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Bundesblatt 90. Jahrgang.

Bern, den 16. November 1938.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Preis HO Franken im Jahr, IO Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- and PosttestellanffSgeliilhr.

Einrtidmngsgeiiähr : 50 Kappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko au Stämpfli £ Oie, in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Verlängerung der Geltungsdauer der für notleidende "Wirtschaftszweige geltenden Sondervorschriften über die Gläubigergemeinschaft.

(Vom 12. November 1938.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Das Institut der Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen, welches dem in eine Notlage geratenen Schuldner eines Obligationenanleihens die Möglichkeit gibt, ohne Anrufung des allgemeinen Nachlassvertragsrechts sich durch Mehrheitsbeschluss der Obligationäre in einer für alle verbindlichen Weise bestimmte Erleichterungen einräumen zu lassen, ist aus den wirtschaftlichen Nöten der Kriegszeit hervorgegangen und beruht bis heute ausschliesslich auf Notrecht. Noch vor Beendigung des .Krieges sah sich nämlich der Bundesïat veranlasst, gestützt auf die ihm durch Bundesbeschluss vom 3. August 1914 übertragenen Vollmachten, durch die Verordnung vom 20. Februar 1918 ·die Gläubigergemeinschaft ins schweizerische Eecht einzuführen und einlässlich zu regeln. Da aber die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Folge nicht verschwanden, sich vielmehr noch erheblich steigerten, konnte keine Bede davon sein, diese Verordnung, die inzwischen mehrfach ergänzt und verbessert worden war, wieder aufzuheben. Vielmehr entschloss man,sich dazu, diese Bestimmungen, die. der schweizerischen Wirtschaft in schweren Zeiten gute Dienste geleistet hatten, in die ordentliche Gesetzgebung zu übernehmen.

So wurden sie, unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen, in etwas modifizierter Form als zweiter Abschnitt des 34. Titels (Art. 1157 bis 1182) ins revidierte Obligationenrecht aufgenommen. Schon vor Inkrafttreten dieses Gesetzes zeigte es sich aber, dass diese mehr auf -ruhigere Zeiten zugeschnittene Eegelung den gegenwärtigen Bedürfnissen nicht zu genügen vermöchte. Deshalb zogen es die beiden Eäte vor, diesen Abschnitt nicht mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzes am 1. Juli 1937 in Kraft zu setzen, sondern in Art. 19 der Schluss- und Übergangsbestimmungen den Bundesrat zu erBundesblatt. 90. Jahrg. Bd. II.

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702 mächtigen, den Zeitpunkt seines Inkrafttretens zu bestimmen. Der Bundesrat hat von dieser Ermächtigung bisher nicht Gebrauch gemacht, so dass die Verordnung vom 20. Februar 1918 heute noch in Geltung steht und für das Gläubigergemeinschaftsrecht die Grundlage darstellt. Da ihre Geltungsdauer nicht beschränkt ist, bedarf sie keiner Erneuerung.

