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Bundesblatt 90. Jahrgang.

Bern, den 13. Juli 1938.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr : 50 Kappen die Petitzeile oder deren Kaum. -- Inserate franko an Stämpfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Schutz der Heimarbeiter.

(Vom 8. Juli 1938.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Eines der ältesten sozialpolitischen Postulate, das die Bundesversammlung schon oft beschäftigt hat, ist der Schutz der Heimarbeiter. Diese Arbeitergruppe ist neuerdings besondern Schwierigkeiten ausgesetzt, weshalb wir uns veranlagst sehen, Ihnen nachstehend eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Heimarbeit zu unterbreiten.

I.

Rückblick auf die bisherigen Bestrebungen zum Schutze der Heimarbeiter.

1. Eingangs möchten wir daran erinnern, dass die Bestrebungen, den Bund zu gesetzgeberischen Massnahmen auf dem Gebiet der Heimarbeit zu veranlassen, auf das Jahr 1907, somit auf drei Jahrzehnte zurückgehen.

In jenem. Jahr gelangte die Schweizerische Vereinigung zur Förderung des internationalen A r b e i t e r s c h u t z e s mit einer Eingabe, die vom Bund schweizerischer Frauenvereine und zum Teil von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft unterstützt wurde, an den Bundesrat, in welcher erstens eine umfassende Enquête zur Erforschung der Verhältnisse in der Heimarbeit des Landes und zweitens die gesetzliche Einführung der Eegistrierpflicht für die Arbeitgeber verlangt wurden. Der Bundesrat kam damals nach Anhörung der eidgenössischen Fabrikinspektoren zu einer Ablehnung des Gesuches.

2. Eidgenössische Vorschriften betreffend die Heimarbeit wurden erst auf Grund der ausserordentlichen Kriegsvollmachten für die Seid enb and web er e i Bundesblatt. 90. Jahrg. Bd. II.

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(Bundesratsbeschluss vom 12. April 1918, aufgehoben am 15. Juli 1921) und für die Stickereiindustrie (Bundesratsbeschluss vom 19. Dezember 1916 betreffend Notstandsfonds, Bundesratsbeschluss vom 26. Juli 1918 betreffend Arbeitszeit, Bundesratsbeschluss vom 2. März 1917 betreffend Mindeststichpreise und Mindeststundenlöhne von Schifili- und Handmaschinenstickerei, aufgehoben am 14. November 1922) erlassen. Für die Stickereiindustrie, die jeweilen als Ganzes und nicht nur für die Heimarbeitsbetriebe erfasst wurde, fand die Lohngesetzgebung durch den Bundesbeschluss vom 13. Oktober 1922 eine Portsetzung. Durch diesen Beschluss wurde die Stickerei-TreuhandGenossenschaft ins Leben gerufen, und der Bundesrat erhielt durch Art. 8 die Befugnis, Verträge allgemeinverbindlich zu erklären, die zwischen wirtschaftlichen Verbänden über Stichpreise und Löhne abgeschlossen wurden.

Er erhielt auch die Kompetenz, nötigenfalls den Abschlüss solcher Verträge durch vermittelndes Eingreifen zu erleichtern. In der Folge hat, beauftragt durch den Bundesrat, die Stickerei-Treuhand-Genossenschaft diese vermittelnde Tätigkeit übernommen. Sie wurde später, im Februar 1928, zur Einigungsstelle in Lohnfragen der Schifflistickerei ernannt.

3. Zum erstenmal wurde, im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz b e t r e f f e n d die Ordnung des Arbeitsverhältnisses, in den Jahren 1918/19 das Heiniarbeitsproblem für die ganze Schweiz gesetzgeberisch in Angriff genommen. In der vorberatenden Expertenkommission wie in den eidgenössischen Eäten zeigte sich, dass der Gedanke des Heimarbeiterschutzes allgemein sympathisch war. Nicht nur die Vertreter der Arbeiter fanden für 'die bedrängte Heimarbeiterschaft die wärmsten Worte, auch die Eepräsentanten anderer Kreise befürworteten den Heimarbeiterschutz, der nachgerade dringlich geworden sei. Das Bundesgesetz unterlag in der Volksabstimmung vom 21. März 1920 mit einem kleinen Mehr, nämlich mit 256 401 Nein gegenüber 254 455 Ja.

Wäre es in Kraft getreten, so hätte in bezug auf die Heimarbeit folgende Eegelung gegolten: a. Das Eidgenössische Arbeitsamt, welches durch das Gesetz ins Leben gerufen werden sollte, hätte unter anderm die Aufgabe erhalten, die Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit zu erforschen.

fo. Die eidgenössischen Lohnausschüsse (1. Instanz) und die eidgenössische Lohnkommission
(Eekursinstanz) hätten als «Lohnstellen» für die Heimarbeit Mindestlöhne festsetzen können.

c. Der Bundesrat hätte die Kompetenz erhalten, auf Antrag der sub & genannten Lohnstellen und nach Anhörung der beteiligten Berufsverbände Gesamtarbeitsverträge für die Heimarbeit allgemeinverbindlich zu erklären und unabdingbare Normalarbeitsverträge aufzustellen, wenn ein unverkennbares Bedürfnis vorlag.

d. Für Erwerbsgruppen ohne Lohnausschüsse hätte die Allgemeinverbindlichkeitserklärung auch ohne Antrag geschehen können.

199 e. Die Bundesversammlung hätte die Kompetenz erhalten, den Lohnstellen die Festsetzung nicht nur von Mindestlöhnen, sondern von Löhnen überhaupt zu übertragen.

/. Die Lohnstellen hätten die Einhaltung der festgesetzten Arbeitsbedingungen überwacht.

4. Da aus der parlamentarischen Behandlung und aus dem Abstimmungskampf deutlich hervorgegangen war, dass die Opposition nicht dem Heimarbeiterschutz, sondern andern Bestimmungen des Gesetzes gegolten hatte, wurden, im eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement nach der Abstimmung unverzüglich die Vorarbeiten für ein Bundesgesetz über die Festsetzimg von Mindestlöhnen in .der Heimarbeit aufgenommen. Ein Entwurf für ein Bundesgesetz über diese Materie wurde am 8. Juni 1920 nebst andern Entwürfen für Arbeiterschutzgesetze den kantonalen Begierungen, Einigungsämtern und den schweizerischen Wirtschaftsverbänden zugesandt. Die Umfrage ergab grundsätzliche Zustimmung zum Entwurf über Mindestlöhne in der Heimarbeit. Nach Abschluss der Umfrage konnten die Gesetzgebungsarbeiten jedoch nicht weitergeführt werden. Die Wirtschaftskrise brach über unser Land herein. Daher wurde nicht allein das neugegründete Arbeitsamt mit Krisenaufgaben so überhäuft, dass es seine Aufmerksamkeit der Heimarbeit nicht sofort zuwenden konnte. Auch die Lage derjenigen Industrien, in welchen Heimarbeit in grösserem Umfange betrieben wurde, verschlechterte sich zusehends, so dass der Erlass weiterer Schutzbestimmungen aus Bücksicht auf diese Verhältnisse vorerst nicht angezeigt schien.

5. In der Folge wurde aber wieder mehrfach der Erlass von Heimarbeiterschutzbestimmungen verlangt. So reichte am 22. August 1922 der Schweizerische G e w e r k s c h a f t s b u n d einen neuen Entwurf für ein «Bundesgesetz betreffend die Ordnung des Arbeitsverhältnisses in der Heimarbeit» ein, in welchem die Festsetzung von Mindestlöhnen, darüber hinaus aber auch die Eegelung des gesamten Arbeitsverhältnisses in der Heimarbeit und die Schaffung von Kontrollstellen und Fachgerichten für jeden Berufszweig vorgesehen war. Ein im. Nationalrat eingebrachtes Postulat Scherrer, vom 24. März 1925, verlangte für die Stickereiarbeiterschaft neue besondere Lohnschutzmassnahmeri und für die industrielle Heimarbeit im allgemeinen gesetzliche Schutzbestimmungen gegen den Missbrauch der Kinder- und Frauenarbeit. Im
Zusammenhang mit der Motion Baumberger über Hilfe für die Gebirgsbevölkerung wurde das Problem der Heimarbeitsbeschaffung für diejenigen Kreise, die ihren Erwerb nicht in Fabriken und Werkstätten finden können, in den Vordergrund gerückt und durch den Bundesbeschluss vom 28. September 1928 betreffend eine vorübergehende Bundeshilfe zur Milderung der Notlage in der schweizerischen Landwirtschaft erstmalig dem Bundesrat ein Kredit eröffnet, der ihm erlaubte, in bescheidenem Umfange zur Schaffung von" Nebenverdienst durch bäuerliche Heimarbeit Bundesbeiträge auszurichten. Durch alljährliche Bewilligung eines Budgetkredites hat die Bundesversammlung den Bundesrat

200 seit 1932 ermächtigt, mit dieser Praxis fortzufahren. -- Ferner wurde die Frage des gesetzlichen Heimarbeiterschlitzes noch einmal von Nationalrat von Arx, im Zusammenhang mit seiner Motion vom 21. Dezember 1927 über die Wiederaufnahme der Gesetzesarbeiten zur Eegelung des Arbeitsverhältnisses aufgegriffen. Der Schweizerische V e r b a n d evangelischer Arbeiter und Angestellter reichte am 26'. April 1929 einen von Professor Dr. Walther Hug ausgearbeiteten «Vorentwurf zu einem allgemeinen Arbeiterschutzgesetz» ein, in welchem ebenfalls einlässliche Schutzbestimmungen für Heimarbeiter aufgenommen waren. Am 6. Dezember 1984 nahm der Nationalrat ein Postulat Perret, vom 19. Dezember 1933, an, welches die Prüfung von Bundesvorschriften über die Heimarbeit, insbesondere in der Uhrenindustrie, verlangte.

Das Postulat konnte im Eahmen des Geschäftsberichts von 1936, unter Hinweis auf unsere schon in Vorbereitung befindliche Vorlage und die bereits , erfolgte Eegelung der Heimarbeit in der Uhrenindustrie, abgeschrieben werden; desgleichen eine Motion Ilg, über Lohnämter und Mindestlöhne, vom 16. März 1934, wurde vom Nationalrat am 25. April 1936 abgeschrieben.

6. Inzwischen hatte das damalige «Eidgenössische Arbeitsamt» die Prüfung der parlamentarischen Postulate und der gesamten Frage der Heimarbeit an die Hand genommen. Die Arbeitsbedingungen in der Stickereiheimarbeit wurden durch eine spezielle Lohnerhebung, durchgeführt von Dipl.-Ing. Ernst Müller im Jahre 1924. erforscht. Ausserdem standen dem Amt die Ergebnisse einer Enquête zur Verfügung, die in den Jahren 1925 und 1926 durch die Soziale Käuferliga der Schweiz bei den Heimarbeitern der verschiedensten Landesteile durchgeführt worden war. Aus diesen Gründen konnte von einer allgemeinen amtlichen Erhebung über die Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit abgesehen werden.

In den Jahren 1927 und 1928 befasste sich die Internationale Arbeitsorganisation mit der Frage der Mindestlohngesetzgebung. Sie versandte im Anschluss an die X. Internationale Arbeitskonferenz im Sommer 1927 einen Fragebogen an die Mitgliedstaaten, und an der XI. Internationalen Arbeitskonferenz im Jahre 1928 wurde ein Übereinkommen (siehe S. 237) angenommen, welches die ratifizierenden Mitgliedstaaten verpflichtet, Verfahren einzurichten, die gestatten, Mindestlöhne für die
Arbeitnehmer in gewissen Gewerben oder Teilen von Gewerben (insbesondere in der Heimarbeit) festzusetzen, sofern die Löhne aussergewöhnlich niedrig sind und die Vorbedingungen für die Festsetzung von Löhnen durch Gesamtarbeitsverträge oder auf anderm freiwilligen Wege nicht bestehen. Eine Empfehlung über das Verfahren wurde ebenfalls angenommen. In seinem Bericht an die Bundesversammlung über die X. und XI. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz, vom 13. Dezember 1928, führte der Bundesrat aus, dass er der Auffassung sei, die Schweiz könne dem Übereinkommen beitreten. Voraussetzung für die Eatifikation sei jedoch" die Schaffung einer bundesgesetzlichen Grundlage für die Festsetzung von Mindestlöhnen in der Heimarbeit (Bundesbl. 1928, Bd. II, S. 1166).

201 7. Besondere Verhältnisse in der Uhrenindustrie hahen vor 2 Jahren die Aufstellung von Bundesvorschriften über die daselbst übliche Heimarbeit nötig gemacht. Nach einlässlichen Verhandlungen in einer Expertenkommission und Einholung von Vernehmlassungen der interessierten Berufsverbände und der Regierungen derjenigen Kantone, auf deren Gebiet die Uhrenheimarbeit sesshaft ist, wurde auf Grund des Bundesbeschlusses über wirtschaftliche Mass nahmen gegenüber dem Ausland der Bundesratsbeschluss über die Ordnung der Arbeit in der nicht fabrikmässigen Uhrenindustrie, vom 9. Oktober 1936, erlassen. Dieser Bundesratsbeschluss, der am 29. Dezember 1937 um weitere 2 Jahre, d. h. bis 31. Dezember 1939 verlängert wurde, hat in erster Linie den Zweck x), die Heimarbeit auf ein mit dem wirtschaftlichen Gesamtinteresse der Uhrenindustrie vereinbartes Mass zurückzuführen und gesündere Preisverhältnisse für den Export zu schaffen. Der Beschluss enthält zu diesem Zwecke u. a. Vorschriften über die zur Ausführung in Heimarbeit zugelassenen Arbeitszweige, über die an Heimarbeiter auszugebenden Arbeitsmengen und über das Verhältnis der Löhne der Heimarbeiter zu denjenigen der Fabrikarbeiter.

8. Durch die Aufnahme des Art. 34ter in die Bundesverfassung sind im Jahre 1908 die verfassungsmässigen Grundlagen für gesetzlichen HeimarbeiterSchutz geschaffen worden. Anlässlich einer vom Bund bald nach der Annahme des Verfassungsartikels, am 30. November 1908, einberufenen Konferenz der schweizerischen Spitzenverbände wurde schon die Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass auch die Heimarbeit auf Grund des neuen Verfassungsartikels Gegenstand der eidgenössischen Gesetzgebung werden könne. Daher bestand die Absicht, in die künftige Gewerbegesetzgebung auf Grund von Art. 34ter Schutzvorschriften für die Heimarbeit aufzunehmen, und der schon erwähnte Entwurf H u g von 1929 ging von diesen Erwägungen aus. Auch der im Auftrag des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements von Direktor Pfister, dem ehemaligen Vorsteher des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, ausgearbeitete Vorentwurf zu einem Bundesgesetz im Handel und in den Gewerben, vom M'ärz 1935, hat in Würdigung der früheren Eingaben und parlamentarischen Anregungen Vorschriften über die Heimarbeit vorgesehen. Der Abschnitt VI, 2, enthält Vorschriften über die
Beschaffenheit der Arbeitsräume und Einrichtungen, welche der Heimarbeit dienen (Art. 53), über Kinderarbeit (Art. 54), über die Verpflichtung heimarbeitgebender Betriebe zur Führung eines Arbeiterverzeichnisses, zur Verabreichung von Belegen'bei der Arbeitsausgabe und die Bekanntgebung von Tarifen sowie über die Lohnauszahlung (Art. 55) und endlich über die Einsetzung von Fachausschüssen und die Befugnis des Bundesrates zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Art. 56).

Mit diesen Vorschlägen des Vorentwurfs von Direktor Pfister haben sich die verschiedenen Vernehmlassungen, welche von Seiten der Wirtschafts1 ) Nebst der Heimarbeit ist in diesem Bundesratsbeschluss auch die Arbeit in den Klein- und Familienbetrieben reglementiert.

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verbände eingingen, auseinandergesetzt. Zum Teil wurden andere und weitergehende Vorschläge gemacht. Insbesondere wünscht der Schweizerische G e w e r k s c h a f t s b u n d in seiner Eingabe vom Oktober 1935 eine einlässlichere Eegelung des Heimarbeitsverhältnisses und macht u. a. (Art. 74 und 75 seines Entwurfs) Vorschläge über die Eegelung der Arbeitszeit in der Heimarbeit.

II.

Zahlenmässiger Rückgang der Heimarbeit in den letzten Jahrzehnten.

Wenn sich in den letzten Jahrzehnten und insbesondere auch seit der Verwerfung des Bundesgesetzes über die Ordnung des Arbeitsverhältnisses und seit der Ausbreitung der Wirtschaftskrisis der Bund nur mit Zögern an die Vorbereitung von Schutzvorschriften für Heimarbeiter begeben hat und für diese einen bessern Zeitpunkt abwarten wollte, so geschah das hauptsächlich in der Absicht, die Heimarbeitsausgabe nicht zu schädigen. In der Schweiz sind weite Bevölkerungskreise, hauptsächlich die Bewohner des Juras und der Voralpen, auf Heimarbeit als notwendigen Haupt- oder Nebenverdienst angewiesen. Die Landwirtschaft wirft in diesen Gegenden zu wenig ab, um die Bevölkerung zu ernähren, und von dem Zeitpunkte an, da die Ausgabe von Heimarbeit zurückgeht und nicht durch in der Nähe gebotene andere Arbeitsgelegenheiten ersetzt wird, beginnen die Verarmung und als ihre unmittelbare Folge die Abwanderung der Bevölkerung. Aber auch in den Städten bedürfen viele Arbeitnehmer, vornehmlich unabkömmliche Hausbesorgerinnen, der Heimarbeit als notwendiger Erwerbsquelle.

Nun befand sich die Heimarbeit, die bis zum Aufkommen der Maschinen die Hauptbetriebsform unserer Industrien war, schon während des ganzen 19. Jahrhunderts im Eückgang und machte den Fabriken Platz, eine Entwicklung, die an und für sich nicht unerwünscht war, sobald die Fabrikgesetzgebung die Arbeitsverhältnisse in den Fabrikbetrieben regelte. Bedauerlich war, dass die Heimarbeiter nicht durchwegs Aufnahme in den Ateliers und Werkstätten finden konnten, dass die Konzentration der Bevölkerung in der Nähe der Fabriken erfolgen musste und dass diejenigen Personen, die ihrer Fanlilienverhältnisse, ihres entfernten Wohnorts, ihrer Aufgaben in Haus und Hof oder unzulänglicher Gesundheit wegen überhaupt nicht für Fabrikarbeit in Frage kamen, arbeitslos wurden.

Der Prozess des Überganges von der Heimarbeit zur Fabrik hat sich auch im ersten Drittel unseres Jahrhunderts fortgesetzt. Hierüber geben z. B. die Fabrikstatistiken von 1901 und 1929 Aufschluss, deren Ergebnisse in bezug auf die Heimarbeit allerdings nicht in allen Punkten zufriedenstellend waren. Immerhin darf als charakteristisch hervorgehoben werden, dass, während in der Epoche von 1901--1929 die Zahl der Fabrikarbeiter von 242 584 auf 409 083, somit um rund 70 % anstieg, die Zahl der von den Fabriken be-

203 schäftigten Heimarbeiter von 52 291 auf 34 490 sank, also um rund 34 % abnahm. Abgesehen von dem aus Gründen des technischen Portschritts sich vollziehenden Konzentrationsprozess, wirkte bei dieser Abnahme auch die Schrumpfung gewisser Industrien mit, die bis anhin hauptsächlich Heimarbeit ausgegeben hatten; wir erwähnen die Stickereiindustrie und die Seidenbandindustrie. Die Gesamtzahl der Heimarbeit er,ging von der Volkszählung 1910 big zur Volkszählung 1930 von 70 104 auf 25 865, also um weit mehr als die Hälfte zurück. Die nachstehende Tabelle vermittelt die wichtigsten Zahlen über diesen starken Bückgang der Heimarbeit, während im übrigen auf die im Anhang I beigegebene Tabelle verwiesen werden kann : 1910

Heimarbeiter im ganzen . .

