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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über in den Geschäftskreis des Volkswirtschaftsdepartementes fallende Massnahmen auf Grund des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates.

(Vom 9. Februar 1920.)

Wir beehren uns, Ihnen von folgenden, auf Grund der Absätze 2 und 3 von Ziffer I des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Einschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates (A. S. Bd. XXXV, S. 255) gefassten Beschlüssen und Verfügungen Bericht zu erstatten und um deren Gutheissung zu ersuchen.

1, Bundesratsbeschluss vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung *).

Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte dieses Beschlusses verweisen wir auf Seite 97 des XIII. Neutralitätsberichtes. Der Beschluss ist am 16. November 1919 in Kraft getreten. Wenn auch in der Durchführung im Anfang, wie das Volkswirtschaftsdepartement vorausgesehen hatte, infolge der verhältnismässig kurzen Vorbereitungszeit erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden waren, so ist doch allseitig begrüsst worden, dass die als notwendig erkannte neue Ordnung nicht hat auf sich warten lassen. Es ist dadurch eine Vereinheitlichung des Unterstützungswesens erzielt worden, die eine gleichmässige Behandlung der Arbeitslosen aller Berufsklassen sichert und die Durchführung für Kantone und Gemeinden vereinfacht.

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 897.

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Die Fürsorge umfasst grundsätzlich alle arbeitsfähigen Arbeitslosen, die eine regelmässige Erwerbstätigkeit ausgeübt haben, nun aber durch unfreiwillige und unverschuldete Arbeitslosigkeit od'ïr Arbeitszeitverkürzung in eine bedrängte Lage kommen würdea.

Dem Arbeitslosen soll aber so rasch wie möglich Arbeit zugewiesen werden. Er ist verpflichtet, selbst ebenfalls sich um Arbeit s;u bemühen. Wenn der Arbeitslose eine angemessene Arbeitsgelegenheit nicht benutzt oder offensichtlich eine solche finden könnte, so geht er der Unterstützung verlustig. Als angemessen gilt auch ausserberufliche und ausserhalb des Wohnortes erhältliche Arbeit.

Auf den Ausbau des Arbeitsnachweises ist im Beschluss besonderes Gewicht gelegt worden, und es ist zu hoffen, dass die Behörden für diese Bestrebungen tatkräftige Mithülfe bei den Berufsverbänden finden.

Im weitern sind durch den Beschluss die Kontrollmassnahmen verschärft worden. Für die Zeit vor der Anmeldung des Arbeitslosen bei der Wohnsitzgemeinde wird diesem keine Unterstützung mehr ausgerichtet; die Gemeinde hat vor Auszahlung einer Unterstützung die nötigen Erhebungen zu machen; Missbrauch ur.d unrichtige Angaben haben den Entzug der Unterstützung zur Folge.

Durch genaue Kontrolle und Verbesserung des Arbeitsnachweises ist es dem eidgenössischen Amt für Arbeitslosenfürsorge, in Verbindung mit den zuständigen kantonalen und kommunalen Stellen und den Berufsverbänden, bereits gelungen, die Zahl der unte;:stützungsberechtigten Arbeitslosen in den Städten auf weniger als die Hälfte herabzusetzen. Da begreiflicherweise der Wille zur Arbeit durch hohe und dauernde Unterstützung nicht gefördert wird, sind im Beschluss entsprechende Einschränkungen aufgenommen worden. Die Unterstützung beträgt allerdings noch 60, bzw. 70 % des früher bezogenen Lohnes, darf aber einen bestimmten absoluten Betrag nicht übersteigen; für Alleinstehende z. B. ist ein Maximum von Fr. 4 oder 5 werktäglich, je nach dem Wohnort, festgesetzt. Ferner soll die Unterstützung nur ausnahmsweise und nur auf begründetes Gesuch länger als 60 Tage ausgerichtet werden. Ausländer werden aus öffentlichen Mitteln nur noch unterstützt, wenn sie schon vor Kriegsbeginn wenigstens ein Jahr lang in der Schweiz gearbeitet oder eine Schule besucht hatten, und wenn ihr Heimatstaat die Schweizer hinsichtlich
der Arbeitslosenunterstützung annähernd gleich behandelt.

Die Unterstützungen für gänzlich Arbeitslose sind nunmehr stets von der Wohngemeinde auszuzahlen. Die Verteilung der Unteratützungskoaten iat im allgemeinen entsprechend den frühern Beschlüssen geregelt. Die finanzielle Belastung der Betriebsinhaber wird durch den neuen Beschluss wohl eher verringert. Den 5 °/o,

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mit denen sie bei blosser Kürzung der Arbeitszeit mehr belastet werden, stehen die bereits erwähnten mannigfachen Einschränkungen gegenüber, die sich namentlich in den Fällen gänzlicher Arbeitslosigkeit fühlbar machen werden. Ferner ist das Minimum der Pflichtsumme auf die Hälfte herabgesetzt worden. In. den Solidaritätsfonds muss nur noch ein Drittel der Pflichtsumme eingezahlt werden und nur nach Massgabe der im Verband bzw. im Kanton sich geltend machenden Arbeitslosigkeit. Ausserdem hört künftig die Beitragspflicht des Betriebsinhabers auf, wenn ausnahmsweise Unterstützung für länger als 90 Tage innert eines Jahres bewilligt wird. Die Bestimmung über die Befreiung einzelner Betriebsinhaber ist weiter gefasst worden, so dass insbesondere kleine Handwerker ' in Zukunft ohne weiteres der Beitragspflicht enthoben werden können. Wird ein Betriebsinhaber befreit, so hat nicht mehr der Verband die entsprechende Verpflichtung zu übernehmen, die Unterstützungen werden vielmehr ausschliesslich von Bund und Kanton getragen.

Nach dem Beschluss hängt die Ausrichtung einer Unterstützung nicht mehr davon ab, ob der Betriebsinhaber beitragspflichtig ist oder nicht. Streitigkeiten über diese Beitragspflicht, d. h. über die Verteilung der Unterstützungskosten sollen daher in einem besondern Verfahren (Schiedskommission) erledigt werden. Wegen dieser Streitigkeiten, die den Anspruch des Arbeitslosen nicht berühren, soll sich die Auszahlung der Unterstützung nicht mehr wochenund monatelang verzögern. Im übrigen lehnen sich die Bestimmungen über die Streitsachen möglichst an die bisherige Regelung an.

Die Grundsätze des Beschlusses sind allgemein gebilligt worden.

Dass im einzelnen nicht jedem Wunsch hat Rechnung getragen werden können, ist bei der Gegensätzlichkeit der Interessen gerade auf diesem Gebiete selbstverständlich.

