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no 48 # S T #

Bundesblatt

72. Jahrgang.

Bern, den 24. November 1920.

Band V.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, IO Franken im ffalijahr, zuzüglich ,,Nachnahme- unä Postbestelliwgsgebühr".

JUinrtlclinngsgebUhr : 60 Kappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an die Buchdrnckerei Stampft & de. in Bern.

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1336

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Revision des Art. 44 der Bundesverfassung (Massnahmen gegen die Überfremdung).

(Vom 9. November 1920.)

Am 15. Juni 1909 hat die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission folgendes Postulat gestellt: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und Bericht zu erstatten, wie die Einbürgerung der sesshaften und der in der Schweiz geborenen Ausländer zu erleichtern sei. Dabei sei insbesondere zu prüfen die Frage der Schaffung eines vom Gemeindebürgerrecht losgelösten Indigenats, sowie die der Zwangseinbürgerung der in der Schweiz geborenen Ausländer.

Der Bundesrat glaubte, das Postulat in dieser Form nicht ohne Vorbehalt gutheissen zu können. Er gab zu bedenken, dass der Vorschlag eines nicht auf der historischen Grundlage, dem Gemeindebürgerrecht, ruhenden Schweizerbürgerrechts bei einer grossen Zahl unserer Mitbürger, welche an den überlieferten Prinzipien auf dem Gebiete des Staatsbürgerrechts nicht rütteln lassen wollen, Misstrauen und Anfeindung hervorrufen würde. Er empfahl deshalb, den zweiten Satz des Postulats ganz zu streichen und dasselbe folgendermassen zu fassen : ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und Bericht zu erstatten, wie die Einbürgerung der sesshaften und der in der Schweiz geborenen Ausländer zu erleichtern sei."

Dieser Text besass gegenüber demjenigen der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission den unbestreitbaren Vorzug, dass er den Anschein vermied, als habe es unsere zukünftige Einbürgerungsgesetzgebung von vornherein auf die Unterdrückung des Gemeindebürgerrechts für eine Klasse unserer Mitbürger abgesehen. Das Postulat wurde in der abgeänderten Fassung vom Nationalrat in seiner Sitzung vom 21. Juni 1910 angenommen.

Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

l

I.

Vorbereitende Arbeiten.

Die Frage der Revision des Einbürgerungsgesetzes im Sinne der Erleichterung der Einbürgerung der Ausländer und der Ergreifung wirksamer Massnahmen gegen die Überfremdung ist Gegenstand zahlreicher Kundgebungen der verschiedensten Interessenkreise unseres Volkes gewesen. Die Aufzählung und Wiedergabe aller Wünsche und Resolutionen, welche dem Bundesrate in der Sache unterbreitet wurden, dürfte zu weit führen. Wir halten es aber für angezeigt, wenigstens die markantesten von ihnen herauszugreifen, da sie geeignet sind, das Problem, welches der Lösung durch den Bundesgesetzgeber harrt, in seiner vollen Tragweite und Dringlichkeit zu kennzeichnen.

Gegen Ende des Jahres 1908 bildete sich in Genf ein kleines Initiativkomitee, das sich die Aufgabe stellte, zu untersuchen, wie auf gesetzgeberischem Wege der Überfremdung der Schweiz gesteuert werden könnte. Dasselbe veranstaltete 1909 und 1910 in Bern zwei interkantonale Konferenzen und gelangte zur Einsetzung eines neungliedrigen Aktionskomitees, der sogenannten Neunerkommission, der je drei Mitglieder aus Basel, Genf und Zürich angehörten. Am 17. Dezember 1912 überreichte eine Abordnung dieser Kommission dem schweizerischen Bundespräsidenten eine Petition, welche nicht nur den ausgearbeiteten Entwurf einer partiellen Verfassungsrevision enthielt, sondern auch konkrete Vorschläge zur Lösung der Fremdenfrage brachte.

Diese Arbeit hat in der Presse einer fruchtbaren Diskussion gerufen. Wir werden unten auf ihre Leitsätze eintreten.

Am 13. September 1910 gelangte der Schweizerische JuristenVerein zu folgender Resolution : ,,Der Schweizerische Juristenverein, überzeugt von der Bedeutung der Frage der Assimilierung und der Einbürgerung der Fremden, spricht den Wunsch aus, dass die Revision des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 energisch weitergeführt werde, um den in der gegenwärtigen Situation begründeten Gefahren wirksam entgegenzutreten."

Am 2. September 1911 nahm der Schweizerische Städteverband in nachstehender Weise zum Problem der Einbürgerung Stellung : ,,Der Schweizerische Städteverband erachtet es als ein Gebot nationaler Selbsterhaltung und sozialer Gerechtigkeit, durch rasch erfolgende bundesrechtliche Massnahmen die Natio-

nalisierung der durch Geburt und lange Niederlassung mit der Schweiz verwachsenen Ausländer herbeizuführen. tt An ihrem Parteitag vom 18./19. Mai 1912 befürwortete die freisinnig-demokratische Partei der Schweiz die Zwangseinbürgerung gewisser Kategorien der in der Schweiz geborenen Ausländerkinder sowie die Erleichterung der Einbürgerung für die seit langem im Inland sesshaften Fremden.

In Universitätskreisen wurden Juristen nicht müde, der Fremdenfrage einlässliche Studien zu widmen. Auch während des Krieges ist das öffentliche Interesse an der Angelegenheit keineswegs erlahmt. Dafür zeugt schon die grosse Zahl von Zeitungsartikeln und Flugschriften, in welchen der übermässige Einfluss der Ausländer auf wirtschaftlichem und geistigem Gebiete nachgewiesen wird.

Alle diese Kundgebungen offenbaren zur Genüge, dass das Schweizervolk vom Empfinden beherrscht wird, die durch die gewaltige Zunahme der Fremden geschaffene Lage sei eine äusserst ernste und erheische ausserordentliche Massnahmen.

Nachdem das Politische Departement durch das eidgenössische statistische Bureau über die Ergebnisse der eidgenössischen Volkszählung von 1910 unterrichtet worden war, erstattete es am 30. Mai 1914 dem Bundesrate einen Bericht über die Massnahmen, welche gegen die drohende Überfremdung zu treffen seien. Derselbe, wurde nach gewalteter Diskussion am 2. Juli 1914 mit einigen Vorbehalten genehmigt. In der Herbstsession 1914 sollte er als Botschaft den eidgenössischen Räten vorgelegt werden. Aber der Ausbruch des Weltkrieges verhinderte dieses Vorhaben. Die Bundesbehörden sahen sich plötzlich vor einer Fülle vielgestaltiger Aufgaben, die sämtlich raschester Erledigung bedurften.

In ihrem Bericht vom 19. Mai 1916 erklärte die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission immerhin, sie betrachte die Revision der Einbürgerungsgesetzgebung als dringlich, und forderte den Bundesrat auf, die durch den Krieg unterbrochenen Arbeiten wieder aufzunehmen und nach Möglichkeit zu beschleunigen.

Wir haben diesem Auftrage entsprechend die Vorarbeiten zur Revision des Einbürgerungsrechts beförderlichst weitergeführt, um unmittelbar nach Friedensschluss unsere Vorschläge den eidgenössischen Räten und dem Schweizervolk vorlegen zu können. Da uns nicht verborgen blieb, dass der Krieg in einem grossen Teil des Landes eine fremdenfeindliche Strömung erzeugt hatte, so mussten wir das ganze Problem und die Prinzipien der künftigen Gesetzgebung

einer nochmaligen Prüfung unterziehen, unter Berücksichtigung und Verwertung der im Lauf des Weltkonfliktes gemachten Erfahrungen, welche auf gewisse Seiten der Fremdenfrage ein neues Licht geworfen haben. Angesichts des starken Zustroms von Ausländern während des Krieges hielten wir es für notwendig, das Domizilrequisit für die Einbürgerungskandidaten zu verschärfen.

Unserm Antrage entsprechend, haben Sie unterm 26. Juni 1920 ein Bundesgesetz betreffend Abänderung von Art. 2 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 über die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe angenommen. Dieser dringlichen Teilrevision, welche verhindern will, dass Fremde, die sich unserm Volk noch nicht assimiliert haben, zur Einbürgerung gelangen, muss aber ohne Frage eine Totalrevision der Einbürgerungsgesetzgebung folgen. Die zwingende Notwendigkeit einer grundlegenden Umgestaltung unseres gesamten Einbürgerungsrechts ergibt sich ohne weiteres aus einer objektiven, auf das jüngste statistische Material sich stützenden Untersuchung.

n.

Demographische Gesichtspunkte.

Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 waren von 3,753,293 Bewohnern der Schweiz 552,011 Ausländer, das sind 14,7 °/o. Die ständige Zunahme der Fremdbevölkerung erhellt aus den beiden nachstehenden statistischen Tabellen. Die eine enthält detaillierte Angaben über die einzelnen Kantone, die andere beschlägt die Verhältnisse in der Gesamtschweiz.

Schweiz Wohnsitzkanton

1850

1860

71,570 5,573 6,764 591 40 198 20 32 248 106 1,335 933 6,819 1,782 1,362 474 74 3,258 2,188 2,962 1,902 7,807 5,292 1,688 4,980 15.142

114,983 10,092 9,127 1,027 89 562 91 58 672 508 1,895 1,201 11,667 1,938 2,033 985 121 5,967 2,886 2,980 2,922 6,675 11,262 2,891 8,634 28.700

1870

1880

1888

1900

1910

150,907 211,035 229,650 383,424 552,01 1 15,178 27,351 33,983 70,026 102,456 13,947 14,191 15,024 24,421 35,053 1,763 2,223 3,034 6,343 11,798 114 6,318 533 1,433 1,548 733 2,650 1,614 2,963 3,982 456 472 811 88 149 754 144 616 600 280 777 1,038 1,280 1,548 2,795 863 2,004 3,053 536 1,098 2,434 2,181 2,303 4,372 7,300 1,806 2,271 2,568 4,200 7,230 14,199 22,121 25,210 42,781 51,101 2,150 4,019 4,815 7,496 10,812 3,157 4,385 4,986 7,654 10,757 851 1,598 2,136 2,638 3,985 295 329 127 303 463 6,604 12,296 18,111 28,444 53,171 3,781 6,281 7,564 14,937 20,091 3,648 5,199 5,364 10,043 18,235 3,969 7,432 10,040 15,038 25,664 8,683 20,471 18,283 30,457 43,983 16,651 16,250 17,871 31,174 45,584 3,606 3,082 2,939 8,218 14,320 10,397 9,941 9,852 13,189 14,454 35.564 37,907 39,910 52,644 62.611

1850 1860 1870 1880 1888 1900 1910 2,9

2,2

4,6

5,7

7,4

7,9

11,6

14,7

3,8

5,3

8,6

10,i

16,3

20,3

2,7

2,8

4,.

5,4

2,3

4,4

3,.

1,5

1,9

2,7

0,4

0,8

1,3

0,3

0,6

0,7

1,' 26,7

7,3

7,0 7,o

0,5

1.»

1,5

5,2

3,2

5,4

6,8

0,1

0,7

0,6

1,0

3,i

8,1 ·4,7

0,3

0,5

1,2

2,3

4,9

4,6

5,5

0,8

2,0

2,2

3,0

3,8

4,8

8,4

0,6

2,6

2,6

4,8

3,8

8,0

1,8

1,8

2,2

1,9

139

3,4

2,4

2,3

23,0

1,7 28,7

29,7

3,7

3,8

4,o

6,8

3,9

· 5,7 2,0

8,4

11,4

0,7

1,0

1,9

3,3

1,1 3,5

2,4

3,2

1,5

1,5

2,i

3,3

6,6

5,7

7,3

2,7

5,3

7,2

2,0 7,o 23 n

3,3

3,7

1,3

1,1

9,9

1,7

34,0 3;1 2,4

10,9 5,2

6,2 3,0 4,2 34,2 38,i 37,6 14,i 7,8 10,9 13,2 18,4 23,3 3,9 6,9 4,s 2,3

2,4

3,2

5,8

7,9

11,4

17,5

4,.

6,6

8,0

14,3

17,2

1,9

2,6

2,8

4,3

7,5

9,6

10,7

34.« 38.,

15,7 6,8

14,4 7,2

4,9

13,3

22,0 H,i

7,9

19,0 28,2 14,4

2,0 7,2 11,2 9,8 9,. 10,4 10,9 37.3 37.« 39.7 40.4 3,.

5

Schweiz 1 Zürich 2. Bern 3 Jjuzern 4 Uri 5 Schwyz 6 . Obwalden . . . .

7 . Nidwaiden . . . .

8 Glarus .

9. Zug 1 0 . Freiburg . . . .

1 1 . Solothura . . . .

12. Basel-Stadt . . .

13. Basel-Landschaft 14. Schaffhausen . . .

15. Appenzell A.-Rh. .

16. Appenzell I.-Rh.

17. St. Gallen 18. Graubünden . . .

19 Aargau .

2 0 . Thurgau . . . .

2 1 Tessin . . .

22. Waadt 23. Wallis . .

24. Neuenburg . . .

25. Genf

Auf 100 Personen der Wohnbevölkerung waren Ausländer

Ausländer

Wohnbevölkerung

Jahr

1850 1860 1870 1880

.

.

.

.

1888 1900 1910

. . .

. . .

. . .

.

.

.

.

.

.

.

.

Schweizer

2,392,740 2,321,170 2,510,494 ' 2,395,511 2,655,001 2,518,240 2,831,787 2,635,067 2,917,754 2,688,104 3,315,443 2,932,019 3,753,293 3,201,282

Ausländer

71,570= 114,983= 150,907 = 211,035= 229,650= 383,424 = 552,011 =

2,9 «/o 4.c°/o 5,7 % 7,4% 7, 9 % ll,o % 14,7 °/o

Kein anderer Staat Europas hat auch nur annähernd eine so starke ausländische Bevölkerung. In Frankreich betrug der Prozentsatz der Fremden nie mehr als 3,2 % ! nacn der Volkszählung von 1906 ist er sogar auf 2,7 °/o gesunken. In Deutschland stellte die Volkszählung von 1905 l,? °/o Eingewanderte fest. In Österreich machen die Ausländer 2,i °/o (Volkszählung von 1910), in Italien 2 % (Volkszählung von 1901), in Belgien 3,i % (Volkszählung von 1905) der Totalbevölkerung aus.

Folgende Kantone wiesen am 1. Dezember 1910 eine ungünstigere Proportion zwischen einheimischer und ausländischer Bevölkerung auf als die Gesamtschweiz :

1910 Ausländer

Kantone Genf . .

Basel-Stadt Tessin . .

Schaffhausen Zürich .

Thurgau .

St. Gallen .

Graubünden

.

.

.

.

62,611 51,101 43,983 10,757 102,456 . 25,664 . 53,171 . 20,091

% 40,4 37,6 28,2 23,3 20,3 19,o 17,5 17,2

1900 Ausländer 52,644 42,781 30,457 7,654 70,026 15,038 28,444 14,937

% 39,7 38,i 22,o 18,4 16,3 13,3 11,4 14,3

1888 Ausländer %

39,910 25,210 18,283 4,986 33,983 10,040 18,111 7,564

37,8 34,2 14,4 13,3

10,i 9,6 7,9

8,0

Wie die nächste Tabelle zeigt, ist auch in einer beträchtlichen Zahl unserer Städte der Prozentsatz der Ausländer erheblich höher als in der Gesamtschweiz :

Städte Lugano ArboQ Genf, ganze Ortschaft . .

Tablât Basel Schaffhausen Zürich Bellinzona St. Gallen Montreux, ganze Ortschaft .

Lausanne Luzern Chur Winterthur Freiburg Neuenburg

.

Wohnbevölkerung

Ausländer

12,961 10,299 123,153 22,308 132,276 18,101 190,733 10,406 37,869 18,800 64,446 39,339 14,639 25,250 20,293 23,741

6,542 4,747 51,740

9,011 50,003

6,139 64,387 3,470 11,764 5,779 15,799 7,046 2,597 4,349 3,495 3,483

%

50,5 46,i 42,o 40,4 37.8 33,9 33,8 33,3 31,i 30,7 24,5 17,9 17,7 17.2

17,ä 14,7

Beinahe sämtliche Ausländer, nämlich 95,5 %, stammen aus den vier angrenzenden Grossstaaten. Das folgende Verzeichnis veranschaulicht das Wachstum der deutschen, französischen, italienischen und österreichisch-ungarischen Kolonie seit dem Jahre 1888 :

Jahr

1888 1900 1910

.

.

.

.

.

.

Deutsche

Italiener

112,342 168,461 219,530

41,881 117,059 202,809

Franzosen

53,627 58,522 63,708

Österreicher und Ungarn mit Einsehluss der Liechtensteiner 14,181 25,437 41,422

Das deutsche Kontingent macht 39,8 %) das italienische 36,7 °/o, das französische 11,5 °/o, das österreichisch-ungarische 7,5 % der Fremdbevölkerung aus. Die restlichen 4,5 % setzen sich hauptsächlich aus Russen (8457), Engländern (4118), Nordamerikanern (1847) und Holländern (1363) zusammen.

8

Von den 552,011 Ausländern gehören 383,424 der katholischen, 142,463 der protestantischen Konfession an, 12,187 sind Israeliten, 13,937 verteilen sich auf andere Bekenntnisse oder sind bekenntnislos.

Der Gesetzgeber muss, um die Mittel zur Bekämpfung der fortschreitenden Überfremdung festzustellen, vor allem zwei Tatsachen kennen : einmal die jährliche Vermehrung der Ausländer, sodann die Dauer ihres Aufenthaltes in unserm Lande. Nun hat von 1850--1910 die Fremdbevölkerung durch Einwanderung und durch Geburten eine Vermehrung von 690 °/o erfahren, während die Gesamtbevölkerung des Landes im gleichen Zeitraum bloss um 56 % gewachsen ist. Seit 1880 betrug die Zunahme der Fremden 161 °/o, diejenige der einheimischen Bevölkerung lediglich 21 °/o. Man kann also heute schon vorausberechnen, dass, wenn der Wachstumskoeffizient für die Fremden der gleiche bliebe, in 77 Jahren die Hälfte der Bevölkerung der Schweiz aus Ausländern bestehen würde.

Von 1850--1910 haben sich die Ausländer jährlich um durchschnittlich 7916 Personen oder um 34,2 °/°° vermehrt, was die nachstehende Tabelle veranschaulicht.

9 Durchschnittliche jährliche Zunahme der Ausländer in °/oo während der Periode 1850-1910

Kantone

Basel-Stadt Genf Zürich Neuenburg St. Gallen Solothurn Zug Basel-Landschaft .

Waadt Wallis . . . .

Uri Thurgau Bern Freiburg Appenzell A.-Rh.

Tessin Schwyz Schaffhausen . .

Graubünden . .

Appenzell I.-Rh. .

Luzern Obwalden Nidwaiden Aargau Glarus

. .

. .

.

.

. .

. .

; .

Schweiz......

Wohn- .

bevölkerung

Schweizer

Ausländer

25,4 14,6 11,6 10,e 9,6 8,c 7,9 7,7 7,7 7,5 7,o 6,9 5,7 5,5 4,7 4,7 4,6 4,4 4,4 4,3 3,s 3,o 8,2 2,4 l,o

21,8

33,7 23,7 49,!

. 17,7 47,1 34,3 56,9 30,1 36,i 35,9 62,, 43,, 27,5 28,4 35,7 28,9 50,7 34,6 37,2 30,7 50,6 62,9 53,4 30,4 40,7 34,2

7,4

10,5

8,2 9,8 6,7 7,7

6,1 5,8 5,6 5,9 5,8 3,8

5,0 4,9 3,7 0,3 3,5 0,7 1,7 3,9 2,7.

2,8 2,3

1,8 0.3 5,3

Fasst man die Volkszählungsdekaden von 1850 bis 1910 einzeln ins Auge, so gewahrt man, dass die Zunahmeziffer häufig höher ist. Das trifft namentlich auch für die Periode 1900--1910 zu.

Durchschnittliche jährliche Zunahme dor Ausländer : von 1850 bis 1860: 4,050, d. h. 4o,2 auf 1000 Einwohner

1860 1870 1880 1890 1900

1870: .1880:

3,603, ,, 27,6 6,013, ,, ,, 34,i

1890:

2,327, ,, ,, 10,6

1900: 12,815, ,, ,, 43,6 1910: 16,859, ,, ,, 37,i

1000 1000 1000 1000 1000

10 Wählt man als Grundlage der Berechnung die Zunahme im Zeitabschnitt 1900--1910, so haben sich die Fremden jährlich um durchschnittlich 16,859 Personen vermehrt, und zwar durch Geburten um 7165, durch Einwanderung um 9694.

Absolute Zu- oder Abnahme der Bevölkerung vom I.Dezember 1900 bis I.Dezember 1910.

durch den Gesamtüberschuss der

Durchschnittliche jährliche Zu- oder Abnahme auf 1080 Seelen

1900 im DurchEin- oder AusGeburten bis 1910 schnitt wanderung *) im total pro Jahr 1900 im Durch- 1900 im Durch- ganzen bis 1910 schnitt bis 1910 schnitt total pro Jahr total pro Jahr

durch d. Gesamtüberschuss der Pu e- Ein- oder Auswanburten derung*)

Zuwachs Schweizer, bzw. Abnahme 269,263 26,926 286,965 28,696 -17,702 --1,770

8,8

9,4

- 0,6

Zuwachs Ausländer,

bzw. Abnahme 168,587 16,859 71,643 7,165 + 96,944 +9,694 37,1 15,8 + 21,3 *) Unter Âusschluss der Einbürgerungen, durch welche die schweizerische Bevölkerung vermehrt, die ausländische vermindert wird.

Wie hoch auch diese der letzten eidgenössischen Volkszählung von 1910 entnommenen Zahlen erscheinen, so sind sie zweifelsohne von der Gegenwart schon wieder überholt, indem der Geburtenüberschuss der Ausländer seit 1907 die Durchschnittszahl 7165 regelmässig überschritten hat.

Jahr

1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

. . . . . .

Total Jahresdurchschnitt

Geburten von Todesfälle von Ausländern Ausländern

Geburtenüberschuss

12,869 13,722 14,355 14,896 14,568 14,842 14,845 15,613 15,680 14,111

6,232 6,579

6,585 6433 6793 6 566 7 350 6,654 6,742 6,165

6637 7,143 7,770 8 463 7 775 8276 7 495 8,959 8,938 7,946

145,502 14,550

66,099 6,610

79,402 7,940

il Ein Stillstand der Einwanderung steht nicht in Aussicht.

Gewiss hat sich die ausländische Bevölkerung während des Krieges infolge der zahlreichen Einberufungen von Wehrmännern etwas vermindert. Allein dieser in erster Linie in den grossen Zentren fühlbare Rückgang ist nachträglich durch einen starken Zustrom von Fremden nach gewissen Schweizerstädten, wie Basel, Zürich, Bern, ausgeglichen worden. Die tiefere, eigentliche Ursache der Einwanderung wird auch bestehen bleiben, wenn diese Wanderbewegungen, die als Folgeerscheinungen des Weltkrieges anzusprechen sind, einmal aufhören. Sie liegt in der Entwicklung unserer Industrie. Die Eingewanderten sind zum weitaus grössten Teile Arbeiter. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Schweiz aus einem rein landwirtschaftlichen in einen Industriestaat verwandelt. Das gewaltige Bedürfnis nach Arbeitern, welche diese Umgestaltung erzeugte, konnte durch die einheimische Bevölkerung nicht gedeckt werden. Selbst wenn wir der Auswanderung der eigenen Landsleute ernsthafte Schranken setzen und sonst alle zweckdienlichen Massnahmen zum Schutze und zur Förderung der nationalen Arbeit treffen würden, wäre unser Land wohl kaum imstande, alle zur Entfaltung und Hebung unserer Industrie unumgänglich notwendigen Kräfte aufzubringen.

Lediglich durch ihre n a t ü r l i c h e Vermehrung würden übrigens die Fremden mit der Zeit das Übergewicht über die Schweizer erlangen, denn nicht nur beträgt der Geburtenübersohuss der letztern bloss 9,4 %o, derjenige der Ausländer dagegen 15,6 %0) sondern es beschränkt sich auch wegen der Auswanderung, die vor dem Kriege Jahr für Jahr 5000 Bürger dem Lande entzogen hat, die jährliche Zunahme der autochthonen Bevölkerung auf 8,8 %0) während die ausländische dank einer jährlichen Einwanderung von 21,3 °/oo um 37,i °/oo anwächst.

III.

Der Einfluss der Ausländer in der Schweiz.

Die ununterbrochene Vermehrung der Ausländer, welche wir durch das vorstehende demographische Exposé beleuchtet haben, eröffnet der Schweiz einen wenig erfreulichen Ausblick in die Zukunft. Wir wollen gerne zugeben, dass ein Staat, der, wie die Eidgenossenschaft, auf das Föderativprinzip gegründet ist und nach Rasse, Sprache und Konfession getrennte Bevölkerungen umfasst, einen recht starken Prozentsatz an Fremden vertragen kann. Jahrhunderte der Geschichte haben unser Volk zur geistigen Duldsamkeit und zum Verständnis fremder Ideen und Anschauungen erzogen. Die letzte und höchste Bedeutung unseres Landes liegt

12 ja gerade darin, dass es seiner ganzen Struktur nach die Negation aller religiösen, sprachlichen und ethnischen Vorurteile gleichsam verkörpert. Wenn einige unserer Kantone seit Beginn des 19. Jahrhunderts verhältnismässig sehr grosse Ausländerkolonien ohne Erschütterung ihres innern Gefüges zu beherbergen vermochten, so ist die Erklärung hierfür in jener traditionellen Duldsamkeit zu suchen. Es sei beiläufig daran erinnert, dass die Fremden schon 1837 im Kanton Basel-Stadt 21 %j im Kanton Genf 32 % der Totalhevölkerung ausmachten.

