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Bundesblatt

Bern, den 31. Dezember 1968

120. Jahrgang

Band II

Nr. 52 Erscheint wöchentlich. Preis Fr. 36.-im Jahr, Fr. 20.-im Halbjahr, zuzüglich Nachnahmeund Postzustellungsgebuhr Inseratenverwaltung: Permedia, Publicitas AG, Abteilung für Penodika, Hirschmattstrasse 42, 6002 Luzern

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Vom 9. Dezember 1968)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren !

Wir beehren uns, Ihnen den vorliegenden Bericht über die bei einem allfälligen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention (im folgenden Konvention genannt) zu schaffenden rechtlichen Voraussetzungen zu unterbreiten. Wir leisten damit dem Postulate des Nationalrates vom 22. Juni 1966 (Postulat Eggenberger) Folge.

Dem genannten Postulat sind in beiden Räten verschiedene frühere Interventionen vorausgegangen. So hat das zur Diskussion stehende Problem im Bericht des Bundesrates vom 26. Oktober 1962 über die Beziehungen der Schweiz mit dem Europarat (BB11962II1085) Erwähnung gefunden. Eine im gleichen Jahr eingereichte Interpellation von Herrn Nationalrat Purgier haben wir am 11. Dezember 1962 beantwortet. Auch un Ständerat haben wir am 14. Dezember 1965 in Beantwortung einer Interpellation von Herrn Lusser auf die Europäische Menschenrechtskonvention hingewiesen.

Damals waren wir im wesentlichen zur Überzeugung gelangt, dass die Konvention nur unter gleichzeitiger Anbringung einer ganzen Reihe von Vorbehalten unterzeichnet werden könnte, dass aber ein solches Vorgehen angesichts der beträchtlichen Tragweite dieser Vorbehalte kaum zu empfehlen wäre.

Wie wir dies im Bericht über die Richtlinien der Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1968-1971 durchblicken liessen, sahen wir uns jedoch seither veranlasst, unsere Auffassung zu ändern (BB1196811209.) Wir erachten es nicht mehr für unerlässlich, dass der Bund und die Kantone bereits vor einer Ratifizierung der Konvention die notwendigen rechtlichen Anpassungen vornehmen. Wir befürworten heute einen Beitritt unter gewissen Vorbehalten.

Bandesblatt, 120. Jahrg. Bd. II

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1058 Kapitell Die Europäische Menschenrechtskonvention 1. Die Europäischen Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet worden und ist am 3. September 1953 in Kraft getreten. Sie ist durch zwei Erklärungen und fünf Protokolle ergänzt worden, nämlich : - die Erklärung vom 4. November 1950 betreffend Artikel 25 der Konvention (Recht auf Individualbesch werde); - die Erklärung vom 4. November 1950 betreffend Artikel 46 der Konvention (Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes) ; - das Zusatzprotokoll zur Konvention vom 20. März 1952, in Kraft getreten am 18. Mai 1954; - das Protokoll Nr. 2 zur Konvention vom 6. Mai 1963 betreffend die Übertragung der Kompetenz, Rechtsgutachten abzugeben, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte; - das Protokoll Nr. 3 zur Konvention vom 6. Mai 1963 betreffend Abänderung der Artikel 29,30 und 34 der Konvention; - das Protokoll Nr. 4 zur Konvention vom 16. September 1963 betreffend Gewährleistung verschiedener zusätzlicher, in der Konvention und im Zusatzprotokoll nicht enthaltener Rechte und Freiheiten, in Kraft getreten am 2. Mai 1968; - das Protokoll Nr. 5 zur Konvention vom 20. Januar 1966 betreffend Abänderung der Artikel 22 und 40 der Konvention.

Mit der Konvention ist eine in der Präambel des Statuts des Europarates enthaltene Zielsetzung verwirklicht worden. Danach verleihen die Mitgliedstaaten ihrer unerschütterlichen Verbundenheit mit den geistigen und sittlichen Werten Ausdruck, welche das gemeinsame Erbe ihrer Völker und die Grundlage der persönlichen und politischen Freiheit sowie der Vorherrschaft des Rechtes bilden und auf denen jede wahre Demokratie beruht. Für die Mitgliedstaaten des Europarates stellt die Annahme der Konvention eines der wesentlichsten Mittel dar, um mittels kollektiver Garantien gewisse Rechte sicherzustellen, die durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 in der allgemeinen Menschenrechtserklärung verkündet worden sind. Die Konvention beschränkt sich auf die in der allgemeinen Menschenrechtserklärung aufgeführten bürgerlichen und politischen Rechte1), trachtet aber andererseits danach, ihnen mit wirksameren Mitteln Nachachtung zu verschaffen. Sie hat deswegen in Gestalt der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte einen internationalen Schutzmechanismus ins Leben gerufen, *) Diese Unterscheidung entspricht derjenigen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die am 16. Dezember 1966 zwei Abkommen auf dem Gebiet der Menschenrechte verabschiedet hat, nämlich den Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

1059 dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass die Unterzeichnerstaaten der Konvention die eingegangenen Verpflichtungen beachten. Die wirtschaftlichen und sozialen Rechte hingegen sind in der Europäischen Sozialcharta enthalten, die am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichnet worden und am 26. Februar 1965 in Kraft getreten ist, die von der Schweiz jedoch noch nicht unterzeichnet worden ist.

2. Die Konvention garantiert das Recht auf Leben (Art. 2) und verbietet Folterung, unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung (Art. 3) sowie Sklaverei, Leibeigenschaft, Zwangs- oder Pflichtarbeit (Art. 4). Sie gewährleistet das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person (Art. 5) und auf ein gerechtes Gerichtsverfahren (Art. 6); sie untersagt die rückwirkende Anwendung von Straf bestimmungen (Art. 7) und gebietet die Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs (Art. 8) ; sie garantiert ferner die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9), das Recht auf freie Meinungsäusserung (Art. 10), das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit ändern zusammenzuschliessen (Art. 11), wie auch das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen (Art. 12). Das Zusatzprotokoll gewährleistet unter anderem das Recht auf Achtung des Eigentums (Art. 1) sowie das Recht auf Bildung (Art. 2) und verpflichtet die Vertragsstaaten, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen zur Bestellung der gesetzgebenden Organe durchzuführen (Art. 3). Das Protokoll Nr. 4 verbietet den strafweisen Freiheitsentzug im Falle der Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung (Art. 1), garantiert das Recht auf ungehinderte Bewegung und freie Wahl des Wohnsitzes (Art. 2) und untersagt die Ausweisung der eigenen Staatsbürger (Art. 3) sowie die Kollektivausweisung Fremder (Art. 4). Die Konvention gewährleistet schliesslich auch das Recht, im Falle der Verletzung der von ihr garantierten Rechte und Freiheiten bei einer nationalen Instanz wirksam Beschwerde einzulegen (Art. 13).

Laut Artikel l der Konvention kommen die darin aufgeführten Rechte und Freiheiten allen Personen zu, die der Rechtshoheit eines Vertragsstaates unterstehen, ob es sich um dessen eigene Staatsbürger, um Staatsbürger eines anderen Vertragsstaates, eines Drittstaates oder gar um Staatenlose
handelt. In den Genuss dieser Rechte und Freiheiten soll jedermann ohne irgenwelche Benachteiligung gelangen. Insbesondere darf keine Benachteiligung im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Überzeugungen, in der nationalen oder sozialen Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder in einem sonstigen Status begründet sein (Art. 14).

Absolute Rechte existieren nicht, findet doch jede individuelle Freiheit ihre Schranken in den Erfordernissen der öffentlichen Ordnung. Die Konvention und die beiden vorerwähnten Protokolle sehen deshalb eine ganz Reihe von Beschränkungen und Ausnahmeregelungen allgemeiner und besonderer Art vor. Die Ausübung der angeführten Rechte und Freiheiten unterliegt im Interesse der Allgemeinheit gewissen Beschränkungen, die von der Konvention meist genau umschrieben werden, wobei beispielsweise folgende Leitideen im Vordergrund stehen: öffentliche Ordnung, nationale Sicherheit, Schutz der Gesundheit und der

1060 Rechtsordnung. Artikel 15 ermächtigt ausserdem die Vertragsparteien im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes, der die Nation in ihrer Existenz bedroht, Schutzmassnahmen zu treffen, welche von den sich aus der Konvention ergebenden Verpflichtungen abweichen, und zwar in einem der Lage angemessenen Umfang und unter der Bedingung, dass derartige Massnahmen nicht im Widerspruch zu sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen.

Schliesslich bleibt den Vertragsstaaten gemäss Artikel 16 das Recht vorbehalten, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen. Artikel 17 hält fest, dass kein durch die Konvention garantiertes Recht Tätigkeiten oder Handlungen schützt, die auf die Beseitigung der in der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten gerichtet sind.

Für weitere Einzelheiten kann auf den Text der dem vorliegenden Bericht anhangsweise beigefügten Konvention und der zugehörigen Protokolle verwiesen werden.

3. Die durch die Konvention und die dazugehörigen Protokolle zur Gewährleistung der einzelnen Rechte und Freiheiten ins Leben gerufenen Organe die Europäische Menschenrechtskommission und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - stellen eine besonders originelle Schöpfung dar.

Auch dem Ministerkomitee des Europarates sind durch die Konvention gewisse Kompetenzen auf dem uns interessierenden Gebiet übertragen worden.

Die Zahl der Mitglieder der Menschenrechtskommission entspricht der Zahl der Vertragsstaaten. Pro Vertragsstaat gehört ihr ein Mitglied an (Art. 20). Die Wahl der Kommissionsmitglieder erfolgt durch das Ministerkomitee des Europarates auf Grund einer vom Büro der Beratenden Versammlung zusammengestellten Namenliste ; diese Liste beruht auf Vorschlägen, welche von jeder Gruppe der Vertreter der einzelnen Vertragsstaaten in der Beratenden Versammlung des Europarates unterbreitet worden sind (Art. 21).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte setzt sich aus ebenso vielen Richtern zusammen, wie dem Europarat Staaten angehören - so dass die Schweiz darin bereits vertreten ist, obwohl sie der Konvention nicht angehört.

Gleichzeitig kann nur ein Angehöriger jedes einzelnen Mitgliedstaates Einsitz in den Gerichtshof nehmen (At. 38). Die Mitglieder des Gerichtshofes werden von der Beratenden Versammlung aus einer
Liste von Kandidaten gewählt, die von den Vertragsstaaten eingereicht wird, wobei jeder Staat das Recht hat, drei Namen vorzuschlagen; mindestens zwei der drei so vorgeschlagenen Kandidaten müssen Bürger des betreffenden Staates sein (Art. 39).

Die Mitglieder der Kommission wie auch diejenigen des Gerichtshofes üben ihre Funktion in persönlicher Eigenschaft aus1).

Die Kommission bildet eine erste Instanz. Sie kann sich nach einem allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechts erst dann mit einer Angelegenheit befassen, wenn der gesamte innerstaatliche Rechtsweg durchlaufen ist (Art. 26).

*) Hinsichtlich der Mitglieder der Kommission vgl. Artikel 23 der Konvention und hinsichtlich der Richter des Gerichtshofes : Vasak, La convention européenne des droits de l'homme, S. 152.

1061 Jeder Vertragsstaat hat gemäss Artikel 24 das Recht, durch Vermittlung des Generalsekretärs des Europarats die Kommission mit jeder angeblichen Verletzung der Bestimmungen der Konvention durch einen ändern Vertragspartner zu befassen. Aus der Logik des Schutzsystems, das auf der kollektiven Garantie der in der Konvention aufgeführten Rechte und Freiheiten aufbaut, ergibt sich somit, dass im Falle der Klage eines Staates nicht notwendigerweise auch einer seiner eigenen Bürger verletzt zu sein braucht, dem der betreffende Staat nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechtes seinen diplomatischen Schutz gewähren könnte.

Die Kommission kann auch von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personenvereinigung angegangen werden, die durch eine Verletzung der in der Konvention anerkannten Rechte beschwert zu sein behauptet.

Allerdings kann dieses individuelle Klagerecht nur gegen einen Vertragsstaat zur Anwendung kommen, der eine entsprechende Erklärung abgegeben hat, wonach er die Zuständigkeit der Kommission zur Entgegennahme derartiger Einzelgesuche anerkenne (Art. 25). Die Unterwerfung unter diese Kompetenz der Kommission ist demnach fakultativ.

Die Aufgaben der Kommission sind gewissennassen die einer Untersuchungs- und Schlichtungsstelle. Nachdem sie über die Annahme eines Gesuches befunden hat, stellt sie die Tatsachen fest und erstrebt eine vergleichsmässige Beilegung des Streitfalles (Art. 28). Scheitert sie in dieser Bemühung, so stehen ihr zwei Wege offen, um den Fall weiterzuführen. Sie kann entweder einen Bericht über den Sachverhalt ausarbeiten und darin zur Frage Stellung nehmen, ob der betroffene Staat seine Verpflichtungen aus der Konvention verletzt hat. Dieser Bericht ist an das Ministerkomitee weiterzuleiten, wobei die Kommission allenfalls ihr geeignet erscheinende Vorschläge unterbreiten kann (Art. 31). Oder die Kommission kann, innerhalb einer Frist von drei Monaten seit der Weiterleitung des erwähnten Berichtes an das Ministerkomitee, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur weiteren Abklärung des Falles anrufen. Dieser Schritt ist allerdings nur dann zulässig, wenn die beteiligten Parteien im konkreten Streitfall oder durch Abgabe einer entsprechenden allgemeinen Verpflichtungserklärung die obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes
anerkannt haben (Art. 46).

Wird der erste Weg beschritten und die Angelegenheit nicht dem Gerichtshofzugewiesen, so entscheidet das Ministerkomitee mit Zweidrittel-Mehrheit, ob eine Verletzung der Konvention vorliegt oder nicht. Bejaht das Ministerkomitee die Verletzung, so hat es dem betreffenden Vertragsstaat eine Frist anzusetzen, innerhalb welcher der Staat die in der Entscheidung des Komitees vorgesehenen Massnahmen durchzuführen hat. Trifft der Staat innerhalb des vorgeschriebenen Zeitraumes keine befriedigenden Massnahmen, so beschliesst das Komitee, wiederum mit Zweidrittel-Mehrheit, auf welche Weise sein ursprünglicher Entscheid durchgesetzt werden soll, und veröffentlicht den Bericht (Art. 32).

Laut Artikel 32, Absatz 4 haben sich die Vertragspartner zwar verpflichtet, jede derartige Entscheidung des Ministerkomitees für sich als bindend anzuerkennen; doch verfügt das Komitee, auf Grund des Statuts des Europarates, in

1062 der Praxis über keinerlei Zwangsmittel; die Konvention selbst erwähnt als einzige Sanktion die Veröffentlichung des Berichtes der Kommission. Diese Feststellung berührt allerdings in keiner Weise den obligatorischen Charakter der Entscheidungen des Ministerkomitees.