Textilindustrie. . . . . . . .

davon Stickerei .

Seidenbandweberei . . .

Uhrenindustrie

1920

1930

Abnahme 1 910--1930 absolut in %

70104 39344 25865 -- 44239 49768 25313 12727 -- 37 041

63

7017 -- 22503 1705 -- 4458 5028 -- 4068

76 72 45

29520 13561 6163 4551 9096 6747

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Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass die Heimarbeit in der Textilindustrie und den beiden.wichtigen Erwerbsgruppen der Stickerei und Seidenbandweberei auf rund einen Viertel reduziert wurde. Die Tabelle des Anhangs I zeigt überdies, dass in der Statistik bis 1930 nur unter der Rubrik,«Frauen- und Kinderkleider-Fabrikation» eine Zunahme an Heimarbeitern zu verzeichnen ist, die auf die neue Entstehung der Damenkonfektionsindustrie in der Schweiz zurückzuführen ist. Durch die neueste Fabrikstatistik vom 16. September 1937 wurden nur noch 22075 von Fabriken beschäftigte Heimarbeiter gegenüber 34490 im Jahre 1929 erfasst.

Bei dieser starken Abnahme der Heimarbeit war, wie wir bereits andeuteten, in bezug auf die geforderten gesetzgeberischen Massnahmen Zurückhaltung geboten. Denn es war auf alle Fälle zu vermeiden, dass an einzelnen Orten, wie dies bei der Einführung einer derartigen neuen sozialpolitischen Massnahme in der Regel zu; erwarten ist, eine Reduktion der Arbeitsausgabe einträte.

III.

Neuere Entwicklung und derzeitige Lage der Heimarbeiter.

Vernehmlassung der eidgenössischen Fabrikinspektoren.

Der grosse Arbeitsmangel der letzten Jahre hat aber in der Heimarbeit neue Verhältnisse geschaffen, die uns zwingen, die im letzten Abschnitt genannten Bedenken zurückzustellen und eine Grundlage zu schaffen, die dem

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Bundesrat erlauben soll, gegen Missstände in der Heimarbeit einzuschreiten.

Die Heimarbeit hat sich an verschiedenen Orten neu ausgebreitet. Zu dieser Ausbreitung mögen die Kontingentierungs- und Zollschutzmassnahmen des Bundes beigetragen haben, weil die unter ihrem Schutz entstehenden neuen Betriebe sowie die sich erweiternden Unternehmungen teilweise bestrebt waren, die elastische und mit geringeren Kapitalinvestitionen verbundene Heimarbeit als Betriebsform zu wählen. Aber auch in andern Industrien verlegten gewisse Unternehmungen die Produktion in die kostenersparende Heimarbeit. An und für sich konnte in einem Zeitpunkt, wo es sich für unser Land darum handelte, mit niedrigen Produktionskosten den Anschluss an den Weltmarkt aufrechtzuerhalten oder wiederzufinden, die Heimarbeit als billige Betriebsform nicht abgelehnt werden. Dass sie aus Gründen der Arbeitsbeschaffung für weite Volkskreise Vorteile bietet, wurde schon erwähnt.

Voraussetzung dafür ist aber ein geordnetes Lohnwesen und ein menschenwürdiges Entgelt für ehrliche Arbeit, einerseits im Interesse der Arbeiterschaft, andererseits zum. Schutze derjenigen Betriebsinhaber, die in Fabriken und Werkstätten produzieren und ihren Arbeitern angemessene Löhne gewähren.

Diese Voraussetzungen sind zurzeit vielerorts nicht erfüllt.

Über die Situation in der Heimarbeit äusseru sich die eidgenössischen Fabrikinspektoren, die sich teils im Zusammenbang mit der Eabrikkontrolle und teils in Erfüllung besonderer Aufträge des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes in den letzten Jahren mehrfach mit der Heimarbeit befassten, in einem Bericht vom Januar 1937 folgendermassen1) : «Die Heimarbeit hat in den letzten Jahren in einzelnen Industriezweigen an Bedeutung stark zugenommen, so vor allem in der Wäsche- und Konfektionsindustrie.

Es haben auch neue Arten von Heimarbeit Eingang gefunden, so z. B. Filetdurchzugarbeiten, Spezialitäten in Handstrickerei, Klebearbeiten für Paokmaterial, Konfektion von Gummimänteln u. a.

Diese Ausbreitung der Heimarbeit hat sich vielfach ausgewirkt in einer Verschärfung des Preis- und Lohndruckes, wie er auf dem gesamten Gebiet der Wirtschaft sich zeigt, und sie hat Erscheinungen gezeitigt, die vom sozialen und volkswirtschaftlichen Standpunkt aus zu schweren Bedenken Anlass geben müssen. Viele Arbeitgeber,
die ihre Betriebe nach reellen Grundsätzen zu führen bestrebt sind, haben die Fabrikation gewisser Artikel aufgeben müssen, da sie gegenüber den durch die Heimarbeit heruntergedrückten Preisen nicht mehr konkurrieren können. Andere sahen sich unter dem Zwang der Verhältnisse genötigt, selber zum Mittel der Ausgabe von Heimarbeit zu greifen, um sich auf dem Markte zu behaupten. In zahlreichen Fällen geschah dies auf Kosten der Beschäftigungsmöglichkeit der Arbeiterschaft der Betriebe selbst, und Personalentlassungen und Lohnreduktionen waren die Folge.

Durch eine solche Umstellung von der fabrikmässigen Fabrikation auf die Herstellung der Artikel in Heimarbeit helfen aber diese Unternehmen mit zur Verschärfung der Konkurrenzverhältnisse in den betreffenden Industriezweigen und zur Erschwerung der Existenzfähigkeit zahlreicher Betriebe, deren Inhaber mit dem Einsatz ihrer ganzen Kraft Preise und Löhne, nicht zuletzt aber auch die Qualität der Artikel auf x ) Ein Anfang Juli 1937 publizierter Bericht des Statistischen Amtes der Stadt Zürich (Zürcher statistische Nachrichten, 13. Jahrg., Heft 4) über «Lohnund Arbeitsverhältnisse der Heimarbeiter in der Zürcher Konfektionsindustrie» ergänzt diese Darstellung für ein wichtiges Teilgebiet in vorzüglicher Weise.

205 angemessener Höhe zu erhalten bestrebt sind. Der Betriebe, die sich durch einen solchen Konkurrenzkampf in ihrer Existenz bedroht sehen, sind nicht .wenige.

Die durch Einblick in die Verhältnisse zahlreicher Heimarbeiter und durch direkte Aussprache mit ihnen gewonnenen Eindrücke bestätigen im allgemeinen den in einzelnen Industriezweigen herrschenden bittern Preis- und Lohnkampf, der noch gefördert wird durch das überaus grosse Angebot an Arbeitskräften in der Heimarbeit.

Diese Eindrücke lassen auch die Wirkung des letztern auf. die direkt Beteiligten, die Heimarbeiter selbst, namentlich weibliche Personen, erkennen. Oft bieten sich erschütternde Bilder dar, die Auswirkungen dieses Kampfes sind auf deren Lebensweise und Gesundheit.

Unter den Arbeitsbedingungen, denen die Heimarbeit unterliegt, ist von besonderer Bedeutung die Gestaltung der Löhne, die selten eine allgemein festgelegte, meist eine einseitig der Willkür des Arbeitsgebers vorbehaltene ist. Soweit es sich um industrielle Heimarbeit handelt, liegen die Löhne in der Regel weit unter den in den Betrieben selbst üblichen. Vorwiegend handelt es sich um Stücklöhne, die meist so angesetzt sind, dass es längerer Arbeitsdauer bedarf, um einen einigermassen befriedigenden Verdienst zu erreichen. Neben einwandfreien sind leider die Fälle, nicht selten, wo dieser bei aller Anstrengimg ein bescheidener, wenn nicht gar ein sehr dürftiger bleibt, so, wenn die Lohnansätze derart niedrig angesetzt werden, dass, auf die Arbeitsstunde berechnet, Löhne von weniger als 20 Bp. und bei ausgedehnter Arbeitsdauer Tagesverdienste von weniger als Fr. 2 erreicht werden, wie z. B. in der Ausschneiderei, der Handstrickerei, der Hemden- und Sehürzenfabrikation, der Herstellung von Überkleidern und teilweise auch in der Kettenstichstickerei. Es mögen hier einige Beispiele von Lohnangeboten angeführt werden: Für das Nähen von Berufsschürzen, das ca. 1% Stunden beansprucht, wurden 20--25 Rp. bezahlt; für das Nähen von Zierschürzen, wozu etwa 3/i Stunden benötigt werden: 14 Rp.

pro Stück; für das Konfektionieren einer Überhose, wozu mit einer durchschnittlichen Arbeitsdauer von über l Stunde zu rechnen ist: 20 Rp. und einer Überbluse, die 1%--2 Stunden Arbeitszeit benötigt, 27 Rp. usw. Die Tatsache, dass selbst zu .solch schlechten Bedingungen Arbeitsaufträge
angenommen werden, zeigt, wie dringend nötig Heimarbeit für viele Frauen ist. Leider wird aber gerade dieser Umstand von vielen Arbeitgebern zu einem starken Lohndruck ausgenützt.

Häufig ist der Lohnanteil der Arbeitsvermittler, Fergger, nicht einheitlich geregelt und wächst sich in der Praxis oft sehr zum Nachteil der Heimarbeiter aus, so z. B. wenn ein Zwischenmeister in der Herrenkonfektion Fr. 5.50 pro Stück bezieht, den Arbeiterinnen aber nur Fr. 2--2.50 bezahlt, oder eine Ferggerin von einer Beruf skleiderfabrik pro Schürze 75 Rp. Provision erhält, für die Näharbeit der Heimarbeiterin aber nur 35 Rp. bezahlt. Angaben über Ferggerprovisionen aus der Hutindustrie lauten auf 10--13 %, aus gewissen Zweigen der Konfektion auf 15--20 %.

Ein Übelstand zum Nachteil der Heimarbeiter liegt hier darin, dass der Ausgeber von Heimarbeit sich vielfach nicht darum bekümmert, welchen Anteil am Ausgabepreis der Fergger für sich beansprucht.

Sehr verschieden wird die weitverbreitete Praxis der Belastung von Heimarbeitern mit Kosten für benötigte Materialien, Stricknadeln, Faden, Packmaterialien, Porti usw.

gehandhabt. Diese, wie namentlich auch eine vielenorts rigorose und nicht selten missbräuchliche, teils von der Arbeit ausgebenden Firma, teils von Ferggern den Heimarbeitern gegenüber geübte Praxis der Lohnabzüge gibt häufig Anlass zu Differenzen. Abzüge für «verspätete Ablieferung» der Aufträge, für «schlechte Arbeit» kommen häufig vor; hin und wieder werden auch Abzüge gemacht ohne weitere Begründung. In der Konfektion wurden beispielsweise Fälle festgestellt, wo solche Abzüge eine Höhe Ms 50 % und mehr des Übernahmepreises erreichten. Bei Reklamationen setzen sich Heimarbeiter der Gefahr aus,, keine weitere Arbeit zugeteilt zu erhalten.

206 Mit der Abrechnung für übernommene Arbeit und dem Entgelt für deren Ausführung ist es vielfach nicht gut bestellt ; sie ist oft sehr summarisch gehalten und erschwert eine richtige Kontrolle durch die Heimarbeiter. Nicht selten wird der Lohn dieser erst bei Ablieferung der ausgeführten Arbeit oder noch später einseitig durch den Fergger oder Arbeitgeber festgesetzt. Wo, wie dies z. B. in der Handstrickerei festgestellt wurde, weder Lieferschein noch Abrechnung in Gebrauch sind, hält es für die Heimarbeiter oft schwer, zu ihrem Recht zu kommen.

Mit der Auszahlung des Lohnes wird es sehr verschieden gehalten. Vielenorts erfolgt diese jeweilen bei Ablieferung der fertigen Arbeiten, auch etwa an festgelegten Zahltagen und innert regelmässigen Fristen. Häufig aber ist die Lohnzahlung eine unregelmässige und erstreckt sich nicht selten über lange Zeiträume, monatliche und längere. Es wurden hierüber viele Klagen laut und Wünsche vorgebracht, das für den Lebensunterhalt sehr benötigte Geld innert kürzerer Zeit zu erhalten.

Es ist nicht leicht, über die bei Betätigung von Heimarbeit benötigte Arbeitszeit zuverlässige Angaben zu erhalten. In allen Fällen, wo wir es mit Personen zu tun hatten, die ihre Zeit ganz den übernommenen Heimarbeiten widmeten, mussten wir feststellen, dass die tägliche zeitliche Beanspruchung im allgemeinen eine Verhältnismassig grosse ist. Ist schon eine ISstündige tägliche Arbeitszeit, wie sie z. B. für Heimarbeiter in der Seidenbandweberei von Baselland kantonal-gesetzlich festgelegt ist, eine reichlich lange, so überschreitet die Arbeitsdauer namentlich weiblicher mit Heimarbeit Beschäftigter diese Zahl häufig; es geht fast immer «von morgens früh bis abends spät». Sehr lange Arbeitszeiten waren festzustellen z. B. in der Handstrickerei, der Maschinenstrickerei, der Ausschneiderei der Kettenstichindustrie, der Näherei von Stickereiwaren, von Wäsche und Kleidern u. a. Allzu häufig müssen auch noch Nachtstunden der mühsamen Arbeit geopfert und der Arbeitsschluss tief in die Nacht, 10 Uhr und später, nicht selten noch weiter hinaus und sogar in erste.

Morgenstunden hinein verlegt werden. Daran trägt ausser dem Streben der Heimarbeiterin, bei einem geringen Lohn in einer langen Arbeitsdauer einen gewissen Ausgleich zur Verbesserung des Verdienstes zu erlangen, vielfach eine
vom Fergger oder Arbeitgeber unverantwortlich und rücksichtslos kurz angesetzte Lieferfrist die Schuld.

Wenn z. B. eine Ferggerin für Motivnäherei die Arbeit erst abends %8 Uhr ausgibt und deren Ablieferung am folgenden Morgen verlangt, wenn ein Fergger Ausschneidarbeit abends 4 Uhr als sehr pressant und zur Ablieferung am nächsten Morgen ausgibt, wenn in andern Fällen Lieferfristen bewusst kürzer angesetzt werden als zu normaler Ausführung möglich ist, dann muss eben Nachtarbeit geleistet werden.

Dass dies der Gesundheit der Beteiligten auf die Dauer schadet und viele Unzukömmlichkeiten für Haus und Familie zur Folge hat, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, namentlich, wenn die Arbeit noch unter hygienisch ungünstigen Verhältnissen vor sich gehen muss, ;z. B. in ungeheizten Zimmern oder in einer dunklen, ungelüfteten Küche usw. Zu ernsten Bedenken muss es Anlass geben, wenn Heimarbeiterinnen Arbeiten zugewiesen bekommen, bei deren Ausführung sie unter Umständen der direkten Gefahr einer Schädigung von Gesundheit und Leben ausgesetzt sind, so bei Klebarbeiten unter Verwendung leichtflüchtiger und feuergefährlicher Lösungsmittel (Gasolin u. a,.), Arbeiten, deren Ausgabe an Heimarbeiter in manchen Landern verboten ist.

Weitere Unzukömmlichkeiten für Heimarbeiter ergeben sich daraus, dass sie zum Abholen der Arbeitsaufträge wie deren Ablieferung nach Ausführung einen weiten Weg zur Ausgabestelle zurückzulegen und dafür viel Zeit opfern oder bei Bahnfahrten die Fahrtauslagen auf sich zu nehmen haben. Um solchen Zeitausfall zu umgehen, wird z. B. im Appenzellerland (Handstickerei) der zeitraubende Gang zur Ferggstelle meist auf den Sonntag verlegt.

Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass an Heimarbeiten, namentlich in ländlichen Verhältnissen, häufig schulpflichtige Kinder, schon vom 7. Altersjahr an zu gewissen

207 Handreichungen, nicht selten auch zu für sie unpassenden Arbeiten beigezogen werden.

Es ist keine Übertreibung, wenn aus ungeordneten und unerfreulichen Verhältnissen, wie sie in vorstehenden Ausführungen kurz skizziert sind, die Befürchtung sich aufdrängt, dass bei längerm Andauern einzelne Industriegruppen in ihrer Konkurrenz- und Lebensfähigkeit derart geschädigt werden, dass der Zusammenbruch zahlreicher Unternehmen unvermeidlich sein wird. Angesichts der, Tatsache, dass beteiligte Interessenverbände dem unheilvollen Geschehen eines durch das Mittel der Heimarbeit ruinös sich auswirkenden Konkurrenzkampfes machtlos gegenüberstehen, wird von Arbeitgeberseite aus immer deutlicher die Ansicht vertreten, zur Wiederherstellung und Erhaltung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse sei eine Sanierung der Preise und Löhne in der Heimarbeit, namentlich in der Wäsche- und Konfektionsindustrie von Bundes wegen zwangsläufig herbeizuführen. Wir halten die Sanierung dieser Verhältnisse nicht nur vom Standpunkt der daran interessierten Industriezweige, sondern mehr noch im sozialen und gesundheitlichen Interesse der von ihnen direkt Betroffenen, den Heimarbeitern, insbesondere der unter ihnen vorwiegend vertretenen weiblichen Personen, für dringend notwendig.» IV.

Eingaben aus den letzten Jahren.

Diese Zustände, auf die die eidgenössischen Fabrikinspektorate schon seit einigen Jahren hinweisen, haben verschiedene Stellen veranlagst, dem Bund gesetzgeberische Massnahmen nahezulegen:' 1. Im Frühjahr 1935 haben das Polizeidepartement des Kantons St. Gallen (Zuschrift vom 20. März) und die Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich (Zuschrift vom 13. April) das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ersucht, zu prüfen, ob nicht auf eidgenössischem Boden Mindestlöhne für die Heimarbeit in der Konfektionsindustrie festgesetzt werden könnten.

Beide Amtsstellen hatten sich anlässlich, von Anträgen, die in den kantonalen Bäten gestellt worden waren, mit dieser Frage zu befassen. Beiderorts war man, nach Fühlungnahme mit den Berufsverbänden -- im Kanton St. Gallen auch nach Durchführung von Lohnerhebungen -- zur Auffassung gelangt, dass eine Eegelung zwar notwendig, auf kantonalem Boden aber unzweckmässig sei, da die Abwanderung von Arbeitsaufträgen in Kantone ohne Lohnregelung unvermeidlich wäre. Beide Eingaben beriefen sich auch zur Begründung der Massnahme auf wirklich missliche Lohnverhältnisse in der Konfektionsindustrie.

2. Weitere Eingaben, die zum Teil die Heimarbeit berühren, sind eingegangen: ·-- am 2. Dezember 1935 vom V e r b a n d der Bekleidungs- und L e d e r arbeiter und v e r w a n d t e r B e r u f e der Schweiz.

Dieser Verband legt dar, dass Löhne und Verdienste in der Damenkleider industrie auf einem unerträglich niedrigen Niveau, das eine auskömmliche menschenwürdige Existenz ausschliesst, angelangt seien. Er verlangt die Intervention des Bundes zugunsten eines Gesamtarbeitsvertrages, der das Arbeitsverhältnis in der Damenkleiderindustrie im allgemeinen regeln soll, betont aber auch die Notwendigkeit, für die Heimarbeit die Stücklöhne nicht

208 niedriger anzusetzen als für Werkstattarbeit, den Heimarbeitern für ihre besondern Unkosten einen Zuschlag von mindestens 10 % des Lohnes zu gewähren und auch die Fournituren in Werkstatt- und Heimarbeit mit 5 % des Lohnes zu entschädigen, sofern.sie von den Arbeitern geliefert werden müssten.

