgendwelcher Art verpflichtet ist, und daas sie weder dea Durchzug fremder Truppen noch eine Vorbereitung militärischer Unternehmungen auf ihrem Boden duldet. Diesen Erklärungen hat der Rat des Völkerbundes ausdrücklich beigepflichtet; sie stellen somit unsere militärische Neutralität auf eine ausserordentlich feste und unverrückbare Grundlage.

Allerdings war der Kern zu diesen Erklärungen bereits in Artikel 435 des Vertrages von Versailles enthalten und iu der Tat bildete denn auch dieser Artikel die eigentliche Grundlage der in'Paris und London geführten Verhandlungen. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Londoner Erklärung der Anerkennung unserer immerwährenden Neutralität ein Gepräge verleiht, dessen sie bis dahin nicht teilhaftig war. Jede Zweideutigkeit ist nun ausgeschaltet und jedes Missverständnis unmöglich geworden. Die Rechtsstellung der Schweiz im Völkerbund ist unanfechtbar und kann auch nicht als Präzedenzfall für andere Mitglieder angerufen werden. Die immerwährende Neutralität unseres Landes und die Unverletzlichkeit seines Gebietes bilden fortan einen wesentlichen Bestandteil des jus g e n ti u m und werden somit zu einer Norm jener Rechtsordnung, die, wie zu hoffen und wünschen ist, dereinst die Beziehungen zwischen a l l e n Völkern der Erde beherrschen wird.

In dieser Tatsache findet auch die Zuteilung des Völkerbundsr sitzes an die Schweiz ihren tiefsten Sinn und ihre vornehmste Beantwortung.

Die Schweiz hat nicht umsonst auf ihr gutes Recht und auf die Freundschaft der im Rate des Völkerbundes vertretenen Staaten ihr Vertrauen gesetzt; sie hat auch mit gutem Grund auf die Hingabe und Geschicklichkeit ihrer Unterhändler gebaut.

*

*

Die Frage der Frist, innert* der die Schweiz ihre Beitrittserklärung abgeben muss, ist ebenfalls in befriedigender Weise geregelt. Wir werden eine Mitteilung des parlamentarischen Entscheides bis zum 10. März ergehen lassen müssen, doch kann die Abstimmung des Volkes und der Stände auch nach Ablauf dieser Frist vorgenommen werden, sofern sie, nur sobald als möglich stattfindet. Unsere verfassungsrechtliche Sonderstellung wird demnach anerkannt. Der Rat des Völkerbundes hat die Anforderungen unserer demokratischen Einrichtungen gewürdigt und hat ihnen Rechnung getragen. Er verlangt bloss, dass die Mitteilung, die der Bundesrat auf Grund des Bundesbeschlusses innert der am 10. Januar (dem Tag des Inkrafttretens des Völkerbundsvertrages) beginnenden zweimonatigen Frist zur Wahrung unserer Rechte machen muss, sobald als möglich dem Volk und den Ständen zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werde. Eine ungerechtfertigte Verzögerung

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in der Vornahme der Volksabstimmung würde zum Verlust der Vorteile, hauptsächlich moralischer, aber auch materieller Art führen, welche mit der ursprünglichen Mitgliedschaft am Völkerbunde verknüpft sind.

Im Augenblick, da wir Ihnen auf Grund des Ergebnisses der Londoner Verhandlungen die gegenwärtige Botschaft vorlegen, ist indessen -- wie wir bereits in der Erklärung an die Bundesversammlung vom 3. Februar voraussehen Hessen -- die Ratifikation des Friedensvertrages von Versailles, dem der Völkerbundsvertrag einverleibt ist, durch die V e r e i n i g t e n S t a a t e n von N o r d a m e r i k a noch nicht vollzogen. Noch immer herrscht Ungewissheit über die endgültigen Absichten der Union. Wären wir gezwungen, eine völlige Abklärung in der politischen Lage in den Vereinigten Staaten abzuwarten, so würden wir Gefahr laufen, die ausdrückliche Bedingung nicht erfüllen zu können, welche die Londoner Erklärung für den Beitritt der Schweiz als ursprüngliches Mitglied gestellt hat, indem sie die Durchführung der Volksabstimmung innerhalb der kürzesten Frist verlangt, die unter Berücksichtigung unserer demokratischen Einrichtungen und den Erfordernissen der Volksaufklärung anberaumt werden kann.

Der Bundesbeschluss vom 21. November 1919 gestattet nicht, die Frage des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund dem Volke und den Ständen vorzulegen, bevor sämtliche fünf Grossmächte dem Völkerbunds vertrag beigetreten sind. Während Grossbritannien, Frankreich, Italien und Japan ihren Beitritt erklärt nahen, sind die Vereinigten Staaten noch nicht zu einem Entschlüsse gelangt.

Wir stehen somit vor der Frage, ob wir mit der Abstimmung von Volk und Ständen bis zu einem endgültigen Entscheid der Vereinigten Staaten zuwarten, oder ob wir aus unserer Zurückhaltung heraustreten und in diesem Punkt den Bundesbeschluss vom 21. November abändern wollen. Der Bundesrat schlägt Ihnen vor, d e n B u n d e s b e s c h l u s s a b z u ä n d e r n u n d i h n z u e r m ä c h t i g e n , die A b s t i m m u n g vornehmen zu lassen, ohne die endgültige Stellungnahme der amerikanischen Union abzuwarten.

Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Entwurf eines Bundesbeschlusses, den der Bundesrat in seiner Botschaft vom 4. August 1919 der Bundesversammlung vorgelegt hatte, jene Bestimmung nicht enthielt, die der Kürze halber
als die ,,Amerika-Klausel" bezeichnet wird.

