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Botschaft dee

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Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Anderung des Bundesgesetzes iiber die Bundesstrafrechtspflege (Vom 2. Oktober 1964)

Herr President!

Hochgoehrte Herren!

Wir baben die Ehre, Ihnen den Bntwurf zu einem Bundesgesetz betreffend die Anderung des Bundesgesetzes iibor die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934 (sogenannter Bundesstrafprozesa, BStP) zu unterbreiten. Vorgesehen ist eine Anderang dor Artikel 268 iiber die Zulassigkeit der Niohtigkeitsbescbwerde und 275bis liber die Zustandigkeit des sogenannten Dreierausscbusses des Kassationsbofes.

I

Die Anregung zu dieser Gesetzesnovelle gebt zuriick auf eine Eingabe des Schweizerischen Bundesgerichtes vom 21. November 1957 an das Eidgenossische Justiz- und Polizeidepartement. Mit einer andern Eingabe gleicbon Datums hatte das Bundesgericht eine Erhohung der Streitwertgrenzon im Sinne einer Anpassung an die Geldentwertung enipfohlen. Beide Zuscbriften legen den Wtmach des Bundesgerichts nach einer gewissen Entlastung dar.

Durch das Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 betreffend Andemng des Bundesgesetzes iiber die Organisation der Bundesrechtspflege und des Bundesgesetzes iiber die Bundosstrafrecbtspflege (AS 1959, 902) wurden verschiedene Streitwertgrenzen in der vom Bundesgericbt ausgeiibten Zivil- und Verwaltungsrecbtspflogo erbobt.

]>ie Eingabe betreffend die Niobtigkeitsbescbwerde an den Kassationshof wurde zunacbst zuriickgelegt; sie durfte um so eber aufgeschoben werden, als das neue Strassenverkehrsgesotz erst am 19.Dezember 1958 erlassen und erst auf den 1. Januar 1963 vollstandig in Kraft gesetzt wurde (vgl. Art. 99, Abs. 2, der Verordnung vom 13. November 1962 iiber die Strassenverkebrsregeln; AS 1962, 1408). Bekanntlich wurde erwartet, dass die neue Strassenverkobrsordnung zu einer verniehrten Inanspruchnahme des Kassationshofes fiihren konnte.

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Inzwischen haben die Kantone, der Schweizerische Anwaltsverband und die am meisten beteiligten Amtsstellen des Bundes Gelegenheit erhalten, sich zu der in Betracht gezogenen Änderung von Bestimmungen über die Nichtigkeitsbeschwerde zu äussern.

Wir beehren uns, Ihnen nunmehr über diese Angelegenheit Bericht zu erstatten und Ihnen unsere Anträge zu unterbreiten.

II

Die nachstehende Übersicht verschafft, die Zeitspanne von zwanzig Jahren umfassend, ein Bild über die Zahl der jährlich beim Kassationshof neu eingegangenen, der vom Dreierausschuss gemäss Artikel 275Ws BStP erledigten und schliesslich der jeweilen am Ende des Jahres noch unerledigt gebliebenen Nichtigkeitsbeschwerden.

neu eingegangene Nichtigkeitsbeschwerden

Jahl

vom Dreierausschuss erledigt

Fälle

366 348 398 448 457 479 496 495 448 446 477 434 419 476 4SI 485 522 443 476 445 1)

1944

1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1968 (Total) Jahresdurchschnitt

(9009) 450,45

Rückstände am Ende des Jahres

in °/0 der eingegan gcncn Nichtigkeitsbeschwerden

246 292 800 859 296 855 300 258 307 274 195 220 241 221 263 180 259 228

53,5 56,0 61,8 65,1 65,6 74,5 59,6 71,7 66,9 57,8 64,3 63,1 46,5 46,2 58,4 45,5 50,4 40,6 54,4 51,2

24 22 23 29 49 58 43 48 41 76 87 67 78 56 41 64 49 67 78 82

(5185)

(1148,1)

(1027)

196 195

259,25

57,5

wovon 150 Nichtigkeitsbeschwerden Strassenverkehrssachen.

