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Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Freiburg, Basel-Stadt, Appenzell Ausserrhoden und Graubünden
vom 21. Dezember 1990
Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Freiburg, Basel-Stadt, Appenzell Ausserrhoden und Graubünden mit dem Antrag auf Zustimmung.
Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
21. Dezember 1990
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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Koller Der Bundeskanzler: Buser
1990-813
Übersicht Nach Artikel 6 Absatz l der Bundesverfassung sind die Kantone verpflichtet, für ihre Verfassungen die Gewährleistung des Bundes einzuholen. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels gewährleistet der Bund kantonale Verfassungen, wenn sie weder die Bundesverfassung noch das übrige Bundesrecht verletzen, die Ausübung der politischen Rechte in republikanischen Formen sichern, vom Volk angenommen worden sind und revidiert werden können, sofern die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt Erfüllt eine kantonale Verfassung diese Voraussetzungen, so muss sie gewährleistet werden; erfüllt eine kantonale Verfassungsnorm eine dieser Voraussetzungen nicht, so darf sie nicht gewährleistet werden.
Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: - im Kanton Freiburg: die Einsetzung eines Verwaltungsgerichts; - im Kanton Basel-Stadt: die Verankerung der Gleichberechtigung von Frau und Mann; - im Kanton Appenzell Ausserrhoden: die Anpassung der Finanzkompetenzen des Kantonsrates und des Regierungsrates an die Teuerung; - im Kanton Graubünden: die Organisation der kantonalen Katastrophenhilfe, Alle Änderungen entsprechen dem Artikel 6 Absatz 2 der Bundesverfassung; sie sind deshalb zu gewährleisten.
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Botschaft I
Die einzelnen Revisionen
II
Verfassung des Kantons Freiburg
In der Volksabstimmung vom 26, November 1989 haben die Stimmberechtigten des Kantons Freiburg der Änderung von Artikel 65 ihrer Staatsverfassung mit 51 753 Ja gegen 28 368 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 27. März 1990 ersucht der Staatsrat um die eidgenössische Gewährleistung.
III
Einsetzung eines Verwaltungsgerichts
Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text
Art. 65 Das Kantonsgericht erkennt über die verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, die das Gesetz nicht in die endgültige Zuständigkeit einer anderen Behörde legt.
Neuer Text Art. 65 1 Ein Verwaltungsgericht entscheidet in letzter kantonaler Instanz über alle verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, die das Gesetz nicht in die Zuständigkeit einer andern Behörde legt.
2 Die Richter des Verwaltungsgerichts werden nach den für die Wahl der Richter des Kantonsgerichts geltenden Bestimmungen auf fünf Jahre gewählt.
3 Das Verwaltungsgericht untersteht der Oberaufsicht des Grossen Rates.
4 Das Gesetz regelt die Organisation des Verwaltungsgerichts.
Mit der Verfassungsänderung wird für verwaltungsrechtliche kantonale Streitigkeiten als letzte kantonale Instanz ein besonderes Verwaltungsgericht eingesetzt.
Nach der bisherigen Regelung war diese Funktion vom Kantonsgericht wahrgenommen worden.
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Bundesrechtmässigkeit
Die Organisation des Gerichtswesens ist im Grundsatz Gegenstand der kantonalen Organisationskompetenz. In materieller Hinsicht entspricht die Änderung nicht nur den Anforderungen des Bundesrechts; sie kommt-auch den Anstrengungen des Bundes zur Entlastung des Bundesgerichts entgegen, was unter anderem mit der Einführung letztinstanzlicher richterlicher Behörden für den Vollzug von Bundesverwaltungsrecht geschehen kann (s. BEI 1985 II 811 ff.).
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Da die Änderung weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.
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Verfassung des Kantons Basel-Stadt
In der Volksabstimmung vom 4. Juni 1989 haben die Stimmberechtigten des Kantons Basel-Stadt der Einfügung von Paragraph la in ihre Kantonsverfassung mit 30638 Ja gegen 11 512 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 18. September 1990 ersucht der Staatsschreiber um die eidgenössische Gewährleistung.