Diese Klausel ist erst nachträglich in den Entwurf aufgenommen worden^ vor allem, um die Bedenken derjenigen Mitglieder der Bundesversammlung zu zerstreuen, die es trotz grundsätzlicher Zustimmung zur Idee des Völkerbundes ein Hinausziehen

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des parlamentarischen Entscheides bis zur völligen Abklärung der internationalen Lage und namentlich bis zum tatsächlichen Beginn der zweimonatigen Frist für angezeigt hielten. Die so erfolgte Aufnahme der Amerika - Klausel in den Bundesbeschluss, die übrigens in voller Übereinstimmung mit dem Bundesrat geschah, gestattete nun aber nicht, sämtliche Konsequenzen dieser Bestimmung in ihrer ganzen Tragweite zu überblicken In einem wichtigen Punkte ist eine Unklarheit entstanden. Sollte die Mitwirkung der Vereinigten Staaten am Völkerbund lediglich eine Bedingung für die Unterstellung des Bundesbeschlusses unter die Abstimmung von Volk und Ständen darstellen oder sollte darüber hinaus auch die Mitteilung des Bundesrates an das Generalsekretariat des Völkerbundes innert der zweimonatigen Frist von einem vorgängigen Beitritt Amerikas abhängig sein? Stellt man sich auf den Boden einer rein wörtlichen Auslegung, so scheint es wohl, als ob nach der Absicht der Bundesversammlung die Gegenwart der Vereinigten Staaten bloss eine Vorbedingung der Vol k s a b s t i m m u n g darstellte. Geht man dagegen, ohne nach dem Schein zu urteilen, der Frage auf den Grund, so zeigt es sich bald, dass der Amerika-Klausel eine mehr inhaltliche Bedeutung zukommt. Der Bundesrat hat denn auch nicht gezögert, zu erklären, dass er auch, abgesehen von der Aufnahme der erwähnten Klausel in den Bundesbeschluss, die Bundesversammlung von neuem befragen würde, wenn im Augenblick, da die Schweiz zur Wahrung ihrer Rechte als ursprüngliches Mitglied des Völkerbundes eine Erklärung abgeben müsste, die Vereinigten Staaten den Völkerbundsvertrag noch nicht ratifiziert hätten.

Wir sind weit davon entfernt, behaupten zu wollen, dass ein selbst zeitlich begrenztes Fernbleiben der Vereinigten Staaten vom Völkerbund eine Tatsache von geringfügiger Bedeutung darstelle.

Würden wir so denken, so gerieten wir mit unserer eigenen Überzeugung und insbesondere mit dem im Memorandum vom 13. Januar und der Erklärung vom 3. Februar niedergelegten Standpunkt in Widerspruch. Es ist nicht zu bestreiten, dass der Völkerbundsvertrag einen Rat des Völkerbundes ins Leben ruft, in dem die Vereinigten Staaten einen der den fünf Grossmächten eingeräumten Sitze einnehmen müssen. Bis die Vereinigten Staaten den ihnen gebührenden Platz ausfüllen, wird die Tätigkeit
der hauptsächlichsten Organe des Völkerbundes an einer Lücke kranken und daher auch nicht dem Bild entsprechen, das den Urhebern des Völkerbundes in ihren Wünschen vorschwebte.

Je weiter der Völkerbund seine Tore öffnen und je deutlicher er seinen universellen Charakter offenbaren wird, desto mehr Gewähr1 bietet er für seinen sohliesslichen Erfolg. Die amerikanische

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Union ist bei ihrev riesigen Ausdehnung, ihrer Fülle von Rohstoffen und ihrem Reichtum, sowie bei der bewundernswerten Energie ihres jungen Staatswesens dazu vorbestimmt, in der Weltgeschichte einen stets hervorragenderen Platz einzunehmen. Ihre Stellung zur neugeschaffenen internationalen Organisation ist daher ohne weiteres gegeben. Das Schweizervolk hätte Unrecht, wenn es nicht dankbar des Volkes der Vereinigten Staaten und seiner Behörden gedenken würde, die während des ganzen Weltkrieges unablässig volles Verständnis für unsere Lage bewiesen und mit tatkräftiger Mithülfe zur Versorgung unseres Landes mit Rohstoffen und Lebensmitteln beigetragen haben.

Die Frage, vor die sich die Bundesversammlung gegenwärtig gestellt sieht, ist jedoch die, ob es mit dem schweizerischen Landesinteresse vereinbar ist, den Eintritt der Schweiz in den Völkerbund vom Beitritt der Vereinigten Staaten abhängen zu lassen. Es ist zuzugeben, dass -- selbst abgesehen von dem hinsichtlich der organisatorischen Bestimmungen des Völkerbundes Gesagten -- die Mitwirkung der Vereinigten Staaten ein Element des versöhnlichen Ausgleichs in die Anwendung des aus dem Weltkrieg entstandenen Völkerbundsvertrages bringen würde. Man war zeitweilig versucht, den Völkerbund als ein gegen die Besiegten gerichtetes Bündnis der Sieger zu betrachten, und die Tatsache, dass ausser Russlrtnd auch Deutschland und Österreich vorläufig vom Bunde ausgeschlossen bleiben, konnte dieser Auffassung einen Schein von Begründung verleihen. Angesichts der Grunde, welche die amerikanische Union zum Eintritt in den Krieg bewogen haben, und der Rolle, die sie während desselben ausgefüllt hat, würde die Mitwirkung der Vereinigten Staaten zweifellos die Bedenken derjenigen zerstreuen oder doch vermindern helfen, die durch den Schein einer einseitigen Orientierung des Völkerbundes beunruhigt werden. Aber wenn auch der abwartende Standpunkt derjenigen, die den Eintritt der Schweiz in den Völkerbund vom vorgängigen Beitritt der Vereinigten Staaten abhängen lassen wollen, voll zu würdigen ist, so muss dennoch Parlament und Volk gegenüber auf das nachdrücklichste auf folgende Erwägungen hingewiesen werden : Die Vereinigten Staaten können drei verschiedene Wege einschlagen : Entweder fassen sie den Entschluss, dem Völkerbund ganz fernzubleiben, oder aber sie treten,
sei es in relativ ferner Zeit oder sei es in kurzem, dem Bunde bei.