Sofern man die unleugbare Gefahr, welche die gewaltige Zunahme der Fremden für die Existenz der Schweiz darstellt, richtig einschätzen will, darf man nicht ausser acht lassen, dass die Überfremdung sich auf ganz bestimmte Punkte unseres Landes konzentriert und dass die Fremden in denjenigen unserer Kantone und Städte, welche am meisten gefährdet sind, eine sozusagen homogene Masse bilden, d. h. fast alle der gleichen Nation an: gehören. Die Ausländerkolonien in der Schweiz sind weder sehr miteinander vermischt noch über das ganze Land hin zerstreut.

Ihre naturgemäss auseinander strebenden Tendenzen nahen so keine Gelegenheit, sich gegenseitig aufzuheben. In jedem Grenzkanton gibt es eine Fremdenagglomeration von ganz ausgesprochener nationaler Färbung. Im Norden und Osten ist sie deutsch, im Westen französisch, im Süden italienisch. Manchenorts kommen die Ausländer den Schweizern an Zahl nahe, ja in Lugano, ferner in Carouge und einigen andern Gemeinden des Kantons Genf, wie Vernier und Chêne-Bourg, haben sie sie sogar überflügelt. Was unserm Staatswesen vor allem verhängnisvoll werden müsste -- der Krieg hat es deutlich genug gezeigt --, das wäre ein wachsendes Sichnichtverstehen zwischen den verschiedenen Teilen des Landes : Würde Basel durch eine badische Majorität, Genf durch eine savoyische, der Süd-Tessin durch eine lombardische Majorität beeinflusst, so würden auch die schweizerischen Bevölkerungen der verschiedenen Landesteile sich untereinander nicht mehr verständigen können.

Die Konzentration der Ausländer nach Nationalitäten erhellt aus folgenden Feststellungen: / 61,872 Deutsche wohnen im Kanton Zürich, 49,054 ,, ,, in den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft, 24,146 ,, ,, im Kanton St. Gallen, 14,486 ,, ,, ,, ,, Thurgau, 9,539 ,, ,, ,, ,, Aargau, 8,047 ,, ,, ,, ,, Schaffhausen.

167,144

13

Somit sind 167,144 Deutsche, d. h. mehr als 76 °/o ihres ganzen Kontingents, in den an den Rhein stossenden Kantonen niedergelassen. Fast die gesamte Fremdbevölkerung des Kantons Tessin ist italienisch, nämlich 41,869 von 43,983 Eingewanderten.

37,688 (annähernd 60 °/o aller im Lande befindlichen) Franzosen halten sich im Gebiet des Kantons Genf auf.

Was nun die Volkswirtschaft anbelangt, so kann man sich kaum verhehlen, dass die Ausländer in derselben eine immer wichtigere Rolle spielen, welche in ihren letzten Konsequenzen dazu führen könnte, dass gewisse Landesgegenden recht eigentlich in ökonomische Abhängigkeit von den benachbarten Grossstaaten geraten. Jeder siebente Einwohner der Schweiz ist ein Ausländer. Unter der Bevölkerung vom 15. bis 59. Altersjahr trifft es auf je sechs Personen einen Ausländer; somit sind 18 °/o der Individuen männlichen Geschlechts im produktiven Alter nicht schweizerisch. Die Arbeiterschaft beiderlei Geschlechts besteht zu 23 °/o, die männliche Arbeiterschaft zu 26,^ °/o aus Fremden.

Diese Zahlen erklären sich aus der Zusammensetzung der Ausländerkolonien. Diese enthalten hauptsächlich Erwachsene im arbeitsfähigen Alter, mehr Männer als Frauen, und relativ weniger Kinder und Greise als die einheimische Bevölkerung. Man zählt in der Tat 285,180 Ausländer männlichen, 266,831 weiblichen Geschlechts. Das besagt, dass 15,s °/o der männlichen Einwohnerschaft der Schweiz ausländischer Herkunft sind, von der weiblichen 14 °/o. Am meisten Männer hat, wie aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich ist, die italienische Kolonie :

Deutschland

Männer Frauen

.

.

.

.

.

.

.

.

Italien

104,198 118,103 115,332 84,706

Frankreich, Österreicheinschliesslich Ungarn*), einschliesslich Monaco Liechtenstein

28,850 34,858

22,019 19,403

*) Da die statistischen Angaben auf der Volkszählung von 1910 beruhen, so sind die Nationalitäten innerhalb der frühem Grenzen zu verstehen.

14 Nach ihrem Alter scheiden sich die Ausländer in 399,155 Erwachsene und 152,886 Kinder. Für die Angehörigen der vier Grenzstaaten ergibt sich folgende Gruppierung:

Deutschland

Frankreich, ÖsterreichUngarn, einschüesslich einschliessüch Rflonac» Liechtenstein

Italien

Erwachsene Männer Erwachsene Frauen Kinder männlichen Geschlechts .

Kinder weiblichen Geschlechts . .

73,369 83,620

88,988 55,673

21,453 27,100

16,149 13,580

30,829

29,115

7,397

5,870

31,712

29,033

7,758

5,823

Total

219,530

202,809

63,708

41,422

Vergleicht man die Ausländerkolonien und die schweizerische Bevölkerung der Zusammensetzung nach in bezug auf Alter und wirtschaftliche Produktivität, so erhält man laut den Erhebungen der eidgenössischen Volkszählung von 1910 folgendes Resultat: Gruppierung von 1000 Personen nach Altersklassen.

Gesamlbevölkerung Altersjahrc

Schweizer ßO und

60 und 0-14 15-59 darüber 0-14 10-59 darüber

Ausländer

1!

60 und

0-14 15-59 darübe r| i

Total Männlich Weiblich .

312 599 319 601 307 596

89 80 97

319 585 96 277 680 328 584 88 266 698 310 586 104 288 661

43 36 51 !

Die produktive Klasse, welche die wirtschaftliche Kraft des Landes bildet, ist bei der einheimischen Bevölkerung erheblich schwächer als bei den Ausländern (585 °/oo gegenüber 680 %o).

Noch ungünstiger stellt sich das Verhältnis für die männliche Bevölkerung (584 °/oo Schweizer gegenüber 698 °/oo Ausländer).

Die Statistik betreffend Beteiligung der Fremden an den verschiedenen Zweigen des Wirtschaftslebens bestätigt diese Tatsache in vollem Umfange:

15 Erwerbstätigkeit 1910

Ausländer Gesamt- SchweizerGeschlecht bevölkerung bürger absolut °/oo Total 3,753,293 3,201,282 552,011 147 M. 1,845,529 1,560,349 285,180 155 W. 1,907,764 1,640,933 266,831 140

I. Personen, die direkt aus dem Erwerb leben . .

Total 1,758,872 1,478,187 M. 1,198,868 998,264 W.

560,004 479,923 Total 1,693,031 1,421,498 1. Berufstätige M. 1,177,229 979,903 515,802 441,595 W.

483,194 467,068 . A. Urproduktion . . . Total M.

381,723 368,459 101,471 W.

98,609 809,114 622,928 B. Gewerbe und Industrie Total M.

539,094 396,849 W.

270,020 226,079 Total 194,100 152,357 C Handel M.

107,924 83,074 86,176 W.

69,283 D Verkehr Total 84,734 76,985 M.

79,225 71,608 W.

5,509 5,377 E. Öffentliche Verwaltung 96,756 82,523 und freie Berufe . . Total M.

61,747 54,016 W.

35,009 28,507 F. Persönliche Dienste u.

andere nicht genau bestimmbare. BerufstätigTotal keit 25,133 19,637 M.

7,516 5,897 W.

17,617 13,740 2. Berufslose Selbständige (Rentner und andere berufslose Haushaltungsvorstände) Total 65,841 56,689 21,639 M.

18,361 W.

44,202 38,328 II. Personen, die indirekt aus dem Erwerb leben Total 1,994,421 1,723,095 M.

646,661 562,085 W. 1,347,760 1,161,010 64,315 1. Hausgesinde . . . . Total 89,615 M.

1,508 834 W.

88,107 63,481 2 . Familienglieder . . . . Total 1,778,766 1,557,515 M.

579,420 502,641 W. 1,199,346 1,049,874 3. Berufslose in fremden Familien und Anstalten . Total 126,040 101,265 M; 65,733 53,610 W.

60,307 47,655

160 167 143 160 168 144 33 35 28 230 264 163 215 230 196 91 96 132 24

280,685 200,604 80,081 271,533 179,326 74,207 16,126 13,264 2,862 186,186 142,245 43,941 41,743 24,850 16,893 7,749 7,617

14,233 147 7,731 125 6,502 186

5,496 219 1,619 215 3,877 220

9,152 3,278 5,874

139 151 133

271,326 136 84,576 131 186,750 139 25,300 282

674 447

24,626 280 221,215 124 71,779 124 149,472 125 24,775 197 12,123 184 12,652 210

16

Am stärksten sind die Ausländer vertreten im Handel (21,5 %); in der Handlangerarbeit (21,9 °/o), in Industrie, Handwerk und Gewerbe (23 %) und in den häuslichen Diensten (28 %). Die Zahl der ausländischen Rentner oder berufslosen Selbständigen ist etwas kleiner als die der Schweizer. Zu den freien Berufen stellen die Fremden 14,7 %· Die Landwirtschaft zieht nur einen schwachen Teil der Ausländer an, nämlich 3,s %· Diese Durchdringung unserer nationalen Wirtschaft mit Ausländern erleichtert natürlich dem ausländischen Kapital das Eindringen in Handel und Industrie der Schweiz ganz ausserordentlich; dies kann aber nur dann eine Quelle der Prosperität sein, wenn das fremde Kapital in Unternehmungen angelegt wird, welche durch ihre Tradition, ihr Personal, ihre Leitung und ihre Verwaltung schweizerisch bleiben. Nun dient aber das ausländische Kapital oft der Gründung von Unternehmungen, die darauf ausgehen, die schweizerische Konkurrenz zu erdrücken.

Man bemüht sich, der einheimischen Firmen habhaft zu werden, etwa so, dass man sie mit Hülfe ausländischen Kapitals in Aktiengesellschaften umwandelt; das schweizerische Personal wird alsdann allmählich durch ausländisches ersetzt, das schweizerische Kapital verliert sich unter dem fremden, und an die Posten der Direkroren, Betriebschefs, Ingenieure werden vielfach Ausländer betufen, so dass schliesslich der fremde Einfluss mit der Bedeutung der Unternehmung für unsere Volkswirtschaft ausser Verhältnis steht. Diese Funktion des ausländischen Kapitals entzieht sich der Statistik. Immerhin kann man sich anhand des Verzeichnisses der industriellen und kommerziellen Gesellschaften unseres Landes einigermassen orientieren. Am 1. Januar 1918 zählte die Schweiz aut den Einträgen im Handelsregister 6256 schweizerische Aktiengesellschaften, die ein Kapital von Fr. 4,170,013,499 repräsentierten, und 139 ausländische Aktiengesellschaften mit einem Kapital vonFr. 1,642,090,790. Während also die schweizerische Firma durchschnittlich mit einem Kapital von Fr. 670,000 arbeitet, steht der fremden ein fast 18mal grösseres Kapital von zirka Fr. 12,000,000 zur Verfügung. Die ausländischen Unternehmungen sind also in der Regel sehr finanzkräftig und deshalb in der Lage, den Schweizerhäusern in Handel und Industrie eine wirksame Konkurrenz zu bereiten.

Der Umstand, dass
die Schweizerbürger den Militärpflichten genügen müssen, verschafft den Ausländern im wirtschaftlichen Wettbewerb auch ab und zu einen fühlbaren Vorsprung, obwohl im allgemeinen gesagt werden kann, dass bei der Ausgestaltung des Wehrwesens in der Schweiz darauf Bedacht genommen wurde.

17 die wirtschaftliche Tätigkeit des Bürgers so weit als möglich zu schonen. Die in der Schweiz niedergelassenen Ausländer werden in ihren Heimatstaaten nicht durchwegs mit ihren Altersklassen ·eingezogen; sie geniessen vielfach einen Gestellungsaufschub, der in Friedenszeit nahezu einer völligen Dienstbefreiung gleichkommt; oft auch sind die Ausländer vom Dienst in der Reserve dispensiert.

Die Dienstuntauglichen befinden sich gegenüber den Schweizern insofern im Vorteil, als sie zumeist keine Militärersatzsteuer in ihrem Heimatstaate zu entrichten haben, während freilich diejenigen Ausländer, die dem Aufgebot ihres Landes Folge leisten müssen, militärisch ungleich mehr belastet sind als unsere Volksgenossen. Es steht übrigens zu erwarten, dass die Rückwirkung der militärischen Lasten auf die wirtschaftliche Tätigkeit des einzelnen durch die Gründung des Völkerbundes eingeschränkt wird, nachdem durch die Friedensverträge von Versailles und St. Germain die allgemeine Dienstpflicht der Deutschen und Österreicher bereits aufgehoben ist.

Im weitern gefährden die Ausländerkolonien unsere Rechtseinheit. Die Vereinheitlichung unseres Zivilrechts hat den Zweck verfolgt, die aus der Verschiedenheit der kantonalen Rechte sich ergebende Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Aber es entsteht nun allmählich eine Rechtsunsicherheit in neuer Form, nicht in den interkantonalen, aber in den internationalen Beziehungen. Das schweizerische Zivilgesetzbuch (Art. 69 Schlusstitel) hat sich im grosseu und ganzen auf den Boden des Territorialprinzips gestellt, wie dieses schon vom Bundesgesetz vom 25. Juni 1891 betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter (das laut Art. 32 auch auf die in der Schweiz domizilierten Ausländer anwendbar ist) adoptiert worden war. Nun scheint aber in den internationalen Beziehungen das Territorialitätsprinzip mehr und mehr dem Personalitätsprinzip weichen zu müssen, welches dem Ausländer die Anwendung seines Heimatrechts zusichert, gleichviel, wo er seinen "Wohnsitz hat. Nicht nur folgen die Ausländer in mancher Beziehung den Gesetzen ihres Heimatstaates, sie unterstehen auch oft ausschliesslich ihren nationalen Gerichten (Art. 8 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891 betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter).
Diese Einmischung des ausländischen Rechts und der ausländischen Rechtsprechung stört notgedrungen die Anwendung unseres Gesetzes. Je zahlreicher die Ausländer sind, desto mehr Bedeutung gewinnen ihre verschiedenen nationalen Rechte und desto grösser wird die Unsicherheit auf juristischem Gebiet. Unsere Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

2

18 Souveränität in Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit ist also durch, den Umstand, dass die Ausländer die Anwendung ihres Statuts verlangen können, sowie durch die Möglichkeit der Ablehnungunserer Gerichte in vielen Fällen wesentlich beeinträchtigt. Nur im Wege einer Verminderung der Zahl der Ausländer können wir dieser Erschwerung der Rechtspflege zu begegnen hoffen.

Dass die künftige'Entwicklung des internationalen Privatrechts in dem nach Nationalitäten organisierten Europa das Anwendungsgebiet des nationalen Rechts, d. h. des Personalitätsprinzips, beschränken werde, steht nicht zu erwarten.

Um aber die ganze Grosse der Gefahr, der die Schweiz durch die Anwesenheit einer so starken Fremdbevölkerung ausgesetzt ist, ermessen zu können, muss das Problem von der e t h i s c h e n Seite aus gewürdigt werden. Unser Volk muss sich gegen Einflüsse zur Wehre setzen, die geeignet sind, langsam seine Eigenart zu zerstören. Jedes gesunde und starke Volk kann und soll sowohl auf geistigem und politischem wie auf materiellem Gebiete mit dem Ausland einen regen Austausch pflegen; aber ein gewisses Gleichgewicht darf dabei nicht angetastet werden.

Wenn das Zünglein an der Wage auf die Seite der Ausländer ausschlägt, dann läuft ein Volk Gefahr, seine Individualität einzubüssen : nicht nur in materieller, sondern auch in geistiger Beziehung andern Staaten tributar zu werden. Die Sitten, die Gebräuche, die politischen Ideen, die moralischen Werte und besonders die Gefühle der Anhänglichkeit und Hingebung an das Vaterland drohen zu verflachen.

Wenn man auch hoffen darf, dass es dem Völkerbund gelingen werde, in der Zukunft Kriege zu vermeiden, so ist doch mit der Eventualität zu rechnen, dass unser Heer eines Tages genötigt sein könnte, zur Verteidigung unserer Neutralität und Unabhängigkeit in Aktion zu treten. Inmitten einer zahlreichen ausländischen Bevölkerung mit feindseliger oder zum wenigsten gleichgültiger Gesinnung würde es der Armee an einer sichern Rückendeckung fehlen, ihre Operationen würden Gefahr laufen, vorzeitig erkannt und verraten zu werden, und sie könnte selbst genötigt werden, ihre Kräfte durch Detachierungen zur Unterdrückung aufständischer oder feindlicher Bewegungen im Innern zu schwächen. Namentlich das Vorhandensein grossor Massen von Ausländern in unsern Grenzbezirken könnte im
Kriegsfalle zu einer unversiegbaren Quelle von Schwierigkeiten, Schädigungen und Gefahren aller Art werden.

Unser Volk gibt sich instinktiv Rechenschaft von den ethischem und materiellen Gefahren, welche die anormale Vermehrung der

19 Ausländer mit sich bringt. Wenn es die Einwanderer bisweilen mit einigen Bedenken aufnimmt, so handelt es sich nicht bloss um Unzufriedenheit über das Entstehen einer unbequemen Konkurrenz oder um die Äusserung eines übertriebenen nationalen Chauvinismus; diese Zurückhaltung wird ihm vielmehr diktiert durch die Befürchtung, dass auf die Länge die Grundlagen unserer Unabhängigkeit durch die ausländischen Elemente unterhöhlt und zerstört werden könnten.

IV.

Die Unzulänglichkeit der EinMrgernngspolitik.

Die legislativen Massnahmen, welche unter den vorliegenden Umständen zu ergreifen sind, müssen dahin zielen, die Assimilation der Ausländer möglichst zu erleichtern. Der Gesetzgeber muss dem Volkskörper diejenigen ausländischen Elemente einzuverleiben trachten, welche aufnahmereif geworden sind, und es muss die schweizerische Bevölkerung bestrebt sein, auf die Gesinnung unserer Gäste so einzuwirken, dass diese innerlich für unsere Denkart gewonnen werden.

Bei der Frage, welche eingewanderte Elemente am leichtesten assimilierbar sind, spielt die Dauer des Aufenthaltes in unserm Lande eine Hauptrolle. Die eidgenössische Volkszählung vom Dezember 1910 gewährt uns über diesen Punkt wertvollen Aufschluss: Ununterbrochener Wohnsitz in der Schweiz

seit 1910 von 1906-1909 ,, 1901-1905 ,, 1896-1900 ,, 1891-1895 seit 1890 oder früher Total

Im Ausland geborne Ausländer

Ununterbrochener Wohnsitz in der Schweiz

In der Schweiz geborne Ausländer

1910 14,640 101,358 seit 100,236 von 1906-1909 42,509 54,961 ,, 1901-1905 38,109 38,552 ,, 1896-1900 28,016 21,858 ,, 1891-1895 16,803 41,041 seit 1890 53,928 oder früher Total 194,005 358,006

Geburt

In der Schweiz geborne und hier seit Geburt ohne Unterbruch wohnhafte Ausländer

im Jahre 1910 11,412 von 1906-1909 37,247 ,, 1901-1905 34,411 ,, 1896-1900 25,221 ,, 1891-1895 15,312 seit 1890 50,815 oder früher Total 174,418

20 Von insgesamt 552,011 Fremden sind 64,9 % im Ausland geboren, 35,i % sind in der Schweiz geboren und halten sich seit ihrer Geburt ununterbrochen in unserm Lande auf. Viele der letztern haben jede Fühlung mit dem Mutterlande verloren, indem sie nicht einmal in dessen Sprache auferzogen worden sind; ihre Zahl kann auf rund 45,000 geschätzt werden, davon Deutsche etwa 7000, Italiener 30,000, Franzosen 5000, Österreicher einige Tausend. Es ist einleuchtend, dass diese Kategorie von Ausländerkindern sich ganz besonders zur Einbürgerung eignet.

Die sprachliche Statistik erhellt aus nachstehender Tabelle : Muttersprache

Total Deutsch

Ausländer (Gesamtzahl) 552,011 268,048 Deutsche . . 219,530 212,329 Italiener 202,809 13,856 Franzosen .

63,708 3,976 Österreicher 41,422 33,411

Französisch

Italienisch Andere Sprachen

84,614 177,242

6,524 199 15,685 172,716 59,393 203 3,951 628

22,107 478 552 136 3,432

Wenn wir die Absicht dauernden Verbleibens nicht nur bei den in der Schweiz gebornen, sondern auch bei den seit mehr als 10 Jahren ununterbrochen im Inland wohnhaften Ausländern voraussetzen, einer Kategorie, die 101,451 Personen, d. h. 18,*0/o der eingewanderten Bevölkerung, umfasst, so gelangen wir zu dem Ergebnis, dass 53,s % al'er Ausländer als dauernd in der Schweiz niedergelassen zu erachten sind. 265,555 Fremde sind im Ausland geboren und noch nicht 10 Jahre in der Schweiz wohnhaft; sie stellen 46,5% der Gesamtzahl der Ausländer dar ; davon halten sich 101,358, d. h. 18,* %, erst seit Jahresfrist in der Schweiz auf. Diese bilden offenbar eine flottante Bevölkerung, mit welcher wir immer werden rechnen müssen. Einen Teil dieser Kategorie bilden die Hotelgäste, welche die sogenannte Fremdenindustrie alimentieren ; die Hauptmasse der flottanten Bevölkerung aber bilden offenbar solche Ausländer, die vorübergehend aus wirtschaftlichen Gründen die Schweiz aufsuchen.

Angesichts dieser Ziffern sticht die Unzulänglichkeit unserer Kampfmittel gegen die Überfremdung in die Augen, und es erhellt ohne weiteres, dass eine Besserung nicht im rücksichtslosen Aus-

21 schluss der Ausländer gesucht werden kann, dass man vielmehr darauf bedacht sein muss, den Zuwachs im Wege der Einbürgerung zu paralysieren.

Wir haben schon in unserer Botschaft vom 28. Juni 1919 betreffend Abänderung des Art. 2, Abs. l, des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 über die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe (Bundesbl. Ì919, IV, 225) die Statistik der Einbürgerungen von 1901 bis 1908 veröffentlicht.

Es bleibt bloss beizufügen und in Erinnerung zu bringen, dass unser Land in 22 Jahren, von 1889 bis 1910, 19,349 Einbürgerungen, umfassend 60,013 Personen, vorgenommen hat, was einen jährlichen Durchschnitt von 879 Einbürgerungsfällen und 2728 Eingebürgerten ausmacht; für die Zeit von 1901 bis 1910 ist der Durchschnitt grösser, da jährlich 1154 Einbürgorungon, sich erstreckend auf 3458 Personen, vorgenommen wurden, d. i.

62 auf je 10,000 Ausländer. Im Zeitabschnitte unmittelbar vor Kriegsbeginn war der Jahresdurchschnitt, berechnet für die kurze Frist von 1911 bis 1913, bedeutend günstiger; er beträgt hier 1655 Fälle und 4804 Personen, d. i. 87 auf je 10,000 Fremde.

Wenn wir den ganzen, auf das Inkrafttreten des Einbürgerungsgesetzes vom 25. Juni 1903 folgenden Zeitabschnitt von 1904 bis 1913 überblicken, so ergibt sich ein Jahresdurchschnitt von 1387 Fällen und 4093 Eingebürgerten, d. i. 74 auf je 10,000 Ausländer.

Selbst wenn man die numerisch höchsten Resultate dieser Statistik heranzieht, so ergibt sich, dass unsere Einbürgerungspolitik vor dem Kriege gänzlich ungenügend war, um die Vergrösserung der Fremdenkolonien, die laut unserer Feststellung für die Jahre 1900 bis 1910 jährlich 16,859 Personen betrug, zu verhindern. Als Resultat dieser Einbürgerungspolitik konstatieren wir, auf welche Weise wir auch die Berechnung anstellen mögen, einen jährlichen Überschuss der neu hinzu kommenden Ausländer gegenüber den neu Eingebürgerten von über 10,000 Seelen: nämlich von 13,401 Seelen pro Jahr, wenn man auf den Durchschnitt der Einbürgerungen von 1901 bis 1910 abstellt, oder von 12,055 Seelen, wenn man die Rechnung auf den Einbürgerungsdurchschnitt der Jahre 1911, 1912 und 1913 basiert.

Die in unserer Botschaft vom 28. Juni 1919 veröffentlichte Statistik der Einbürgerungen während der vier Jahre 1915 bis 1918 ergibt insgesamt 13,303 Einbürgerungen oder, die miteingebürgerten Familienglieder eingerechnet, 37,102 eingebürgerte

22 Personen, d. i. durchschnittlich 3326 Einbürgerungsfälle und 9275 eingebürgerte Personen pro Jahr. Wir halten diese Durchschnittszahl, welche das hohe Verhältnis von jährlich 179 eingebürgerten Personen auf je 10,000 Ausländer ergibt, als Höcbstziffer, die unter der Herrschaft der gegenwärtigen Gesetzesbestimmungen nicht wird überschritten werden können. Aber auch diese Zahl ist ungenügend, denn wir sollten darüber hinaus jährlich noch mehr als 7000 Ausländer assimilieren, um nur zu verhindern, dass der Grundstock von einer halben Million Ausländer in der Schweiz sich nicht noch vergrössere.

Diese so wenig befriedigenden Ergebnisse unserer Einbürgerungspolitik sind im wesentlichen auf drei Ursachen zurückzuführen.

Die erste besteht in der grossen Anzahl derjenigen Ausländer, welche ausserhalb der Schweiz geboren sind und seit weniger als zehn Jahren in unserm Lande wohnen. Die Zahl derselben betrug am 1. Dezember 1910 256,555, d. i. beinahe die Hälfte der Gesamtzahl der Eingewanderten. Es ist anzunehmen, dass diese Personen noch nicht assimiliert sind ; aus diesem Grunde erklärt sich ihre geringe Geneigtheit, sich in unserm Lande einbürgern zu lassen. Um so unbegreiflicher erscheint dagegen die, Zurückhaltung der zwei andern Kategorien von Ausländern, nämlich der 194,005 in der Schweiz Geborenen und der 101,451 Personen, welche seit mehr als zehn Jahren in unserm Lande niedergelassen sind.

