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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Militärsteuerrekur des Matti, Robert, Holzhändler in Boltigen.

(Vom 6. September 1920.)

Wir beehren uns, Ihnen einen von Fürsprecher H. Mosimann in Bern, namens des Matti, Robert, Holzhändler in Boltigen, gegen unsero Entscheid vom 11. Mai 1920 eingereichten Militärsteuerrekurs mit nachfolgenden Ausführungen zur Beurteilung zu unterbreiten : Der Rekurrent wurde von der Taxationskommission Boltigen pro 1919 für Fr. 400,000 eigenes Vermögen und Fr. 50,000 steuerbares Einkommen eingeschätzt. Eine gegen diese Veranlagung erhobene Einsprache wurde vom Kreiskommando Brienzwiler, gestützt auf § 12 der kantonal-bernischen Vollziehungsverordnung vom 26. Februar 1902, als nicht hinreichend belegt abgewiesen. Die Militärdirektion des Kantons Bern, an die die Angelegenheit zweitinstanzlich weitergezogen wurde, wies den Rekurrenten in Bestätigung des Einspracheentscheides wegen Nichterfüllung der Beweisvorschriften ebenfalls ab. Das mit der Beschwerde aktenkundig gemachte Inventar per 1. Januar 1919 wurde, weil verspätet eingereicht, als Beweismittel nicht mehr berücksichtigt.

Eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies der Bundesrat in seiner Sitzung vom 11. Mai 1920 ab. Dagegen hat nun Fürsprecher H. Mosimann in Bern, namens des Matti, innert nützlicher Frist Rekurs an die Bundesversammlung erklärt mit dem Begehren : 1. es sei festzustellen, dass Rekurrent für das Jahr 1919 eine Militärsteuer überhaupt nicht zu bezahlen habe;

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eventuell : 2. es sei das steuerbare Vermögen des Rekurrenten pro 1919 auf Fr. 200,000 festzusetzen ; 3. es sei das steuerbaffe Einkommen des Rekurrenten pro 1919 auf Fr. 14,500 festzusetzen ; weiter eventuell: 4. es sei die ganze Angelegenheit zur materiellen Behandlung an die Militärsteuerbehörden des Kantons Bern zurückzuweisen, und es seien diese einzuladen, dabei die Geschäftsbücher und Geschäftspapiere der Firma Rieder & Matti eingehend zu berücksichtigen, und zu diesem Zwecke entweder an Ort und Stelle davon Einsicht zu nehmen, oder aber dem Rekurrenten einen Tag zu bestimmen, an welchem er die Beweismittel vorlegen könne.

In der Begründung wird geltend gemacht, es sei bis jetzt von keiner Instanz auf die Grundfrage eingetreten worden, ob überhaupt eine Ersatzpflicht des Rekurrenten pro 1919 bestehe.

Dies müsse unbedingt verneint werden. Matti sei wegen eines Augenleidens seit 1912 im bewaffneten Landsturm, Füsilierkompagnie 11/34, eingeteilt, mit welcher Einheit er sämtliche Dienste mitgemacht habe, den letzten 1918. Im Jahre 1919 sei die Einheit nicht aufgeboten worden ; Matti sei daher auch nicht ersatzpflichtig. Für das Vorliegen des die Steuerpflicht begründenden Tatbestandes sei jedenfalls die Steuerbehörde beweispflichtig.

Demgegenüber weisen wir darauf hin, dass gemäss Art. 3 der Militärorganisation vom 12. April 1907 jeder, der die Dienstpflicht nicht erfüllt, die Militärsteuer zu bezahlen hat. Fragt es sich nun, ob ein vorzeitig in den Landsturm versetzter Wehrpflichtiger ohne effektive Dienstleistung in einem Jahre seiner Militärdienstpflicht genügt, so ist folgendes zu erwägen: Der Landsturm ist durch Bundesgesetz vom 4. Dezember 1886 als Teil der gesetzlich organisierten Wehrkraft der schweizerischen Eidgenossenschaft geschaffen worden. Eine Vorschrift über die militäfsteuerrechtlichen Verhältnisse enthielt dieses Gesetz nur in Art. 5, Abs. 2, dahinlautend, dass Ersatzpflichtige, welche im Landsturm effektiv Dienst leisteten, für das betreffende Jahr von jeder Steuerpflicht befreit waren. Art. 4 des in Ergänzung dieses Gesetzes erlassenen Bundesgesetzes vom 29. Juni 1894 betreffend die Inspektion und den Unterricht des Landsturms bestimmte dann ausdrücklich, dass die Landsturmpflichtigen vom 20. bis

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zum vollendeten 44. Altersjahr dem Militärsteuergesetz vom 28. Juni 1878 unterworfen seien, jedoch den Landsturmpflichtigen, welche in einem Jahr mehr als einen Übungstag mitgemacht haben, die Hälfte der Personaltaxe zu erlassen sei. Aus der Gegenüberstellung dieser beiden Gesetzesbestimmungen ergibt sich zur Evidenz, dass schon damals die vorzeitig beim Landsturmeingeteilten Wehrmänner, da sie den für ihr Alter vorgeschriebenen Dienst nicht leisteten, grundsätzlich ersatzpflichtig waren.