51,35

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Das Bundesgericht macht geltend, das Anwachsen des Motorfahrzeuge erkehrs lasse eine weitere Zunahme der Geschäfte voraussehen, was um so rnehr einem Abbau rufe, als die Bückstände auch in den Jahren mit abnehmender Geschäftslast nicht aufgearbeitet werden konnten. Seil der Periode von 1948 bis 1954 ist die Zahl der Geschäfte, die vom Dreierausschuss erledigt werden konnten, zurückgegangen (Maximum 1949 = 359, Minimum im Jahre 1961 = 180 Geschäfte bei einem Durchschnitt seit 1944 von 259 Geschäften pro Jahr). Das bedeutet, dass um so mehr Geschäfte vom voll besetzten Kassationshof beurteilt werden mussten.

Dem Kassalionshof gehören mir 5 Bundesrichter an, so dass jedes Mitglied bei allen vom voll besetzten Gericht zu beurteilenden Fällen mitzuwirken und insbesondere au jeder Sitzung teilzunehmen hat, während bei den aus 6 Mitgliedern bestehenden Zivilabteilungen abwechslungsweise ein leichter austritt. Die Mitglieder des Kassationshofes, die nicht dem Dreierausschuss angehören, haben eine entsprechend grössere Zahl von Berichterstattungen in don vom Plenum zu behandelnden Fällen zu übernehmen. «Die pausenlose Beanspruchung durch Beschwerden, die von keinem allgemeinen Interesse sind», schreibt das Bundcsgericht, «erlaubt dem Kassationshof kaum mehr, den grundsätzlichen Entscheidungen die gebührende Sorgfalt zu widmen; seine Mitglieder kommen kaum mehr dazu, sich in der Strafrechtsliteratur auf dem laufenden zu halten.» Wohl hat der Kassationshof zu seiner Entlastung Ersatzmänner als Berichterstatter beigezogen, doch findet das Bundesgericht, diese Lösung vermöge auf die Dauer nicht zu befriedigen, es müsse eben doch viel Arbeit geleistet werden, «die weder dem einzelnen Bechtsuchenden nützt, noch der Abklärung grundsätzlicher Eechtsfragen dient und daher von allgemeinem Interesse wäre».

Diese Überlegung spricht nach der Ansicht des Bundesgerichtes auch gegen eine Erhöhung der Zahl der Bundesrichter. Ursprünglich vertrat das Bundesgericht vielmehr die Ansicht, die Entlastung des Kassationshofes solle durch eine Einschränkung des Beschwerderechts angestrebt werden.

Ili

Der ursprüngliche Vorschlag des Bundesgerichtes ging dahin, bei Bussen unter hundert Franken die Nichtigkeitsbeschwerde nicht mehr zuzulassen. Gewiss hängt die rein zahlenmässige Arbeitslast davon ab, ob ein Bechtsmittel unbegrenzt zulässig oder von einem Busscnmininiuin abhängig ist. Neben dieser gleichsam mathematischen Überlegung fallen aber andere Erwägungen weit mehr ins Gewicht.

Das Bundesgericht argumentierte, es bedeute «eine doktrinäre Überspannung des Rechtsschutzes», wenn wegen einer geringfügigen Busse oft der Straf prozess durch drei Instanzen hindurch vor das Bundesgericht gebracht werden könne ; es sei nicht einzusehen, weshalb in Strafsachen die Verletzung eidgenössischen Bechts unbeschränkt vor dem höchsten Gericht des Landes soll gerügt werden können, während zahlreiche Zivilstreitigkeiten (z.B. aus Miet- oder aus

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Dienstvertragsrecht) von dieser Instanz ausgeschlossen sind, weil regelmässig der Streitwert zu gering ist, Der Gedanke, die Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde gleichsam von einem «Streitwert» abhängig zu machen, ist nicht neu. Durch Artikel 6 des dringlichen Bundesbeschlusses vom 11. Dezember 1941 betreffend vorläufige Änderungen in der Bundesrechtspflege (AS 1941,1486) wurde die Nichtigkeitsbeschwerde für den Angeklagten und den Privatkläger ausgeschlossen bei Verurteilungen zu einer Busse von höchstens hundert Franken wegen Beschimpfung und einfacher Körperverletzung und bei Verurteilung zu einer Busse von höchstens fünfzig Franken wegen Übertretungen. In den Vorberatungen eines neuen Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege hatte sich die Expertenkommission im Gegensatz zu der vom Bundesgericht vertretenen Auffassung mehrheitlich gegen den Ausschluss der Nichtigkeitsbeschwerde in den sogenannten Bagatellsachen ausgesprochen. Mit Bücksicht auf diese Stellungnahme sah darin auch der Bundesrat davon ab, eine solche Beschränkung vorzuschlagen (Botschaft vom 9-Februar 1948; BEI I, 158-160; Seite 62-64 des Separatabdruckes). Auch die Bundesversammlung sah davon ab, eine Beschränkung in das neue Gesetz aufzunehmen.