Die zweite Ursache liegt in der sehr liberalen Regelung der Niederlassungsverhältnisse für die Ausländer in der Schweiz. Zu der Zeit, da die Einwanderung am stärksten war, lebten 99 °/o der in unserm Lande ansässigen Ausländer unter einem Vertragsregime ; die Schweiz war 23 Staaten gegenüber durch Niederlassungsverträge gebunden, und von den Angehörigen europäischer Staaten konnten nur die Bulgaren, Luxemburger, Monagasken, Montenegriner, Portugiesen, Schweden und Türken -- alles Angehörige von Staaten, deren Kolonien in der Schweiz immer unbedeutend waren -- sich nicht auf ein solches vertragliches Niederlassungsrecht berufen, während dieselben jedoch tatsächlich die gleichen Rechte genossen wie die Angehörigen der Vertragsstaaten. Diese Niederlassungsverträge sichern den Eingewanderten eine rechtliche Stellung zu, die derjenigen der ausserhalb ihres Heimatkantons niedergelassenen SchweizerbUrger nahezu gleichkommt. Überdies sind die Ausländer in zweifacher Beziehung vor den Schweizerbürgern im Vorteil ; sie sind sowohl von der Leistung

23 ·des Militärdienstes als auch von der Bezahlung der Militärpflicht«rsatzsteuer befreit und geniessen weiterhin in einem grossen Teil der Kantone gewisse Vorrechte fiskalischer Natur : Befreiung von der Gemeindearmensteuer in einer grossen Zahl der deutschschweizerischen Kantone oder besondere Steuerimmunitäten für gewisse Kategorien von Eingewanderten, so in den Kantonen Basel, Genf, Waadt, Neuenburg und Obwalden. Die Einbürgerung verbessert demnach die Lage des Ausländers nur in geringem Masse ; auf der andern Seite beraubt sie ihn beträchtlicher Vorteile.

Die dritte Ursache liegt unbestreitbar in unserer veralteten "Gesetzgebung über die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts.

Niemals verfügte tatsächlich ein Staat über unzulänglichere gesetzgeberische Mittel, um einer fremden Invasion entgegenzutreten, welche notwendigerweise einen bedrohlichen Charakter annehmen musste. Die Eidgenossenschaft besitzt nicht die Möglichkeit, die Einbürgerung der Ausländer zu fördern; sie kann dieselbe nur verhindern.

Bei der Promulgation des ersten eidgenössischen Einbürgerungsgesetzes vom 3. Juli 1876 wurde eine Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen vorgenommen, in der Absicht, die Fälle von Doppelbürgerrecht und die internationalen Streitigkeiten, welche daraus entstehen, nach Möglichkeit zu vermeiden; der Bundesrat wurde angewiesen, die Beziehungen des Kandidaten zu seinem Heimatstaate und das Vorhandensein der gesetzlichen Domizil requisite zu prüfen. Bei den Vorbereitungsarbeiten zum Bundesgesetz vom 25. Juni 1903 hingegen, das gegenwärtig in Kraft ist, ging man bereits von dem Gedanken aus, dass die Einbürgerung erleichtert werden müsse, da schon ·damals die Gefahr der Masseneinwanderung in bedrohlicher Weise 'in die Erscheinung trat.

In Ausführung eines vom Nationalrat am 9. Dezember 1898 angenommenen Postulates Curti, laut welchem die Mittel und Wege zu einer Erleichterung der Einbürgerung der Ausländer geprüft werden sollten, richtete der Bundesrat den 28. März 1899 ein Kreisschreiben an die Kantonsregierungen, mit welchem er ihnen die Frage vorlegte, ob ihnen ein Vorgehen nach dieser Richtung wünschenswert erscheine. Die Kantonsregierungen bekundeten in ihrer Mehrzahl eine auffallende Gleichgültigkeit. Nur sechs Kantone, nämlich Zürich, Basel-Stadt, Schaff hausen, St. Gallen, Tessin
und Genf, bejahten die gestellte Frage. Für die ablehnende Haltung der übrigen Kantone mag als Erklärung gelten, dass sie flaut den Ergebnissen der Volkszählung von 1888 noch nicht mit

24

einem beunruhigenden Prozentsatz der Ausländer zu rechnen hatten (immerhin betrugen die Ausländer im Kanton Neuenburg bereits 9,i °/0 der Bevölkerung).

Der eidgenössische Gesetzgeber befürchtete einen ernstlichen Widerstand im Volke und ein ungünstiges Abstimmungsergebnis, weshalb er es vermied, eine Verfassungsrevision zu veranlassen, welche der Eidgenossenschaft das Recht zur Einführung der Einbürgerung kraft Gebietshoheit (jus soli) zugesprochen hätte. Bei Ausschaltung dieser gesetzgeberischen Neuerung, durch welche allein die Überfremdung wirksam bekämpft worden wäre, konnten nur noch Massuahmeu von ungenügender Wirksamkeit in Frage kommen. Das Gesetz vom 25. Juni 1903 brachte denn auch nur für Einzelfragen Abänderungen von den Bestimmungen des frühern Gesetzes von 1876. Immerhin enthält dieses Gesetz einen Ansatz zur Einführung der Einbürgerung kraft Gebietshoheit, indem es unter Respektierung der Souveränität der Kantone diesen das Recht einräumt, ,,auf dem Wege der Gesetzgebung zu bestimmen, dass die im Kanton gebornen Kinder von im Kanton wohnenden Ausländern von Gesetzes wegen und ohne dass eine Bewilligung des Bundesrates erforderlich wäre, Kantons- und damit Schweizerbürger sind : ,,a. wenn die Mutter schweizerischer Herkunft ist, oder ,,ö. wenn die Eltern zur Zeit der Geburt des Kindes wenigsten» fünf Jahre ununterbrochen im Kanton gewohnt haben."

Auf Antrag der Mehrheit der nationalrätlichen Vorberatungskommission wurde den Kantonen die Pflicht überbunden, bei Einführung dieser Einbürgerung kraft Gebietshoheit das Optionsrecht vorzubehalten, welches im bundesrätlichen Vorentwurf nicht vorgesehen war. Dem Bundesrat und den Kantonen steht das Recht zu, eine solche Einbürgerung kraft Gebietshoheit jederzeit für nichtig zu erklären, wenn sie auf betrügerische Weise erlangt worden ist.

Der eidgenössische Gesetzgeber hatte, wie aus den Verhandlungen der Bundesversammlung hervorgeht, die Absicht, mit diesem Gesetze einen Übergangszustand zu schaffen, während dessen die Kantone Erfahrungen sammeln könnten bezüglich der Wirkung der Zwangseinbürgerung, um sodann, wenn die zahlenmässigen Ergebnisse dieses Assimilierungsmodus sich als ungenügend erweisen würden, den neuen Grundsatz noch weiter auszubauen.

Das Gesetz von 1903 gestattete also den Kantonen, der Tatsache der Geburt auf ihrem Territorium eine Rechtswirkung zuzuerkennen, welche sie vorher niemals gehabt hatte : die direkte

2& Verleihung des Schweizerbürgerrechts. Aber das Bundesgesetz verpflichtete die Kantone nicht zur Einführung des jus soli, auch war den Kantonen die Möglichkeit eingeräumt, von den beiden Voraussetzungen (a und V) für Erwerbung des Schweizerbürgerrechts kraft Gebietshoheit nur die eine einzuführen und die andere abzulehnen. Ferner konnten die Kantone die Einbürgerung kraft Gebietshoheit an strengere Bedingungen knüpfen als die im Bundesgesetz vorgesehenen, z. B. von den Eltern ein zehnjähriges Domizil verlangen. Dagegen war es ihnen nicht gestattet, diese Bedingungen zu erleichtern; die Bundesgesetzgebung hatte ein Mindestmass von Bedingungen vorgeschrieben, auf deren Erfüllung /u verzichten den Kantonen nicht erlaubt sein sollte. Damit war dem Gesetze für seine Anwendung eine gewisse Anpassungsfähigkeit verliehen ; es sollte auf diese Weise jedem Kanton die Möglichkeit gewährt werden, die zu befolgende Einbürgerungspolitik nach seinem besondern Bedürfnis zu richten, angesichts des Uinstandes, dass die Frequenz der ausländischen Bevölkerung je nach den Landesteilen beträchtlich variiert (von 10 °/o bis über 4O°/o der Gesamtbevölkerung).

Allein die Erfahrungen, welche mit dem Bundesgesetz vom 25. Juni 1903 gemacht worden sind, beweisen unwiderlegbar, dass es ein Irrtum war, die Lösung der Fremdenfrage den Kantonen zu überlassen. Der Art. 5 erfüllte die Erwartungen des eidgenössischen Gesetzgebers nicht; kein Kanton hat von dem ihm zustehenden Rechte zur Einführung der Einbürgerung krai't Gebietshoheit (Zwangseinbürgerung) Gebrauch gemacht. Diese Gesetzesbestimmung ist zufolge der Gleichgültigkeit der Kantone toter Buchstabe geblieben. Zurzeit erwerben ausschliesslich die Findelkinder durch Geburt auf Schweizerboden unsere Staatsangehörigkeit (Art. 23 des Bundesgesetzes vom 3. De/ember 1850 betreffend die Heimatlosigkeit).

Nur die Kantone Genf und Tessin haben den Versuch gemacht, ihre Gesetzgebung mit den Absichten des eidgenössischen Gesetzgebers von 1903 in Einklang zu bringen.

Art. 3 des Gesetzes vom 26. Oktober 1905 über die Erwerbung des G e n f e r Bürgerrechts gab dem im Kanton Genf gobornen Ausländer das Recht, ohne vorgängige bundesrätliche Bewilligung n a c h Z u r ü c k l e g u n g d e s V o l l j ä h r i g k e i t s a l t e r s das Bürgerrecht des Kantons Genf .und der Gemeinde,
in welcher er geboren wurde, zu verlangen, wenn 1. seine Mutter ursprünglich Schweizerin war oder 2. seine Eltern im Zeitpunkte seiner Geburt seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen im Kanton

26 wohnhaft waren. Allein die Bundesbehörden konnten dieser kantonalen Gesetzesvorschrift die gemäss Art. 14 des ßundesgesetzes vom 25. Juni 1903 erforderliche Genehmigung nicht erteilen ; denn indem der eidgenössische Gesetzgeber den Kantonen das Recht verliehen hat, die Einbürgerung kraft Gebietshoheit unter Optionsvorbehalt und Wegfall der bundesrätlichen Bewilligung einzuführen, wollte er nicht diejenigen Ausländer von dem Erfordernis der bundesrätlichen Bewilligung befreien, welche bis zu ihrer Volljährigkeit Ausländer geblieben sind und das Schweizerbürgerrecht nicht von Geburt an besitzen. Durch ein ergänzendes Gesetz vom 9. Oktober 1909 hat sodann der genferiseho Gesetzgeber für die in Frage kommenden Einbürgerungskandidaten die Notwendigkeit der bundesrätlichen Bewilligung ausdrücklich anerkannt.

Im Kanton T e s s i n war durch ein Gesetz vom 19. November 1907 (Art. 6 und 7) dem auf tessinischem Boden gebornen Ausländerkinde das Recht eingeräumt worden, das tessinische Kantonsbürgerrecht ohne bundesrätliche Bewilligung zu e r w e r b e n , wenn die Mutter schweizerischer Herkunft war oder im Zeitpunkte der Geburt des Kindes die Eltern seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen im Kanton ansässig waren. Wie dies schon bei dem vorerwähnten Genfer Gesetz von 1905 der Fall gewesen war, erklärte der Bundesrat auch hier, dass die betreffenden Gesetzesartikel dem Art. 5 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 nicht entsprächen und daher nicht genehmigt werden könnten.

Aus einer Umfrage, welche von den Bundesbehörden bei den an der Ausländerfrage in erster Linie interessierten Kantonen durchgeführt wurde, ergibt sieh, dass der Grund, aus welchem der Versuch einer Einführung der Zwangseinbürgerung unterblieben ist, hauptsächlich in dem Bedenken vor Anständen internationaler Natur zu suchen ist.

Im Kanton G e n f glaubte der Gesetzgeber, die Einbürgerung jure soli nicht einführen zu sollen mit Rücksicht auf Art. 6 des Bundesgesetzes von 1903, laut welchem Doppelbürger gegenüber ihrem zweiten Heimatstaate, solange sie dort wohnen, auf schweizerischen Schutz nicht -Anspruch machen können. Man nahm an, dass die zahlreichen in Genf niedergelassenen französischen Staatsangehörigen, welche zufolge ihrer Geburt auf Genferboden Schweizer geworden wären, nicht ermangeln würden, das Schweizerbürgerrecht
auszuschlagen und für Frankreich zu optieren, um die Nachteile des Doppelbürgerrechts zu vermeiden.

Die Regierung des Kantons B a s e l - S t a d t führte aus, es empfehle sich nicht, das Basler Gesetz von 1902 abzuändern, welches

27 vor dem eidgenössischen Gesetze von 1903 in Kraft getreten war.

Zunächst müssten wenigstens die praktischen Ergebnisse des Basler Gesetzes abgewartet werden. Die Regierung fügte bei, -die Einführung der Einbürgerung kraft Gebietshoheit würde eine beträchtliche Vermehrung der Doppelbürgerrechtsfälle nach sich ziehen; es sei Sache der Eidgenossenschaft und nicht der Kantone, eine in ihren Folgen so schwerwiegende, neue Einbürgerungspolitik anzubahnen und deren nachteiligen Wirkungen auf internationalem Gebiete vorzubeugen.

Einer der wichtigsten Gründe, welche die Kantone veranlasst haben, auf die Einführung der besprochenen Neuerung zu verzichten, war die Besorgnis, es möchte die Einbürgerung jure soli die öffentlichen Armenlasten vermehren. Da die Anwendung des Art. 5 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 die Zahl der Neubürger beträchtlich vermehrt hätte, befürchtete man, die Vermehrung der daraus resultierenden Gemeindeeinnahmen würde mit der Vermehrung der unterstützungsbedürftigen Personen nicht Schritt halten.

Endlich nahmen auch die Kantone daran Anstoss, dass durch ·die Institution der Zwangseinbürgerung den Ausländerkindern ein Eecht eingeräumt werde, das den ausserhalb ihres Heimatkantons niedergelassenen Schweizerbürgern nicht zusteht. Dieser Erwägung darf offenbar kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden, wo es sich darum handelt, einer nationalen Gefahr zu begegnen. Dass die Frage der Einbürgerung der kantonsfremden Schweizerbürger auch ihrerseits ein wichtiges Problem darstellt, kann nicht verkannt werden; laut der Statistik des Jahres 1910 waren damals 761,509 Schweizer ausserhalb ihres Heimatkantons wohnhaft.

"Wollte man aber die beiden Probleme der Ausländerfrage und der Einbürgerung der kantonsfremden Schweizerbürger verknüpfen, so würde man weder für das eine noch für das andere eine befriedigende Lösung finden. Die Regelung der interkantonalen Einbürgerung müsste notwendigerweise mit einer Neuregelung der ganzen interkantonalen Armenpflege Hand in Hand gehen, und die Bewältigung dieser Aufgabe kann Jahrzehute in Anspruch nehmen. Die .Fremdenfrage erträgt keinen so langen Aufschub, da sonst ihre Lösung überhaupt nicht mehr möglich sein würde, sofern die Einwanderung im gleichen Verhältnis wie bisher andauert.

Die Armenfürsorge für die zwangsweise eingebürgerten Ausländer kann, 'wie wir unten darlegen werden, ihre Regelung

28 finden, ohne dass eine solch fundamentale Umgestaltung des gegenwärtigen Systems der Armenpflege notwendig würde. Die gegen die Überfremdung zu ergreifenden Massnahmen dürfen nicht vom Versuch der Vereinheitlichung auf armenrechtlichem Gebiete abhängig gemacht werden, denn der Erfolg dieses Versuchs ist ungewiss und liegt noch fern, da es sich um die Umgestaltung von armenrechtlichen Institutionen handelt, welche durch die Tradition mehrerer Jahrhunderte eingewurzelt sind.

Die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts blieb somit im wesentlichen weiterhin geregelt durch die meist veralteten kantonalen Gesetzesbestimmungen; denn die bundesrätliche Bewilligungsurkunde ist nichts anderes als eine Art Diplom, welches bezeugt, dass der betreffende Kandidat die Voraussetzungen zur Aufnahme ins Schwei/erbürgerrecht erfüllt, wobei es aber den Kantonen und Gemeinden freisteht, ihm ihr Bürgerrecht zu erteilen oder zu verweigern. Die bundesrätliche Bewilligung hat an sich nicht die Wirkung, dass dem Ausländer ein Recht auf Einbürgerung erwächst, es wäre denn, dass eine kantonale Gesetzgebung ihr diese Rechtswirkung zuerkennt.

Der Bewerber hat sich in jedem Falle einem längern Verfahren in Kanton und Gemeinde zu unterziehen, denn die Kantone und Gemeinden können die Einbürgerung von Ausländern an beliebige Bedingungen knüpfen ; auch nötigt keine eidgenössische Vorschrift den Kandidaten, sich in seinem Wohnkanton oder in seiner Wohngemeinde einbürgern zu lassen.

Das grösste Hindernis zur Einbürgerung bilden die hohen Gebühren, welche die Potenten zu entrichten haben; die kantonalen Taxen variieren von der gänzlichen Unentgeltlichkeit bis zu Fr. 3000; die Gemeindegebühren betragen Fr. 50 bis 3000 da, wo das Gesetz die Höhe derselben festsetzt. In zwölf Kantonen ist die Festsetzung der Taxe für die Aufnahme ins Gemeindebürgerrecht dem freien Ermessen der Gemeinden anheimgestellt.

Von 1909 bis 1913 haben die Kantone und Gemeinden 6723 Einbürgerungen vorgenommen und dafür an Gebühren einen Gesamtbetrag von Fr. 2,791,885 erhoben, was auf den einzelnen Fall einen Durchschnitt von Fr. 415 ausmacht. Von dieser Summe haben die Kantone Fr. 719,186, das ist pro Fall Fr. 107, und die Gemeinden Fr. 2,072,699, das ist pro Fall Fr. 308, eingenommen.

Für das Jahr 1914 existiert eine bezügliche Statistik nicht. Für die Zeit von 1915 bis 1917 betrug die von den Kantonen und Gemeinden eingenommene Summe Fr. 5,517,258 oder Fr. 587

29 pro Fall, wovon die Kantone Fr. 1,363,651, dies ist Fr. 145 pro Fall, und die Gemeinden Fr. 4,153,607, dies ist Fr. 442 pro Fall, einnahmen. Erwähnenswert ist, dass der Kanton Basel-Stadt, welcher die meisten Einbürgerungen aufweist (jährlich 157 °/oo), keine kantonale Gebühr erhebt, und dass dieser Kanton in weitherziger Weise auch die unentgeltliche Aufnahme der Ausländer ins Gemeindebürgerrecht zulässt. Diese unentgeltliche Aufnahme treffen wir auch in den Kantonen Genf und Zürich, wo ebenfalls die Verhältniszahlen der jährlichen Einbürgerungen zu den höchsten in der Schweiz gehören (87 %o für Genf und 69 %o für Zürich).

Es ergibt sich daraus, dass die obigen Durchschnittszahlen zu tief gegriffen sind, sofern man ausschliesslich die Einbürgerungen g e g e n E n t g e l t in Betracht zieht. Tatsächlich verleihen die Kantone 36,s °/o, die Gemeinden 29,? °/o der Einbürgerungen unentgeltlich. Die Kantone fordern selten Taxen von über Fr. 500; dies ist nur in l,? °/o der Einbürgerungen der Fall; bei den Gemeinden sind hingegen die Gebühren über Fr. 500 nicht selten ; ungefähr 20 °/o der Bewerber werden davon betroffen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Höhe der Taxen, welche von 1909 bis 1913 bezahlt worden sind: Kantone Gemeinden Taxen % °/o ' % % der Fälle der Personen der Fälle der Personen unentgeltlich . . . .

31, s 41,2 36,8 Fr. l-- 100 . . .

ll,i 29,7 28,5 16,!

,, 101-- 2 0 0 . . . 13,4 14,8 ,, 201-- 5 0 0 . . . 26,7 15,7 14,i ., 501--1000 . . .

11,7 ,, 1001--2000 . . .

4,7 ,, 2001 und darüber .

0,6 Es haben verschiedene Kantone besondere Schritte unternommen, um die Assimilierung der Fremden zu erleichtern, hingegen gelang es einzig den Massnahmeu von B a s e l - S t a d t , die Überfremdung aufzuhalten. Das dortige Bürgerrechtsgesetz vom 19. Juni 1902 berechtigt denjenigen Ausländer, welcher höchstens 45 Jahre alt und zum mindesten 15 Jahre im Kanton niedergelassen ist, seine unentgeltliche Einbürgerung in derjenigen Gemeinde zu verlangen, in der er seit einem Jahre wohnt. Ist der Eingewanderte nur seil 12 Jahren im Kanton niedergelassen, so hat er zwar nicht das Recht, seine Einbürgerung zu verlangen, hingegen ist die Gemeinde, wo er. seit wenigstens einem Jahr wohnt, berechtigt, ihn unentgeltlich ins Bürgerrecht aufzunehmen. Ist der Ausländer noch nicht 12 Jahre im Kanton niedergelassen, so beträgt die

l,'

30

Einbürgerungsgebühr Fr. 800. Dieselbe wird auf die Hälfte herabgesetzt, wenn der Gesuchsteller eine Kantonsangehörige geheiratet hat oder während der vier, seinem Gesuch unmittelbar vorangehenden Jahre im Kanton niedergelassen war. Die Gebühr wird auf ein Viertel herabgesetzt, wenn diese beiden Voraussetzungen zusammentreffen, oder wenn der Gesuchsteller bereits seit acht Jahren im Kanton niedergelassen ist. Die Wirkung dieser Massnahmen war nachhaltig genug, um eine leichte Verminderung der Ausländerzahl auf einem der am meisten ausgesetzten Punkte der Schweiz zu bewirken : seit dem Inkrafttreten des baslerischen Gesetzes ist dort der jährliche Durchschnitt der Eingebürgerten von 161 Fällen mit 509 Personen auf 298 Fälle mit 879 Personen gestiegen. Der Prozentsatz an fremder Bevölkerung ist von 38,ic °/o im Jahre 1900, auf 37,6 % im Jahre 1910 gefallen.

G e n f hat die umgekehrte Erfahrung gemacht, indem es die den Gemeindebehörden zu bezahlenden Gebühren durch Gesetz vom 21. Oktober 1905 auf Fr. 100 bis Fr. 2000 hinaufsetzte, währenddem sie vorher Fr. 50 bis Fr. 1000 betrugen. Der jährliche Durchschnitt der Einbürgerungen fiel alsdann von 206 Fällen mit 597 Personen auf 196 Fälle mit 527 Personen.

Neuerungen auf dem Gebiete der Bürgerrechtsgesetzgebung, welche in jüngerer Zeit von den Kantonen Zürich, Bern, Glarus, Solothurn, Aargau und Tessin eingeführt worden sind, gehen von der Absicht aus, den im Inlande geborenen Ausländern eine Vorzugsstellung einzuräumen, indem denselben entweder gänzliche Befreiung von der Entrichtung der Taxen oder wesentliche Herabsetzung der Gebühren zugebilligt wird ; auch ist für diese Kategorie von Bewerbern in einzelnen Gesetzgebungen ein vereinfachtes Einbürgerungsverfahren vorgesehen, oder es werden diese Kandidaten von der Erfüllung gewisser Bedingungen, die für die übrigen Bewerber aufgestellt sind, befreit. Ferner wird auch die Einbürgerung solcher Ausländer, welche schon lange in der Schweiz ihren Wohnsitz haben oder sonst offensichtlich assimiliert sind, erleichtert durch Reduktion der Gebühren oder Befreiung von der Erfüllung gewisser Bedingungen, die für die übrigen Bewerber aufgestellt sind.

Das Recht auf Einbürgerung, welches einige Kantone gewissen Kategorien von Eingewanderten zuerkannt haben, ist nirgends wieder abgeschafft worden; diese Neuerung
hat auch in dem luzernischen Entwurf eines Bürgerrechtsgesetzes vom 13. April 1918 Eingang gefunden.

Dagegen haben weder vor noch nach Kriegsausbruch die Kantone von Art. 5 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 Ge-

31 brauch gemacht, um den auf ihrem Gebiete geborenen Ausländern das Bürgerrecht von Gesetzes wegen (jure soli) zu verleihen.

Angesichts dieser Tatsache müssen die bisher von den Kantonen getroffenen Vorkehren zur Hebung der Überfremdung als schlechthin ungenügend bezeichnet werden.

V.

Notwendigkeit einer Verfassungsrevision.

Zur Herbeiführung eines normalern Verhältnisses zwischen1 der einheimischen und der ausländischen Bevölkerung darf die Schweiz nicht zögern, alle Mittel anzuwenden : neben den hauptsächlichen auch die nebensächlichen, keines ist auszuschalten.

Diese Mittel sind zweierlei Art: die einen sollen vorbeugend wirken, indem sie die Einwanderung eindämmen ; die andern haben den Zweck, auf die in der Schweiz bereits ansässige fremde Bevölkerung einzuwirken und aus dem Eingewanderten einen Einheimischen zu machen. Damit diese Assimilationspolitik mit Erfolg durchgeführt werden kann, muss gleichzeitig dahin getrachtet werden, die Niederlassung allzu zahlreicher Ausländer in unserm Lande einzuschränken. Eine diplomatische Aktion zur Revision der internationalen Niederlassungsbedingungen wird demnach Hand in Hand gehen müssen mit der gesetzgeberischen Tätigkeit, welche das Einbürgerungsrecht neu gestalten soll.

Diese diplomatische Aktion hat bereits begonnen, indem Frankreich den Anfang gemacht und am 10. September 1918 den mit der Schweiz abgeschlossenen Niederlassungsvertrag vom 23. Februar 1882 gekündigt hat; am 10. April 1919 wurden durch uns die Verträge mit Deutschland vom 13. November 1909 und vom 31. Oktober 1910 und gleichzeitig auch der Niederlassungsvertrag mit' Italien vom 22. Juli 1868 gekündigt. Die Grundsätze, nach denen künftig die Niederlassung der Ausländer zu regeln sein wird, werden einer gründlichen Prüfung seitens aller beteiligten Departemente unterzogen werden und können daher nicht den Gegenstand einer Besprechung in der gegenwärtigen Botschaft bilden.