2. Bundesratsbeschluss vom 6. Dezember 1919 betreffend Vermeidung von Arbeitseinstellungen infolge übermässiger Einfuhr ausländischer Fabrikate *)· Die durch die Valutaverhältnisse begünstigte Masseneinfuhr ausländischer Fabrikate hat sich im Verlaufe des Jahres 1919 in der Möbelbranche in besonders starkem Masse fühlbar gemacht.

So stieg die Einfuhr unter Zolltarifposition 262, die noch im ersten Semester 1919 60 bis 80 q pro Monat nie überschritt, im zweiten Semester sprunghaft an und erreichte im Oktober 1106 q. Der Monatsdurchschnitt im letzten Friedensjahre, 1913, hatte 743 q *) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 985.

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betragen. Ähnliche Verhältnisse ergaben sich bei den übrigen Möbelpositionen. Unter Position 259 und 266 gingen im Oktober 1919 mehr als doppelt, unter Position 264 a mehr als dreimal soviel Möbel ein als der Monatsdurchschnitt des Jahres 1913 betrug. Zum weitaus überwiegenden Teil erfolgte dieser Import aus Deutschland, dann aus Österreich. Dass die Überschwemmung der Schweiz mit ausländischen Möbeln lediglich eine Folge der tiefstehenden Valuta dieser beiden Länder ist und nicht etwa auf ein Unvermögen der schweizerischen Produzenten, den Bedarf 2U decken, zurückgeführt werden kann, steht ausser Frage. Es liegt auf der Hand, dass den einheimischen Möbelwerkstätten und -Fabriken durch die das normale Mass übersteigende Einfuhr in hohem Grade Beschäftigung entzogen wurde. In der Möbel- und Bauschreiuerei sind zurzeit etwa 20--22,000 Arbeiter beschäftigl; ; ein andauerndes Daniederliegen der Möbelbranche hätte also einen erheblichen Teil der schweizerischen Arbeiterschaft berührt. Die drohende Arbeitslosigkeit war um so bedenklicher, als der Winter vor der Türe stand. Auf die Arbeitslosenfürsorge allein durften wir uns nicht verlassen. Für die öffentlichen Gemeinwesen wären dadurch in kurzer Zeit gewaltige Lasten entstanden, und die Unterstützungen hätten für die zum Teil beruflich hoch qualifizierten Holzarbeiter nur als Notbehelf in Betracht kommen können.

Es sind dem Volkswirtschaftsdepartement aus dem Kreise ·der Möbelbrauche schon während des ganzen Jahres 1919 Eingaben zugegangen, welche auf die drohende Überschwemmung mit ausländischen Möbeln aufmerksam machten und um Abwehrmassinahmen ersuchten. Aus den im XIII. Neutralitätsbericht ausführlich dargelegten Gründen hatten wir diesen Begehren, wie auch ·den zahlreichen, aus andern Branchen eingegangenen Gesuchen keine Folge gegeben, trotzdem die stets steigenden Ziffern des Möbelimports und die Anzeichen kommender Arbeitslosigkeit zürn Aufsehen mahnten. Als nun schliesslich im letzten November aucli von selten des schweizerischen Holzarbeiterverbandes, unter Hinweis auf die übermassigen Möbelimporte, dringend um eine Konferenz zur Besprechung von Abwehrmassnabmen nachgesucht wurde, die Arbeitnehmer sich also in dieser Hinsicht mit den Arbeitgebern solidarisch erklärten, glaubte das Volkswirtsehaftsdepartement aus seiner bisher abwartenden
Stellung heraustreten zu müssen. Es liess sich in der Tat nicht mehr länger verantworten, die beteiligten Kreise im Ungewissen darüber zu lassen, ob vom Staate ein Schutz ·der einheimischen Gewerbetätigkeit vor einer ungesunden, lediglich ·durch die ausserordentlichen Valutaverhältnisse geförderten ausländischen Konkurrenz erwartet werden dürfe. Auf Antrag de'S Volkswirtschaftsdepartements haben wir am 6. Dezember einen

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Beschluss ,,betreffend Vermeidung von Arbeitseinstellungen infolgeübermässiger Einfuhr ausländischer Fabrikate14 gefasst, durch welchen die Einfuhr von Erzeugnissen der Möbelindustrie ab 15. gleichen Monats bis auf weiteres untersagt wird. Das Volkswirtschaftsdepartement ist indessen ermächtigt, bis zur Höhe des Monatsdurchschnitts des im Jahre 1913 erfolgten Imports Ausnahmen zu bewilligen. Es hat am 9. gleichen Monats die erforderlichen Ausführungsbestimmungen erlassen und am 10. gleichen Monats für die Einfuhr über die schweizerisch-französische und schweizerisch-italienische Grenze eine allgemeine Einfuhrbewilligung erteilt.

Die Interessenten wurden, wie noch bemerkt sei, darüber nicht im Zweifel gelassen, dass es sich hier nur um eine vorübergehende kriegswirtschaftliche Massnahme handelt, ebenso, dass von einer gänzlichen Unterbindung der Einfuhr keine Rede sein kann.

Der Bundesratsbeschluss ist lediglich als Notbehelf im Interesseder Erhaltung genügender Arbeitsgelegenheit in der Möbelbranchezu betrachten. In einer Mitteilung an die Presse hat das Volkswirtschaftsdepartement ausdrücklich auf den provisorischen Charakter der Massnahme hingewiesen.

Seit der Inkraftsetzung des Bundesratsbeschlusses sind dem Volkswirtschaftsdepartement eine ausserordentlich hohe Zahl von Einfuhrgesuchen zugekommen. Dieselben zeigen deutlich, welchen Umfang die Ausnützung des Tiefstandes der deutschen und österreichischen Valuta durch weiteste Kreise der Bevölkerung auf Kosten der einheimischen Produktion angenommen hatte.

3. Bundesratsbeschluss vom 16. Dezember 1919 betreffend Aktion zugunsten von arbeitslosem und ausserberuflich beschäftigtem Personal gelehrter Berufe*).

Durch die beiden Bundesratsbeschlüsse vom 23. Mai 1919 betreffend Förderung der Hochbautätigkeit und betreffend Notstandsarbeiten, die durch Bundesbeschluss vom 27. Juni 1919 die Genehmigung der Räte erhalten haben, ist es gelungen, der Arbeitslosigkeit wirksam zu steuern. Die Förderung der Bautätigkeit hat ermöglicht, einen grossen Teil der Arbeitslosen wieder in ihrem Berufe zu beschäftigen und so ihre Arbeitskraft voll auszunützen.

Dies gilt hingegen für die akademischen Berufsarten nur in geringem Umfang. Und doch ist gerade hier, namentlich in den technischen Berufen, infolge der Heimkehr vieler Ingenieure aus.

*) Nicht in die Gesetzsammlung aufgenommen (siehe Beilage 1).

