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Botschaft über die Ergänzung des Vertrags vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 16. Januar 1991

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Ergänzung des Vertrags vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. Januar 1991

1991-5

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Cotti Der Bundeskanzler: Buser

24 Bundcsblalt 143.Jahrgang. Bd.I

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Übersicht Der Vertrag vom 29, März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet schliesst Liechtenstein in das schweizerische Zottgebiet und damit das schweizerische Wirtschaftsgebiet ein. Neben der Zollgesetzgebung findet die übrige Bundesgesetzgebung, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt, Anwendung. Die von der Schweiz abgeschlossenen Handels- und Zollverträge erstrecken sich auf Liechtenstein. Das Fürstentum darf selbständig keine Handels- und Zollverträge abschliessen. Mit dem Ergänzungsvertrag vom 26. November 1990 soll Liechtenstein ermöglicht werden, selbständig Vertragsstaat internationaler Übereinkommen oder Mitgliedstaat internationaler Organisationen zu werden, denen auch die Schweiz angehört.

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Botschaft

I

Allgemeiner Teil

II

Ausgangslage

Der Vertrag vom 29. März 1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet - Zollanschlussvertrag - (SR 0.631.112.514) schliesst Liechtenstein in das schweizerische Zollgebiet und damit das schweizerische Wirtschaftsgebiet ein.

Nach seinem Artikel 4 findet neben der Zollgesetzgebung die übrige Bundesgesetzgebung in Liechtenstein Anwendung, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt, ausgenommen Vorschriften, durch die eine Beitragspflicht des Bundes begründet wird. Die anwendbare Bundesgesetzgebung umfasst insbesondere die Vorschriften über Ein-, Aus- und Durchfuhr sowie die Herstellung von Waren. Damit ist Gewähr geboten, dass nur Waren, die den schweizerischen Vorschriften entsprechen, über die offene, nicht kontrollierte Grenze zwischen der Schweiz und Liechtenstein gelangen. Zur anwendbaren Bundesgesetzgebung gehören auch die einschlägigen, von der Schweiz abgeschlossenen Staats vertrage. Artikel 7 des Zollanschlussvertrages bestimmt ausdrücklich, dass die von der Schweiz abgeschlossenen Handels- und Zollverträge in Liechtenstein in gleicher Weise Anwendung finden wie in der Schweiz. Nach Artikel 8 schliesst Liechtenstein selbständig keine Handels- und Zollverträge mit Drittstaaten ab.

Durch das Protokoll vom 4. Januar 1960 über die Anwendung des Übereinkommens zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation auf das Fürstentum Liechtenstein (SR 0.632.315.14) ist Liechtenstein in die EFTA eingeschlossen, ohne selbst Vertragspartei zu sein. Das Zusatzabkommen vom 22. Juli 1972 über die Geltung des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 22. Juli 1972 für das Fürstentum Liechtenstein (SR 0.632.401.6) erstreckt dieses Freihandelsabkommen auf Liechtenstein, ebenfalls ohne das Fürstentum zur Vertragspartei zu machen.

Im Rahmen der europäischen Integrationsbestrebungen ist Liechtenstein auf die Wahrung seiner Eigenständigkeit bedacht und will seine Interessen vermehrt selbst wahrnehmen. Seit längerer Zeit nimmt Liechtenstein an den EFTA-Ministertagungen teil, ohne Mitglied zu sein. Es ist auch an den Verhandlungen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit einer eigenen Delegation beteiligt. Zur Stärkung seiner Stellung möchte das Fürstentum
zunächst als selbständiges Mitglied der EFTA beitreten. Das EFTA-Abkommen ist ein Handels- und Zollvertrag. Ohne Änderung des Zollanschlussvertrags kann Liechtenstein also der EFTA nicht beitreten. Anderseits haben Sondierungen bei den EFTA-Mitgliedstaaten ergeben, dass keine Bedenken gegen den liechtensteinischen Beitritt bestehen. Mit der vorliegenden Teilrevision des Zollanschlussvertrages wird der Beitritt Liechtensteins zur EFTA und anderen handelspolitischen Übereinkommen und Organisationen ermöglicht, die den Abbau 599

von Handelsschranken oder wirtschaftliche Integration bezwecken, wenn diesen auch die Schweiz angehört.