·-- vom Verband schweizerischer Korbwarenindustrieller (Zuschrift vom S.Mai 1936), vom Schweizerischen Verband für Heimarbeit (Zuschrift vom 4. Mai 1936) und vom Bau- und Holzarbeiterverband der Schweiz (vom 22. Mai 1936).

Diese drei Verbände stellen fest, dass die Korbwarenindustrie darunter leide, dass die Heimarbeit in neuerer Zeit zunehme und den gelernten Korbmachern nur noch äusserst geringe Stundenlöhne gewährt würden. Ein weiteres Sinken der Arbeitslöhne in der Heimarbeit müsse die noch bestehende Industrie unfehlbar zu Fall bringen (Vernehmlassung des Verbandes schweizerischer Korbwarenindustrieller, vom 15. April 1986).

3. Endlich haben fünf schweizerische Frauenverbände, nämlich der Bund schweizerischer Frauenvereine, der Schweizerische katholische Frauenbund, der Schweizerische gemeinnützige Frauenverein, die Frauengruppe der Schweizerischen sozialdemokratischen P a r t e i und der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht am 22. April 1936 das Volkswirtschaftsdepartement dringlich eingeladen, die Eegelung der Heimarbeit an die Hand zu nehmen, und zwar a. in Form eines dringlichen Noterlasses, der den Bundesrat zu industrieweisem Festsetzen von Mindestlöhnen ermächtigen würde, und &. durch Vorbereitung eines umfassenden Heimarbeitsgesetzes, in welchem das gesamte Arbeitsverhältnis in der Heimindustrie zu regeln wäre.

Diese Eingabe wurde unterstützt vom Schweizerischen Verband der Konfekti'ons- und Wäscheindustrie und der Sozialen K ä u f e r liga der Schweiz.

Aus diesen Eingaben -- wie aus den Darlegungen der Fabrikinspektorate ·-- geht hervor, dass einerseits vielerorts Missstände in der Heimarbeit festgestellt werden müssen und dass andererseits (Eingaben der Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich, des Schweizerischen Verbandes der Konfektions- und Wäscheindustrie und des Verbandes schweizerischer Korbwarenindustrieller) auch massgebende Verbände der Arbeitgeber einer Festsetzung von verbindlichen Mindestlöhnen für die Heimarbeit zustimmen.

V.

Umfrage des eidgenössischen Yolkswirtschaftsdepartementes.

A. Kreisschreiben vom 20. Oktober 1936.

Unter diesen Umständen hielt das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement es für richtig, auf die Frage der Festsetzung von Löhnen in der Heimarbeit zurückzukommen. Mit einem Kreisschreiben vom 20. Oktober 1936 wurde den Kantonsregierungen, den schweizerischen Wirtschaftsver-

209

bänden sowie einigen sozialpolitischen, an der Heiniarbeit interessierten Vereinigungen ein Vorentwurf für einen Bimdesbeschluss zum Schutze der Heimarbeiter unterbreitet.

Der Vorentwurf des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes ging von der Annahme aus, dass es sich bei der jetzigen Eegelung nur um einen Erlass handeln könne, der die wichtigsten Punkte des Heimarbeitsverhältnisses regelt. Eine endgültige Kegelung der ganzen Materie sollte im Eahmen der eidgenössischen Gewerbegesetzgebung erfolgen, wie dies im Vorentwürf Pfister und in den verschiedenen Gegenentwürfen der Arbeitnehmerverbände schon ins Auge gefasst war. Um einen baldigen Eingriff in die misslichen Verhältnisse gewisser Heimarbeitszweige herbeizuführen und um ferner auch das Provisorium der Vorschriften zu betonen, schlug das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement vor, dem. Erlass die Form eines ' dringlichen Bundesbeschlusses zu geben. Dieser Vorschlag hatte seine Berechtigung, da einerseits die verfassungsmässige Grundlage für die Vorschriften in Art. 84ter und Art. 64, Abs. 2, der Bundesverfassung gegeben ist und da ausserdem eine zeitliche Dringlichkeit in den vorhandenen Missständen vorliegt.

Der Entwurf zu einem'Bundesbeschluss enthielt drei Arten von Bestimmungen, nämlich: 1. Allgemeine, auf alle Heimarbeiter anwendbare Bestimmungen, die einerseits einen allgemeinen formellen Lohnschutz bezweckten, indem für den Auftraggeber eine Beihe von Verpflichtungen betreffend Bekanntgabe des Lohnes und aller den Lohn beeinflussenden Faktoren bei der Auftragserteilung sowie schriftliche genaue Abrechnung bei der Arbeitsabnahme bzw. der Lohnzahlung usw. aufgestellt wurden, Weitere allgemeine Bestimmungen enthielt der Vorentwurf in bezug auf das Verbot der Arbeitsausgabe am Sonntag sowie zur Nachtzeit, das Verbot von Zeitvergeudung bei der Arbeitsausgabe und das Verbot kurzfristiger Aufträge, die nach Wissen des Arbeitgebers Nacht- und Sonntagsarbeit nötig machen. Dem Bundesrat sollte überdies die Kompetenz eingeräumt werden, Heimarbeit aus hygienischen, sittlichen oder feuerpolizeilichen Gründen zu verbieten.

2. Materielle Lohnschutzbestimmungen, die nur auf einzelne Heimarbeitszweige zur Anwendung kommen sollen. Dem Bundesrat sollte die Kompetenz eingeräumt werden, Mindestlöhne festzusetzen in Heimarbeitszweigen, wo die
Löhne aussergewöhnlich niedrig und Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht in der Lage sind, die Lohnverhältnisße selbst zu regeln. Ausser den Löhnen sollten auch andere, die Lohnhöhe bestimmende Faktoren festgesetzt werden können, wie der Entgelt für Ferggarbeit, der von den Löhnen nicht in Abzug gebracht werden sollte, sowie der Entgelt für die Lieferung von Eohstoffen, Material und Fournituren.

Als weitere Lohnvorschrift war eine Bestimmung aufgenommen, wonach bei Submissionen der öffentlichen Hand, bei welchen Heimarbeit in Frage kommt, Mindestlöhne vorgeschrieben werden sollten.

3. Vollzugs- und Strafbestimmungen.

210 B. Antworten der Kantone.

19 Kantone (Zürich, Bern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwaiden, Freiburg, Solothurn, B a s e l - S t a d t , B a s e l - L a n d , S c h a f f h a u s e n , Appenzell I.-Eh. und A.-Eh., St. Gallen, G r a u b ü n d e n , Aargau, Thurgau, W a a d t und N e u e n b u r g ) haben das Kreisschreiben vom 20. Oktober 1936 beantwortet. Davon haben ihrer 15 die Notwendigkeit des Kampfes gegen Missstände in der Heimarbeit anerkannt und grundsätzlich den Erlass von Schutzvorschriften befürwortet. Bern und Innerrhoden machen allerdings den Vorbehalt, dass diese nur dort in Anwendung kommen sollen, wo sie dringlich hotwendig sind. Der Kanton'S t. Gallen erwartet, dass in der Anwendung des Gesetzes ein Unterschied gemacht werde zwischen der Heimarbeit privater Betriebe und derjenigen der gemeinnützigen Organisationen.

Die Kantone Obwalden, A p p e n z e l l A.-Eh., Thurgau und W a a d t sprechen sich gegen Bundesvorschriften zum Schutze der Heimarbeit aus.

Die drei erstgenannten befürchten das Verschwinden dieser Verdienstquelle, sobald der Gesetzgeber eingreife. Für Thurgau überwiegen die Schwierigkeiten des Vollzugs das Bedürfnis nach Schutz, das sich in einigen Heimarbeitszweigen geltend macht. Der Kanton W a a d t erachtet die Missstände als nicht schwer genug, um eine Bundesgesetzgebung zu rechtfertigen. Die Eidgenossenschaft solle zurzeit keine neuen Aufgaben übernehmen.

Die Form des dringlichen Bundesbeschlusses wird von 10 Kantonen gutgeheissen. Die meisten dieser Antworten bringen zum Ausdruck, dass den Missständen unverzüglich gesteuert werden müsse. 6 Kantone sind gegen die Dringlichkeitsklausel.

C. Antworten der Verbände.

Der Schweizerische Handels- und Industrieverein und der Zentralverband schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen haben ihren Standpunkt in einer gemeinsamen Vernehmlassung niedergelegt.

Nach ihrer Auffassung ist die Eeglementierung der Heimarbeit nur mit grosser Zurückhaltung in Angriff zu nehmen. Die Arbeitsbedingungen seien so verschieden, dass eine allgemeine und einheitliche Eegelung auf grosse Schwierigkeiten stossen müsse. Allzu strenge Vorschriften könnten zu einer Einschränkung der Arbeit führen und viele Personen, die nicht in der Lage sind, in der Fabrik zu arbeiten, um ihren Verdienst bringen. Es müssten zurzeit auch Massnahmen vermieden
werden, welche die Produktion verteuern könnten.

Die Heimarbeit sollte nur in denjenigen Erwerbszweigen geregelt werden, wo dies unbedingt nötig sei. .Die beiden Verbände lehnen daher allgemeine Vorschriften für die Heimarbeit ab. Sie befürworten -- unter Ablehnung eines dringlichen Bundesbeschlusses -- ein Gesetz, das allgemeine Bestimmungen enthalten soll, welche der Bundesrat nur auf diejenigen Erwerbszweige in

211 Anwendung bringen würde, in denen ein besonders dringliches Bedürfnis nach Schutzbesthnmungen vorhanden ist.

.

· Auch der Schweizerische Gewerbeverband lehnt eine 'einheitliche Eegelung ab. da sie bei der Verschiedenheit der Bedingungen nur schwer anwendbar sei. Die beste Lösung wäre, wenn man den Interessierten es überliesse, eine Eegelung unter sich zu treffen, die vom Bundesrat verbindlich erklärt würde. Der Gewerbeverband ist jedoch grundsätzlich einer gesetzlichen Eegelung nicht abgeneigt, vorausgesetzt, dass man sich auf die Beseitigung von ausgesprochenen Missständen, beschränkt und überdies versucht, den Heimarbeiterbeschluss in einem allgemeinen Beschluss zum Schutze der Wirtschaft zu verwirklichen. Der Verband würde einem Gesetz vor einem dringlichen Bundesbesohluss den Vorzug geben.

Der Schweizerische B a u e r n v e r b a n d hält einen vermehrten Schutz der Heimarbeiter für notwendig und wünschenswert. Dagegen befürchtet er, dass allgemeine Bestimmungen die bäuerliche Heimarbeit in den Bergen, die in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung nahm, behindern könnten.

Der Verband empfiehlt daher, den vorgesehenen Erlass nicht auf diese Art von Arbeitern auszudehnen, die in ihrer grossen Mehrzahl die Arbeit nicht von industriellen Arbeitgebern, sondern von gemeinnützigen Organisationen erhalten.

· · · · . ·' ·· " · Mehrere Arbeitnehmerverbände haben ebenfalls ihre Auffassung dargelegt: Es sind dies: der Schweizerische G e w e r k s c h a f t s b u n d , die Vereinigung schweizerischer A n g e s t e l l t e n v e r b ä n d e , der Christlichnationale G e w e r k s c h a f t s b u n d der Schweiz, der Schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter, der L a n d e s verband freier Schweizer Arbeiter und der V e r b a n d der Bek l e i d u n g s - und Lederarbeiter und verwandter B e r u f e der Schweiz. Sie bejahen alle die Notwendigkeit, die Heimarbeit zu regeln und haben diesen grundsätzlich bejahenden Standpunkt nicht besonders begründet, sondern sich in der Hauptsache mit Einzelheiten des vorgelegten Entwurfes befasst. Mit Ausnahme des Schweizerischen G e w e r k s c h a f t s b u n d e s und des Christlichnatiohalen G e w e r k s c h a f t s b u n d e s der Schweiz, der sich über diesen Punkt nicht ausspricht, wären, sie alle damit einverstanden, dass die
Eegelung in Form :eines dringlichen Bundesbeschlusses vorgenommen : werde.

.

Der Schweizerische V e r b a n d für Heimarbeit anerkennt die Notwendigkeit gesetzlichen Schutzes. Aber er wirft ebenfalls die Frage auf, ob es nicht richtig wäre, diejenige Heimarbeit auszunehmen, die durch soziale und gemeinnützige Institutionen ausgegeben wird. Für den Fall, dass dies innerhalb des Erlasses nicht möglich ist, schlägt er vor, dem Bundesrat die Befugnis einzuräumen, selbst zu bestimmen, in welchem Umfange die gesetzlichen Vorschriften, die für einen bestimmten Erwerbszweig aufgestellt werden, auch auf die in diesem Zweig zur Vergebung gelangende Heimarbeit gemein-

212 nütziger Organisationen zur Anwendung kommen sollen. Da die Missstände, auf die das Kreisschreiben des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes Bezug nimmt, sich nur in gewissen Gebieten bemerkbar gemacht haben, zweifelt dieser Verband an der Zweckmässigkeit einer allgemeinen Beglementierung.

Der Erlass schützender Vorschriften wird lebhaft begrüsst durch den Bund schweizerischer Frauenvereine, der auch die Dringlichkeitsklausel befürwortet, vorausgesetzt, dass es sich nur um eine ' provisorische Massnahme handelt und dass die endgültige Regelung die Form eines Gesetzes erhalte. Dieser Standpunkt wird unterstützt vom Schweizerischen gemeinnützigen Frauenverein, vom Schweizerischen katholischen F r a u e n b u n d , vom Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht und von der Sozialen Käuferliga der Schweiz.

Die Schweizerische Vereinigung für Sozialpolitik betont, dass die Verhältnisse in der schweizerischen Heimarbeit notwendig einer gesetzlichen Eegelung bedürfen. In einzelnen Industriezweigen hätten sich die Missstände unter dem Preis- und Lohndruck in einer Weise verschärft, dass es nicht zu verantworten wäre, die dringend notwendig gewordene Sanierung bis zum Erlass der in Aussicht genommenen allgemeinen Gewerbegesetzgebung hinauszuschieben. Sie stimmt somit einem Bundesbeschluss zu, möchte jedoch auf die Dringlichkeitsklausel verzichten. Sie wirft daher die Frage auf, ob nicht, wie früher vorgesehen war, die Heimarbeit durch ein Bundesgesetz zu regeln sei. Eine solche Lösung habe den grossen Vorzug, den schutzbedürftigen Heimarbeitern wie den an einer Sanierung interessierten loyalen Arbeitgebern die Sicherheit zu geben, dass es sich um eine definitive Eegelung handle, die durch keine Opportunitätsgründe umgestossen werden könne. Allerdings müsse man sich in diesem Falle auf ein Eahmengesetz beschränken und alle Einzelheiten der Vollzugsverordnung vorbehalten.

Freiwillig hat sich endlich das Kaufmännische Directorium in St. Gallen zum Wort gemeldet. Es lehnt die Vorlage, soweit es sich um eine allgemeine Eegelung der Heimarbeit handeln soll, grundsätzlich ab und hält insbesondere die Festsetzung von Mindestlöhnen für unvollziehbar. Die auf Heimarbeit angewiesenen Kreise könnten durch sie um ihren Verdienst gebracht werden, und die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrien gegenüber
dem Auslande müsse leiden. Das Directoriüm macht auch geltend, dass die vorgesehene Eegelung niemals vollständig zur Durchführung gelangen könne.

Vielmehr werde sich der Heiniarbeiter selbst der Überwachung zu entziehen suchen, wenn er dazu Anlass zu haben glaube.

.Fast alle erwähnten Antworten auf das Kreisschreiben des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes haben überdies zu einzelnen Artikeln der Vorlage Stellung genommen. Diese Bemerkungen hier auch nur auszugsweise wiederzugeben, würde zu weit führen. Soweit die im Vorentwurf enthaltenen Bestimmungen auch in den nachstehenden endgültigen Entwurf aufgenommeu wurden, ist ihnen weitgehend Eechnung getragen worden.

213 Einige Vorschläge um Vermehrung der V o r s c h r i f t e n sind ebenfalls in den Vernehmlassungen enthalten. Verlangt werden u. a. der Ausschluss von Kindern unter 14 Jahren aus der Heimarbeit und besondere Schutzbestimmungen für Kinder, Jugendliche und Frauen, die in der Heimarbeit beschäftigt sind; ferner Arbeitszeitvorschriften, Einbezug der Heimarbeiter in die obligatorische .Unfallversicherung, Verbot der Abgabe von Heimarbeit an Fixbesoldete und deren Angehörige, an Personen, die dank eines anderweitigen genügenden Familieneinkoniniens nicht auf diesen Nebenverdienst angewiesen sind, und in das Ausland. Endlich wird die gesetzliche Statuierung der Friedenspflicht für die Dauer von Lohnfestsetzungen verlangt.

D. Einige Bemerkungen zu den vorgebrachten Gegenargumenten.

Zu den Argumenten, die gegen den Vorentwurf des Volkswirtschaf tsdepartementes geltend gemacht wurden, möchten wir folgendes bemerken: 1. Aus den Darlegungen in Abschnitt II geht hervor, dass Volkswirtschaftsdepartement und Bundesrat sich seit langem darüber Eechenschaft geben, dass Heiniarbeitsvorschriften möglicherweise eine gewisse Einschränkung der Heimarbeitsausgabe mit sich bringen können. Wir sind aber überzeugt, dass diejenigen Firmen, die an und für sich bereit sind, Heimarbeit in geordneter Weise auszugeben, die Vorschriften gerne in Kauf nehmen. Im Gegenteil, heute haftet auf der Heimarbeit das Odium der unsozialen Verhältnisse. Dies kann loyale Arbeitgeber von der Ausgabe von Heimarbeit zurückhalten.

Geniessen die Heimarbeiter einmal einen gewissen Schutz und wird die Heimarbeitsausgabe in den Betrieben kontrolliert, so halten wir, es nicht für ausgeschlossen, dass einzelne Arbeitgeber sich wiederum zu vermehrter Heimarbeitsausgabe im Interesse der Arbeitsbeschaffung für die auf Heimarbeit angewiesenen Kreise entschliessen werden. Da zurzeit, wie bereits erwähnt, eine Tendenz zur Vermehrung von Heimarbeit mit dem Zwecke der Betriebskostenersparnis besteht, sehen wir es als das geringere Übel an, wenn da und dort, insbesondere von Firmen, welche jede Kontrolle fürchten, von der Heimarbeitsausgabe abgesehen wird. Unsere Bemühungen zur Förderung der Heimarbeitsbeschaffung durch gemeinnützige Unternehmungen sowie durch staatliche Vermittlungsstellen werden vielleicht im Laufe der Jahre dazu führen, dass man
mindestens in den krassesten Fällen der «Heimarbeitslosigkeit» von selten dieser Stellen für die, Vermehrung von Arbeitsaufträgen sorgen kann.

· 2. Der Tatsache, dass die verrichteten Arbeiten und die Arbeitsbedingungen nicht nur von Erwerbszweig zu Erwerbszweig, sondern auch von Landesgegend zu Landesgegend verschieden sind, hatte der Vorentwarf des Volkswirtschaftsdepartementes Eechnung getragen. Nur wenige Bestimmungen allgemeiner Natur sollten auf sämtliche Heimarbeitsverhältnisse in Anwendung kommen.

Wir sind ganz damit einverstanden, dass diese so elastisch gefasst werden müssen, dass ihre Anwendung möglichst reibungslos in allen Heimarbeitszweigen Bundesblatt. 90 Jahrg.

Bd. II.

16

214 erfolgen kann. Unsere nachstehenden Vorschläge wurden in diesem Sinne ausgestaltet. -- Wichtig ist vor allem, dass bei den Lohnvorschriften die verschiedenartigen Erwerbsverhältnisse berücksichtigt werden. Dieser Grundsatz war bereits im Vorentwurf verwirklicht. Selbstverständlich muss auch beim Vollzug der zukünftigen Vorschriften den Erfordernissen der Wirtschaft und den Bedürfnissen der Betriebe weitgehend Rechnung getrageil werden.