Die Anbahnung einer strengeren Praxis in unserer Niederlassungspolitik dürfte wohl in dreifacher Beziehung wirken: zunächst würde die Einwanderung zurückgehen ; der zweite, noch wichtigere Vorteil würde darin bestehen, dass die in unserm Lande befindlichen Fremdenkolonien sorgfältiger von zweifelhaften Elementen gesäubert würden ; als dritte Folge schliesslich dürfte

32 sich ergeben, dass die Abwanderung der Schweizer nach dem Auslande zurückgehen wird.

Diese Abwanderung ist unverhältnismässig hoch ; über 5000 Einheimische verlassen jährlich das Land, während gleichzeitig durchschnittlich 17,000 Ausländer neu einziehen. Unter solchen Verhältnissen bedeutet eine. Einschränkung der Auswanderung zugleich eine Fernhaltung von Einwanderern.

Die Umgestaltung der Niederlassungsverhältnisse wird allein nicht genügen, um die Gefahr der Überfremdung abzuwenden, denn es kann sich nicht darum handeln, unsere Grenzen hermetisch zu schliessen ; doch erscheint sie unentbehrlich zur Ergänzung der legislativen Massnahmen, die wir auf dem Gebiete des Einbürgerungswesens in Aussicht nehmen.

Diese gesetzgeberische Tätigkeit wird sich in zwei Etappen zu vollziehen haben ; die erste besteht in der Revision von Art. 44 der Bundesverfassung, durch welche die Kompetenzen der Eidgenossenschaft auf dem Gebiete der Bürgerrechtsgesetzgebung erweitert werden müssen ; in zweiter Linie kommt sodann die vollständige Revision des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 betreffend die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe. Diese Revision wird den Zweck verfolgen, in das Gesetz diejenigen Reformen aufzunehmen, welche notwendig sind, um die Überfremdung, unter welcher die Schweiz leidet, wirksam zu bekämpfen. Nur die erste dieser beiden Reformen, die Revision des Verfassungsartikels, bildet den Gegenstand der gegenwärtigen Botschaft.

Art. 44 der Bundesverfassung hat folgenden Wortlaut: ,,Kein Kanton darf einen Kantonsbürger aus seinem Gebiete -verbannen (verweisen) oder ihn des Bürgerrechts verlustig erklären.

,,Die Bedingungen für die Erteilung des Bürgerrechtes an Ausländer, sowie diejenigen, unter welchen ein Schweizer zum Zwecke der Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechtes auf sein Bürgerrecht verzichten kann, werden durch die Bundesgesetzgebung geordnet."

Dieser Verfassungstext ist von den eidgenössischen Räten zu wiederholten Malen restriktiv interpretiert worden ; es wurde stets die Auffassung vertreten, dass Art. 44 der Eidgenossenschaft bloss ein Kontrollrecht verleiht, welches sich einerseits auf die .Naturalisationen im technischen Sinne des Wortes erstreckt, zur Verhütung von Missbräuchen, anderseits auf die Entlassung aus

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dem Schweizerbürgerrecht, damit einer jeden Person das Recht gewahrt bleibe, ihre Staatsangehörigkeit zu ändern. Der Verfassungsartikel berührt in keiner Weise die interkantonale Einbürgerung.

Die Naturalisation eines Ausländers in unserm Lande geht in zwei Etappen vor sich; in erster Linie handelt es sich für den Bewerber darum, sich der Beziehungen zu seinem bisherigen Heimatstaate zu entledigen und die Zulassung zur Einbürgerung zu erlangen ; dieser Schritt des Petenten berührt das Gebiet des internationalen Rechts. Sodann kommt die Bewerbung um ein Kantons- und Gemeindebürgerrecht, was ausschliesslich von innerpolitischer Bedeutung ist. Dieser Zweiteilung des Einbürgerungsaktes entsprechend sind die Kompetenzen verteilt worden.

Durch die Bundesgesetze von 1876 und 1903, welche der Eidgenossenschaft das Kontrollrecht in Einbürgerungssachen verliehen haben, wurde dem Bunde die Prüfung der internationalen Rechtsverhältnisse der Einbürgerungskandidaten übertragen; auch hat ihm das Gesetz von 1903 das Recht vorbehalten, die Genehmigung allfälliger kantonaler Gesetze über die Zwangseinbürgerung auszusprechen. Den Kantonen und -Gemeinden blieb es vorbehalten, dem Ausländer ihr Bürgerrecht zu erteilen oder zu verweigern.

Eine einzige Ausnahme wurde, aus Billigkeitsgründen, bei der Aufstellung dieser Grundsätze zugelassen : die Eidgenossenschaft erhielt die Kompetenz, die Wiederaufnahme gewisser Kategorien von Personen in ihr ehemaliges Kantons- und Gemeindebürgerrecht direkt zu verfügen ; es betrifft dies Personen schweizerischer Herkunft, welche, sei es durch Heirat oder durch Verzicht auf ihr Bürgerrecht, Ausländer geworden sind.

Auch die Regelung des Verlustes des Schweizerbürgerrechtes wurde der Kompetenz der Kantone entzogen, um das persönliche Recht auf Entlassung aus dem Staatsverbande zu gewährleisten, das von einigen Kantonen bestritten war. Die Bundesverfassung von 1874, sowie die Bundesgesetze von 1876 und 1903 haben dem Bürger das Recht gegeben, das Band der Staatszugehörigkeit zu lösen, während dagegen den staatlichen Behörden eine einseitige Aberkennung des Bürgerrechts nicht zusteht.

Die abgeleitete Art der Erwerbung des Schweizerbürgerrechts durch Heirat bildet den Gegenstand einer besondern Bestimmung der Bundesverfassung (Art. 54, Absatz 4) ; auch diese Erwerbsart untersteht der
Bundesgesetzgebung. Durch das schweizerische Zivilgesetzbuch (Art. 263, 270, 324 und 325) ist sodann die ursprüngliche Erwerbung des Schweizerbürgerrechts im Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

3

34

Wege der ehelichen und ausserehelichen Abstammung und der Legitimation geregelt worden.

Nichtsdestoweniger sind die Kompetenzen der Kantone und Gemeinden immer noch von grosser Bedeutung: sie bestimmen die Bedingungen der Einbürgerung der Ausländer und der niedergelassenen Schweizerbürger ; sie sind zuständig, auf Grund von Art. 5 des Bundesgesetzes von 1903 die Einbürgerung von Geburts wegen (Zwangseinbürgerung) einzuführen, und sie verfügen im weitern, ob durch die Adoption der Adoptierte das Bürgerrecht des Adoptierenden erwerbe (da durch das schweizerische Zivilgesetzbuch diese Frage nicht entschieden ist).

Die Eidgenossenschaft findet demnach in ihrem gesetzgeberischen Rüstzeug die geeigneten Waffen zur Bekämpfung der Überfremdung nicht vor. Sie hat nicht die Kompetenz, die Einbürgerung kraft Gebietshoheit (jure soli, Zwangseinbürgerung) in unsere Gesetzgebung aufzunehmen, da die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit infolge der Geburt auf Schweizerboden nicht unter Art. 44 der Bundesverfassung fällt. Es ist ein wesentlicher Unterschied zu machen zwischen der Einbürgerung auf Grund der Geburt (jure soli) und der obligatorischen (ex lege) Naturalisation als Folge der blossen Niederlassung; die erstere verleiht der betreffenden Person schon bei der Geburt das Bürgerrecht des Geburtslandes, und der so aufgenommene Neubürger ist daher, vom Standpunkte des aufnehmenden Staates aus, nie Ausländer gewesen ; es handelt sich demnach hier um eine ursprüngliche Art der Erwerbung des Bürgerrechts, analog derjenigen durch Abstammung. Im Gegensatz hierzu ist die Naturalisation eine abgeleitete Art der Bürgerrechtserwerbung: die Naturalisierten sind bis zum Zeitpunkte der Bürgerrechtserteilung Ausländer.

Die obligatorische Naturalisation besteht demnach darin, das» einer Person, welche schon eine andere Staatsangehörigkeit besitzt, eine neue Nationalität zwangsweise verliehen wird.

Die Eidgenossenschaft hat nicht einmal die nötigen Kompetenzen, um die Eiubürgerungen zu erleichtern ; sie kann letztere nur verhindern. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement wollte im Jahre 1900 den Art. 44 der Bundesverfassung buchstäblich, statt seiner historischen Entstehung nach, interpretieren und für die Eidgenossenschaft das Recht beanspruchen, alle Bedingungen für die Erwerbung und den Verlust des
Schweizerbürgerrechts festzusetzen. Das Departement stellte sich auf den Standpunkt, das eidgenössische Recht könne alle Voraussetzungen bestimmen, unter welchen einer Person ohne ihr eigenes Zutun

35 das Schweizerbürgerrecht zuzuerkennen sei, wie dies bezüglich der bürgerrechtlichen Polgen der Eheschliessung, sowie der Anerkennung und Legitimation ausserehelicher Kinder bereits der Fall ist; hiervon ausgehend, vertrat das Departement die Auffassung, dass es verfassungsgemäss wäre, ein Bundesgesetz zu erlassen, welches alle analogen Fälle von Erwerbung der Staatsangehörigkeit, worunter besonders auch die Einbürgerung kraft Geburt auf Schweizerboden regeln würde. Diese Argumentation fand nicht die Billigung des Bundesrates, und im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen über das Bundesgesetz vom 25. Juni 1903 gab der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements jenen Standpunkt auf. Auch die Bundesversammlung stellte sich auf den Standpunkt, dass es der Eidgenossenschaft nicht zustehe, die Bedingungen festzusetzen, unter welchen die Kantone den Ausländern ihr Bürgerrecht erteilen sollen; die Frage ist somit auf dem Boden des gegenwärtigen Textes von Art. 44 der Bundesverfassung unzweifelhaft zugunsten der Kompetenz der Kantone entschieden.

Zur wirksamen Bekämpfung der Überfremdung ist daher eine Verfassungsrevision unvermeidlich. Ohne diese Revision würde dem eidgenössischen Gesetzgeber nichts anderes übrigbleiben, als den Ausbau des Einbürgerungswesens samt der Institution der Einbürgerung kraft Geburt den Kantonen zu überlassen, womit nur den Kantonen ein Recht zuerkannt würde,, das sie seit 1903 besessen und von welchem sie keinen Gebrauch gemacht haben. Eine so beschränkte Tätigkeit des Gesetzgebers würde niemals zum Ziele führen; die vorliegenden Erfahrungstatsachen erhärten dies. Es geht nicht an, den Kantonen die Durchführung einer Reform zu überlassen, deren Notwendigkeit sich aus einem Zustande ergibt, unter welchem die Eidgenossenschaft in ihrer Gesamtheit leidet. Sonst würde jeder Kanton bloss die aus seiner besondern Lage sich ergebenden Massnahmen treffen, und wir würden uns alsdann bald sehr verwickelten juristischen Verhältnissen gegenüber sehen, hervorgerufen durch zahlreiche Verschiedenheiten in den kantonalen Bestimmungen über die Einbürgerung kraft Geburt.

Die Lösung der Fremdenfrage erfordert eine Gesamtreform, da es sich darum handelt, Grundsätze einzuführen, welche unsrer bisherigen juristischen Tradition fremd waren und nur für das ganze Land gemeinsam in Geltung
treten können ; sie wird ja auch auf dem Gebiete des Armenrechts Folgen finanzieller Natur nach sich ziehen, welche gleichfalls für das ganze Land einheitlich werden geregelt werden müssen. Endlich ist darauf hinzu-

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i

weisen, dass die wohl unvermeidlichen Anstände internationaler Natur, welche die Anwendung der Einbürgerung kraft Gebiets"hoheit hervorrufen wird, durch die diplomatische Aktion der Bundesbehörden wohl kaum in günstigem Sinne erledigt werden könnten, wenn zufolge der Verschiedenheit der kantonalen Gesetzgebungen die Bundesbehörden nicht in der Lage wären, unsre Assimilations- und Einbürgerungspolitik gegenüber den auswärtigen Staaten auf Grund allgemein schweizerischer Eechtssätze zu vertreten.

Die Durchführung der Verfassungsrevision, deren Notwendigkeit wir dargelegt haben, kann auf zwei verschiedene Arten geschehen : 1. entweder durch Aufnahme einer allgemein gehaltenen V'erfassungsbestimmung, welche dem Bunde die erforderlichen, neuen Kompetenzen verleiht, oder 2. durch Einführung einer Vorschrift in die Verfassung, welche schon die Einzelheiten der Reform in extenso enthält.

Die Neunerltommission glaubte den letztern Weg vorschlagen zu sollen ; sie beantragt, an Stelle des bisherigen Art. 44 folgende fünf Artikel in die Bundesverfassung einzufügen: ,,Art. 44. Kein Kanton darf einen Kantonsbürger aus seinem Gebiete verbannen (verweisen) oder ihn des Bürgerrechtes oder des Heimatrechtes verlustig erklären.

Art. 44bis. Das in der Schweiz geborene eheliche Kind eines in der Schweiz niedergelassenen Ausländers erhält das Heimatrecht der Niederlassungsgemeinde seines Vaters, wenn ein Elternteil in der Scluoeiz geboren ist, oder wenn die Mutter bei ihrer Geburt Schiveiserin war, oder wenn die Niederlassung beider Eltern bei Geburt des Kindes seit zehn Jahren ununterbrochen gedauert hat. Die Bundesgesetzgebung bestimmt, in welchen Fällen uneheliche Kinder durch die Geburt in der Schweiz ein Heimatrecht erwerben. Das Heimatrecht scliliesst das Bürgerrecht des Kantons in sich, «M dem die Gemeinde gehört.

Die Heimatberechtigten stehen in gleichen Rechten und Pflichten mit den Bürgern der Gemeinde und des Kantons: doch bestimmen die Kantone, ob die Heimatberechtigten Anteil an den bürgerlichen Nuteungsgütern haben.

Art. 44ter. Die Gemeinden sind verpflichtet, den seit fünf Jahren bei ihnen niedergelassenen, unbeschränkt handlungsfähigen Ausländern und urteilsfähigen unmündigen Ausländern auf Begehren das Heimatrecht gegen Einkauf su erteilen, wenn sie in der Schweiß geboren oder seit fünfsehn Jahren in der Schweiz niedergelassen sind.

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Diese Verpflichtung bestellt nicht gegenüber Ausländern, die eine Freiheitsstrafe erlitten haben, die im erwerbsfähigen Alter unterstützt worden oder mit Steuern, im Rückstände sind.

Der Bundesrat bestimmt die Gebühr für den Einkauf in das Heimatrecht; sie darf nicht mehr als Fr. 300 betragen.

Art. 44 q u a t e r D e r r Bund vergütet den Gemeinden nach den ortsüblichen Sätzen die Hälfte ihres Unterstützungsaufwandess für die durch Geburt Heimatberechtigten während fünfzehn Jahren und für die infolge Einkaufes Heimatberechtigten während fünf Jahren.

Art. 44 quinquies Die Bundesgesetzgebung ordnet den Erwerb des Bürgerrechtes und des Heimatrechtes auf Grund der Abstammung von Schweizern und die Bedingungen, unter denen die Kantone Ausländern das Bürgerrecht erteilen können. Sie ordnet ferner die Bedingungen, unter denen ein Schweizer auf sein Bürgerrecht oder auf sein Heimatrecht verzichten Jcann, oder es verliert, sowie die Wiederaufnahme in das Bürgerrecht und das Heimatrecht. Über die Ausführung der Art. 44bis, ter und quater kann die Bundesgesetzgebung nähere Bestimmungen aufstellen.

Im Sinne der Art. 44bis und ter gilt als niedergelassen, wer mit behördlicher Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung in einer Gemeinde wohnt Diesen Artikeln schliesst die Neunerkommission folgende ,, Übergangsbestimmungen" an:

,,Die Gemeinden sind verpflichtet, den in der Schweiz vor dem 1. Januar 19 . . ehelich geborenen und in der Schweiz niedergelassenen unmündigen Ausländern, deren Vater zur Zeit ihrer Geburt in der Gemeinde niedergelassen war, auf Begehren das Heimatrecht gegen Einkauf zu erteilen, wenn ein Elternteil in der Schweiz geboren oder wenn die Mutter von Geburt Schweizerin war.

Bis zur Zeit, da die Aufgenommenen das sechsehnte Altersjahr erreicht, jedenfalls aber in den fünf der Aufnahme folgenden Jahren, vergütet der Bund den Gemeinden die Hälfte des durch die Aufgenommenen erwachsenden Unter Stützung saufwandes.

Art. 44quiniuies Absatz 2, findet Anwendung."

Die von der Neunerkonnmission befolgte Methode, die Grundsätze der künftigen Gesetzgebung detailliert in den neuen Verfassungsarlikel aufzunehmen, hat nun zwar in der Tat bei einzelnen, durchgeführten Verfassungsrevisionen Anwendung gefunden : auf

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diese Weise wurde vorgegangen in bezug auf Art. 32b" betreffend die Fabrikation und den Verkauf gebrannter Wasser, Art. 39 betreffend die Nationalbank und neuerlich bezüglich des Art. 24bis über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte.

Wir halten dafür, dieses Verfahren sollte hier nicht wiederholt werden. Die richtige Abgrenzung des Verfassungsrechts besteht offenbar darin, dass letzteres bloss die allgemeinen Grundsätze feststellen soll, deren nähere Ausführung und Anwendung alsdann einem Spezialgesetz zu überlassen ist. Übrigens kann bei der Ausarbeitung eines verfassungsrechtlichen Textes das Studium der zu lösenden Fragen doch wohl niemals so abschliessend betrieben werden, dass die Notwendigkeit der spätem Modifikation von Einzelheiten von vornherein als ausgeschlossen betrachtet werden könnte. Die Aufnahme bloss der allgemeinen Grundsätze in die Verfassung bietet den weitern, für die Übersichtlichkeit unsrer Bürgerrechtsgesetzgebung wichtigen Vorteil, dass dadurch ermöglicht wird, mittels einer vollständigen und allgemeinen Revision unsres Einbürgerungsgesetzes alle einschlägigen Bestimmungen zusammenzufassen und dabei im Bereiche der Naturalisation, der Wiedereinbürgerung und der Einbürgerung der Heimatlosen alle diejenigen Reformen einzuführen, deren Notwendigkeit durch die Erfahrung nachgewiesen ist.

Ein weiterer Grund fällt unsres Erachtens entscheidend ins Gewicht: Die zur Bekämpfung der Überfremdung ergriffenen Massnahmen könnten sich später einmal als ungenügend erweisen, sei es im allgemeinen oder im Hinblick auf besondere Erfahrungen, welche in diesem oder jenem Kanton damit gemacht worden wären. Es könnte alsdann der Fall eintreten, dass Abänderungen sich als wünschenswert, eventuell selbst als unumgänglich und dringend erweisen würden. Man muss daher mit dem Bedürfnis rechnen, das Gesetz, nachdem es erlassen sein wird, späterhin nach Massgabe der sich ergebenden Verumständungen zu modifizieren. Eine Gesetzesänderung aber ist immer leichter und rascher durchzuführen als eine Verfassungsrevision.

Wenn wir also vermeiden möchten, die Verfassung mit Detailpunkten zu belasten, so darf andrerseits nicht verkannt werden, dass ein Verfassungsrevisionsentwurf, welcher sich ausschliesslich auf die Kompetenzfrage bezöge, im Hinblick auf die grosse Bedeutung, die unser Volk der Lösung des Überfremdungsproblems beilegt, als zu wenig abgeklärt und daher als unbefriedigend erscheinen würde.

39 Die Stimmberechtigten würden einer Verfassungsrevision, die sich auf eine blosse Kompetenznorm beschränken und sie -der Möglichkeit berauben würde, zu der Lösung des wichtigen Problems Stellung zu nehmen, Gleichgültigkeit oder geradezu Misstrauen entgegenbringen. Um dem vorzubeugen, muss der revidierte Verfassungstext so gestaltet werden, dass er die allgemeine Orientierung und die grossen Linien andeutet, welche für die Lösung der Fremdenfrage massgebend sein sollen. Auch nehmen wir keinen Anstand, schon in der heutigen Vorlage mitzuteilen, welches Ziel wir uns vorsetzen, durch welche Mittel «s erreicht werden soll und auf welche Weise die Folgen der «inzuführenden Neuerungen auf finanziellem und politischem ·Gebiete zu regeln sein werden. Ein Gesetz, welches den Stimmberechtigten unterbreitet wird, nachdem diese die hauptsächlichsten Grundzüge bereits in der Verfassungsabstimmung sanktioniert haben, wird der Gefahr der Ablehnung weniger ausgesetzt sein als ein ins einzelne gehender Verfassungsartikel.

Dem Einwurf, dass es vorzuziehen wäre, die ganze Reform durch «ine einzige Abstimmung (über den Verfassungsartikel) der Erledigung entgegenzuführen, statt durch eine Verfassungsabstimmung mit eventuell nachfolgender Referendumsabstimmung über das Ausführungsgesetz, ist entgegenzuhalten, dass auch ein detaillierter Verfassungsartikel ohne nachfolgendes Gesetz nicht vollziehbar wäre und dass ein solches auch sonst sich als unentbehrlich erweist, um an dem gegenwärtig geltenden Gesetz die ·erforderlichen Modifikationen anzubringen.

VI.

Einbürgerung kraft Gebietshoheit (jns soli).

Die Einführung der Einbürgerung jure soli muss die hauptsächlichste Massnahme unserer auf Assimilation der Ausländer gerichteten Staatspolitik bilden. Sie wird die Gefahren der Überfremdung am nachhaltigsten bekämpfen, denn sie bewirkt gewissermassen automatisch die Absorbierung des sesshaftesten Elementes der Fremdbevölkerung : der auf unserem Staatsgebiet geborenen Kinder von Eltern, die schon ihrerseits seit langer Zeit in der Schweiz niedergelassen und mit unserem Lande verwachsen sind.

Es sei hier nochmals betont, dass die Einbürgerung der in der Schweiz geborenen Ausländer nicht eine ,,Naturalisation", sondern eine Art originären Erwerbs der Staatsangehörigkeit, ähnlich der Übertragung des Bürgerrechts durch Abstammung

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bedeutet. Das Kind soll vom ersten Tage an als Schweizer betrachtet werden und seine ausländische Herkunft völlig ausser Betracht fallen. Das wird nicht verfehlen, seine Assimilation zu fördern. Abschliessend in dieser Beziehung wirken später dio Heranziehung des Neubürgers zum Militärdienst und zur Ausübung der politischen Rechte.

Das System der Staatsangehörigkeit kraft Abstammung, gemäss welchem jede Person durch Blutsbande mit dem Staate, welchem ihr Erzeuger angehört, verknüpft ist, entspricht der schweizerischen Überlieferung. Man hält es vielfach für allein vereinbar mit den ethischen Forderungen, welche die Zugehörigkeit zu einem Staate zur Folge hat. Dieses System besitzt den grossen Vorzug, dass es die Einheit der Familie stärkt, indem es sämtlichen Gliedern ein und dieselbe Staatsangehörigkeit verleiht; eine Spaltung der Familie in Teile mit verschiedener Staatsangehörigkeit, die demgemäss verschiedenen Gesetzgebungen unterstehen, wird hier vermieden.

Aber das System der Staatsangehörigkeit kraft Abstammung hat auch seine Nachteile : es gestattet den Eingewanderten, ihren Nachkommen die Ausländereigenschaft fortlaufend zu übertragen und führt, wie das Beispiel der Schweiz lehrt, zur Bildung von geschlossenen Ausländerkolonien im Herzen des Staates; auch trägt es zur Vermehrung der Heimatlosen bei, denn viele der Eingewanderten verzichten auf ihr früheres Bürgerrecht oder verlieren es durch mehrjährigen Aufenthalt ausserhalb ihres Heimatstaates, und die Heimatlosigkeit überträgt sich wie die Staatsangehörigkeit vom Vater auf den Sohn.

Es erscheint somit als geboten, behufs Assimilierung der Ausländer die Einbürgerung auf Grund der Geburt kraft Gebietshoheit einzuführen, wodurch die Staatsangehörigkeit von den Banden des Blutes völlig gelöst wird. Die Erfahrung zeigt, dass.

eine eingewanderte Familie sich nicht auf die Dauer dem Einfluss der Umgebung des Landes, in welches sie verpflanzt ist, entziehen kann. Sie erleidet, mag sie sich dessen bewusst werden oder nicht, Einwirkungen geistig-sittlicher, ja sogar physiologischer Natur. Mit Sicherheit kommt der Zeitpunkt, wo der Fremdeeine vollständige Entwicklung durchgemacht hat, wo er sich an den Zusammenhang mit dem Heimatstaate nur noch undeutlich erinnert und sich mit starken seelischen und materiellen Banden an den Wohnsitzstaat gefesselt fühlt. Da beruht das durch Abstammung erworbene Staatsbürgerrecht schliesslich nur noch auf einer Fiktion und darf billigerweise durch das Bürgerrecht des

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Wohnsitzes ersetzt werden. In welchem Moment dieser Wechsel des Systems ohne Nachteil erfolgen kann, das hängt von sehr verschiedenen Faktoren ab : in allererster Linie von der Assimilationskraft des Wohnsitzstaates, sodann von seiner politischen Machtstellung (ein Grossstaat wird immer kräftiger auftreten können als ein kleines Land), von der Stärke der Ausländer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung (wo die Ausländerkolonien nicht zahlreich sind, lässt sich das jus soli unbedenklich in vollem Umfang zur Anwendung bringen, denn dia Individuen ausländischer Herkunft werden neben der nationalen Bevölkerung gewissermassen verschwinden), im weitern namentlich auch von der Entfernung des Heimatstaates des Eingewanderten, denn der Europäer, der sich in einem überseeischen Staate ansiedelt, veriiert die Fühlung mit dem Mutterlande viel leichter, als wenn er sich in unmittelbarer Nähe seines Heimatstaates niederlässt. Jeder Staat kann so, je nach seinen politischen Interessen, von der Einbürgerung kraft Gebietshoheit einen mehr oder weniger ausgiebigen Gebrauch machen.

