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Botschaft zum

Entwurf eines Gesetzes über Abänderung des Bundesgesetzes betreffend Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien.

(Vom 3. Dezember 1920.)

I.

Das Bundesgesetz betreffend Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien vom 2. Juli 1886 bezieht sich nur auf vier Krankheiten: Cholera, Pest, Typhus exanthematicu und Pocken. Von diesen sind die drei ersten nur ganz ausnahmsweise bei uns aufgetreten; die Pocken, die früher ziemlich verbreitet waren, sind ebenfalls selten geworden. Das Arbeitsfeld, das dem Bunde in der Bekämpfung der Epidemien bleibt, ist aus diesem Grunde ein sehr beschränktes, und es ist deshalb in den eidgenössischen Räten schon mehrmals der Wunsch geäussert worden, es möchten eine Anzahl Krankheiten in das Epidemiengesetz einbezogen werden, die für uns eine unmittelbarere Gefahr bilden. Eine Erweiterung des Gesetzes in diesem Sinne konnte aber nicht ohne vorhergehende Revision der Bundesverfassung vorgenommen werden. Diese Revision ist inzwischen erfolgt (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 20. Dezember 1911), und der abgeänderte Artikel 69 der Bundesverfassung gibt dem Bunde das Recht, nicht nur über die sogenannten «gemeingefährlichen Krankheiten», sondern überhaupt über die Massnahmen gegen übertragbare, stark verbreitete und besonders bösartige Krankheiten von Menschen und Tieren auf dem Wege der Gesetzgebung Verfügungen zu erlassen.

Gestützt . auf diese Verfassungsbestimmung kann eine vollständige Revision des Epidemiengesetzes vorgenommen werden, und das Volkswirtschaftsdepartement hat denn auch bereits mit den Vorbereitungsarbeiten dafür begonnen. Aber diese Revision, die den Fortschritten der Medizin seit 1886 und namentlich auch den Er-

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fahrungen des Krieges und der Nachkriegszeit Eechnung tragen soll, kann nicht von einem Tage auf den andern gemacht werden, da eine ganze Anzahl von Gesichtspunkten, auf die das Gesetz vom 2. Juli 1886 basiert, sich von Grund auf geändert haben. Die Sammlung und Sichtung des Materials für eine Totalrevision des Gesetzes ist eine zeitraubende und mühsame Arbeit, deren Eesultate wir Ihnen erst in einiger Zeit vorlegen werden können. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, einstweilen einem Vorschlag zuzustimmen, der durch teilweise Abänderung des Gesetzes uns gestatten würde, einerseits gewisse Massnahmen, die wir während des Krieges auf Grund der Vollmachten angeordnet haben, aufrechtzuhalten, anderseits uns einige Handlungsfreiheit verschaffen würde in Fällen, in denen nach dem bestehenden Gesetz eine Intervention des Bundesrates nicht möglich ist, während sie doch dringend notwendig wäre.

II.

Die erste Bedingung für die wirksame Bekämpfung einer Epidemie ist die sofortige und genaue Anzeige der ersten Fälle an die Behörden. Nur bei rechtzeitiger Orientierung über das Auftreten der ersten Fälle können Massnahmen getroffen werden, die eine sofortige Abgrenzung und restlose Vernichtung der Seuchenherde ermöglichen. Mit andern Worten : die Anzeigepflicht ist die Grundlage der Seuchenbekämpfung. Da sich das Epidemiengesetz von 1886 nur, wie schon erwähnt, auf die vier Seuchen Cholera, Pest, Flecktyphus und Pocken bezieht, konnte auch das Obligatorium der Anzeigepflicht nur für diese vier Krankheiten verfügt werden. Die andern übertragbaren Krankheiten fallen gegenwärtig noch unter die kantonalen Gesetzgebungen, denen leider die für diesen Gegenstand so notwendige Einheitlichkeit durchaus abgeht. Während einzelne Kantone die Frage der Anzeigepflicht in sehr genauer und umfassender Weise gelöst haben, haben sich andere mit halben Massnahmen begnügt, wieder andere haben gar nichts getan, und die Anzeigepflicht ist ihrer Gesetzgebung unbekannt.

