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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Ankauf des Wohn- und Postgebäudes Nr. 1077 (Ecke Bahnhofstrasse/Dorfstrasse) in Thalwil.

(Vom 12. Oktober 1920.)

Das Haus, in dem die Post-, Telegraphen- und Telephonbureaux in Thalwil untergebracht sind, wird von der Besitzerin, Frau Witwe Ludwig, verkauft werden. Die Lokalmietverträge der genannten Bureaux haben eine feste Dauer bis 30. April 1926.

Sie sind im Grundbuch vorgemerkt und also noch für mehr als fünf Jahre gesichert. Dennoch gab der beabsichtigte Verkauf dazu Anlass, die Frage zu prüfen, ob es zweekmässig wäre, das Haus durch den Bund zu kaufen. Dabei ist folgendes hervorzuheben : I.

Als in den Jahren 1904/1905 geeignete neue Räume für die Post-, Telegraphen- und Telephonbureaux in Thalwil gesucht wurden, fiel die Wahl auf das Angebot der Herren Baumeister Ludwig & Ritter. Diese verpflichteten sich durch Abschluss der noch jetzt in Kraft bestehenden Mietverträge, in einer für den Post-, Telegraphen- und Telephondienst günstigen Lage ein Gebäude zu errichten und dabei in bezug auf den Ausbau der gemieteten Räume den Anforderungen der in Betracht kommenden Verwaltungen Rechnung zu tragen.

Dieses nun der Frau Witwe Ludwig gehörende Haus liegt an der Ecke Bahnhofstrasse-Dorfstrasse, zirka 200 m vom Bahnhof entfernt, ziemlich in der Mitte des am engsten überbauten Teils der weitläufigen Ortschaft Thalwil.

Für den Postdienst ist es wichtig, in nächster Nähe des Bahnhofes Diensträume zur Verfügung zu haben, damit die Sendungsvermittlungen von und zu den Bahnzügen in möglichst kurzer Zeit ausgeführt werden können. In Thalwil muss dieser Umstand noch besonders ins Gewicht fallen, weil hier der Postumlad bei einem Teil der Bahnzüge der Linie Chur-Zürich nach

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der Linie Zilrich-Luzern und -Chiasso und umgekehrt zu erfolgen hat. Dieser Umlad erfordert zahlreiche Gänge nach dem Bahnhof.

Aber auch der Bevölkerung bietet die nahe Lage des Postbureaus bei der Bahnstation Vorteile. Sie gestattet, die Abschlusszeiten für abzusendende Postsachen an die Zugsabgänge heranzurücken und mit der Vertragung ankommender Postsachen bald nach Ankunft der Züge zu beginnen.

Ein Gebäude, das sich ziemlich in der Mitte der Ortschaft befindet, ist auch der Telephonleitungen,, wegen günstig gelegen.

Diese Leitungen mussten beim Bezug der neuen Räume zum grössten Teil durch Kabel in den Boden verlegt werden.

Die gemieteten Posträume nehmen das ganze Erdgeschoss in Anspruch. Der eigentliche Bureauraum misst 110 m8, der Schalterraum 32,9 m 8 ; dazu führt ein als Windfang dienender Vorraum von 6 m2. Die ebenfalls auf Erdgeschosshöhe liegende Postremise hat eine Fläche von 32,10 m2 ; sie ist durch eine besondere Zufahrt erreichbar, von der aus der Ein- und Auslad der Postsendungen zum und vom Bureau erfolgen kann. Dieses erhält von drei Seiten Tageslicht. Die natürliche Beleuchtung ist daher gut, und da die Hauptfensterfronten gegen Süden und Westen gerichtet sind, so ist das Postlokal auch sonnig gelegen. Für den Postverkehr sind die beschriebenen Räume voraussichtlich noch für 15--20 Jahre gross genug. Müsste aber wegen zunehmenden Verkehrs eine Vergrösserung vorgenommen werden, so wäre hierzu im Untergeschoss, das sich teilweise auf Strassenhöhe befindet, Platz vorhanden.

Im I. Stock ist das Telegraphen- und Telephonbureau mit Nachtdienstzimmer, die zusammen 52 m2 messen, untergebracht.