Wird der zweite Weg eingeschlagen, so gelangt die Kommission an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, damit dieser über die behauptete Konventionsverletzung entscheide. Der Gerichtshof kann aber noch auf anderem Wege angegangen werden, sei es durch denjenigen Vertragsstaat, dessen Bürger sich durch die behauptete Rechtsverletzung betroffen glaubt, sei es durch den Staat, der die Kommission ursprünglich mit der Angelegenheit betraut hat, oder schliesslich durch den Staat, der der Verletzung der Konvention beschuldigt wird.

Voraussetzung ist dabei stets, dass der oder die betroffenen Staaten sich der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterstellt haben (Art. 48). Ein Einzelner kann sich also nicht an den Gerichtshof wenden. Nur die Vertragsstaaten oder die Kommission besitzen ein aktives Klagerecht. Die Urteile des Gerichtshofes sind endgültig, abgesehen von der Möglichkeit einer Revision. Artikel 53 der Konvention stellt fest, dass die Vertragsparteien sich verpflichten, in allen Fällen, an denen sie beteiligt sind, den Entscheid des Gerichtshofes zu respektieren. Doch sind die Urteile von Rechts wegen nicht vollstreckbar. Das Ministerkomitee überwacht die Durchführung der Urteile, ohne indessen über Zwangsmittel gegenüber einem allfällig renitenten Staat zu verfügen.

Aus diesen Darlegungen folgt, dass die von der Europäischen Menschenrechtskonvention ins Leben gerufenen Organe, wenigstens was das Ministerkomitee und den Gerichtshof betrifft, über teilweise supranationale Kompetenzen verfügen. Zwar ist die Kompetenz des Gerichtshofes bloss fakultativ, und im konkreten Fall verfügen weder der Gerichtshof noch das Ministerkomitee über Zwangsmittel, um einen Vertragsstaat zur Beachtung einer Entscheidung veranlassen zu können. Doch kommt diesen Organen eine beträchtliche moralische Autorität zu, über die sich hinwegzusetzen schwierig wäre; dies vor allem auch, weil in letzter Instanz - wenigstens theoretisch - das Ministerkomitee von seiner ihm durch Artikel 8 des Statuts des Europarats übertragenen Kompetenz
Gebrauch machen könnte, den renitenten Staat in seinem Stimmrecht zu suspendieren oder ihn gar dazu aufzufordern, sich aus dem Europarat zurückzuziehen. Die Weigerung eines Mitgliedstaates, sich der Autorität des Europäischen Gerichtshofes zu beugen, käme in der Tat einer Missachtung der in der Präambel und in Artikel 3 des Statuts des Europarates aufgeführten Grundsätze gleich. Darin anerkennen die Mitglieder des Europarats den Grundsatz der Vorherrschaft des Rechtes und der Anwendung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf alle ihrer Herrschaftsgewalt unterstellten Personen.

4. Der Europäischen Menschenrechtskonvention gehören heute sechzehn Staaten an, nämlich sämtliche Mitgliedstaaten des Europarates mit Ausnahme von Frankreich, das die Konvention zwar unterzeichnet, nicht aber ratifiziert hat, und der Schweiz.

Alle Vertragsstaaten, mit Ausnahme von Griechenland, Italien, Malta, der Türkei und Zypern, haben auch die beiden fakultativen Erklärungerijbezüglich

1063 des Rekursrechtes von Einzelpersonen vor der Kommission und bezüglich der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes abgegeben. Die meisten dieser Staaten haben auch von dem ihnen durch die Konvention zugebilligten Recht Gebrauch gemacht, die erwähnten Erklärungen auf eine bestimmte Zeit zu befristen, in der Regel auf drei oder fünf Jahre. Diese Erklärungen können bei Ablauf der Frist erneuert werden. Auch von der in der Konvention vorgesehenen Möglichkeit, die Kompetenz des Gerichtshofes nur unter der Bedingung der Gegenseitigkeit anzuerkennen, haben mehrere Staaten Gebrauch gemacht.

Von den fünf nach Abschluss der Konvention unterzeichneten Protokollen beziehen sich drei auf Abänderungen oder Präzisierungen gewisser Konventionsartikel und werden aus diesem Grund erst mit der Ratifikation durch sämtliche Vertragsstaaten rechtskräftig. Die beiden ändern, nämlich das Zusatzprotokoll und das Protokoll Nr. 4, sind von besonderer Wichtigkeit, da sie, wie bereits erwähnt, eine Reihe weiterer, durch die Konvention selbst nicht geschützter Rechte garantieren. Zehn bzw. fünf Ratifikationen waren erforderlich, damit sie in Kraft treten konnten. Das Zusatzprotokoll ist im Laufe der Zeit von allen Vertragsparteien ratifiziert worden und am 18. Mai 1954 in Kraft getreten. Das Protokoll Nr. 4, im Jahre 1963 abgeschlossen und am 2. Mai 1968 in Kraft getreten, ist bisher von sieben Staaten, nämlich der Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Irland, Island, Luxemburg, Norwegen und Schweden ratifiziert worden.

Die Konvention und die Protokolle stehen nur den Mitgliedstaaten des Europarates zur Unterzeichnung offen. Es wird zu prüfen sein, in welchem Masse ein Mitgliedstaat wie die Schweiz bei einer heute erfolgenden Unterzeichnung der Konvention gehalten wäre, auch die verschiedenen Protokolle zu unterzeichnen.

Mehrere Staaten haben von der in Artikel 64 der Konvention erwähnten Möglichkeit Gebrauch gemacht, im Augenblick der Unterzeichnung oder der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde bezüglich bestimmter Vorschriften der Konvention einen Vorbehalt anzubringen, sofern ein zur betreffenden Zeit in ihrem Gebiet geltendes Gesetz nicht mit der fraglichen Vorschrift übereinstimmte. Jeder Vorbehalt muss von einer kurzen Inhaltsangabe des betreffenden Gesetzes begleitet sein. Indessen sind Vorbehalte allgemeiner Natur
nicht zulässig.

Die so angebrachten Vorbehalte sind recht zahlreich. Sie sollen hier aufgezählt werden : (1) - Die deutsche Bundesrepublik hat hinsichtlich des Artikels 7, Absatz 2 der Konvention (Einschränkung des Prinzips der Nichtrückwirkung von Straf bestimmungen) einen Vorbehalt angebracht, wonach sie diese Vorschriften nur in den Grenzen von Artikel 103, Absatz 2 ihres Grundgesetzes beachten werde, welcher bestimmt, dass eine Tat nur bestraft werden kann, «wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde».

(2) - Österreich hat drei Vorbehalte angebracht : einen hinsichtlich des Artikels 5 der Konvention (Recht auf Freiheit und Sicherheit), mit der Massgabe, dass die in seinen Gesetzen über das Verwaltungsverfahren vorgesehenen

1064 freiheitsent/iehenden Massnahmen unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof unberührt bleiben sollen; den zweiten mit Bezug auf die Bestimmungen des Artikels 6 (Recht auf ein gerechtes gerichtliches Verfahren), die nur soweit zur Anwendung gelangen, als sie nicht im Widerspruch stehen mit den in Artikel 90 des Bundesverfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 festgelegten Grundsätzen über die Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren; schliesslich hat Österreich hinsichtlich des Rechtes auf Eigentum (Art. l des Zusatzprotokolls) die im Staatsvertrag von 1955 angeführten Bestimmungen, namentlich bezüglich der aus dem Kriege herrührenden Ansprüche, vorbehalten.

(3) - Irland hat hinsichtlich des Artikels 6, Absatz 3, Buchstabe c (Recht des bedürftigen Angeklagten auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand) den Vorbehalt angebracht, dass diese Bestimmung nur in dem Masse anerkannt werde, als die betreffende Beihilfe bereits durch das interne irländische Recht vorgesehen ist.

(4) - Luxemburg hat bezüglich des in Artikel l des Zusatzprotokolls aufgeführten Rechtes auf Eigentum die Gültigkeit seines eigenen Gesetzes vom 26. April 1951 betreffend Liquidierung von beschlagnahmten Gütern, Rechten und Interessen ehemaliger Feinde vorbehalten.

(5) - Malta hat drei Vorbehalte angebracht. Der erste betrifft das in Artikel 2, Absatz 2 Buchstabe a der Konvention enthaltene Recht des Einzelnen auf Verteidigung gegenüber rechtswidrigen Angriffen; dieses Recht soll sich ebenfalls auf die Verteidigung materieller Güter im Rahmen der durch das maltesische Strafgesetzbuch aufgestellten Bestimmungen beziehen. Der zweite Vorbehalt betrifft Artikel 10 der Konvention, insoweit als die Meinungsäusserangsfreiheit der maltesischen Beamten im Rahmen der Vorschriften ihrer Berufsordnung eingeschränkt sein soll. Der dritte Vorbehalt von Malta bezieht sich auf Artikel 2 des Zusatzprotokolls.

(6) - Norwegen hat angesichts des ursprünglich in Artikel 2 seiner Verfassung enthaltenen Verbots des Jesuitenordens zu Artikel 9 der Konvention (Gedanken- und Religionsfreiheit) einen entsprechenden Vorbehalt angebracht, der aber nach Änderung der Verfassung im Jahre 1956 durch die norwegische Regierung zurückgezogen worden ist.

(7) -
Die Niederlande haben mit Bezug auf Artikel 6, Absatz 3, Buchstabe c der Konvention einen Vorbehalt hinsichtlich des Anspruchs auf einen Rechtsbeistand in Strafsachen angebracht, doch ist der Geltungsbereich des Vorbehaltes auf die Überseegebiete von Surinam und den niederländischen Antillen beschränkt.

Fünf Vorbehalte oder auslegende Erklärungen beziehen sich auf Artikel 2 des Zusatzprotokolls (Recht auf Bildung), und zwar auf den Abschnitt, demzufolge jeder Vertragsstaat das Recht der Eltern zu achten hat, die Erziehung und den Unterreicht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.

1065 (1) - Griechenland hat festgehalten, dass der Ausdruck «weltanschaulich» in seinem Land eine den einschlägigen Bestimmungen des eigenen Rechtes konforme Auslegung erfahren werde.

(2) - Malta hat diesen Artikel nur insoweit angenommen, als'er vereinbar ist mit der Pflicht, wirksam Unterricht zu erteilen und wirksame Ausbildung zu vermitteln,und in diesem Zusammenhang nicht zu übermässigen öffentlichen Ausgaben führt; dabei ist von der Tatsache auszugehen, dass die Bevölkerung dieses Landes in ihrer grossen Mehrheit römisch-katholischen Glaubens ist.

(3) - Das Vereinigte Königreich hat den Artikel nur in dem Masse gutgeheissen, als er vereinbar ist mit dem Grundsatz der Vermittlung wirksamen Unterrichtes und wirksamer Ausbildung und nicht zu übermässigen öffentlichen Ausgaben führt.

(4) - Schweden hat mit Hinweis auf verschiedene seine Schulen betreffende Bestimmungen einen Vorbehalt angebracht, dass einerseits den Eltern nicht das Recht zugestanden werden könne, die Befreiung ihrer Kinder von der obligatorischen Teilnahme an gewissen Veranstaltungen des Unterrichts zu verlangen, indem sie sich auf ihre weltanschaulichen Überzeugungen berufen; und dass andererseits nur diejenigen Kinder von der Pflicht zur Teilnahme an der Unterweisung in der christlichen Lehre befreit werden könnten, die sich zu einem ändern Glauben als demjenigen der schwedischen Kirche bekennen, und sofern die Erteilung eines genügenden Religionsunterrichtes in diesem ändern Glauben gewährleistet ist.

(5) - Die Türkei hat sich die Anwendung des türkischen Gesetzes betreffend Vereinheitlichung des Erziehungswesens aus dem Jahre 1924 vorbehalten.

5. Es scheint angebracht, noch kurz einige Hinweise und Angaben über das bisherige Wirken von Kommission und Gerichtshof zu geben.

Die Europäische Menschenrechtskommission ist seit Inkrafttreten der Konvention nur siebenmal seitens der Vertragsstaaten mit Gesuchen angegangen worden. Eines dieser Gesuche war von der österreichischen Regierung gegen diejenige Italiens eingereicht worden, und zwar im Gefolge der Verurteilung von sechs jungen Leuten aus Südtirol, die des Mordes an einem Grenzwächter angeklagt waren. Nachdem die Kommission zum Schlüsse gekommen war, dass Artikel 6 der Konvention (Recht auf ein gerechtes Gerichtsverfahren) nicht verletzt worden war, und sich das
Ministerkomitee dieser Meinung ebenfalls angeschlossen hatte, wurde der Fall abgeschrieben. Zwei weitere Gesuche waren von der griechischen gegen die britische Regierung angestrengt worden, wobei es um gewisse Massnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung auf der Insel Zypern ging. Nachdem die Insel im Gefolge der Abkommen von Zürich und London die Unabhängigkeit erlangt hatte, beschloss das Ministerkomitee, die betreffenden Gesuche nicht mehr weiter zu behandeln. Im September 1967 schliesslich haben die Regierungen von Dänemark, Norwegen, Schweden und den Niederlanden vier gegen die Regierung Griechenlands gerichtete Gesuche eingereicht. Inhalt-

1066 lieh praktisch identisch, wurden diese Gesuche durch die Kommission zu einem einzigen Fall zusammengefasst; sie beziehen sich auf das königliche Dekret vom 21. April 1967, durch welches verschiedene Artikel der griechischen Verfassung ausser Kraft gesetzt wurden. Diese Gesuche sind von der Kommission am 24. Januar 1968 als zulässig erklärt worden.

Andererseits ist die Zahl der von Einzelpersonen an die Kommission gerichteten Beschwerden recht beträchtlich, handelt es sich doch bis Ende 1967 um 3446 Beschwerden, von denen allerdings nur 49 von der Kommission als zulässig erachtet wurden. Die Zahl der im Jahre 1967 registrierten Beschwerdegesuche belief sich auf 445 ; 7 davon wurden von der Kommission als zulässig erklärt. Am Jahresende 1967 befanden sich noch 13 Einzelbeschwerden im Stadium der Untersuchung. Die Mehrzahl der Einzelbeschwerden stammt von Bürgern der deutschen Bundesrepublik, was darauf zurückzuführen ist, dass dieses Land während langer Zeit der einzige grössere Vertragsstaat war, welcher die Kompetenz der Kommission zur Entgegennahme von Einzel beschwerden anerkannt hatte. Am nächsthäufigsten sind Beschwerden von österreichischen und belgischen Staatsangehörigen. Die Beschwerden beziehen sich vor allem auf die Artikel 5 und 6 der Konvention, also auf die Umstände der Verhaftung und der strafrechtlichen Aburteilung von Einzelpersonen, sowie die Rechte der Verteidigung im allgemeinen.

