# S T #

zu 91.400

Parlamentarische Initiative Männer-Quoten im Ständerat (Minderheit der Kommission fles Nationalrates 89.253) Stellungnahme des Bundesrates vom

8. Mai 1991

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen unsere Stellungnahme zum Bericht der Koraraission des Nationalrats vom 24. Januar 1991 (BEI 1991 l 1 1 5 1 ) , die sich mit der parlamentarischen Initiative der Grünen Fraktion zur Abschaffung des Ständerates (89.253) befasst hat und aus deren Reihen im Sinne eines Gegenvorschlages eine Kommissionsrainderheitsinitiative in Form eines definitiv ausgearbeiteten Beschlussesentwurfs eingereicht worden ist, die die ungeteilten Kantone verpflichten will, sich im Ständerat durch Vertreter beider Geschlechter repräsentieren zu lassen.

Das Vorgehen der Kommission - Schaffung einer "Kommlssionsminderheitsinitiative" - wirft verfahrensrcchtliche Fragen auf, die der Klarung bedürfen.

1

Der Bundesrat hat sich bei Stellungnahmen zu Revisionen der parlamentarischen Geschäftsordnung stets eine gewisse Zurückhaltung auferlegt (vgl. etwa BEI 1982 II 337). Wir erachten diese Haltung nach wie vor als richtig. Hingegen fühlen wir uns verpflichtet, aus gegebenem Anlass auf die Tragweite der Praxisänderung hinzuweisen, welche mit dem Vorgehen der Kommission in der rubrizierten Angelegenheit verbunden ist, zumal diese Praxisänderung das Gewaltengefüge, namentlich das Zusammenwirken von Bundesrat, Verwaltung und Parlament mitberührt.

2

Bisher hatte der Bundesrat noch nie Gelegenheit, zu einer Kommi.ssionsminderheitsinitiative Stellung zu nehmen. Unseres Wissens wurde das Instrument- noch gar nie benützt. Das Instrument findet sich im Geschäftsverkehrsgesetz mit keinem Wort erwähnt. Nach unseren Feststellungen enthalten die publiïierten Materialien zu den in Frage kommenden Artikeln keinen Hinweis darauf, ob der Gesetzgeber tatsächlich ein solches Institut schaffen oder doch wenigstens zulassen wollte.

EK schiene uns daher angesichts der grundlegenden Bedeutung der Praxisänderung angebracht, dass sich die eidgenössischen Räte darüber aussprechen, ob die Ermöglichung einer Komraissionsminderheitsiuitiative ihrem Killen entspricht.

3

Mit der Kommissionsminderheitsinitiative soll offenbar das Verfahren abgekürzt werden:

31

Parlamentarische Initiativen sind stets einer Kommission zur Vorprüfung zuzuweisen (Art. 21ter Abs. 1 GVG, SR 171 1 jj . Das Verfahren für parlamentarische Initiativen wird damit unabhängig von der Form (ausgearbeiteter Entwurf oder allgemeine Anregung," Art. 21bis GVG) - zweistufig ausgestaltet: Nach der Vorprüfung und auf entsprechenden Bericht und Antrag einer Kommission hin tieschliesst der Rat zunächst über den Grundsatz, ob dem Anlieyr/n stattzugeben sei oder nicht (Art. 21ter Abs. 1 GVG).

32

Bejahendenfalls hat nachher eine Ratskommission eine Vorlage auszuarbeiten (Art. 21quater Abs. 1 GVG); erst in dieser zweiten Phase wird das Beratungsergebnis dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen (Art. 21quater Abs. 4 GVG). Zum Beratungsresultat können auch Minderheitsanträge unterlegener Kommissionsroitglieder gehören (vgl. Art. Squiaquies Abs. 4 GVG).

1991-291

907

33

Vom skizzierten Vorprüfungsverfahren sind einzig Kommissionsinitiativen ausgenommen (Art. 21 ter Abs. 3 GVG).

Dabei -können Kommissionen generell zu Gegenständen ihres Aufgabenkreises parlamentarische Initiativen einreichen (Art.

Sguinquies Abs. 5 GVG).

34

Damit stellt sich die Frage, ob die Zulässigkeit der Einreichung von Minderheitsanträgen (Art. Squinquies Abs. 4 GVG) und die Möglichkeit eines Verzichts auf das Vorprüfungsverfahren bei Kommissionsinitiativen (Art. 2Iter Abs. 3 GVG) so verknüpft werden können, dass Minderheitsanträge zu Vorprüfungsergebnissen einer Kommission von dieser blossen Kommissionsminderheit als "Koromissionsminderheitsinitiativen" deklariert und damit dein Vorprüfungsyerfahren entzogen werden können, wie dies das Vorgehen im vorliegenden Fall voraussetzt.