3. Der Vorschlag, es den Interessierten zu überlassen, eine Eegelung unter sich zu treffen, die nachher vom Bundesrat verbindlich erklärt würde, steht ebenfalls nicht im Gegensatz zum Vorentwurf. Dieser sah schon die Allgemeinverbindlicherklärung von Löhnen und lohnbestimmenden Faktoren vor. Wir haben jedoch wenig Hoffnung, dass die Heiniarbeiterschaft häufig zu derartigen Abmachungen gelangt. Es gibt keine andere Arbeitergruppe, die so wenig organisiert ist wie die Heimarbeiter, und auf Seiten der Arbeitgeber bestehen auch nicht überall umfassende Organisationen. Ausschliesslich auf Abmachungen der Berufsangehörigen abstellen zu wollen, geht deshalb in der Heimarbeit nicht an.

4. Wenn geltend gemacht wird, dass die Eidgenossenschaft keine neuen Aufgaben übernehmen solle, so muss demgegenüber betont werden, dass der Kampf gegen die unbestreitbar vorhandenen Missstände durch die kantonale Gesetzgebung nicht in die Wege geleitet werden kann. Heimarbeiterschutz ist nur auf eidgenössischem Gebiete möglich. Würde ein Kanton für sein Gebiet Vorschriften erlassen, so hätte dies zur Folge, dass die heimarbeitgebenden Firmen die Arbeit ausserhalb der Kantonsgrenzen ausführen liessen.

Schon heute wird Heimarbeit in der ganzen Schweiz versandt, aus Zürich in den Kanton Tessin und den Kanton St. Gallen, aus Neuenburg in den Kanton Solothurn usw. Zahlreiche Heimarbeitsaufträge lassen sich mit Leichtigkeit durch die Post verschicken. Andere gehen als Frachtgut per Eisenbahn.

Unter diesen Umständen ist es begreiflich, dass einzelne Kantone den Bund um Erlass von Vorschriften, die für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft gelten, ersucht haben.

5. Bei vernünftiger Anwendung der Schutzvorschriften sollte, entgegen geäusserten Befürchtungen, die Konkurrenzfähigkeit unserer Exportindustrien, welche Heimarbeit vergeben, nicht geschwächt werden. Durch die allgemeinen Vorschriften
über Bekanntgabe der Arbeitsbedingungen, über Lohnabrechnungen und Listenführung werden den geordneten Geschäften keine oder nur geringe Mehrkosten erwachsen. Wir hatten Gelegenheit, festzustellen, dass diese Belege und Verzeichnisse schon heute in vielen Firmen vorhanden sind, ohne dass gesetzliche Vorschriften sie verlangen. Ein Betrieb, der bei der Heimarbeitsausgabe Ordnung haben will, muss von sich aus diese Aufzeichnungen vornehmen. Was nun eine Mehrbelastung der Exportindustrie durch Mindestlöhne anbelangt, so muss in erster Linie gesagt werden, dass durch die Bundesvorschriften hauptsächlich eine Anpassung aussergewöhnlich niedriger Entgelte an die bei loyalen Firmen üblichen erstrebt wird und dass es

215 sich tatsächlich vor allem um eine Beseitigung unerträglicher Missstände und nicht um eine allgemeine Hebung des Lohnniveaus handeln soll. Es wird somit durch allfällige Lohnvorschriften die Konkurrenzfähigkeit der Firmen mit anständigen Löhnen gegenüber Unternehmungen, welche ausgesprochen lohnund preisdrückend wirken, verbessert. Auch sind zahlreiche ausländische Konkurrenten unserer Exportindustrie schon ähnlichen Schutzvorschriften unterstellt. Australien, England und zahlreiche Gliedstaaten der n o r d a m e r i k a n i s c h e n Union besassen schon vor dem Weltkrieg Heimarbeiterschutzgesetzgebung und Mindestlohnvorschriften. Auch unsere Nachbarländer Deutschland, Prankreich und Italien haben die gesetzlichen Grundlagen für die Mindestlohngesetzgebung in der Heimarbeit geschaffen (siehe Anhang II). Es wird sich somit bei der Festsetzung von Mindestlöhnen für einzelne Zweige unserer Exportindustrie nur darum handeln können, festzustellen, in welchem Masse auf dem gleichen Gebiete im Ausland Lohnfixierungen vorgenommen werden. Wir halten es auch nicht für ganz ausgeschlossen, dass durch Einzelverhandlungen die Eegierungen unserer.

Nachbarstaaten veranlasst werden können, gleichzeitig mit der Schweiz für einzelne Branchen Mindestlöhne festzusetzen.

6. Die Befürchtung, die gemeinnützige Heimarbeitsbe'schaffung" werde durch die vorgesehenen Bundesvorschriften erschwert, ist unseres Erachtens unbegründet. Wie bei den geordneten privatwirtschaftlichen Heimarbeitsfirmen, so führen unseres Wissens auch die gemeinnützigen Organisationen heute bereits weitgehend Buch über ihre Heimarbeitsaufträge und die an die Heimarbeiter entrichteten Löhne. Von der Ausgabe von Begleitscheinen für die einzelnen Aufträge können auch diese Unternehmungen nicht absehen, sobald ihr Geschäft einen gewissen Umfang annimmt. Die Festsetzung von Mindestlöhnen für die Erwerbszweige, die von den gemeinnützigen Heimarbeitsunternehmungen gepflegt werden, wird nicht so bald in Frage kommen. Lohnmissstände dürften bei diesen Unternehmen in der Eegel nicht zu verzeichnen sein.

Wir haben daher den Begehren des Schweizerischen Bauernverbandes und des Schweizerischen Verbandes für Heimarbeit um Erleichterung der Vorschriften für die gemeinnützigen Heimarbeitsunternehmungen im Eahmen unserer Vorschläge nicht ausdrücklich Eechnung
getragen. Dagegen sehen wir eine Bestimmung vor, laut welcher in Einzelfällen der Bundesrat geringe Abweichungen von den Vorschriften des Gesetzes zulassen kann, wo deren Anwendung auf aussergewöhnliche Schwierigkeiten stösst. Diese Bestimmung würde erlauben, wirklich begründete Ausnahmen zuzulassen und somit Härten für. gemeinnützige Unternehmungen zu vermeiden, ohne sie von den gesamten Vorschriften des Gesetzes zu befreien.

Wo es sich um wirkliche Selbstversorgungsarbeit handelt, kommen die künftigen Schutzbestimmungen nicht in Anwendung, da Selbstversorgungsarbeit nicht Heimarbeit im engern wirtschaftlichen Sinne des Wortes ist, wenn schon sie im eigenen Heim ausgeführt wird. Der Selbstversorger arbeitet

216 in der Eegei für den eigenen Haushalt. Er steht zu keinem Arbeitgeber in Beziehung, und es liegt somit kein Heimarbeitsauftrag vor. Fertigt er darüber hinaus die gleichen Waren für Nachbarn oder andere Kunden an, welche letzte Verbraucher sind, so steht er zu ihnen im gleichen Verhältnis wie ein selbständiger Handwerker zu seinem Auftraggeber. Erhalten solche Personen von einem, heimarbeitvergebenden Unternehmen als Arbeiter im Lohn bestimmte Aufträge, so werden sie allerdings zu Heimarbeitern im Sinne des Gesetzes, und in diesem Fall kämen die Heimarbeitsvorschriften zur Anwendung.

7. In letzter Zeit wird mit vermehrter Intensität für den L a b e l - G e d a n k e n geworben. Es handelt sich um ein altes Postulat, das in der Schweiz vornehmlich von der Sozialen Käuferliga vertreten wurde, die am I.Dezember 1934 in Bern ein Label-Sekretariat eröffnete. Schon in unserer Botschaft betreffend die Erneuerung des Bundesbeschlusses über Warenhäuser und Filialgeschäfte, vom 3. September 1937, haben wir diese Angelegenheit erwähnt und ausgeführt (Bundesbl. 1937, Bd. II, S. 765), dass das Label ein Abzeichen ist, welches nach den Absichten seiner Befürworter diejenigen Produzentenfirmen auf Waren guter Qualität anbringen dürfen, welche in ihren Betrieben gewisse soziale Mindestforderungen verwirklichen. Zu diesen Mindestforderungen gehören in erster Linie die - angemessenen Löhne. Der Konsument soll dazu erzogen werden, den mit dem Label versehenen Waren den Vorzug zu geben und dadurch einen Druck auf den Produzenten auszuüben. Der Landesring der U n a b h ä n g i g e n , der sich dieser Forderung angeschlossen hat und dem eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement einen Vorschlag für die Einführung eines «Treue-Hand-Systems» unterbreitete, geht darauf aus, die Befugnis zur Anbringung des'Abzeichens auch an Detailhandelsfirmen zu verleihen.

In der Öffentlichkeit wurde gelegentlich schon die Meinung vertreten, die vorgesehenen gesetzlichen Vorschriften zum Schutze der Heimarbeiter könnten durch die Verbreitung des Label-Systems überflüssig gemacht werden, weshalb wir uns veranlasst sehen, uns hier damit zu befassen. Die Einführung eines schweizerischen Labels kann unseres Erachtens die gesetzlichen Schutzbestimmungen für Heimarbeiter nicht ersetzen. Unsere Wirtschaft ist mit derjenigen des Auslandes
so eng verflochten und die Handelsverhältnisse sind daher so kompliziert, dass eine allgemeine Einführung des Labels und eine umfassende Auswirkung für die Heimarbeiter nicht zu erwarten ist. Der in der Hauptsache für den Export produzierende Unternehmer wird sich kaum der Mühe unterziehen, ein im Ausland nicht bekanntes und nicht anerkanntes Garantiezeichen auf den Waren anzubringen, und damit wäre bereits die für den Export arbeitende Heimarbeiterschaft von den günstigen Bückwirkungen des Labels ausgeschlossen. Detailhandelsgeschäfte, welche Waren verschiedener, auch ausländischer Provenienz führen, werden in vielen Fällen das Label nicht schätzen, das gewisse Waren besonders qualifiziert und dadurch andere vorhandene Waren disqualifiziert. Sie werden also die Anbringung des Garantiezeichens nicht wünschen. Ob die Käuferschaft in der Weise erzogen werden kann, dass sie den Labelwaren unter allen Umständen den Vorzug gibt und auf die An-

217 Schaffung von Gegenständen, die das Zeichen nicht tragen, verzichtet? Wir möchten dies bezweifeln. Wohl wird eine Elite sich im Kauf durch soziale Gesichtspunkte leiten lassen. Im allgemeinen wird aber das ökonomische Interesse des Käufers, der sich ohne Bücksicht auf soziale Forderungen das verschaffen will, was ihm entsprechend seinen Anschauungen nach Art und Qualität am besten zusagt und im Verhältnis zum Preis den grössten Nutzen bringt, obsiegen. Es sind somit Zweifel berechtigt, ob das Label sich durchsetzen kann und in solchem Umfange zur Anwendung kommt, dass es die Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit umfassend bessert. Die Aufnahme des Erfordernisses einer guten Qualität neben den sozialen Anforderungen an die Produktion dürfte die Einführung noch erschwert haben. Die Soziale Käuferliga selbst, die das Label-Wesen wohl am einlässlichsten geprüft hat und die Schwierigkeiten, die seiner Verbreitung entgegenstehen, am besten kennt, hat sich, wie schon oben ausgeführt, unzweideutig für den seit Jahren von ihr gewünschten gesetzlichen Heimarbeiterschlitz ausgesprochen.

Es darf also gesagt werden, dass die beigebrachten Gründe gegen den Erlass der Heimarbeiterschutzbestimmungen zum Teil unbegründet sind und dass ihnen zum andern Teil durch zweckmässige Ausgestaltung der Vorschriften und des Vollzuges Rechnung getragen werden kann.

VI.

Torschläge des Bundesrats.

Nachprüfung der verschiedenen Berichte und Eingaben und nach Kenntnisnahme der vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement eingeholten Vernehmlassungen der Kantone und Verbände kommen wir zu folgenden Schlussfolgerungen und Vorschlägen: 1. Bundesvorschriften zum Schutze der Heimarbeiter sind notwendig, und zwar müssen einige allgemeine Bestimmungen über die Form der' Heimarbeitsausgabe, der Lohnauszahlung usw. trotz gewisser Bedenken auf alle Heimarbeit zur Anwendung kommen. Auf solche allgemeine Schutzbestimmungen kann nicht verzichtet werden, einerseits,-weil den Heimarbeitern ein Eückhalt geboten werden muss und andererseits weil stets Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, wenn solche Vorschriften nur auf die Arbeit eines in einem Sondererlass umschriebenen Erwerbszweiges angewendet werden sollen. Es müsste zu Ungerechtigkeiten und unnötigen Komplikationen führen, wenn in einem Erwerbszweig, wo zufällig Missstände auffallen und durch Sondermassnahmen bekämpft werden, die allgemeinen formellen Vorschriften wie Meldepflicht, Listenführung und Lohnbelege in Kraft gesetzt und in einem nahe verwandten, vielleicht von der gleichen Firma ebenfalls gepflegten andern Heimarbeitsgebiet derartige Vorschriften nicht vorhanden

218 wären. Auch für die vollziehenden und kontrollierenden Behörden wäre es schwierig, wenn sie gezwungen würden, gegen Misstände und Unordnung bei der Heimarbeitsausgabe in einzelnen Zweigen einzugreifen, während sie den genau gleichen Ausständen in benachbarten Firmen oder benachbarten Heimarbeitergruppen machtlos gegenüber stünden, nur weil der Lohndruck nicht stark genug war, um den Erlass besonderer Schutzbestimmungen zu rechtfertigen.

2. Lohnregelungen durch den Bundesrat sollen ·-- schon der Vorentwurf ging von diesem Standpunkt aus --- nur von Fall zu Fall für einzelne Industrien oder Arbeitergruppen getroffen werden, und zwar nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass ohne einen derartigen Eingriff aussergewöhnlich niedrige Löhne bezahlt werden, und wenn die Voraussetzungen nicht gegeben sind, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus eigener Kraft in gemeinsamen Vereinbarungen das Lohnniveau ordnen können.

3. Die Vorschriften sind so auszugestalten, dass sich die Kontrolle ihrer Anwendung weitgehend bei den Arbeitgebern vollziehen lässt und das Eindringen in die private Häuslichkeit der Heimarbeiter nur dann erfolgen muss, wenn Erhebungen beim Arbeitgeber den Verdacht erweckt haben, dass die Vorschriften nicht innegehalten werden. Stichprobeweise kann natürlich auch ohne solchen Verdacht die Kontrolle auf die Heimarbeiterschaft ausgedehnt werden. Bestimmungen, die zu ihrem korrekten Vollzug die Inspektion im Heim eines jeden Heimarbeiters zur Voraussetzung haben, sind dagegen wegzulassen, da in den wenigsten Kantonen die Organe der Gewerbeinspektion einer derartigen Aufgabe gewachsen wären und auch die eidgenössischen Fabrikinspektorate, denen im Eahmen der Oberaufsicht des Bundes Kontroll-.

funktionen zugedacht sind, weiter ausgebaut werden müssten. Die Misstände in der heutigen schweizerischen Heimarbeit liegen nicht vorab auf dem Gebiete des Wohnungswesens und der übertriebenen Arbeitsbelastung von Frauen und Kindern, sondern auf dem Gebiete des Lohnwesens. Die Wohnverhältnisse der schweizerischen Bevölkerung sind an sich nicht schlecht; das hat seine · günstigen Bückwirkungen auf die Arbeitsräume der Heimarbeiter.

Es fehlte nicht an Stimmen, welche weiter gehen wollten und zur Aufstellung besonderer Bestimmungen für den Schutz der Heimarbeiter und der in ihrem Dienst beschäftigten Personen
gegen Gefährdungen rieten. Das hätte zur Folge, dass das Gesetz nur durchgeführt werden könnte, wenn ständige Kontrollen in den Arbeitsräumen der Heimarbeiter stattfinden. So weit zu gehen, ist im allgemeinen weder in den Verhältnissen begründet, noch erheischt es der gegenwärtige Stand der Gesetzgebung. Es darf der kantonalen und kommunalen bau- und gesundheitspolizeilichen Gesetzgebung überantwortet werden, dass ein Einschreiten überall da erfolge, wo die baulichen und hygienischen Verhältnisse in den Arbeitsräumen der Heimarbeiter offensichtlich unbefriedigend sind. Soweit der Heimarbeiter Hilfskräfte beschäftigt, tritt die einschlägige Arbeiterschutzgesetzgebung des Bundes und der Kantone hinzu.

219

Auch im Ausland wird der Lohnschutz durchweg als das .Kernproblem des Heimarbeiterschutzes bezeichnet. Indirekt kann er die übrigen Arbeitsverhältnisse beeinflussen. Auf seine Einführung soll für einmal alle Sorgfalt verwendet -werden. Das sohliesst nicht aus, dass in späteren Jahren ein eigentlicher Betriebs- und Gesundheitsschutz auch für die Heimarbeit in Angriff genommen wird.

Die Folge dieses allgemeinen Standpunktes ist die, dass Vorschriften über die Hygiene der Arbeitsräume, über die Zulassung von Kindern und Frauen zur Mitarbeit in diesen Bäumen, dann über die Arbeitszeit und das Verbot von Nachtarbeit sowie über andere Arbeiterschutzmassnahmen, die nur in der Wohnung der Heimarbeiter selbst kontrolliert werden können, nicht in den vorliegenden Entwurf aufgenommen werden. Zum Schutze der Gesundheit der Heimarbeiter und der Verbraucher von Heiniarbeitswaren sowie zur Verhütung von Feuersgefahr und sittlichen Schädigungen soll eine Befugnis des Bundesrates dienen, der zu den genannten Zwecken die Ausführung gewisser Verrichtungen in Heimarbeit verbieten darf. Die auf Grund einer solchen Kompetenzerteilung erlassenen Verbote können ebenfalls am Ausgabeort der Heimarbeit kontrolliert werden, denn es wird ja für alle arbeitgebenden Firmen und Personen eine Meldepflicht vorgesehen.

Auf die Arbeitszeit, deren Kontrolle beim Heimarbeiter nahezu unmöglich ist, soll indirekt Einfluss genommen werden durch Vorschriften über den Zeitpunkt der Arbeitsausgabe und die Lieferfristen. Die Beschäftigung von Kindern in der Heimarbeit kann in dem Sinne geregelt werden, dass Heimarbeit an Jugendliche unter 15 Jahren nicht abgegeben werden darf. , Über den Beizug von Kindern als Arbeitnehmer durch die Heimarbeiter legiferiert das Mindestaltergesetz vorn 24. Juni 1938 1).

4. Entsprechend den in mehreren Eingaben geäusserten Wünschen sollen die Bundesvorschriften G e s e t z e s f o r m erhalten.

Ein Erlass in Gesetzesform ist einfacher zu gestalten als ein dringlicher Bundesbeschluss, bei dem zweckmässigerweise das Parlament über Einzelheiten des Vollzuges mitbestimmt. In der Vollziehungsverordnung zum Gesetz können unter Berücksichtigung der eingegangenen Vernehrnlassungen einzelne Punkte wieder aufgenommen werden, die der Vorentwurf des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes enthielt und die beim
Gesetz wegfallen. Es ist übrigens beabsichtigt, für die Ausarbeitung der Vollzugs- und Ausführungs!) Die Heimarbeit ist dem Gesetz unterstellt, doch werden nur diejenigen HeimaAeitsbetriebe eriasst, in denen fremde Hilfskräfte zugezogen werden. Familienangehörige des Betriebsinhabers sind in der Heimarbeit wie in den andern unterstellten Betrieben von der Mindestaltervorschrift ausgenommen. Fremde Kinder unter'15 Jahren können grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Vom 13. Altersjahr an sind sie jedoch zu Botengängen (z. B. zum Abholen und Zurückbringen von Heimarbeitsaufträgen) und vom 14. Altersjahr an in Zeiten eines über das übliche Ferienmass hinausgehenden Schulunterbruches zu leichten HUfsarbeiten zugelassen.