Eine gewisse Zahl von Beschwerden, die als zulässig erklärt worden waren, haben durch Vermittlung der Kommission vergleichsweise beigelegt werden können. Einige weitere, bei denen die Kommission auf Verletzung der Konvention erkannt hatte, sind von ihr selbst an den Gerichtshof überwiesen worden. Wir werden auf diese Fälle weiter unten eingehen. In ändern Fällen hat die betroffene Regierung von sich aus die Abänderung ihrer eigenen Rechtsordnung vorgenommen, um diese mit der Konvention in Übereinstimmung zu bringen, was jeweilen dem Ministerkomitee erlaubte, die Angelegenheit als erledigt zu erklären. Aus diesem Grund hat sich das Ministerkomitee bis heute nur mit Beschwerden zu befassen gehabt, bei denen die Kommission zum Schluss gelangt war, dass eine Verletzung der Konvention nicht vorliege, und es hat sich darauf beschränken können, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu übernehmen. Die
Frage, welche Folgen sich in der Praxis aus einem Entscheid des Ministerkomitees ergäben, der das Vorliegen einer Konventionsverletzung bejahen würde, bleibt deshalb vorläufig noch offen.

Zwölf Streitfälle sind bisher ins Geschäftsregister des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eingetragen worden. Im ersten Fall (Lawless) kam der Gerichtshof im Gegensatz zur Kommission zum Schluss, dass die irische Regierung angesichts der damaligen politischen Unruhen in Irland die Konvention nicht verletzt hatte, als sie einen ihrer Bürger ohne vorheriges Gerichtsurteil in Haft genommen hatte. Ein weiterer Fall war abgeschrieben worden, nachdem das in diesem Fall beschuldigte Belgien das Gesetz abgeändert hatte, auf Grund dessen ein belgischer Journalist (De Becker) wegen Zusammenarbeit mit dem Feind während des Krieges in der Ausübung seines Berufes suspendiert worden war. Ende 1967 waren noch zehn Beschwerden vor dem Gerichtshof hängig. Bei sechs davon handelt es sich um die sogenannten «belgischen Sprachenfälle», bei

1067 denen es um gewisse Aspekte der belgischen Gesetzgebung hinsichtlich des Sprachgebrauchs in den Schulen geht1), während vier weitere Fälle sich auf die Frage der Dauer der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich beziehen2).

Dieser kurze Überblick erlaubt die Feststellung, dass die Kommission vor allem angerufen wird, um über Einzelbeschwerden zu befinden; von diesen Beschwerden kann schliesslich aber nur ein sehr kleiner Teil überhaupt zugelassen werden. In der Mehrzahl der untersuchten Fälle wurde entschieden, die Konvention sei nicht verletzt worden. In denjenigen Fällen, in denen die Kommission das Vorliegen einer Verletzung glaubte bejahen zu sollen, konnte die Angelegenheit in der Folge oft durch Vergleich beigelegt werden, da das laufende Untersuchungsverfahren sich günstig auf die Neugestaltung der internen Rechtsordnung des beschuldigten Landes auszuwirken pflegte.

Kapitel II Die Europäische Menschenrechtskonvention und die schweizerische Rechtsordnung (allgemeine Fragen) 1. Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag. Es erwachsen aus ihr deshalb an und für sich nur den Vertragsstaaten völkerrechtliche Verpflichtungen3). Wie aus der Präambel hervorgeht, soll jedoch die Konvention im internationalen Bereich gewisse Rechte, die in der am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung angenommenen und verkündeten Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen enthalten sind, einer kollektiven Garantie unterstellen. Zu diesem Zwecke sichern die Vertragsstaaten, gestützt auf Artikel l der Konvention, « allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu». Die Absicht, nicht nur Verpflichtungen für die Vertragsstaaten zu schaffen, sondern vielmehr Rechte zu begründen, auf die sich die ihrer Rechtshoheit unterstehenden Einzelpersonen unmittelbar berufen können, geht auch aus der Formulierung verschiedener weiterer Artikel, vor allem des Artikels 134), hervor. Es sind also «Einzelpersonen», die unmittelbar von der Konvention angesprochen werden und die, gestützt auf 1

) Vgl. die Entscheidung des Gerichtshofes vom 23. Juli 1968, auf die wir bei der Prüfung von Artikel! des Zusatzprotokolles zurückkommen werden.

) Vgl. die vom Gerichtshof am 27. Juni 1968 gefällten Entscheide in Sachen Wemhoff und Neumeister.

8 ) Vgl. Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Band I, S.256ff., insbesondere S.270ff.; sowie Traité en droit international public, deuxième édition revue et aug'mentée.BandLS. 197.

*) Vgl. Partsch, Die Rechte und Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention in: Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Band l, 1.

Halbband, S. 266-268.

2

1068 Artikel 25, Absatz l im konkreten Fall durch die Verletzung der in der Konvention garantierten Rechte seitens eines Vertragsstaates beschwert zu sein behaupten können.

2. Wenn auch keine Zweifel bestehen, dass die Mitglieder des Europarates bei der Ausarbeitung der Konvention Individualrechte schaffen wollten1), so handelt es sich bei der Konvention dennoch um einen völkerrechtlichen Vertrag, der nicht darauf abzielt, die in den Einzelstaaten getroffenen Regelungen auf dem Gebiet der Menschenrechte zu ersetzen2). Es handelt sich in der Tat nicht um ein Einheitsgesetz, das von den Vertragspartnern unverändert in ihre Landesrechtsordnung zu übernehmen wäre, sondern vielmehr um ein zwischenstaatliches Abkommen, das gewissermassen einen «Minimalstandard»3) aufstellt, der von den beteiligten Staaten nicht mehr unterschritten werden darf. So hält beispielsweise Artikel 60 der Konvention ausdrücklich fest, dass keine Bestimmungen als «Beschränkung oder Minderung eines der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgelegt werden» darf, die bereits in den landesrechtlichen Gesetzen eines Vertragspartners festgelegt worden sind. Die Europäische Menschenrechtskommission hat sich über die Tragweite der Verpflichtungen der Vertragsstaaten wie folgt ausgesprochen4): «... gemäss den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts, und gestützt auf den Geist der Konvention und die dazugehörigen Vorarbeiten, haben die Vertragsparteien, unter Vorbehalt der Bestimmungen des Artikels 64 der Konvention die Pflicht, darüber zu wachen, dass ihre interne Rechtsordnung mit der Konvention im Einklang steht, und gegebenenfalls die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um dieses Ziel zu verwirklichen; denn die Konvention ist von allen Behörden der Vertragsstaaten, also auch von den gesetzgebenden, zu beachten. » Es ist demnach Aufgabe der Vertragsstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre nationalen Behörden die internationalen Verpflichtungen beachten, die sie mit der Ratifikation der Konvention übernommen haben. Während Charakter und Umfang dieser Verpflichtungen vom Völkerrecht umschrieben werden, ist es eine Frage des jeweiligen Verfassungsrechtes, inwieweit die einzelnen Vertragsstaaten *) Vgl. Vasak, Convention, S. 234.

2 ) Vgl. hiezu den Entscheid des Europaischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 9. Februar 1967 in der
Angelegenheit der Sprachenregelung im belgischen Unterrichtswesen: «considérant... que la Convention et le protocole additionnel, portant sur des matières qui relèvent normalement de l'ordre juridique interne des Etats contractants, sont des instruments internationaux ayant essentiellement pour objet de fixer certaines normes internationales à respecter par les Etats contractants dans leurs rapports avec les personnes placées sous leur juridiction...» (Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A : Arrêts et décisions 1966-1967).

3 ) Vgl. Partsch, a. a. O., S.268. Hinsichtlich des «objektiven» Charakters dieses «Minimalstandards» sei auf den Entscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 11. Januar 1961 verwiesen (sur la recevabilité de la requête N" 788/60), der von der Errichtung eines «ordre public communautaire des libres démocraties d'Europe» spricht (Annuaire de la Convention européenne des droits de l'homme Nr.4 [1961], S. 139). Siehe ausserdem: Favre, La Convention européenne des droits de l'homme, Schweizerisches Jahrbuch fur internationales Recht, Bd.XXIII (1966), S.22f.

4 ) Entscheid vom 9. Juni 1958 betreffend die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 214/56 (Angelegenheit De Becker), Annuaire Nr. 2 (l 958-1959), S. 235 (unsere Übersetzung).

1069 im Rahmen ihrer internen Rechtsordnung den eingegangenen Verpflichtungen nachkommen1).

3. Die Frage der Anwendbarkeit der Konvention im Bereiche der internen Rechtsordnung gehört in den allgemeinen Problemkreis des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht2) und, im speziellen, der Rechtswirksamkeit völkerrechtlicher Verträge im Landesrecht3). Zwei Fragen sind in dieser Hinsicht nacheinander zu untersuchen4): Bilden die Bestimmungen der Konvention (sowie jene des Zusatzprotokolls und des Protokolls Nr. 4) Bestandteil der internen Rechtsordnung der Vertragsstaaten (Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge) ? Und wenn ja, welches sind die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen einer derartigen Eingliederung ?

Dem Problem der Stellung der Konvention im internen Recht der Vertragsstaaten haben eine grosse Zahl von Autoren ihre Aufmerksamkeit geschenkt5).

Allgemein können die Vertragsstaaten in zwei grössere Kategorien eingeteilt werden. Einer ersten Gruppe können diejenigen Staaten zugerechnet werden, welche in der Konvention (und im Zusatzprotokoll) keine direkte Rechtsquelle für ihr internes Recht sehen, nämlich Dänemark, Irland, Island, Norwegen, Grossbritannien und Schweden6). Diese Länder bekennen sich zum dualistischen Prinzip, demzufolge eine strikte Trennung zwischen völkerrechtlicher und landesrechtlicher Ordnung besteht, und haben bis heute keine entsprechenden Schritte unternommen, um die Konvention in ihr Landesrecht aufzunehmen. Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass die Bestimmungen der Konvention und des Zusatzprotokolls in folgenden Ländern als Bestandteil der Landesrechtsordnung gelten: Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Türkei und Zypern. Die Frage, welche Stellung der Konvention in der Hierarchie der internen Rechtsnormen zukommt, kann allerdings für diese Länder nicht immer mit Gewissheit beantwortet werden. Im allgemeinen wird angenommen, dass die Konvention in der Bundesrepublik Deutschland einem gewöhnlichen Bundesgesetz gleichzusetzen ist '), während ihr x

) Vgl. Partsch, a.a.O., S. 271. Zu dieser Frage ausserdem auch H. Huber, Das Zusammentreffen der europäischen Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit den Grundrechten der Verfassungen, in Gedächtnisschrift Hans Peters, S. 388ff.

2 ) Vgl. Lardy, La force obligatoire du droit international en droit interne, Paris 1966.

8 ) Vgl. Aubert, L'autorité, en droit interne, des traités internationaux, Zeitschrift für schweizerisches Recht, 1962, S.265ff.

*) Vgl. Comte, L'application de la Convention européenne des droits de l'homme dans l'ordre juridique interne, Revue de la Commission internationale de juristes, 1962, Jahrgang IV, Heft l, S. 115 ff.

6 ) Vgl. vor allem Buergenthal, Un nouvel examen du statut juridique,de la Convention européenne de sauvegarde des droits de l'homme dans les pays parties, Revue de la Commission internationale de juristes, 1966, Jahrgang VII, Heft l, S. 57ff.

6 ) Vgl. Ganshof van der Meersch, Organisations européennes, Band I, S. 365f.

') Vgl. Vasak, Convention, S.240; Partsch, a.a.O., S.283; Buergenthal, a.a.O., S.75; siehe auch Menzel, Verfassungsrang für die Normen der europäischen Menschenrechtskonvention nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland ? Recueil d'études de droit international en hommage à Paul Guggenheim, S. 573 ff.

1070 in Österreich der Rang eines Verfassungsgesetzes zukommt1), so dass sie auf der gleichen Stufe steht wie die Verfassung dieses Landes. In den Niederlanden geht die Konvention nicht nur gewöhnlichen Gesetzen, sondern auch der Verfassung vor2). Die bundesdeutschen Gerichte haben die unmittelbare Anwendbarkeit (self-executing)3) der Bestimmungen des ersten Abschnittes der Konvention anerkannt, was bedeutet, dass diese Bestimmungen präzis genug formuliert sind, um vor den nationalen Gerichten direkt angerufen werden zu können, ohne dass vorerst noch entsprechende Ausführungsnormen erlassen werden müssten. Auf der ändern Seite hat der österreichische Verfassungsgerichtshof in zwei Urteilen vom 27. Juni 1960 und vom 14. Oktober 1961 festgehalten, dass die Artikel 5 und 6 der Konvention nicht unmittelbar angewendet werden könnten4). Hinsichtlich des Artikels 5, Absatz l, Buchstabe c hat der Gerichtshof insbesondere daraufhingewiesen 5), dass diese Bestimmung mit dem Absatz 3 des Artikels 5 im Zusammenhang gelesen werden müsse; folgende Fragen seien darin nicht beantwortet: vor wen die verhaftete Person zitiert werden soll (vor einen Richter oder eine andere Amtsperson, die vom Gesetz mit der Ausübung richterlicher Aufgaben betraut ist) ; welche vor der Fällung eines Urteils einzuhaltende Frist als vernünftig zu erachten ist ; und unter welchen Bedingungen ein Verhafteter nach Leistung einer Kaution, deren Art und Umfang ebenfalls nicht näher festgelegt sind, wieder auf freien FUSS gesetzt werden kann. Der Verfassungsgerichtshof ist deshalb zum Schluss gekommen, dass die betreffende Bestimmung einer näheren Umschreibung durch den Gesetzgeber bedarf und nicht direkt angewendet werden kann.

Im Jahre 1965 ist der Gerichtshof indes bei der Auslegung des Artikels 6 der Konvention von seiner bisherigen Rechtsprechung abgegangen (Urteil vom 14. Oktober 1965).

4. In der Schweiz sind laut Artikel 113, Absatz 3 der Bundesverfassung die von der Bundesversammlung genehmigten Staatsverträge für das Bundesgericht verbindlich. Diesen Verträgen kommt Gesetzescharakter zu. Das Bundesgericht und alle anderen Gerichte wenden demzufolge Staatsverträge ohne vorherige Transformation in spezifisch landesrechtliche Normen und sogar ohne eine öffentliche Publikation an6). Ein nicht veröffentlichter Vertrag bindet jedoch
lediglich die staatlichen Organe. Für den Bürger ist ein Vertrag nur verbindlich, wenn er in der amtlichen Sammlung der eidgenössichen Gesetze veröffentlicht ist.

Diese Unterscheidung wird bestätigt durch den Wortlaut des Artikels 9 des Bundesgesetzes vom 12. März 1948 über die Rechtskraft der bereinigten Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen für die Jahre 1848-1947 und der neuen Reihe der amtlichen Sammlung ').

1

) Verfassungsgesetz vom 4. März 1964, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Nr. 59/1964, S. 623 f. ; Vgl. Partsch, a. a. O., S. 289 undBuergenthal, a. a.D., S. 65.

2 ) Vgl. Partsch, a.a.O., S.288; Buergenthal, a.a.O., S.93.

") Vgl. Buergenthal, a.a.O., S.73.

4 ) Vgl.Vasak, Convention, S. 236f.

s ) AnnuaireNr.4(1961),S.611.

6 ) Vgl. z. B. Aubert, Traité de droit constitutionnel suisse, Band 2, Note 1325, S. 483.

') AS 1949, II, 1523.