Daran anschliessend, auf dem gleichen Geschosse, besteht eine dreizimmerige Dienstwohnung mit Zubehörden. Diese wird nächstens zur Vergrösserung der Telegraphen- und Telephonräume in Anspruch genommen werden müssen.

Über die Entwicklung des Post-, Telegraphen- und Telephonverkehrs in Thalwil führen wir folgende Zahlen an: Postverkehr.

Jahr

Aufgegebene Briefpost... .

gegenstande 6 °

Aufgegebene und,,bestellte . .

Pakete

Ein-u. ausbezahlte ^""T^ und Postcheck-E n, ,, und. -Auszahlungen

1906 1913 1919

371,832 423,751 349,324

70,016 103,512 110,751

27,280 41,563 50,898

Wertzeich

verkauf Fr.

55,463 74,106 94,514

423 Telegraphen- und TelephonverJcehr.

Jahr

Te.e9ramme

Abonnenien

1906 1913 1919

6,328 7,189 13,043

120 211 292

J^^T»*^

22,014 46,647 94,875

47,708 90,131 227,590

II.

Ausser den bereits genannten Post-, Telegraphen- und Telephonräumen enthält das Haus im Untergesehoss ein Geschäftsmagazin (Laden), drei Wohnungskeller, eine Waschküche und die Zentralheizungsanlage. Im II. und III. Stock sind Wohnungen eingerichtet.

Das Haus wirft gegenwärtig folgende Zinserträgnisse ab : Geschäftsmagazin im Untergesehoss Fr. 1250 Postlokale ,, 3600 Telegraphen- und Telephonlokale, mit Inbegriff der Dienstwohnung ,, 1725 Wohnung im II. Stock ,, 1250 Wohnung im HL Stock ,,950 Zusammen 1

Fr. 8775

Dieser Ertrag würde bei einem Zinsfusse von Q /^ °/o einem Anlagewerte von Fr. 135,000 entsprechen. Nun beträgt aber die Brandversicherung des Gebäudes allein Fr. 134,000. Die Liegenschaft ist daher höher zu bewerten, und es kann danach abgeleitet werden, dass ein anderer Käufer, der sich um die Liegenschaft interessiert, auch einen höhern Zinsertrag aus dem Gebäude herausschlagen würde. Das Erdgeschoss und der I. Stock, also die Post-, Telegraphen- und Telephonräume, würden, weil am zinsabträglichsten, von einer Zinserhöhung wohl am meisten betroffen werden. Da die Mietverträge für diese Räume aber im Grundbuch eingetragen sind und bis 30. April 1926 fest dauern, würde erst dann eine Zinserhöhung zugestanden werden müssen.

Sie dürfte dann aber wohl so hoch ausfallen, dass der Mietzinsausfall, den der Vermieter inzwischen erlitte, wettgemacht würde.

Sowohl für Post, als für Telegraph und Telephon erscheint os immer noch vorteilhafter, eine namhafte Zinserhöhung zuzugestehen, als andere Räume zu suchen. Ihres Betriebes und der Einrichtungen wegen sind sie an die Bahnhofnähe gebunden.

Dort sind aber, soweit bis jetzt beurteilt werden kann und

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wie es sich auch bei der Lokalausschreibung im Jahre 1905 ergab, keine Häuser vorhanden, die geeignet wären, die in Betracht kommenden Bureaux aufzunehmen. Die Erstellung eines neuen Gebäudes oder der Umbau eines bestehenden würden sehr teuer zu stehen kommen und demnach auch hohe Mietzinse bedingen. Dazu wären für das Telephonbureau noch die Kosten für die Kabelverlegungen zu rechnen, die sich ebenfalls sehr hoch beziffern würden.

III.

Nach dem Gutachten unserer Baudirektion ist das zum Verkauf kommende Haus solid gebaut, gut ausgestattet und sehr gut unterhalten. Das Grundstück misst 559 m2. .Der Wert des Bodens kann in dieser Lage auf Fr. 40 für den m 2 bewertet werden. Demnach ergibt sich für den Bauplatz ein Wert von Fr. 22,360 Der umbaute Raum des Gebäudes beträgt 3721 m3. Wird der Kubikmeter Gebäude zu Fr. 50 gewertet, so ergibt dies einen Bauwert von . . ,, 186,050 Der Wert der Liegenschaft kann somit auf . Fr. 208,410 geschätzt werden. Vom bautechnischen Standpunkt aus ist gegen den Ankauf der Liegenschaft nichts einzuwenden. Bei den heutigen Baukosten würde dieses Gebäude auf mindestens Fr. 350,000 zu stehen kommen.