Dieser Mangel an Einheitlichkeit in der Behandlung einer Frage von so grosser Wichtigkeit musste mit der Zeit zu ernstlichen Unzukömmlichkeiten führen; das hat sich besonders bei Beginn des Krieges und unserer Mobilisation gezeigt. Es war von der grössten Wichtigkeit, unsere Armee nach Möglichkeit vor der Gefahr von Epidemien zu schützen; zu diesem Zwecke war es in erster Linie nötig, das Vorhandensein übertragbarer Krankheiten in unserm Lande und das Auftreten neuer Fälle genau und ohne Zeitverlust festzustellen. Zu diesem Zwecke musste ein zuverlässig und rasch

329 arbeitender Meldedienst geschaffen werden. Wir haben deshalb,, angesichts der Unzulänglichkeit der kantonalen Gesetzgebungen, es für angezeigt erachtet, die in Art. 8 des Epidemiengesetzes von 1886 vorgesehene Anzeigepflicht auf eine ganze Anzahl von übertragbaren Krankheiten (Abdominaltyphus, Paratyphus, Cerebrospinalmeningitis, Kinderlähmung, Scharlach, Diphtherie, epidemische Euhr, Influenza, Malaria, Encephalitis lethargica) auszudehnen; das geschah durch eine Eeihe von Beschlüssen, die wir im Zeitraum von 1914 bis 1920 auf Grund unserer Vollmachten gefasst haben.

Die auf Grund dieser Anzeigepflicht eingesandten Meldungen, die im eidgenössischen Gesundheitsamt zusammenliefen, waren von grossem Nutzen. Durch sie wurde der Sanitätsdienst der Armee stets auf dem laufenden gehalten über die sanitarischen Verhältnisse des Landes und konnte rechtzeitig die ihm geeigneten Massnahmen treffen. Aber nicht nur die Armee hat aus diesem Dienste Nutzen gezogen; auch die Zivilbehörden erhielten dadurch wertvolle Informationen nud konnten wirksame Gegenmassnahmen treffen in vielen Fällen, über die der langsame und unvollständige Meldedienst, auf den sie früher angewiesen waren, keine oder verspätete Kenntnis gebracht hätte.

Ohne Zweifel werden Sie, wie wir, es für richtig halten, wenn eine derartig erprobte Institution beibehalten und weiter ausgebaut wird. Da sie aber auf Beschlüssen beruht, die wir gestützt auf unsere ausserordentlichen Vollmachten gefasst haben, müssen wir sie, wenn wir sie beibehalten wollen, auf dem Wege der Gesetzgebung einführen; es genügt dazu die Abänderung einiger Bestimmungen des Epidemiengesetzes.

III.

Die Notwendigkeit eines guten Meldedienstes für die übertragbaren Krankheiten ist aber nicht der einzige Grund, der uns veranlasst, Ihnen eine teilweise aber sofortige Eevision des Epidemiengesetzes vorzuschlagen. Es sind dafür noch andere Gründe von nicht geringerem Gewicht vorhanden.

Vor dem Kriege war die Möglichkeit der Einschleppung von Seuchen aus dem Auslande gering; die Überwachung der gewöhnlichen übertragbaren Krankheiten dagegen, die bald in der, bald in jener Gegend des Landes auftraten, konnten wir ruhig den Kantonen überlassen. Diese Verhältnisse haben sich nun von Grund auf geändert. Der Gesundheitszustand in einem grossen Teil von Europa ist derart, dass die Gefahr der Invasion von Seuchen bedeutend gewachsen und nähergerückt ist. Wir wollen nur die furchtbare Flecktyphusepidemie