Wir können uns dem Vergleich mit Zivilurteilen, die nicht durch Berufung an das Bundesgericht weiterziehbar sind, nicht anschliessen, werden doch in Strafsachen die Persönlichkeitsrechte ganz besonders berührt, worauf auch das Bundesgericht selber hinweist. Eine Einschränkung des Eechtsschutzes auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes, besonders des Strafrechtes, wäre heute, im Zeitalter des Ausbaues des Eechtsschutzes, zweifellos sehr unpopulär. Man darf nicht vergessen, dass es bei den vom Eichter verhängten Bussen oft weit weniger um deren Höhe als um «schuldig» oder «nicht schuldig» geht.

Im Zivilprozess bestimmen die Parteion den Streitwert. Ob «schuldig» oder nicht schuldig», wird allein vom Eichter bestimmt. Zu bedenken ist ferner, dass die Geldbussen laut Artikel 48 StGB nicht nur nach dem Verschulden des Täters zu bemessen sind, sondern auch nach dessen Verhältnissen. Also kann aus der Höhe der Busse nicht ohne weiteres auf das Mass des Verschuldens geschlossen werden. Zum Beispiel werden Strafverfahren wegen EisenbahnpoKzeiübertretungen und wegen Störungen
des Eisenbahnverkehrs oder von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 238 und 239 StGB), vielfach gegen weniger begüterte Personen durchgeführt; in der Kegel werden solchen Angeschuldigten Bussen unter hundert Franken auferlegt. Solche Fälle wurden also der Kognition des Bundesgerichtes zum vornherein entzogen. Das Fehlen einer bundesgerichtlichen "Überprüfungsinöglichkeit und damit einer einheitlichen Eechtsprechung müsste hier um so schwerer wiegen, als die Strafprozesse regelmäßig die faktische Grundlage der anschliessenden Haftpflichtprozesse darstellen. Der Schweizerische Anwaltsverband hebt denn auch die grosse Bedeutung der Strafurteile für die zivilrechtliche Auseinandersetzung hervor und zieht den Schluss, dass die angestrebte Entlastung dos Kassationshofes wohl bald durch eine stärkere Belastung der Zivilabteilungen mehr als ausgeglichen würde.

889 Mit Beeilt wendet sodann der Anwaltsverband ein, dass die Begrenzung der Beschwerdemöglichkeit durch Pestsetzung eines Mindestbetrages der Busse dem kantonalen Eichtor die Möglichkeit gäbe, die Nichtigkeitsbeschw erde auszuschliessen, indem er eine knapp imter der Grenze hegende Busse ausfällt. Der Anwaltsverband weist in diesem Zusammenhang darauf hin, «dass die einzelnen Kantone und Gemeinden die Busse für ein und dasselbe Delikt boi gleichen Vorhältnissen des Täters sehr verschieden zu bemessen pflegen».

Aus diesen Gründen fällt nach unserem Dafürhalten eine Beschränkung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde auf Bussen von einem gewissen Mindestbetrag nicht in Betracht.

IV

Mit dem Bundesgericht teilt jedoch der Bundesrat die Auffassung, dass man eine ständige Û berlastung des Kassationshofes und die Gefahr, dass darunter die Qualität der Urteile leiden könnte, nicht anstehen lassen darf. Fraglich ist aber, auf welche Weise für Abhilfe gesorgt werden kann und soll.

Am nächsten mag der Gedanke liegen, eine Entlastung des Kassatioushofes durch eine Erhöhung der Mitghederzahl herbeizuführen. Artikel l des Organisationsgesetzes vom 16. Dezember 195S sieht einen Bahmen von 26 bis 28 Mitgliedern vor. Heute beträgt die Zahl der Mitglieder 26, dies entsprechend Artikel l dos Bundesbesohlusses vom 26. September 1928 über die Zahl der Mitglieder, der Gerichtsschreiber and der Sekretäre des Bundesgerichts (BS 3, 580). Wurde man 2 Bundesrichter mehr wählen und sie dem Kassationshof zuteilen, so kamen für die Mitwirkung im voll besetzten Gericht turnusgemäss 2 Mitglieder in Austritt und würden insbesondere von der Teilnahme an einer entsprechenden Anzahl von Sitzungen befreit. Anders ausgedrückt heisst das, dass die Mitglieder des Kassationshofes um 2/7 ihrer Arbeit entlastet würden.