Auf dieses Gutachten hin wurden mit dem Bevollmächtigten der Verkäuferin Unterhandlungen eingeleitet. Diese führten zu einem äussersten Verkaufsangebot von Fr. 194,000, Nutzen- und Schadenanfang auf 1. Oktober 1920. Ausser der von der Post-, sowie der Telegraphen- und Telephonverwaltung erwirkten grundbuchlichen Vormerkung ihrer Mietverträge lasten auf der Liegenschaft keine Servituten. Nach den Verkaufsbedingungen hat die Käuferin einen Schuldbrief von Fr. 100,000, zu 41/* % verzinslich und gegenseitig halbjährlich kündbar, zu übernehmen, der Verkäuferin die Stückzinsen für diesen Schuldbrief vom 30. Juni bis 30. September 1920 mit Fr. 1062. 50, die Gebäudeversicherungsprämie für 3/4 Jahre mit Fr. 65. 35, den Wasserzins für 1/4 Jahr mit Fr. 69 zu vergüten und den Restbetrag von Fr. 92,803.15 auf 1. Oktober 1920 bar zu zahlen oder bei späterer Bezahlung von diesem Tage an zu 6 °/o zu verzinsen. Das Verkaufsangebot, das durch einen Kaufvertrag festgelegt ist, wird bis 31. Dezember 1920 aufrechterhalten. Durch den Bau der Dorfstrassenunterführang

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wird der in Betracht kommenden Liegenschaft ein Stück Land von zirka 64 m 2 Grosse unentgeltlich zugeteilt. Die Käuferin würde in dieses Rechtsverhältnis eintreten, und es würde ihr auch diese Landzuteilung zugefertigt werden. Die Handänderungsgebühren sind von der Verkäuferin und der Käuferin zu gleichen Teilen zu tragen. Dies berücksichtigt, käme der Ankauf der Liegenschaft auf rund Fr. 195,100 zu stehen.

Wenn die Liegenschaft vom Bund erworben wird, so ist sie der Postverwaltung zuzuteilen. Diese hat dafür der Bündeskasse den Anlagewert von Fr. 195,100 zu verzinsen, und zwar beträgt der Zinsansatz seit 1. Januar abhin für solche Liegenschaften ß'/s %, was im vorliegenden Falle einen jährlichen Zins von Fr. 12,681. 50 ausmacht. Wie oben dargetan, wirft die Liegenschaft, ausser den Zinsen für die Post-, Telegraphen- und Telephonräume, jetzt noch Mietzinse von zusammen Fr. 3450 ab.

Nach den bei den Akten liegenden Mitteilungen wird die Vermieterin dieso Mietzinse auf den nächsten Termin erhöhen. Diese Erhöhung berücksichtigt, verbliebe für die Post-, Telegraphenund Telephonräume, d. h. für das Erdgeschoss und den ganzen I. Stock, dann noch ein Zins von zirka Fr. 8000. Zu diesem Zins wären diese Diensträume nach Ablauf der Mietverträge im Jahre 1926 kaum mehr zu mieten, es müsste sicherlich mit einem weitaus höheren Zins gerechnet werden.

Um diesen ungünstigen Aussichten bei der Verlängerung der Mietverträge vorzubeugen und um den genannten Bureaux die gegenwärtigen, zweckmässigen Lokale bleibend zu erhalten, ersuchen wir Sie, dem nachstehenden Entwurfe eines Bundesbeschlusses Ihre Genehmigung erteilen zu wollen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer besondern Hochachtung.

B e r n , den 12. Oktober 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundcsrates, Der Bundespräsident: Motta, Der Bundeskanzler: -Steiger.

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(Entwurf.)

Bundeslbeschluss betreffend

den Ankauf des Wohn- und Postgebäudes Nr. 1077 (Ecke Bahnhofstrasse/Dorfstrasse) in Thalwil.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 12. Oktober 1920, beschliesst: 1. Für den Ankauf des Wohn- und Postgebäudes Nr. 1077 (Ecke Bahnhofstrasse/Dorfstrasse) in Thalwil wird ein Kredit von Fr. 195,100 bewilligt.