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erwähnen, die seit einigen Jahren im östlichen Europa, namentlich in Polen, ihre Verheerungen anrichtet und die die andern Staaten veranlagst hat, nicht nur auf ihrem Gebiete ihre Vorbeugungsmassnahmen zu treffen, sondern auch eine Hilfsaktion zu veranstalten, an der auch wir teilgenommen haben, um die Seuche an ihren Ursprungsherden zu bekämpfen. Auch die Cholera scheint nach den neuesten Berichten wieder an Ausbreitung zu gewinnen. Die Pest endlich hat in einigen Gegenden des östlichen und südlichen Europas FUSS gefasst, und wenn sie auch für den Moment keine unmittelbare Gefahr bildet, so ist doch eine Weiterverbreitung und damit eine Bedrohung für uns mit der Zeit nicht ausgeschlossen. Das ist aber noch nicht alles. Wir müssen uns gegenwärtig gegen die Invasion von Krankheiten verteidigen, mit denen wir uns früher sozusagen gar nicht zu beschäftigen hatten. So blieb z. B. die epidemische Euhr (Dysenterie) früher auf bestimmte Gebiete des östlichen und nordöstlichen Europa beschränkt; durch den Krieg sind die Bedingungen für ihre Ausbreitung so günstig geworden, dass sie sich mehr und mehr unsern Grenzen genähert hat und uns sogar zu besondern Massnahmen Anlass gab, um ihre Einschleppung in unser Land zu verhüten. Die sanitarischen Verhältnisse haben sich weiterhin verschlimmert durch das Auftreten von Affektionen, die früher unbekannt waren oder doch nur ganz ausnahmsweise .bei uns vorkamen, so z. B. die akute Kinderlähmung (Poliomyelitis anterior acuta), die in einer grössern Anzahl von Fällen in den letzten Jahren aufgetreten ist, ferner die Encephalitis lethargica oder Schlafkrankheit, von deren Erscheinen das letzte Aufflammen der Grippe begleitet war. Auch die Grippe selbst, deren plötzliches Auftreten und unerwartete Ausbreitung uns fast gänzlich unvorbereitet traf, hat uns mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig liess, gezeigt, wie notwendig es ist, dass in bestimmten Fällen rasch und nach einheitlichen Gesichtspunkten vorgegangen werden kann.

IV.

Vor dem Kriege, wir wiederholen es, konnte das Bundesgesetz über die Epidemien trotz seiner offensichtlichen Mängel für die Zwecke der Seuchenbekämpfung genügen. Die Ausführung der vorgeschriebenen Massnahmen war den Kantonen überlassen, und der Bund hatte nur das Recht der Kontrolle und die Pflicht, an die Kosten Beiträge zu leisten. Heute dürfen wir uns damit nicht mehr begnügen. Infolge der misslichen finanziellen und politischen Lage vieler europäischer Staaten ist der Seuchenabwehrdienst dieser Staaten vollständig desorganisiert und damit die Gefahr einer weitern Aus-

331 breitung von Seuchen erheblich gewachsen. Wir können daher jetzt nicht mehr einzelne Grenzkantone damit betrauen, unser Land gegen das Eindringen von Seuchen zu schützen und sie die Kosten dieses Schutzes tragen lassen. Gewähr für eine wirksame Abwehr kann nur eine einheitliche Organisation des Abwehrdienstes bieten, und diese Organisation kann nur auf dem Boden der Bundesgesetzgebung geschaffen werden.