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Verlauf der Verhandlungen

In den 1990 in zwei Runden geführten Verhandlungen standen anfänglich mehrere Vorschläge zur Diskussion, so eine authentische Interpretation des Zollanschlussvertrages, eine Vereinbarung für den besonderen Fall der EFTA oder eine allgemeinere Lösung. Übereinstimmend wurde festgestellt, dass die im Änderungsvertrag vom 26. November 1990 festgehaltene Lösung die beste ist. Sie entspricht der Bestimmung von Artikel 6 des Vertrages vom 9. Januar 1978 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die Besorgung der Post- und Fernmeldedienste im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerischen Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe (SR 0.783.595.14). Liechtenstein ist einerseits Mitglied des Weltpostvereins und der Internationalen Fernmeldeunion und anderseits durch Artikel 4 auch an die von der Schweiz mit Drittstaaten angeschlossenen Verträge im PTT-Bereich gebunden.

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Besonderer Teil

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Kommentar zum Vertrag

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Beurteilung des Vertrags

Die Regelung von Artikel 8bis, die in den Zollanschlussvertrag eingefügt wird, trägt den Interessen der beiden Staaten Rechnung. Solange sich im multilateralen Bereich die Liberalisierung im wesentlichen auf den Warenverkehr erstreckte, ergaben sich keine besonderen Probleme im bilateralen Verhältnis und gegenüber den Drittstaaten. Mit der Erstreckung von bi- und multilateralen Handels- und Zollverträgen auf Liechtenstein konnte der Warenverkehr für die Schweiz, Liechtenstein und die Drittstaaten zufriedenstellend geregelt werden.

Schwierigkeiten ergeben sich aber dort, wo, wie im Rahmen der EFTA und des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens vom 30. Oktober 1947 (GATT), in Verträgen der Schweiz mit der Europäischen Gemeinschaft Regelungen getroffen werden, die nur teilweise oder überhaupt nicht den Warenverkehr betreffen und deshalb im bilateralen Verhältnis Schweiz-Liechtenstein nicht unter den Zollanschlussvertrag fallen. Dabei kommen Materien wie Umweltschutz, Dienstleistungen, Verkehr, geistiges Eigentum, Forschung und anderes mehr in Betracht. Hier wird Liechtenstein nicht durch den Zollanschlussvertrag in Verträge der Schweiz mit Drittstaaten eingebunden, und es können sich schwierige Abgrenzungsfragen ergeben. Im Interesse der Rechtssicherheit, auch den Drittstaaten gegenüber, ist deshalb eine generelle Regelung angezeigt, die Zweifel an Rechten und Pflichten Liechtensteins ausschliesst. Mit dem neuen Artikel 8bis des Zollanschlussvcrtrags wird sichergestellt, dass Liechtenstein nur Übereinkommen und Organisationen angehören kann, denen auch die Schweiz angehört. Gleichzeitig wird Liechtenstein in die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten eingebunden, auch wenn diese im bilateralen Verhältnis nicht durch 600

den Zollanschlussvertrag abgedeckt sind. Die Schweiz kann damit auch nicht verantwortlich gemacht werden, wenn Liechtenstein in Materien, die nicht vom Zollanschlussvertrag erfasst werden, von der schweizerischen Haltung abweicht.

In Materien, die durch den Zollanschlussvertrag gedeckt sind, bleibt hingegen Liechtenstein an Übereinkommen gebunden, bei denen nur die Schweiz, nicht aber das Fürstentum selbst Vertragspartei ist.

