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zu 89.234

Parlamentarische Initiative Militärstrafgesetzbuch. Abschaffung der Todesstrafe.

Bereinigung der Auslieferungsverträge Stellungnahme des Bundesrates vom 16. September 1991

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen unsere Stellungnahme zu Bericht und Antrag der Petitions- und Gewährleistungskommission des Nationalrates vom 22. April 1991, womit eine Änderung des Militärstrafgesetzes (MStG; SR 321.0) verlangt wird (BEI 1991 II 1462).

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Ausgangslage

Herr Nationalrat Pini reichte am 21. Juni 1989 eine parlamentarische Initiative ein. Darin wird in Form einer allgemeinen Anregung beantragt, die Artikel über die Anwendung der Todesstrafe aus dem Militärstrafgesetz zu streichen.

Die Initiative wurde von der nationalrätlichen Petitions- und Gewährleistungskommission am 11. Januar 1990 vorberaten. Sie kam zum Schluss, dass die Argumente, die gegen die Todesstrafe in Friedenszeiten angeführt werden, gleichermassen auch gegen diese Strafe in Kriegszeiten gelten. Sie sei ungeeignet zur Abschreckung potentieller Täter, unwirksam nach erfolgten Taten, unnötig zur Erhaltung der Staatssicherheit, der Disziplin und des Abwehrwillens. Zudem verdränge sie das Schuldprinzip unseres Strafrechts. Sie sei mit der humanitären Tradition der Schweiz und ihrem weltweiten Einsatz für Menschenrechte nicht weiter vereinbar. Die internationalen Tendenzen gingen denn auch in Richtung einer Abschaffung der Todesstrafe auch im Militärstrafrecht. Die Kommission beantragte daher einstimmig und ohne Enthaltungen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Der Nationalrat stimmte am 5. Oktober 1990 diesem Antrag oppositionslos zu.

Ausserdem überwiesen die Räte die Motion Rechsteiner (89.509; Abschaffung der Todesstrafe) insoweit, als sie die Abschaffung der Todesstrafe im Militärstrafrecht vorsieht (Nationalrat: 5. Okt. 1990, Ständerat: 21. März 1991).

Auf Einladung der Kommission unterbreitete das EMD daraufhin einen Revisionsentwurf zum MStG. Dieser Entwurf wurde am 27. Februar 1991 von der Kommission beraten; sie beantragt in ihrem Bericht, dem Entwurf zur Änderung des MStG zuzustimmen.

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1991-591

Am 13. Mai 1991 reichte die Kommission zudem ein Postulat ein, mit dem der Bundesrat eingeladen wird, die Bereinigung derjenigen Auslieferungsverträge einzuleiten, die eine Auslieferung trotz drohender Todesstrafe noch zulassen.

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Stellungnahme des Bundesrates

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Zum Entwurf und zum Antrag der Petitions- und Gewährleistungskommission

In Artikel 65 Absatz l der Bundesverfassung (BV) wird die Todesstrafe für politische Vergehen untersagt. Diese Fassung der Bestimmung wurde 1879 vom Volk angenommen, nachdem in der BV von 1874 die Todesstrafe noch gänzlich abgeschafft war, allerdings mit einem Vorbehalt der Bestimmungen des Militärstrafgesetzes in Kriegszeiten. Diese Lösung entsprach der damaligen mehrheitlichen Meinung, und die Kantone konnten diese Strafe für die nicht politischen Delikte wieder einführen. Mit dem Inkrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (SR 311.0) im Jahre 1942 wurde die Todesstrafe dann für das gesamte Gebiet der Eidgenossenschaft in Friedenszeiten abgeschafft. Sie blieb indessen im Militärstrafgesetz von 1927 für bestimmte Delikte in Kriegszeiten oder bei unmittelbar drohender Kriegsgefahr bestehen (Dicke, Kommentar zur BV, Art. 65).