Neben dieser allgemeinen Ordnung bestehen aber für zwei Kategorien von Anleihensschuldnern, nämlich für Körperschaften des öffentlichen Eechtes und für notleidende Wirtschaftszweige, Sondervorschriften, die mit dem Ablauf des Jahres 1938 dahinfallen. Mit der zunehmenden Wirtschaftskrise hatte es sich nämlich gezeigt, dass die in der erwähnten Verordnung enthaltenen Vorschriften nicht ausreichen würden, um einigen in eine Notlage geratenen Wirtschaftszweigen und einzelnen Körperschaften des öffentlichen Eechts das Durchhalten zu ermöglichen. Daher ergab sich die Notwendigkeit, für diese besondern Fälle die Beschlussfassung zu erleichtern und die Beschlussmöglichkeiten zu erweitern. Da aber dem Bundesrat die Kompetenz hiefür fehlte, musste zuerst eine Grundlage geschaffen werden. Bezüglich der Anleihen von Körperschaften des öffentlichen Eechts wurde diese in Art. 53 des Finanzprogramms 1936 gelegt, welcher den Bundesrat ermächtigt, «Massnahmen zu treffen, die er zur Erhaltung des Landeskredits als notwendig und unaufschiebbar erachtet». Gestützt auf diese Ermächtigung fasste der Bundesrat den Beschhiss vom 24. November 1936 über den Schutz der Eechte der Anleihensgläubiger von Körperschaften des öffentlichen Eechts. Seine Geltungsdauer musste aber, entsprechend derjenigen des Einanzprogramms, auf das Ende des Jahres 1937 beschränkt werden und wurde dann, nach Verlängerung des Einanzprogramms, bis Ende des Jahres 1938 erstreckt (AS 53, 978). Die Basis für eine weitere Verlängerung der Geltungsdauer dieses Bundesratsbeschlusses soll durch den Bundesbeschluss betreffend die Übergangsordnung des Hnanzhaushalts des Bundes geschaffen werden, welcher in seinen Übergangsbestimmungen die Bundesversammlung ermächtigt, vorübergehend die erforderlichen Bestimmungen zur Festigung des Landeskredites zu treffen.

Zu diesen gehören auch die Sondervorschriften über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihen öffentlich-rechtlicher Körperschaften. Die Bundesversammlung wird also
nach Inkrafttreten der neuen Verfassungsbestimmungen die Möglichkeit haben, den Bundesrat durch einen Bundesbeschluss zur Erstreckung der Geltungsdauer dieser Bestimmungen zu ermächtigen. Für den Fall der Ablehnung der Verfassungsvorlage musste hingegen eine andere Grundlage gesucht werden. An dieser Stelle braucht aber hiefür nichts vorgekehrt zu werden.

Hier handelt es sich somit lediglich um die Erneuerung der Sondervorschriften über die Gläubigergemeinschaft, welche für die infolge der Krise notleidend gewordenen Wirtschaftszweige aufgestellt werden mussten. Die Kompetenz zum Erlass dieser Vorschriften hat sich der Bundesrat zunächst in Art. 53 des Bundesbeschlusses vom 30. September 1932 über das Pfandnachlassverfahren für die Hotel- und Stickereiindustrie geben lassen. Und er machte von ihr Gebrauch durch den Bundesratsbeschluss vom 29. November

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1932 betreffend die vorübergehende Abänderung der Verordnung über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen. Darin wurden gewisse Erleichterungen vorgesehen .für die Anwendung auf private Bisenbahn- und Schiffahrtsunternehmungen und auf Eigentümer von Hotelgrundstücken.

Diese Bestimmungen wurden ergänzt durch den Bundesratsbeschluss vom 20. Juli 1934. Aber auch sie erwiesen sich mit der Zeit als ungenügend. Die Gründe hiefür haben wir in der Botschaft vom 6. März 1935 (Bundesbl. 1935, Bd. I, S. 410 ff.) auseinandergesetzt. Der Bundesrat wurde hierauf durch Bundesbeschluss vom 5. April 1935 betreffend die -Ausdehnung der Bestimmungen über die Gläubigergemeinschaft (AS 51, 232 f.) ermächtigt, «auf dem Verordnungswege für bestimmte, infolge der Krise notleidend gewordene Wirtschaftszweige die Bestimmungen über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen im Sinne einer weitergehenden Entlastung des Schuldners abzuändern und dafür ein besonderes Verfahren vor dem Bundesgericht vorzuschreiben». Im weitern erhielt er die Ermächtigung, unter gewissen Voraussetzungen auch andere als Anleihensgläubiger in dieses Verfahren einzubeziehen (Art. 1). Diese Eegelung wurde getroffen durch den Bundesratsbeschluss vom 1. Oktober 1935 über die Anwendung der Gläubigergemeinschaft auf notleidende Wirtschaftszweige (AS 51, 673 ff.), der durch den Bundesratsbeschluss vom 20. April 1937 ergänzt wurde (AS 53, 454). Dieser Sonderregelung wurden unterstellt die Eisenbahn- und Schiffahrtsunternehrnungen, Hotelunternehmungen, Unternehmungen der Stickerei- und der Uhrenindustrie, sowie die Eigentümer eines ausschliesslich oder vorwiegend vom Fremdenverkehr abhängigen gewerblichen Betriebes. Da aber die Geltungsdauer des Bundesbeschlusses auf das Ende des Jahres 1938 beschränkt war, musste auch der Bundesratsbeschluss auf diesen Zeitpunkt befristet werden. Pur eine weitere Verlängerung fehlt dem Bundesrat die Kompetenz. Unter den gegenwärtigen politisch und wirtschafth'ch unsichern Verhältnissen kann aber nicht die Eede davon sein, diesen gefährdeten Wirtschaftszweigen den besondern Schutz zu entziehen. Die in der Botschaft vom 6. März 1935 (Bundesbl. 1935, Bd. I, S. 410 ff.) angeführten Gründe bestehen noch unverändert zu Becht, so dass wir uns hier darauf beschränken dürfen, auf jene Ausführungen zu verweisen.
Es sind zum Teil die gleichen Gründe, die uns veranlasst haben, Ihnen auch eine Verlängerung der Geltungsdauer der allgemeinen rechtlichen Schutzmassnahmen für die Hotel- und Stickereiindustrie zu beantragen (vgl. Botschaft vom 23. September 1938, Bundesbl. 1938, Bd. II, 465 ff.).