275dem Ausland und des Stilliegens wichtiger inländischer Industrien die Arbeitslosigkeit verhältnismässig gross.

Der Bundesrat hat daher beschlossen, zur Schaffung vo:i Arbeitsgelegenheiten für diese Berufe einen Kredit von l Vs Millionen aus dem Fonds für Arbeitslosenlürsorge bereitzustellen^ Viele Arbeiten, die durchaus im volkswirtschaftlichen Interesse liegen, wie Wassermessungen, geologische Untersuchungen, Projekte über vollkommenere Ausnützung der Naturkräfte des Landes, haben bisher in Ermanglung der nötigen Kredite zurückgestellt werden müssen. Der Bundesratsbeschluss vom 16. Dezember 1919 weist nun in erster Linie die Abteilungen der Bundesverwaltung an, im Einvernehmen mit dem eidgenössischen Amt für Arbeitslosenfürsorgedem Bundesrat Vorschläge zur Ausführung solcher Arbeiten mit besonderer Rücksicht auf die Fähigkeiten der arbeitslosen Akademiker zu unterbreiten. Soweit der Kredit reicht, kann das Amt für Arbeitelosenfürsorge auch den Kantonen, die sich an den Bestrebungen ,,durch eigens zu diesem Zweck vorzunehmende Vermehrung des Personals11 beteiligen, Bundesbeiträge in der Höhe von 25--50 °/o der Gehälter bewilligen; allenfalls können auch noch Gemeinden und gemeinnützige Gesellschaften berücksichtigt werden.

4. Bundesratsbeschluss vom 16. Dezember 1919 betreffend Ergänzung des Bundesratsbeschlusses vom 7. August 1918 über die Elektrizitätsversorgung des Landes ).

Nach dem Bundesratsbeschluss vom 7. August 1918 betreffen i die Elektrizitätsversorgung des Landes hat der Bund hinsichtlich Erzeugung, Verteilung und Abgabe von elektrischer Energie Massnahmen zu treffen, die geeignet sind, die Versorgung des Landessicherzustellen. Im gleichen Beschluss wird das Volkswirtschaftsdepartement mit der Durchführung der dort im einzelnen umschriebenen Massnahmen ermächtigt. Hierzu gehört insbesondere auch die Sorge für eine mögliehst vollständige und vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus zweckmässige Ausnützung der vorhandenen oder neu .zu erstellenden hydro-elektrischen Werke.

In den am 15. August 1918 erlassenen Ausführungsbestimmungen zu jenem Bundesratsbeschluss**) hat das Volkswirlschaftsdepartemen.t dementsprechend seine Abteilung für industrielle Kriegswirtschaft mit der Erhöhung der Nutzleistung von Elektrizitätswerken während der Niederwasserperiode durch Anlage künstlicher oder Abflussregulierung natürlicher Staubecken (Seen) betraut.

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 1001.

**) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXIV, S. 861.

.276 Die durch die Abteilung für industrielle Kriegswirtschaft bei einer Reihe von Seen getroffenen Staumassnahmen haben Entschädigungsansprüche von Uferanstössern des Vierwaldstätter-, Zuger- und Aegecisees zur Folge gehabt.

Das Volkswirtschaftsdepartement versuchte in langen und mühaamen Verhandlungen eine Einigung zwischen den sich geschädigt fühlenden Uferanstössern und den beteiligten Elektrizitätswerken hinsichtlich der Feststellung des Schadens und dessen Tragung herbeizuführen. Es ist dies jedoch nicht gelungen. Unter diesen Umständen musste die bisher fehlende, feste rechtliche Grundlage für die Erledigung dieser und allfälliger künftiger Streitigkeiten gleicher Art geschaffen werden. Durch den Bundesrats'beschluss vom 16. Dezember 1919 betreffend Ergänzung desjenigen vom 7. August 1918 über die Elektrizitätsversorgung des Landes ist bestimmt worden, dass Unternehmungen, welche durch im interesse der Elektrizitätsversorgung getroffene ausserordentliche Massnahmen Nutzen gezogen haben oder ziehen, bis zur Höhe dieses Nutzens Dritten den Sehaden zu ersetzen haben, der ihnen -aus solchen Massnahmen entstanden ist. Der hier aufgestellte Grundsatz entspricht zweifellos einem Gebote der Billigkeit. -- Im weitern bestimmt der Bundesratsbeschluss, dass über derartige Schadenersatzforderungen im freien Verfahren und unter Ausschluss jeder andern Gerichtsbarkeit ein vom Bundesrat zu ernennendes Schiedsgericht von fünf Mitgliedern entscheidet. Hierdurch ist für die Erledigung der Streitfälle ein einfaches und rationelles Verfahren geschaffen, und die Durchführung einer Menge einzelner Prozesse wird im Interesse aller Beteiligter verhindert.

5. Bundesratsbeschluss vom 16. Dezember 1919 betreffend die Verlängerung des Bundesratsbeschlusses vom 1. Juli 1919 betreffend die vorübergehende Verstärkung des eidgenössischen Versicherungsgerichts *).

Durch Bundesratsbeschluss vom 1. Juli 1919**) sind dem eidgenössischen Versicherungsgericht zum Zwecke seiner vorübergehenden Verstärkung für die oberinstanzliche Rechtssprechung auf dem Gebiete der Militärversicherung für die Dauer des Bedürfnisses, längstens aber bis zum 31. Dezember 1919, sechs bis acht ausser-ordentliche Richter beigegeben worden.

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 1002.

**) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 518.

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In Ausführung dieses Beschlusses hat dann der Bundesrat anfangs Juli 1919 acht ausserordentliche Richter mit Amtsdauer bis zum Ende 1919 bezeichnet. -- Mit Eingabe an den Bundesrat vom 3. Dezember 1919 stellte nun das eidgenössische Versicherungsgericht das Begehren um Erstreckung der Amtsdauer dieser ausserwdentlichen Richter bis längstens 31. März 1920, indem es unte:: Angabe von Zahlenmaterial darauf verwies, dass von einer Aufarbeitung der Militärversicherungsfälle bis zu dem ursprünglich angenommenen Termin keine Rede sein könne. Es waren am 1. Dezember 1919 noch 531 Berufungsfälle pendent; zudem waren die eingehenden Berufungen noch immer zahlreich. Der Bundesrat hat unter diesen Umständen dem gestellten Begehren Folge gegeben und die Wirksamkeit des Bundesratsbeschlusses vom 1. Juli 1919 um drei Monate, d. h. bis zum 31. März 1»20 verlängert.