2. Dieser Beschluss tritt, als nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

3. Der Bundesrat ist mit dessen Vollziehung beauftragt.

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Zn Ehren der im Dienste des Vaterlandes verstorbenen Soldaten.

(Ansprache des Herrn Bundespräsidenten Motta, gehalten in Bellinzona den 19. September 1920.)

(Deutsche Übersetzung.)

Mitbürger !

Das Gedenken an die Soldaten des Tessins, die im Dienste des Vaterlandes ihr Leben hingegeben haben, lässt die Herzen aller Tessiner in dieser Stunde gemeinsam schlagen.

Das Komitee, das sich die Errichtung dieses monumentalen Brunnens als Andenken an die Dahingegangenen zum Ziel gesetzt hat, drückte liebenswürdigerweise den Wunsch aus, der Bundespräsident möchte bei der Feierlichkeit der Einweihung zngegen sein. Ich habe dieser Einladung ohne Zögern Folge geleistet, weil die Veranstaltung einem von mir in tiefstem Herzen empfundenen Bedürfnis entsprach und weil ich der Ansicht bin, dass keine Handlung dem von mir zurzeit bekleideten Amte besser angemessen ist, als in Anwesenheit von Behörden und Volk der dankbaren Liebe Ausdruck zu geben, die das Vaterland den Söhnen zollt, die für dasselbe den Tod gefunden haben.

Zweitausendeinhundertfünf ist nach amtlicher Statistik die Zahl der Schweizersoldaten, die infolge der Mobilisation im. Militärdienst ihr Leben gelassen haben ; hunderteinundsiebzig im Jahre 1914, zweihundertzweiundachtzig im Jahre 1915, 1916 hundertachtundneunzig, 1917 dreihundert, 1918 tausendeinhundertsiebzehn, hundertsiehenunddreissig im Jahre 1919. Von diesen sind hunderteinundzwanzig Söhne des Tessins. Am reichsten war die Ernte des Todes im Jahre 1918, als die heimtückische Seuche unbestimmter Herkunft und unbestimmten Namens mit erneuter Wucht einsetzte.

Jede Klasse, jeder Landesteil, jede Waffe, jeder Grad hat seine Totensteuer entrichtet. Über den einen strahlte die Sonne des Lebens bereits auf dem Höhepunkt ihres Kreislaufes, während anderen, der grossen Mehrzahl, das Leben noch vom Morgenlicht übergössen in rosigen Farben erschien.

Wer könnte die auf Talente gesetzten Hoffnungen, die Versprechungen nützlicher Arbeit, die Träume von Glück in Zahlen fassen, die langsam reiften, liebevoll gehegt wurden, um schliesslich in der unermesslichen Hekatombe vernichtet zu werden?

Wer könnte aber auch der vorzeitig dahingemähten Blüte der Jugend ein ruhmreicheres Ende wünschen?

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Der erste Plan des Denkmalkomitees ging dahin, als Erinnerungszeichen bloss einen Gedenkstein aufzurichten; dagegen machte der wackere Pessina, ein Sohn des vom Schicksal bevorzugten Ligornetto, dem der Tessin auch den schöpferischen Geist Vincenzo Vêlas verdankt, den Vorschlag, nicht einen leblosen Gedenkstein zu errichten, sondern einen Brunnen, dem in lebendigem Sprudel ein ewig frischer Wasserstrahl entquellen sollte.

In den Brunnen meisselte er die nackte Gestalt des sterbenden Kriegers, und diesem zur Seite -- als Waffe der Verteidigung, nicht des Angriffs -- den Schild, auf den er das für jeden Schweizer zweifach geheiligte Symbol des Kreuzes eingrub.

Beschreiten wir in Gedanken den Weg, der uns zu den ersten Tagen im August des Jahres 1914 zurückführt! Welche Unruhe und welche Spannung bemächtigte sich der Geister, als das Sturmgeläute unserer Kirchen und Türme den Alarmruf durch das Land trug und verkündete, dass die Schweiz in Gefahr stand, weil der furchtbare Krieg zwischen ihren Nachbarn, der schon seit geraumer Zeit geplant und befürchtet worden war, zum Ausbruch gekommen sei. Doch welchen Stolz konnten wir empfinden, als wir erblickten, wie in wenigen Stunden unsere Soldaten auf den Truppenbesammlungsorten wachsam einrückten, auf den .