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Gleiche Rechte für Frau und Mann
Der neue Text lautet: Neuer Text §2a 1 Frau und Mann sind gleichberechtigt.
2 Rechte und Pflichten gelten für Frauen und Männer, auch wenn sich ein Rechtssatz nicht an beide Geschlechter richtet; es sei denn er richte sich ausdrücklich oder sinngemäss nur an eines der beiden Geschlechter.
Die neue Bestimmung verankert den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und dehnt diesen Grundsatz unter Vorbehalt abweichender Regelung auf alle durch Rechtssatz geregelten Rechte und Pflichten aus.
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Bundesrechtmässigkeit
Nach Lehre und Praxis haben die Grundrechte der Kantonsverfassungen soweit selbständige Bedeutung, als sie einen über das Bundesrecht hinausgehenden Schutz gewähren ( BGE 102 la 469 f.; BEI 1989 III 735, 879). Das bedeutet, dass die Kantone denselben Grundrechtsschutz wie der Bund garantieren oder diesen Schutz ausdehnen können. Dies heisst aber auch, dass die Gewährleistung dort nicht erteilt werden darf, wo der Kanton zwingend einen geringeren Schutzumfang festlegt als der Bund mit seinen geschriebenen oder ungeschriebenen Grundrechten. Absatz l der neuen Bestimmung gibt den Inhalt von Artikel 4 Absatz 2 erster Satz der Bundesverfassung wieder, nennt allerdings die Geschlechter in umgekehrter Reihenfolge. Der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter ist (in teilweise etwas anderer Terminologie) auch in anderen Kantonsverfassungen enthalten (Art. 11 KV Uri; Art. 4 KV Glarus; Art. 7 KV Solothurn; Art. 8 KV Basel-Landschaft; Art. 10 KV Aargau; Art. 2 Abs. 3 KV Waadt; Art. 2A KV Genf; Art. 6 Abs. l KV Jura).
Absatz 2 der neuen Verfassungsbestimmung von Basel-Stadt weicht dagegen von Artikel 4 Absatz 2 zweiter Satz der Bundesverfassung ab. Während die Bundesverfassung die Gleichstellung in Familie, Ausbildung und Arbeit als Auftrag an den Gesetzgeber formuliert, legt der neue Paragraph 2a Absatz 2 eine Rege237
lung für die Auslegung bestehender Gesetze fest, die von der Vermutung der Gleichberechtigung ausgeht. Diese Regelung entspricht aber durchaus dem Sinn von Artikel 4 Absatz 2 zweiter Satz der Bundesverfassung, Daran ändert der Vorbehalt zugunsten gesetzlicher Regelungen, die ausdrücklich oder sinngemäss Abweichungen vorsehen, nichts. Auch diese Abweichungen müssen ihrerseits wiederum vor dem Gleichberechtigungsgrundsatz der Bundesverfassung standhalten. Die Verfassungsbestimmung bleibt somit nicht hinter dem Schutzumfang des Bundesrechts zurück und widerspricht weder der Bundesverfassung noch sonstigem Bundesrecht; es ist ihr die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.
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Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden
In der Landsgemeinde vom 29. April 1990 haben die Stimmberechtigten des Kantons Appenzell Ausserrhoden einer Änderung der Artikel 48 Ziffer 12 und 52 Ziffer 12 der Kantonsverfassung zugestimmt. Mit Schreiben vom 1. Mai 1990 ersucht der Ratschreiber um die eidgenössische Gewährleistung.