Die letzte Hypothese des baldigen Beitritts gibt, als die einfachste, zu keinem weitern Kommentar Anlass. Entscheiden sich die Vereinigten Staaten innert kurzer Frist für den Beitritt, so wäre es geradezu unverständlich, wenn die Schweiz eine abwartende

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Haltung einnähme, die ihr bloss Nachteile ohne irgendwelchen Vorteil bringen würde. Eine zweite Möglichkeit wäre mit einem endgültigen Verzicht der Vereinigten Staaten, dem Völkerbunde anzugehören, gegeben. Doch erscheint diese Hypothese als äusserst unwahrscheinlich. Die Meldungen aus den Vereinigten Staaten berechtigen uns zur Annahme, dass die Union -- deren Stellungnahme zur Völkerbundsfrage durch verfassungsrechtliche Schwierigkeiten, namentlich hinsichtlich der Kompetenzen des Präsidenten und des Senats, sowie auch bis zu einem gewissen Grade durch Parteikämpfe erschwert wird, die sich unserer Beurteilung entziehen -- schliesslich dem Rufe ihrer Freunde folgen und ein Werk nicht verurteilen werden, zu dessen Vorkämpfer sie unter der Führung eines ihrer Söhne, des Präsidenten Wilson, geworden ist.

Es scheint auch psychologisch wenig wahrscheinlich, dass das amerikanische Volk, das trotz mancher gegenteiliger Behauptung im Banne eines fruchtbaren Idealismus steht, sich dauernd von dem grosszügigsten Versuch der Geschichte fernhalte, im Verkehr zwischen den Staaten an die Stelle roher Gewalt das Recht zu setzen.

Der Vollständigkeit halber muss jedoch auch der Fall, dass unsere Hoffnung sich nicht verwirklicht, in den Bereich der Betrachtungen gezogen werden. Träte dieser Fall ein, so könnte der-Grund hierfür einzig in einer Überspannung der Monroe-Doktrin liegen, indem die Vereinigten Staaten, um unter allen Umständen europäische Einwirkungen auf den amerikanischen Kontinent hintanzuhalten, von sich aus auf jede Einmischung in die Angelegenheiten sowohl Europas wie der übrigen Weltteile verzichten würden. Die Folge einer derartigen Auffassung wäre schliesslich auch der Verzicht auf jede Mitwirkung an einer mit Zwangsgewalt ausgestatteten internationalen Organisation. Es ist offenkundig, dass angesichts einer solchen Lage die Schweiz, die im Herzen Europas gelegen ist und von europäischem Geiste im besten Sinne des Wortes durchdrungen ist, keine rühmliche Haltung einnehmen würde, wenn sie ihr Schicksal mit demjenigen eines aussereuropäischen Staates unauflöslich verknüpfen wollte, der -- es handelt sich wohlverstanden nur um eine Hypothese -- jede Gemeinschaft mit Europa ablehnen würde. Um eine derartige Stellungnahme der Schweiz noch einigermassen zu rechtfertigen, müssten zum mindesten alle
grossen Staaten des amerikanischen Kontinents dem Beispiel der nordamerikanischen Union gefolgt sein, was nicht geschehen ist und nicht geschehen wird.

Es ist auch anzunehmen, dass sämtliche zum Beitritt als ursprüngliche Mitglieder eingeladenen Staaten Europas der an sie ergangenen Einladung vor dem 10. März Folge leisten werden.

Mehrere dieser Staaten, allen voran Spanien, sind dem Rufe bereits

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gefolgt. Würde die Schweiz zurückstehen, so wäre sie der einzige zum Beitritt eingeladene Staat, der in Ablehnung und Isolierung verharrte. Es bedarf keiner weiteren Worte, um darzutun, welch schweren Schlag wir dadurch bewusst gegen unsere internationale Stellung, gegen die Interessen unseres Landes und seine Geltung in der Welt geführt hätten -- einen Schlag, der doppelt hart empfunden werden müsste, nachdem unsere Mission von London mit einem vollständigen Erfolg zurückgekehrt ist. Die Welt stände unter dem Eindruck, dass wir das Entgegenkommen befreundeter Mächte mit Misstrauen vergälten. Nachdem wir uns so auf den unfruchtbaren Boden einer Isolierungspolitik gestellt hätten, würden wir auch mit Recht die verderblichen Folgen einer völligen politischen Vereinsamung zu tragen haben.

Es wäre endlich noch der Fall denkbar, dass die Vereinigten Staaten schliesslich dem Völkerbunde beiträten, ihren Anschluss jedoch erst verhältnismässig spät vollziehen würden. Die Tatsache des schliesslichen Beitrittes wäre unter dieser Annahme gewiss, nur über dessen Zeitpunkt würde Unklarheit herrschen. E v en t u s c e r t u s , an, i n c e v t u s q u a n d o . Da die Schweiz mit Sicherheit darauf zählen könnte, die grosse amerkanische Schwesterrepublik eines Tages am Rate des Völkerbundes teilnehmen zu sehen, käme der Frage des Beitrittes nicht inhaltlich, sondern bloss zeitlich Bedeutung zu. Hätte aber die Schweiz in diesem Falle wirklich ein entscheidendes Interesse daran, der amerikanischen Union zu f o l g e n statt ihr voranzugehen ? Wir suchen vergeblich nach einem solchen ausschlaggebenden Interesse. Wie tiefgehend auch die Neigungen und die Ideengemeinschaft sein mögen, welche die alte schweizerische Demokratie mit der überseeischen Republik verbinden, so erscheint es dennoch als eines Staates wie des unsrigen nicht ganz würdig, der von einem anderen Staate vorgezeichneten Spur blindlings zu folgen. Die Geschichte der Schwejz, ihre geographische Lage und die Bedingungen ihres wirtschaftlichen Lebens fordern gebieterisch die restlose Behauptung ihrer Unabhängigkeit und mahnen ab von jeder Beschränkung in der freien Entfaltung unserer staatlichen Persönlichkeit.