1071 Was das Verhältnis zwischen Staatsverträgen und Bundesgesetzen betrifft, so wird nach der Praxis der Bundesbehörden anerkannt, dass im Falle von Widersprüchen der völkerrechtliche Vertrag in der Regel der landesrechtlichen Gesetzgebung vorgeht1).

Die Frage des Verhältnisses zwischen Staatsvertrag und Bundesverfassung bedarf in diesem Zusammenhang ebenfalls noch einer kurzen Erwähnung2). Es ist nämlich die Meinung vertreten worden3), der Bund könnte, in Abänderung der Verfassung, auf Bundesebene das Wahlrecht für die Frauen einführen, indem er den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention erkläre. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die in der Bundesverfassung enthaltenen grundsätzlichen Normen nicht auf dem Umweg über den Abschluss eines Staatsvertrages abgeändert oder aufgehoben werden können1). Ein Staatsvertrag, der derartige wesentliche Normen berühren würde, müsste hinsichtlich seiner Genehmigung dem Verfahren unterworfen werden, das bei partiellen Verfassungsrevisionen zur Anwendung gelangt. Es sei aber daran erinnert, dass unsere Rechtsordnung eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Staatsverträge nicht kennt5).

Die schweizerischen Gerichte können die Anwendung eines Staatsvertrages nicht mit Hinweis auf Widersprüche zwischen dessen Bestimmungen und jenen der Bundesverfassung verweigern.

5. Bisher haben nur wenige Autoren das Verhältnis zwischen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der schweizerischen Rechtsordnung aus dem Blickwinkel eines allfälligen Beitritts unseres Landes zu einer Konvention untersucht. Die sich ergebenden Probleme sind jedoch einer eingehenderen Prüfung wert, bevor im einzelnen auf die verschiedenen Unterschiede zwischen unserem Recht und der von der Konvention eingeführten Ordnung eingetreten werden kann.

Nach der Meinung von Bundesrichter O. Kaufmann6) beachtet die Schweiz im grossen und ganzen die von der Konvention garantierten Rechte. In seiner Sicht liegt das Hauptproblem darin, ob infolge der Kündbarkeit der Konven1

) Vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom l. März 1965 über die Genehmigung von acht Übereinkommen des Europarates (BB1 1965,1, 439). Siehe überdies den Bericht des Bundesrates vom 15. Mai 1968 an die Bundesversammlung über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1968-1971 (BB1 1968,1,1218).

2 ) Vgl. Lardy, a. a.O., S.225ff.

8 ) Vgl. Die Schweiz und die Europäische Menschenrechtskonvention (Eine Arbeitstagung der Europaunion), Neue Zürcher Zeitung Nr. 5026 vom 23. November 1964.

4 ) Vgl. das Rechtsgutachten des Politischen Departements vom 15. August 1957, Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden, Heft 29 (1959-1960), Nr. 3; vgl. auch Favre, Droit constitutionnel suisse, S. 176.

6 ) Vgl. Artikel 113, Absatz 3, der Bundesverfassung, sowie Lardy, a.a.O., S.230: «En d'autres mots, selon le système juridique suisse, les traités bénéficient au niveau de l'exécution judiciaire d'une primauté par rapport aux normes constitutionnelles. » 6 ) Frauen, Italiener, Jesuiten, Juden und Anstaltsversorgte, Vorfragen eines Beitritts der Schweiz zur europäischen Menschenrechtskonvention, in: St.Galler Festgabe 1965, S. 251-253.

1072 tion1) die Bundesversammlung kompetent wäre, über einen allfälligen Beitritt zu befinden, oder ob ein derartiger Beitritt zu einer wichtigen Änderung unserer verfassungsrechtlichen Ordnung führen würde, so dass das Verfahren bei partiellen Verfassungsrevisionen Platz greifen müsste (Artikel 123 Bundesverfassung: obligatorisches Verfassungsreferendum). Seiner Meinung nach steht dem Bundesgericht laut Artikel 113, Absatz l, Ziffer 3 der Bundesverfassung einerseits und Artikel 13 der Konvention2) andererseits die Kompetenz zu, über staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger und der durch die Konvention garantierten Rechte zu befinden. Zwei Einschränkungen sind hier allerdings anzubringen : gemäss Artikel 84 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) ist eine staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht nur zulässig, wenn sie sich gegen einen kantonalen Entscheid oder Erlass richtet ; ausserdem bestimmt Artikel 113, Absatz 3 der Bundesverfassung, dass « die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemein verbindlichen Beschlüsse, sowie die von ihr genehmigten Staatsverträge für das Bundesgericht massgebend» sind. Nach der Meinung Kaufmanns verlangt jedoch Artikel 13 der Konvention, dass alle staatlichen Handlungen oder Entscheide vor der Konvention standhalten und dass namentlich ein Bundesgesetz, auf welches sich ein konkreter Verwaltungsentscheid stützt, von einer nationalen Instanz überprüft werden kann. Da die Verfassung über weite Strecken die gleichen Grundrechte garantiert wie die Konvention selbst, würde im konkreten Fall die Prüfung der Vereinbarkeit der Bundesgesetzgebung mit der Konvention indirekt auch auf eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit dieser Gesetzgebung hinauslaufen; aus dieser Sicht wäre Artikel 113, Absatz 3 der Bundesverfassung mit der Konvention nicht vereinbar3). Kaufmann zieht daraus den Schluss, es handle sich bei der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht um einen gewöhnlichen Staatsvertrag auf Gesetzesstufe im Sinne des Artikels 89, Absatz 4 der Bundesverfassung, sondern viel eher um einen solchen auf Verfassungsstufe, der die in den einzelnen nationalen Verfassungen garantierten Individualrechte verstärkt und der also, sollte die Schweiz der Konvention
beitreten, zu einer wichtigen Abänderung der Bundesverfassung führen müsste. Der Autor folgert hieraus, dass die Frage der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz4) und die Frage des schweizerischen Beitritts zur Europäischen Menschenrechtskonvention eng verknüpft ^Artikel 65.

2 ) « Sind die in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten verletzt worden, so hat der Verletzte das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzureichen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben. » 8 ) A. a. O. S. 253 : «Bedenkt man, dass die Konvention weitgehend die gleichen Grundrechte schützt wie die Verfassung, ergäbe sich praktisch mit der Prüfung der Konventionskonformität die Prüfung der Verfassungsmässigkeit der Bundesgesetzgebung (wobei zum vorneherein eine solche Überprüfung nur durch das Bundesgericht und nicht durch den Bundesrat in Betracht kommt). Die Konvention ist also mit Artikel 113, AbsatzS der Bundesverfassung nicht vereinbar.» 4 ) Vgl. zu diesem Punkt die interessanten Betrachtungen von Prof.W.Kägi, Die Menschenrechte und ihre Verwirklichung, S. 30f.

1073 sind. Professor Aubert schliesst eine derartige Schlussfolgerung nicht zum vornherein aus1).

Professor D. Schindler hat darauf hingewiesen2), dass die von der Konvention vorgesehene Garantie der Menschenrechte teilweise weniger weit, teilweise aber weiter geht als jene in der Bundesverfassung. Ausserdem sind mehrere in der Konvention enthaltene Rechte entweder in den Kantonsverfassungen oder dann in kantonalen oder eidgenössischen Gesetzen umschrieben. Diese Tatsache bildet nach der Meinung des Autors kein Hindernis für einen schweizerischen Beitritt zur Konvention. Nach der Auffassung der herrschenden Lehre und nach konstanter Rechtspraxis der Bundesbehörden ist der Bund nämlich berechtigt, auch auf Gebieten Staatsverträge abzuschliessen, die grundsätzlich in die Gesetzgebungskompetenz der Kantone fallen3). Innerhalb der schweizerischen Rechtsordnung kommt der Konvention nach Schindlers Meinung Gesetzescharakter zu. Im Falle der Verletzung von Konventionsbestimmungen durch eine kantonale Behörde könnte der Verletzte beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung eines Staatsvertrages erheben (Art. 84, Abs. l, Buchstabe c OG). Da eine derartige Beschwerde gegen Entscheide oder Erlasse der Bundesbehörden nicht vorgesehen ist, könnte der Verletzte in diesem besonderen Falle direkt an die Europäische Menschenrechtskommission gelangen, ohne vorher das Bundesgericht anzurufen. Dies bedingt allerdings, dass die Schweiz die in Artikel 25 der Konvention vorgesehene Erklärung abgibt, wonach sie die Zuständigkeit der Kommission zur Entgegennahme von Einzelbeschwerden anerkennt.

Dieselbe Meinung vertritt auch Professor H.Huber4). Im Gegensatz zu Bundesrichter Kaufmann glaubt Schindler, dass der Beitritt der Schweiz zur Konvention auf dem ordentlichen Weg des Abschlusses eines Staatsvertrages erfolgen könne : Genehmigung in Form eines Bundesbeschlusses, verknüpft mit der Ermächtigung des Bundesrates, die Ratifikation vorzunehmen. Da die Konvention von jedem Vertragspartner nach Ablauf von fünf Jahren seit Inkrafttreten der Konvention für den betreffenden Staat unter Beachtung einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden kann (Art. 65), wäre der Bundesbeschluss nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen (Art. 89, Abs. 4 der Bundesverfassung).

*) Traité, Band 2,
Note 1777, S. 641 : «Enfin, selon la façon dont est compris l'article 13 de la Convention, c'est tout le système de notre juridiction constitutionnelle interne qui devrait être revu, puisque aujourd'hui certains actes étatiques, à commencer par les lois fédérales, échappent à toute censure. » 2 ) Die europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Neue Zürcher Zeitung Nr. 3314 und 3323 vom 8. und 9. August 1964.

3 ) Vgl. Favre, Traité, a. a. O. ; Aubert, Traité, Band l, Note 676, S. 258.

4 ) Die Grundrechte in der Schweiz, in: Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Band 1,1. Halbband, S. 211, Note 130 : « Sollte die Schweiz in der Zukunft der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten und damit im Zusammenhang auch die Zusatzprotokolle über die Individualbeschwerde und über den Europäischen Gerichtshof ratifizieren, so würde sich eine,Unebenheit' auch daraus ergeben, dass gegen Bundesgesetze wegen Menschenrechtsverletzung der Weg nach Strassburg, nicht aber der Weg nach Lausanne offen stünde. » Bundesbla«, 120. Jahrg. Bd. II

64

1074 6. Die These Bundesrichter Kaufmanns, derzufolge Artikel 113, Absatz 3 der Bundesverfassung der Konvention widerspreche, beruht auf einer extensiven Auslegung des Artikels 13 der Konvention; wir vermögen dieser Auffassung nicht zu folgen. Nach Professor Partsch1) hat Artikel 13 eine Doppelnatur : Steht ein Beschwerdeweg an eine innerstaatliche Instanz offen, so begründet Artikel 13 ein unentziehbares Individualrecht, diesen zu beschreiten. Fehlt hingegen ein solcher Beschwerdeweg, so sind die Staaten verpflichtet, ihn einzurichten. Die Konvention spricht sich allerdings nicht darüber aus, in welchem Umfange die Vertragsstaaten dieser Verpflichtung nachzukommen haben2). So hat die Europäische Menschenrechtskommission entschieden3), dass keine Konventionsbestimmung einer Vertragspartei vorschreibt, sie habe den ihrer Rechtshoheit unterstehenden Personen eine verfassungsgerichtliche Rekursmöglichkeit zuzubilligen, die über die Rekursmöglichkeiten hinausgeht, welche den betreffenden Personen im Rahmen der ordentlichen Gerichte zustehen. Diese Auslegung von Artikel l3 der Konvention deckt sich auch mit jener verschiedener nationaler Gerichte, wie Professor Buergenthal gezeigt hat4).

In der Schweiz würde die Konvention als landesrechtliche Rechtsquelle auf Gesetzesstufe zu stehen kommen und daher den landesrechtlichen Normen gleicher oder niedriger Stufe vorgehen. Da eine staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht wegen Verletzung staatsvertraglicher Bestimmungen nur gegen kantonale Erlasse oder Entscheide angestrengt werden kann5), ergäbe sich als wichtigste Folge, dass dem Einzelnen gegebenenfalls das Recht zukäme, ohne vorherige Anrufung des Bundesgerichts direkt an die Europäische Menschenrechtskommission zu gelangen (vgl. Art. 26 der Konvention über die Erschöpfung des internen Rekursweges). Schliesslich kommt auch der Entwurf des Abänderungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit)") der von Bundesrichter Kaufmann in der erwähnten Studie ') aufgestellten Forderung entgegen, es sei das verwaltungsgerichtliche Verfahren auszubauen, um der von der Konvention aufgestellten *) A.a.O., S.275; vgl. auch S.272, Anmerkung 114, wo der Autor auf die Meinung von Kaufmann hinweist, derzufolge auf Grund von Art. 13 die Notwendigkeit
der vorgängigen Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht, sollte die Schweiz der Europaischen Menschenrechtskonvention beitreten wollen.

2 ) Vgl. Schorn, Die Europäische Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, S. 278 f. und Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S.186f.

8 ) Entscheid vom 7. Juli 1959 betreffend die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 436/58, Annuaire Nr.2 (1958-1959), S. 389.

*) Vergleich der Rechtsprechung der nationalen Gerichte mit der Rechtsprechung der Konventionsorgane bezüglich der verfahrensrechtlichen Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 5, 6 und 13) in : Menschenrechte im Staatsrecht und im Völkerrecht, S. 180.

6 ) Vgl. Zumstein, Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Staatsverträgen, S. 109-110.

') BB11965, II, 1376ff. In diesem Zusammenhang sei auch verwiesen auf H.Huber, Der Schutz der Grundrechte unter der Generalklausel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Mélanges Marcel Bridel, S.237ff.

') A. a. O., S. 253.

1075 Forderung nach Schutz des Bürgers vor Verwaltungsentscheiden Rechnung tragen zu können.

Ein Beitritt der Schweiz zur Menschenrechtskonvention - unter den als notwendig erachteten Vorbehalten, die wir weiter unten noch darlegen werden hätte zur Folge, dass unser Land in Zukunft verpflichtet wäre, bei der Gestaltung des Schutzes der Menschenrechte und Grundfreiheiten den Minimalstandard einzuhalten, der durch die Konvention garantiert wird1). Diese Verpflichtung wäre um so weniger einschneidend, als in unserem Lande ohnehin eine Tendenz zur deutlicheren Entwicklung des Rechtsstaates und zur Verstärkung des freiheitsrechtlichen Schutzsystems besteht.