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Finanzkompetenzen von Kantonsrat und Regierungsrat
Der bisherige und der neue Text lauten: Bisheriger Text Art. 48 Ziff. 12 Der Kantonsrat hat folgende Obliegenheiten und Befugnisse: 12. Beschlussfassung über einmalige Ausgaben von höchstens 500 000 Franken für den gleichen Gegenstand; über jahrlich wiederkehrende Ausgaben von höchstens 60 000 Franken; über den Erwerb von Grundstücken für über eine Million Franken; über den Verkauf von Grundstücken für über 250 000 Franken; Art. 52 Ziff. 12 Der Regierungsrat hat folgende Obliegenheiten und Befugnisse: 12. Entscheid über einmalige Ausgaben von höchstens 40000 Franken für den gleichen Gegenstand; über den Erwerb von Grundstücken bis zum Betrag von einer Million Franken; über den Verkauf von Grundstücken beis zum Betrag von 250 000 Franken ;
Neuer Text Art. 48 Ziff. U Der Kantonsrat hat folgende Obliegenheiten und Befugnisse: 12. Beschlussfassung über einmalige Ausgaben von höchstens einer Million Franken für den gleichen Gegenstand; über jährlich wiederkehrende Ausgaben von höchstens 100000 Franken; über den Erwerb von Grundstücken für über zwei Millionen Franken; über den Verkauf von Grundstücken für über 500 000 Franken;
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Art. 52 Ziff. 12 Der Regierungsrat hat folgende Obliegenheiten und Befugnisse: 12. Entscheid über einmalige Ausgaben von höchstens 100 000 Franken für den gleichen Gegenstand; über den Erwerb von Grundstücken bis zum Betrag von zwei Millionen Franken; über den Verkauf von Grundstücken bis zum Betrag von 500000 Franken; Mit der Änderung werden die seit dem Jahre 1972 unveränderten Finanzkompetenzen des Kantonsrates und des Regierungsrates an die Teuerung angepasst.
Den veränderten Bedürfnissen entsprechend wurden die in der Verfassung verankerten Beträge erhöht.
132
Bundesrechtsmässigkeit
Die Festlegung der Beträge, die für die Finanzbefugnisse der kantonalen Behörden massgebend sind, liegt im Bereich der kantonalen Organisationskompetenz.
Da die Änderung weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.
14
Verfassung des Kantons Graubünden
In der Volksabstimmung vom 4. Juni 1989 haben die Stimmberechtigten des Kantons Graubünden der Einfügung eines Artikels 43 in ihre Kantonsverfassung mit 25 224 Ja gegen 8756 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 21. März und vom 23. April 1990 ersucht die Standeskanzlei um die eidgenössische Gewährleistung.
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Katastrophenhilfe
Der neue Text lautet: Neuer Text
An. 43 Das Gesetz regelt die Massnahmen zur Bewältigung von Katastrophen.
Mit der neuen Bestimmung wird eine kantonale Verfassungsgrundlage für ein Gesetz über die Katastrophenhilfe geschaffen, das anlässlich der gleichen Volksabstimmung in einer separaten Vorlage verabschiedet worden ist.
142
Bundesrechtmässigkeit
Die neue Bestimmung bewegt sich vollständig im Rahmen der kantonalen Organisationskompetenz. Da sie weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist sie zu gewährleisten.
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2
Verfassungsmässigkeit
Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 6 und 85 Ziffer 7 der Bundesverfassung zuständig, die Kantonsverfassungen zu gewährleisten.
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Bundesbeschluss Entwurf über die Gewährleistung geänderter Kantonsverfassungen
vom
Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 1990!), beschliesst:
Art. l Gewährleistet werden: 1. Freiburg der in der Volksabstimmung vom 26. November 1989 angenommene Artikel 65 der Staatsverfassung; 2. Basel-Stadt der in der Volksabstimmung vom 4. Juni 1989 angenommene Paragraph 2a der Kantonsverfassung ; 3. Appenzell Ausserrhoden die in der Landsgemeinde vom 29. April 1990 angenommenen Artikel 48 Ziffer 12 und Artikel 52 Ziffer 12 der Kantonsverfassung; 4. Kanton Graubünden der in der Volksabstimmung vom 4. Juni 1989 angenommene Artikel 43 der Kantonsverfassung ;
Art, 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich; er untersteht nicht dem Referendum.
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» BEI 1991 I 234
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Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Freiburg, Basel-Stadt, Appenzell Ausserrhoden und Graubünden vom 21. Dezember 1990
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Foglio federale
Jahr
1991
Année Anno Band
1
Volume Volume Heft
04
Cahier Numero Geschäftsnummer
90.088
Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum
05.02.1991
Date Data Seite
234-241
Page Pagina Ref. No
10 051 690
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