Wie auch in der Eingabe vom 21. November 1957 zum Ausdruck kommt, steht das Bundesgericht selber einer Erhöhung der Mitgliederzahl eher ablehnend gegenüber. Es hat diese Auffassung in einem Schreiben vom 8. Juli 1961 an das Justiz- und Polizeidepartement unter Hinweis auf die schon 1941 geltend gemachten Gründe bestätigt, jedenfalls für solange, «als durch andere Massnahmen eine einstweilen ausreichende Entlastung des Kassationshofes herbeigeführt werden kann». Dio in der Botschaft des Bundesrates vom 10.Oktober 1941 betreffend vorläufige Änderungen der Bundesrechtspflege angeführten Gründe lauten (BB11941, 774): «Das Bundosgericht besteht jetzt aus 26 Mitgliedern; eine Erhöhung der Eichterzahl würde es zu einem schwerfälligen Kòrpor machon und mussto unter dein Gesichtspunkt dos Ansehens des Gerichtshofes sowie der Qualität der Bichter und der Bechtsprechung schwere Bedenken erwecken. Eine Erhöhung der Bichterzahl wäre nur dann ins Auge zu fassen, wenn andere Mittel, die ohne Beeinträchtigung dos Eechtsschutzes und der Güte der Eechtsprechung eine Entlastung herbeiführen können, nicht ausreichen sollten, >>

890 Wir glauben, der Ihnen vorgelegte Gesetzesentwurf enthalte eine diesen Überlegungen entsprechende Lösung, welche von einer Erhöhung der Mitgliederzabl des Bundesgerichtes absieht.

V

Wie im I.[I. Abschnitt hievor ausgeführt wurde, kommt u.E. eine Beschrankung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde auf Bussen von einer bestimmten Minimalhöhe, z.B. hundert Franken, nicht in Frage. Die Argumente gegen eine solche Losung gelten auch, obschon Bussen im Strafregister nur eingetragen werden, wenn sie mindestens den genannten Betrag ausmachen (vergi.

Bundcsratsbeschluss vom 22. November 1960 betreffend Änderung der Verordnung über das Strafregister, AS 1960, 1370).

Von den Nichtigkeitsbeschwerden betreffend Bussen unter hundert Franken sind etwas mehr als die Hälfte Strassenverkehrssf alle ; letztere machen ungefähr 1/10bis V?aller nceingegangenenen Nichtigkeitsbeschwerden aus. Man könnte sich fragen, ob in Zukunft einfach alle Strassenvorkehrsfälle nur vom Dreierausschuss anstatt vom voll besetzten Kassationshof beurteilt werden sollten. Allein eine solche Abgrenzung erschiene nicht als gerechtfertigt ; denn man darf nicht behaupten, alle Verurteilungen wegen Strassenverkehrsdelikten seien weniger wichtig als andere Verurteilungen. Eine Entlastung des Kassationshofes darf nicht auf dem Woge des Ausschlusses eines Sachgebietes oder der Beschränkungen für ein solches gesucht werden.

Dagegen rechtfertigt es sich durchaus, dem Dreierausschuss nicht nur, wie im geltenden Art.275Ms, die Kompetenz einzuräumen, bei Einstimmigkeit auf offensichtlich unzulässige Beschwerden Niehtemtreten zu beschliesson oder Beschwerden, die er ohne irgendwelchen Zweitel als unbegründet erachtet, abzuweisen, sondern diesem Ausschuss auch die Beurteilung anderer Beschwerden zu übertragen. Der Ausschuss soll auch Beschwerdon gegen eine Verurteilung zu einer Busse von weniger als hundert Franken und Beschwerden gegen eine Einstellung, bei deren Gutheissung eine höhere Busse nicht zu erwarten ist, beurteilen können, also auch dann, wenn diese keineswegs unzulässig sind oder zum vorneherein als unbegründet erscheinen.