Dieses System ist seit langem von verschiedenen Gesetzgebungen Europas und Amerikas aufgenommen; es bildet die politische Waffe solcher Nationen, welche eine starke Einwanderung aufweisen und befürchten müssen, dass die Ausländer einesTages das numerische Übergewicht erlangen.

In seiner absolutesten Form kennen das System der Einbürgerung kraft Gebietshoheit die Staaten Zentral- und Südamerikas. In Argentinien, Bolivia, Brasilien, Chile, Kolumbia, Equador, Guatemala, Haiti, Panama, Paraguay, Peru, St. Domingo, Uruguay und Venezuela ist nämlich jeder im Lande geborene Ausländer unwiderruflich Staatsbürger. Die Staatsangehörigkeit kraft Abstammung: spielt nur noch eine ganz untergeordnete Rolle. Europäische (und auch einige amerikanische) Staaten verfahren weniger radikal, indem sie den Erwerb der Staatsangehörigkeit zufolge Geburt auf dem Staatsgebiet mit einem Optionsrecht verbinden, das auf zwei Arten ausgeübt werden kann. Im einen Falle erwirbt der Fremde das Bürgerrecht des Wohnsitzstaates nicht bereits durch die Geburt, sondern es wird ihm das Recht erteilt, später -- im allgemeinen nach erreichter Volljährigkeit -- für das Land, in welchem er geboren ist, zu optieren, so dass er also, wenn er nicht optiert, endgültig Ausländer bleibt :
die Einbürgerung kraft Gebietshoheit ist hier durch die Option suspensiv bedingt. Im andern Falle gilt der Fremde von vornherein als Angehöriger des Staates, auf dessen Gebiet er geboren wurde, kann jedoch,

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in der Regel, sobald er mündig wird, die Staatsangehörigkeit des Geburtslandes ausschlagen und zugunsten des Heimatstaates seines Vaters optieren, so dass er, wofern er nicht optiert, definitiv Bürger des Geburtsstaates bleibt : diesfalls ist die Einbürgerung kraft Gebietshoheit durch die Option resolutiv bedingt. Sieben Staaten haben sich dem ersten System angeschlossen, nämlich : Costa-Rica, Spanien, Griechenland, Nicaragua, Persien und die Türkei. Wiederum sieben Staaten -- Belgien, Grossbritannien, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Honduras, Mexiko, Portugal und San Salvador --. wählten das zweite System. Sechs Staaten endlich haben einem gemischten System den Vorzug gegeben, indem sie, je nach dem Charakter der einzelnen Fälle, die Einbürgerung im Geburtsstaate bedingungslos oder durch Option suspensi v bedingt oder durch Option resolutiv bedingt eintreten lassen ; hierher gehören Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden. In vier Staaten dieser dritten Kategorie (Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Schweden) hat das auf Staatsgebiet geborene Kind eines ebenfalls schon im Inland geborenen Ausländers kein Optionsrecht lind wird unweigerlich Staatsbürger des Geburtslandes.

Die Einbürgerungspolitik, welche die Assimilation der Ausländer anstrebt, empfiehlt sich namentlich deshalb, weil dadurch die Kinder der Eingewanderten erfasst werden. Empfänglicher für die Einflüsse der Umgebung als ihre Eltern, können sie auch leichter als diese wirklich für unser Land gewonnen werden. Es handelt sich nur darum, unter ihnen die richtige Auswahl zu treffen.

Die hauptsächlichsten Vorschläge, welche in dieser Hinsicht aus politischen und wissenschaftlichen Kreisen unseres Landes gemacht wurden, haben alle das gemeinsam, dass sie, entgegen dem System der südamerikanischen Staaten, eine allgemeine Zwangseinbürgerung der auf unserm Staatsgebiet geborenen Ausländerkinder verwerfen. In der Tat erscheint eine Einführung dieses Systems bei den besondern Verhältnissen unseres Landes als ausgeschlossen : die Tatsache der Geburt in der Schweiz kann für sich allein niemals Erwerbsgrund unserer Staatsangehörigkeit bilden ; es müssen noch gewisse anderweitige Voraussetzungen erfüllt sein : Geburt der Eltern in der Schweiz, schweizerische Abstammung der Mutter etc.

Die erfolgten Vorschläge gehen
von zwei verschiedenen Auffassungen aus: die einen empfehlen die Einbürgerung kraft Gebietshoheit nur für einen beschränkten Kreis von Personen und wollen diesen das Optionsrecht versagen ; die andern tragen kein

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Bedenken, eine ausgedehnte Anwendung jenes Einbürgerungssystems zu befürworten, möchten aber dann das Optionsrecht als notwendiges Korrektiv wirken lassen.

Die N e u n e r k o m m i s s i o n empfiehlt in den bereits zitierten Schlussfolgerungen ihrer Petition vom 17. Dezember 1912 den vollständigen Ausschluss des Optionsrechts; sie sieht vor, dass das eheliche, in der Schweiz geborene Kind eines in der Schweiz niedergelassenen Ausländers das Bürgerrecht der Wohngemeinde seines Vaters erwirbt : a. wenn ein Elternteil in der Schweiz geboren ist ; &. wenn die Mutter schweizerischer Herkunft ist; c. wenn die Eltern im Zeitpunkt der Geburt des Kindes bereits ununterbrochen zehn Jahre im Inland wohnhaft sind.

Das e i d g e n ö s s i s c h e P o l i t i s c h e D e p a r t e m e n t hat diese Lösung seinen Vorschlägen an den Bundesrat vom Jahre 1914 zugrunde gelegt.

In seinem Bericht an den Bundesrat vom 23. Oktober 1900 hat d a s e i d g e n ö s s i s c h e J u s t i z - u n d P o l i z e i d e p a r t e m e n t den Vorschlag formuliert, das Schweizerbürgerrecht sei zu verleihen : a. unter Ausschluss der Option : den in der Schweiz geborenen Kindern ausländischer Eltern, sofern der Vater gleichfalls in der Schweiz geboren ist und zur Zeit der Geburt des Kindes in unserem Lande Wohnsitz hat; b. unter Vorbehalt der Option : den in der Schweiz geborenen Kindern solcher ausländischer Eltern, welche im Zeitpunkt der Geburt des Kindes ununterbrochen zehn Jahre in der Schweiz niedergelassen sind.

Wir können diesen Vorschlägen nicht ohne weiteres beipflichten. Es lässt sich nicht verkennen, dass unser Volk seit dem Kriege den Massnahmen, welche für die Erleichterung der Assimilation der Ausländer erwogen werden, weit kritischer gegenübersteht als früher. Man muss deshalb mit Vorsicht zu Werke gehen und die Anwendungsfälle der Zwangseinbürgerung beschränken. Vor dem Kriege war die öffentliche Meinung im allgemeinen der Einbürgerung der in der Schweiz geborenen Ausländer nicht abgeneigt. Heute denkt man anders, wenigstens was die in der Schweiz geborenen Kinder von solchen ausländischen Eltern anbelangt, welche zwar in der Schweiz wohnen, aber nicht selbst hier aufgewachsen sind. Die Kinder solcher Eltern durchlaufen zwar unsere Schulen und gelangen dabei unbestreitbar

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unter den Einfluss unserer Sitten und Anschauungen. Doch hieraus ohne weiteres ableiten zu wollen, dass sie assimiliert seien, wäre ein Trugschluss ; denn . sehr oft wird der Einfluss der schweizerischen Umgebung durch die Gegenwirkung des Familienkreises, der die Liebe und Treue zum fernen Vaterland als kostbares Gut hegt und pflegt, aufgehoben, wie dies ja bei den Schweizerfamilien im Ausland zumeist der Fall ist. Es kommt auch bisweilen vor, dass Ausländerfamilien nach vieljährigem Aufenthalt in unserem Lande wieder abwandern, ohne ein inneres Verhältnis zu unserem Volk gewonnen zu haben. Macht man die Anwendung der Zwangseinbürgerung der Kinder von einem langen Wohnsitz der Eltern abhängig, so riskiert man, die nationale Einheit der Familie zu zerstören. Wenn wir zum Beispiel als Voraussetzung ein ununterbrochenes zehnjähriges Inlandsdomizil der Eltern verlangen, so ist die Folge die, dass alle Kinder, die vor Ablauf dieser zehn Jahre geboren werden, Ausländer sind, die nachher Geborenen dagegen die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzen.

Sollte die Familie später die Schweiz verlassen, so wären die alsdann im Ausland geborenen Kinder wiederum Ausländer. Solche Wirkungen, welche die Kinder e i n e r Familie verschiedenen Staaten zuweisen, sind unerwünscht. Es kommt hinzu, dass in Anbetracht der öffentlich-rechtlichen Tradition unseres Volkes die Einführung der Zwangseinbürgerung eine grosse Neuerung bedeutet. Aus diesen Gründen dürfte es angezeigt erscheinen, die Anwendung des neuen Prinzips auf die Ausländer der zweiten Generation zu beschränken, das heisst auf: a. diejenigen, deren Vater oder Mutter in der Schweiz geboren ist ; b. diejenigen, deren Mutter schweizerischer Herkunft ist.

Es liegt auf der Hand, dass die unter diese beiden Kategorien fallenden Ausländer durchaus geeignet sind, von Geburt an des Schweizerbürgerrechtes teilhaftig zu werden. In der Mehrzahl der Fälle dürften sogar schon ihre Grosseltern in der Schweiz gewohnt haben oder (soweit die Grosseltern von Mutterseite in Betracht kommen) im Besitze unserer Staatsangehörigkeit gewesen sein. Ihr Vater oder ihre Mutter wird die Erziehung unserer Schulen genossen und zumeist in der Schweiz gelebt haben. Man braucht hier nicht zu befürchten, dass die Einflüsse der Familie dem durch die Schule geweckten und durch die ständige Berührung mit den einheimischen Gesellschaftsschichten genäherten schweizerischen Denken und Empfinden entgegenwirken.

45 Die Frage, ob bezüglich der Wirkung auf die Nationalität des Kindes die Mutter dem Vater völlig gleichgestellt werden soll, möchten wir bejahen. Wir gehen in dieser Beziehung einen Schritt weiter als die geltende französische Gesetzgebung. Laut letzterer erwirbt das in Frankreich geborene Ausländerkind die französische Staatsangehörigkeit unwiderruflich (ohne Repudiationsrecht) nur dann, wenn der V a t e r in Frankreich geboren ist; ist dagegen die M u t t e r in Frankreich, der Vater im Ausland geboren, so kann das Kind während des 22. Altersjahres die französische Staatsangehörigkeit ausschlagen. Wenn wir in diesem Falle weiter gehen, indem wir dem zwangsweise Eingebürgerten, dessen Mutter (allein) in der Schweiz geboren ist, das Recht der Ausschlagung versagen, ,so sind wir dagegen im Vergleich zur französischen Gesetzgebung zurückhaltender in dem Falle, wenn weder Vater noch Mutter des im Inlande geboreaen Ausländerkindes selbst im Inlande geboren sind. Wohnt ein solches Kind bei Erreichung der Volljährigkeit in Frankreich und schlägt es die französische Nationalität nicht ausdrücklich aus, so wird es Franzose ; nach unserm Vorschlag bleibt es Ausländer (sofern nicht seine Mutter eine gebürtige Schweizerin war). Sieht man daher aufs Ganze, so enthält das von uns vorgeschlagene System eine weniger strenge Handhabung der Zwangseinbürgerung, als sie dem französischen Rechte eigen ist.

Kinder einer Mutter, die vor ihrer Heirat mit einem Ausländer die schweizerische Staatsangehörigkeit besass, sollten der Zwangseinbürgerung nur dann unterstehen, wenn die Mutter kraft Abstammung Schweizerin war, nicht aber dann, wenn sie ausländischer Herkunft ist und das Schweizerbürgerrecht durch Heirat in erster Ehe mit einem Schweizer erworben hat. Hat diese erste Ehe nur kurze Zeit gedauert, so wird der Einfluss des schweizerischen Gatten wenig spürbar sein. Es kann daher nicht darauf gerechnet werden, dass die aus der zweiten Ehe, mit einem Ausländer, hervorgehenden Kinder in der Familie eine Erziehung in schweizerischem Sinne geniessen.

Wir schlagen also vor, in dem neuen Verfassungsartikel den Grundsatz der Einbürgerung kraft Gebietshoheit festzulegen; derselbe wird den Angelpunkt der durch die Gesetzgebung einzuführenden Reform darstellen. Der Gesetzgeber soll ermächtigt werden, die Zwangseinbürgerung
der beiden vorerwähnten Personenkategorien einzuführen, deren vollständige und rasche Assimilation uns verbürgt erscheint. Wenn sich in der Folge herausatellen sollte, dass die zur Bekämpfung der Vermehrung der

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Fremdbevölkerung ergriffenen Massnahmen unzulänglich sind, so kann durch die Gesetzgebung eine Ausdehnung des jus soli auf weitere Personenkategorien erfolgen.

Wir möchten diese Grundzüge noch nach einer Richtung hin präzisieren. Es gilt zu verhindern, dass die Fremden ihre Kinder unserer Staatsangehörigkeit dadurch entziehen, dass sie die Entbindung ins Ausland (beispielsweise nach Lörrach, Konstanz, Bregenz, Como, Domodossola, St-Julien, Annemasse) verlegen.

Zu diesem Behufe können wir uns an Art. 3 des italienischen Nationalitätsgesetzes anlehnen, der die Übertragung der italienischen Staatsangehörigkeit auf alle im Ausland geborenen Ausländerkinder vorsieht, deren Eltern im Zeitpunkt der Geburt seife wenigstens zehn Jahren im Inland wohnhaft sind. Wenn die Eltern ganz unzweifelhaft in der Schweiz ihren Wohnsitz haben, aber die Geburt des Kindes im Ausland stattfindet, so soll die vorübergehende Abwesenheit der Mutter anlässlich der Niederkunft keinen Einfluss ausüben und die Geburt im Ausland derjenigen im Inland bezüglich der Wirkung auf die Nationalität des Kindes gleichzustellen sein. So gelangen wir dazu, im Text des Verfassüngsartikels, den wir Ihnen unterbreiten, die Anwendung der Einbürgerung kraft Gebietshoheit nicht an die Bedingung zu knüpfen, dass die Geburt auf unserem Boden stattfinde, sondern daran, dass die Eltern zur Zeit der Geburt in der Schweiz ihren ordentlichen Wohnsitz haben. Diese Fassung macht es unmöglich, den Erwerb unserer Staatsangehörigkeit mittels eines Eisenbahnbillets zu vereiteln.

Gehen wir nun zur Prüfung der Frage über, ob wir in irgendeiner Form den Personen, welche der Einbürgerung kraft Gebietshoheit zu unterstellen sind,- ein Optionsrecht gewähren müssen. Dieser Zwangseinbürgerung haftet unausweichlich der Nachteil an, dass sie die Zahl der Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit vergrössert. Die zwangsweise Eingebürgerten behalten neben unserem Staatsbürgerrecht die ihnen kraft Abstammung zukommende Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Das Optionsrecht würde ermöglichen, wenn auch nicht in allen, so doch in vielen Fällen die doppelte Staatsangehörigkeit zu vermeiden; seine Ausübung wäre, um der Entstehung von Heimatlosigkeit vorzubeugen, nur solchen Personen zu gestatten, deren, durch Abstammung erworbene Nationalität fortbesteht. Das Optionsrecht
wahrt die Freiheit des Individuums \ es würde den Ausländerkindern, welche für den Heimatstaat ihres Vaters starke Sympathien empfinden, gestatten, die schweizerische Staatsangehörigkeit auszuschlagen.

47 Nichtsdestoweniger empfehlen wir Ihnen, von der Einführung des Optionsrechts abzusehen. Eine gründliche Prüfung hat unsdavon überzeugt, dass die Mängel dieses Rechtsinstituts seine Vorzüge überwiegen.

Die Anwendung der Zwangseinbürgerung, die wir vorschlagen,, hält sich in sehr massvollen Schranken, da es nach unserem Dafürhalten nicht darauf ankommt, Ausländer in Masse einzubürgern, sondern vorzuziehen ist, diejenigen zu erfassen, bei welchen in der Tat eine schweizerische Gesinnung vorausgesetzt werden kann. Sollte man die Einbürgerung auf weitere Kategorien von Ausländerkindern ausdehnen, so könnte man für diese die Zweckmässigkeit des Optionsrechtes in Erwägung ziehen.

Will man sich aber auf die beiden umschriebenen Kategorien beschränken, so ist die Option nicht am Platze ; die diesen Klassen angehörenden Personen sind nach ihrer psychischen und 'geistigen Beschaffenheit bereits eigentliche Landeskinder. Ihnen das Optionsrecht einzuräumen, hiesse ihnen Gelegenheit geben, gewissermassen ihre beiden Staatsangehörigkeiten gegeneinander abzuwägen. Anstatt, dass wir zielbewusst ihr ganzes Denken und Handeln auf unser Volksleben und unser staatliches Dasein einstellen, würden wir sie in einen Zustand der Unschlüssigkeit und des innern Zwiespaltes zurückstossen. Wir würden dadurch auch den ausländischen Volksgenossen der Optanten die Möglichkeit gewähren, durch moralischen Druck auf eine Entscheidung zugunsten des ausserschweizerischen Heimatstaates hinzuarbeiten.

Die Massnahmen, welche wir ins Auge fassen, werden zur Absorbierung von mehr als der Hälfte der in der Schweiz, geborenen Ausländer führen und den jährlichen Zuwachs der Fremdbevölkerung, der sich durchschnittlich auf 16,859 Seelen (Neugeborne und Einwanderer) beläuft,' beträchtlich reduzieren.

Wie Sie der nachstehenden statistischen Tabelle entnehmen können, versprechen uns dieselben jedes Jahr mindestens 6300 Neubürger.

,48

In der Schweiz geborene Ausländer, deren

Jahr

1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 Durchschnitt

Vater u. Mutter Mutter Vater in der Schweiz in der Schweiz in der Schweiz geboren sind geboren ist geboren ist

885 884 876 911 921 988 1028 1067 1043 1063 966

278

277 275 284 289 307 321 333 326 332 302

Total

4651 4643 ' 4601 4782 4839 5160 5398 5601 5479 5581 5074

6343

i

Dieser Durchschnitt von 6342 Kindern ist wahrscheinlich etwas zu niedrig gegriffen, da die in der Schweiz geborenen Kindern von im Ausland geborenen Müttern schweizerischer Abstammung nicht mitgerechnet sind. Wir kennen die genaue Zahl der in der Schweiz wohnhaften Ausländerkinder, deren Mutter von Abstammung Schweizerin war, nicht, da bei der eidgenössischen Volkszählung vom Jahre 1910 die Angabe des ursprünglichen Heimatstaates der verheirateten Frauen nicht verlangt wurde. Da indessen die mit Ausländern verehelichten Schweizerinnen grossenteils in der Schweiz geboren und demgemäss in obiger Tabelle mitgezählt sind, so gibt diese letztere ein im wesentlichen zutreffendes Bild des Resultates, das von der Einführung der Zwangseinbürgerung erwartet werden kann.

Es ist nun aber klar, dass die Zwangseinbürgerung die gegenwärtige Lage keineswegs auf einen Schlag umgestaltet. Sie wird ihre Wirkung nur nach und nach äussern. Diese kann indessen dadurch gesteigert werden, dass man dem Einführungsgesetze für eine Anzahl Jahre rückwirkende Kraft beilegt, d. h.

im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes eine Anzahl Jahrgänge von Ausländerkindern gleichzeitig einbürgert.

Da die Zwangseinbürgerung erst nach einer Generation, ·wenn die eingebürgerten Kinder herangewachsen sein werden, ihre volle politische Wirkung äussern wird, so ist es unseres

49 Erachtens angezeigt, eine solche gleichzeitige Einbürgerung mehrerer Jahrgänge vorzunehmen, damit die Ausländerkolonien sofort bei Inkrafttreten einen merklichen Rückgang erleiden. In Frankreich hat der Gesetzgeber, als er das Gesetz betreffend die Zwangseinbürgerung vom 29. Juni 1889 erliess, die Frage nach dessen Rückwirkung nicht ausdrücklich entschieden; aber die Praxis sprach dem Gesetze rückwirkende Kraft zu und wandte es auf alle in Frankreich geborenen Personen an, welche im Zeitpunkt seiner Veröffentlichung das 22. Altersjahr noch nicht zurückgelegt hatten. Wir sind der Meinung, dass wir unserem Gesetze ohne alle Bedenken auf fünf Jahre rückwirkende Kraft verleihen dürfen. Nach den schweizerischen Absterbeordnungen ergeben fünf Jahrgänge der für die Zwangseinbürgerung vorgesehenen Klassen von Ausländerkindern (jährlich 6342) auf Ende des fünften Jahres 26,815 Überlebende. Wir würden somit bei Inkrafttreten des Gesetzes nahezu 27,000 Ausländerkinder unserem"Volkskörper einverleiben.

Immerhin sollte diesen von den Übergangsbestimmungen betroffenen Ausländerkindern bezw. ihren gesetzlichen Vertretern die Ausschlagung unserer Staatsangehörigkeit ermöglicht werden, da es sich hier um eine einmalige Masseneinbürgerung von Personen handelt, die unserer Staatsangehörigkeit nicht von Geburt an teilhaftig waren. Die Modalitäten der Ausschlagung werden im künftigen Gesetze zu ordnen sein.

VII.

Bas Recht auf Einbürgerung.

Die ordentliche Einbürgerung (Naturalisation) wird, wie bisher, beibehalten werden ; sie wird jederzeit durch die kantonalen Gesetze und die Gemeindevorschriften geordnet werden, da der Bund einzig den Anspruch erhebt, sein Recht auf Kontrolle der Kandidaten geltend zu machen.

Wir erinnern, dass in den Vorkriegsjahren der jährliche Durchschnitt der in der Schweiz Eingebürgerten für den Zeitabschnitt von 1904 bis 1913 sich auf 4093 belief, für die Periode von 1911 bis 1913 auf 4804. Seit Kriegsbeginn ist dieser Durchschnitt auf 9897 gestiegen, was als Maximum zu betrachten ist. Die Einbürgerung kraft Gebietshoheit wird zur Wirkung haben, dass. die Zahl der Naturalisationen sinken wird.

Durchschnittlich werden mehr als ein Drittel der Einbürgerungsgesuche von solchen Bewerbern gestellt, die in der Schweiz geBundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

4

50 boren sind und mehr als 10 Jahre bei uns gelebt haben (34% im Jahr 1917) ; diese stammen allerdings nicht alle von gebürtigen Schweizerinnen oder von ausländischen Eltern ab, deren einer Teil in der Schweiz geboren ist; immerhin werden wir in Zukunft eine Abnahme von ungefähr 30 °/o in der Anzahl der Naturalisationsbegehren zu gewärtigen haben, wenn wir auch der rückwirkenden Kraft, die wir l'Ur die Zwangseinbürgerung vorschlagen, Rechnung tragen. Wenn wir mit den höchsten Zahlen, der Vorkriegszeit rechnen, würde sich für die Zukunft ein jährlicher Durchschnitt von ungefähr 3500 naturalisierten Personen ergeben ; bei Zugrundelegung der Statistik der Kriegszeit würde man zu einem Jahresergebnis von 6000 bis 6500 naturalisierten Personen gelangen.

Die Anzahl der Ausländer in der Schweiz nimmt nach dem bisherigen Durchschnitt um 16,859 Personen zu; diese Zunahme sollte die Zahl '3521 nicht übersteigen, wenn der gegenwärtige Prozentsatz der Ausländer zur Gesamtbevölkerung unseres Landes (14,7 %) stabil bleiben, d. h. nicht noch höher steigen soll.

Wir müssen somit jedes Jahr wenigstens 13,338 Ausländer (16,859--3521) absorbieren, um ein befriedigendes Resultat zu erzielen. Dieses Resultat würde erreicht werden, wenn neben der Zwangseinbürgerung noch die Naturalisationen im Zahlenverhältnis der Kriegszeit fortlaufen würden, und die Fremdenfrage könnte diesfalls als gelost gelten ; allein, wie oben erwähnt, kann nicht darauf gerechnet werden, dass die Zahl der jährlichen Naturalisationen sich auf dem Niveau der Kriegszeit halten werde.

Wir werden annähernd mit 6300 zwangsweise Eingebürgerten, und wohl mit nicht mehr als 3500 Naturalisationen pro Jahr zu rechnen haben, d. h. also mit 9800 jährlich aufzunehmenden Neubürgern, währenddem, um einer Verschlimmerung des gegenwärtig bestehenden prozentualen Verhältnisses der Ausländcrbevölkerung vorzubeugen, jährlich 13,338 Neubürger und, um der absoluten Vermehrung der fremden Bevölkerung Einhalt zu.

gebieten, jährlich 16,859 Neubürger aufgenommen werden müssten.

Ausser den angeführten Massnahmen müssen daher noch weitere Mittel gesucht werden, um der Überfremdung Einhalt zu tun. In seinem Bericht an den Bundesrat von 1914 hatte das Politische Departement den Vorschlägen der Neunerkommission beigestimmt und empfohlen, dass ein wirkliches R e c h t auf
E i n b ü r g e r u n g gegen Erlegung der Gebühren zugestanden werde: 1. den in der Schweiz geborenen Ausländern, die seit fünf Jahren in der gleichen schweizerischen Gemeinde gewohnt haben ;

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2. den im Auslande geborenen Ausländern, die seit 15 Jahren in der Schweiz wohnen, wovon fünf Jahre in derjenigen Gemeinde, deren Bürgerrecht sie zu erwerben wünschen.

Sollte man dieses Recht auf Einbürgerung bei uns einführen, so müsste es jedenfalls nur solchen Bewerbern gewährt werden, die durchaus sichere moralische Garantien bieten. Ein solcher Vorbehalt scheint unerlässlich angesichts der Tatsache, dass die Kriminalität der Ausländer diejenige der einheimischen Bevölkerung bei weitem übersteigt : laut der Kriminalstatistik der Jahre 1909 bis 1911 23,s %o der ausländischen Bevölkerung, gegenüber 9,a °/oo der einheimischen und 11,2 °/oo der Gesamtbevölkerung.