35

Eine solche Gesetzesauslegung erweist sich vor der Verfassung als unhaltbar. Die Revision von 1984 des Verfahrens zu parlamentarischen Initiativen brachte die von einer einzigen Ausnahme (vgl. Ziff. 33 hiervor) abgesehen konsequente Aufteilung der Behandlung parlamentarischer Initiativen in ein Vorprüfungs- und ein Ausführungsverfahren. Das Vorprüfungsverfahren sollte danach ausdrücklich nicht mehr nur für allgemeine Anregungen, sondern auch für ausformulierte parlamentarische Initiativen Anwendung finden.

Diese erst nach 15jähriger Praxis eingeführte Verfahrensdifferenzierung hatte zum Zweck, das Parlament zu entlasten: Aussichtslose Begehren sollten nicht erst nach enormen Vorarbeiten zur Entscheidung gebracht werden. Es scheint uns bedeutsam, dass die einzige Ausnahme vom Vorprüfungsverfahren die Kommissionsinitiative betrifft. Grund dieser Ausnahme kann einzig_sein, dass d_eren repräsentative .

Zusammensetzung dem Gesetzgeber im'Untëfschied zu allen andern parlamentarischen Initiativen Garant für mehrheitsfähige Lösungen zu sein versprach (vgl- BEI 1982 I 1 1 5 2 Ziff. 342).

;

Gerade diese Garantie entfällt jedoch bei Minderheitsanträgen, die zudem nicht einmal an ein Quorum gebunden sind.

36

Es geht nicht darum, das Recht zum Minderheitsantrag zu beschneiden. Wie jedoch Artikel Bquinquies Absatz 4 ("zusammen mit dem Kommissionsantrag") zeigt, ist dieser Minderheitsantrag unselbständiger Natur: Er ist an die Stellung des Hauptantrags der Kommissionsmehrheit gebunden. Dem wird mit der Verselbständigung des Minderheitsantrags zu einer eigenen Kömmissionsminderheitsinitiative - sie allein ist, zudem unter selbständiger Geschäftsnummer f"9~1.400), dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreitet worden - zweifelsfrei nicht mehrgenügend Rechnung getragen.

37

Wird die Ansicht verneint, dass eine Kommissionsminderheitsinitiative vom Gesetz zugelassen sei, so wird jedoch nicht das Recht zum Minderheitsantrag beschnitten; nur wäre' das Anliegen als Antrag vorzutragen, das Geschäft sei an die Kommission zurückzuweisen mit dem Auftrag, einen Gegenvorschlag mit dem Inhalt des Kommissionsminderheitsantrags auszuarbeiten.

38

Allein die Beibehaltung dieses bisher üblichen Vorgehens kann verhindern, dass im Rahmen der Vorprüfung einer parlamentarischen Initiative realisiert wird, was das Gesetz gerade generell unterbinden will (Art. 2Iter Abs. 1 GVG): Dass nämlich parlamentarische Initiativen ohne vorgängige Absicherung der Mehrheitsfähigkeit im Rahmen einer Kommission dem Parlament unter Umgehung des Vorprüfungsverfahrons dirokt zur definitiven Entscheidung vorgelegt werden.

39

Für die Richtigkeit dieser Sicht spricht schliesslich auch das Vorgehen in der Kommission selbst: Von drei aus f p rmuli e r t e n Minderheitsanträgen wurde lediglich einer als

908

Kommissionsminderheìtsinitìative mit Anspruch auf bundesrätlicbe Stellungnahme und sofortigen definitiven Entscheid eingereicht, die beiden andern hingegen ohne solchen Anspruch und dementsprechend ohne Einladung an den Bundesrat zur Stellungnahme, 4

Auch bei extensiver Interpretation von Art. Squinquies Abs. -l und Art. 21ter Abs. 3 GVG ist mithin offenkundig, dass Träger des Kommissionsinitiativrechts ausschliesslich Kommissionsmehrheiten sein können. Weil die in casu beanspruchte Kommissionsminderheitsinitiative vor dem Gesetz weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach zulässig sein kann, können dem Bundesrat aus der faktischen Beanspruchung eines inexistenten Instituts keinerlei rechtgültige Handlungspflichten erwachsen.

Der Bundesrat sieht sich aufgrund von Artikel 95 und von Artikel 102 BV verpflichtet, die Parlamentskoramission auf die Gesetzwidrigkeit des Vorgehens aufmerksam zu machen und auf die unterbreitete Komroissionsminderheitsinitiative materiell nicht . einzutreten.

5

Dementsprechend beantragt der Bundesrat, auf die Kommissionsminderheitsinitiative 91.400 mangels rechtlicher Zulässigkeit nicht einzutreten.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

B . Mai 1991

Im Namen des Schweizerischen Bundesxates Der Bundespräsident: Cotti Der Bundeskanzler: Buser

4649

909

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Parlamentarische Initiative Männer-Quoten im Ständerat (Minderheit der Kommission des Nationalrates 89.253) Stellungnahme des Bundesrates vom 8. Mai 1991

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1991

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

22

Cahier Numero Geschäftsnummer

91.400

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.06.1991

Date Data Seite

907-909

Page Pagina Ref. No

10 051 841

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.