220 Vorschriften eine Expertenkommission zu bilden, damit alle Gewähr geschaffen wird, dass diese praktisch wichtigen Vorschriften mit den realen Gegebenheiten und Bedürfnissen im Einklang stehen.

5. Im Sinne dieser Ausführungen unterbreiten wir nachstehend den Entwurf eines Bundesgesetzes über den Heimarbeiterschutz. Erlangt er Gesetzeskraft, so wäre unser Land in der Lage, dem Internationalen Übereinkommen über die Einrichtung von V e r f a h r e n zur Pestsetzung von Mindestlöhnen vom Jahre 1928 (vgl. S. 237) beizutreten. Diesen- Schritt möchten wir empfehlen. Wir sind überzeugt, dass er nicht nur von unserer Bevölkerung, sondern auch in den Kreisen der internationalen Arbeitsorganisation mit Genugtuung aufgenommen wird.

Bis 1. Mai 1938 haben folgende 22 Staaten das Übereinkommen ratifiziert ^ : Deutschland, Grossbritannien, Spanien, China, Irland, Italien, Frankreich, Australien, Ungarn, Südafrikanische Union, Chile, Uruguay, Holland, Norwegen, Nicaragua, Mexiko, Cuba, Columbien, Ganada, Bulgarien, Belgien, Neuseeland.

VII.

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzesentwurfes.

Zu Art. 1.

Hier wird zum Ausdruck gebracht, dass das Gesetz nur dann zur Anwendung gelangt, wenn die in Heimarbeit ausgeführten Arbeiten ihrer Natur nach gewerblicher oder industrieller Natur sind. Heimarbeit, die eher kaufmännischen Charakter besitzt -- so z. B. Schreibarbeiten, Buchhaltungs- und Übersetzungsarbeiten ---, wird von diesem Gesetze nicht erfasst.

Zu Art. 2.

Das Gesetz wendet sich an die Heimarbeiter als an diejenigen, welche die in Frage stehenden Arbeiten ausführen, ferner an die Arbeitgeber, für welche die Arbeiten bestimmt sind, und an die Fergger, die zwischen diesen beiden vermitteln.

Heimarbeiter, die unter das Gesetz fallen, sind in erster Linie, der Tradition entsprechend, Leute, die in ihrer eigenen Häuslichkeit im Lohn für einen Unternehmer Arbeiten ausführen. Im Sinne des Gesetzes kann Heimarbeiter aber auch jemand sein, der fremde Arbeitskräfte beschäftigt oder der in einem selbstgewählten besondern Arbeitsraum tätig ist. Im weitern kann es vorkommen, dass im nämlichen Baum mehrere Heimarbeiter, jeder für sich oder eine Gemeinschaft bildend, tätig sind (Werkstättengemeinschaft).

Ausschlaggebend ist, dass der Heimarbeiter, wennschon nicht in den eigenen l

) Aufgezählt in der Eeihe dei1 zeitlichen Aufeinanderfolge der Ratifikationen.

221 Arbeitsräumen des Arbeitgebers tätig, doch wirtschaftlich von diesem oder vom Fergger abhängig ist und unter Bedingungen arbeitet, die ihn nicht, als Unternehmer erscheinen lassen.

Arbeitgeber kann eine industrielle, gewerbliche oder Handelsunternehmung, eine Verwaltung oder gemeinnützige Institution sein. Natürlich ist aber eine Privatperson, die für eigenen persönlichen Bedarf eine Arbeit in Heimarbeit ausführen lässt, nicht als Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes aufzufassen.

Als Fergger (Zwischenmeister) im Sinne des Gesetzes kommt nur in Betracht, wer die Vermittlung selbständig, also nicht als Angestellter, betreibt.

Für den Fergger sind im Gesetz keine Sonderbestirnmungen aufgestellt. Solche kommen jedoch in Frage bei den Lohnfestsetzungen gemäss Art. 13, Abs. 2.

Er ist, je nachdem sein Verhältnis zürn Arbeitgeber oder dasjenige zum Heimarbeiter in Betracht kommt, als Heimarbeiter oder als Arbeitgeber zu behandeln.

Unmassgeblich ist, ob man es bei denjenigen, die Heimarbeit verrichten und vergeben, mit natürlichen oder juristischen Personen, mit Stellen privaten oder öffentlichen Charakters zu tun hat. Da das Gesetz im wesentlichen Lohnbestimmuhgen bringt und auf diesem Gebiete ganz besonders darauf zu achten ist, dass nicht einzelne Arbeitgeber oder ihre Heimarbeiter ungerechtfertigt benachteiligt werden, ist die grundsätzliche Anwendung des Gesetzes auch auf öffentliche Verwaltungen und gemeinnützige Organisationen gegeben. In Art. 19, Abs. 2, ist aber vorgesehen, dass der Bundesrat, soweit die Sachlage es zwingend erfordert, Abweichungen von den Vorschriften des Gesetzes gestatten kann.

Den Vorschriften dieses Gesetzes sollen als «Arbeitgeber» oder als «Heimarbeiter» auch Personen unterstellt werden, auf deren Betrieb als Fabrik oder als Gewerbebetrieb Arbeiterschutzbestimmungen des Bundes und der Kantone in Anwendung kommen, dann nämlich, wenn durch die Beschäftigung nicht zur Familie gehöriger Arbeitnehmer oder aus andern Gründen ! die Voraussetzungen für die Unterstellung unter solche Vorschriften gegeben sind. Eine Kollision der beiden Regelungen wird aber nicht eintreten, da das vorliegende Gesetz ausschliesslich die bisher nicht besonders geordneten Beziehungen zwischen getrennten Betrieben, dem des Arbeitgebers, des Ferggers oder des Heimarbeiters, betrifft. Es schreibt vor,
unter welchen Voraussetzungen, zu welchen Zeiten und zu welchen Bedingungen Heimarbeit von einem zum andern vergeben werden kann. Die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses im Innern eines solchen Betriebes, also die Beziehungen zwischen einem Betriebsinhaber und einem im Dienstvertrag, bei ihm stehenden Betriebsarbeiter sowie die technischbauliche Ausgestaltung des Betriebes selbst werden nicht berührt, auch wenn der Betriebsinhaber nach der obigen Definition als Arbeitgeber oder als Heimarbeiter im Sinne dieses Gesetzes anzusprechen ist (vgl. im übrigen die Erläuterungen zu Art. 10 und 15). Durch Art. 11 wird der Vorbehalt der bestehenden Arbeiterschutzbestimmungen noch besonders ausgesprochen.

222 Zu Art. 3.

Ein förmliches Unterstellungsverfahren für jeden Einzelfall ist absichtlich nicht vorgesehen, da es sich hier zum grossen Teil um einfache und kleine Verhältnisse handelt und die in Art. 16 vorgesehenen Eegister den Behörden ermöglichen, sich über die dem Gesetz unterstellten Arbeitgeber, Eergger und Heimarbeiter fortlaufend zu orientieren. Die Unterstellungsfrage soll die Behörden nur im Streitfall beschäftigen. Ein Weiterzug an die Bundesbehörde ist vorgesehen, damit die Möglichkeit besteht, einheitliche Unterstellungsgrundsätze zur Geltung zu bringen. Indessen soll das zuständige Departement endgültig entscheiden können. Der Bundesrat oder das Bundesgericht sind mit diesen in der Eegel doch wenig belangreichen Unterstellungssachen nicht zu behelligen.

Zu Art. 4.

Das Gesetz regelt nicht etwa die im Verhältnis Arbeitgeber-Fergger-Heimarbeiter bestehenden zivilrechtlichen Beziehungen in ihrer Gesamtheit; sein Zweck ist namentlich nicht die Aufstellung und Umschreibung der im Obligationenrecht fehlenden besondern Vertragsfigur des Heimarbeitsvertrages. Nur bestimmte wichtige Elemente dieses Vertrages Sollen durch das neue Gesetz geordnet werden. Diese Ordnung, soweit sie mit Bestimmungen des Obligationenrechts im Widerspruch steht, geht diesem für das Heimarbeitsverhältnis vor. Im übrigen aber behalten die Bestimmungen des Obligationenrechts, namentlich diejenigen über den Dienstvertrag und den Werkvertrag, ihre Gültigkeit.

Zu Art. 5.

Es ist von grundlegender Bedeutung, dass der Heimarbeiter, der häufig eine geschäftsungewohnte und für seinen Unterhalt auf die Annahme von Heimarbeit angewiesene Person ist, über die Bedingungen, unter denen er die Heimarbeit auszuführen hat, bei Übernahme der Arbeit in allen Einzelheiten orientiert wird. Er soll vor Übervorteilungen geschützt werden. Das will man durch Art. 5 erreichen.

Es ist vorauszusehen, dass gestützt auf Art. 19, Abs. 2, für Art. 5 nähere Ausführungsbestimmungen zu erlassen sind.

Zu Art. 6.

Dieser Artikel soll verhindern, dass Kinder unter 15 Jahren selbst als Heimarbeiter auftreten, sei es direkt, sei es, dass ein Dritter, z. B. ihr Vater, die Arbeit vom Arbeitgeber pro forma übernimmt, sie dann aber tatsächlich ganz oder zum grössten Teil durch solche Kinder selbständig ausführen lässt.

Wie im Bundesgesetz vom 24. Juni
1938 über das Mindestalter der Arbeitnehmer das 15. Altersjahr als allgemeine Voraussetzung für den Eintritt des Jugendlichen als Arbeitnehmer ins Berufsleben aufgestellt wurde, soll diese Altersgrenze auch durch den Heimarbeiter im Sinne von Art. 2 des Gesetzes ererreicht sein (vgl. hiezu auch die Ausführungen in der Botschaft, Abschnitt VI, 3).

223 Zu Art. 7.

Die Ausgabe und Abnahme von Heimarbeit erfolgt iii verschiedenen Erwerbszweigen weitgehend unter Zuhilf enahme der Post und des Bahntransportes.

Hier ist durch den Post- und den Bahndienst die zeitliche Lage der Ausgabe und Abnahme automatisch in geordnete Bahnen gelenkt. Soweit der Heimarbeiter die Arbeit aber selbst oder durch einen Boten abholt und bringt, sind zeitliche Begrenzungen der Arbeitsausgabe geboten. Solche werden in Abs. l von Art. 7 aufgestellt. Die Ausgabe und Abnahme von Heimarbeit an Sonn- und Feiertagen wird verboten. Soweit, z. B. für Berggegenden, es sich gestützt auf die örtlichen Verhältnisse aufdrängt, eine Ausnahme zuzulassen, sollen die Kantonsregierungen hiezu befugt sein.

Durch Abs. 2 soll den kurzen Lieferfristen, die oft die Heimarbeiter zu überstürztem und unmässig langem Arbeiten zwingen, entgegengewirkt werden.

Dem Heimarbeiter kann zwar nicht wie dem Betriebsarbeiter die Grenze seiner Arbeitszeit vorgeschrieben werden. Häufig wird Heimarbeit neben anderer Arbeit im Haushalt, in Garten und Feld verrichtet, so dass der Heimarbeiter seine Arbeitsstunden frei muss wählen können. Das einzige, was bei dem vorgesehenen Aufbau der gesetzlichen Bestimmungen verhindert werden kann, sind allzu kurze Lieferfristen, die den Heimarbeiter zwingen, Nacht und Sonntag unter allen Umständen zu Hilfe zu nehmen.

Zu Art. 8.

Befasst sich Art. 7 mit dem einen Hauptpunkt des Heimarbeitsverhältnisses, der Übernahme der Arbeit, so Art. 8 und 9 mit dem andern Hauptpunkt, der finanziellen Auseinandersetzung zwischen Heimarbeiter und Arbeitgeber. Der Grundsatz, dass der Lohn bei Ablieferung der Ware fällig ist, ist an die Spitze gestellt; indessen wird auf ständig fortdauernde Heimarbeitsverhältnisse Eücksicht genommen. Dauert ein Heimarbeitsauftrag längere Zeit bis zu seiner Fertigstellung, so sind dem Heimarbeiter alle 14 Tage der geleisteten Arbeit entsprechende Abschlagszahlungen auf dem Lohn zu gewähren.

Speziell sei auf den zweiten Satz von Abs. 3 hingewiesen, der das Trucksystem im Heimarbeitsverhältnis verhindern soll.

In Abs. 5 wird festgelegt, dass Heimarbeitern im Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren der nämliche Schutz zukommen soll, wie ihn der gewöhnliche Arbeitnehmer geniesst.

Zu Art. 9.

Hier sind weitere Lohnschutzbestimmungen zusammengefasst. Sie
sind, wie diejenigen des Art. 8, massvoll gehalten und sollten für den reellen Arbeitgeber keine Belastung darstellen.

Zu Art. 10.

Der Hauptakzent des Gesetzes liegt, wie die Botschaft Seite 209 andeutet, in seinen Lohnbestinumingen. So wenig erfreulich gelegentlich auch die Arbeits-

224 Verhältnisse der Heimarbeiter und ihrer Hilfskräfte in hygienischer Hinsicht sind, muss sich der Bundesgesetzgeber doch Beschränkung auferlegen und es für einmal dabei bewendet sein lassen, dieser Berufskategorie in ihren wirtschaftlichen Beziehungen zum Arbeitgeber zu Hilfe zu kommen.

Wir haben uns deswegen begnügt, in Art. 10 bezüglich Arbeitshygiene und Unfallverhütung lediglich gewisse Möglichkeiten des Eingreifens in besonderen Fällen vorzusehen. Es wird sich zeigen, ob und in welchem Umfange von den hier vorgesehenen Kompetenzen Gebrauch gemacht werden muss; dies soll nur geschehen, wenn besondere Missstände offen zutage hegen. Auch ist beabsichtigt, die allfälligeh Massnahmen so zu gestalten, dass ihr Vollzug bei der Heimarbeitsausgabe erledigt werden kann.

Zu Art. 11.

Auf die vom Heimarbeiter beschäftigten Personen (Familienangehörige und Drittpersonen) 'sind die sich mit dem Arbeitsverhältnis befassenden Bestimmungen des Zivilrechts, ferner die Arbeiterschutzgesetzgebung des Bundes und der Kantone, soweit eine solche besteht, anwendbar. Die Bestimmung wurde vorsorglich aufgenommen, um zu verhindern, dass hierüber ein Irrtum entstehe.

Zu Art. 12.

Vom Gedanken ausgehend, dass tunlichst die Beteiligten selbst zur Behandlung der Probleme der Heimarbeit herangezogen werden sollen, wurde in Art. 12 die Schaffung von paritätisch zusammengesetzten Fachkommissionen vorgesehen. Es ist nicht möglich, Zahl und Grosse dieser Kommissionen schon im Gesetze zu bestimmen. Erst bei Anhandnahme des Vollzuges des Gesetzes und im Verlaufe seiner Durchführung wird es sich zeigen, für welche Erwerbszweige sich die Bestellung solcher Kommissionen empfiehlt, und ihre Grosse wird wesentlich von der Bedeutung des betreffenden Erwerbszweiges abhängen.

Selbstverständlich sollen in den Kommissionen auch die am Erwerbszweig hauptsächlich interessierten Kantone vertreten sein. Hinsichtlich der wichtigen Funktion, welche den Kommissionen in bezug auf amtliche Lohnfestsetzungen zukommen soll, sei auf Art. 13 hingewiesen. Im übrigen sollen diese .Kommissionen im Eahmen der gesetzlichen Zuständigkeiten zu Aufgaben herangezogen werden, die sich aus dem Vollzug des Gesetzes heraus entwickeln.

Soweit für das betreffende Sachgebiet Berufsverbände bestehen, soll, ihnen für die Bezeichnung der Arbeitgeber- und
Heimarbeitervertreter in den Fachkommissionen ein Vorschlagsrecht eingeräumt werden, wie überhaupt die beruflichen Organisationen bei der Durchführung des Gesetzesvollzuges und vor sonstigen wichtigen Anordnungenfangehört werden sollen. Dies im Gesetzestext ausdrücklich zu erwähnen, ist nicht notwendig, da derartige Bestimmungen ihren Platz in der Vollziehungsverordnung finden können.

Zu Art. 13.

Diese Bestimmung ermöglicht es dem Bundesrat, zu Lohnfestsetzungen zu schreiten. Er kann dies aber nicht allgemein und nicht nach freiem Er-

225 messen tun, vielmehr müssen materielle und formelle Voraussetzungen erfüllt sein. Die ersteren sind darin zu sehen, dass Heimarbeitslöhne bestehen, die ausserordentlich niedrig sind, und keine Aussichten dafür vorhanden .sind, dass die Berufsorganisationen des betreffenden Erwerbszweiges selbst Eemedur zu schaffen vermögen. Auch darf die Regelung den wirtschaftlichen Gesamtinteressen nicht entgegenstehen. Die formelle Voraussetzung besteht in der Anhörung der für den einschlägigen Erwerbszweig zuständigen Fachkommission.

.Damit wird zum vornherein dafür Gewähr geschaffen, dass amtliche Festsetzungen der Lohnhöhe nur in enger Zusammenarbeit mit den Interessenten erfolgen. Geschieht die Lohnfestsetzung auf dem Wege der Allgemeinverbindlicherklärung von tariflichen Abmachungen, so ist als weitere Voraussetzung die Begutachtung durch unabhängige Sachverständige vorgesehen. Da nur ein geringer Teil der Heimarbeiter in Berufsverbändeii organisiert ist, wird allerdings das Institut der Allgemeinverbindlicherklärung voraussichtlich zurzeit auf diesem Gebiete keine wichtige Eolle spielen.

Die amtliche Normierung der finanziellen Leistungen des Arbeitgebers ist als ausserordentliche Schutzmassnahme zugunsten von unter niedrigen Löhnen leidenden Heimarbeitern aufzufassen und stellt keine Verdrängung des nach wie vor an erster Stelle stehenden Grundsatzes dar, dass die Arbeitsbedingungen von den Parteien selbst festgelegt werden sollen. Wo die Voraussetzung der aussergewöhnlichen Niedrigkeit der Löhne fehlt, wird der öffentlichrechtliche Lohnschutz nicht Platz greifen. Es liegt hier nicht eine willkürliche Einschränkung der Vertragsfreiheit oder der verfassungsmässig garantierten Handels- und Gewerbefreiheit vor; vielmehr handelt es sich um Vorkehrungen polizeilicher Natur zur Beseitigung krasser Missstände.

Der Abs. 2 bringt entsprechende Befugnisse für das Entgelt des Ferggers und für finanzielle Nebenleistungen.

In Abs. 4 kommt der Grundsatz zum Ausdruck, dass unter die Lohnfestsetzungen im Sinne von Abs. l und 2 nicht herabgegangen werden darf.

Die Eegelung entspricht der im Obligationenrecht, Art. 323, für den Gesamtarbeitsvertrag getroffenen.

Abs. 5 ergänzt und vervollständigt das Lohnfestsetzungsverfahren durch Einführung der Friedenspflicht. Wenn der Staat für die Ordnung der Löhne in Anspruch
genommen wird, soll die Öffentlichkeit Gewähr dafür bekommen, dass die Nächstbeteiligten dieser aussergewöhnlichen Beanspruchung der Staatsgewalt Eechnung tragen, indem sie sich aller kollektiven Kampfmassnahmen, wie Streik und Aussperrung, enthalten.

Zu Ari. U.