6. Bundesratsbeschluss vom 6. Januar 1920 betreffend Zentralstelle der schweizerischen Arbeitsämter*).

In Art. 2, Ziffer III, des Bundesbeschlusses vom 29. Oktobe:: 1909 betreffend die Förderung des Arbeitsnachweises durch den Bund ist vorgesehen, dass der Verband schweizerischer Arbeitsämter im Einverständnis mit dem Industriedepartement (jetzt Volks\virtschaftsdepartement) ein oder mehrere Arbeitsämter als Zentralstelle bezeichnet. Den Dienst der Zentralstelle versah seit 1. Januao: 1911 das Arbeitsamt der Stadt Zürich. Die Kosten hatte der Bund allein zu tragen; sie sind von Fr. 4735 im Jahre 1911 auf Fr. 9200 im Jahre 1918 gestiegen.

Die grossen Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt während der Kriegs- und Übergangszeit haben an den öffentlichen Arbeitsnachweis grosse Anforderungen gestellt, denen die bisherige Organisation nicht gewachsen sein konnte. Der Verband der Arbeitsämter regte deshalb schon in einer Eingabe vom 11. Juni 1918 den Ausbau der Zentralstelle an.

Durch Bundesratsbeschluss vom 21. März 1919 wurde das Eidgenössische Amt für Arbeitslosenfürsorge geschaffen und darin eine Sektion für Arbeitsvermittlung, die gegenüber den bestehenden öffentlichen und privaten Vermittlungsstellen als Zentralstelle dienen sollte. Im Bundesratsbeschluss vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung ist dann auch vorgeschrieben worden, dass dem eidgenössischen Amt für Arbeitslosenfürsorgo wöchentliche Meldungen über die Zahl der Arbeitslosen und der offenen Stellen in den verschiedenen Berufszweigen zu erstatten *) Nicht in die Gesetzsammlung aufgenommen (siehe Beilage 2).

278 seien. Es hat sich nämlich immer deutlicher gezeigt, dass ein Missbrauch der Unterstützung nur dann vermieden werden kann, wenn das Unterstützungswesen in engster Verbindung mit einem gut organisierten Arbeitsnachweis durchgeführt wird. So ist das Amt für Arbeitslosenfürsorge ganz naturgemäss auch Zentralstelle für den Arbeitsnachweis und die Regelung des Arbeitsmarktesüberhaupt geworden.

Um nun jede'Doppelspurigkeit zu vermeiden und den Verband der Arbeitsämter von den Aufgaben zu entlasten, die dessen bloss nebenamtlich geführte Zentralstelle .doch nicht mehr erfüllen könnte, hat der Bundesrat, im Einverständnis mit dem Verbund schweizerischer Arbeitsämter, das Volkswirtschaftsdepartement ermächtigt, die im Bundesbeschluss vom 29. Oktober 1909 vorgesehene, vom Arbeitsamt der Stadt Zürich bisher nebenamtlich betriebene Zentralstelle während des Bestehens des eidgenössischen Amts für Arbeitslosenfürsorge durch dieses hauptamtlich weiterführen zu lassen. In den Geschäftskreis dieser Zentralstelle fallen insbesondere folgende Aufgaben : Ausbau und einheitliche Organisation des Arbeitsnachweises, Übersicht über den gesamten inländischen Arbeitsmarkt, Mitwirkung bei den Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und den Zustrom ausländischer Arbeitskräfte.

-- Dem Arbeitsamt der Stadt Zürich verbleibt die Leitung der eigentlichen Verbandsgeschäfte.

7. Bundesratsbeschluss vom 9. Februar 1920 betreffend Milderung der Wohnungsnot durch Förderung der Hochbautätigkeit.

(Siehe Beilage 3.)

Durch ein Postulat des Nationalrates zum zwölften Neutralilätsbericht ist der Bundesrat eingeladen worden zu prüfen, ob nicht die Aufwendungen des Bundes zur Behebung der Arbeitslosigkeit durch Notstandsarbeiten und insbesondere durch Förderung der Hoehbautätigkeit, gemäss den Bundesratsbeschlüssen vom 23. Mai und 15. Juli 1919, eine wesentliche Vermehrung erfahren sollten.

In der Folge ist ferner das Problem der Wohnungsnot zum Gegenstand eines Postulates der eidgenössischen Räte gemacht worden.

Zum Studium der hiermit zusammenhängenden Fragen hat der Bundesrat eine 28gliedrige Kommission bestellt, die bisher zweimal getagt hat. Es herrschte Einstimmigkeit darüber, dass bei der Tragweite des Problems eine Regelung auf dem normalen gesetzlichen Wege anzustreben sei, diese definitive Lösung sich aber binnen nützlicher Frist nicht erreichen lasse. Deshalb sollten einstweilen Massnahmen provisorischer Natur getroffen werden, vermöge

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·deren wenigstens der grössten Not gesteuert würde. Vor allem sei die Förderung der Hochbaulätigkeit ähnlich der bisher geübten Weise fortzusetzen und dafür eine sofortige Kreditvermehrung vorzunehmen. Die beiden Postulate stehen insofern in Beziehung zueinander, als die Schaffung neuer Wohnungen gleichzeitig die Arbeitslosigkeit und die Wohnungsnot zu mildern imstande ist.

Die Arbeitslosigkeit ist allerdings stark zurückgegangen. Überdies ist eine Reihe grosser Arbeiten, zumeist Tiefbauarbeiten, im Gange, die ohne ausserordentliche Subventionen ausgeführt werden.

Wir erinnern an die Elektrifizierung der Bahnen, den Bau der Wasserkraftanlagen und Elektrizitätswerke, die Meliorationen.

Ferner wird im März oder April, je nach Witterung, auch die Torfausbeute wieder einsetzen. Aller Voraussicht nach wird so der Beschäftigungsgrad auf den Frühling hin nahezu den normalen Stand erreichen. Im Hinblick auf die schwierige Finanzlage de» Bundes glauben wir daher von einer Vermehrung der Kredite für ,,verschiedene Arbeiten, insbesondere Notstandsarbeiten", Umgang nehmen zu müssen.

Dagegen hielten wir es für geboten, dem Verlangen nach einer Krediterhöhung zur Förderung der Hochbautätigkeit Folge zu geben.

Damit kann zugleich die Wohnungsnot gemildert und einer neuen Verschärfung der Arbeitslosigkeit im kommenden Winter vorgebeugt werden.

Die durch den Bundesratsbeschluss vom 15. Juli 1919 eingeleitete Hochbautätigkeit, über die wir übrigens am Schlüsse noch eingehend berichten werden, dürfte das Baugewerbe nicht länger als bis zum nächsten Spätherbst beschäftigen. Es ist allerdings zu hoffen, dass nach und nach auch eine spontane, d. h. ohne staatliches Zutun angeregte Hochbautätigkeit einsetze. Doch wird man vorsichtigerweise nicht darauf abstellen und rechtzeitig Vorbereitungen treffen, daes bis zum Winter eine genügende Anzahl von Rohbauten unter Dach gebracht und die Arbeiter -- es handelt sich hier hauptsächlich um diejenigen des Kleingewerbes -- so über die kalte Jahreszeit mit den Arbeiten des inneren Ausbaue« beschäftigt werden können. In dieser Beziehung ist zu beachten, dass das Baugewerbe- unter allen industriellen und gewerblichen Berufsgruppen des Landes die grösete Zahl von Arbeitern aufweist.