Diese Rechtslage wurde durch die Genehmigung des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK (SR 0.101.06) durch die Schweiz im Jahre 1987 nicht geändert. Seiner menschenrechtspolitischen Tendenz nach ist das Protokoll auf die bedingungslose Abschaffung der Todesstrafe angelegt. Immerhin hält Artikel 2 fest, dass ein Staat in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen kann, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden. Dies trifft für die heutige schweizerische Rechtslage zu (Botschaft vom 7. Mai 1986 über die Genehmigung der Protokolle Nr. 6, 7 und 8 zur Europäischen Menschenrechtskonvention; BB1 198611 589 ff.). Diese Strafe darf nur in Fällen, die im Recht vorgesehen sind und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden. Das Protokoll darf durch einen Unterzeichnerstaat auch im Falle eines Krieges oder eines andern öffentlichen Notstandes nicht ausser Kraft gesetzt werden (Art. 3 des Protokolls in Verbindung mit Art. 15 EMRK).

Eine ähnliche Lösung enthält das im Jahre 1989 verabschiedete 2. Fakultativprotokoll zum internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, womit die Unterzeichnerstaaten auf die Todesstrafe verzichten, wobei anlässlich der Ratifikation ein Vorbehalt für Bestimmungen gemacht werden kann, welche die Todesstrafe in Kriegszeiten vorsehen. Der Bundesrat hat in seiner Botschaft vom 30. Januar 1991 betreffend den Beitritt der Schweiz zu den beiden internationalen Menschenrechtspakten erklärt, dass dieses
Fakultativprotokoll der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet werde, sobald die Frage der Abschaffung der Todesstrafe durch den Souverän entschieden worden sei (BB1 1991 I 1209, Fussnote 3).

Der Erlass dieser beiden Protokolle ist ein Ausdruck der Tendenz auf internationaler Ebene, die Todesstrafe in allen Rechtsgebieten abzuschaffen. Derzeit wird durch verschiedene völkerrechtliche Übereinkommen die Anwendbarkeit 185

der Todesstrafe zwar beschränkt, aber nicht ausgeschlossen. Auch ist gegenwärtig im internationalen Recht kein Satz nachweisbar, wonach sich die Todesstrafe mit dem ius cogens als einem zwingenden Bestandteil des Völkerrechts nicht vereinbaren liesse. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Entscheid vom 7. Juli 1989 zum Fall Soering indessen festgehalten, dass zwar gemäss der EMRK die Todesstrafe vorbehalten bleibt, hingegen die Umstände eines Todesurteils - das heisst die Art seiner Verhängung oder Vollstrekkung, die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten, die Verhältnismässigkeit der Strafe bezüglich der Schwere der Tat oder die Haftbedingungen vor der Vollstreckung - einen Verstoss gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung gemäss Artikels EMRK darstellen können (Soering Case 1/1989/161/217, Randziffer 104). Mit den Protokollen wird den Staaten aber die Möglichkeit geboten, auf diese Strafe völkerrechtlich verbindlich zu verzichten.

In den Staaten Westeuropas lässt sich die Rechtslage wie folgt darstellen: Staat

Belgien Dänemark Deutschland (BRD) Finnland Frankreich Griechenland Italien Liechtenstein Luxemburg Niederlande Norwegen Portugal..

Österreich Schweden Spanien Vereinigtes Königreich

,

Abschaffung für Friedenszeiten

Abschaffung für Kriegszeiten

(de facto nicht mehr angewendet) 1930 1978 1949 1949 1949 1972 1981 1981 (de facto nicht mehr angewendet) 1948 (1989 eingeleitet) 1989 1989 1979 1979 1870 1983 1979 1979 1867 1975 1968 1968 1921 1973 1978 (nicht abgeschafft) (besteht für besondere Tatbestände)

Die Tabelle zeigt, dass mehrere der aufgeführten Staaten die Todesstrafe in den letzten Jahren abgeschafft haben, namentlich dort, wo sie noch für Kriegszeiten vorgesehen war. Die überwiegende Zahl der westeuropäischen Staaten kennt diese Strafe heute nicht mehr in ihrem Recht. Die allgemein erkennbare Tendenz, sie abzuschaffen, besteht heute auch in osteuropäischen Staaten.