Die Grenzen zwischen dem1 eigentlichen Heimarbeiter und dem Inhaber eines Klein- bzw. Familienbetriebes sind fliessend. Es kann Kleinbetriebe geben, die den Schutz, den dieses Gesetz gewährt, gegenüber ihrem Auftraggeber ebenso nötig haben wie die Heimarbeitsbetriebe, wie anderseits gerade diese Kleinbetriebe zu Preisunterbietungen schreiten können. Auch ist voraus-

226 zusehen, dass gewisse Heimarbeiter, um sich dem Gesetz und der Ordnung, die es bringt, zu entziehen, nach Möglichkeit als Kleinbetriebe behandelt werden wollen und entsprechende Vorkehrungen treffen. All dem Eechnung tragend, wurde in Art. 14 vorgesehen, dass die Lohnfestsetzungen und einzelne zu ihrer Kontrolle nötigen Bestimmungen des Gesetzes auch auf andere Arbeitsverhältnisse und Betriebe innerhalb des gleichen Erwerbszweiges ausgedehnt werden können. Die für den betreffenden Erwerbszweig bestehenden Fachkommissionen sowie allenfalls vorhandene Verbände sind vorher anzuhören.

Zu Art. 15.

Wie die Heimarbeiter selbst, so sind auch die von diesen da und dort beschäftigten Hilfskräfte in bezug auf ihre Lohnverhältnisse häufig schutz.bedürftig. Es liegt auf der Hand, dass, wo die Heimarbeiter nur eine bescheidene Entlöhnung erlangen können, die von ihnen angestellten Personen erst recht sich mit einem kargen Entgelt zufrieden geben müssen. Das nämliche trifft auch für etwaiges Personal von Betrieben zu, auf welche Art. 14 zur Anwendung gelangt. Der Art. 15 sieht nun vor, dass der Bundesrat sich auch der Lohnverhältnisse der Hilfskräfte beider Kategorien annehmen kann, sei es, dass er Lolmfestsetzungen vornimmt, sei es, dass er die Art. 8 und 9 auf deren Arbeitsverhältnis anwendbar erklärt. Letzteres wird nur geschehen, soweit nicht entsprechende Schutzbestimmimgen ohnehin auf Grund der einschlägigen Bundes- und kantonalen Gesetzgebung zur Anwendung gelangen.

Zu Art. 16.

Über Arbeitgeberregister und Heimarbeiterverzeichnisse haben wir uns schon beim Art. 3 geäussert. Der Bundesrat wird in seinen Ausführungsbestimmungen nähere Weisungen über die Anlage und Führung dieser Eegister zu geben haben.

Es hat selbstverständlich die Meinung, dass das Heimarbeiterverzeichnis den Aufsichtsorganen zur Einsicht bereitzuhalten ist und dass die Kantone einander im Bedarfsfalle Auskünfte über die Eintragungen in dem von ihnen angelegten Arbeitgeberregister geben.

Zu Art. 17.

Diese Bestimmung ist grundlegend für den Vollzug des Gesetzes; sie soll den amtlichen Organen ermöglichen, an Ort und Stelle die erforderlichen Erhebungen durchzuführen. Dass mit dem nötigen Takt und ohne Störung des Betriebes vorgegangen werden muss, ist selbstverständlich. Auch ist anzunehmen, dass die Inspektion am Domizil der
Heimarbeiter nur in Ausnahmefällen stattfinden muss (vgl. Botschaft, Abschnitt VI, 3).

Als Amtspersonen können je nach Umständen auch nicht voll Beamtete wirken, so der Vorsitzende, ein Mitglied oder ein Beauftragter der in Art. 12 vorgesehenen Fachkommissionen oder ein von der Bundesbehörde oder vom Kanton bezeichneter Sachverständiger. Selbstverständlich haben sich diese Personen über ihren amtlichen Auftrag erforderlichenfalls auszuweisen.

227 Zu Art,. 18.

Der Vollzug soll grundsätzlich den Kantonen obliegen. Diese verfügen, unter Heranziehung der Gemeinde- und Bezirksbehörden, über den erforderlichen Vollzugsapparat. Sie stehen den Verhältnissen und Traditionen nahe und sind am ehesten in der Lage, Entscheidungen und Massnahmen zu treffen, die der Sachlage entsprechen. Auf eine einheitliche Gesetzesanwendung wird die in Art. 19 vorgesehene Oberaufsicht der Bundesbehörden hinzuwirken haben.

Die Kantone sind in der Organisation des Vollzuges frei, wobei allerdings vorausgesetzt wird, dass die Bundesbehörden über diese Organisation stets auf dem laufenden gehalten bleiben. Es ist denkbar, dass die Kantone zur Erfüllung gewisser Vollzugsaufgaben Kommissionen, Experten, Verbände und gemeinnützige Institutionen heranziehen.

Zu Art. 19.

Zur Ausübung der dem Bunde vorbehaltenen Oberaufsicht sind die eidgenössischen Fabrikinspektorate mitheranzuziehen. Diese sind schon bis anhin häufig mit der Heimarbeit in Berührung gelangt, ist doch der Arbeitgeber in vielen Fällen ein Eabrikbetrieb und kommt es ausnahmsweise sogar vor, dass ein Heimarbeitsbetrieb dem Eabrikgesetz unterstellt ist. Es ist gegeben, dass die Bundesbehörde im Eahmen ihres Oberaufsichtsrechts, wo es nötig ist, die sachkundigen Fabrikinspektorate mit Kontrollen und sonstigen Sonderaufgaben betraut.

In Abs. 2 des Art. 19 erhält der Bundesrat die Möglichkeit, dort Erleichterungen eintreten zu lassen, wo die Umstände es dringend erfordern. Diese Befugnisse, deren Gebrauch nicht leicht sein wird, dürfen selbstverständlich keine willkürlichen Ungleichheiten in den Konkurrenzverhältnissen schaffen, sollen aber eine gewisse Elastizität ermöglichen.

Zu Art. 20.

Dem Heimarbeiter -- wie selbstverständlich auch dem Arbeitgeber und dem Fergger -- muss die Möglichkeit offen stehen, seine Ansprüche vor Gericht, nicht etwa bei der Verwaltung, zur Geltung zu bringen. Das soll nicht hindern, dass die Verwaltung sich mit Beschwerden betreffend die Anwendung des Gesetzes befasst.

Der Eechtsgang soll, ini Interesse beider Parteien, möglichst einfach, rasch und wohlfeil sein. Er ist demjenigen für Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis anzupassen. Abs. 2--3 lehnen sich an die entsprechenden Bestimmungen des Art. 29 des Fabrikgesetzes an.

Zu Art. 21J22.

Die Struktur des Gesetzes, das sich mit seinen Vorschriften in erster Linie an den Arbeitgeber wendet, bedingt, dass die Strafbestimmungen sich zur Hauptsache auch auf diesen beziehen müssen. Bei allen die Arbeitsausgabe betreffenden Zuwiderhandlungen auch den Heimarbeiter strafbar zu erklären, wäre wegen seiner wirtschaftlich schwachen Stellung und seiner grossen,

228 aus dem Überangebot von Arbeitskräften hervorgehenden Abhängigkeit vom Arbeitgeber, die zumeist die Motive für die Annahme widerrechtlicher Arbeitsbedingungen sind, nicht billig. Diese wirtschaftliche Schwäche und Abhängigkeit legen es auch nahe, die Nachzahlung geschuldeter Lohnbeträge nicht ausschliesslich durch die ordentlichen zivilrechtlichen Mittel, die der Heimarbeiter selbst ergreifen muss, herbeizuführen, sondern sie ebenfalls unter Strafandrohung zu stellen. Eine ähnliche Bestimmung ist gestützt auf praktische Erfahrungen häufig in ausländische Heimarbeiterschutzgesetze aufgenommen worden. Eine Bestrafung des Heimarbeiters und unter Umständen des Inhabers von Betrieben im Sinne von Art. 14 sieht das Gesetz nur für die in Art. 22, Abs. 2 und 8, umschriebenen Sonderfälle vor.

Besonders hervorzuheben ist die in Abs. 2 von Art. 21 vorgesehene Nebenstrafe des Verbotes der Ausgabe von Heimarbeit, das gegenüber rückfälligen Arbeitgebern ausgesprochen werden kann.

Keine Bemerkungen.

Zu Art. 23124.

Die nachstehende Vorlage beschränkt sich auf das, was zum Schutze der schweizerischen Heimarbeiter unbedingt nötig ist. Vieles andere wäre wünschenswert. Doch halten wir es für richtiger, die staatlichen Massnahmen auf den im Mittelpunkt des Heimarbeiterschutzes stehenden Lohnschutz zu konzentrieren, damit auch die Kräfte, die von Kantonen und Bund für die Durchführung und die Kontrolle zur Verfügung gestellt werden, ihre Aufmerksamkeit wenigen, klar umschriebenen Vorschriften zuwenden können. Wir hoffen, dass diese Auffassung die Zustimmung der Eäte finde, und beantragen : den beigelegten Entwurf eines Bundesgesetzes über die Heimarbeit zu genehmigen ; uns zur Batifikation des Internationalen Übereinkommens über die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen von 1928 zu ermächtigen.

Wir versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 8. Juli 1938.

Im Namen des Schweiz.. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Baumann.

Der Bundeskanzler: G. Boret.

229 (Entwurf.)

Bundessresetz Ö» 3

über

die Heimarbeit.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, : gestützt auf Art. 34*er und 64 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 8. Juli 1938, beschliesst: Erster Abschnitt.

Geltungsbereich.

Art. 1.

Dieses Gesetz gilt für die in Heimarbeit ausgeführten gewerblichen Unterstellte Verrichund industriellen Verrichtungen.

,.

· tungen.

Art, 2.

Heimarbeiter.

Im Sinne dieses Gesetzes gilt als Arbeitgeber.

Fergger.

a. Heimarbeiter : wer in seiner Wohnung oder einem andern selbstgewählten Arbeitsraum allein oder mit Hilfe von Familienangehörigen oder fremden Hilfskräften im Lohn für einen Arbeitgeber Arbeiten ausführt; &. A r b e i t g e b e r : wer Arbeiten ausserhalb seines Betriebes durch Heimarbeiter ausführen lässt; o. Fergger : wer selbständig Heimarbeit von Arbeitgebern entgegennimmt und sie an Heimarbeiter weiterleitet. Soweit für den Fergger keine besondern Vorschriften bestehen, gilt er gegenüber' dem Arbeitgeber als Heimarbeiter, gegenüber dem Heimarbeiter als Arbeitgeber.

Art. 3.

1 UnterBestehen im Einzelfalle Zweifel über die Anwendung des Gesetzes, stellungsso entscheidet hierüber die Kantonsregierung. Ihr Entscheid kann innert verfahreru dreissig Tagen, von der Eröffnung an gerechnet, an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement weitergezogen werden. Dieses verfügt endgültig.

Bundesblatt.

90. Jahrg.

Bd. II.

17

230 2

Verhältnis zum Obligationenrecht.

Bekanntgabe der Arbeitsund Lohnbedingungen.

Verbot der Übernahme von Heimarbeit durch Kinder.

Zeitliche Begrenzung der Heimarbeitsausgabe.· Lieferfristen.

Auszahlung des Lohnes.

Zur Anrufung des Entscheides der kantonalen Behörde und zur Weiterziehung ist berechtigt, wer am Streit als Partei beteiligt ist oder durch den Entscheid der kantonalen Behörde in seinen Rechten verletzt wurde.

Zweiter Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

Art. 4.

Das Bechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber, dem Fergger und dem Heimarbeiter richtet sich nach dem Obligationenrecht, soweit das vorliegende Gesetz nicht besondere Bestimmungen aufstellt.

Art. 5.

Der Arbeitgeber hat dem Heimarbeiter vorgängig der Ausgabeder Arbeit die Vertrags- und Arbeitsbedingungen bekanntzugeben. Allgemein geltende Lohnansätze und Lieferungsbedingungen sind in dem der Arbeitsausgabe dienenden Baum sichtbar anzuschlagen oder aufzulegen.

2 Dem Heimarbeiter sind die Einzelheiten des Auftrages mit Einschluss der Angaben über die Entlöhnung sowie über die Entschädigung für die vom Heimarbeiter zu beschaffenden Materialien und Zutaten bei jeder Ausgabe von Arbeit schriftlich mitzuteilen.

1

Art. 6.

An Kinder, die das fünfzehnte Altersjahr noch nicht vollendet haben,, darf Heimarbeit nicht zur selbständigen Ausführung vergeben werden..

Art. 7.

Die Ausgabe und Abnahme von Heimarbeit an Sonn- und Feiertagen ist verboten. Die Kantonsregierungen können Ausnahmen gestatten, wenn besondere Verhältnisse vorliegen. An den übrigen Tagen, der Woche darf die Ausgabe und Abnahme von Heimarbeit nicht in die Zeit vor 6 Uhr morgens oder nach 20 Uhr verlegt werden.

2 Der Arbeitgeber hat die Lieferfristen so zu bemessen, dass in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr und am Sonntag nicht gearbeitet werden muss. Ist eine derartige Bemessung der Lieferfristen nicht möglich, so hat der Arbeitgeber dem Heimarbeiter für geleistete Nacht- und Sonntagsarbeit einen Lohnzuschlag von 25% zu gewähren.

3 Der Bundesrat ist befugt, zum Schutze von weiblichen und jugendlichen Personen weitergehende Anordnungen in bezug auf Arbeitsausgabe und Lieferfristen zu treffen.

1

Art. 8.

Der Lohn ist bei Ablieferung der Ware zu entrichten.

2 Wird dem Heimarbeiter fortgesetzt Arbeit übergeben oder dauert, ein einzelner Arbeitsauftrag längere Zeit, so sind Zahltage in regelmässigen.

1

231

Abständen von höchstens vierzehn Tagen anzusetzen. Wenn besondere Verhältnisse es rechtfertigen, kann bei schriftlicher Zustimmung des Heimarbeiters oder seines gesetzlichen Vertreters die Zahltagsperiode ausnahmsweise bis höchstens auf einen Monat verlängert werden.

3 Der Lohn ist in bar, in gesetzlicher Währung und unter Beifügung einer Abrechnung auszuzahlen. Es darf kein offener oder versteckter Zwang auf seine Verwendung ausgeübt werden.

4 Die Abrechnung ist vom Heimarbeiter und im Doppel auch vom Arbeitgeber aufzubewahren.

5 Die Guthaben der Heimarbeiter gegenüber dem Arbeitgeber aus Heimarbeit ,sind gleichgestellt den Lohnguthaben im Sinne von Art. 93 und 219, Abs. 4, I. Klasse, lit. c, des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs.

Art, 9.

Abzüge am Lohn sind nur zulässig für absichtlich oder fahrlässig Lohnabzüge.

verursachten Schaden. Der Grund des Abzuges ist dem Heimarbeiter schriftlich bekanntzugeben.

2 Bin gemäss Art. 159 Obligationenrecht vereinbarter Lohnabzug darf höchstens 10% des beim letzten Zahltag fälligen Lohnes betragen; er darf längstens während vierzehn Tagen zurückbehalten werden.

1

Art. 10.

Der Bundesrat kann die Verrichtungen bezeichnen, die aus gesundheits- und feuerpolizeilichen oder sittlichen Gründen nicht oder nur unter besondern Bedingungen in Heimarbeit ausgeführt werden dürfen.

Emsenrännahmen,

Art. 11.

Eidgenössische und kantonale Vorschriften über den Schutz und das Arbeitsverhältnis der im Dienste eines Heimarbeiters beschäftigten Personen werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt.

Schutz der Hilfskräfte.

Dritter Abschnitt.

Vorschriften für die Festsetzung von Löhnen.

Art. 12.

1 Für Erwerbszweige, in denen in erheblichem Umfang Heimarbeit vergeben wird, setzt der Bundesrat Fachkommissionen ein. In diesen sollen die Arbeitgeber und Heimarbeiter zu gleichen Teilen, sowie die Behörden vertreten sein.

2 Die Fachkommissionen haben sich mit den Arbeits- und Lohnverhältnissen in der Heimarbeit ihres Erwerbszweiges zu befassen. Sie dienen den Bnndesbehörden als begutachtendes Organ und können in Fragen der Heimarbeit von sich aus dem zuständigen eidgenössischen

Fachkommissionen.

232 Departement Anregungen vorbringen, ihm insbesondere auch Vorschläge über Lohnfestsetzungen im Sinne von Art. 13 einreichen.

3 Der Bundesrat erlässt die weitern Bestimmungen über Organisation, Befugnisse und Verfahren der Fachkommissionen.

Lohntestsetzungen.

Friedenspfficht.

Ausdehnung auf andere Betriebe.

Lohnfestsetzungen für Hilfskräfte.

Art. 13.

Wenn Löhne und Entgelt in der Heimarbeit eines Erwerbszweiges aussergewöhnlich niedrig sind und ihre wirksame Eegelung durch die beteiligten Arbeitgeber und Heimarbeiter selbst nicht möglich ist, kann der Bundesrat, unter Wahrung des Gesamtinteresses und nach Anhörung der zuständigen Eachkommission, Lohnfestsetzungen vornehmen. Zu diesem Zwecke kann er a. durch Verordnung Mindestlöhne festsetzen; fe. bestehende Gesamtarbeitsverträge und Lohntarife nach Begutachtung durch unabhängige Sachverständige für alle Angehörigen der betreffenden Erwerbsgruppen zur allgemein verbindlichen Eegelung erklären.

2 Die Lohnfestsetzung kann sich auch auf die Entschädigung für Material und Zutaten und auf das Entgelt des Ferggers beziehen.

3 Sie ist zeitlich zu begrenzen und kann nach Landesgegenden abgestuft werden.

4 Soweit Abmachungen den durch den Bundesrat vorgenommenen Lohnfestsetzungen widersprechen, sind sie nichtig; die nichtigen Bestimmungen werden durch diejenigen der Lohnfestsetzung ersetzt.

6 Während des Verfahrens zur Lohnfestsetzung im Sinne dieses Artikels sowie während der Wirkungsdauer einer bundesrätlichen Lohnfestsetzung besteht für die Parteien Friedenspflicht.

1

Art. 14.

Der Bundesrat kann, soweit dies zur Erreichung eines wirksamen Lohnschutzes für Heimarbeiter erforderlich und irn Bahmen des Gesamtinteresses zulässig ist, Lohnfestsetzungen auch auf andere Betriebe des gleichen Erwerbszweiges ausdehnen, sofern diese unter wirtschaftlich ähnlichen Bedingungen wie Heimarbeiter tätig sind und mit solchen in Konkurrenz treten. Zuständige Berufsverbände sind vorher anzuhören.

Die Bestimmungen des Art. 13 sind anzuwenden.

Art. 15.

Der Bundesrat kann auch Lohnfestsetzungen für Personen vornehmen, die im Dienste von Heimarbeitern tätig sind. Art. 8 und 9 können nötigenfalls auf das Arbeitsverhältnis dieser Personen anwendbar erklärt werden.

1

233 2

Diese "Vorschriften .gelten sinngemäss auch für Personen, die in Betrieben tätig sind, auf welche gemäss Art. 14 Lohnfestsetzungen .ausgedehnt wurden.

3 Die Bestimmungen des Art. 13 sind anzuwenden.

Vierter Abschnitt.

Kontrollvorschriften.

Art. 16.

Arbeitgeber und Fergger haben sich in das von ihrem Wohnsitz- Arbeitgeberkanton geführte Eegister eintragen zu lassen und über die von ihnen Heimarbeiterbeschäftigten Heimarbeiter ein Verzeichnis zu führen.

Verzeichnis.

Art. 17.

Den Personen, die mit dem Vollzug und mit der Aufsicht über den Vollzug des Gesetzes betraut sind, ist der Zutritt zu den Bäumen gestattet, in denen Heimarbeit ausgegeben oder ausgeführt wird. Arbeitgeber, Fergger und Heimarbeiter haben Auskunft über die Heimarbeit zu erteilen und Einblick in die Heimarbeiterverzeichnisse, Begleitzettel, Lieferungsbücher und Abrechnungen zu gewähren.

2 Die Amtspersonen, Mitglieder der Fachkommissionen und Sachverständigen sind verpflichtet, über ihre Wahrnehmungen Verschwiegenheit zu bewahren.