Die angeführten Erwägungen, denen noch weitere angereiht werden könnten, führen uns mit zwingender Kraft dazu, Ihnen den Verzicht auf die
Amerika-Klausel anzuempfehlen, von welchem Standpunkte man auch immer die Haltung der Vereinigten Staaten betrachten mag.

Der Bundesrat erachtet es für seine unabweisliche Regierungpflicht als Hüter der auswärtigen Beziehungen der Schweiz, an die Bundesversammlung und an das Schweizervolk mit Ein-

351 dringlichkeit den Ruf zu richten, in der Schicksalsstunde unserer Geschichte seinen aus tiefster Überzeugung geschöpften Rat zu erhören.

Es kann selbstverständlich nicht Aufgabe der vorliegenden Zusatzbotschaft sein, sämtliche in der Hauptbotschaft vom 4. August 19J9 dargelegten Gründe aufs neue zu entwickeln. In allen wesentlichen Punkten ist diese Botschaft zu bestätigen. Wir messen der Tatsache eine grosse Bedeutung bei, dass die vom Rat des Völkerbundes am 13. Februar 1920 in London erlassene Erklärung die Botschaft des Bundesrates vom 4. August 1919 wie auch das Memorandum vom 13. Januar 1920 ausdrücklich erwähnt und damit diesen beiden Dokumenten einen Wert verleiht, der über den Rahmen einer bloss für das interne Staatsleben bestimmten Auslegungsregel hinausragt.

Die gründliche politische Schulung unseres Volkes, sein Sinn für geistige und wirtschaftliche Realitäten, und sein feines politisches Gefühl, das es noch selten irregeleitet hat, werden ihm auch diesmal den vom Schicksal vorgezeichneten Weg weisen.

Unser Schlusswort kann nur eine Kundgebung unerschütterlichen Vertrauens in unsere Demokratie, in der gläubigen Hoffnung auf ein glückliches Geschick des Schweizerlandes sein, über welches die göttliche Vorsehung stets mit sichtbarer Hand gewacht hat.

Wir b e a n t r a g e n Ihnen den Bundesbeschluss vom 21. November 1919 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbundsvertrag vom 28. April/28. Juni 1919 zu bestätigen, mit der einzeigen Abänderung, dass Ziffer II des Beschlusses nur die Vorschrift der Abstimmung von Volk und Ständen, nicht aber die Klausel betreffend das Erfordernis des Beitritts der fünf Grossmächte enthält.

Genehmigen Sie den Ausdruck unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 17. Februar 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. I.

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Anhang.

li Bundesbeschluss vom 21, November 1919 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund, Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 4. August

1919 und unter ausdrücklicher Feststellung, dass die immerwährende Neutralität der Schweiz, die insbesondere in der Akte vom 20. November 1815 anerkannt worden ist, in Art. 435 des zwischen den alliierten und assoziierten Mächten und Deutschland am 28. Juni 1919 abgeschlossenen Friedensvertrages als ein Abkommen zur Aufrechterhaltung des Friedens anerkannt ist und dass sie nach Art. 21 des Völkerbundsvertrages als mit keiner Bestimmung dieses Vertrages unvereinbar anzusehen ist, im Vertrauen darauf, dass der jetzige Völkerbund sich in nicht ferner Zeit zu einem allgemeinen Völkerbund erweitere, beschliesst: I. Die Schweiz tritt dem Völkerbundsvertrag bei, der am 28. April 1919 von der Pariser Friedenskonferenz angenommen worden ist.

Für die Ratifikation der Abänderungen des Völkerbundsvertrages, sowie für die Genehmigung von mit dem Völkerbund zusammenhängenden Übereinkünften jeder Art, kommen die von der Bundesverfassung für den Erlass von Bundesgesetzen aufgestellten Bestimmungen zur Anwendung.

Beschlüsse über Kündigung des Völkerbundsvertrages oder über Rücktritt von diesem sind dem Volk und .den Ständen zur Abstimmung vorzulegen.

Artikel 121 der Bundesverfassung betreffend die Volksanregung (Initiative) ist auch für die' Kündigung des Völkerbundsvertrages und den Rücktritt von diesem anwendbar.

II. Der vorliegende Bundesbeschluss ist der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten, sobald die fünf Hauptmächte dem Völkerbund beigetreten sein werden.

III. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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2. Aide-Mémoire des Bundesrates vom 6. Dezember 1919.

Obwohl die Hinterlegung der Ratifikationen des Friedensvertrages vom 28. Juni 191U noch nicht stattgefunden hat, und demgemäss dem schweizerischen Bundesrat auch noch keine amtliche Einladung für den Beitritt zum Völkerbund im Sinne von Art. l des Völkerbundsvertrages vom 28. April 1919 zugegangen ist, hat der schweizerische Bundesrat die Ehre, der Regierung von mitzuteilen, dass die schweizerische Bundesversammlung am 21. November 1919 den dieser Note in Kopie beigelegten Beschluss gefasst hat.

Der Bundasrat behält sich vor, im gegebenen Zeitpunkt dem Generalsekretariat des Völkerbundes eine formelle Erklärung über den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund abzugeben. Einem Wunsche der Kommission des Nationalrates Folge gebend, möchte er aber schon jetzt der Auffassung Ausdruck geben, dass die Abstimmung des Volkes und der Stände Über den Bundesbeschluss vom 21. November 1919, sobald es die Umstände erlauben, zu erfolgen hat, nicht aber notwendigerweise innerhalb der in Art. l des Völkerbundspaktes genannten Frist. Es würde den verfassungsrechtlichen Gepflogenheiten der Schweiz völlig widersprechen, wenn dem Volke eine Vorlage unterbreitet würde, deren rechtliche Grundlage noch nicht feststeht. Denn in der Tat ist für das Zustandekommen des Völkerbundes der Beitritt aller derjenigen Staaten notwendig, denen mit Rücksicht auf ihre besondere politische Bedeutung durch den Völkerbundsvertrag selber eine dauernde Mitwirkung im Rate zugesichert ist.