Auf diese Weise bleibt der Weg an das Bundesgericht offen, wenn auch eine Busse von weniger als hundert Franken zur Beurteilung steht. Die Kantone haben dieser Lösung im allgemeinen zugestimmt. Der Kanton Bern hat Bedenken, dass der kantonale Bichtor durch die Festsetzung der Bussenhöhe bewirken könnte, dass die Beurteilung dem Plenum des Kassationshofes entzogen würde.

Es wurde gewünscht,
dass für erstmals zu beurteilende Bechtsfalle zwingend das Plenum vorgesehen werde. Auch der Kanton Waadt äusserte den Wunsch, dass «des questions de principe et de naturerà faire jurisprudence» der Fünforbesotzung des Kassationshofes vorbehalten bleiben. Diesen Wünschen entspricht Absatz 3 des neuen Artikels 275bls, der anordnet, dass grundsätzliche Entscheide, insbesondere solche, die eine zukünftige Bochtsprechung begründen oder die bis-

891 herige Praxis ändern, dem Plenum vorbehalten werden. Dass in den alltäglichen Fällen, wenn man so sagen darf, der Entscheid nur von einem dreiköpfigen Kassationshof gefällt wird, bedeutet sicher keinen Nachteil; auch die Kriminalkammer, die Anklagekammer und die Schuldbetreibungs- and Konkurskammer des Bundesgerichtos zählen je nur drei Mitglieder. Es ist uns nicht bekannt, dass deswegen Nachteile entstanden wären.

VI

Das Bundesgericht hat schon in seiner Eingabe vom 21. November 1957 und erneut in der bereits erwähnten Zuschrift vorn 8. Juli 19G1 darauf aufmerksam gemacht, dass in verschiedenen Kantonen gegen gewisse Strafurteile unterer Gerichte (Bezirksgerichte, Ausschüsse von solchen und Einzelrichter) ein kantonales Eechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen Eechts ausgeschlossen ist, -was gemäss Artikel 268 BStP dazu führt, dass solche erstinstanzliche Urteile durch die Nichtigkeitsbeschwerde direkt an den Kassationshof des Bundesgerichtes weitergezogen werden können.

Dieser Zustand widerspricht grundsätzlich dem Aufbau der kantonalen und der eidgenössischen Gerichtsorganisation, weil erstinstanzliche Urteile unterer " Gerichte unter Ausschaltung einer zweiten kantonalen Instanz direkt beim obersten Landosgericht angefochten werden können, das dann die Strafsache (wenn der voll besetzte Kassationshof zu entscheiden hat) durch fünf Bundesrichtor überprüfen lässt. Dieses abgekürzte Verfahren ist besonders stossend, wo die Bezirksinstanz ein Einzelrichter ist. Die Umgehung des ordentlichen Instanzenzugos bewirkt eine Beeinträchtigung des Bechtsschutzes, der dem Angeschuldigten zusteht. Er hat Anspruch auf eine gründliche und gewissenhafte Behandlung seiner Strafsache in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht. Diese Forderung zu erfüllen, sind in erster Linie die kantonalen Behörden berufen.

Soweit kein kantonales Eechtsmittel besteht, wird zwangsläufig der Kassationshof des Bundesgerichtes um so mehr augerufen, was zu einer entsprechenden Mehrbelastung des Bundesgerichtes führt.

In Zivilsachen hat der Bund bereits durch das Organisationsgesetz von 1948 eingegriffen, indem die Berufung an das Bundesgericht grundsätzlich nur gegen Entscheide der oberen kantonalen Gerichte zulässig erklärt wurde (Art.48, Abs.l und Abs.2, Buchstabe a), Das Bundesgoricht hat eine entsprechende Eevision von Artikel 268 BStP vorgeschlagen. Die Kantone hatten Gelegenheit, sich dazu zu äussern. Nur 2 Kantone antworteten ablehnend, l Kanton meldete Bedenken, 3 antworteten nicht, 19 Kantone erklärten sich ausdrücklich einverstanden oder sie erklärten, nicht betroffen zu werden oder hatten keine Bemerkungen anzubringen. Zwei Kantone wiesen daraufhin, dass das kantonale Strafprozessrecht ergänzt werden müsste.