.

.

, :.

1

Zutritt von Amtspersonen.

Schweigepflicht.

Fünfter Abschnitt.

Vollzug.

.Art. 18.

1 Die Durchführung des Gesetzes liegt den Kantonen ob.

2 Die Kantonsregierungen bezeichnen die kantonalen . Vollzugsorgane.

.

. .

.

Art. 19.

.

' · .

1 Die Oberaufsicht über den Vollzug des Gesetzes liegt dem Bundesrat und den von ihm bezeichneten. Organen ob. Er kann die eidgenössischen Fabrikinspektorate. und besondere Sachverständige zur Mitwirkung heranziehen.

· 2 Der Bundesrat erlässt die erforderlichen Vollzugsvorschriften. Er kann geringfügige Abweichungen von den Vorschriften dieses Gesetzes ausnahmsweise zulassen, wenn , zwingende Gründe es rechtfertigen.

Vollzug, durch die Kantone.

Oberaufsicht durch den Bund.

Art. 20.

Die Kantone bezeichnen die Gerichtsstellen, welche 'Zivilstreitig- Gerichtsstand keiten zwischen Heimarbeiter und Arbeitgeber zu entscheiden haben. un f ur zivü-TM11 2 Die Entscheidung soll auf Grund mündlichen und;raschen Ver- Streitigkeiten, fahrens erfolgen. Berufsmässige Prozessvertretung ist unzulässig, sofern 1

234 eine solche nicht durch besondere persönliche Verhältnisse einer Partei als gerechtfertigt erscheint. Der Bichter hat von Amtes wegen die für den Entscheid erheblichen Tatsachen zu erforschen ; er ist nicht an die Beweisanträge der Parteien gebunden und würdigt die Beweisergebnisse nach freiem Ermessen.

3 Das Verfahren ist kostenlos. Bei mutwilliger Prozessführung kann der Bichter gegen die fehlbare Partei Bussen aussprecheri und ihr die Kosten ganz oder teilweise auferlegen.

Sechster Abschnitt.



Straf- und Schlussbestimmungen.

Strafen.

Strafrechtlich verantwortliche Personen.

Art. 21.

Mit Busse bis zu tausend Franken wird bestraft: a. wer gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes, die zu seinem Vollzug erlassenen Vorschriften oder Weisungen verstösst; b, wer bei Vorhegen von Lohnfestsetzungen, auf Grund von Art. 13 bis 15 einen über die ausbezahlte Löhnung geschuldeten Lohnbetrag innert ihm gesetzter Frist nicht bezahlt.

2 Bei Bückfall von Arbeitgebern und Ferggern innert fünf Jahren kann mit der Strafe das Verbot der Ausgabe von Heimarbeit für höchstens ein Jahr verbunden werden.

3 Die allgemeinen . Bestimmungen des Bundesstrafrechtes finden Anwendung.

Art. 22.

1 Strafrechtlich verantwortlich für Zuwiderhandlungen ist der Arbeitgeber oder die Person, der vom Arbeitgeber mittelbar oder unmittelbar die Leitung des Betriebes oder Betriebsteils, in dem die Zuwiderhandlung vorgekommen ist, übertragen wurde.

2 Für Zuwiderhandlungen gegen die Friedenspflicht (Art. 13, Abs. 5) ist auch der Heimarbeiter und bei Anwendung der Art. 14 und 15 der Betriebsinhaber und das Personal der durch diese Gesetzesanwendung erfassten Betriebe strafrechtlich verantwortlich.

3 Soweit, gestützt auf dieses Gesetz, Heimarbeitern Pflichten gegenüber Hilfskräften auferlegt werden, haften sie für Zuwiderhandlungen strafrechtlich. Die gleiche Vorschrift gilt für die Inhaber von Betrieben, auf welche gemäss Art. 14 Lohnfestsetzungen ausgedehnt wurden.

4 Wird die Zuwiderhandlung im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person oder einer Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft begangen, so finden die Strafbestimmungen auf die Personen Anwendung, die für sie gehandelt haben oder hätten handeln sollen, jedoch unter solidarischer Mithaftung der juristischen Person oder der Gesellschaft für die Bussen und Kosten.

1

235

Art. 23.

Die Verfolgung und Beurteilung von Zuwiderhandlungen ist Sache Zuständigkeit, der Kantone.

2 Sämtliche Urteile, Strafbescheide und Einstellungsbeschlüsse sind ohne Verzug nach ihrem Erlass in vollständiger Ausfertigung dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit mitzuteilen.

1

Art. 24.

Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Wirksamkeit Gesetzes. Die Bestimmungen des Bundesratsbeschlusses vom 9. Oktober Vorbehaitene 1936/29. Dezember 1937 über die Ordnung der Arbeit in der nicht fabrik- Stimmungen.

massigen "Uhrenindustrie bleiben für- dessen Gültigkeitsdauer vorbehalten.

756

236

(Entwurf.)

Bündesfoeschluss betreffend

das Übereinkommen über die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestiöhnen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 8. Juli 1988, beschliesst : Einziger Artikel.

Der Bundesrat wird ermächtigt, nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Heimarbeit das von der Internationalen Arbeitskonferenz an ihrer elften Tagung beschlossene Übereinkommen über die Einrichtung von Verfahren zur Pestsetzung von Mindestlöhnen zu ratifizieren.

756

237

Übereinkommen über

die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhueu.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, die vom Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen \vurde und am 30. Mai 1928 zu ihrer elften Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, eine Frage, die den ersten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines Entwurfes eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 16. Juni 1928, den folgenden Entwurf eines Übereinkommens an zwecks Ratifikation durch die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge: · .

' · : Artikel 1.

' Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, Verfahren einzurichten oder beizubehalten, die es gestatten, Mindestlöhne für die Arbeitnehmer in gewissen Gewerben oder Teilen von Gewerben (insbesondere in der Heimarbeit) festzusetzen, in denen keine wirksamen Einrichtungen zur Festsetzung der Löhne, sei es durch Gesamtarbeitsvertrag oder auf anderem Wege, bestehen und in denen die Löhne aussergewöhnlich niedrig sind.

Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet das Wort «Gewerbe» die weiterverarbeitenden. Gewerbe u n d d e n Handel.

, · . . .

. ' . .'

Artikel 2.

Jedem Mitgliede, das.dieses Übereinkommen ratifiziert, steht es frei, nach Anhörung' der Berufsverbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, falls solche Verbände für das betreffende Gewerbe oder den Teil des Gewerbes bestehen, selbst zu entscheiden, auf welche Gewerbe oder Teile von Gewerben und insbesondere auf welche Zweige der Heimarbeit oder,auf welche Teile derselben die in Artikel, l vorgesehenen Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen angewendet werden sollen.

238

Artikel 3.

Jedem Mitgliede, das dieses Übereinkommen ratifiziert, steht es frei, die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen und deren Anwendungs-weise selbst zu bestimmen.

Hierbei ist folgendes zu, beachten : 1. Bevor die Verfahren auf ein Gewerbe oder einen Teil eines Gewerbes angewendet werden, sind die Vertreter der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer -- darunter sind auch die Vertreter der etwa bestehenden Berufsverbände zu verstehen -- anzuhören sowie nach Ermessen der zuständigen Behörde andere durch ihren Beruf oder ihren Wirkungskreis dazu besonders geeignete Personen.

2. Die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben an der Durchführung der Verfahren teilzunehmen, und zwar in der Form und in dem Masse, wie die Gesetzgebung dies vorsieht, jedenfalls aber in gleicher Zahl und auf dem Fusse der Gleichberechtigung.

3. Die festgesetzten Mindestlöhne haben verbindliche Kraft für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie dürfen von ihnen nicht durch Binzelabmachungen und, ohne allgemeine oder besondere Ermächtigung durch die zuständige Behörde, auch nicht durch Gesamtarbeitsverträge herabgesetzt werden.

Artikel 4.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat die erforderlichen Vorkehren zu treffen, um im Wege der Aufsicht und mit Hilfe von Zwangsmassnahmen sicherzustellen, dass die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer Kenntnis von den geltenden Mindestlöhnen erhalten und dass die wirklich gezahlten Löhne nicht niedriger sind als die Mindestlöhne, wo solche gelten: Jedem Arbeitnehmer, für den die Mindestlohnsätze gelten, der aber einen geringeren Lohn erhalten hat, ist das Eecht zu wahren, auf gerichtlichem oder einem anderen gesetzlichen Wege die Zahlung des ihm gebührenden Lohnrestes innerhalb einer von der Gesetzgebung zu bestimmenden Frist zu erwirken.

Artikel 5.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, dem Internationalen Arbeitsamt alljährlich eine allgemeine Darstellung zu übermitteln, die ein Verzeichnis der Gewerbe oder Teile von Gewerben enthält, in denen die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen Anwendung gefunden haben, und die über die Formen der .Anwendung sowie über die Ergebnisse der Verfahren Auskunft gibt. Diese Darstellung soll zusammenfassende Angaben über die ungefähren Zahlen der von der
Eegelung erfassten Arbeitnehmer, über die festgesetzten Mindestlohnsätze und gegebenenfalls über die sonstigen für die Mindestlohnregelung besonders wichtigen Massnahmen enthalten.

|: : i

239 Artikel 6.

Die förmlichen Katifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 7.

'.

Das Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder, deren Eatifikationen beim Sekretariat eingetragen worden sind. Es tritt zwölf Monate nach dem Zeitpunkt in Kraft, an dem die Eatifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Generalsekretär eingetragen worden sind.

In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach dem Zeitpunkt in Kraft, an dem seine Batifikation eingetragen worden ist.

Artikel 8.

Sobald die Eatifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen sind, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Auch gibt er ihnen Kenntnis von der Eintragung der Eatifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 9.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generalsekretär des Völkerbundes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Sekretariat ein.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorhergehenden Absätze bezeichneten Zeitraumes von zehn Jahren von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für weitere fünf Jahre gebunden und kann hernach das Übereinkommen jeweils nach Ablauf von fünf Jahren unter den in diesem Artikel vorgesehenen Voraussetzungen kündigen.

Artikel 10.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Durchsicht oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 11.

, Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind iii gleicher Weise massgebend.

240

Anhang 1.

Die Heimarbeiter in der Schweiz nach Erwerbsgruppen 1910/1930.

Total Zu- oder Abnahme 1910/1930

Total Erwerbsgruppen und -arten

Heimarbeiter im ganzen . .

B a Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln Bb Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe . . . .

Herren- und Knabenkleider F Frauen- und Kinderkleider F . .

Weissnäherei, Was ehe Strickerei, Wirkerei . .

B c Herstellung von Baustoffen, Baugewerbe, Wohnungseinrichtunsen . . . .

. . . .

B d 1 Textilindustrie Bd Seidenindustrie . . . .

Seidenstoffweberei . . .

1910

1920

70104

39344

463

246

9471

6011

6802 -- 2669 -- 28

3121

1 859

2603 --

518 -- 17

1152

517

635

529

2038 2618

1570 1497

633 49737 12830

461 25 316 7583 r 1225

6077 Bd 2 Bd43 Bd!5 Bd6 Bd Be

:

B/ Bg

Seidenbeuteltuchweberei Seidenbandweberei . . .

Baumwollindustrie . . .

Baumwollweberei . . .

Wollindustrie Leinenindustrie . . . .

Stickereiindustrie . . .

Übrige Textilindustrie .

Herstellung und Verarbeitung von Papier, Kautschuk, Leder (ohne Schuhwaren) .

Chemische Industrie . .

Metall- und Maschinen-

B7i Uhrenindustrie, Bijouterie .

. . .

Uhrenindustrie . . . .

Bfc Graphische Gewerbe . .

i 1683 6163 · 4551 3033 4201 2950 3916 85 ' 57 209 418 13561 29529 . 2674 873:

1930

absolut

%

25865 -- 44239 -- 63 161 --

+

302 -- 65

+ 81

1581 -- 457 -- 22 1 095 -- 1523 -- 58

578 -- 55 12727 -- 37010 3612 -- 9218 3661 -- 4256 1455 j 1705 -- 4458 1 397 -- 2804 1346 -- 2570 22 196 -- 222 7017 -- 22 512 -483 -- 2191

-- 9 -- 74 -- 72 -- 70 -- 72 -- 67 -- 66 -- 53 -- 76 -- 82

204 13

161 18

186 -- 20

18 -- 9

367

272

319 --

48 -- 13

9186 9096 30

6830 6747 29

5063 -- 4123 -- 45 5028 -- 4068 -- 45 9

(V olkszählungen.)

241 Anhang II.

Heiniarbeits- und Mindestlohngesetzgebung im Ausland.

A. Europäische Staaten.

1. Grossbritannien: Die Vorschrift, Listen der beschäftigten Heimarbeiter zu führen, bestand für die Arbeitgeber schon seit 1891. Sie wurde durch das Fabrik- und Werkstättengesetz von 1901 mit .der Verpflichtung verbunden, die Listen zweimal jährlich den Distriktsbehörden einzusenden.

Diese ordnen die Adressen der Heimarbeiter nach Kontrollkreisen und übergeben sie den zuständigen Kontrollbeamten.

Im übrigen zerfällt die englische Heimarbeiterschutzgesetzgebung in die zeitlich früher einsetzenden hygienischen Schutzmassnahmen und in den später eingeführten Lohnschutz.

Hygienische M a s s n a h m e n : Die ersten Bestrebungen gingen darauf aus, den Gesundheitsschutz der allgemeinen Fabrik- und Werkstättengesetzgebung (Factory and workshop act, 17. August 1901) auf kleinere Betriebe, einschliesslich die Heimarbeit, auszudehnen. Der englische HeimarbeitsGesundheitsschutz ist infolgedessen auch heute noch ein Teil der Fabrik- und . Werkstättengesetzgebung.

· Diese Vorschriften gelten für «Heinibetriebe», die definiert sind als Familienbetriebe, die ohne Dampf, Wasser und andere motorische Kräfte arbeiten.

Ausgenommen sind jedoch Betriebe, in denen Arbeiten und Hilfsarbeiten für die Strohflechterei, das Spitzenklöppeln und das Handschuhmachen ausgeführt werden. Ferner zählen nicht zu den Heimbetrieben solche, in denen die Arbeit nicht regelmässig ausgeübt wird und nicht den Hauptverdienst der Familie ausmacht. Somit ist eine grosse Zahl von Heimarbeitern vom eigentlichen Heimarbeits-Gesundheitsschutz ausgeschlossen.

Lohnschutz: Der Lohnschutz bezieht sich ebenfalls nicht auf Heimarbeit allein, sondern auf die Gewerbezweige im allgemeinen und auch auf einzelne Kleinhandelszweige. Durch das Lohnamtsgesetz von 1909 (An Act to pro vide for thè establishment of Trade Boards for certain Trades, 20th October 1909, revidiert am 8. August 1918) wurden anfänglich f ü r vier Industriezweige, in denen wegen der grossen Verbreitung von Heimarbeit die Lohnverhältnisse besonders schlecht waren, Gewerkämter (Trade Boards) eingesetzt. Die Einsetzung von Ämtern für andere Erwerbszweige wurde in die Kompetenz des Handelsamtes, später des Arbeitsministeriums, gelegt.

Im Jahre 1913 wurden für vier weitere Gewerbe Ämter
errichtet, und das Gesetz von 1918 erleichterte die planmässige Ausdehnung des Lohnschutzes auf andere Branchen. Zurzeit kann der Arbeitsminister für jeden Erwerbszweig ein Lohnamt einsetzen, in welchem nach seiner Ansicht kein ausreichender Apparat .für die Kegelung der Löhne des betreffenden Gewerbes besteht, so dass es, unter Berücksichtigung der für das ganze Gewerbe oder einzelne Teile desselben geltenden Löhne, zweckmässig erscheint, das Gesetz auf dasselbe aus-

242

zudehnen. Im Jahre 1936 bestanden 47 Trade Boards für 42 Erwerbszweige.

In fünf Gewerben war für Schottland ein besonderes Board geschaffen worden.

Für die entsprechenden Erwerbszweige waren die Löhne geregelt.

Die von den Gewerkämtern festgesetzten Löhne sind dem Arbeitsminister zur Genehmigung zu unterbreiten, die, falls keine Einsprache erfolgt ist, nach Ablauf eines Monats erteilt werden soll. Sind die Beschlüsse genehmigt, so erhalten sie an einem vom Arbeitsminister bestimmten Tage Gesetzeskraft und sind für alle Arbeitgeber verbindlich. Die Mindestlöhne müssen allen Arbeitern, den Fabrik-, .Werkstätten- und Heimarbeitern unterschiedslos ausbezahlt werden. Auch besteht kein Unterschied, ob die Arbeiter in einem «Heimbetrieb» nach der Definition des Fabrik- und Werkstättengesetzes arbeiten oder nicht. Es handelt sich also um einen allgemeinen Lohnschutz für die betreffenden Gewerbe und nicht um einen speziellen Heimarbeiterlohnschutz .

Wenn ein Arbeitgeber den gültigen Mindestlohnsatz nicht innehält, so verfällt er einer Busse bis zu & 20 und einer weitern Busse von S, 5 für jeden Tag, an dem er nach erfolgter Überführung fortfährt, den zu niedrigen Lohn auszuzahlen. Ferner ist er gehalten, dem Arbeiter nachträglich den geschuldeten Lohn auszuzahlen. Das Gewerkamt oder ein dazu ermächtigter Beamter des Arbeitsministeriums können ein Zivilverfahren zur Erlangung der geschuldeten Lohnbeträge einleiten.

2. Deutsches Reich: Als Vorläufer gesetzlichen Heimarbeiterschutzes waren in Deutschland das Truckverbot der Gewerbeordnung (1869) und die Ausdehnung der Kinderschutzgesetzgebung auf die Heimarbeit (1903) anzusehen. Mit der eigentlichen Heimarbeiterschutzgesetzgebung wurde im Jahre 1911 der Anfang gemacht: Vorschriften betreffend Hygiene, Sicherheit und Sittlichkeit in den Betrieben der Heimarbeit wurden aufgestellt.

Ein zweites Gesetz von 1923, wesentlich ausgebaut im Jahre 1933, brachte gesetzliche Lohn- und Entgeltsschutzmassnahmen. Heute ist rnassgebend das Gesetz über die Heimarbeit vom 23. März 1934 und dessen Durchführungsverordnungen von 1934/35 sowie eine grosse Anzahl sich auf Einzelfragen beziehender Erlasse. Durch diese Neuordnung wurden die früher für Lohnangelegenheiten zuständigen Fachausschüsse aufgehoben.

Heute gehört ein Heimarbeiter zur «Gefolgschaft» eines Unternehmens,
sofern er ausschliesslich oder in der Hauptsache für dieses arbeitet. «Treuhänder der Arbeit», denen beratende Sachverständigenausschüsse zur Seite stehen, können, für die Heimarbeiter besondere T a r i f o r d n u n g e n erlassen. Die Tarifordnungen können auch Zuschläge für Fergger und Zwischenmeister regeln, die in Bruchteilen der festgelegten Heimarbeiterlöhne ausgedrückt werden.

Arbeiterlisten müssen zuhanden des Treuhänders und zuhanden der Gewerbeaufsichtsbeamten geführt werden. Für einzelne Gewerbezweige können Arbeitskarten vorgeschrieben werden, ohne welche keine Heimarbeit erhalt-

243 lieh ist. Desgleichen kann Anzeigepflicht des Arbeitgebers für Gewerbezweige oder für räumlich begrenzte Gebiete zur Vorschrift gemacht werden. In den der Arbeitsausgabe dienenden Bäumen sind die Entgeltsverzeichnisse aufzulegen. Arbeitern, die nicht in den Betrieb zur Arbeitsannahme kommen, sind sie auf andere Weise bekanntzugeben. Die Arbeiter erhalten überdies Lohnbücher.