Vor allem aber durften die angebahnten Bestrebungen zur Förderung der Hochbautätigkeit nicht
unvermittelt abgebrochen werden mit Rücksicht auf die Wohnungsnot. Ausser der Expertenkommission wünschten auch die Regierungen der unter Wohnungsnot leidenden Kantone dringend, die Aktion möge in Anlehnung; an die bisherige Art und Weise fortgesetzt werden. Die Wohnungs.not hat sich manchenorts in einem Masse verschärft, dass es ge-

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boten erscheint, eine staatliche Hilfsorganisation weiterzuführen, die ermöglicht, vorderhand wenigstens da vorzusorgen, wo die Not sich in besonderem Masse steigert.

Der Bundesratsbeschluss vom 9. Februar 1920 betreffend Milderung der Wohnungsnot durch Förderung der Hochbautätigkeit enthält gegenüber dem bisherigen Verfahren eine Einschränkung,, indem nurmehr ein Kredit für Beiträge, im Betrage von 10 Millionen Franken, vorgesehen ist. Der Wortlaut des neuen Bundesratsbeschlusses entspricht im allgemeinen demjenigen vom 15. Juli 1919* mit Ausnahme der Anpassung an den. veränderten Hauptzweck, die Milderung der Wohnungsnot, sowie der sinngemässen Abänderung infolge des Wegfalles der Gewährung von Darlehen. Wir haben keine Darlehen mehr vorgesehen in der Meinung, dass dieBanken zu bewegen sein werden, für Häuser, die mit staatlicher Hülfe gebaut werden, die Belehnuugsgrenze wesentlich höher anzusetzen, als dies bisher der Fall war, und insbesondere auch Darlehen auf zweite Hypotheken zu gewähren. Bis anhin konnten sie sich dazu nicht entschliessen, wohl auch deshalb, weil noch immer ein wesentliches Sinken der Baupreise erwartet wurde. Inzwischen hat man zu erkennen begonnen, dass diese Hoffnung nicht erfüllt werde, und dass sich daher über kurz oder lang dieHypothekarverhältnisse auf eine erheblich höhere Preishaltung einstellen müssen.

Bekanntlich hat die Steigerung der Baupreise gegen Ende des Jahres 1915 eingesetzt und bis heute zu Erstellungskosten von Wohngebäuden geführt, welche, die vorkriegszeitlichen zu 100 °/o angenommen, ungefähr 250 °/o erreichen. Mit einer Subvention im vorgesehenen Maximalansatz zu 30 % werden die Selbstkosten des Baueigentümers somit auf 175 °/o ermässigt. Nun scheint aber alimählich die Einsicht durchgedrungen zu sein, dass die Teuerung der Baupreise kaum je unter diese Grenze zurückgehe; deshalb ist anzunehmen, dass dieser Selbstkostenbetrag ermöglichen werde, für die Errichtung neuer Häuser angemessene Finanzierungsgrunden zu finden.

Die allgemeine Lage des Wohnungsmarktes ist bereits seinerzeit in unserer Botschaft vom 9. Dezember 1918, betreffend Beteiligung des Bundes an den Vorkehren der Kantone und Gemeinden zur Beseitigung des Mangels an Wohnungen, geschildert worden; vgl. auch die ergänzende Botschaft vom 18. März 1919. Hier findet man eine Reihe von
Gesichtspunkten, unter denen versucht werden sollte, eine Milderung der Wohnungsnot herbeizuführen.

Schon damals war man sich jedoch darüber klar, dass nur die Schaffung neuer Wohnungen eine sichere und wirksame Hülfe gewährleiste. Wohl wird der Bundesratsbeschluss vom 15. Juli

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28t 1919 in dieser Richtung eine schätzenswerte Wirkung ausüben;, es war aber von vornherein damit zu rechnen, dass die ausgesetzten Kredite bei weitem nicht ausreichten, um gleichzeitig mit der Arbeitslosigkeit auch die Wohnungsnot zu beseitigen» Übrigens kann das durch jenen Besohluss geregelte Subventionsverfahren nur da angebracht sein, wo es sich entweder darum handelt, eine kurz andauernde Krisis zu überwinden -- wie dies bei der Arbeitslosigkeit der Fall war --, oder einer Krisis grössereu Umfanges, wie sie die gegenwärtige Wohnungsnot darstellt, in, provisorischer Weise zu begegnen. Zur vollständigen und dauernden Beseitigung einer Krisis von der Bedeutung der herrschenden Wohnungsnot kann jenes Verfahren dagegen nicht als geeignet angesehen werden. Es müssten dafür grössere Summen auu öffentlichen Mitteln verfügbar gemacht werden können, als die* bei der gegenwärtigen schwierigen Finanzlage des Bundes, der Kantone und der Gemeinden anginge. Folgende ungefähre Rechnung möge über diese Verhältnisse nähern Aufschluss geben: Die statistisch nachgewiesene Vermehrung der schweizerischer!

Gesamtbevölkerung belief sich im Zeitraum 1900--1910 auf 1,8 °/c pro Jahr (der Wohnbevölkerung der grösseren Städte auf 2,a °/o).

Die Kosten der Erstellung von Wohnhäusern betragen heute im: Mittel nahezu Fr. 6000 pro Bewohner. Unter der Annahme., dass für die Organisation der Bundeshülfe nur Arbeiter und des1 sogenannte Mittelstand zu berücksichtigen seien, und dass diese: 75 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, ergibt sich für die der jährlichen Bevölkerungsvermehrung entsprechenden Wohnhausneubauten eine Kostensumme von Fr. 240,000,000. Wird ferner angenommen, der seit Kriegsbeginn entstandene Ausfall in der Wohnbautätigkeit sei zum Teil durch die seither erfolgten Abwanderungen ausgeglichen worden, trotzdem sei aber wenigstens eine dreijährige normale Bevölkerungsvermehrung zu berücksichtigen, so beziffert sich der Bedarf an neuen Wohnungen, der dieser zurückliegenden Bevölkerungsvermehrung entspricht, auf' Fr. 720,000,000. Soll die Deckung dieses Bedarfes innerhalb 10Jahren nachgeholt und gleichzeitig der laufende Bedarf gedeckt werden, so erfordert die» für das ganze Gebiet der Schweiz einen: jährlichen Baukostenaufwand von (240 + 72 =) rund 300 Millionen Franken. Für Subventionen wären also, bei einem
Ansatz, von 20 °/o, 60 Millionen Franken pro Jahr erforderlich, die derBund und die Kantone je zur Hälfte zu tragen hätten.