Waffenplätzen sich stellten, in Kompagnien, Bataillone und Regimenter gegliedert durch unsere Städte zogen und sodann, bereit, das höchste Opfer zu bringen, sich in Eile an die Grenze begaben !

Ein jeder von uns empfand in jener Stunde wie vielleicht nie zuvor, dass der Vaterlandsgedanke in Augenblicken der Gefahr alle in innerster Seele erfasst. Ich stand an einem jener Tage mit den andern Mitgliedern des Bundesrates vor dem Bundeshause und sah eine ganze Brigade von Soldaten des Kantons Bern vorüberziehen, die, plötzlich von ihrer Arbeit auf den Feldern und in den Werkstätten weggerufen, Sichel und Werkzeug niedergelegt hatten, um, das Gewehr in der Hand, zum Schutze der Unabhängigkeit des Landes herbeizueilen. Sie marschierten ernst, mit gedankenvollen Zügen, gleichsam im Bewusstsein, dass das Geschick der Eidgenossenschaft auf ihren Schultern ruhte. Jener Anblick schwebt mir stets vor Augen. Im gleichen Augenblick durchschritten die Tessiner Soldaten die Dörfer ihres Heimatkantons. Ich "bedachte und fühlte, dass alle, von den Alpen bis zum Jura,
vom Rhein bis zur Rhone, von Chiasso bis Basel, tatsächlich Brüder waren, weil sie alle nicht bloss die Wohnstätten und Altäre verteidigten, welche die Natur auf dem heimatlichen Boden erstehen liess, sondern auch die gleichen Prinzipien und

429 die gleichen politischen und moralischen Werte: Demokratie, Freiheit, inneren und äusseren Frieden, sowie das durch die staatlichen Institutionen gewährleistete Recht der Bürger, einer gleichen Gerechtigkeit teilhaftig zu werden und das grösstmögliche Wohlbefinden zu erstreben.

Wer im Jahre 1914 gedacht hätte, dass die Kriegsfurie nach und nach sich über alle Kontinente ausbreiten und ihre Flammen nicht nur monatelang, sondern jahrelang aufsteigen lassen würde, der hätte gewiss nicht zu hoffen gewagt, dass die Schweiz heil aus der Katastrophe hervorgehen werde.

Im Wechsel der Jahreszeiten folgten auf die Hitzwellen des Sommers die Wjnterfröste. Die Truppen, die nur nach langen Zwischenräumen abgelöst wurden, setzten geduldig die Bewachung der Grenzen fort. Ihre Verdienste wuchsen mit der Eintönigkeit des langen Dienstes. Anderwärts entbrannten zu Lande und zur See furchtbare Schlachten. Keines Künstlers Einbildungskraft wird je in auch nur annähernd richtigen Farben das Bild des Elends und der Schmerzen schildern können, von denen Millionen menschlicher Leiber gequält wurden. Auch keines Dichters Wort wird je das Mass des Glaubens und des Leidens in einer der Wahrheit würdigen Weise veranschaulichen können, das sich in offener Feldschlacht und in den Schützengräben offenbarte. Es verblassten die grössten Ruhmestaten der Antike. Wenn es auch mitunter schien, als hätten Tiere in Menschengestalt die letzte Fessel von sich geworfen, so stieg doch von den Hügeln von Verdun, yom Monte Grappa, und, man kann wohl sagen, aus jedem Lande, ein Geist der Aufopferung und heldenhafter Vaterlandsliebe auf zu bisher ungeahnten Höhen des Ideals, die nun in blendendem Lichte erstrahlen und sich in den unermesslichen Weiten des Himmels verlieren.

Unsere Krieger erlebten nicht jenen Zustand fieberhaften Heldenmutes. Ihrer Aufgabe waren bescheidenere Ziele gesteckt.

So lange von aussen Gefahr drohte, waren sie die Soldaten der Neutralität. Als im November 1918 der Generalstreik ausbrach, waren sie auch die Soldaten der demokratischen Ordnung. Sie starben nicht auf dem Felde oder im Schützengraben, sondern in Kantonnementen, Häusern und Spitälern. Vielleicht war ihnen auf dem Todesweg sogar die tröstliche Überzeugung versagt, dass das Opfer ihres Lebens ein notwendiges gewesen war.