Was den sogenannten «self-executing »-Charakter der Bestimmungen der Konvention und des Zusatzprotokolls angeht, so werden in erster Linie die schweizerischen Gerichte darüber entscheiden müssen, ob diese Normen von Einzelpersonen unmittelbar, d. h. ohne entsprechende Ausführungserlasse, angerufen werden können. Aus den Vorstellungen der Urheber der Konvention über das angestrebte Konventionsziel, so wie sie sich aus den Vorarbeiten zur Konvention herauskristallisieren lassen, und aus der präzisen Formulierung, welche die meisten der Kollektivgarantie unterstehenden Rechte und Freiheiten gefunden haben2), ergibt sich, dass grundsätzlich die Gesamtheit der im ersten Abschnitt der Konvention und in den Artikeln l und 2 des Zusatzprotokolls aufgestellten Vorschriften einer unmittelbaren Anwendung zugänglich sind3). Einige Bedenken bestehen allerdings hinsichtlich des Artikels 5, Absatz 4 (Recht auf Rekurs an eine gerichtliche Instanz im Falle des Freiheitsentzuges infolge von Verhaftung oder Inhaftierung) und Absatz 5 (Recht auf Entschädigung), sowie des Artikels 13 (Recht auf wirksame Beschwerdeerhebung an eine nationale Instanz)4) ; so vermag beispielsweise die Konvention bei Fehlen einer internen Rekursmöglichkeit an eine gerichtliche Instanz keine Abhilfe zu schaffen. Andererseits besteht kein Zweifel, dass der Artikel 3 des Zusatzprotokolls nur die Staaten verpflichtet, freie und geheime Wahlen durchzuführen, jedoch kein subjektives Recht des Einzelnen begründet; die Europäische Menschenrechtskommission hat dies zu wiederholten Malen festgestellt5).

7. Der Katalog der durch die Bundesverfassung und das übrige Bundesrecht garantierten individuellen
Rechte ist sicher lückenhaft. Man kann sich deshalb fragen, ob die Bundesverfassung dem Bund überhaupt die erforderliche Kompetenz verleiht, der Konvention beizutreten. In Wirklichkeit sind aber die einzelnen Rechte und Freiheiten Ausfluss eines bestimmten philosophischen und politischen Systems, welches dem besonderen Wesen unseres Staates *) Für diesen « Minimalstandard» sei auf die Bemerkungen von Prof. H. Huber in : Gedächnisschrift Hans Peters, S. 381-383, verwiesen.

a ) Vgl. Süsterhenn, L'application de la Convention sur le plan du droit interne, in: La protection internationale des droits de l'homme dans le cadre européen, S. 304 ff.

") Dieser Meinung ist auch Huber, a. a. O., S. 391.

4 ) Vgl. Vasak, Convention, S. 229f., wo der Autor auf einen Entscheid des Kassationshofes der Niederlande verweist.

6 ) Vgl. beispielsweise den Entscheid vom 18. September 1961 betreff end Zulässigkeit des Gesuches Nr. 1028/61, Annuaire Nr. 4 (1961), S. 339.

1076 das Gepräge gibt. So gehören gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Eigentumsgarantie und die persönliche Freiheit dem Bereich des ungeschriebenen Bundesverfassungsrechts anx). Giacometti hat diesen Gedanken so formuliert2): «Wie nun die Bundesverfassung stillschweigende Bundeskompetenzen enthält, hat sie auch stillschweigende Gewährleistungen von Freiheitsrechten zum Inhalt. Aus dem Sinn des Freiheitsrechtskatalogs der Bundesverfassung als eines liberalen Wertsystems lässt sich nämlich folgern, dass die Bundesverfassung jede individuelle Freiheit, die praktisch wird, d.h. durch die Staatsgewalt gefährdet ist, garantiert, und nicht allein die in der Verfassung ausdrücklich aufgezählten Freiheitsrechte.»3). Unsere Verfassung garantiert demnach sämtliche Freiheitsrechte, die eines Tages aktuell werden könnten.

Da die Bundesverfassung die Individualrechte nicht nur gegenüber dem Bund, sondern auch gegenüber den Kantonen gewährleistet, besteht auf diesem Gebiet eine umfassende Bundeskompetenz. Aber auch ohne eine derartige stillschweigende Kompetenz wäre der Bund berechtigt, den Beitritt zur Konvention zu vollziehen, wie schon Professor Schindler hervorgehoben hat4). Auf Grund von Artikel 8 der Bundesverfassung besitzt der Bund nämlich ganz allgemein die Kompetenz zum Abschluss von Staatsverträgen. In der Praxis ist diese Bestimmung immer so ausgelegt worden, dass dem Bund damit auch die Kompetenz zukommt, Staatsverträge auf Gebieten abzuschliessen, deren Regelung nach der allgemeinen Kompetenzaufteilung der Bundesverfassung an sich in die Kompetenz der Kantone fällt.

8. Gemäss Artikel l der Konvention sichern die Vertragsstaaten die in Abschnitt I der Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten «allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen», also auch Ausländern zu. Diese Bestimmung würde für unser Land keine besonderen Probleme aufwerfen. Mit Ausnahme der von der Konvention nicht vorgesehenen Handels- und Gewerbefreiheit gelangen Ausländer in der Schweiz in den Genuss der Garantie sämtlicher Individualrechte, die auch Schweizerbürgern zugesichert sind5). Dies gilt, von den politischen Vereinigungen abgesehen, auch für die in Artikel 11 der Konvention erwähnte Vereinsfreiheit6). Zudem sieht Artikel 16 der Konvention ausdrücklich vor, dass keine der Bestimmungen der Artikel 10,11
und 14 so ausgelegt werden darf, dass sie den Vertragsparteien verbietet, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen7). Durch diese Bestimmung würde vor *) Vgl. namentlich Favre, Traité, S. 287.

a ) Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S.241 f.; sowie vom gleichen Autor: Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 169 ff.

') Zu diesem Punkt u.a.: Kägi, a.a.O., S.lSf. und Aubert, Traité, Band 2, Noten 1753-1757, S. 630-633.

4 ) Neue Zürcher Zeitung Nr. 3 323, vom 9. August 1964.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 73 f. und Moser, Die Rechtsstellung des Ausländers in der Schweiz, Referate und Mitteilungen des Schweizerischen Juristenvereins, 1967, Heft 3, S. 344 f.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 311 undausserdem Moser, a.a.O., S. 349.

') Vgl. Partsch, a.a.O., S.443.

1077 allem der Bundesratsbeschluss vom 24. Februar 1948 betreffend politische Reden von Ausländern1) gedeckt. Auch die Niederlassungsfreiheit findet sich nicht unter denjenigen Rechten, die durch die Konvention garantiert werden2).

Was die von der Konvention garantierten prozessualen Rechte anbetrifft (Art. 5 und 6), so geniesst der Ausländer in dieser Beziehung bei uns den gleichen Rechtsschutz wie der Schweizerbürger3). Insbesondere steht das Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Artikel 4 Bundesverfassung an das Bundesgericht auch dem Ausländer offen, der sich von einer formellen oder materiellen Rechtsverweigerung betroffen glaubt4).

Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass das Staatsschutzinteresse durch die Artikel 15 (Massnahmen im Falle eines Krieges oder sonstigen öffentlichen Notstandes), 16 (bereits erwähnt) und 17 (missbräuchliche Ausübung der Rechte und Freiheiten) der Konvention5) gewahrt bleibt. Artikel 17 ist von der Europäischen Kommission für Menschenrechte insbesondere angerufen worden im Zusammenhang mit der von der kommunistischen Partei Deutschlands am 11. Februar 1957 eingereichten Klage, die sich auf den am 17. August 1956 ergangenen Auflösungsentscheid des Bundesverfassungsgerichts bezog6).

9. Die Bestimmungen der Konvention, welche einen Mechanismus für eine internationale Gewährleistung der in ihr ausgesprochenen Rechte vorsehen, rufen vor allem der Frage, ob die Schweiz sich dem Verfahren vor den mit der Kontrolle der Pflichten der Vertragsstaaten beauftragten Organe unterwerfen könnte7). Hinsichtlich der Europäischen Menschenrechtskommission ergäben sich hier keine Schwierigkeiten. Die Kommission ist nicht ermächtigt, Beschlüsse mit obligatorischem Charakter zu fassen, da sich ihre Rolle darauf beschränkt, den Sachverhalt festzustellen und sich im Hinblick auf eine vergleichsmässige Beilegung des Streitfalles zur Verfügung der Parteien zu halten (Art. 28). Anders das Ministerkomitee : gemäss Artikel 32, Absatz 4 der Konvention verpflichten sich *) AS 1948,119 und 1949,112.

2 ) Hinsichtlich der Stellung des Ausländers im Rahmen der Niederlassungsfreiheit (Art.45 B V) vgl. Favre, Traité, S. 323 und Moser, a. a. O., S. 349. Im Schosse des Europarates ist am 13. Dezember 1955 die Europäische Niederlassungskonvention zur Unterzeichnung
aufgelegt worden. Diese Konvention, welcher die Schweiz nicht beigetreten ist, ist am 23. Februar 1965 in Kraft getreten. Sie stellt einheitliche Regeln auf hinsichtlich der Angehörigen der Vertragsstaaten auf dem Territorium irgendeines ändern Vertragsstaates, und zwar auf der Grundlage der Gleichstellung mit den eigenen Staatsbürgern. Siehe auch Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 betreffend das Recht der freien Wohnsitzwahl, das nachstehend in Kapitel III Ziffer XVI behandelt wird.

3 ) Vgl. Guldener, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, 4

s.u.

) Vgl. Favre,Traité, S.447; Aubert, Traité,Band2,Note 1787, S.645. UndsieheMarti, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 97.

6 ) Vgl. die Zusammenstellung über die Rechtsprechung der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention zu diesen drei Bestimmungen im Werk von Antonopoulos, S.216ff.

6 ) AnnuaireNr.l (1955-1956-1957), S.222ff.; vgl. Antonopoulos, a.a.O., S.248ff. vor allem S.251 f. (Fall der kommunistischen Partei Deutschlands) und S.252ff. (Fall Lawless gegen Republik Irland).

') Vgl. zu diesem Punkt Schindler, Neue Zürcher Zeitung Nr. 3323, vom 9. August 1964.

1078

nämlich die Vertragsparteien, jede Entscheidung des Ministerkomitees, die in Anwendung der massgebenden Regeln ergangen ist, für sich als bindend anzuerkennen. Was die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betrifft, so handelt es sich für unser Land keineswegs um ein Novum1). Die Schweiz ist nämlich auf dem Gebiet der obligatorischen Gerichtsbarkeit schon viel weiter gegangen, indem sie eine entsprechende Kompetenz des Internationalen Gerichtshofes im Haag anerkannt und eine Reihe bilateraler Staatsverträge mit obligatorischer Schiedsklausel abgeschlossen hat3). Trotzdem ist auf die Tatsache hinzuweisen, dass die von der Konvention geschaffenen Organe sich gegebenenfalls gemäss Artikel 24 mit beim Generalsekretär des Europarates eingereichten Klagen zu befassen hätten, die gegen die Schweiz wegen angeblicher Verletzung der in der Konvention garantierten Rechte gegenüber ihren eigenen Staatsbürgern angestrengt werden3).

Sollte unser Land das individuelle Beschwerderecht des Artikels 25 der Konvention anerkennen, so könnte ein Schweizerbürger oder eine in der Schweiz wohnhafte Person sich also erstmals in unserer Geschichte an eine internationale Instanz wenden, um gegen eine ihr gegenüber vorgenommene Handlung schweizerischer Behörden Beschwerde zu erheben.

' 4 In seinem Lehrbuch des Bundesstaatsrechts ) nennt Professor Aubert die Aussicht, dass unser Land sich veranlasst sehen könnte, vor den durch die Konvention geschaffenen Organen Rechenschaft abzulegen über die Art und Weise der Behandlung der eigenen Staatsbürger, eine beispiellose Neuerung (innovation sans précédent). Eine derartige Möglichkeit muss jedoch, wie Professor Schindler mit Recht unterstrichen hat5), ernsthaft in Betracht gezogen werden.

Sie ist die logische Folge des von der Konvention aufgestellten internationalen Garantiesystems für die Menschenrechte6). In den Augen Schindlers ist an dieJ

) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1777, S. 640.

) Siehe Bundesbeschluss vom 12. März 1948 über den Beitritt der Schweiz zum Statut des internationalen Gerichtshofes und die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit dieses Gerichtshofes, gemäss Artikel 36 des Statuts (AS 1948,1049), sowie die Betrachtungen über die obligatorische Gerichtsbarkeit in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 23.November 1965, betreffend die Genehmigung der von der Schweiz mit Costa Rica, der Elfenbeinküste, Grossbritannien, Israel, Kamerun, Liberia, Madagaskar und Niger abgeschlossenen Vergleichs-, Gerichtsund Schiedsverträge (BB11965, III, 125 ff.).

3 ) Vgl. vor allem Kaufmann, a.a.O., S.248, der die Neuheit dieses Verfahrens hervorhebt, im Vergleich zur traditionellen Methode des diplomatischen Schutzes.

4 ) Band 2, Note 1777, S. 640.

6 )A.a.O.:«Da nun die Konvention ausschliesslich Rechte von Individuen schützt, ist es im Grunde nur konsequent, wenn auch den betroffenen Individuen das Recht gewährt wird, diese Rechte vor einer internationalen Instanz geltend zu machen. » 6 ) Prof. Kâgi aussert sich a. a. O., S. 45 zu diesem Punkt wie folgt : «Was noch vor wenigen lahrzehnten, im Banne des alten Souveränitätsdenkens, als ferne Utopie vorkommen mochte, ist damit Wirklichkeit geworden. Das internationale oder besser : supranationale Menschenrecht wird nun auch durch internationale Rechtsschutzinstanzen geschützt.» Vgl. Virally, l'accès des particuliers à une instance internationale: la protection des droits de l'homme dans le cadre européen, in : Mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, Nr. 20, S. 67ff.

2

1079 sem System im übrigen vor allem bemerkenswert, dass sich dem Schweizerbürger weitergehende Rekursmöglichkeiten öffnen würden, als ihm mit der staatsrechtlichen Beschwerde ans Bundesgericht wegen Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte zustehen. In der Tat kann laut Artikel 84 OG die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen kantonale Entscheide oder Erlasse angestrengt werden, während die Europäische Menschenrechtskommission mit allen gegen letztinstanzliche Entscheide schweizerischer Behörden gerichteten Rekursen befasst werden könnte.

10. Ist die von einer Einzelperson angestrengte Beschwerde von der Europäischen Menschenrechtskommission zulässig erklärt worden, so wird sie von einer siebenköpfigen Unterkommission geprüft, und zwar in doppelter Hinsicht : Feststellung der Tatsachen und Versuch einer vergleichsmässigen Beilegung des Streitfalles1). Um den Sachverhalt abzuklären, verfügt die Kommission über ziemlich weitgehende Vollmachten. Gemäss Artikel 28 der Konvention hat sie mit den Vertretern der Parteien zusammen eine kontradiktorische Prüfung und, falls erforderlich, eine Untersuchung der gesamten Angelegenheit vorzunehmen. Zur wirksamen Durchführung der Untersuchung sind die beteiligten Staaten verpflichtet, nach einem Meinungsaustausch mit der Kommission dieser alle erforderlichen Erleichterungen zu gewähren. In der Praxis besteht die Untersuchung einer Angelegenheit aus einer schriftlichen und einer mündlichen Phase. Während der mündlichen Phase kann die Unterkommission auf Ersuchen einer Partei oder von sich aus anordnen, jede Person, deren Aussagen oder Erklärungen ihr zur Erfüllung ihrer Aufgabe nützlich erscheinen, als Zeugen, Sachverständigen oder in anderer Eigenschaft anzuhören2). Die Unterkommission kann, wenn sie es für zweckmässig erachtet, im Verlaufe der Untersuchung eine Angelegenheit auch ausserhalb des Sitzes des Europarates weiterverfolgen, indem sie die betreffende Vertragspartei auffordert, ihr alle zur wirksamen Durchführung des Verfahrens erforderlichen Erleichterungen zu gewähren3).