Diese Ziffern dürften die oben geäusserte Ansicht bestätigen, dass gesucht werden muss, das Problem der vollständigen und' dauernden Behebung der Wohnungsnot nach andern Gesichtspunkten zu lösen. Bei der überhandnehmenden Not musste jedoch.

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der endgültigen und zeitraubenden Lösung dieser Frage durch provisorische Massnahmen vorgegriffen werden. Der zu diesem Zwecke eröffnete Kredit von 10 Millionen Franken darf, entsprechend dem 'Charakter der Massnahme als Notbehelf, nur für Beiträge an Wohnungsbauten verwendet werden, die geeignet sind, einer ausgesprochenen Wohnungsnot zu steuern. Gestützt auf die Anregungen, die in den Sitzungen der Expertenkommission gemacht worden sind, ist ferner eine Revision der Notverordnungen über Mieterschutz usw., durch die man bisher der Wohnungsnot zu begegnen · versucht hat, in Vorbereitung. Ausserdem wird erstrebt, die Industrien auf dem Boden der Freiwilligkeit für die Unterstützung von Wohnungsgenossenschaften von Arbeitern und An.gestellten zu gewinnen. Endlich sind Unterhandlungen im Gange mit den Bauunternehmern und den Lieferanten von Baumaterialien, um sie zu bewegen, im Interesse der Förderung des Wohnungsbaues auch Entgegenkommen zeigen, d. h. sich mit bescheidenen Baupreisen zu begnügen. In der Folge werden Mittel und Wege -gefunden werden müssen, die Baukosten in anderer Weise herab.zumindern, insbesondere durch Steigerung der Arbeitsleistung und durch eine bessere Arbeitsorganisation. Nach und nach dürfte -dann auch die private Initiative wieder erwachen und die Wohnbautätigkeit beleben. All dies wird nötig sein, um die Lage zu -entspannen. Es bedarf der tätkräftigen Mithülfe aller. Bei der grossen sozialen und kulturellen Bedeutung, die dem Wohnungsproblem zukommt, darf wohl erwartet werden, dass die Behörden bereitwillige Mithülfe finden.

Ehe zu durchgreifenden Massnahmen geschritten werden kann, ist vor allem der wirkliche Umfang der Wohnungsnot festzustellen.

Zu diesem Zwecke hat das eidgenössische Amt für Arbeitslosenfürsorge, das mit der Bearbeitung des Postulates beauftragt worden ist, bereits Erhebungen eingeleitet. Ausserdem wäre es wünschenswert, einen Überblick über die Auswirkung der bisherigen Aktion .zu gewinnen. Wir haben bereits im letzten Neutralitätsbericht auf die grosse Nachfrage nach Subventionen hingewiesen, die sich vor allem in den Kantonen mit Wohnungsnot eingestellt hat. Um liier alle Gesuche zu berücksichtigen, wäre ein Vielfaches (6- bis lOfaches) der zugeteilten Kredite nötig. Wenn die Kantone, wie nachfolgende Zusammenstellung dartut, bei weitem nicht
vollständig über die ihnen zugeteilten Kredite verfügt haben, so ist der Aufschub nicht etwa dem Mangel an Bedarf, sondern im Gegenteil der ausserordentlich grossen Zahl der Gesuche zuzuschreiben, die den Kantonsregierungen eingereicht worden sind und deren Sichtung gerade wegen des beschränkten Kredits viele Schwierigkeiten bereitet und viel Zeit erfordert. Alle Kantone haben sich durch generelle Anmeldung der zu subventionierenden

283

Bauten darüber ausgewiesen, dass ihre Zuteilungsbetreffnisse längst vollständig in Anspruch genommen sind. Die Auswirkung der eingeleiteten Akîion \vird jedoch erst dann richtig übersehen werden können, wenn für den ganzen bewilligten Kredit die Projekte vorliegen. Immerhin gehen wir am Schlüsse eine Zusammenstellung über die bis Ende 19lü bereits zugesprochenen Bundesleistungen und den damit erzielten Erfolg. Wir fügen hinzu, dass im Januar u. a. nouh zwei Millionenprojekte genehmigt worden sind.

Schlussfolgerungen.

Mittlere Zimmerzahl pro Wohnung

= 3,si Zimmer

lOöo

98 S^fi RQ^l 0^

Mittlere Totalbaukosten pro Wohnung

'

' J, '-- = Fr. 26,600

lOöo

Mittlere Leistungen des Bundes pro Wohnung: «. Beitrag

.tf^lH.

, _. , , b. Darlehen.

2,617,897.30 -----}--^ = Fr. 2,41»

=

Fr. 3,070

lOoo

Die bereitgestellten Bundeskredite reichen nach den bisherigen Erfahrungen somit aus zur Gewährung von Beiträgen für ^ * * WTM0

o.Qj&i.Jiy. io

^ ,, , von Darlehen für

= 3360

1083 X 12,000,000 '^ ' ' =

2i^öl i , o y < . ou

Wohnungen

__ , 5000 Wohnungem

KnAA

Die Baukostensumme aller Wohnungsneubauten, für die bis 31. Dezember 1919 Bundesuntersttttzungen bewilligt worden sind, verteilt sich zu 37,5 % auf private, zu 45,o % auf genossenschaftliche und zu 17,s °/o auf kommunale Wohnungsbauten.

Um nun zu vermeiden, dass die Wohnbautätigkeit in kurzer Zeit neuerdings stockt, gerade wenn man ihrer zur Milderurg der Wohnungsnot und · der Arbeitslosigkeit am dringendsten bedarf, halten wir die Gewährung eines neuen Kredits für geboten und ersuchen um Genehmigung unseres Beschlusses vom 9. Februar 1920.

Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. I.

22

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Kantonsweise Zusammenstellung der

gemäss Bundesratsbeschluss vom 15. Juli 1919 betreffend Förderung der Hochbautätigkeit bis 31. Dezember 1919 subventionierten Wohnhausneubauten.

Kanton

Zurich .

Bern Luzern .

Bewilligte Bundesleistungen

Anzahl der zu erstellenden Wohnungen zu

Beiträge

1 2 3 Su. mehr Woh- Zimmer 4 Zimmer Zimmern Zimmern Zimmern Zimmern nungen

Totalbaukosten

. . .

Zug Freiburg . . .

Solotliurn . . .

Basel-Stadt . .

Basel-Land . .

Appenzell A.-Rh.

Graubnnden . .

Thurgau . . .

Tessin .

Waadt

.

.

.

.

.

.

.

Total

Darlehen

Total

Fr.

Fr.

Fr.