Bei Einführung des Rechtes auf Einbürgerung müssto jedenfalls eine maximale Einkaufsgebühr festgesetzt werden, um zu verhüten, dass die Kandidaten durch allzuhohe Taxen ferngehalten werden; jedenfalls sollte diese Gebühr den Betrag von Fr. 300 nicht überschreiten.

Wir halten dafür, dass wir nicht so weit gehen dürfen, einem Ausländer, selbst wenn er in der Schweiz geboren oder seit Jahren hier niedergelassen ist, ein vorbehaltloses Recht auf Einbürgerung zuzugestehen und dadurch die Kantone einer wertvollen Kontrollbefugnis-zu berauben; wir würden damit riskieren, in unserm Volke auf heftige Opposition zu stossen. Infolgedessen sind wir der Ansicht, dass die Lösung dieser Frage den Kantonen überlassen werden muss, indem ihnen freigestellt bleibt, ein Recht auf Einbürgerung in ihre Gesetzgebung aufzunehmen, unter Vorbehalt immerhin, dass in jedem Falle die bundesrätliche Eiiibürgerungsbewilligung vorauszugehen hat. Im Bundesgesetz soll unseres Erachtens keine Bestimmung Aufnahme finden, welche die Gewährung eines Rechtes auf Einbürgerung sei es vorschreiben, sei es verbieten würde.

Bisher waren es hauptsächlich gutsituierte Leute, welche sich einbürgern Hessen, da die Aufnahmegebühren in Gemeinden und Kantonen ziemlich hoch sind ; es rekrutieren sich nun aber die fremden Elemente grossenteils aus dem Arbeiterstande ; folglich müssen wir unser Naturalisationssystem ausweiten, damit das Bürgerrecht auch Personen, die über bescheidene Einkünfte verfügen, zugänglich gemacht werde. Zu diesem Zwecke erscheint es angezeigt, die unentgeltliche Aufnahme von Fremden, die tatsächlich bereits assimiliert sind, zu begünstigen.

Wir schlagen deshalb vor, dass im kommenden Gesetz ein Teil der Armenlasten dem Bunde auferlegt werden solle für den

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Fall, dass die Kantone und die Gemeinden sich entschliessen, ihr Bürgerrecht gewissen Gruppen von Eingewanderten, die als zukünftige gute Bürger besonders qualifiziert erscheinen, unentgeltlich zu verleihen. Ferner erscheint es als unbillig, aus bloss armenrechtlichen Gründen die Wiedereinbürgerungsgesuche ehemaliger Schweizerinnen, die durch Heirat oder durch Verzicht des Ehemannes auf die schweizerische Staatsangehörigkeit das Schweizerbiirgerrecht verloren haben, abzuweisen ; um diese Wiedereinbiirgerungen zu erleichtern, wird der Bund einen Teil der Armenlasten übernehmen müssen, die den Kantonen oder Gemeinden daraus erwachsen.

Ohne dass wir zur Einführung des Rechtes auf Einbürgerung schreiten, kann wohl erwartet werden, dass zufolge solcher Jlassnahmen sich zwischen der einheimischen und der ausländischen Bevölkerung allmählich ein normaleres Zahlenverhältnis herausgestalte.

VIII.

Die intern-staatsrechtliche Stellung der Eingebürgerte«.

Das Gelingen der zur Lösung der Ausländerfrage zu treffenden Massnahmen wird grossenteils von der Stellung abhangen, die man den zwangsweise Eingebürgerten staatsrechtlich einräumen wird. Die Gemeinden werden eine Reform bekämpfen, welche mit einer wesentlichen Blehrbelastung ihres Armenetats verbunden wäre und ihnen zumuten würde, eine Grosszahl von fremden Elementen in den Mitbesitz und die Mitnutzung ihrer Bürgerund Korporationsgüter aufzunehmen. Dagegen dürfen wir wohl eher auf eine Annahme der geplanten Neuerung zählen, wenn bezüglich dieser beiden Punkte die Besorgnis der Gemeinden gehoben werden kann.

Es müssen drei Lösungen ins Auge gefasst werden : 1. Herr alt Nationalrat Speiser hat vorgeschlagen, ein sowohl seiner Entstehung als seiner Wirkung nach von don Kantons- und Gemeindebürgerrechten unabhängiges eidgenössisches I n d i g e n a t zu schaffen. Der nach eidgenössischem Recht in unser Indigenat aufgenommene Ausländer wäre einzig schweizerischer Staatsangehöriger, somit also weder Kantonsbürger noch Gemeindebürger.

2. Man könnte andererseits eine Kategorie von Bürgern schaffen, welche kein Gemeindebürgerrecht, wohl aber ein kantonales und ein eidgenössisches Indigenat besitzen.

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3. Im weitern kann die Losung ins Auge gefasst werden, den zwangsweise Eingebürgerten ein Indigenat zu verleiben, welches -- wie dies das Normale ist -- zugleich ein eidgenössisches, kantonales und kommunales Bürgerrecht in sich schliesst.

Ad 1. Die Schaffung eines ausschliesslich eidgenössischen Indigenates würde eine Revision des Art. 43, A14 l, der Bundesverfassung zur Voraussetzung haben. Dieser Artikel bestimmt, dass jeder Kantonsbürger Schweizerbürger ist. Er enthält zwar keine Vorschrift, dass das Kantonsbürgerrecht dem eidgenössischen Bürgerrecht vorausgehen solle, und dass letzteres nur die Folge des ersteren sei. Nichtsdestoweniger folgt aber zweifellos aus den Artikeln 43, 44 und 68 der Bundesverfassung, dass ein eidgenössisches Bürgerrecht ohne ein Kantonsbürgerrecht undenkbar ist, was übrigens ja auch der föderativen Natur des Staates entspricht ; die Einführung eines eidgenössischen Indigenates könnte also nicht ohne Verfassungsrevision erfolgen..

Die Personen mit eidgenössischem Indigenat würden in jedem Kanton den Niedergelassenen und Aufenthaltern aus andern Kantonen gleichgestellt sein, ausgenommen in zwei Punkten, welche sich auf die Niederlassung und das Unterstützungswesen beziehen.

In Fragen der N i e d e r l a s s u n g würden die eidgenössischen Bürger privilegiert sein ; sie würden einer vollständigen Niederlassungsfreiheit auf dem ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft, in sämtlichen Gemeinden des Landes teilhaftig werden, ohne dass dieses Recht irgendwie durch Artikel 45 der Bundesverfassung eingeschränkt werden könnte. Die Ausweisung aus der Gemeinde, in welcher sie niedergelassen wären, würde nicht möglich sein.

Das U n t e r s t ü t z u n g s w e s e n für diese eidgenössischen Bürger würde sich verwickelt gestalten. Das eidgenössische Indigenat würde voraussetzen, dass entweder die Unterstützungspflicht der Wohnsitzgemeinde, eingeführt werde, oder dass die Gemeinden verhalten würden, den eidgenössischen Staatsangehörigen ihr Bürgerrecht zu verleihen, damit dieselben gegenüber der Gemeinde einen Unterstützungsanspruch erhalten, oder endlich, dass die Eidgenossenschaft selber das Armenwesen zu ihren Gunsten organisiere.

Die erste dieser Lösungen erscheint zurzeit undurchführbar, denn wenn auch die Ersetzung des Heimatsprinzips im Unterstützungswesen durch das
Wohnortsprinzip gegenwärtig der Prüfung unterliegt, so ist wohl diese Reform noch lange nicht zur Verwirklichung reif, und ihre Annahme durch das Volk müsste dermalen als durchaus zweifelhaft erscheinen.

54 Die zweite Lösung, die darin besteht, denjenigen Personen, welche nur das eidgenössische Indigenat besitzen, das Recht zu verleihen, ihre Aufnahme in das Bürger- und Armenrecht einer schweizerischen Gemeinde zu verlangen, würde den Speiserschen Vorschlag seines Hauptvorteils entkleiden, da sie ja unausweichlich auf den Widerstand der Gemeinden stossen würde. Sie wäre keineswegs einfach und würde eine Kategorie von eidgenössischen Bürgern ohne Armenrecht bestehen lassen, derjenigen nämlich, die von dem Anspruch auf Gemeindeeinbürgerung keinen Gebrauch machen würden.

Fassen wir nun in dritter Linie die Lösung ins Auge, die darin bestehen würde, dass der Bund die Unterstützung der eidgenössischen Bürger direkt zu seinen Lasten übernähme. Wollte die Bundesverwaltung die Fürsorge mittels ihrer eigenen Organe durchführen, so würde dies eine wesentliche Erweiterung des administrativen Apparates des Bundes erfordern.

Sieht man von dieser wenig praktischen Lösung der Schaffung einer eigenen eidgenössischen Armenpflege ab, so müsste der Bund zur Unterstützung seiner Neubürger sich der bereits bestehenden Unterstützungsorgane und -Institutionen bedienen, indem er die Unterstützung der eidgenössischen Bürger auf Kosten der Eidgenossenschaft durch die kantonalen und kommunalen Behörden des Wohnsitzkantons besorgen lassen würde. Da somit die Unterstützung durch Organe geleistet würde, welche kein Interesse daran hätten, mit den Geldern sparsam umzugehen, so müsste diese Lösung für den Bund sich besonders kostspielig gestalten.

Wenn man nun hinzufügt, dass die Schaffung eines eidgenössischen Indigenats den historischen Grundlagen unseres Bürgerrechtes widersprechen würde, dass wir diese Institution mit der föderativen Natur unseres Staates nicht in Einklang bringen könnten, da eine Kategorie von Bürgern entstehen würde, welche von den Kantonen losgelöst, bei wachsender Anzahl dem Einheits'staate zustreben, und dass die Assimilation der Ausländer durch eine Massnahme, die zwei verschiedene Klassen von Schweizerbürgern schaffen würde, nur gehemmt wäre, so müssen wir zu dem Schlüsse gelangen, dass die Schaffung eines aussehliesslich eidgenössischen Indigenats mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden wäre.

Ad 2. Es ist nun im weitern die Frage zu prüfen, ob die Zuerkennung eines bloss kantonalen Indigenates ohne Gemeindebürgerrecht an die kraft Gebietshoheit einzubürgernden Kinder Vorteile bieten würde.

55 Die Aufgabe der Kautone würde in diesem Falle darin bestehen, die Rückwirkung der durch die Eidgenossenschaft zur Lösung der Ausländerfrage getroffenen Massnahmen auf die Gemeinden zu paralysieren. Auch dieser Weg, wie der vorherbesprochene, würde den historischen Grundlagen unseres Staatsbürgerrechts nicht entsprechen und würde einen Bruch mit unserer traditionellen Rechtsauffassung darstellen. Hingegen würde er vor dem Indigenat nach Speiserschein System den Vorteil haben, weder gegen die Bundesverfassung noch gegen die föderalistischen Grundsätze unseres Staates zu verstossen.

Die Bundesverfassung spricht in der Tat nicht vom Gemeindebürgerrecht ; sie stellt einzig die Kantonszugehörigkeit als Bedingung für die schweizerische Staatsangehörigkeit auf. Die Zuweisung eines Gemeindebürgerrechts könnte folglich unterbleiben, ohne dass es notwendig wäre, die Verfassung zu revidieren. Die Frage, ob es notwendig ist, ein Gemeindebürgerrecht zu besitzen, um Kantonsbürger zu sein, gehört ins interne Staatsrecht der Kantone. Der Bund würde den Kantonen die Entscheidung überlassen, ob den kraft Gebietshoheit eingebürgerten Kantonsangehörigen das Gemeindebürgerrecht zu verleihen sei. Jeder Kanton würde alsdann die öffentlich-rechtliche Stellung der Neubürger mit der Regelung des Bürgernutzens und des Rechts auf Armenunterstützung in Einklang bringen können. Vermutlich würden die Kantone sich damit begnügen, die Kosten dieser Unterstützung zu übernehmen und die Hülfeleistung als solche den Behörden der Wohnsitzgemeinde, zu übertragen. Sie wären offenbar besser in der Lage als der Bund, die lokalen Verhältnisse und die in jedem speziellen Falle von den Gemeindon getroffenen Massnahmen zu beurteilen und auf diese Weise Missbräuche zu verhindern, so dass dieses Unterstützungssystem doch wohl sich weniger kostspielig gestalten würde, als es beim Speiserschen Indigenat der Fall wäre. Die Kantone, als politische Organismen zweifellos kräftiger als die Gemeinden, würden jedenfalls in der Lago sein, den von ihnen verlangten Opfern -- eventuell mit Hülfe des Bundes -- gerecht zu werden.

Die Kantonsbürger könnten ein absolutes Niederlassungsrecht für alle Gemeinden ihres Heimatkantons besitzen, nicht aber für das ganze schweizerische Gebiet, wie dies bei den rein eidgenössischen Bürgern der Fall wäre. Da sie kein
Gemeindebürgerrecht besitzen würden, so wäre ihre Stellung im Heimatkanton ähnlich derjenigen der niedergelassenen Angehörigen der übrigen Kantone. Im Falle ihrer Ausweisung aus einem andern Kanton

56 müsste der Heimatkanton eine seiner Gemeinden verhalten, si© aufzunehmen und zu dulden.

Es ist aber nicht zu verkennen, dass die meisten Nachteile, auf die bei der Besprechung des eidgenössischen Indigenats hingewiesen wurde, auch dem kantonalen Indigenat anhaften würden, freilich in abgeschwächtem Masse, da dieselben nur im Innern des Heimatkantons, nicht auf dem Boden des gesamten Landes zutage träten. Diese Lösung würde übrigens ebenfalls verschiedene Kasten von Bürgern schaffen und so die Assimilation der Neubürger erschweren. Wir glauben daher auch die Kreierung eines kantonalen Indigenats, dem kein Gemeindebürgerrecht zur Seite stehen würde, ablehnen zu sollen.

Ad 3. Die Lösung, die der geschichtlichen Entwicklung unseres Bürgerrechtbegriffes entspricht und die wir Ihnen vorschlagen, besteht darin, den Neubürgern ein Indigenat, welches zugleich eidgenössisch, kantonal und kommunal ist, zu verleihen. Und zwar wird ihnen das Bürgerrecht derjenigen Gemeinde zuzuteilen sein, wo zur Zeit ihrer Gehurt ihre Eltern auf Grund einer amtlichen Ermächtigung wohnen. Hierfür soll nicht der privatrechtliche Wohnsitz bestimmend sein, wie ihn Artikel 23 ff.

des Zivilgesetzbuches vorsehen, sondern die Niederlassung oder der Aufenthalt öffentlich-rechtlicher (polizeilicher) Natur.

Soll nun diesen neuen Mitbürgern eine Stellung eingeräumt werden, die derjenigen der andern Schweizerbürger in allen Punkten ähnlich ist, oder soll ihnen das Nutzungsrecht an den bürgerlichen und korporativen Gütern Vorenthalten werden ?

Wir halten das letztere durchaus erforderlich, wenn nicht bei allen gegenwärtigen Nutzniessern dieser Güter, in der Befürchtung, die Nutzungen mit neuen Mitberechtigten teilen zu müssen, ein Widerstand ausgelöst werden soll, der die Reform kompromittieren würde.

Eine solche Einschränkung der Rechtslage unserer zukünftigen Mitbürger steht mit dem in Artikel 4 der Bundesverfassung gewährleisteten Grundsatz, wonach alle Schweizerbürger vor dem Gesetze gleich sind, nicht in Widerspruch. Nach Doktrin und Praxis ist dieser Grundsatz kein absoluter; der Gesetzgeber darf verschiedenartige Situationen auch verschiedenartig ordnen, und die Frage besteht jeweilen nur darin, w a n n die Verschiedenheit der Tatsachen gross genug ist, um eine Differenzierung der Rechtslage zu rechtfertigen. Die Gleichstellung vor dem Gesetz wird nicht angetastet, wenn die Verschiedenheit in der rechtlichen Behandlung sich auf objektive Gesichtspunkte stützt und wenn

57 eine Vergünstigung nicht an individuell bestimmte Einzelpersonen; gewährt, sondern ganz allgemein an gewisse rechtliche Voraussetzungen geknüpft wird, so dass jedermann, der diese Voraussetzung erfüllt, daran teilnimmt. Die zwischen den angestammten Schweizerbürgern und den zwangsweise Inkorporierten bestehenden Kechtsuntersohiede rechtfertigen zweifellos den Ausschluss der letztern von der Nutzung der bürgerlichen und korporativen.

Güter, und dies um so mehr, als jenes Nutzungsrecht bereits in der Bundesverfassung (Art. 43, AI. 4) den Schweizern, die ausserhalb ihrer Heimatgemeinde wohnen, d. h. also einer sehr zahlreichen Kategorie von Bürgern, abgesprochen wird.

Die Stellung der Neubürger wäre daher derjenigen der angestammten Gemeindebürger fast gleichwertig; denn sie würden wie diese ein unbeschränktes Niederlassungsrecht in der Heimatgemeinde und das Recht auf Ar m en Unterstützung besitzen ; auch würden sie ihr Stimmreeht in der Heimatgemeinde jederzeit, ohne vorangehende dreimonatige Niederlassungsdauer, ausüben können.

Das Recht auf Unterstützung durch die Gemeinde, welches den zwangsweise Eingebürgerten zuerkannt wird, wird dazu führen, ihnen eine gewisse Mitbeteiligung bei der Verwaltung der bürgerlichen Geschäfte zuzuerkennen : insbesondere dürfte ihnen ein gewisses Stirn m recht, eine Kontrolle über die Verwendung der bürgerlichen Güter, sowie das Recht, über Neuaufnahmen ins Gemeindebürgerrecht abzustimmen, verliehen werden ; denn alle diese Akte üben eine direkte oder indirekte Rückwirkung auf das Vermögen der ßürgergemeinde und damit auf die Administration der Armenpflege, an welcher die Neubürger direkt interessiert sind.

Es wird Sache der Kantonsgesetzgebung sein, in bezug auf das Stimmrecht der Neubürger in bürgerlichen Angelegenheiten, eine zutreffende Lösung zu finden. Für den eidgenössischen Gesetzgeber erscheint es unmöglich, alle Eigentümlichkeiten, welche die Gemeindeorganisation in den verschiedenen Kantonen aufweist, zu berücksichtigen; er muss sich an der Gewissheit geniigen lassen, dass die Neubürger auch ohne Anteil an den bürgerlichen Nutzungen eine Rechtsstellung einnehmen werden, die eines Schweizerbürgers würdig ist.

Dass der Bund die Kantone nicht vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellt, dürfte aus den folgenden Auseinandersetzungen erhellen.

Den zwangsweise Eingebürgerten würden die gleichen kommunalen Rechte wie den angestammten Bürgern zustehen :

ss a. in den Kantonen, wo es keine Bürgergüter gibt, und wo die Armenlasten vom Kanton oder von der politischen Gemeiude getragen werden (Genf, Neuenburg, Waadt, mit Aussehluss einiger Gemeinden) ; b. in den Kantonen, wo die Unterstützung der Bürgergemeinde obliegt, deren Eigentum ausschliesslich das Armengut umfasst, während das übrige Gemeindevermögen der politischen Gemeinde angehört und daran allen Gemeindeeinwohnern ein Nutzungsrecht zusteht (Graubünden) ; e. in den Kantonen, wo das Armenwesen Sache der Bürgergemeinden ist und keinerlei Verteilung bürgerlicher Nutzungen stattfindet (Zürich, Basel-Stadt) ; d. in den Kantonen, wo sich spezielle Korporationsgüter vorfinden, die weder zum Eigentum der Bürgergemeiade noch zu demjenigen der Einwohnergemeinde gehören und wo die Unterstützungspflicht entweder der Einwohnergetneinde (Uri für die ,,unausgeschiedenen Gemeinden'1, Schwyz, Tessin) oder der Bürgergemeinde, deren Vermögen nahezu ausschliesslich aus Unterstützungsfonds besteht (Luzern, Uri für die ,,ausgeschiedenen Gemeinden11, Obwalden, Zug, Freiburg, Schaffhausen, Appenzell A.-Rh.), oder dem Bezirk (Appenzell I.-Rh.) oder endlich einer Spezialgemeinde (,,Armengemeinde10 in Nidwaiden) obliegt.

In diesen 17 Kantonen und Halbkantonen (a--d~) würde die Erteilung eines Gemeindeindigenats mit voller W i r k u n g an die zwangsweise Eingebürgerten auf keine unüberwindliche Schwierigkeit stossen.

In den acht andern Kantonen und Halbkantonen : Bern {mit Aussehluss von 126 Gemeinden, besonders im Emmental, ·die keine Bürgergüter mehr besitzen), Glarus, Solothurn, Baselland, St. Gallen, Aargau, Thurgau und Wallis, sowie in einigen Gemeinden des Kantons Waadt und Obwaldens und endlich in dem urnerischen Korporationsbezirk Urseren wird die Lage verwickelter sein. Die Bürgergemeinde hat hier öffentlich-rechtliche Funktionen beibehalten, von denen der Neubürger nicht ausgeschlossen werden soll; die Bürgergemeinde verteilt aber an ihre Angehörigen Nutzungen, auf welche den Neubürgern kein Anrecht zustehen soll. Es könnten diesfalls drei Lösungen in Betracht fallen : a. Entweder die Kantonalgesetzgebung lässt die politische (Einwohner-) und die Bürgergemeinde nebeneinander bestehen, indem sie den Neubürgern das Stimmrecht in allen die Verwal-

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tung der Bürgergüter betreffenden Geschäften vorenthält (selbst dann, wenn diese Güter akzessorisch zur Deckung der Armenkosten beitragen müssen) ; in den andern bürgerlichen Angelegenheiten (auch in denjenigen, welche indirekt den Ertrag der Bürgergüter beeinflussen könnten, wie beispielsweise die Verleihung des Gemeindebürgerrechts) würden die Neubürger das Stimmrecht erhalten. Die angestammten und die Neubürger könnten miteinander Gemeindeversammlungen abhalten, hingegen würden sich die letztern in den Verwaltungsgeschäften betreffend die Bürgergüter der Abstimmung enthalten, eventuell könnte man ihnen beratende Stimme einräumen.

b. Oder die Kantonalgesetzgebung würde für die angestammten Bürger, neben bzw. ausserhalb der Bürgergemeinde, eine neue Gemeinde, d. h. eine neue öffentlich-rechtliche Korporation, schaffen, die dann mit der Verwaltung des Bürgergutes und mit der Verteilung seiner Einkünfte betraut würde; den Überschuss ihrer Einnahmen würde die Korporationsgemeinde der Bürgergemeinde abgeben, welche ihrerseits das Armenwesen übernähme. Wir hätten somit alsdann in der Gemeinde drei Körperschaften des öffentlichen Rechts : die politische (Einwohner-) Gemeinde, die Bürgergemeinde und die Korporationsgemeinde.

c. Oder es könnte endlich der kantonale Gesetzgeber die Gemeindeverfassung noch gründlicher abändern, die bisherige Bürgergemeinde auflösen und nur zwei Gemeinden bestehen lassen : die politische, welche aus allen Einwohnern gebildet wäre und eine Korporationsgemeinde, welche sich einzig mit der Verwaltung der Korporationsgüter zu befassen hätte. Die öffentlich-rechtlichen Funktionen der bisherigen Bürgergemeinden, das Armen- und Vormundschaftswesen und die Einbürgerungen würden an die politische Gemeinde übergehen ; die zwangsweise Eingebürgerten wären nur der letztern zugeteilt und würden nicht zur Korporationsgemeinde gehören.

Die Probleme, die so der Kantonalgesetzgebung erwachsen, sind zweifellos nicht einfach, doch glauben wir, dargelegt zu haben, dass sie nicht unlösbar sind. Meistenteils wird eben die Lösung zur Schaffung zweier Gruppen von Gemeindebürgern führen, von denen die eine die Nutzung der Bürgergüter geniesst, während die andere nicht daran partizipiert. Wenn dies auch die volle Assimilation der Neubürger etwas beeinträchtigt, so wird sich dieser Nachteil nur in den acht Kantonen fühlbar machen, wo noch ein Bürgernutzen zur Austeilung gelangt.

Übrigens wird dem kantonalen Gesetzgeber freistehen, diese Un-

60

gleichheit aufzuheben, Weise den Zutritt zu wenigstens der zweiten weise Eingebürgerten, bürgerrecht zusichert.

indem er den Neubürgern in liberaler den Bürgerschaften öffnet oder indem er Generation, d. h. den Kindern der zwangsdas volle nutzungsberechtigte Gemeinde-

IX.

Beitrag des Bundes an die Armenlasten.

"Wir haben bereits hervorgehoben, dass den Neubürgern ein gleiches Recht auf A r m e n u n t e r s t ü t z u n g gewährt werden muss, wie es die übrigen Gemeindebürger besitzen. Daraus wird offenbar zahlreichen schweizerischen Gemeinden eine fühlbare Erhöhung ihrer Armenlasten erwachsen. Da diese vermehrten Ausgaben eine direkte Folge der bundesrecbtlichen Bestimmungen sind, so erscheint es als billig, dass die Eidgenossenschaft einen Teil derselben auf sich nehme.

Davon, dass die g e s a m t e n Mehrausgaben vom Bunde vergütet werden, kann unseres Erachtens nicht wohl die Rede sein.