Artikel 28 der Konvention auferlegt den Vertragsstaaten somit die Pflicht zur Gewährung rechtlicher Beihilfe4). Die Vertragsstaaten sind gehalten, die Untersuchung einer Angelegenheit zu erleichtern. Da die Kommission selbst über keine Zwangsmittel verfügt, können im
konkreten Fall nur die einzelnen Staaten die notwendigen Massnahrnen ergreifen, damit ihre Staatsangehörigen als Zeugen erscheinen, um die ihnen gestellten Fragen zu beantworten6). Sollte ein Zeuge ohne ausreichenden Grund einer formgerechten Vorladung keine Folge leisten oder eine Aussage verweigern, so schreibt Artikel 57 des Geschäftsreglementes der Kommissionlediglich vor, dass der Generalsekretär des Europarates dieseTat*) Vgl. Vasak, Convention, S. 135ff. und Artikel 29, Absatz l der Konvention.

2 ) Artikel 54, Absatz l der Geschäftsordnung der Europäischen Menschenrechtskommission.

3 ) Artikel 58 der erwähnten Geschäftsordnung.

4 ) Vgl. Schorn, Kommentar, S. 268 : «Den Staaten obliegt also Amts- und Rechtshilfe ohne Rücksicht darauf, ob der um Rechtshilfe angegangene Staat ein .beteiligter Staat' ist. Auch jeder andere Staat, der der Konvention beigetreten ist, hat die Rechtshilfe zu leisten.» ') Vgl. Monconduit, La Commission européenne des droits de l'homme, S. 283.

1080

sache auf Ersuchen des Vorsitzenden des Unterausschusses demjenigen Vertragsstaat mitzuteilen hat, dessen Hoheitsgewalt die betreffende Person untersteht.

Die Folgen, die sich aus einer derartigen Mitteilung im Rahmen des Artikels 28, Buchstabe a der Konvention für die Vertragsstaaten ergeben können, sind allerdings nirgends genau umrissen1). Die Kommission sah sich zur Feststellung veranlasst2), dass die Möglichkeit3), einzelne Staaten auf ein unentschuldbares Nichterscheinen eines ihrer Bürger als Zeugen hinzuweisen, nur insoweit von Nutzen sein kann, als die betreffenden Staaten strafrechtliche oder andere Massnahmen vorsehen, um den Betreffenden zur Zeugnisablegung vor der Kommission zu zwingen. Das Studium dieser Frage ist einem Expertenkomitee im Rahmen des Europarates übertragen worden, auf dessen Tagesordnung sie immer noch steht. Unter den ändern vorläufig noch einer Lösung harrenden Problemen befindet sich auch noch die Frage der Vorladung von Personen, die auf dem Gebiet eines Vertragsstaates in Haft gehalten werden und die als Zeugen vor die Kommission oder den Gerichtshof für Menschenrechte geladen sind4); ferner die Frage der strafrechtlichen Ahndung falscher Zeugenaussagen vor einem der durch die Konvention ins Leben gerufenen Organe. Wie immer es sich mit der Frage der Pflicht zur Rechtshilfe verhält, so verlangt jedenfalls Artikel 28, Buchstabe a einen vorgängigen Meinungsaustausch. Im Rahmen dieses Meinungsaustausches hat der angegangene Vertragsstaat, der im Interesse der Untersuchung gewisse Erleichterungen gewähren sollte, Gelegenheit, seinen Standpunkt gegenüber der Kommission voll zur Geltung zu bringen.

Für unser Land würde die Beachtung der in Artikel 28 der Konvention enthaltenen Verpflichtung, soweit diese sich überhaupt umschreiben lässt, gewisse Probleme aufwerfen, namentlich hinsichtlich der Rechtsnatur des Verfahrens vor der Kommission und dem Gerichtshof. Vor allem müsste festgelegt werden, welche Behörden zuständig wären, um die richterliche oder verwaltungsmässige Beihilfe anzuordnen. Auch müssten Bestimmungen zur Frage der Zeugnisablegungspflicht erlassen werden. Hier könnte wohl nur eine in Form eines Gesetzes und für das Gebiet der ganzen Schweiz getroffene einheitliche Regelung befriedi*) Vgl. Morrisson, The developing european law of human rights, S.45 :
«If a witness fails to appear, thé Commission can only notify thè state of which he is a citizen, and there thè matter ends unless thè state wishes to force thè witness to appear. » U. a. lese man zu diesem Punkt auch Serensen, Die Verpflichtungen eines Staates im Bereich seiner nationalen Rechtsordnung auf Grund eines Staatsvertrages, in: Menschrenrecht im Staatsrecht und im Völkerrecht, S. 31 f.

2 ) Monconduit, a. a. O., S. 283 f. weist daraufhin.

s ) Über diese Möglichkeit verfügt auf Grund des Artikels 43 seiner Geschäftsordnung auch der Europäische Gerichtshof für Menschrechte.

4 ) Dieses Problem könnte nur durch den Abschluss einer multilateralen Vereinbarung im Rahmen des Europarates befriedigend gelöst werden. Ein Abkommensentwurf über die im Verfahren vor der Kommission und dem Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen ist durch einen Expertenausschuss des Europarates ausgearbeitet worden. Er zielt darauf ab, diesen Personen gewisse Immunitäten und Erleichterungen zukommen zu lassen, und regelt im besondern das Recht der inhaftierten Personen, mit der Kommission und dem Gerichtshof ungehindert in schriftlichen Kontakt zu treten.

1081 gen. Die entsprechenden Vorschriften könnten hinsichtlich der Frage der Ahndung falscher Zeugenaussagen die Anwendung der in Frage kommenden Artikel des Strafgesetzbuches (Art. 306-309) vorsehen.

Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Schweiz dem zweiten und vierten Zusatzprotokoll zum allgemeinen Abkommen über die Privilegien und Immunitäten des Europarates beigetreten ist1). Beide Protokolle enthalten Vorschriften bezüglich der Mitglieder der Europäischen Menschenrechtskommission und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Kapitel III: Die Europäische Menschenrechtskonvention und die schweizerische Rechtsordnung (besondere Fragen) Zu Beginn dieses Abschnittes darf festgehalten werden, dass die Schweiz die von der Europäischen Menschenrechtskonvention und den zugehörigen Protokollen2) gewährleisteten Rechte im grossen ganzen achtet. Die Idee der Menschenrechte ist, wie dies Professor Kägi3) hervorgehoben hat, in unserem Land als Rechtsgrundsatz klar anerkannt. Dennoch bestehen zwischen unserem Recht und der Konvention eine Reihe von Unvereinbarkeiten. In der Absicht, ein möglichst umfassendes Bild der Probleme aufzuzeichnen, welche durch einen allfälligen Beitritt der Schweiz zur Konvention aufgeworfen werden könnten, werden wir im folgenden auch auf einige Punkte hinweisen, bei denen namentlich seitens der Doktrin die Frage einer eventuellen Unvereinbarkeit zur Diskussion gestellt worden ist. Wie es durch das Postulat Eggenberger gefordert wird, haben wir ausserdem bezüglich jeder Einzelfrage darzulegen versucht, welche rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müsssten, um unseren Beitritt zur Konvention zu ermöglichen. Die Gliederung der nachstehend untersuchten Einzelprobleme entspricht dabei der Reihenfolge der Artikel der Konvention und der ihr zugehörigen Protokolle, wobei, soweit erforderlich, Bundesrecht und kantonales Recht auseinandergehalten wurden.

A) Die Europäische Menschenrechtskonvention

/. Das Recht aufleben (Art. 2) Durch Artikel 2 wird das Recht jedes Menschen auf das Leben geschützt.

Laut Absatz 2, Buchstabe a der genannten Bestimmung verletzt eine Tötung x

) AS 1966,779. Das Sonderstatut für die Mitglieder der Kommission umfasst vor allem die gerichtliche Immunität bei der Wahrnehmung offizieller Aufgaben und die Freiheit der ungehinderten Bewegung.

a ) Vgl. Kaufmann, St. Galler Festgabe 1965, S. 251 ; Favre, La Convention européenne des droits de l'homme, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht, Band XXIII (1966), S.34f.

a ) Die Menschenrechte und ihre Verwirklichung, S. 13.

1082 diesen Artikel dann nicht, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt, «um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen».

Hiezu ist namentlich vorgebracht worden1), dass die in Artikel 33 des schweizerischen Strafgesetzbuches getroffene Umschreibung des Notwehrrechtes unter Umständen mit der vorgenannten Konventionsbestimmung insofern im Widerspruch stehen könnte, als diese eine Zuflucht zur Gewalt nur im Sinne einer «ultima ratio» gestattet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes schliessen dagegen beispielsweise die Möglichkeit zur Flucht oder zur Herbeirufung von Hilfe die Berufung auf Notwehr nicht aus2). Jedoch darf angenommen werden3), dass Artikel 2, Absatz 2 der Konvention in keiner Weise auf die in den einzelstaatlichen Strafgesetzen getroffenen Regelungen, insbesondere der Notwehr und des Notstandes, einwirken will. Vielmehr bezieht sich die Bestimmung nur auf die Beziehungen zwischen den Inhabern der öffentlichen Gewalt und den einzelnen Menschen4).

II. Das Verbot der Folterung, der unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung (Art. 3) Laut Artikel 3 der Konvention darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung unterworfen werden. Mehrere Rekurrenten riefen diese Bestimmung an und beklagten sich bei der Europäischen Menschenrechtskommission über angeblich schlechte Behandlung bei ihrer Verhaftung oder während der Inhaftierung6).

Die Auslegung, die Artikel 65, Absatz 2 der Bundesverfassung (Verbot von Körperstrafen) erfahren hat, erlaubt aber die Feststellung, dass die in Artikel 3 x

) Vgl. Schult/, Strafrecht in : Das schweizerische Recht, Besinnung und Ausblick, Festschrift herausgegeben vom Schweizerischen Juristenverein zur Schweizerischen Landesausstellung, S. 309.

2

) Vgl. Logoz, Commentaire du code pénal suisse, partie générale, ad art. 33, S. 135; Schwander, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, S. 84.

3 ) Vgl. Partsch, Die Rechte und Freiheiten der europäischen Menschrechtskonvention, S. 336ff; Guradze, Kommentar, S.48.

Anderer Meinung: Schorn, Kommentar, S. 82if.

4 ) Vgl. Partsch, a. a. O., S. 337 : «Im einzelnen geregelt ist in Artikel 2, Absatz 2 nur die Frage, unter welchen Bedingungen Staatsorgane in das Recht auf das Leben eingreifen können, nicht aber das allgemeine Strafrecht.» Von den Vertragsstaaten hat es nur Malta für nötig befunden, mit Bezug auf diese Bestimmung einen Vorbehalt anzubringen, um das Recht des Einzelnen auf die Verteidigung materieller Güter im Rahmen der durch das maltesische Strafgesetzbuch aufgestellten Bestimmungen erstrecken zu können.

5 ) Vgl. Antonopoulos, La jurisprudence des organes de la Convention européenne des droits de l'homme, S. 93, sowie Vasak und Lalive, Chronique de la jurisprudence de la Commission, de la Cour européenne des droits de l'homme et du Comité des ministres du Conseil de l'Europe, Journal du droit international (Clunet), 1967, S.473f.

1083 der Konvention anvisierten Strafen oder Behandlungen in der Schweiz auch im Rahmen von Disziplinarmassnahmen gegenüber Inhaftierten verboten sind1).

III. Das Verbot der Sklaverei, Leibeigenschaft, Zwangs- und Pflichtarbeit (Art. 4) Absatz 3 von Artikel 4 zählt jene Fälle auf, in denen die von einer bestimmten Person verlangte Arbeit nicht als «Zwangs- oder Pflichtarbeit» zu betrachten ist.

Dazu gehört vor allem (Buchstabe a) «jede Arbeit, die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 der vorliegenden Konvention vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt frei gelassen worden ist».

Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob ein allfällig von der Schweiz angebrachter Vorbehalt gegenüber Artikel 5 der Konvention (im Hinblick auf die kantonalen Gesetzesbestimmungen über die administrative Verwahrung) sich auch auf den Bereich von Artikel 4 auszuwirken vermöchte, so dass vom Verwahrten eine Zwangs- oder Pflichtarbeit verlangt werden könnte. Diese Frage lässt sich positiv beantworten. In anderem Zusammenhang, nämlich bezüglich des zwischen den Artikeln 5 und 6 der Konvention bestehenden Verhältnisses, hat die Europäische Menschenrechtskommission ausgeführt, der von der österreichischen Regierung hinsichtlich des Artikels 5 angebrachte Vorbehalt müsse in dem Sinne ausgelegt werden, dass nicht nur die freiheitsbeschränkenden Massnahmen (Art. 5) davon erfasst werden, sondern auch das Verfahren, das zum Entscheid über den Freiheitsentzug des Angeklagten geführt hat (Art.6)2). Die Kommission ist deshalb in jedem Fall bestrebt, die Absicht des Staates zu ergründen, der den Vorbehalt angebracht hat; und zwar soll der Vorbehalt hinsichtlich sämtlicher Gesetzgebungs- und Verwaltungsmassnahmen Wirkung entfalten, die in einem direkten Zusammenhang stehen mit den durch den Vorbehalt ausgedrückten Grundgedanken3). In dem uns hier interessierenden Falle wäre die «Zwangs- und Pflichtarbeit» die direkte Folge eines Freiheitsentzuges unter Bedingungen, die zwar nicht Artikel 5 selbst, aber dafür der den Artikel 5 betreffende Vorbehalt deckt.

Im übrigen muss hervorgehoben werden, dass die Schweiz seit dem 23. Mai 1941 als Vertragsstaat am Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation über Zwangs- oder Pflichtarbeit beteiligt ist (AS 14, 38). Dieses Übereinkommen
untersagt die «Zwangs- oder Pflichtarbeit» und bezeichnet als *) Vgl. Schnitz, La sauvegarde des droits des détenus, in: La protection de la personne dans le procès pénal, S.95f. Es sei auch auf die auf der vorangehenden Seite zitierte Studie des gleichen Autors (S. 309) verwiesen. Das Kurzschneiden der Haare von wiedereingefangenen Ausbrechern scheint im übrigen mit Artikel 30 der Konvention vereinbar zu sein. Über den Begriff «körperliche Strafen» im Sinne von Artikel 65, Absatz 2 der Bundesverfassung siehe Burckhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, S. 599 f.