7,671,008. 90 4,055,174. 80 2,428,614. -- 1,123,252. 40 1,235,300. -- 3,533,315. -- 5,063,200. -- 140,000. -- 446,000. -- 1,694,658. -- 599,963. -- 417,907. 15 418,500. ·--

1,029,995. 60 437,719. 70 266,948. 90 78,042. 95 159,279. 50 414,734. 55 563,906. 25 7,000. -- 61,675. -- 162,564. 90 59,996. 30 40,170. 50 39,945. --

714,695. 90 348,415. 60 287,901. 55 93,692. 30 115,380. -- 289,988. 25 338,540. 25 14,000. -- 49,825. -- 200,916- -- 81,318.45 32,744. -- 50,480. --

28,826,893. 25

3,321,979. 15

2.617,897. 30

11 .

2

104 27 25 11 6 40 131 2 1 29 2 3 11

70 52 29 24 27 36 13 2 11 12 5 4 6

74 38 25 8 24 60 21 2 2 19 12 6 2

43 57 136 223 6 14 60 19 13 21

517 341 176 249 581 685 24 65 232 88 61 71

91

392

291

293

1083

4126

30 5 1

-- -- --

-- --

5 -- -- -- --

53 -- -- -- --

16

289 122 80

1036

285

8. Bundesratsbeschluss vom 4. Februar 1920 betreffend Bekämpfung der Influenza*).

Seit Beginn des Jahres 1920 konstatierte man ein ausgesprochenes Wiederaufflackern der Grippe, und es scheint heute gewiss zu sein, dass wir uns einer neuen Epidemiewelle gegeuübersehen.

Bis jetzt hat die Krankheit einen verhältnismässig gutartigen Charakter gezeigt. Wir haben jedoch keineswegs die Sicherheit, dass dies so bleiben werde ; ebensowenig wissen wir, welche Ausdehnung die Epidemie noch nimmt. Wir erachteten es daher als notwendig, schon jetzt gewisse Vorsichtsmassregeln zu treffen.

Da die Übertragung der Grippe hauptsächlich von Mensch zu Mensch erfolgt, ist die Ansammlung einer grösseren Anzahl von Personen am gleichen Ort ganz besonders geeignet, die Verbreitung dieser Krankheit zu fördern. Es erschien daher vor allem angezeigt, für den Fall, dass die Verbreitungsgefahr wachse, die Versammlungen zu untersagen oder doch auf ein unumgängliches Minimum einzuschränken. Da jedoch gewisse Kantone aus verfassungsmässigen Gründen nicht von sich aus derartige Massnahmen anordnen können, ergab sich für den Bundesrat dis Aufgabe, einzugreifen. Er hat am 4. Februar 1920 einen Beschluss betreffend Bekämpfung der Influenza gefasst, durch welchen die Kantone und Gemeinden ermächtigt werden, alle Veranstaltungen zu verbieten, welche zur Ansammlung zahlreicher Personen am gleichen Ort oder im gleichen Raum führen können, wie Theateraufführungen, kinematographische Vorstellungen, Konzerte,, Volksversammlungen, öffentliche Tanzanlässe, Volksfeste, Märkte u. dgl.

B e r n , den 9 Februar 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Steiger.

Seilafftn, *) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXVI, S. 90.

286

Beilage 1.

Aktion zugunsten von arbeitslosem und ausserberuflich beschäftigtem Personal gelehrter Berufe.

(Beschluss des Bundesrates vom 16. Dezember 1919.)

1. Zur Schaffung von Arbeitsgelegenheiten für arbeitsloses Personal gelehrter Berufe, insbesondere von akademischen Technikern, wird, vorbehaltlich näherer Erhebungen über Zahl und Eignung der Bewerber, aus dem Fonds für Arbeitslosenfürsorge ein Kredit von Fr. 1,500;000 bereitgestellt.

2. Die Abteilungen der Bundesvenvaltung werden prüfen, welche Arbeiten (Terrainaufnahmen, Wassermessungen, geologische Untersuchungen, Projektstudien, Archivarbeiten u. dgl.) sich hierfür im Allgemeiniuteresse, sowie mit Rücksicht auf die Fälligkeiten der in Betracht kommenden Bewerber am besten eignen. Sie werden im Einvernehmen mit dem eidgenössischen Amt für Arbeitslosenfürsorge dem Bundesrate entsprechende Anträge unterbreiten.

3. Zur Deckung der mit der geplanten Aktion zusammenhängenden Mehrauslagen für Miete und Ueterhalt von Bureauräumlichkeiten, sowie für Anschaffungen können auf Begehren von eidgenössischen Verwaltungsabteilungen Extrakredite aus allgemeinen Bundesmitteln gewährt werden.

4. Zur Bestreitung der vermehrten Auslagen für Gehälter und Feldzulagen, sowie für Löhne an das mehr einzustellende Hilfspersonal, können eidgenössischen Verwaltungsabteilungen, gestützt auf ihrerseits im Einvernehmen mit dem eidgenössischen Amt für Arbeitslosenfürsorge gestellte Anträge, aus den unter Ziffer l festgesetzten Mitteln Kredite im Gesamtbeträge dieser Auslagen bewilligt werden.

5. Das eidgenössische Amt für Arbekslosenfürsorge ist ermächtigt, den Kantonen, welche sich an den Bestrebungen durch eigens zu diesem Zwecke vorzunehmende Vermehrung ihres Personals beteiligen sollten, Beiträge in der Höhe von 25--50 % der unter Ziffer 4 bezeichneten Auslagen zu bewilligen und die zweckmässig erscheinenden Bedingungen daran zu knüpfen. Nötigenfalls können solche Beiträge auch zuhanden von Gemeinden, allfällig ebenso zugunsten von gemeinnützigen Gesellschaften erfolgen.

Das genannte Amt wird dem Bundesrat monatlich Bericht erstatten über die von ihm bewilligten und angewiesenen Beträge.

6. Die Aktion erstreckt sich nur so weit, als die unter Ziffer l festgesetzten Mittel ausreichen.

'287 Beilage .2.

Zentralstelle der schweizerischen Arbeitsämter.

(Beschluss des Bundesrates vom 6. Januar 1920.)

1. Das eidgenössische. Volkswirtscbaftsdepartement wird ermächtigt, die im Bundesbeschluss betreffend die Förderung des Arbeitsnachweises durch den Bund (vom 29. Oktober 1909) unter Ziffer IH a vorgesehene, vom Arbeitsamt der Stadt Zürich bisher nebenamtlieh betriebene Zentralstelle der schweizerischen Arbeitsämter während des Bestehens des eidgenössischen Amts für Arbeitslosenfürsorge durch dieses hauptamtlich weiterführen zu lassen.