Steuerfreiheit wurde ihnen nur im Falle effektiver Dienstleistung für das betreffende Jahr gewährt. Dieser legislative Grund^ gedanke ist durch die neue Militärorganisation vom 12. April 1907 in keiner Weise alteriert worden. Eine Änderung ist nur insofern erfolgt, als die Beendigung der Ersatzsteuerpflicht mit dem 40. Altersjahr eintritt. Der Bundesrat hat denn auch in konstanter Praxis dahin entschieden, dass die vorzeitig zum Landsturm versetzten Wehrpflichtigen für die Jahre, in denen sie keinen persönlichen Militärdienst leisten, ohne Rücksicht darauf, ob ihre Einheit aufgeboten wurde oder nicht, als Ersatz für den Auszugs- und Landwehrdienst die Militärsteuern zu bezahlen haben.

Es ergibt sich hieraus, dass die Militärsteuerbehörden jeden vorzeitig zum Landsturm versetzten Wehrpflichtigen für die Jahre, in denen dieser keine effektive Dienstleistung aufweist, nach den gesetzlichen Bestimmungen ohne weiteres zum Militärpflichtersatz heranzuziehen haben. Besondere Gründe für die Steuerbefreiung sind vom Ersatzpflichtigen im Veranlagungsverfahren darzutun.

Solche hat aber in casu Rekurrent nicht geltend gemacht; es hatten daher die kantonalen Instanzen auch gar keinen Anlass, auf eine spezielle Prüfung der Ersatzsteuerpflicht einzutreten.

Wir bemerken noch, dass eine allfällige Enthebung vom Militärpflichtersatz gemäss Art. 2, lit. b, des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1878, der, wie erwähnt, vom Rekurrenten nie angerufen worden ist, nicht erfolgen könnte, da das Augenleiden, das zur vorzeitigen Versetzung in den Landsturm führte, laut Vernehmlassung der Abteilung für Sanitat des eidgenössischen Militärdepartements mit dem Militärdienst in keinem ursächlichen Zusammenhang steht.

Wie hinsichtlich dieses Beschwerdepunktes, kann aber auch in der formellen Abweisung des Rekurrenten wegen'Nichterfüllung der
kantonal-rechtlich statuierten Beweisvorschriften eine Gesetzesverletzung nicht erblickt werden. Die Auffassung des Rekurrenten, Art. 12, Abs. 2, der bernischen Vollziehungsverordnung zum Gesetz vom 28. Juni 1878, demzufolge Einsprachen während

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einer Frist von 10 Tagen unter Beilage der nötigen Ausweise einzureichen sind und nicht hinreichend belegte Einsprachen nicht berücksichtigt werden, setze in jedem Falle eine vorgängige inhaltliche Prüfung der zum Beweis angebotenen Beweismittel voraus, muss als rechtsirrtümlich zurückgewiesen werden. Vorgängig der Würdigung der Beweiskraft der angebotenen Beweismittel ist vielmehr in jedem Falle die Grundfrage zu entscheiden, ob die Beweisofferte nach ihrer Form den gesetzlichen Erfordernissen entspricht, d. h., ob sie akzeptiert werden kann. Nur wenn dies bejaht werden muss, ist weiterhin zu untersuchen, ob durch die angebotenen Beweismittel die zu beweisenden Tatsachen hergestellt werden können oder nicht. Nun hat der Bundesrat wiederholt entschieden, dass sich ein Einsprecher in Fällen, in welchen für ihn die Möglichkeit der Beibringung der Beweismittel besteht, jedenfalls nicht darauf beschränken kann, die kantonalen Instanzen einfach auf diese letztern zu verweisen (Entscheide des Bundesrates in Sachen Landolt, vom 26. November 1915; in Sachen Egger, vom 20. Dezember 1915).

In ihrer Einsprache vom 3. Juni 1919 hat die Kollektivgesellschaft Rieder & Matti der Taxationskommission ,,die bezüglichen Akten'1 zur Verfügung gestellt. Diese Behörde erachtete diese Beweisofferte nicht als genügende Erfüllung der in § 12, Abs. 2, der kantonal-bernischen Verordnung statuierten Beweisvorschriften und trat darauf nicht ein, in der Annahme, dass sich das Angebot nicht auch auf die Geschäftsbücher beziehe.