Ein gewisser Arbeitszeitschutz wird durch die folgenden Vorschriften erreicht : Wenn die Ausgabe und Annahme von Heimarbeit ungewöhnliche Zeitversäumnis verursacht, können die Gewerbeaufsichtsbeamten Massnahmen für schnellere Abfertigung anordnen. Der Treuhänder der Arbeit kann ausserdem in einzelnen Gewerbezweigen die Menge von Heimarbeit bestimmen, die an die Heimarbeiter unter Berücksichtigung der Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen und Hilfskräfte vergeben werden darf.

Die Betriebsstätten müssen so gestaltet sein, dass sie keine Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sittlichkeit der Beschäftigten oder der Gesundheit der Verbraucher bieten. Überdies kann der Beichsarbeitsrninister Heimarbeit, die derartige Gefahren mit sich bringt, ganz untersagen.

Ein Arbeitgeber, der Löhne unter der Tarifordnung ausbezahlt hat, wird vom Treuhänder der Arbeit unter Androhung einer Verzugsbusse zur Nachzahlung der Löhne innert einer Woche verhalten. Diese Busse, die vom Treuhänder der Arbeit direkt verhängt wird, soll in der Begel den Betrag der Minderbezahlung übersteigen.

3. Frankreich: Die Heimarbeiter sind in Frankreich vom allgemeinen G e s u n d h e i t s s c h u t z des Code du Travail (Livre II, Titre II) grundsätzlich ausgenommen. Die Gewerbeinspektoren können jedoch die Sicherheitsund Beinlichkeitsvorschriften auf Familienbetriebe ausdehnen, wenn in denselben Dampf oder andere motorische Kräfte verwendet werden oder der Erwerbszweig auf der Liste der gefährlichen und ungesunden Gewerbe figuriert.

Durch ein Gesetz vom 10. Juli 1915 wurde in Frankreich der gesetzliche Lohnschutz für Heimarbeiterinnen eingeführt. Er bezieht sich nur auf ausgewählte Erwerbszweige (Bekleidungsindustrie, Papierwarenfabrikation, Bijouterie, Schirm- und Bürstenwarenfabrikation, Seiden- und Kunstseidenweberei und ihre Hilfsarbeiten u. a. m.). Seit einer Gesetzesrevision vom 14. Dezember 1928 sind auch die männlichen Heimarbeiter unterstellt. Über
die Heimarbeit hinaus reichen die Vorschriften nicht.

Das Gesetz stellt den Grundsatz auf, dass die Stücklöhne für Heimarbeit so angesetzt werden müssen, dass eine Heimarbeiterin von mittlerer Geschicklichkeit in S Stünden mindestens soviel verdienen kann wie ein Atelierarbeiter in ebenfalls mittlerer Geschicklichkeit per Tag im gleichen Beruf und in der gleichen Gegend verdient. Können keine Atelierarbeiterinnen der gleichen Gegend zum Vergleich herangezogen werden, so müssen ähnliche Arbeiten oder ähnliche Arbeiten in Gegenden mit gleichen Verhältnissen zur Grundlage gewählt werden. Falls auch diese fehlen, soll der übliche Verdienst

244

einer Taglöhnerin für Haushaltsarbeiten, also einer Näherin, Putzerin oder Wäscherin der Gegend der Berechnung zugrunde gelegt werden. Nach diesen Löhnen soll das Minimum für Heimarbeiter bestimmt werden. Andere Gesichtspunkte werden nicht berücksichtigt.

Diese Kichtlinien werden in Praxis umgesetzt durch die Beschlüsse von zwei besondern paritätischen Organen, die Lohnkommissionen in den Departementen, welche den Mindestverdienst per Stunde oder per Tag feststellen und die Expertenkommissionen für die einzelnen Erwerbszweige, welche untersuchen und bestimmen, wieviel Zeit einzelne Stücke zu ihrer Herstellung erfordern. Der Stücklohn für einzelne Arbeiten ergibt sich aus der Anwendung des Mindestzeitlohnes auf den so entstandenen Zeittarif. Die Beschlüsse der Kommissionen werden publiziert. Es kann dagegen bei einer Zentralkommission, die ihren Sitz im Arbeitsministerhim hat, Einspruch erhoben werden. Erfolgt hinnen eines Monats kein Einspruch, so wird das Minimum im Departement der Kommissionen obligatorisch.

Die Kontroll- und Strafbestimmungen sind ähnlich wie in andern Ländern.

Durch Dekret vom 28. Oktober 1935 wurden die Heimarbeiter der obligatorischen Sozialversicherung angegliedert.

4. Ehemaliges Österreich: Österreich hat gleich Deutschland undFrankreich ein besonderes Gesetz über die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit, das im Jahre 1918 erlassen wurde, sich jedoch eng an einen nach langen Vorarbeiten entstandenen Vorkriegsentwurf aus dem Jahre 1911 anlehnt. Eine Anzahl Verordnungen kommen hinzu.

Der Gesundheitsschutz ist beschränkt auf eine Gesetzesbestimmung, die.dem Bundesministerium für soziale Verwaltung die Kompetenz einräumt, besondere Vorschriften für Zweige der Heimarbeit zu erlassen, in denen eine Gefährdung der Gesundheit der Heimarbeiter oder der Verbraucher der Heimarbeitswaren vorliegt. Durch Verordnungen vom 12. Dezember 1931 wurden verboten: die Heimarbeit in der Zucker- und Schokoladewarenfabrikation, Heimarbeit, deren Ausführung Blei und bleihaltige Materialien, Quecksilber oder Quecksilberverbindungen erfordert. Ferner wurde ein Merkblatt über . Zelluloidwaren aufgestellt und den Arbeitgebern eine besondere Anzeigepflicht binnen l Woche nach Erteilung des ersten Auftrages von Heimarbeit in Zelluloidartikeln auferlegt.

Wesentlich ist der
formelle Lohn- und Vertragsschutz, vor allem ·die Bekanntgabe der Arbeitsbedingungen, die bis ins einzelne geregelt ist.

Vom Bundesministerium für soziale Verwaltung können paritätische .Zentralheimarbeitskommissionen und gegebenenfalls auch Lokalheimarbeitskommissionen geschaffen werden. Durch das Gesetz war die Gründung von Zentralheimarbeitskommissionen für die Kleider-, Schuhe- und Wäscheherstellung unmittelbar vorgeschrieben, für die übrigen Erwerbszweige ist sie fakultativ. Zur Zeit bestehen ausser für die drei genannten Branchen noch iür die Kunstblumen- und Schmuckfedern-, für die Strick- und Wirkwaren-

245 fabrikation, für die Stickereiindustrie und die Heimweberei solche Kommissionen. Sie können Mindestlöhne für .Heimarbeiter und Mindestpreise für Zwischenmeister festsetzen. Ausserdem können sie bestehende Kollektivarbeitsverträge für alle Arbeitgeber und Heimarbeiter ihres Erwerbszweiges verbindlich erklären. Ferner haben sie die Kompetenz, die übrigen Arbeitsund Lieferungsbedingungen zu regeln.

Die von den Zentralheimarbeitskommissionen festgesetzten Mindestlöhne und Mindestpreise müssen vom Bundesministerium für soziale; Verwaltung genehmigt werden. Ist1 die Genehmigung erfolgt, so werden die Beschlüsse der Zentralheimarbeitskommissionen zu rechtskräftigen «Satzungen».

Eigenartig ist das Verhältnis der T a r i f v e r t r ä g e zu den amtlichen Satzungen. Nach österreichischem Hecht gehen die Bestimmungen eines freiwillig abgeschlossenen Kollektivvertrages für die Beteiligten der Satzung vor.

Die Vorschriften der Satzung treten nur in Kraft, wenn die Parteien des Kollektivvertrages durch Einzelverabredungen von den Bestimmungen des Vertrages abweichen wollen. Eine Eeihe von Vollzugsbestimmungen sichern die Anwendung.

5. Tschechoslowakei: Das Heimarbeitsgesetz der Tschechoslowakei vom 12. Dezember 1919 beruht auf dem gleichen Vorentwurf wie das in Österreich gültige und deckt sich inhaltlich beinahe vollständig mit diesem.

Unterschiede bestehen nur in folgenden Punkten: a. Die Erwerbszweige, für die sofort bei Inkrafttreten des Gesetzes Zentralheimarbeitskommissionen geschaffen werden mussten, sind andere; fr. die Zusammensetzung der Zentralheimarbeitskommissionen und ihr Geschäftsverfahren weichen etwas von den österreichischen ab; c. die Zentralheimarbeitskommissionen haben nicht die Kompetenz, Tarifverträge allgemeinverbindlich zu erklären; d. den Parteien eines Kollektivvertrages wird das Eecht eingeräumt, unter owöchentlicher Kündigung, ohne Bücksicht auf anders lautende Bestimmungen des Vertrages, von ihren Verpflichtungen zurückzutreten, wenn durch Lohnsatzungen eine abweichende Eegelung erfolgt ist.

6. Italien: Ein besonderes Heimarbeitsgesetz besteht nicht, doch können die Korporationen für die in ihrem Gewerbe übliche Heimarbeit allgemeine Normen aufstellen, wie z.B. die «Norme per il lavoro' a domicilio nell'industria dell'abbigliamento stabilite dalla corporazione dell'
abbigliaménto nella seduta del 1 giugno 1935--XIV», die Angaben darüber enthalten, welche Punkte in den Kollektivverträgen geregelt werden müssen.

Die speziellen Verhältnisse sind dann durch allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag zu regeln.

7. Norwegen: Das norwegische Gesetz b e t r e f f e n d die gewerbliche Heimarbeit vom 15. Februar 1918, verlängert 1923 und 1933,, enthält eine Eeihe allgemeiner Vorschriften, wie die Eegistrierpflicht, die Pflicht Bundesblatt. 90. Jahrg.

Bd. II.

18

246

zum Führen von Lohnbüchern und Lohnlisten, hygienische Schutzvorschriften usw., die für alle Heimarbeiter und Arbeiter von Zwischenmeistern gleichermassen gelten. Die Mindestlohngesetzgebung bezog sich laut Gesetz nur auf das Bekleidungsgewerbe, doch ist dem König die Befugnis eingeräumt, sie auf andere Gewerbe auszudehnen.

Das Verfahren für die Pestsetzung von Mindestlöhnen weicht insofern von dem sonst üblichen etwas ab, als ein zentraler Heimarbeitsrat durch vorgängige Untersuchungen der Arbeitsverhältnisse, die auf eigene Initiative oder auf Ansuchen von mindestens 6 Arbeitgebern oder Arbeitnehmern erfolgt, entscheidet, ob ein Lohnamt eingesetzt werden soll oder nicht.

Bei der Festsetzung von Mindestzeitlöhnen ist laut Gesetz darauf zu achten, dass das Verhältnis zu den Verdiensten in Fabriken und Werkstätten sich so gestaltet, dass die Heimarbeit nicht verdrängt wird. Wenn der festgesetzte Mindestlohn die Heimarbeit zurückdrängt oder auf andere Weise die Arbeitsverhältnisse der Heimarbeiter ungünstig beeinflusst, oder wenn dies zu befürchten ist, so können die Lohnvorschriften auch auf die Arbeiter in Fabriken und Werkstätten der gleichen Gewerbe ausgedehnt werden.

Dem T a r i f v e r t r a g wird ein Vorrang vor den amtlichen Mindestlöhnen eingeräumt, indem es dem Heimarbeitsrat anheimgestellt wird, bestehende Mindestlohnvorschriften ausser Kraft zu setzen, solange die Arbeitsverhältnisse durch Tarif geordnet sind.

8. Holland: Durch das Gesetz über die Eegelung der Heimarbeit vom 17. November 1933 wird die Heimarbeit in 11 aufgezählten Erwerbszweigen erfasst. Die Vorschriften beziehen sich in der Hauptsache auf Lohnschutzbestimmungen, auf die Führung eines Lohnbüchleins, das zur Übernahme von Heimarbeit berechtigt, auf Heimarbeiterregister, auf das Offenlegen von Lohntarifen, auf Lohnlisten usw. und schaffen wie in andern Ländern die technischen Voraussetzungen für die Festsetzung von Mindestlöhnen. Diese können vom Sozialminister, unter Einholung von Vorschlägen und Gutachten einer zentralen Heimarbeitskommission und örtlichen Lohnkommissionen, fixiert werden. Die Lohnfestsetzungen können auch für die nicht zur Familie des Heimarbeiters gehörenden Hilfsarbeiter gelten.

9. Belgien: Das belgische Heimarbeitsgesetz vom 10. Februar 1934 erfasst alle Heimarbeiter, sofern sie nicht mehr als
4 Hilfskräfte bebeschäftigen. Ein nationales Heimarbeitskomitee befasst sich mit den Fragen des Gesundheits- und Lohnschutzes in der Heimarbeit. In bezug auf Lohnregelungen versucht es in erster Linie kollektive Abmachungen herbeizuführen.

Wenn diese nicht genügen, kann das Komitee verbindliche. Lohnvorschriften aufstellen, denen durch königliches Dekret Gesetzeskraft verliehen wird. Für die Bestimmung der Höhe der Mindestlöhne werden die Löhne als Ausgangspunkt gewählt, die in Fabriken und Ateliers für die gleiche oder eine ähnliche Arbeit bezahlt werden. Ist derartige Arbeit nicht vorhanden, so hält das Komitee sich an die üblichen Heimarbeiterlöhne. Das Heimarbeiterlohnbuch ist

247

von den Arbeitgebern dem Heimarbeiter unentgeltlich zu übergeben. In bezug auf den Gesundheitsschutz enthält das Gesetz keine konkreten Bestimmungen, ermächtigt aber den Arbeitsminister zum Erlass der nötigen Vorschriften.

10. Ungarn, Jugoslawien, Litauen und Russland: Laut den vorliegenden Angaben bestehen gesetzliche Grundlagen für die Festsetzung von Mindestlöhnen auch in diesen vier Staaten.

B. Australien.

1. Der Staat Viktoria war der erste, der ein die Heimarbeit regelndes Gesetz einführte. Es ist das vom 28. Juli 1896 datierte Lohnamtsgesetz, welches für England und viele andere europäische Staaten massgebend geworden ist. Es sieht die Gründung von Lohnämtern für diejenigen Industrien, die von besondern Misständen bedroht waren, vor und überträgt den Ämtern die Aufgabe der Mindestlohnfestsetzung. Mindestzeit- und Mindeststücklohn waren vorgesehen. Bei Stücklohnfestsetzung sollte ein «normaler Arbeiter» mindestens einen gewissen vorgesehenen Zeitlohn erreichen können. Die Lohnfestsetzungeri galten für alle Arbeiter, nicht allein für die Heimarbeit. Ursprünglich nur für 4 Jahre erlassen, wurde das Gesetz in der Folge mehrfach verlängert und ist heute noch in Kraft.

2. Neuseeland begann die Heimarbeiterschutzgesetzgebung mit der Registrierpflicht, mit einem absoluten Verbot des Zwischenmeistertums (Zwischenmeister = Inhaber einer kleinen Werkstatt, des gefürchteten sweating-shop), hygienischen Vorschriften und mit der Einführung eines «Labels» das an allen in der Heimarbeit angefertigten Waren anzubringen war und im negativen Sinne wirken sollte. Mindestlohnschutz nach dem Muster Viktorias kam nicht zustande. Dagegen ist 1894 das obligatorische Einigungsamts- und Lohnschiedsgerichtsverfahren eingeführt worden, das auch für die Heimarbeit gültig erklärt wurde.

In den Jahren 1900--1912 haben sämtliche australischen Staaten entweder nach dem System von Viktoria oder nach demjenigen von Neuseeland gesetzliche Vorschriften betreffend die Heimarbeit erlassen.

C. Amerika.

1. Vereinigte Staaten : In den Vereinigten Staaten sind verf assungsmässig die Gliedstaaten zuständig für Sozialgesetzgebung. Einzelne von ihnen, besonders New York und Massachusetts, begannen schon in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit gesetzlichen Vorschriften zum Schutze der Heimarbeit. Sie bezogen sich zur Hauptsache auf den Gesundheitsschutz der Heimarbeiter und des konsumierenden Publikums. Diese Vorschriften haben sich in etwa zehn Staaten durchgesetzt.

248 Vom Jahre 1910 an setzten auch Bestrebungen für Lohnschutz ein.

Massachusetts erliess das erste Mindestlohngesetz im. Jahre 1912. 1913 folgten acht weitere Staaten, und im Jahre 1936 besassen 17 Staaten einen derartigen Erlass. Überall wurden nur Frauen von der Gesetzgebung erfasst. Doch kam sie auch auf Tätigkeiten ausserhalb der Heimarbeit zur Anwendung. Der Gedanke eines Existenzlohnes (living-wage), d. h. eines Mindestlohnes, der auf den notwendigen Lebensbedarf der Arbeiterinnen Bücksicht nimmt, spielte bei der Bemessung des Mindestlohnes eine grosse Eolle. In einzelnen Staaten wurde der Mindestlohn im Gesetz fixiert. Die meisten Staaten setzten aber eine zentrale Lohnkommission ein, der beratende Lohnämter für die verschiedenen Gewerbe zur Seite stehen und welche die Befugnis zur Lohnfestsetzung besitzt.

Diese Mindestlohngesetze wurden vor dem Obersten Gerichtshof angefochten als mit der Handelsfreiheit in Widerspruch stehend. Entscheide dieser Instanz aus den Jahren 1936 und 1937 haben einen Teil der Gesetze als verfassungswidrig aufgehoben. Als verfassungsmässig bezeichnete dagegen der Oberste Gerichtshof alle diejenigen Gesetze, welche auf ein Existenzminimum hinzielen. Massgeblich war dabei die Auffassung, dass der Arbeitgeber nach amerikanischer Verfassung zwar volle Freiheit in der Lohnfestsetzung im allgemeinen besitze, dass aber gegen Löhne, die unter dem Existenzminimum liegen, auf Grund der Polizeihoheit der Gliedstaaten eingeschritten werden könne.

Unter dem New Deal wurden vom Jahre 1933 an auch Mindestlöhne festgesetzt, die nach der Aufhebung der NIBA-Vorschriften durch den Verfassungs-, gerichtshof wiederum hinfällig wurden. In diesen Erlassen ist der erste Anfang zu einer Festsetzung von Mindestlöhnen durch die zentrale Gewalt verwirklicht worden. Sie sollen nach einzelnen Berichten auch auf die Heimarbeit einen sanierenden Einfluss ausgeübt haben.

2. Kauada : Die Einzelstaaten in Kanada haben seit dem Jahre 1917 eine weitgehende Mindestlohngesetzgebung ausgebaut, die sich jedoch in der Begel nicht auf die Heimarbeit bezieht.

3. Südamerikanische Staaten: Argentinien hat seit 1918 ein Heimarbeitsgesetz, das, ausser verschiedenen organisatorischen Bestimmungen, wie solchen über Begisterführung, Lohnabrechnungsbücher für die Arbeiterschaft, Bussen und Lohnabzüge usf.,
auch die Grundlage für Minimallohnfestsetzungen enthält. -- Brasilien besitzt schon in seiner Verfassung (Art. 121) die Basis für Lohngesetzgebung und hat sie auch in einem Gesetz vom 14. Januar 1936 verankert, das 22 Lohnkommissionen, über das ganze Land verteilt, vorsieht.

·-- Chile hat ein Gesetz über Arbeiterschutz vom 13. Mai 1931, in welchem ein Abschnitt von mehreren Paragraphen über die Heimarbeit handelt, die ebenfalls ein Verfahren über Mindestlöhne vorsehen. --· Inwieweit die andern südamerikanischen Staaten (Mexiko, Cuba, U r u g u a y und Columbien), welche das internationale Übereinkommen über Mindestlöhne ratifiziert haben, auch die Heimarbeit in ihre Mindestlohngesetzgebung einbeziehen, ist aus den vorliegenden Materialien nicht ersichtlich.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Schutz der Heimarbeiter.

(Vom 8. Juli 1938.)

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1938

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