2. Die Aufgaben der Zentralstelle sind folgende: a. Die in den einheitlichen Grundsätzen für den Geschäftsbetrieb und den gegenseitigen Verkehr der öffentlichen Arbeitsämter in der Schweiz (vom 12. November 1910) in Art. 11, 12 und 13 vorgeschriebenen Arbeiten.

b. Mitwirkung bei der Errichtung von neuen Arbeitsämter::!, bei der Ausdehnung der Funktionen bestehender Arbeitsämter uc.d bei der Ausgestaltung des Arbeitsnachweises im allgemeinen, wie auch bei der Arbeitslosenstatistik und den Massnahmen gegen Arbeitslosigkeit.

c. Zentralisatiou des Arbeitsnachweises, unter Eingliederung der Arbeitsnachweise beruflicher Organisationen der Betriebsinhaber und Arbeitnehmer und des schweizerischen Bauernsekretariats.

d. Unterhaltung von Beziehungen zu den Behörden des Bundes und der Kantone, die Arbeiten zu vergeben haben, und Regelung der Arbeiterzuweisung an Unternehmer von Arbeiten der eidgenössischen und kantonalen Verwaltungen, sowie Umschau nach Arbeitsgelegenheiten in Industrie, Gewerbe und Handel, Land- und Forstwirtschaft und bei andern Erwerbszweigen.

e. Ermittlung einer möglichst vollständigen Übersicht über den inländischen Arbeitsmarkt durch Heranziehung der internationalen beruflichen Verbände der Betriebsinhaber und Arbeitnehmer zur Berichterstattung Ober die Arbeitsverhältnisse in den Betrieben (Betriebseinaehrftnkungen und -einstellungen), sowie über die vorhandenen Arbeitsgelegenheiten.

288

f. Regelung des internationalen Arbeitsnachweisdienstes und des Zustroms oder des Entzuges von Arbeitskräften durch zweckdienliche Verbindung mit der Fremdenpolizei, den schweizerischen Konsulaten und den Arbeitsnachweisverbänden der Nachbarstaaten.

Der Zentralstelle können ausserdem andere, in ihr Tätigkeitsgebiet fallende Aufgaben zugewiesen werden.

3. Das Arbeitsamt der Stadt Zürich fuhrt die eigentlichen Verbandsgeschäfte.

4. Das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement wird vor Aufhebung des eidgenössischen Amts für Arbeitslosenfürsorge über die Weiterführung der Zentralstelle Bericht und Antrag an den Bundesrat einreichen.

5. Dieser Beschluss tritt sofort in Kraft.

289

Beilage 3.

ßundesratsbeschlnss betreffend

Milderung der Wohnungsnot durch Förderung der Hochbautätigkeit.

(Vom 9. Februar 1920.)

Der gestützt auf beschlusses vom ·ausserordentlichen

schweizerische Bundesrat, den zweiten Absatz von Ziffer l des Bundes3. April 1919 betreffend Beschränkung der Vollmachten des Bundesrates, boschliesst: Art. 1. Der Bund fördert gemeinsam mit den Kantonen die private, genossenschaftliche und öffentliche Wohnbautätigkeit durch Beiträge an Wohnhausneubauten und an Umbauten, durch die vermehrte Wohngelegenheit geschaffen wird, sofern der Kostenaufwand Fr. 3000 überschreitet.

Art. 2. Vorgesehen ist ein einmaliger Kredit von 10 Millionen Franken. Die Festsetzung des Betrages ist der Bundesversammlung vorbehalten. Er ist dem Fonds für Arbeitslosenfürsorge zu entnehmen.

Art. 3. Die Beitragsleistung des Bundes an den Baueigentümer beträgt, je nach Art und Zweckbestimmung des Baues, 5--15 °/o der Totalbaukosten, unter Vorbehalt eines Höchstbetrages, der auf Grund des Kostenvoranschlages festgesetzt wird.

Art. 4. Bei annähernd gleichen Vorzügen sind diejenigen Bauvorhaben in erster Linie zu berücksichtigen, die im Verhältnis zu den dafür aufzuwendenden öffentlichen Mitteln in höherem Masse geeignet sind, der Wohnungsnot zu steuern.

Art. 5. Der Beitrag kann in der Regel nur bewilligt werden, wenn der Kanton eine ebenso hohe Leistung übernimmt.

Art, 6. Die Kantone beschliessen, ob und in welchem Umfange 4ie beteiligten Gemeinden zur Beitragspflicht heranzuziehen sind.

An Steile der Kaatonsbeiträge können Beiträge der Gemeinden und allfälliger Dritter treten; jedoch haben die Kantone auch i.n diesen Fällen far Einhaltung der Vorschriften zu sorgen.

290

Art. 7. Für Bund und Kanlon besteht im Verhältnis ihrer Beiträge ein im Grundbuch gemäss ZGB Art. 959 vorzumerkender Anspruch auf die Hälfte des Gewinnes, der boi Handänderungen innerhalb 15 Jahren, vom Zeitpunkt der Vormerkung im Grundbuch an gerechnet, erzielt wird.

Unter Gewinn ist die Differenz zwischen Verkaufspreis und Selbstkosten und unter Selbstkosten der Betrag des Anlagewertes abzüglich Beitrag nach Art. 3 dieses Beschlusses zu verstehen.

Art. 8. Während der in Art. 7 genannten Frist von 15 Jahren darf das Mietzinserträgnis eines Gebäudes 6--8 % der Selbstkosten nicht übersteigen.

Art. 9. Die Beiträge des Bundes und der Kantone dürfen nur unter der Voraussetzung zugesprochen werden, dass bei Einreichung des Beitragsgesuches und der übrigen zugehörigen Akten der Nachweis erbracht wird, dass der Rest der erforderlichen finanziellen Aufwendungen für das Bauwerk sichergestellt ist.

Art. 10. Wer sich vorsätzlich der Erfüllung des in Art. 7 festgesetzten Anspruchs durch falsche Angaben oder in anderer ungehöriger Weise entzieht oder zu entziehen versucht, verliert^ unabhängig von einer allfälligen strafrechtlichen Verfolgung, jeden Anteil am Gewinn.

In diesem Falle kommt der ganze Gewinn Bund und Kanton zu nach Massgabe ihrer Beiträge.

Art. 11. Dieser Beschluss tritt mit Genehmigung des Kredites durch die Bundesversammlung in Kraft.

Die Kantone, die den Beschluss zur Anwendung bringen wollen, erlassen die Bestimmungen über den Vollzug.

Art. 12. Das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement wird mit der Ausführung dieses Beschlusses beauftragt und erteilt die erforderlichen Weisungen.

B e r n , den 9. Februar 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft Steiger.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über in den Geschäftskreis des Volkswirtschaftsdepartementes fallende Massnahmen auf Grund des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesr...

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1920

Année Anno Band

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18.02.1920

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270-290

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