Der Buudesrat zweifelt nicht daran, dass eine innerhalb der zwei Monate nach Inkrafttreten des Friedensvertrages erfolgende Notifikation des Beschlusses der eidgenössischen Räte geeignet sein wird -- unbeschadet der endgültigen Entscheidung von Volk und Ständen -- der Schweiz alle Rechte eines zur ursprünglichen Mitgliedschaft im Völkerbunde eingeladenen Staates zu wahren.

Die Entscheidung der Frage des Beitritts zum Völkerbund durch das Volk selbst ist -- wenn auch nur in der Schweiz eine verfassungsmässige Notwendigkeit -- so sehr im Geiste der durch den Völkerbund zu begründenden neuen internationalen Ordnung, dass der Bundesrat es als gegeben erachtet, dass der Schweiz aus dieser demokratischen Ordnung ihres Staatsrechts keinerlei Nachteile dem Völkerbund gegenüber erwachsen können.

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3, Note des Obersten Eates vom 2, Januar 1920.

Mit Aide-Mémoire vom 18. Dezember 1919 hat die schweizerische Gesandtschaft, unter Berufung auf den Völkerbundsvertrag, den die Gesandtschaft vom 28. April 1919 datiert, der Regierung der französischen Republik zur Kenntnis gebracht, dass die schweizerische Bundesversammlung sich am 21. November 1919 zugunsten des Eintritts der Schweiz in den Völkerbund ausgesprochen hat, durch einen Entscheid, deren Wortlaut dem erwähnten AideMémoire beilag.

Die schweizerische Regierung fügt bei, dass sie sich vorbehält, im gegebenen Zeitpunkt nach der Volksabstimmung dem Generalsekretariat des Völkerbundes eine formelle Beitrittserklärung zukommen zu lassen. Die Volksabstimmung die von der schweizerischen Verfassung vorgesehen ist, müsste nach Ansicht der schweizerischen Regierung nicht auf jeden Fall innerhalb der in Art. l des Völkerbundspaktes genannten Frist stattfinden, weil das Zustandekommen des Völkerbundes von dem Beitritt sämtlicher Staaten abhängig sei, denen der Völkerbundsvertrag eine dauernde Mitwirkung im Rat des Völkerbundes zusichert.

Endlich hätte nach Ansicht der schweizerischen Regierung die Bekanntgabe des Beschlusses der Bundesversammlung innerhalb von zwei Monaten nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages zur Folge, dass der Schweiz alle Rechte eines zum Beitritt in der Eigenschaft als ursprüngliches Mitglied eingeladenen Staates gewahrt und gleichzeitig die endgültige Entscheidung des Schweizervolkes in der durch die eidgenössische Verfassung vorgeschriebenen Volksabstimmung nicht präjudiziert würde.

Die Regierung der französischen Republik hat den Obersten Rat der alliierten und assoziierten Mächte von dem Aide-Mémoire der schweizerischen Gesandtschaft Kenntnis gegeben. Der Oberste Rat ist der Ansicht, und er befindet sich hierin im Einverständnis mit der schweizerischen Regierung, dass dieses Aide-Mémoire nicht als Beitrittserklärung gelten könne. Er hat die Ehre, die folgenden Bemerkungen anzuknüpfen : 1. Nach Art. l des Völkerbunds Vertrages muss die Beitrittserklärung ohne Vorbehalte und innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten des Völkerbundsvertrages erfolgen. Eine. Beitrittserklärung, die vom Ergebnis der Volksabstimmung abhängig gemacht würde, könnte nicht als vorbehaltloser Beitritt angesehen werden. Anderseits sind die Massnahmen, die das schweizerische Staatsrecht in dieser Hinsicht vorschreibt, ausschliesslich für die

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Schweiz von Bedeutung. Für die anderen beteiligten Mächte kommt einzig die nach Massgabe der Bestimmungen des Friedensvertrages erfolgte Beitrittserklärung in Betracht.

2. Die schweizerische Note nimmt den 28. April als Datum der Annahme des Völkerbundsvertrages au. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, dass der einzige amtliche Text der von den Mächten unterzeichnete ist, und dass für diesen der 28. April nicht massgebeud ist.

3. Die in der schweizerischen Note vertretene Auffassung, dass das Zustandekommen des Völkerbundes von der Ratifikation durch die fünf Hauptmächte abhänge, stimmt nicht mit den Schlussbestimmungen des Vertrages überein, denen zufolge dieser Vertrag in all seinen Teilen, also einschliesslich des ersten Teils, in bezug auf die Berechnung der Fristen aller Staaten gegenüber anwendbar ist und unmittelbar nach der Hinterlegung der Ratifikation durch drei Hauptmächte und Deutschland für sämtliche Mächte, die ihn in diesem Zeitpunkt ratifiziert haben werden, in Kraft treten wird.

4. Endlich enthält der Bundesratsbeschluss, dessen Wortlaut die schweizerische Regierung dem Aide-Mémoire beigefügt hat, eingangs verschiedene Erwägungen über die Verbindung des Beitrittes der Eidgenossenschaft zum Völkerbund und der immerwährenden Neutralität der Schweiz, sowie der Art. 21 und 435 des Friedensvertrages untereinander. Der Oberste Rat muss die Prüfung dieser Frage vorbehalten."

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4, Memorandum des Bundesrates vom 13, Januar 1920.

Der schweizerische Bundesrat hat am 6. Dezember 1919 an die Signatare der Friedensverträge und die zum Eintritt in den Völkerbund eingeladenen Staaten, mit denen die Eidgenossenschaft in ständigem .diplomatischem Verkehr steht, ein Aide-Mémoire gerichtet. Er vertrat darin die Auffassung, die Schweiz könne sich durch eine auf den Beschluss der Bundesversammlung beruhende und innerhalb der in Art. l des Völkerbundsvertrages festgesetzten Frist von zwei Monaten erfolgenden Anmeldung die Rechte eines zur ursprünglichen Mitgliedschaft eingeladenen Staates wahren, auch wenn die durch die Grundsätze der schweizerischen Bundesverfassung geforderte Abstimmung des Volkes und der Stände nicht innerhalb der genannten Frist stattfinden könne.