Es sei hier ausdrücklich festgehalten, dass die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ausgeschlossen werden will gegen die Urteile der oberen kantonalen Gerichte

892 (wie Geschwomengerichte, Kriminalkammern der Obergerichte), auch nicht gegen Urteile der untern Gerichte, sofern diese als letzte und ungleich zweite Instanz im Kanton entschieden haben.

Die Bundesanwaltschaft muss ab und zu auch in kleinen Bussensachen intervenieren, weniger wegen der Bestrafung als wegen der einheitlichen Durchsetzung des Bundesrechts, insbesondere der eidgenossischen Verwaltungsgesetze. Darum wird im neuen Artikel 268, Ziffer l zugunsten der Bundesanwaltschaft eine Ausnahme vorgesehen. Die ungleiche Behandlung des Angeschuldigten und der Bundesanwaltschaft rechtfertigt sich durch den Sinn, den das Bechtsmittel für die eine und die andere Partei hat. Pur don Bundesanwalt hat die Nichtigkeitsbeschwerde nicht den Zweck der Verfolgung eines Delinquenten im Einzelfalle, sondern der einheitlichen Auslegung des Strafrechts (vgl. in diesem Sinne Leuch, die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts gegen Entscheidungen der kantonalen Gerichte, in Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, 57. Jahrg., Seite 11). Die erwähnte Ausnahme zugunsten der Bundesanwaltschaft kann auch zugunsten dos Angeschuldigten eine Garantie für die Objektivität eines Strafverfahrens bilden.

VII Der Gesetzesentwurf steht ebenso in Übereinstimmung mit der Bundesverfassung wie das zu ändernde Bundesgesetz über die Strafrechtspflege ; er stützt sich nämlich auf die Artikel 106 und 114 der Verfassung. Der im Ingress des Bundesstrafrechtfpilegcgcsotzos von 1984 aufgeführte Artikel 112 der Verfassung berührt die neuen Bestimmungen nicht.

VIII Wir legen Ihnen einen unseren Ausführungen entsprechenden Gesotzesentwurf vor, den wir Ihnen zur Annahme empfehlen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 2.0ktober 1964.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: L. von Moos Der Bundeskanzler : Ch. Oser

898

(Entwurf)

Bimdesgesetz betreffend

Änderung des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 2. Oktober 1964, beschliesst: I Ms

Die Artikel 268 und 27S des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1984 über die Bundesstrafrechtspflege1) werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt :

Art. 268 Die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichtes ist zulässig : 1. gegen Urteile der Gerichte, die nicht durch ein kantonales Eechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen Eechtes angefochten werden können. Ausgenommen sind Urteile unterer Gerichte, wenn diese als einzige kantonale Instanz entschieden haben; diese Beschränkung gilt nicht für die Nichtigkeitsbeschwerde der Bundesanwaltschaft; 2. gegen Einstellungsbeschlüsse letzter Instanz; 3. gegen die Straferkenntnisse der Verwaltungsbehörden, die nicht an die Gerichte weitergezogen werden können.

Art. 275bls 1 Beschwerden gegen die Verurteilung zu einer Busse von weniger als hundert Franken und Beschwerden gegen eine Freisprechung oder Einstellung, bei deren Gutheissung eine höhere Busse nicht zu erwarten ist, können von einem Ausschuss von drei Mitgliedern des Kassationshofes beurteilt werden.

2 Ebenso kann der Ausschuss bei Einstimmigkeit auf andere Beschwerden, die offensichtlich unzulässig sind, Nichteintreten beschliessen oder Beschwerden, *) BS 3, 308.

894 die er ohne irgendwelchen Zweifel als unbegründet erachtet, abweisen. In diesen Fällen ist die Entscheidung nur summarisch zu begründen.

3 Grundsätzliche Entscheide, insbesondere solche, die eine zukünftige Eochtsprechung begründen oder die bisherige Praxis ändern, bleiben dem Plenum des Kassationshofes vorbehalten.

II

. Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes.

III Artikel 268, Ziffer l, findet nur auf solche Urteile Anwendung, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gcmäss kantonalem Hecht massgeblich eröffnet wurden (Art. 272, Abs. l BStP).

Die übrigen Bestimmungen gelten auch für Nichtigkeitsbeschwerden, die beim Kassationshof im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes schon anhängig, aber noch nicht beurteilt sind.

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1964

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9095

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.10.1964

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885-894

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