Und dennoch entsprang dieses Opfer einer höhern Notwendigkeit.

Auch der Gedanke der immerwährenden Neutralität unseres Staatswesens musste mit dem Opfer seiner Söhne besiegelt werden.

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Zwischen dem Begriff der gelegentlichen Neutralität, bei einem bewaffneten Konflikt fremder Staaten und jenem der immerwährenden Neutralität besteht ein wesentlicher Unterschied. Die ersfere ist der Ausfluss eines wandelbaren Interesses und ändert je nach den Verhältnissen ; die letztere dagegen ist der Ausdruck einer ständigen Politik, die auf Überlieferung gegründet und von einer klarbestimmten Regierungsauffassung beherrscht ist. Die Neutralität im schweizerischen Sinne dieses Wortes ist der Wille zum ewigen Frieden, der Verzicht auf gewaltsame Expansion, die Verurteilung jeglicher eroberungssüchtiger Bestrebung. Sie bedeutet die Auflehnung gegen die Auffassung, es sei der Krieg ein unabänderliches Erbübel des Menschengeschlechts ; sie ist die Kundgebung des Glaubens an eine internationale Rechtsordnung, die trotz der schwersten Enttäuschungen das -- bald nahe, bald fern scheinende -- Ziel des Strebens der edelsten Geister bildet.

Diese Neutralität ist endlich die Bekräftigung jener so oft in Vergessenheit geratenen Wahrheit, dass es Aufgabe der Staaten ist, das Glück der Mengen nicht im eitlen Wahn äusserer Eroberungen zu suchen, sondern in der steten Entwicklung innerer Reformen, welche die Arbeit ertragreicher und lohnender gestalten und die Lebenshaltung jedes einzelnen Bürgers auf eine höhere Stufe bringen.

In diesem Sinne verstanden ist der Gedanke der immerwährenden Neutralität ein edler. Er bedeutet nicht -- wie selbst einzelne Schweizer während des Weltkrieges in ihrer Verblendung behaupteten -- irgendeine Schmälerung staatlicher Souveränität; doch wäre er nicht durchführbar ohne das Vorhandensein einer die Seele des bewaffneten Volkes tief durchdringenden moralischen Disziplin und einer festen Politik, die in ihrer Haltung durch Vorsicht, in ihrem Urteil durch Gerechtigkeitssinn und in ihren Werken durch Nächstenliebe geleitet ist.

Wenn es dem Bundesrate in diesem Jahre gelungen ist, in der Londoner Erklärung der These zum Durchbruch zu verhelfen, dass die immerwährende Neutralität der Schweiz einen wesentlichen Bestandteil des allgemeinen Völkerrechtes bildet, und wenn es erreicht werden konnte, dass diese Neutralität in der Rechtssatzung des Völkerbundes ihre Stelle fand, so ist dies, wie mir scheint, zu einem guten Teil der Tatsache zu verdanken, dass mehr als zweitausend Schweizer, deren Seelen nicht durch Zorn und Rachegefühle getrübt waren, zur Verklärung dieses Gedankens den Tod gefunden hatten.

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·Daher schliesse ich anlässlich dieser Gedächtnisfeier, die heute in Bellinzona zu Ehren der im Dienste des Vaterlandes gestorbenen Tessiner Soldaten stattfindet, in mein dankbares Gedenkwort alle Schweizersoldaten jedes Glaubens, jedes Standes, jedes Stammes und jeder Sprache ein. Euch, Alpensöhne der Urschweiz, die ihr in gerader Linie von den Männern abstammt, welche auf dem.

Rütli den ersten Bundeseid geschworen, Euch, Söhne des romantischen Rhätien, die ihr neben drei grösseren Sprachstämmen des Landes den vierten Stamm von hehrer Vergangenheit und zähem Sinn verkörpert, Euch, wackere Hirten von Luzern, Bern und Freiburg, die ihr beim Gesang der überlieferten heimatlichen Lieder eure reichen Herden auf den Bergrücken hütet, Euch, emsige Arbeiter, die in den Werkstätten und auf den Feldern von Zürich, Glarus und St. Gallen euer mühevolles Tagwerk verrichtet, Euch, lebensfrohe Landwirte, die alle Sorgfalt den Weinbergen zuwendet, die die Berglehnen des Wallis mit einem goldigen Hauch überziehen und sich bei Genf, im Waadtland und bei Neuenburg in den Seen widerspiegeln, Euch, Landwirte, die ihre Geräte, inmitten der Scholle verlassen musstet, Euch, Mitbürger aus allen Dörfern und Städten, alle begrüsse ich mit der gleichen Ehrfurcht und mit der gleichen Liebe, die ich meinen Landsleuten vom Gotthard und vom Monte Generoso, vom Verbano und vom Ceresio weihe !