Der Oberste Rat, dein die Regierung der französischen Republik dieses Aide-Mémoire zur Kenntnis brachte, hat sich damit befasst und am 2. Januar 1920 dem Bundesrat eine Antwort zukommen lassen. Angesichts dieser Antwort erachtet sich der Bundesrat verpflichtet, seinen Standpunkt genau zu umschreiben und des nähern darzulegen. Es erscheint ihm dies um so notwendiger, als der Oberste Rat auch einen im Aide-Mémoire nicht erwähnten Punkt, die Frage der Neutralität, berührt hat, der für die Schweiz von ausschlaggebender Bedeutung ist, wie unten ausgeführt werden wird.

Der Oberste Rat stellt sich hinsichtlich des Zeitpunktes und der Form der Beitrittserklärung auf den Standpunkt einer unzweifelhaft richtigen, streng wörtlichen Auslegung. Der Bundesrat war dagegen und ist auch jetzt noch der Ansicht, es würde dem Geist des Völkerbundsvertrages entsprechen, wenn in der Anwendung dieser Bestimmung auch auf die demokratischen Institutionen der Schweiz Rücksicht genommen würde. Noch nie ist einem Volke ein Staatsvertrag von solcher Bedeutung zur Annahme vorgelegt worden. Die schweizerischen Stimmberechtigten halten als eifrige Hüter der Unabhängigkeit ihres Landes darauf, klar zu sehen und die Vorlage genau zu prüfen. Die Arbeit zur Aufklärung des Volkes vor der Abstimmung kann aber erst dann wirksam einsetzen, wenn durch das Inkrafttreten des Friedensvertrages ein fester Rechtszustand geschaffen ist.

Dem schweizerischen Bundesrat ist .sodann keineswegs entgangen, dass einzig der Text, wie er in Art. l bis 26 des Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 enthalten ist, massgebend ist, und

357 er hat auch nur diesen Text den eidgenössischen Räten vorgelegt.

Eine sachliche Tragweite hat deshalb die scheinbare Verschiedenheit der Auffassung des Bundesrates und des Obersten Rates nicht.

Der Bundesrat möchte in der einmutigen Kundgebung der Pariser Konferenz vom 28. April den schöpferischen Akt erblicken, worin der Wille zur Gründung des Völkerbundes als einer selbständigen internationalen Organisation in Erscheinung trat. Die Friedensverträge, in die der Völkerbundsvertrag aufgenommen worden ist, berühren als solche die Schweiz, die im Krieg neutral geblieben ist, nicht unmittelbar. Mit Rucksicht auf diesen Umstand hat sie auch in Art. 4 des Völkerbundsvertrages die namentliche Bezeichnung der fünf ständig im Rat vertretenen Staaten beibehalten, statt der Bezeichnung ,,die fünf Alliierten und Assoziierten Hauptmächtea, welche im Friedensvertrag durchaus an ihrem Platze ist.

Der schweizerische Bundesrat bestreitet nicht -- und ebensowenig die Bundesversammlung --, dass die in den Schlussbestimmungen des Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 enthaltene Vorschrift über den Fristenlauf auch auf den ersten Teil des Vertrages (Völkerbund) sich beziehe. Nichtsdestoweniger ist er der Ansicht, dass solange nicht sämtliche fünf Hauptmächte beigetreten sind, eine für die definitive Organisation des Völkerbundes wesentliche Bestimmung des Vertrages nicht verwirklicht ist. Wenn eine der Hauptmächte vom Völkerbünde fernbliebe oder ihm nur mit einschränkenden Vorbehalten beiträte, oder wenn sich ihr Beitritt auch nur über alles Erwarten verzögern sollte, so käme einer solchen Tatsache auch vom politischen Standpunkt aus die allergrösste Bedeutung zu.

Als die Bundesversammlung ihren Beschluss vom 21. November fasste, konnte sie hoffen, die Ratifikation sämtlicher fünf Hauptmächte werde so frühzeitig erfolgen, dass die Volksabstimmung innerhalb der zweimonatigen Frist oder jedenfalls kurz nachher stattfinden könne. Sollte diese Erwartung sich nicht erfüllen, so würden die eidgenössischen Räte die Frage prüfen müssen, ob sie trotz wesentlich veränderter Voraussetzungen ihren Beschluss aufrechterhalten oder aber ihn abändern sollen. Der Bundesrat ist sich vollständig klar darüber, dass die Schweiz, schon mit Rücksicht auf die ihr zuteil gewordene hohe Ehre der Errichtung des Sitzes des Völkerbundes in
Genf, ihre Entscheidung über den Beitritt gemäss Art. l des Vertrages nicht auf unbestimmte Zeit verschieben kann. Sie wird ihren endgültigen Entschluss so frühzeitig, als ihre besoodera, verfassungsrechtlichen Verhältnisse dies erlauben, bekanntgeben.

Der Oberste Rat hat endlich noch die Prüfung der in der Einleitung des Bundesbeschlusses vom 21. November 1919 er-

358 wähnten Verbindung der Art. 435 und 21 des Friedens Vertrages vom 28. Juni 1919 betreffend die immerwährende Neutralität der Schweiz vorbehalten. Der Bundesrat hat volles Vertrauen in die wiederholt bewiesene freundschaftliche Gesinnung der alliierten und assoziierten Mächte und die von ihnen der Schweiz gegebenen Zusicherungen. Er erachtet sich jedoch für verpflichtet, hinsichtlich der immerwährenden Neutralität der Schweiz das Folgende zu erklären : In seinem Memorandum vom 8. Februar und seiner Botschaft vom 4. August 1919 hat der Bundesrat die Gründe dargelegt, weshalb die Schweiz auch im Völkerbund an ihrer immerwährenden Neutralität festhalten muas. Er hält an diesem Standpunkt unverändert fest.