Vor allem muss gesagt werden, dass fast nirgends die Gemeinden die Unterstützungskosten allein zu tragen haben, da der Kanton ihnen Beistand leistet : sei es durch seine Kranken- und Erziehungsanstalten, sei es durch besondere Subsidien. In denjenigen Kantonen, wo die Unterstützungskosten durch bürgerliche Armensteuern aufgebracht werden, wächst durch Vermehrung der unterstützungsberechtigten Bürger auch die Zahl der Steuerzahler und damit der Ertrag der Armensteuer. Dafür, dass den Kantonen bzw. den Gemeinden ein Teil der aus der Zwangseinbürgerung resultierenden Unterstützungslast uberbunden wird, sprechen auch grundsätzliche Überlegungen, welche mit dem föderativen Charakter unseres Staatswesens zusammenhangen. Die Kantone sind aeben dem Bund Träger der Staatsgewalt und können sich daher ebensowenig wie der Bund den Notwendigkeiten entziehen, die mit der Selbsterhaltung des Staates verknüpft sind. Zweifellos würde die Reform leichter angenommen, wenn der Bund alle daraus entstehenden Kosten übernehmen würde ; allein es wäre ein schwerwiegender Präzedenzfall, wenn der Bund die Zustimmung der Kantone zum Erlass eines für den Bestand des Staates unerlässlichen Gesetzes durch ein Versprechen völligen Schadenersatzes gewissermassen erkaufen wollte. Endlich, vom wirtschaftlichen Standpunkte aus, darf nicht übersehen werden, dass heute schon die Unterstützung der Ausländer zu einem guten Teil von der schweizerischen Bevölkerung, von Kantonen, Ge-

61 meinden und von der Privat Wühltätigkeit getragen wird und dass also die aus dem künftigen Gesetz erwachsenden Lasten nur teilweise eine wirkliche Mehrausgabe unserer Volkswirtschaft bedeuten werden. Alle diese Überlegungen rechtfertigen es, dass die Unterstützungskosten für die Neubürger nicht ausschliesslich der Eidgenossenschaft Überbunden werden.

Die vom Bunde zu leistende Subvention kann nach zwei verschiedenen Modalitäten entrichtet werden : entweder übernimmt der Bund die Pflicht, für jeden zwangsweise Eingebürgerten zur Deckung des Unterstützungsrisikos eine Pauschalsumme zu bezahlen, oder die Eidgenossenschaft vergütet den Kantonen (oder den Gemeinden) einen Teil der effektiven Kosten, die ihnen aus der Unterstützung eines kraft Gebietshoheit eingebürgerten Kindes bis zu einem bestimmten Lebensalter desselben erwachsen.

Das System der Pauschalentschädigung würde den Vorteil grosser Einfachheit in der Berechnung der Bundessubventionen bieten; es wäre dies gewissermassen eine für jeden Neubürger zu entrichtende Einkaufssumme, gestützt auf das durchschnittliche Unterstützungsrisiko ; entweder würde eine Durchschnittsgebühr für die ganze Schweiz oder es würde ein besonderer Betrag für jeden Kanton nach Massgabe der lokalen Verhältnisse festgesetzt.

Das hieraus sich ergebende Rechnungsverhältnis und die Kontrolle würden sich höchst einfach gestalten. Die Pauschalbeträge wären vom Bunde den Kantonen zu entrichten, welche sie je nach der kantonalen Organisation des Armenwesens den Gemeinden zuwenden würden.

Diese Lösung hätte aber wesentliche Nachteile. Die Pauschalsumme, die jeweilen bei Geburt des Kindes vom Bunde auszurichten wäre, würde selbstverständlich, wie jede approximative ' Wertung, etwas Arbiträres sein und würde -- zumal wenn die einfachste Lösung einer E i n h e i t s s u m m e für die G e s a m t s c h w e i z zur Durchführung käme -- der je nach den einzelnen Landesteilen und nach den Aufwendungen der Privatwohltätigkeit sich ergebenden Verschiedenheit der Leistungen und der Kosten keine Rechnung tragen.

Für diejenigen Kantone, welche die wohnörtliche Unterstützung eingeführt haben, ergäbe sich noch eine besondere Schwierigkeit: wenn der Kanton die im Zeitpunkt der Geburt des Kindes vom Bunde geleistete Pauschalsumme der Heimatgemeinde des Kindes zuwendet, besteht keine Sicherheit, dass die später sich ergebende Unterstützungspflicht diese Gemeinde wirklich treffen wird, indem unter der Herrschaft des Territorialsystems

62 die Unterstützung der jeweiligen Wohnsitzgemeinde obliegt.

Endlich ist zu bedenken, dass es dermalen, selbst unter Inaussichtnahme periodischer Revisionen, nicht leicht wäre, einen Durchschnittsansatz für die Pauschalentschädigung zu bestimmen, angesichts des so stark schwankenden Geldwertes.

Das z w e i t e Entschädigungssystem bestände darin, dass durch die Eidgenossenschaft eine Quote der tatsächlich ausgerichteten Unterstützungen zurückbezahlt würde ; es hat für beide Teile xJen Vorteil, dass die Vergütung des Bundes sich genau nach den wirklichen Aufwendungen richtet, daher weder zu tief noch zu hoch greift und den lokalen Verhältnissen vollste Rechnung trägt; auch ist die Gefahr ausgeschaltet, dass beim System der wohnörtlichen Unterstützung die Bundesentschädigung an eine Gemeinde gelange, die bei Wechsel des Wohnsitzes nicht mehr unterstützungspflichtig ist. Dagegen kann nicht übersehen werden, dass dieses zweite System in seiner Funktion wesentlich komplizierter ist als das erstgenannte ; denn es erfordert ein detailliertes Rechnungswesen und eine sorgfältige Kontrolle der von den Gemeinden in Rechnung gestellten Ausgaben. Aber es ist zweifellos genauer und daher gerechter als das Pauschalsystem und würde wohl auch vom Bunde geringere Opfer verlangen.

Anlangend die Höhe der von der Eidgenossenschaft zu leistenden Subsidien, so fällt es schwer, genaue Schätzungen anzustellen, da es keine Statistik gibt, die über den gesamten Unterstützungsaufwand für Ausländer Aufschluss erteilt. Wir berechnen die dem Bunde auffallenden Ausgaben wie folgt: Die Pflicht des Bundes zur Unterstützung der Eingebürgerten bedarf der zeitlichen Begrenzung; denn es ist undenkbar, dass sie auf die volle Lebenszeit ausgedehnt werde. Die natürliche Begrenzung fällt nun offenbar auf den Zeitpunkt, in welchem das eingebürgerte Kind selbständig existenzfähig wird ; als solcher ist das zurückgelegte 18. Altersjahr massgebend. Wir halten die Begrenzung auf 15 Jahre als zu knapp und schlagen vor, den Unterstützungsbeitrag des Bundes während der ersten 18 Lebensjahre des eingebürgerten Kindes zu gewähren. Was nun den Prozentsatz der Unterstützungsbedürftigen betrifft, so erachten wir nunmehr die Ergebnisse der aus Anlass der Motion Lutz erhobenen Statistik über die interkantonale Armenpflege für massgebend; darnach
beliefen sich im Jahre 1912 in der interkantonalen Armenpflege die unterstützten Personen auf 7,3 °/o der Unterstützungsberechtigten. Auf Grund dieser Berechnung nehmen wir an, dass von den kraft Gebietshoheit eingebürgerten Ausländer-

63

kindern im Laufe eines Jahres jeweilen 7 °/o der Armenunterstützung bedürfen. Man kann wohl voraussetzen, dass sich unter den Ausländern weniger Unterstützungsbedürftige befinden als unter der einheimischen Bevölkerung. Hinwieder aber liegt in denjenigen Kantonen, die am meisten Ausländer und auch am meisten Angehörige anderer Kantone aufweisen, der Prozentsatz der interkantonal Unterstützten über dem Mittel von 7 °/o (Genf 12,3 °/o, Basel-Stadt 11 ó/o, Zürich 10,i °/0, St. Gallen 8,3%); sonach erscheint die Annahme, dass durchschnittlich 7 °/o der Eingebürgerten unterstützt werden müssen, nicht zu hoch gegriffen.

1912 beliefen sich die durchschnittlichen Unterstützungskosten in der interkantonalen Armenpflege auf Fr. 116 pro Unterstützungsfall und Fr. 61 pro Person. Berücksichtigt man die allgemeine Verteuerung der Lebenshaltung, so wird man kaum zu hoch greifen, wenn man jetzt als Durchschnittsbetrag der Unterstützung pro Person Fr. 100 einsetzt. Im weitern fällt sodann in Betracht, dass die Unterstützung der Kinder wesentlich kostspieliger ist als diejenige von Erwachsenen, denn jene bedürfen -- handle es sich nun um Waisen, Verwahrloste, Kranke oder Gebrechliche -- meistens einer dauernden Fürsorge.

Wir glauben deshalb, für jedes unterstützungsbedürftige Kind einen durchschnittlichen Unterstützungsbetrag von Fr. 200 in Anschlag bringen zu müssen. Setzen wir voraus, dass der Bund YS oder 2/s der Kosten trägt und dass jährlich 6300 Kinder eingebürgert werden, und stützen wir uns hinsichtlich der Überlebenswahrscheinlichkeit auf die vom eidgenössischen statistischen Bureau im Jahre 1917 veröffentlichten Absterbeordnungen, so erhalten wir folgende Resultate : Eingebürgerte

Unierstützungsfälle und GesamtunterstiitzungsauîivaiKJ Franken

1. Jahr 5.

,,

10.

15.

18.

,, ,, ,,

6,300 27,838 54,040 79,904 95,255

7 °/o = 7 »/o = 7 °/o = 7% = 7% =

*/a zuLasten 2/3 zuLasten der Eidge- der Eidgenossenschaft nossenschaf!

Franiti n

441 à Fr. 200 = 88,200 44,100 1949 à Fr. 200 = 389,800 134,900 3783 à Fr. 200 = 756,600 378.300 5593 à Fr. 200 = 1,118,600 559,300 6668 à Fr. 200 = 1,333,600 666,800

Franken

58,800 259,800 504,400 745,700 889,100

Bezüglich der von Kantonen und Gemeinden unentgeltlich eingebürgerten (erwachsenen) Personen könnte die Beteiligung des Bundes an der Armenlast z. B. auf fünf Jahre beschränkt werden. Die Zahl der unentgeltlichen Einbürgerungen, für die der Bund eine armenrechtliche Verpflichtung übernimmt, lässt

64

sich nur schätzungsweise angeben. Die Statistik zeigt, dass durchschnittlich 29,7 °/o der naturalisierten Personen g r a t i s eingebürgert werden. Da aber der Bund nur für eine bestimmte Klasse der unentgeltlich Naturalisierten sich an der Armenlast beteiligt, so dürfte der Prozentsatz dieser Klasse picht höher als auf 20 % der naturalisierten Personen zu bewerten sein (d. h.

bei 3500 naturalisierten Personen pro Jahr auf ungefähr 700).

Die Auslagen für diese Klasse würden daher unter der Voraussetzung, dass der Bund sich an den Unterstützungskosten jeweilen während fünf Jahren nach erfolgter Naturalisation beteiligt, und unter Ansetzung der durchschnittlichen Unterstützungssumme pro {erwachsene) Person auf Fr. 100 (wobei wieder 7 °/o der Eingebürgerten als unterstützungsbedürftig angenommen sind) folgendes Bild ergeben :

!

Unentgeltlich Eingebürgerte

7 °/0 =

1.

23.

45.

Jahr ,, ,, ,, ,,

'/2 zu Lasten 3/3 zu Lastsii der Eidge- der Eidgenossenschaft nossenschaft

Unterstützungsfälle und Gesamtunterstützungsaufwand Franken

Franken

Franken

49 à Fr. 100= 4,900 2,450 98 à Fr. 100= 9,800 4,900 147 à Fr. 100 = 14,700 7,350 2800 196 à Fr. 100 = 19,600 9,800 3500 245 à Fr. 100 = 24,500 12,250

3,300 6,500 9,800 13,000 16,300

700 1400 2100

Die Eidgenossenschaft hätte demnach vom 18. Jahre seit Veröffentlichung des Gesetzes an jährlich eine Ausgabe von Fr. 689,050 bis Fr. 905,400 (889,100 -j- 16,300) aufzubringen.

i

Kraft Gebietshoheit Eingebürgerte

i

Y» der

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Naturalisierte

/3 der

YS der

Eid-

Eid-

a

Total

/s der

YS der

Eid-

Eid-

% der

Kosten zu Kosten zu Kosten zu Kosten zu Kosten zu Kosten zu Lasten der Lasten der Lasten der Lasten der Lasten der Lasten der Eid-

Eid-

genossen- genossen- genossen- genossen- genossen- genossenschaft schaft schaft schaft schaft schaft

i i

Franken Franken Franken Franken Franken Franken ! 1. Jahr . . . 44,100 58,800 5. ,, . . . 194,900 259,800 10. ,, . . . 378,300 504,400 15. ,, . . . 559,300 745,700 18.

2,450 12,250 12,250 12,250

3,300 46,550 62,100 16,300 207,150 276,100 16,300 390,550 520,700 16,300 571,550 762,000

12,250

16,300 689,050 905,400

,, und fol-

gende

. . . 666,800 889,100

65 Hierzu würde noch die Summe hinzutreten, welche die Unterstützung der infolge Retroaktivität des Gesetzes eingebürgerten fünf Jahrgänge der Ausländerkinder (26,815 Personen) erfordern würde. Diese fünf Jahrgänge würden das Budget des Bundes während 14 Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes belasten unter Berücksichtigung der Verminderung gemäss den Sterblichkeitstabellen; vom 14. Jahre an würde alsdann je ein Jahrgang in Wegfall kommen, nach dem 18. Jahre der letzte.

Es ergibt sich hierfür folgende Zusammenstellung :

Jahr

Eingebürgerte

Unterstützungsfälle und Gesamtunterstlltzungsaufwand 7 o/o =

Bei Inkrafttreten des Gesetzes .

14, Jahr (Überlebende) .

15. Jahr (Überlebende weniger eine Klasse von mehr als 18 Jahre Alten) 16. Jahr (Überlebende weniger zwei Klassen von mehr als 18 Jahre Alten) 17. Jahr (Überlebende weniger drei Klassen von mehr als 18 Jahre Alten) 18. Jahr (Überlebende weniger vier Klassen von mehr als 18 Jahre Alten)

Pranken

YSZU Lasten 2/szu Lasten der Eid- der Eidgenossen- genossenschaft schaft Franken

Franken

26,815 25,546

1877 à Fr. 200 = 375,400 187,700 250,300 1788 à Fr. 200 = 357,600 178,800 238,400

20,399

1428 à Fr. 200 = 285,600 142,800 190,400

15,265

1068 à Fr. 200 =213,700 106,850 142,500

10,143

710 à Fr. 200 =142,000

71,000

94,700

5,040

353 à Fr. 200= 70,600

35,300

47,000

Die Belastung des Bundes aus der Rückwirkung des Gesetzes auf fünf Jahre würde im ersten Jahre nach Inkrafttreten Fr. 250,300, im- 14. Jahre noch Fr. 238,400 betragen und alsdann bis zum 19. Jahre völlig verschwinden.

Ziehen wir aus diesen Berechnungen, die auf breiter Basis beruhen und keinesfalls zu niedrig sind, den Schluss, so ergibt sich, dass die Ausgaben des Bundes an Unterstützungskosten den Betrag von Fr. 1,000,000 im Jahre nicht übersteigen werden, auch dann nicht, wenn der Zwangseinbürgerung rückwirkende Kraft auf fünf Jahre beigelegt wird. Mit dem jährlichen Opfer von einer Million Franken wird sich die Fremdenfrage voraussichtlich erfolgreich lösen lassen.

Zur Berechnung der Kosten für den Fall, dass das System der P a u s c h a l e n t s c h ä d i g u n g Anwendung finden sollte, halteu Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. V.

5

66 wir uns an die gleichen Rechnungsgrundlagen, indem wir 7 °/» Unterstützungsfälle annehmen, den jährlichen Durchschnittsbetrag der Unterstützung für die kraft Gebietshoheit eingebürgerten Kinder auf Fr. 200, denjenigen für die unentgeltlich eingebürgerten (erwachsenen) Personen auf Fr. 100 schätzen, und gelangen auf diese Weise zu einer jährlichen Beitragsleistung des Bundes von Fr. 931,000.

Die Annahme einer Rückwirkung der Zwangseinbürgerung auf fünf Jahre würde nun allerdings beim System der Pauschalentschädigungen im Zeitpunkte des Inkrafttretens des Gesetzes vom Bunde eine bedeutende einmalige Ausgabe erfordern (die sich beim System der Vergütung der effektiven Auslagen auf 18 Jahr& verteilen würde). Die 26,815 Ausländerkinder der gleichzeitig eingebürgerten fünf Jahrgänge, mit Fr. 210 pro Kopf in Rechnung gesetzt, erfordern ein Deckungskapital von Fr. 5,631,150, wovon die Eidgenossenschaft 2/3 = Fr. 3,754,100 zu leisten hätte.

X.

Die politischen Rechte. .

Abgesehen von der Beschränkung des Stimmrechts in Sachen der Bürger- und Korporationsgüter, werden die kraft Gebietshoheit eingebürgerten Personen den Schweizerbürgern politisch durchausgleichberechtigt sein. Sie gelten von ihrer Geburt an als schweizerische Staatsangehörige. Daher wäre eine weitergehende Zurücksetzung derselben in den politischen Rechten nicht angebracht.

Man wird ihnen in Gemeinde, Kanton und Eidgenossenschaft das aktive und passive Wahlrecht einräumen und sie demgemäss auf e i n e Stufe mit den angestammten Schweizerbürgern stellen.

Hingegen scheinen uns bezüglich jener Neubürger, die als Ausländer geboren wurden und unsere Staatsangehörigkeit durch freiwillige Naturalisation erworben haben, etwelche Vorsichtsmassregeln geboten zu sein. Es gilt zu verhindern, dass Naturalisierte neuern Datums zur politischen Leitung des Landes oder einzelner Kantone gelangen. In einer Reihe von Staaten wird aua Gründen der innern Politik unterschieden zwischen ,,einfacher" und ,,grossertt Naturalisation. Durch einfache Naturalisation erwirbt der Ausländer lediglich bürgerliche Rechte von geringerer Bedeutung, wie das Gemeindewahlrecht. Bloss die grosse Naturalisation verschafft ihm den Vollgenuss der politischen Rechte.

Wir begegnen diesem System in Belgien, Bolivia, Equador, Griechenland, Holland, Japan, San Salvador, Spanien, Ungarn

67

und Uruguay. Italien befolgte dasselbe bis zum Jahre 1912, Grossbritannien bis 1914. In andern Ländern, namentlich solchen mit ausgeprägt demokratischer Staatsform, zeigt man sich den Neubürgern gegenüber liberaler. Man gewährt ihnen das Stimmrecht in vollem Umfang und begnügt sich damit, das passive Wahlrecht mehr oder weniger zu beschneiden. So kann z. B. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika der Naturalisierte niemals zum Präsidenten der Republik gewählt werden; als Mitglied des Repräsentantenhauses ist er erst 7 Jahre nach der Einbürgerung wählbar. In Frankreich darf ein Naturalisierter erst nach Ablauf von 10 Jahren seit Erwerb der französischen Staatsangehörigkeit in die gesetzgebende Versammlung gewählt werden \ doch ist eine Abkürzung der zehnjährigen Frist durch Spezialgesetz möglich.

Ähnliche Beschränkungen waren ehemals auch im schweizerischen Verfassungsrecht enthalten, ohne dass man gefunden hätte, dass sie sich mit dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz nicht vertrugen. Art. 4 der Bundesverfassung von Ì 848 garantierte ausdrücklich die Gleichheit aller Schweizer vor dem Gesetze; dessenungeachtet bestimmte Art. 64, AI. 2, derselben Verfassung : ,,Naturalisierte Schweizerbürger müssen seit wenigstens fünf Jahren das erworbene Bürgerrecht besitzen, um wahlfähig (in den Nationalrat) zu sein.L(i In Art. 13, AI. 2, des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen ist diese Vorschrift wiederholt. Sie muss aber heute als aufgehoben gelten, da sie in Art. 75 der Bundesverfassung von 1874, der dem Art. 64 der Verfassung von 1848 entspricht, nicht aufgenommen wurde. Sie wurde beseitigt, weil die neue Verfassung (Art. 44) dein Bunde das Recht verlieh, die Bedingungen für die Erteilung des Schweizerbürgerrechtes gesetzlich zu regeln und man infolgedessen eine Vorsichtsmassregel gegen allzu leichten Zutritt zu unserm Staatsbürgerrecht entbehren zu können glaubte.

Wir halten es für geboten, auf den früheren Rechtsbestand zurückzukommen. Es besteht offenbar zwischen den angestammten und den naturalisierten Schweizerbürgern hinsichtlich des Erwerbsgrundes ihrer Staatsangehörigkeit ein tatsächlicher Unterschied, der eine Verschiedenheit ihrer rechtlichen Stellung rechtfertigt.

Hat man bisher im Ausschluss der Geistlichen von der Wählbarkeit in den
Nationalrat einen Einbruch in das Prinzip der Rechtsgleichheit nicht erblickt, so erscheint es ebensowenig als Verletzung dieses Grundsatzes, wenn den Naturalisierten das passive Wahlrecht für gewisse politische Mandate während einer beschränkten Reihe von Jahren vorenthalten wird. Ein solches System ist schon an sich geeignet, zur Assimilation der Ausländer

68 beizutragen. Zunächst wird dem Neueingebürgerten die Möglichkeit gegeben, sich am politischen Leben unseres Landes auf dem engern Gebiet der Gemeinde zu beteiligen ; er kann von Anfang an Gemeindeämter bekleiden, und sich in solchen Stellungen mit dem Gang der öffentlichen Verwaltung vertraut machen ; dies kann ihm als Vorschule dienen für den allfälligen spätem Eintritt in kantonale und eidgenössische Behörden.

Einer Regelung, welche die Naturalisierten von irgendeinem politischen Mandat oder Amt auf Lebenszeit ausschliessen wollte, könnten wir dagegen unter keinen Umständen zustimmen (es wäre im Falle solchen Misstrauens richtiger, das bisherige System der Naturalisation durch Einkauf gänzlich preiszugeben). Zwischen diesem Extrem und jenem andern, das in der vorbehaltlosen Gewährung sämtlicher politischen Rechte vom Momente der Einbürgerung an besteht, muss ein Mittelweg eingeschlagen werden ; wir erblicken diesen in der Annahme einer Verfassungsbestimmung, wonach naturalisierte Schweizerbürger während der ersten fünf Jahre nach dem Erwerb unserer Staatsangehörigkeit nicht in die gesetzgebenden und vollziehenden Behörden des Bundes und der Kantone wählbar sind.

XI.

Das DoppelMrgerrecht.

Kraft ihrer Souveränität besitzt die Schweiz unbestreitbar das Recht, die Bedingungen zur Verleihung ihres Bürgerrechtes in voller Unabhängigkeit aufzustellen, ohne irgend jemandem darüber Rechenschaft ablegen zu müssen ; sie darf die Personen, die sie als ihre Staatsangehörigen betrachten will, frei bestimmen; sie entscheidet unbeschränkt über die Bedingungen zur Aufnahme in ihr Bürgerrecht und die Voraussetzungen, unter denen dasselbe verloren geht.

Die Zuständigkeit eines Staates, in Angelegenheiten seines Bürgerrechtes nach Gutflnden zu legiferieren, ist nur durch einen einzigen völkerrechtlichen Grundsatz beschränkt, der die öffentlichrechtlichen wie die privatrechtlichen Beziehungen beherrschen soll: den Grundsatz der Gutgläubigkeit: Kein Staat soll die Aufnahme in sein Bürgerrecht derart erleichtern, dass ausländischen Staatsangehörigen dadurch die Möglichkeit geboten wird, dasselbe zu erwerben, einzig in der Absicht, sich den Verpflichtungen ihrem Vaterlande gegenüber zu entziehen; anderseits soll auch kein Staat das Fortbestehen seines eigenen Bürgerrechtes eintreten lassen einzig in der Absicht, einigen seiner Staatsange-

69 hörigen die Möglichkeit zu verschaffen, durch Naturalisation ad hoc io einem auswärtigen Staate wirtschaftliche Vorteile zu gewinnen.

Diplomatische Interventionen werden übrigens in Fragen der Regelung des Staatsbürgerrechtes ziemlich selten unternommen ; sie riskieren in der Tat, jeweilen auf Opposition zu stossen. indem der Staat, gegen dessen Massnahmen sich die Beschwerde richtet, seine gesetzgeberische Souveränität mit aller Energie zu verteidigen pflegt und eine Einmischung des Auslandes in die Ordnung der Staatsangehörigkeit, als einer innerpolitischen Angelegenheit, von der Hand weist.

Die Grundsätze, die wir zur Absorbierung der eingewanderten Bevölkerung in unser Rechtssystem einzuführen beabsichtigen, setzen sich mit den Anforderungen des guten Glaubens im internationalen Verkehr keinerweise in Gegensatz. Sie sind klar, ohne Hintergedanken, und gehen nicht darauf aus, zweideutige oder Ungewisse Situationen zu schaffen. Das Recht, sie durchzusetzen, dürfte uns kaum abgesprochen werden, wenn auch infolge der Konflikte zwischen den divergierenden Gesetzesbestimmungen Fälle von Doppelbürgerrecht daraus entstehen werden. Wie wir gezeigt haben, findet sich die Zwangseinbürgerung kraft Gebietshoheit in einer grossen Zahl von ausländischen Gesetzgebungen, entweder unbedingt oder mit Optionsvorbehalt. Dieser Einbürgerungsmodus ist daher ein internationales Rechtsinstitut, das in allgemeiner Anwendung steht; wir könnten keiner ausländischen Behörde das Recht zuerkennen, in die Einbürgerungspolitik, die wir aus Staatsnotwendigkeit einschlagen müssen, störend einzugreifen.

Es muss nun allerdings mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass in Anbetracht der Wiederbevölkerungspolitik, welche die durch den Krieg geschwächten Staaten einschlagen werden, um die Verluste an Menschenleben zu ersetzen, unsere Landsleute im Auslande der Gefahr ausgesetzt sind, dass ihnen gegenüber, als Folge unserer Einbürgerungspolitik, Retorsionsmassnahmen zur Anwendung gelangen; solche Massnahmen sind völkerrechtlich dann erlaubt, wenn ein Staat sein Interesse als verletzt erachtet ; sie könnten in nichts anderm bestehen, als das auf unsere ausgewanderten Landsleute dieselben Regeln angewandt würden, die wir gegenüber den Ausländern in der Schweiz durchführen.