Die Geschichte eines Volkes, der Urgrund seiner Einheit, wird gewoben durch das gemeinsame Erleben von Ruhmestaten und Schmerzen. Die zuerst allgemeine, sodann teilweise Mobilisation der schweizerischen Armee während des fünfjährigen Weltkrieges bildet eine Seite voll gemeinsamer Erlebnisse, die unauslöschlich in den Annalen der unter dem Namen der schweizerischen Eidgenossenschaft zusammengefassten Gebiete und Völkerstämme eingefügt ist. Dank dem Militärdienste sind sich die verschiedenen Volksteile näher gekommen und haben, indem sie sich kennen lernten, neuen Grund zu gegenseitiger Zuneigung gefunden. Mehr als je zuvor hat der Tessin die Schätze seines offenen und sanften Charakters entfaltet. Während in ihm das Bewusstsein seiner nationalen Würde und der italienischen Kulturmission klarer erwacht ist, blieb sein politischer Sinn, der schon von seinen Vätern in Vorahnung der Zukunft mit sicherer Intuition dargetan und verkündet wurde,
von unverrückbarer Festigkeit. Dus Denkmal in Lugano, von dem der schicksalsschwere Wahlspruch : ,,Liberi e Svizzeri" herableuchtet, und dieser Brunnen, der die Widmung trägt: ,,Ai suoi figli morti in servizio della Patria il Ticino riconoscente" -- sie beide bedeuten in verschiedenen Bundesblatt.

72. Jahrg. Bd. IV!

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432 Umständen und über einen Unterschied der Zeit hinweg den in Marmor gefassten Ausdruck ein und desselben Gedankens und ein und desselben Gelöbnisses.

Soldaten, die ihr vorzeitig dahingegangen seid, um die Schweiz nicht von fremden Heeren überfluten zu lassen, und um in ihr die Herrschaft der Gesetze aufrechtzuerhalten, ich drücke euch die Dankbarkeit des Vaterlandes aus und bringe euch den Segen der Republik. Ich wollte, es ständen mir, um euch zu begrüssen, die herrlichen Worte zu Gebote, die Thukydides bei der Schilderung der Feier der zum Heil und zum Ruhme Athens gefallenen Krieger dem Perikles in, den Mund legte. Wie er, möchte ich euch zurufen, dass die Tessiner und alle Schweizer des gegenwärtigen Jahrhunderts und kommender Zeiten euch in ihrer Seele ein Denkmal errichten werden, das dauerhafter ist als der. Stein, ein geistiges Denkmal der Liebe.

Im Herzen getroffene Frauen, die ihr euere Trauer noch nicht abgelegt habt, Waisen, Eltern und Brüder, die eures Lebenslichtes, eurer Stütze, eures Trostes beraubt seid, erhebet, wenn diese Feier euren Jammer neu erweckt, eure Seelen zu Gott !

Samt euren Lieben umfasst auch euch die Dankbarkeit der Republik, die eurer nicht vergessen wird. Am heutigen Tage erneuert sich das Fest, das wir bloss als Bundestag zu bezeichnen gewohnt sind, dem unsere Miteidgenossen französischer Sprache den Namen Fasttag, diejenigen deutscher Sprache den Namen Bettag gegeben haben ; es ist ein Tag der Trauer und der inneren Sammlung; unser aller Leben gleicht einem flüchtigen Schatten, einzig Tugend und gute Werke haben dauernden Wert; das schönste Los aber ist, mit Gott vereint zu werden, nachdem das Leben dem Vaterland geweiht war.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Ankauf des Wohnund Postgebäudes Nr. 1077 (Ecke Bahnhofstrasse/Dorfstrasse) in Thalwil. (Vom 12.

Oktober 1920.)

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42

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1326

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

13.10.1920

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421-432

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