Die schweizerischen Delegierten,, die sich im April 1919 in Paria befanden, legten mehreren Persönlichkeiten der Konferenz die Auffassung der Schweiz, in dieser Beziehung dar. Sie setzten namentlich auseinander, dass die Bestimmung, deren Aufnahme in den Völkerbundsvertrag damals von der Kommission vorgeschlagen war und die Art. 21 des endgültigen Vertrages geworden ist, selbstverständlich auf die Akte vom 20. November 1815 betreffend die immerwährende Neutralität der Schweiz Anwendung finden könne und müsse. Gerade auf dieser Grundlage fanden die Verhandlungen über den Art. 435 des Friedensvertrages statt.

Dieser Artikel ist von entscheidender Bedeutung. Alle Signatarmächte des Friedensvertrages bestätigen damit die immerwährende Neutralität der Schweiz und anerkennen ferner, dass diese Neutralität eine der Friedenssicherung dienende inlernationale Übereinkunft, d. h. ein keiner Bestimmung des Völkerbundsvertrages widersprechendes Abkommen darstelle. Die in diesem Punkt buchstäbliche Übereinstimmung im Wortlaut des Art. 21 des Völkerbundsvertrages und des Art. 435 des Friedensvertrages mit Deutschland war beabsichtigt und hatte einen bestimmten Zweck.

Nur unter der Voraussetzung dieser doppelten Anerkennung -- der Anerkennung der ewigen Neutralität sowohl als auch 'der Anerkennung der Vereinbarkeit der Neutralität mit den Bestimmungen des Völkerbundsvertrages gemäss Art. 2l -- liess sich der Bundesral, unter Vorbehalt der Genehmigung der eidgenössischen Räte, auf einen Verzicht bezüglich gewisser historischer Rechte der Schweiz in Savoyen ein. Alle Beratungen in der Bundesversammlung, sowohl
über die allgemeine Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund als in der besondern Frage des in Art. 435 des Friedensvertrages mit Deutschland enthaltenen Abkommens zwischen der französischen und der schweizerischen Regierung, wurden durch diese Erwägungen geleitet und beherrscht.

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Der Bundesrat hat sodann in seiner Botschaft vom 4. August 1919 und in Erklärungen seiner Mitglieder in den eidgenössischen Katen sich so klar als möglich über Wesen und Wirkungen der immerwährenden Neutralität im Völkerbunde ausgesprochen. Es ist seine höchste Pflicht, zunächst das Schweizervolk über die Tragweite der aus dem Völkerbund ihm erwachsenden Pflichten rückhaltslos aufzuklären. Ferner möchte er im Verhältnis zu den andern Staaten keinen Zweifel hinsichtlich des unerschütterlichen Neutralitätswillens der Schweiz aufkommen lassen. Diese Frage bewegt das Sehweizervolk aufs tiefste. Die vollste Klarheit über alle wesentlichen Punkte ist übrigens die unerlässliche Voraussetzung einer Volksbefragung.

Die Neutralität der Schweiz muss in allen Kriegen, selbst in den vom Völkerbund nach Art. 16 unternommenen Aktionen, anerkannt bleiben. Das Gebiet der Schweiz ist und bleibt unverletzlich. Die Schweiz ist bereit zu allen Opfern, um es zu verteidigen. Diese Unverletzlichkeit liegt im höhern Interesse des Völkerbundes selber. Die Schweiz kann deshalb an militärischen Aktionen des Völkerbundes nicht teilnehmen, noch irgendeinen Durchzug durch ihr Gebiet oder irgendwelche Vorbereitungen militärischer Unternehmungen auf ihrem Gebiet zulassen.

Zur Frage der Solidaritätspflichten, die sich für die Schweiz aus ihrer Mitgliedschaft zum Völkerbund ergeben werden und die die Schweiz anerkennt und hochhält, hat sich der Bnndesrat einlässlich in seiner am 4. August 1919 an die Bundesversammlung gerichteten Botschaft ausgesprochen.

Nachdem der Oberste Rat, wenn auch nur in der Form eines Vorbehaltes späterer Prüfung, die Frage der schweizerischen Neutralität berührt hat, muss der Bundesrat um Aufschluss darüber ersuchen, ob der Oberste Rat oder der Rat des Völkerbundes mit dem schweizerischen Standpunkte in dieser Frage einverstanden ist. Er wäre sehr dankbar, wenn er die Versicherung erhalten könnte, dass diese Räte und die von ihnen vertretenen Staaten diese Auffassung teilen. Von dem Wunsche geleitet, sobald als möglich die Volksabstimmung herbeizuführen, kann der Bundesrat nur die Hoffnung aussprechen, dass diese Frage so rasch als möglich abgeklärt werde. Er wird sich deshalb gestatten, durch eine besondere Mission seinen Standpunkt darlegen zu lassen, und er ist bereit, bei einer schriftlichen Festlegung
gegenseitiger Erklärungen mitzuwirken.

Der Bundeerat benützt diesen Anlass, um von neuem zu erklären, dass seines Erachtens ein auf möglichst breiter Grundlage errichteter Völkerbund eine weltpolitische Notwendigkeit ist und dass er, soweit es an ihm liegt, den sehnlichen Wunsch hat,

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am Zustandekommen dieses gewaltigen und notwendigen Werkes mitzuwirken. Wenn er eine Berücksichtigung der besondern schweizerischen Verhältnisse in bezug auf den Zeitpunkt der endgültigen Beitrittserklärung angelegentlich wünscht und auf die Anerkennung der immerwährenden Neutralität der Schweiz im Völkerbünde dringt, so ist er überzeugt, damit nichts zu verlangen, ·was irgendwie die Interessen des Völkerbundes beeinträchtigen könnte.

Der Bundesrat glaubt nicht zuviel zu sagen, dass in keinem Land Volk und Behörden mit grösserm Ernst an die Prüfung und Behandlung der Völkerbundsfrage herangetreten sind. Die Politik der Schweiz beruht auf der Idee des Friedens und des Rechtes, die das eigenste Wesen der neuen internationalen Ordnung bilden.