Nun steht ausser Frage, dass dem Rekurrenten nicht zugemutet werden konnte, seine Original-Geschäftsbücher der Einsprache beizulegen, und auf diese für den täglichen Geschäftsbetrieb unentbehrlichen Dokumente auf die Dauer von Wochen zu verzichten. Die Produktion der Beweismittel im Original wird in § 12, Abs. 2, der erwähnten kantonal-bernischen Verordnung übrigens auch gar nicht vorgeschrieben. Nach konstanter Praxis des Bundesrates hat schon eine Einsprache, der notarialisch beglaubigte Buchauszüge beigelegt werden, solange als genügend belegt zu gelten, als der Ersatzpflichtige die Vorlage der Bücher nicht verweigert. Rekurrent hat sich indessen kurzer Hand darauf beschränkt, auf die ,,bezüglichen Akten11 hinzuweisen, trotzdem es ihm, wie sein nachti'ägliches Verhalten beweist, möglich gewesen wäre,
Auszüge aus den offerierten ,,Akten" zu produzieren. Im Kollektivrekurse an die kantonale Rekursinstanz schrieben Rieder & Matti wörtlich folgendes : ,,Die Produktion der Beweismittel haben wir in unserer Einsprache vom 3. Juni offeriert, eine Mitteilung, sie abzugeben, haben wir bis heute

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nicht erhalten. Da Ihre Abweisung unserer Einsprache gleichzeitig als solche Aufforderung aufgefasst werden könnte, legen wir ein Doppelinventar dem Gegenwärtigen bei.11 Daraus erhellt zur Evidenz, dass unter den zur Verfügung gestellten Akten, auf die sich Rekurrent ausdrücklich bezieht, das Inventar gemeint war, also keineswegs etwa das Journal, Kassabuch, Wechselkonto etc. Dieses Beweismittel der Einsprache vom 3. Juni 1919 beizulegen, wäre dem Rekurrenten sehr wohl möglich gewesen, denn dieses Inventardoppel ist mit Datum i. Januar 1919 von den Firmainhabern Rieder & Matti unterzeichnet. Rekurrent bestreitet dies denn auch in keiner Weise ; er unterlässt aus begreiflichen Gründen jeden Versuch, seine Säumnis zu rechtfertigen.

Wenn er in seiner Rekurseingabe schreibt, dass die Einsendung des Inventardoppels an die kantonale Rekursinstanz aus dem leicht verständlichen Wunsche heraus erfolgt sei, der Behörde wenigstens e t w a s vorzulegen, so liegt darin eine stillschweigende Anerkennung seiner Pflicht zur Produktion des angebotenen Beweismittels. Dass er durch deren Unterlassung innert nützlicher Frist einen prozessualen Fehler begangen, gibt er in seiner Kritik der Stellungnahme der Militärdirektion des Kantons Bern implicite zu, indem er ausführt : ,,Der Standpunkt dieser Behörde ist derjenige des Privaten, der einen zweifelhaften Anspruch im Prozesse hat und darauf lauert, dass der Gegner durch einen Verstoss gegen die Prozessvorschriften sein gutes Recht verwirke; dann wird demselben kalt lächelnd die materiell ungerechtfertigte Forderung präsentiert.tt Die anschliessenden Ausführungen in der Rekursschrift über das Verhältnis zwischen öffentlicher Verwaltung und Bürger sind akademischen Wertes. Auch auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtsprechung erweist sich die gesetzliche Sanktion gewisser Säumnisfolgen im Interesse der Aufrechterhaltung der Prozessdisziplin als unumgänglich notwendig. In ihrer Stellung als Rekursbehörde, deren Aufgabe darin besteht, zu prüfen, ob der Entscheid der untern Behörde, der Aktenlage nach Ablauf der Einsprachefrist entsprechend ausgefällt worden ist (Entscheid des Bundesrates in Sachen Schmid, vom 16. Dezember 1918), hat daher die Militärdirektion des Kantons Bern mit Recht das erst im Rekursverfahren produzierte Inventardoppel als Beweismittel unberücksichtigt
gelassen. Die Abweisung des Rekurses auf Grund der erstinstanzlichen Aktenlage als nicht hinreichend belegt, entspricht den gesetzlichen Bestimmungen, und es schliesst daher auch der sie bestätigende Entscheid des Bundesrates keine Gesetzesverletzung in sich. Es ist deshalb der vorliegende Rekurs aus formellen Gründen abzuweisen. In AnBundesblatt. 72. Jahrg. Bd. IV.

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212 betracht dessen erübrigt es sich, auf die materielle Seite der Rekursangelegenheit einzutreten.

Aus diesen Erwägungen beehren wir uns, Ihnen zu beantragen: Es sei, der Rekurs des Matti, Robert, aus formellen Gründen abzuweisen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 6. September 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Motta.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Militärsteuerrekurs des Matti, Robert, Holzhändler in Boltigen. (Vom 6. September 1920.)

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08.09.1920

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