") Vgl. den Entscheid vom 18.Dezember 1963 betreffend die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 1452/62, Annuaire Nr. 6 (1963), S. 277. Vgl. auch den Entscheid vom 3. Juli 1965 des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, der von Professor Seidl-Hohenveldern in seiner Chronik der österreichischen Rechtsprechung zitiert wird, Journal du droit international (Clunet), 1967, S. 911-913.

8 ) Vgl. Vasak, Convention. S. 69.

1084 solche unter anderem die von einer Person während einer administrativen Internierung geforderte Arbeit, wobei der Grund der Versorgung unerheblich ist (Art. l, Abs. l und Art.2, Abs. l und 2, Buchstabe c). Folglich können die Kantone Personen, die administrativ versorgt sind, bereits im heutigen Zeitpunkt zu keiner Arbeitsleistung anhalten.

Laut Buchstabe b des dritten Absatzes von Artikel 4 ist nicht als Zwangsoder Pflichtarbeit zu betrachten «jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige an Stelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung». Die Konvention zielt jedoch nicht darauf ab, Vertragsstaaten, die dies bisher nicht getan haben, zu zwingen, für Dienstverweigerer aus Gewissensgründen einen zivilen Ersatzdienst einzuführen1).

IV. Das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person (Art. 5) 1. Artikel 5, Absatz l enthält den Grundsatz, dass jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit seiner Person hat, und zählt dann die Fälle abschliessend auf, in denen laut Konvention auf gesetzlichem Wege eine Beschränkung der individuellen Freiheit zulässig ist.

Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass, wenn auch jeder schweizerische Kanton eine eigene Strafprozessordnung2) besitzt, doch verschiedene Grundprinzipien vorhanden sind, die direkt durch das Bundesrecht aufgestellt werden oder sich auf dem Wege der Auslegung daraus ergeben. Diese Grundprinzipien hat der kantonale Gesetzgeber ebenso zu beachten wie der Richter oder die Verwaltungsbehörden3). Dazu gehört in erster Linie die Garantie der Freiheit des Einzelnen, welcher der Rang eines ungeschriebenen Verfassungsrechts zukommt4). Diese Freiheit des Einzelnen «stricto sensu» oder persönliche Freiheit5) kann vom Staat gewissen Beschränkungen unterworfen werden, doch bedürfen diese einer gesetzlichen Grundlage6). Im Rahmen des strafprozessualen Verfahrens wird der Schutz der Person insbesondere dadurch gewährleistet, dass gegen Entscheide kantonaler Behörden staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben werden kann7).

Professor Clerc hat erklärt, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung auf dem Gebiet der persönlichen Freiheit eine Untersuchung der Fragen erleichtere, die sich mit Bezug auf den Schutz
der Person im Strafprozess aus einem aufälligen Beitritt unseres Landes zur Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben ^ Die Einführung eines derartigen Zivildienstes gehört nach Prof. Kägi (a. a. O., S. 26f.)

auf die Liste der von der Schweiz zu bewältigenden Aufgaben, damit die Menschenrechte bei uns einer Verwirklichung näher gebracht werden können.

2 ) Vgl. Artikel 64Ms, Absatz 2 der Bundesverfassung.

i 3 ) Vgl. Castella, Garantie constitutionnelle de la liberté individuelle et protection de la personne dans le procès pénal en droit suisse, in : La protection de la personne dans le procès pénal, S. 52.

*) Vgl. z. B. Favre, Traité, S. 257f. und Aubert, Traité, Band 2, Nr. 2211, S. 772.

B ) Vgl. Bersier, Contribution à l'étude le la liberté personnelle, l'internement des aliénés et des asociaux, la stérilisation des aliénés, Dissertation Lausanne 1968, S. 8ff.

") Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Nr. 2213, S. 773.

') Vgl. Castella, a.a.O., S.54.

1085 könnten1). In der Tat wird das Problem des Schutzes der Person im Strafprozess dank dieser Rechtsprechung einem « gemeinsamen Nenner », den die Kantone zu beachten haben, unterworfen. Wir können uns deshalb darauf beschränken, eine Reihe von Einzelfragen aufzugreifen, bei denen eine Unvereinbarkeit zwischen unserem Recht und Artikel 5 der Konvention bereits behauptet wurde oder noch zur Diskussion gestellt werden könnte.

2. Gemäss Artikel 5, Absatz l, Buchstabe c der Konvention kann niemand seiner Freiheit beraubt werden, ausser «wenn er rechtmässig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, dass der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat, oder begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern». Diese Bestimmung muss im Zusammenhang mit Absatz 3 desselben Artikels gelesen werden ; danach muss «jede nach der Vorschrift des Absatzes l c dieses Artikels festgenommene oder in Haft gehaltene Person... unverzüglich einem Richter oder einem anderen gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Er hat Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden. » Die Garantie der persönlichen Freiheit während der Dauer der Untersuchung hat auch in der Schweiz Eingang in alle Kantonsverfassungen und Strafprozessordnungen gefunden2). So sind Verhaftung und Inhaftierung nur in den vom Gesetz aufgezählten und dort umschriebenen Formen zulässig3). Die Einvernahme durch den zuständigen Untersuchungsbeamten hat in der Regel «unverzüglich» zu erfolgen, meistens innerhalb einer Frist von 24 Stunden, manchmal innerhalb von 48 Stunden, ausnahmsweise innerhalb höchstens dreier Tage.

Die Aufrechterhaltung der Haft unterliegt strengen Bedingungen4). Im übrigen ist die Möglichkeit einer Freilassung auf Grund einer Kautionsleistung allgemein anerkannt; die Freilassung kann jederzeit verlangt werden5).

3. Auf Grund von Artikel 5, Absatz l, Buchstabe e der
Konvention kann niemand seiner Freiheit beraubt werden, ausser «wenn er sich in rechtmässiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Land*) La Protection de la personne dans le procès pénal, S. 4.

2

) Vgl. Graven, La protection des droits de l'accusé dans le procès pénal en Suisse, Revue internationale de droit pénal, 1966, S. 252.

*) Die folgenden Angaben stützen sich auf die Studie von Prof. Graven, La protection de la personne dans le procès pénal en droit suisse in : La protection de la personne dans le procès pénal, S. 18ff, insbesondere S. 26ff.

*) Vgl. Graven, La protection des droits de l'accusé, S. 254.

6 ) Vgl. z.B. die Artikel 52ff. des Bundesgesetzes über dieBundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934. In denkantqnalenStrafprozessordmmgenist die Freilassung auf Grund einer Kautionsleistung in Übereinstimmung mit Artikel 64Ms der Bundesverfassung autonom geregelt (Graven, La protection delà personne, S. 30).

1086 Streicher ist». Die Inhaftierung kann auf dem Verwaltungswege angeordnet werden1). Gleich verhält es sich mit der ordentlichen Inhaftierung eines Minderjährigen, die zur Überwachung seiner Erziehung oder um ihn der zuständigen Behörde vorzuführen, angeordnet wird (Abs. l, Buchstabe d).

Nach der Praxis des Bundesgerichts2) sind die Kantone ermächtigt, die zur Aufrechterhaltung der Ruhe und öffentlichen Sicherheit erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, und zwar unabhängig von den bestehenden straf-3) oder zivilrechtlichen4) Bestimmungen. Die Kantone haben von dieser Ermächtigung weitgehenden Gebrauch gemacht ; sie haben gesetzliche Bestimmungen erlassen über die administrative Verwahrung von Personen, deren Verhalten geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, oder die öffentlich unterstützt werden müssen und sich gleichzeitig weigern, eine ihren Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit auszuüben5). Es ist zuzugeben, dass die diesen kantonalen Gesetzesbestimmungen zugrundeliegenden Beweggründe für eine administrative Verwahrung durch die Verwaltungsbehörden6) weit über das hinausgehen, was die Konvention als zulässig erachtet').

x

) Vgl. Vasak, Convention, S. 21 f.

2

) Vgl. die von Bersier auf S. 153, Anmerkung 5, seiner Dissertation angeführten Entscheide.

8 ) StGB Artikel 14 und 15 (Verwahrung und Versorgung Unzurechnungsfähiger und vermindert Zurechnungsfähiger), 42 (Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern), 43 (Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt), 44 (Einweisung in eine Trinkerheilanstalt) und 45 (Behandlung von Rauschgiftkranken).

4 ) ZGB Artikel 369 und 370 (Bevormundung infolge Geisteskrankheit und Geistesschwäche, Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandels oder Misswirtschaft), 406 und 421 Ziffer 13 (Unterbringung des Mündels in eine Erziehungs-, Versorgungs- oder Heilanstalt).

5 ) Vgl. die Liste der kantonalen Gesetze, die Bossart in seiner Dissertation (Persönliche Freiheit und administrative Versorgung, Zürich 1965, S. XIX-XXIII) zusammengestellt hat; weiter die bereits zitierte Dissertation von Bersier. Bossart (a. a. O., S. 60 ff.)

unterscheidet z.B. zwei Gruppen von Gründen für die administrative Versorgung : Bei der ersten Gruppe liegt das Schwergewicht auf der wirtschaftlichen Hilfsbedürftigkeit des Internierten, bei der zweiten geht es vor allem um den Schutz der Öffentlichkeit.

Vgl. u.a. Picot, L'Etat fondé sur le droit et le droit pénal, Zeitschrift für schweizerisches Recht, 1944, S.269 äff.

·) Vgl.z.B. daswaad'tländische Gesetz vom S.Dezember 1941/2.September 1946 über die administrative Versorgung asozialer Elemente (Nouveau recueil de la législation vaudoise, Band V, S.268fF.), dessen erster Artikel bestimmt, dass jede mehr als 18 Jahre alte Person auf administrativem Weg versorgt werden kann, die sich gewohnheitshalber der Prostitution oder der Anlockung zur Unzucht hingibt und dabei Sitte, Gesundheit oder öffentliche Ordnung beeinträchtigt, oder die gewohnheitshalber ihren Lebensunterhalt zum Teil oder gänzlich aus den Einnahmen aus der Prostitution oder dem unsittlichen Lebenswandel anderer bestreitet, oder die gewohnheitshalber einen beträchtlichen Teil ihrer Existenzmittel aus Glücksspielen bezieht, die durch besondere Gesetze verboten sind, oder die durch ihr lasterhaftes Benehmen Sicherheit und Gesundheit Dritter gefährdet.

') Gleicher Meinung: Bersier, a. a. O., S.29f. Dieser Autor betrachtet die administrative Versorgung überhaupt als unvereinbar mit der verfassungsrechtlichen Garantie der persönlichen
Freiheit (S. 186). Dies scheintauch die Meinung von Prof. Bridel zu sein.

(Sur les limites des libertés individuelles in : La livertés du citoyen en droit suisse, Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Bundesverfassung, S. l lOf.).

1087

In seinem Bericht an die Bundesversammlung vom 26. Oktober 1962 über die Beziehungen der Schweiz zum Europarat (BB11962, II, 1085) hat der Bundesrat bereits untersucht, ob gewisse Eigenheiten des schweizerischen Rechts mit dem Statut des Europarates vereinbar sind. Darunter fiel namentlich die Gesetzgebung gewisser Kantone, welche die Zwangsversorgung von Geistesgestörten und verwahrlosten Personen vorsieht. Damals stellten wir fest, dass das schweizerische Recht mit dem erwähnten Statut nicht unvereinbar ist, da das Statut von den Mitgliedstaaten lediglich eine grundsätzliche Haltung verlangt und in keiner Weise das geltende Recht der Mitgliedstaaten berührt. Dies gilt jedoch nicht für die Europäische Menschenrechtskonvention; diese verpflichtet die Vertragsstaaten, darüber zu wachen, dass ihre Rechtsordnung mit der Konvention übereinstimmt, und nötigenfalls die hiefür erforderlichen Anpassungen vorzunehmen.

Ein Beitritt der Schweiz zur Konvention ohne einen diesen Punkt betreffenden Vorbehalt hätte deshalb zur Folge, dass in Anwendung des Grundsatzes «Bundesrecht bricht kantonales Recht»1) die Kantone gehalten wären, die Anwendung ihrer Gesetze über die administrative Versorgung auf denjenigen Personenkreis zu beschränken, der durch Artikel 5, Absatz l, Buchstaben duna e der Konvention gedeckt wird. Eine derartige Beschränkung der kantonalen Gesetzgebungskompetenz kann beim heutigen Stand unserer Rechtsordnung jedoch schwerlich empfohlen werden.

Hinsichtlich des Vormundschaftsrechtes stellt sich die Frage, ob die durch die Artikel 406 und 421, Ziffer 13 ZGB vorgesehene Unterbringung des Mündels in eine Erziehungs-, Versorgungs- oder Heilanstalt den von der Konvention aufgestellten Anforderungen gerecht wird2). Nun decken sich die in den Artikeln 369 und 370 ZGB angeführten Bevormundungsfälle nicht in vollem Umfange mit den Gründen, gestützt auf welche ein Freiheitsentzug laut Artikel 5, Absatz l, Buchstabe e der Konvention angeordnet werden kann. Immerhin beschränkt sich Artikel 406 ZGB darauf, zu erklären, dass der Vormund «nötigenfalls» die Unterbringung des Mündels in eine Anstalt anordnen könne3). Da es sich hierbei jedoch um einen schwerwiegenden Eingriff in den Bereich der persönlichen Freiheit handelt, kann eine derartige Massnahme nur als «ultima ratio»4) in Frage kommen, nachdem alle
anderen Mittel versagt haben. In der grossen Mehrzahl der Fälle, bei denen es zur Unterbringung des Mündels in eine Erziehungs-, Versorgungs-, oder Heilanstalt kommt - eine Massnahme, die ja nur möglich ist mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde (Art. 421, Ziff. 13 ZGB) *) Artikel 2 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung. Die bundesrechtliche Norm bricht das kantonale Recht, gleichgültig ob es sich z.B. um eine Bestimmung eines Bundesgesetzes, eines allgemein verbindlichen Bundesbeschlusses oder eines von der Bundesversammlung genehmigten völkerrechtlichen Vertrages handelt. Vgl.

Favre, Traité, S. 113.

2 ) Wir werden die Frage des Rechtsbehelfs gegen freiheitsentziehende Massnahmen weiter unten im Zusammenhang mit Absatz 4 von Artikel 5 der Konvention behandeln.

3 ) Vgl. hiezu Bossart, a.a.O., S. 33.

4 ) Vgl. Egger, Kommentar zum Schweizerischen ZGB, Note 17 zu Artikel 406 ZGB, S. 443 f.

1088 und die verschiedenen bundesrechtlichen Garantien unterliegt1)-, werden wohl Kategorien von Personen betroffen sein, die auch unter Artikel 5, Absatz], Buchstaben duna e der Konvention fallen2).

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ein Beitritt der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention kaum ins Auge gefasst werden könnte, ohne dass gleichzeitig ein Vorbehalt angebracht würde, der sich auf Artikel 5 bezieht.