Diese Retorsionen könnten nur in Frankreich und Deutschland
zahlenmässig eine gewisse Wirkung hervorrufen, denn unsere schweizerischen Landsleute sind wenig zahlreich in den übrigen Staaten, aus denen sich die Ausländerbevölkerung in unsenn

70

Lande rekrutiert. Frankreich beherbergt grosse Schweizerkolonien ; jedoch könnten die Retorsionsmassnahmen, denen diese eventuell ausgesetzt würden, nicht von grosser Tragweite sein. Schon jetzt besitzen die in Frankreich geborenen Schweizer unwiderruflich die französische Staatsangehörigkeit, sofern der Vater ebenfalls in Frankreich geboren ist; der französische Gesetzgeber könnte bloss noch das Optionsrecht abschaffen, welches denjenigen in Frankreich geborenen Schweizern zusteht, deren Mutter in Frankreich geboren ist. Auch England und Italien könnten nur das Optionsrecht ausschalten, welches die in diesen Ländern geborenen und kraft Gebietshoheit eingebürgerten Schweizer besitzen ; diese Massnahme würde sich jedoch nur auf eine kleinere Anzahl von Personen erstrecken. Die Grosszahl der schweizerischen Auswanderer begibt sich nach den Vereinigten Staaten, deren Gesetzgebung bereits schon den Grundsatz der Einbürgerung kraft Gebietshoheit ohne Optionsvorbehalt aufgestellt hat. Deutschland und Österreich haben bisher wenig Neigung gezeigt, dieses territoriale Einbürgerungsprinzip in ihre Gesetzgebung aufzunehmen ; ein Antrag auf dessen Aufnahme in das deutsche Reichsgesetz vom 22. Juli 1913 wurde mit grosser Mehrheit verworfen. Es scheint wenig wahrscheinlich, dass die beiden genannten Staaten von dem Grundsatz, wonach die Nationalität einzig durch Abstammung übertragen wird, abgehen würden, bloss zu dem Zwecke, den vom schweizerischen Gesetzgeber ergriffenen Massnahmen mit einem Retorsionsmittel zu begegnen.

Die Einbürgerung kraft Gebietshoheit, durch welche einer grossen Anzahl von Personen unser Bürgerrecht auferlogt wird, die nicht darum eingekommen sind, wird -- dies darf man sich nicht verhehlen -- zur Folge haben, dass die Fälle von Doppelbürg'errecht sich mehren ; denn diese Art der Erwerbung unseres Bürgerrechts entkleidet die Neubürger nicht derjenigen Staatsangehörigkeit, die sie durch Abstammung besitzen.

Was unser Verhältnis zu D e u t s c h l a n d betrifft, so wird das Doppelbürgerrecht nur dadurch vermieden werden können, dass die kraft Gebietshoheit in unserm Lande eingebürgerten Deutschen bei der deutschen Reichsregierung ihre Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit nachsuchen. Es wird demnach Sache der schweizerisch-deutschen Doppelbürger sein, selber die nötigen
Schritte zu unternehmen, um sich der deutschen Reichsangehörigkeit zu entledigen, wobei allerdings damit zu rechnen ist, dass viele dies unterlassen werden; es könnten indessen kantonale Amtsstellen (beispielsweise die Naturalisationsbureaux) damit betraut werden, die kraft Gebietshoheit Eingebürgerten auf

71 das zur Vermeidung des Doppelbürgerrechts einzuschlagende Verfahren aufmerksam zu machen.

Bezüglich unseres Verhältnisses zu Ö s t e r r e i e h ist zu sagen, dass die Fälle von Doppelbürgerrecht zufolge dee Einbürgerung kraft Gebietshoheit nicht häufig sein werden, da gernäss § 32 des österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuchs der Verlust der österreichischen Staatsangehörigkeit eintritt infolge Auswanderung mit der Absicht, nicht mehr zurückzukehren ; das Vorhandensein dieser Absicht wird vermutet, wenn der Auswanderer zehn Jahre lang abwesend bleibt, oder selbst bei einer Abwesenheit von nur fünf Jahren, sofern der Abwesende den Wohnsitz seiner Familie nach dem Auslande verlegt oder sein Vermögen ganz oder teilweise nach dem Auslande verbracht hat. Da die Einbürgerung kraft Gebietshoheit sich nur auf die in der Schweiz geborene (zweite) Generation der aus Österreich Ausgewanderten erstreckt, werden zumeist solche Personen davon erfasst werden, welche entweder die österreichische Staatsangehörigkeit schon bei ihrer Geburt nicht besitzen oder dieselbe im jugendlichen Alter zusammen mit ihrem Vater verlieren.

Schwieriger gestalten sich die Verhältnisse des Doppelbürgerrechts in den Beziehungen zu F r a n k r e i c h . Den in der Schweiz kraft Gebietshoheit eingebürgerten Personen französischer Herkunft würden nach erreichter Volljährigkeit nur folgende zwei Wege offen stehen, um sich der durch Abstammung erworbenen französischen Staatsangehörigkeit zu entledigen: 1. Wenn sie in der schweizerischen Armee effektiven Dienst geleistet haben, so könnten sie auf gerichtlichem Wege die Aberkennung ihres französischen Bürgerrechts herbeiführen, gestützt auf Art. 17, Ziff. 4, des code civil français, wegen Dienstleistung in einer andern als der französischen Armee ohne Erlaubnis der französischen Regierung. 2. Als wehrpflichtige Franzosen können sie laut der geltenden Gesetzgebung zwischen dem 21. und 34. Altersjahre beim Präsidenten der französischen Republik um die Erlaubnis einkommen, sich im Auslande naturalisieren zu lassen.

Diese beiden Arten des Verlustes der französischen Staatsangehörigkeit stehen nur den Wehrpflichtigen zu Gebote ; die in der Schweiz kraft Gebietshoheit eingebürgerten Frauen können davon keinen Gebrauch machen ; auch genügt die Bezahlung der Militärsteuer in der Schweiz
(ohne effektive Dienstleistung) nicht, um den Verlust des französischen Staatsbürgerrechts nach Art. 17 cit. herbeizuführen. Es steht somit zu erwarten, dass ein Teil der kraft Gebietshoheit in der Schweiz eingebürgerten Franzosen den.

72

Unzukömmlichkeiten des Doppelbürgerrechts dauernd ausgesetzt bleiben wird.

Was schliesslich die schweizerisch - i t a l i e n i s c h e n Verhältnisse anbelangt, so werden die Neubürger italienischer Abstammung das Doppelbürgerrecht vermeiden können, indem sie nach erreichter Volljährigkeit gemäss Art. 7 des italienischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 13. Juni 1912 auf ihre angestammte Staatsangehörigkeit verzichten; während ihrer Minderjährigkeit werden sie jedoch schweizerisch-italienische Doppelbürger sein. Auch hier ist wohl vorauszusehen, dass ein Teil unserer Neubürger versäumen wird, die im italienischen Rechte vorgesehenen Ausschlagungsformalitäten zu erfüllen.

Was im weitern die n a t u r a l i s i e r t e n (freiwillig eingebürgerten) Personen betrifft, so werden diese den gleichen Staatsangehörigkeitskonflikten wie bisher ausgesetzt bleiben.

Für die in der Schweiz naturalisierten D e u t s c h e n ist die Gefahr des Doppelbürgerrechts stark eingeschränkt worden durch das deutsche Reichsgesetz vom 22. Juli 1913, gemäss welchem die freiwillige Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechts den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach sich zieht, sofern die betreffende Person in Deutschland keinen Wohnsitz und keine feste Niederlassung mehr besitzt. Es könnte vermutet werden, dass ein Anlass zur Entstehung von Doppelbürgerrechten sich aus § 25, Abs. 2, des erwähnten deutschen Reichsgesetzes herleiten liesse, wonach jedem Deutschen, der sich im Auslande naturalisieren lässt, von den deutschen Behörden die Beibehaltung der Reichsangehörigkeit bewilligt werden kann ; diese Wirkung wird jedoch nicht eintreten, da wir die bundesrätliche Einbürgerungsbewilligung einem Bewerber verweigern, der bei seiner Landesregierung um die Bewilligung einkommt, die alte Staatsangehörigkeit neben der neu zu erwerbenden beibehalten zu dürfen.

Die Konflikte, die aus der Naturalisation von Ö s t e r r e i c h e r n hervorgehen, sind nicht von grossem Belang. Das österreichische Staatsbürgerrecht geht im allgemeinen durch Einbürgerung im Auslande verloren. Diese Regel war bisher durch Vorbehaltemilitärischer Natur eingeschränkt, welche nun inskünftig an Bedeutung einbüssen zufolge der Rüstungsbeschränkungen, die dem österreichischen Staate durch den Friedensvertrag von St-Germain (Art. 118 bis 148) auferlegt
worden sind.

In unsern Beziehungen zu F r a n k r e i c h sind die aus der freiwilligen Einbürgerung sich ergebenden Fälle von Doppelbürgerrecht ziemlich zahlreich. Die französische Staatsangehörig-

73 keit gehl durch Naturalisation im Auslande verloren ; allein die in der aktiven Armee und deren Reserve Dienstpflichtigen, d. h.

im Alter von 21 bis 34 Jahren stehenden Franzosen, bedürfen, wie oben erwähnt wurde, einer besondern Bewilligung seitens des Präsidenten der Republik, um eine ausländische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Erhält dee Bewerber diese Bewilligung nicht, so bleibt er Franzose trotz seiner Naturalisation im Auslande. Daher sind die meisten Franzosen, die sich vor Zurücklegung des 34. Lebensjahres in der Schweiz einbürgern lassen, Doppelbürger, indem sie unterlassen, die erwähnte Bewilligung des Präsidenten der Republik nachzusuchen, oder ihnen dieselbeverweigert wird. Was die Minderjährigen betrifft, so könnendieselben nach französischem Recht ihre Staatsangehörigkeit nicht abstreifen, auch wenn der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilen würde.

In unsern Beziehungen zu I t a l i e n sind die Staatsangehörigkeitskonflikte infolge von Naturalisation nicht sehr häufig, da gemäss Art. 8 des italienischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 13. Juni 1912 die freiwillige Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechts, verbunden mit der Auswanderung, den Verlust der italienischen Nationalität nach sich zieht. Immerhin gilt auch im italienischen Recht wie im französischen der Grundsatz, dass Minderjährige ihre Staatsangehörigkeit .nicht verändern können, selbst nicht mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Ein in der Schweiz naturalisierter Italiener blieb bisher der Militärpflicht in Italien unterstellt, nicht aber seine mit ihm eingebürgerten minderjährigen Söhne; diese haben das Recht, ihre Streichung aus 'den italienischen Rekrutierungslisten zu verlangen.

Die Zusatzerklärung zum Niederlassungsvertrag vom 22. Juli 1868, durch welche die Schweiz Italien das Recht zuerkannt hatte, die naturalisierten Italiener nach wie vor unter die Waffen zu rufen, fällt nunmehr mit dem gekündigten Niederlassungsvertrag dahin, und die Wehrpflicht der in der Schweiz naturalisierten Italiener beruht inskünftig nicht mehr auf einem vertraglichen Zugeständnis unseres Landes, sondern besteht nur noch auf Grund der Bestimmungen der italienischen Gesetzgebung.

Die N a c h t e i l e , die aus den Fällen doppelter Nationalität erwachsen, liegen offen zutage. Sie sind einerseits m o r a lischer
Natur, insofern als die Gefühle der Treue und Anhänglichkeit dem Staate gegenüber durch Teilung geschwächt werden ; anderseits d i p l o m a t i s c h e r Natur, insofern als sie unerwünschte Reklamationen zwischen den beteiligten Staaten herbeiführen, welche sich um die Zugehörigkeit einer Person streiten oder auch

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sich weigern, einen Bürger anzuerkennen, wenn sie für ihn verantwortlich gemacht werden oder ihm Unterstützung gewähren sollten ; drittens sind es Nachteile r e c h t l i c h e r Natur, insofern das Doppelbürgerrecht einer gefährlichen Unsicherheit bezüglich der.

zivilrechtlichen Beziehungen einer Person Raum gibt, zumal wenn die verschiedenen Gesetzgebungen, denen der Doppelbürger untersteht, einander widersprechen ; weiterhin sind es Nachteile m i l i t ä r i s c h e r Art, indem der Doppelbürger in zwei Heeren militärpflichtig ist und riskiert -- welches auch seine Entscheidung sein mag -- im einen der beiden Staaten strafrechtlich verfolgt zu werden; endlich sind es Nachteile p o l i t i s c h e r Natur, da ein Bürger sein Stimmrecht in zwei Staaten ausüben kann.

Wir werden uns bemühen, auf dem Vertragswege die Stellung der Personen mit doppeltem Bürgerrecht abzuklären.

Immerhin haben wir nicht die Absicht, auf diplomatischem Wege die Anerkennung eines v e r t r a g s m ä s s i g e n O p t i o n s r e c h t e s zugunsten der Schweizerbürger, die gleichzeitig ein zweites. Indigenat besitzen, anzustreben. Die Gründe, welche dazu führen, das gesetzliche Optionsrecht auszuschliessen, sprechen auch gegen ein vertragsmässig eingeräumtes Optionsrecht : dieses wie jenes beeinträchtigt den von uns verfolgten Zweck einer allmählichen Absorption der ausländischen Elemente und würde den bestehenden Ausländerkolonien erlauben, einen starken Druck auf ihre jungen Landsleute auszuüben, um sie zu bewegen, von ihrem Optionsrecht zugunsten des angestammten Heimatstaates Gebrauch zu machen.

Wir geben uns auch nicht der Hoffnung hin, dass ein ausländischer Staat sich uns gegenüber vertraglich verpflichten werde, auf seine Angehörigen, die gleichzeitig das Schweizorbürgerrecht besitzen, zu verzichten. Infolge der durch den Krieg geschaffenen politischen Lage können wir von andern Staaten nicht erwarten, dass sie freiwillig auch nur kleine Kontingente ihrer Angehörigen aufgeben. Auch die Schweiz würde ein solches Opfer nicht bringen dürfen, und sie könnte auf keinen dahinzielenden Gegenseitigkeitsvertrag eintreten, denn dadurch würde die Wirkung der beabsichtigten Reform von vornherein empfindlich beeinträchtigt.

Wenn demnach die Unterdrückung des mehrfachen Bürgerrechtes untunlich erscheint, so dürfte es
anderseits möglich sein, die daraus hervorgehenden Nachteile einzuschränken durch Verallgemeinerung -- eventuell im Vertragswege -- der in Artikel 6 des Bundesgesetzes betreffend Erwerbung des Schweizerbürgerrechts vom 25. Juni 1903 aufgestellten Rechtsnorm, lautend :

75 ,,Personen, welche neben dem schweizerischen Bürgerrecht dasjenige eines fremden Staates besitzen, haben diesem Staate gegenüber, solange sie darin wohnen, keinen Anspruch auf die Rechte und den Schutz eines Schweizerbürgers."

Eine analoge Regel wird befolgt in Deutschland, Spanien, den Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Portugal; sie gewährt den Vorteil, dass sie nicht nur auf Konflikte anwendbar ist, die von der Einbürgerung kraft Gebietshoheit herrühren, sondern auch auf Anstände, welche aus der Naturalisation und aus Divergenzen des Familienrechts hervorgehen. Dieser Regel liegt der Gedanke zugrunde, dass, wenn eine Person zwei Bürgerrechte besitzt, stets diejenige Nationalität den Vorzug verdient, d i e nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich bes'.teht, d. h. das Bürgerrecht desjenigen Heimatstaates, wo der Interessent seinen Wohnsitz hat. Dieser Theorie haben in den Jahren 1903 und 1905 die Schiedsgerichtskommissionen in der Beschwerdesache der Ausländer gegen Venezuela beigepflichtet, und auf ihr beruht auch der Schiedsspruch des Haager internationalen Gerichtshofes vom 3. Mai 1912 in der Angelegenheit der Brüder Canevaro (Italien gegen Peru).

Um den Kampf gegen das Doppelbürgerrecht erfolgreich zu führen, wäre es zur Stärkung unserer diplomatischen Position von Vorteil, in unsere Gesetzgebung den Grundsatz aufzunehmen, dass die Naturalisation eines Schweizers im Auslande direkt den Verlust des Schweizerbürgerrechtes nach sich zieht. Gegenwärtig kann das Schweizerbürgerrecht nur durch ausdrückliche Verzichterklärung verloren gehen; alle im Auslande eingebürgerten Schweizer sind Doppelbürger, wenn sie -- was zumeist der Fall ist -- die Verzichterkläruag unterlassen.

Bereits schon bei der Diskussion des Artikels 43 der Bundesverfassung von 1848 machte die zürcherische Abordnung den Vorschlag, der Bestimmung, welche den Kantonen untersagt, ihre Bürger des Bürgerrechtes verlustig zu erklären, folgende Worte beizufügen : ,,sofern sie nicht unzweifelhaft ein Bürgerrecht im Auslande besitzen"-. Dieser Vorsehlag, auf welchen man in den Jahren 1871/72 anlässlich der Revision der Bundesverfassung zurückkam, wurde heftig bekämpft und mit einer Mehrheit von zwei Stimmen durch die nationalrätliche Kommission verworfen; die Gegner machten namentlich geltend, dass im Volke gegen eine
Regelung, die eine Person ohne ihre offenkundige Willenserklärung des schweizerischen Bürgerrechtes berauben würde, ein grosser Widerstand zu erwarten sei. Diese Begründung kann indessen nicht als schlüssig erachtet werden ; denn der Verlust des

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Bürgerrechtes ergibt sich, ungeachtet jeglicher Verzichterklärung, schon bei jetziger Gesetzgebung aus der Rückwirkung, welche gewisse zivilrechtliche Normen, wie diejenigen betreffend die Ehey die Legitimation, die Anerkennung der Vaterschaft, auf das Indigenat ausüben.

Der Grundsatz, wonach eine im Auslande sich einbürgernde Person ipso jure ihr ursprüngliches Bürgerrecht verliert, stammt aus dem französischen Recht (Art. 17 des code civil) und hat sich in der ganzen Welt durchgesetzt; sechsundzwanzig Staaten haben den Grundsatz in ihrer Gesetzgebung adoptiert, und zuletzt hat ihn auch Deutschland in seinem Gesetz über die Staatsangehörigkeit vom 22. Juli 1913 (Art. 25) angenommen. Indem die Schweiz diesen Grund des Verlustes ihres Bürgerrechtes nicht zulässt, nimmt sie eine Sonderstellung ein. Dieselbe lässt sich nicht etwa durch die Befürchtung rechtfertigen, dass bei Anwendung des französischen Grundsatzes Heimatlosigkeit eintreten könnte ; denn .der Verlust des Schweizerbürgerrechtes ist ja durch die gültige Einbürgerung im Auslande rechtlich bedingt.

Vom psychologischen Standpunkt aus bekundet die Einbürgerung im Auslande den Willen, das Band mit dem schweizerischen Vaterland zu lösen, ebenso offensichtlich als eine ausdrückliche Verzichterklärung. Dies erhellt ja auch aus Art. 44, AI. 2, der gegenwärtigen Bundesverfassung, welche den Verzicht auf das Schweizerbürgerrecht nur ,,zum Zwecke der Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechtes11 gestattet. Die Einführung des französischen Prinzips in unser Staatsrecht, die wir befürworten, erheischt eine Erweiterung der gesetzgeberischen Kompetenz der Eidgenossenschaft, da gemäss dem Wortlaut des Art. 44 der Bund nur über die Bedingungen des Bürgerrechtsverzichtes (nicht des Bürgerrechtsverlustes im allgemeinen) legiferieren darf. Die Adoption des französischen Prinzips würde vom internationalen Standpunkt aus für die Schweiz von wesentlichem Vorteil sein. Der Bundesrat war bisher infolge des bestehenden Rechtszustandes zu wiederholten Malen nicht in der Lage, den Vorschlägen auswärtiger Staaten zu vertraglicher Festlegung des Grundsatzes, dass die freiwillige Naturalisation den Verlust des ursprünglichen Bürgerrechtes nach sich zieht, Folge geben zu können.

Der von uns beantragte Verlust des Schweizerbürgerrechtes soll sich auf die Fälle der
freiwilligen Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechtes -- durch Naturalisation oder Option -- beschränken, so dass er keine Anwendung findet auf den Fall, wo einem Schweizerbürger im Auslande ohne oder gegen seinen Willen eine neue Staatsangehörigkeit verliehen wird.

77

XII.

Schlussfolgerungen.

Um gegen Überfremdung anzukämpfen, muss das Bundesgesetz vom 25. Juni 1903 betreffend die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe einer vollständigen Revision unterzogen werden, und es sind unseres Brachtens in dem neuen Gesetz folgende grundlegende Reformen zu verwirklichen : 1. Es soll das Schweizerbürgerrecht kraft Gebietshoheit verliehen werden an die Kinder ausländischer, in der Schweiz wohnhafter Eltern: a. wenn die Mutter von Geburt Schweizerin war, b. wenn der eine Elternteil in der Schweiz geboren ist.

2. Die Option zugunsten des Heimatstaates (Ausschlagung des Schweizerbürgerrechts) in diesen Fällen ist auszuschliessen.

3. Die Einbürgerung kraft Gebietshoheit soll bei Inkrafttreten des Gesetzes rückwirkend Anwendung finden auf die während der fünf vorausgegangenen Jahre geborenen Ausländerkindor, sofern sie einer der beiden unter Ziffer l angeführten Kategorien angehören. Der gesetzliche Vertreter des Kindes soll jedoch in dessen Namen die schweizerische Staatsangehörigkeit binnen Jahresfrist nach Inkrafttreten des Gesetzes ausschlagen können, gestützt auf den Nachweis, dass das Kind durch Abstammung eine zweite Staatsangehörigkeit besitzt.

4. Den kraft Gebietshoheit eingebürgerten Personen ist von Geburt an das Bürgerrecht der Gemeinde zu verleihen, in welcher die Eltern im Zeitpunkt der Geburt des Kindes ihren Wohnsitz haben, wobei das so erworbene Gemeindebürgerrecht das Kantonsbürgerrecht in sich schliesst.

5. Den kraft Gebietshoheit Eingebürgerten soll das volle Bürgerrecht in. Gemeinde und Kanton zustehen, mit der Einschränkung jedoch, dass sie an den Bürger- und Korporationsgütern keinen Anteil besitzen, soweit die Kantone nichts anderes bestimmen.

6. Die kraft Gebietshoheit Eingebürgerten sollen im Verarmungsfalle die gleiche Unterstützung gemessen, wie sie den übrigen Gemeindebürgern zuteil wird.

7. Dem Bunde ist die Verpflichtung zu überbinden, den Kantonen oder Gemeinden einen Teil der Auslagen zu vergüten, die ihnen aus der Unterstützung der kraft Gebietshoheit eingebürgerten Kinder bis zu deren zurückgelegtem 18. Altersjahr erwachsen.

78

8. Im weitern soll der Bund die Verpflichtung übernehmen, in gleicher Weise, jedoch auf beschränktere Dauer, an die Armenlasten beizutragen, wenn gewissen Kategorien von Ausländern, die lange Zeit in der Schweiz wohnhaft sind und deren Gesinnung mit den schweizerischen Anschauungen übereinstimmt, das Bürgerrecht in Gemeinde und Kanton u n e n t g e l t l i c h erteilt wird.

9. Die in der Schweiz naturalisierten Ausländer sollen von der Wählbarkeit in die gesetzgebenden und vollziehenden Behörden der Eidgenossenschaft und der Kautone während der ersten fünf Jahre nach Erwerbung des Sehweizerbürgerrechts ausgeschlossen bleiben.

10. Der Verlust des Schweizerbürgerrechts soll ohne weiteres eintreten infolge freiwilliger Erwerbung einer auswärtigen Staatsangehörigkeit (auf Antrag oder durch Optionserklärung).

Um die Vornahme dieser Gesetzesrevision, welche über die der Eidgenossenschaft gegenwärtig zustehenden Kompetenzen "hinausgeht, zu ermöglichen, beantragen wir Ihnen, den nachstehenden Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend Revision des Art. 44 der Bundesverfassung, zu genehmigen.

B e r n , den 9. November 1920.

Im Namen des Schweiz. BundesrateSj Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler: Steiger.

79-

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

Revision des Art, 44 der Bundesverfassung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 9. November 1920, unter Berufung auf Art. 84, 85 (Ziffer 14), 118 und 121 der Bundesverfassung, beschliesst: Art. 1. Art. 44 der Bundesverfassung wird aufgehoben und durch folgenden Wortlaut ersetzt: Art. 44. Ein Schweizerbürger darf weder aus der Schweiz, noch aus seinem Heimatkanton ausgewiesen werden.

Die Gesetzgebung über' den Erwerb und den Verlust des Schweizerbürgerrechts ist Sache des Bundes.

Während der ersten fünf Jahre nach Erwerbung des Schweizerbürgerrechts sind die Eingebürgerten in die gesetzgebenden und vollziehenden Behörden der Eidgenossenschaft und der Kantone nicht wählbar.

Die Bundesgesetzgebung kann die Einbürgerung kraft Gebietshoheit einführen. Sie kann insbesondere bestimmen, dass das Kind ausländischer Eltern, die in der Schweiz wohnen, kraft Gebietshoheit Schweizerbürger wird, wenn seine Mutter von Geburt Schweizerin war, oder wenn der Vater oder die Mutter in der Schweiz geboren ist.

so Das kraft Gebietshoheit eingebürgerte Kind erwirbt von, Geburt an das Bürgerrecht der Gemeinde, in der die Eltern zur Zeit seiner Geburt ihren Wohnsitz haben. Diese eingebürgerten Personen gemessen die Armenunterstützung wie die übrigen Gemeindebürger; dagegen besitzen sie keinen Anteil an den Bürger- und Korporationsgütern, soweit die Kantone nichts anderes bestimmen. Der Bund übernimmt zu seinen Lasten einen .Teil der effektiven Unterstützungskosten, die den Kantonen oder Gemeinden während der ersten 18 Lebensjahre der kraft Gebietshoheit Eingebürgerten erwachsen.

Art. 2. Der gegenwärtige Bundesbeschluss ist dem Volke und den Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten.

Art. 3. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Revision des Art. 44 der Bundesverfassung (Massnahmen gegen die Überfremdung). (Vom 9. November 1920.)

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1920

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1336

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24.11.1920

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