Wir unterbreiten Ihnen daher den Vorschlag, den grundlegenden Bundesratsbeschluss vom 5. April 1935 betreffend die Ausdehnung der Bestimmungen über die Gläubigergemeinschaft durch einen dringlichen Bundesbeschluss bis Ende des Jahres 1941 zu verlängern. Eine kürzere Erist glauben wir deshalb nicht befürworten zu können, weil sich immer mehr die Notwendigkeit aufdrängt, den ganzen Komplex des Gläubigergemeinschaftsrechts einer neuen .Regelung in der ordentlichen Gesetzgebung zu unterwerfen, am besten vielleicht im Zusammenhang mit einer Neuordnung des Nachlassvertragsrechts,

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so dass möglicherweise der ganze Abschnitt über die Gläubigergemeinschaft aus dem OE herausgenommen werden müsste. Bis zur Durchführung dieser Eeform, die wohl mehrere Jahre in Anspruch nehmen würde, sollte aber dem Bundesrat die Befugnis gewährt bleiben, die bestehenden Schutzmassnahmen, soweit nötig, aufrechtzuerhalten oder zu ergänzen, um den allenfalls zu erwartenden Schwierigkeiten rechtzeitig begegnen zu können.

Dass nur ein dringlicher Bundesbeschluss rechtzeitig zum Ziele führt, bedarf unter den gegebenen Verhältnissen wohl keiner nähern Begründung.

Ausserdem handelt es sich um eigentliches Notrecht, das sobald als möglich durch eine Eevision der ordentlichen Gesetzgebung ersetzt werden soll.

Wir empfehlen Ihnen die Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfes und bitten Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, den Ausdruck unserer vollkommenen Hochachtung zu genehmigen.

Bern, den 12. November 1938.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Baumann.

Der Bundeskanzler:

G. Bovet.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Verlängerung der Geltungsdauer der für notleidende Wirtschaftszweige geltenden Sondervorschriften über die Gläubigergemeinschaft.

Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 12. November 1938, beschliesst :

Art. 1.

Die Geltungsdauer des Bundesbeschlusses vom 5. April 1935 betreffend Ausdehnung der Bestimmungen über die Gläubigergemeinschaft wird bis Ende des Jahres 1941. verlängert.

Art. 2.

Dieser Bundesbeschluss wird dringlich erklärt und tritt am 1. Januar 1939 in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Verlängerung der Geltungsdauer der für notleidende "Wirtschaftszweige geltenden Sondervorschriften über die Gläubigergemeinschaft. (Vom 12. November 1938.)

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16.11.1938

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