Diese Feststellungen genügen, um jeden Schatten eines Missverständnisses über den Sinn und die Tragweite der Erklärung des Bundesrates auszuschliessen.

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5. Note der Pariser Botschafterkonferenz vom 2, Januar 1920 an die schweizerische Delegation.

,,Herr Präsident, Sie hatten die Gute, am 20. Januar dem Obersten Rat den Standpunkt der schweizerischen Regierung hinsichtlich der Vereinbarkeit der ewigen Neutralität der Schweiz mit ihrem Beitritt zum Völkerbund darzulegen.

Der Oberste Rat hat mit Einstimmigkeit all seiner anwesenden Mitglieder, worunter sich die Häupter der englischen, französischen und italienischen Regierung befanden, festgestellt, dass die alliierten und assoziierten Mächte hinsichtlich der schweizerischen Neutralität durch Art. 435 des Vertrages von Versailles gebunden sind und bleiben. Er hat indessen in seiner letzten Sitzung der Ansicht Ausdruck gegeben, dass es Sache des Völkerbundsrates sei, sich über die von Ihrer Regierung vorgebrachten Erwägungen zu äussern.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

sig. MiUerand."-

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6. Note des ßundesrates an die im Eate des Völkerbundes vertretenen Mächte vom 30. Januar 1920.

Der schweizerische Bundesrat beehrt sich, unter Bezugnahme auf seine Verbalnote vom 14. Januar 1920 und auf das derselben beigelegte Memorandum vom vorhergehenden Tag, der Regierung von die Antwort des Obersten Rates vom 26. ds. Mts. bekanntzugeben. Ihre Antwort hat folgenden Wortlaut: ,,Sie hatten die Güte, am 20. Januar dem Obersten Rat den Standpunkt der Schweizerischen Regierung hinsichtlich der Vereinbarkeit der ewigen Neutralität der Schweiz mit ihrem Beitritt zum Völkerbund darzulegen.

Der Oberste Rat hat mit Einstimmigkeit all seiner anwesenden Mitglieder, worunter sich die Häupter der englischen, französischen und italienischen Regierungen befanden, festgestellt, dassdie alliierten und assoziierten Mächte hinsichtlich der schweizerischen Neutralität durch Art. 435 des Vertrages von Versailles gebunden sind und bleiben. Er hat indessen in seiner letzten Sitzung der Ansicht Ausdruck gegeben, dass es Sache des Völkerbundsrates sei, sich über die von Ihrer Regierung vorgebrachten Erwägungen zu äussern."

Weil der Termin, innerhalb dessen die Beitrittserklärung zum Völkerbund gültig gemacht werden kann, am 10. März abzulaufen scheint, hat der Bundesrat dem Generalsekretariat des Völkerbundes mitgeteilt, dass er sehr grossen Wert darauf legen würde, wenn der Rat des Völkerbundes die die Schweiz besonders berührenden Fragen, welche vom Obersten Rat dem Rat des Völkerbundes zur Prüfung überwiesen worden waren, in die Tagesordnung seiner nächsten Zusammenkunft in London aufnehmen wurde.

Was die immerwährende Neutralität der Schweiz im Rahmen des Völkerbundes anbetrifft, so hat der schweizerische Bundesrat seinen Standpunkt im Memorandum vom 13. Januar 1920 dargelegt.

Mit mehr Einzelheiten hat er ihn bereits in seiner Botschaft an die Bundesversammlung vom 4. August 1919, die allen Mächten zugestellt worden war, auseinandergesetzt. Es war der Regierung der schweizerischen Eidgenossenschaft schon gleich zu Beginn der Diskussion über die Völkerbundsfragen daran gelegen -- in vollständiger Offenheit -- zu betonen, dass die Schweiz ihre immerwährende Neutralität auch innerhalb der neuen internationalen Organisation aufrechtzuerhalten gedenke. Der Hauptzweck der Verhandlungen, die zur Aufnahme von Art. 435
in den Vertrag von Versailles geführt hatten, war der, der Schweiz auf Grund ihrer immerwährenden Neutralität eine besondere, mit dem Art. 21 des Völkerbundsvertrages vereinbare Stellung zu schaffen.

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Dieses Spezialabkommen, welches sich durch die eigenartige Lage der Schweiz rechtfertigt, hat nach der Überzeugung des schweizerischen Volkes nur dann einen wirklichen Wert, wenn es unter allen Umständen, also auch im Kriegsfall, wie er von Art. 16 des Paktes vorgesehen wird, wirksam sein wird. Der Begriff der Neutralität schliesst jede Teilnahme des neutralen Staates an militärischen Aktionen und jegliche Duldung von militärischen Unternehmungen auf seinem Territorium, welches unverletzlich ist, aus ; vor allem schliesst er jeglichen Durchzug von Truppen aus. Der Bundesrat misst einer authentischen Erklärung Über diesen Punkt eine ganz besondere Bedeutung bei.

Der Bundesrat schätzt sich glücklich, feststellen zu können, dass seine Delegierten, die Herren Ador und Huber, anlässlich ihrer Mission in Paris mit ausserordentlicher Zuvorkommenheit empfangen worden sind. Er ist auch dem Obersten Rat für das Zeichen wohlwollender Gesinnung sehr verpflichtet, das sich in der Antwort vom 26. Januar kundgibt.

Er hat endlich volles Vertrauen darauf, dass die im Rate des Völkerbundes vertretenen Mächte gleichfalls -- wie dies bereits während,ihrer Mission in Paris von den Delegierten des Bundesrates auseinandergesetzt worden war -- seine Auffassung teilen und in einer ausdrücklichen Erklärung die besondere rechtliche Lage der Schweiz im Rahmen des Völkerbundes festlegen werden.

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Zusatzbotschaft des Bundesrates au die Bundesversammlung betreffend die Frage des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund. (Vom 17. Februar 1920.)

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