Zwischen 1984 und 1989 haben weltweit neun Länder die Todesstrafe in ihrem Recht vollständig abgeschafft: Argentinien (1984), Australien (1985), Kambodscha (1989), Haïti (1987), Liechtenstein (1989), Neuseeland (1989), Philippinen (1987), ehemalige DDR (1987) und Rumänien (1989; vgl. Bericht des Generalsekretärs des Wirtschafts- und Sozialrates der UNO vom 20. März 1990, Paragraph 16).

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Der Bundesrat kann sich daher mit dem Antrag der Kommission auf Zustimmung zur Änderung des Militärstrafgesetzes einverstanden erklären, womit die Todesstrafe auch in der Schweiz in Kriegszeiten und bei unmittelbar drohender Kriegsgefahr abgeschafft würde. Es hat sich in der Tat die Erkenntnis durchgesetzt, dass die abschreckende Wirkung der Todesstrafe nicht bewiesen werden kann. Insbesondere wiegt indessen die Tatsache schwer, dass ein Justizirrtum, der nie gänzlich ausgeschlossen werden kann - namentlich dann nicht, wenn der Staat und seine Organe unter dem Druck einer Kriegssituation handeln müssen - nie mehr wieder gutgemacht werden könnte; dies im Gegensatz zu jeder andern, auch der schwersten Strafe. Diese Argumente gelten in Kriegszeiten ebenso wie im Frieden. Daher ist die Aufhebung der Todesstrafe auch im Militärstrafrecht gerechtfertigt.

Mit dem Hinweis auf die staatsrechtlichen Schranken, denen auch das extrakonstitutionelle Notrecht unterliegt, sowie auf die völkerrechtliche Bindung an Artikel 3 des Zusatzprotokolls Nr. 6 zur EMRK, womit eine notrechtliche Ausserkraftsetzung des Protokolls untersagt wird, erachtet die Kommission den Verzicht auf die Androhung der Todesstrafe grundsätzlich als notstandsfest.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass durch das Zusatzprotokoll Nr. 6 ein völkerrechtliches Instrument geschaffen wurde, mit welchem die möglichst unumkehrbare Abschaffung der Todesstrafe gefördert werden soll und das daher eine Wiedereinführung ohne formelle gesetzliche Grundlage auch in Notstandszeiten untersagt. Eine notrechtliche Einführung der Todesstrafe, wie dies während des zweiten Weltkrieges gestützt auf den Vollmachtenbeschluss vom 30. August 1940 erfolgte, wäre nach dieser Rechtslage nicht mehr möglich, da damals die Todesstrafe für Kriegszeiten im Gesetz vorgesehen war, was mit der Annahme des vorliegenden Entwurfs nicht mehr der Fall wäre.

Zu den einzelnen Bestimmungen des Entwurfs haben wir keine Bemerkungen.

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Zum Postulat über die Bereinigung der Auslieferungsverträge

Das Anliegen einer Bereinigung verschiedener Auslieferungsverträge geht letztmals auf eine Motion Rechsteiner vom 15. Juni 1989 zurück. Dieser Vorstoss wurde bezüglich jener Frage in beiden Räten abgelehnt. Der Bundesrat ist nach wie vor der Ansicht, dass eine einseitige Aufkündigung der vor 1981 abgeschlossenen Auslieferungsverträge nicht angebracht wäre. Er ist aber bereit zu prüfen, welche Verträge anpassungsbedürftig wären und die entsprechenden Schritte dazu einzelfallweise einzuleiten, sobald die Umstände dies jeweils erlauben oder erfordern.

In diesem Sinne ist der Bundesrat bereit, das Postulat anzunehmen.

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Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. September 1991

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Cotti Der Bundeskanzler: Couchepin

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Parlamentarische Initiative Militärstrafgesetzbuch. Abschaffung der Todesstrafe.

Bereinigung der Auslieferungsverträge Stellungnahme des Bundesrates vom 16. September 1991

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22.10.1991

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