Tatsächlich hat der Bundesrat schon in diesem Sinne zu handeln sich für berechtigt gehalten in allen Fällen, wo die Umstände ein rasches Einschreiten erforderten. Wie oben erwähnt, haben wir für eine Anzahl von Krankheiten, die im Epidemiengesetz nicht erwähnt sind, die Anzeigepflicht verfügt und eine Anzahl von Massnahmen gegen die Grippe getroffen, um den Kantonen im Kampfe gegen diese Seuche beizustehen. Wir haben an unsern Grenzen Quarantänestationen errichtet zur Untersuchung und Beobachtung der in die Schweiz zurückkehrenden demobilisierten Wehrleute der am Kriege beteiligten Armeen. Ferner haben wir Entlausungs- und Desinfektionsanstalten gebaut für die Eeisenden aus flecktyphusverseuchten Gebieten. Wir haben endlich durch unsern Beschluss vom 18. Juni 1920 verfügt, dass die Organisation und die Kosten des Sanitätsdienstes an der Grenze vom Bunde übernommen werden, um so die Grenzkantone unter Beibehaltung ihrer Mitarbeit von den Ausgaben und der Verantwortung, die ihnen aus diesem Dienste wuchsen, zu entlasten.

Es sind dies eine ganze Eeihe von neuen Massnahmen, alle nur dazu bestimmt, die Einheitlichkeit des Vorgehens in schwierigen Verhältnissen zu gewährleisten, welche allein uns instand setzen, wird, der Gefahr des Eindringens von Seuchen aus dem Ausland wirksam zu begegnen und die schon vorhandenen übertragbaren Krankheiten zu bekämpfen. Wir möchten nun diesen Massnahmen die gesetzliche Grundlage geben, und dazu genügt es, wie wir schon vorher erläuterten, einige Abänderungen an dem Epidemiengesetz von 1886 vorzunehmen. Die erste dieser Abänderungen bestünde darin, dem ersten Artikel des Gesetzes, der lautet: «Die gemeingefährlichen Epidemien (Art. 69 der Bundesverfassung), gegen welche das Gesetz zur Anwendung kommt, sind: Pocken, asiatische Cholera, Fleckfieber (Kriegs-Hungertyphus etc), Pest», den folgenden Passus anzugliedern : «Der Bundesrat ist indessen ermächtigt, die
Bestimmungen des Gesetzes auch auf andere übertragbare Krankheiten auszudehnen.» Diese Bestimmung würde unter anderm gestatten, im Bahmen der Bundesgesetzgebung für weitere Krankheiten, als die im Gesetz erwähnten, die Anzeigepflicht zu verfügen.

332 Es hat uns besonders die Grippeepidemie gezeigt, dass es Fälle gibt, wo die Verhältnisse ein rasches und energisches Vorgehen erfordern und wo die Einheitlichkeit des Handelns unerlässlich ist.

Ein rasches und wirksames Handeln ist aber nur möglich, wenn eine Zentralstelle mit der Anordnung und gegebenenfalls auch mit der Ausführung der nötigen Massnahmen betraut ist. Diese zentrale Stelle kann nur der Bundesrat sein. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, uns die nötige Kompetenz zu erteilen, indem Sie dem Artikel 10, Alinea 2, des Epidemiengesetzes (Der Bundesrat überwacht die Vollziehung des Gesetzes und trifft die hierfür erforderlichen Massnahmen) einen Zusatz beifügen mit dem Wortlaut : «Er kann, wenn die Verhältnisse es erfordern, besondere Massnahmen anordnen und durchführen lassen».

V.

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen unterbreiten wir Ihnen den folgenden Gesetzesentwurf mit dem Ersuchen, ihm Ihre Genehmigung zu erteilen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 3. Dezember 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

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Bundesgesetz betreifend

Abänderung des Bundesgesetzes vom Z.Juli 1886 betreffend Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 69 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 8. Dezember 1920, beschliesst: Art 1. Das Bundesgesetz vom 2. Juli 1886 betreffend Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien wird abgeändert wie folgt : Art. l erhält folgenden Zusatz: Der Bundesrat ist indessen ermächtigt, die Bestimmungen dieses Gesetzes auch auf andere übertragbare Krankheiten auszudehnen.

Art. 10 erhält folgenden Zusatz: Er kann, wenn die Verhältnisse es erfordern, besondere Massnahmen anordnen und durchführen lassen.

Art. 2. Der Bundesrat setzt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes fest.

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08.12.1920

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