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Kommentar zu den einzelnen Bestimmungen

Artikel l enthält die neue, als Artikel 8bls in den Zollanschlussvertrag einzufügende Bestimmung.

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten.

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Änderung des ZoUanschlussvertrags hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen.

4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1987-1991 nicht ausdrücklich aufgeführt. Sie gehört aber zu den im Rahmen der europäischen Integration zu behandelnden Fragen (BB1 1988 I 395 ff., insbesondere 538).

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Verhältnis zum europäischen Recht

Die Mitgliedstaaten der EFTA und die Kommission der Europäischen Gemeinschaft haben keine Einwendungen gegen die selbständige Beteiligung Liechtensteins an der Freihandelsassoziation und an den Verhandlungen zum Europäischen Wirtschaftsraum erhoben. Für die Schweiz ergeben sich aus einer eigenständigen Position Liechtensteins keine Nachteile, bleibt doch das Fürstentum weiterhin an die sich aus dem Zollanschluss ergebenden internationalen Verpflichtungen der Schweiz gebunden.

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Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage für den Abschluss des Vertrages bildet Artikel 8 der Bundesverfassung, nach welchem dem Bund das Recht zusteht, Staatsverträge mit dem Ausland abzuschliessen. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung beruht auf Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung. Der Vertrag bildet eine blosse Ergänzung des Zollanschlussvertrags von 1923, der nach seinem Artikel 41 jederzeit auf ein Jahr gekündigt werden kann. Zudem sieht er weder den Beitritt zu einer internationalen Organisation vor, noch führt er eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbei. Der vorliegende Vertrag unterliegt deshalb nicht dem fakultativen Referendum im Sinne von Artikel 89 Absatz 3 der Bundesverfassung.

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Bundesbeschluss Entwurf über die Ergänzung des Vertrags vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 8 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 16. Januar 1991 ^, beschliesst:

Art. l 1 Der am 26. November 1990 unterzeichnete Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein betreffend Ergänzung des Vertrages vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet wird genehmigt.

2 Der Bundesrat wird ermächtigt, den Vertrag zu ratifizieren.

Art. 2 Dieser Beschluss untersteht nicht dem Staatsvertragsreferendum.

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'> BEI 1991 I 597 602

Vertrag

Originaltext

zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend Ergänzung des Vertrags vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet

Der Schweizerische Bundesrat und Seine Durchlaucht der Regierende Fürst von und zu Liechtenstein haben beschlossen, den Vertrag vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet zu ergänzen, und haben zu diesem Zweck zu ihren Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Botschafter Mathias Krafft, Leiter der Direktion für Völkerrecht Seine Durchlaucht der Regierende Fürst von und zu Liechtenstein : S. D. Prinz Nikolaus von Liechtenstein, Ausserordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter des Fürstentums Liechtenstein die nach Bekanntgabe ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten folgendes vereinbart haben: Artikel l Der Vertrag vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet wird durch einen Artikel 8bls mit folgendem Wortlaut ergänzt: «Artikel 8bis Das Recht des Fürstentums Liechtenstein, selbst Vertragsstaat internationaler Übereinkommen oder Mitgliedstaat internationaler Organisationen zu werden, denen die Schweiz angehört, wird durch diesen Vertrag nicht eingeschränkt.» Artikel 2 Der vorliegende Vertrag unterliegt der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden. Der Vertrag tritt am Tage des Austausches der Ratifikationsurkunden in Kraft.

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Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet

Geschehen zu Bern, in doppelter Ausfertigung in deutscher Sprache am 26. November 1990.

Für die Schweizerische Eidgenossenschaft: Mathias Krafft

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Für das Fürstentum Liechtenstein: Nikolaus von Liechtenstein

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Ergänzung des Vertrags vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 16. Januar 1991

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Jahr

1991

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

07

Cahier Numero Geschäftsnummer

91.001

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.02.1991

Date Data Seite

597-604

Page Pagina Ref. No

10 051 710

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