Ein solcher Vorbehalt müsste die Anwendung des Artikels 5 auf gewisse kantonale Gesetze ausschliessen, welche die Versorgung bestimmter Kategorien von Personen gestützt auf den Entscheid einer Verwaltungsbehörde vorsehen3). Dass wahrscheinlich ein derartiger Vorbehalt angebracht werden müsste, hat im übrigen schon Bundesrat Wahlen, damals Vorsteher des Politischen Departements, in seiner Antwort vom 11. Dezember 1962 auf eine Interpellation von Nationalrat Purgier angetönt, in deren Rahmen er sich über die Vereinbarkeit des schweizerischen Rechts mit dem Inhalt der Konvention ausgesprochen hat4).

4. Der letzte Fall eines erlaubten Freiheitsentzuges betrifft gemäss Artikel 5, Absatz l, Buchstabe/der Konvention die rechtmässige Festnahme oder Inhafthaltung von jemandem, «um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungsoder Auslieferungsverfahren betroffen ist».

Artikel 14, Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (BS l, 121/AS 1949, 221) bestimmt, dass ein Ausländer, dessen Ausweisung unmöglich ist, interniert werden kann. Die Dauer dieser Internierung darf zwei Jahre nicht übersteigen5). Anlässlich des zweiten internationalen Kolloquiums von Wien über die Menschenrechtskonvention (l8.-20. Oktober 1965) hat Professor Buergenthal die Meinung vertreten6), dass x

) Diese Garantien ergeben sich aus Artikel 4 der Bundesverfassung (Anspruch auf rechtliches Gehör) ; vgl. Egger, a. a. O., Note 22, S. 446.

) Egger (a. a. O., Noten 31 ff., S. 448ff.) erwähnt in diesem Zusammenhang den Fall der Geisteskranken und Trunksüchtigen.

3 ) Der Vorbehalt würde sich also insbesondere nicht auf diejenigen Fälle beziehen, die Bossart in seiner Dissertation (S. 26) erwähnt, in welchen die Kantone gestützt auf die ihnen laut Artikel 335 zur Unterdrückung von Landstreicherei, Bettelei, Trunksucht und lasterhaftem Lebenswandel vorgesehen haben und zu diesem Zwecke die Möglichkeit der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt oder Trinkerheilanstalt auf Grund richterlichen Urteils kennen. Vgl. u. a. Panchaud, Le droit pénal réservé aux cantons par l'art. 335 du Code pénal suisse, Mitteilungen des Schweizerischen Juristenvereins, Heft I, S. 55a ff.

4 ) Vgl. Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, Wintersession 1962, S.710ff., zitiert im Schweizerischen Jahrbuch für internationales Recht, Band XX (1963), S. 108 ff. Siehe auch die über die Europäische Menschenrechtskonvention gemachten Ausführungen im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Richtlinien für die Regierungspolitikinder Legislaturperiode 1968-1971 (BB11968 I 1210).

6 ) Wir werden weiter unten im Zusammenhang mit Absatz 4 von Artikel 5 der Konvention auf die Frage des Rechtsbehelfs gegen eine derartige Versorgungsmassnahme zu sprechen kommen.

6 ) Rechtsprechung, S. 149.

2

1089 die Internierung eines Ausländers, dessen Zurückweisung oder Ausschaffung infolge der gegebenen Umstände unmöglich ist, mit Artikel 5, Absatz l, Buchstabe/ der Konvention nicht zu vereinbaren sei. Demgegenüber hat die Europäische Menschenrechtskommission festgestellt, dass die Bedingungen zur Anwendung der betreffenden Bestimmung in einem Fall erfüllt seien, wo der Gesuchsteller «zur Verfügung der Regierung gestellt» worden war, nachdem sich im konkreten Fall seine Ausweisung aus Belgien wegen der gegebenen Umstände nicht hatte verwirklichen lassen1). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass der erwähnte Artikel des Bundesgesetzes von 1931 mit der Konvention nicht im Widerspruch stehen würde, sofern sich die Dauer der durch die Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements angeordneten Internierung in vernünftigen Grenzen hält2).

5. Die gemäss Konvention zulässigen Fälle von Freiheitsentzug werden in Artikel 5, Absatz l abschliessend aufgezählt3). Nun ist in diesem Zusammenhang folgende Frage aufgeworfen worden : Ist es mit der Konvention zu vereinbaren, wenn ein kantonales Gesetz4) dem Gemeinderat das Recht zubilligt, eine Person, die Sicherheit und Eigentum Dritter bedroht oder in wesentliche Gefahr bringt, vorübergehend zu verwahren, sofern der Gefahr nicht mit ändern Mitteln begegnet werden kann, wobei grundsätzlich nicht die Absicht besteht, die betreffende Person später einer richterlichen Behörde zuzuführen (Art. 5, Abs. l, Buchstabe c) ? Dass die Verwaltungsbehörde über eine allgemeine Polizeigewalt verfügt, die es ihr erlaubt, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dienlichen Massnahmen zu treffen, ist allgemein anerkannt6). Auch bejaht die Doktrin gestützt auf Artikel 5, Absatz l, Buchstabe b der Konvention, welcher die Inhaftierung zwecks «Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung» gestattet, die Zulässigkeit einer als Polizeimassnahme angeordneten Verwahrung6). Indessen darf eine derartige freiheitsberaubende Mass*) Entscheid vom 13. April 1961 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 858/60, Annuaire Nr. 4 (1961), S. 237S., Artikel 9 des belgischen Gesetzes vom 28. März 1952 über die Fremdenpolizei sieht vor, dass der Ausländer für den Fall, dass seine Rück- oder Ausweisung infolge der gegebenen
Umstände nicht möglich sein sollte, auf Antrag des Justizministeriums zur Verfügung der Regierung gehalten werden kann, und zwar in einer geeigneten Anstalt und für die Dauer von höchstens sechs Monaten.

2 ) Siehe überdies die Verordnung vom 14, August 1968 über die Internierung von Ausländern (AS 1968,1013), die insbesondere die Voraussetzungen und Modalitäten der Internierung von Ausländern, deren Ausschaffung unmöglich ist, umschreibt.

3 ) Vgl. Antonopoulos,a.a.O.,S.99;Guradze,Kommentar,S.71.

*) Vgl. z.B. Artikel 55 des Gesetzes über die Organisation und Verwaltung der Gemeinden und Bezirke und das Verfahren vor den Verwaltungsbehörden des Kantons St. Gallen vom 29. September 1947 (Bereinigte Gesetzessammlung des Kantons St.Gallen, Band l, S. 129ff.).

6 ) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1772, S. 638.

6 ) Vgl. Schorn, Kommentar, S. 139 : «Das polizeimässige Verhalten stellt sich als gesetzliche Verpflichtung im Sinne von Artikel 5, Absatz l b MRK dar. Wer sie nicht erfüllt, stört die Ordnung und kann als ,Störer' in polizeiliche Verwahrung genommen werden. » Vgl. auch Guradze, Kommentar, S. 73.

Bundesblatt. 120. Jahrg. Bd. II

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1090 nähme nicht länger andauern, als dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung unbedingt erforderlich ist1).

6. Artikel 5, Absatz 4 der Konvention bestimmt, dass «jedermann, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen wird, das Recht hat, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht rasch möglichst über die Rechtsmässigkeit der Haft entschieden wird und im Fallen der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird». Der in dieser Bestimmung verwendete Ausdruck «Gericht» (wie auch in Art. 5, Abs. l, Buchstaben a und b), wirft eine heikle Auslegungsfrage auf2). Die Europäische Menschenrechtskommission hat bisher keine Gelegenheit gefunden, den betreffenden Ausdruck genau zu umschreiben.

Immerhin erlaubt es ihre Rechtsprechung, gewisse Schlüsse zu ziehen. So hat die Kommission festgehalten, dass die durch Artikel 5, Absatz 4 angeführte Garantie zur Voraussetzung hat, dass im Zusammenhang mit einem derartigen Rekursverfahren «gewisse prozessuale Grundprinzipien» zu beachten sind3). Wenn diesen Bestimmungen Genüge getan werden soll, so müssten unter anderem in einem solchen Verfahren die ganz allgemein vor gerichtlichen Instanzen zu beachtenden Grundsätze respektiert werden, was namentlich bedeutet, dass die Parteien einander gleichgestellt sein müssen4). Im Zusammenhang mit einem anderen Streitfall hat die Kommission ferner erkannt, dass die damals zur Diskussion stehende und durch das nationale Recht des betreffenden Vertragsstaates vorgesehene Rekursmöglichkeit den Vorschriften von Artikel 5, Absatz 4 der Konvention entspreche, da ihr der Charakter eines gerichtlichen Verfahrens («caractère judiciaire») zukomme, und die Richter gehalten seien, unverzüglich zu urteilen («de statuer par priorité»)5).

Die Bedeutung der in Frage stehenden Bestimmung lässt es wünschbar erscheinen, im folgenden eingehend zu untersuchen, ob Bundesrecht und kantonale Rechte damit zu vereinbaren sind.

a. Laut Artikel 14, Absatz 2 und Artikel 15, Absatz 4 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer sind die Massnahmen zur Inx

) Schorn (Kommentar, S. 138) ist ebenfalls der Meinung, dass die Verwahrung einer Person mit der Konvention vereinbar ist, sofern sie in deren Interesse erfolgt, um ihr Leben oder ihre Gesundheit schützen zu können (Schutzhaft).

2 ) Vasak, Convention, S. 26, der das Wesen dieses Rekurses untersucht hat, spricht von «caractère contentieux».

3 ) Bericht der Kommission zum Gesuch Nr. 1936/63 (unveröffentlicht), S. 83.

4 ) Vgl. den Bericht der Kommission zum Gesuch Nr. 2178/64 (unveröffentlicht), S. 58. In der betreffenden Angelegenheit ist von einem Kommissionsmitglied darauf aufmerksam gemacht worden, dass Artikel 5, Absatz 4 von einem Gericht spricht, d. h. von einem Organ « appliquant les principes d'une procédure contradictoire qui sont de l'essence de la fonction juridictionnelle ». Im übrigen sei auch verwiesen auf den Entscheid der Kommission vom 7. April 1967 betreffend die Zulassung der Gesuche Nr. 2832/66, 2835/66 und 2899/66, Recueil de décisions de la Commission européenne des droits de l'homme, Band 25, S.47ff. (Vereinbarkeit des belgischen Gesetzes vom 27.November 1861 über die Unterdrückung der Landstreicherei und Bettelei mit der Konvention) sowie auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 27. Juni 1968 in Sachen Neumeister (S. 48).

6 ) Entscheid vom 13. April 1961 über die Zulàssigkeit des Gesuches Nr. 858/60, Annuaire Nr.4(1961), S.239.

1091 ternierung von Ausländern, deren Ausschaffung unmöglich ist, nicht einer speziellen gerichtlichen Überprüfung unterworfen. Vielmehr kommt es der Polizeiabteilung des Eidgenössichen Justiz- und Polizeidepartements zu, die Internierung auszusprechen und anzuordnen, während gemäss Artikel 14, Absatz 2 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement nach Ablauf der angegebenen Frist über die Gewährung einer sogenannten Toleranzbewilligung befindet. Im Entwurf zum Abänderungsgesetz zum Bundesgesetz betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege (Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit), den (BB11965, II, 1333) wir zusammen mit der entsprechenden Botschaft vom 24. September 1965 (BB1 1965, n, 1265) den Räten unterbreitet haben, ist vorgesehen (neuer Art. 99, Buchstabe b, OG), dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht unzulässig sei gegen Verfügungen, die das «Asylrecht, die Internierung und die übrige Fremdenpolizei» betreffen. Diese Einschränkung ist in der Botschaft seitens des Bundesrates damit begründet worden, dass es sich bei den betreffenden Entscheidungen über das Asylrecht oder die Internierung um solche politischer Natur handle, weshalb sie von der Verwaltungsgerichtsbarkeit auszunehnien seien1).

Der Entwurf zum fraglichen Bundesgesetz ist nun aber im Rahmen der Beratung von den Eidgenössischen Räten in verschiedener Hinsicht abgeändert worden. Während der Junisession 1968 hat der Nationalrat einem Vorschlag seiner vorberatenden Kommission zugestimmt. Dieser Vorschlag sieht die Möglichkeit vor, gegen Entscheide betreffend Internierung von Ausländern Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zu erheben. Dieser Betrachtungsweise hat sich der Ständerat in der Septembersession 1968 angeschlossen. Unter Vorbehalt der Schlussabstimmung der beiden Räte und des Ergebnisses einer aUfälligen Volksabstimmung bei einem Referendum wäre somit ein Hindernis für unseren Beitritt zur Konvention beseitigt.

b. Ein ähnliches Problem stellt sich im Rahmen des Auslieferungsverfahrens gemäss dem Bundesgesetz vom 22. Januar 1892 betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande (BS 3, 509) und den geltenden Auslieferungsverträgen.

Den auf Weisung der Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements und auf Antrag des die Auslieferung begehrenden Staates2)
proviso') Diese Argumentation ist vor allem von Moser in seinem Referat vor dem Schweizerischen Juristenverein im Jahre 1967 (Die Rechtsstellung des Ausländers in der Schweiz, S. 477, Note 413) kritisiert worden. Moser weist vor allem daraufhin (S. 480), dass zu untersuchen sei, «ob nicht die Verfügung über die Internierung (Art. 14, Abs.2 ANAG; Art. 17 ANAV) der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu unterstellen sei, um auf diesem Teilgebiet den Anforderungen von Artikel 5, Absatz 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention Genüge zu tun ».

2 ) Gemäss Artikel 17, Absatz 2 des genannten Bundesgesetzes wird jedoch die verhaftete Person auf freien FUSS gesetzt, wenn der von der zuständigen Behörde erlassene Haftbefehl oder eine andere gleichwertige Urkunde und das Auslieferungsbegehren nicht innerhalb einer bestimmten Frist vorschriftsgemäss vorgelegt werden. Diese Frist betragt, von der Verhaftung an gerechnet, 20 Tage, wenn der ersuchende Staat an die Schweiz grenzt, 30 Tage, wenn er ein nicht angrenzender europäischer Staat ist; wird die Auslieferung von einem aussereuropäischen Staat verlangt, so kann die Frist bis auf 3 Monate ausgedehnt werden.

1092 risch angehaltenen Personen steht nämlich gegen die Festnahme kein Rekursrecht an eine richterliche Behörde zu1). Doch wird das erwähnte Auslieferungsgesetz gegenwärtig einer Revision unterzogen, und es besteht die Absicht, bei dieser Gelegenheit eine den Erfordernissen von Artikel 5, Absatz 4 der Menschenrechtskonvention 2) Rechnung tragende Rekursmöglichkeit an eine Gerichtsinstanz im Falle einer derartigen Verhaftung einzuführen.

c. Das Bundesgesetz vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege gesteht dem Angeschuldigten ab Eröffnung der Voruntersuchung das Recht zu, jederzeit ein Haftentlassungsgesuch einzureichen und bei dessen Abweisung durch den Untersuchungsrichter bei der Anklagekamrner des Bundesgerichtes Beschwerde einzulegen (Art. 52 BStP). Anders verhält es sich mit Bezug auf das Ermittlungsverfahren durch die gerichtliche Polizei (BStP Art. lOOff.)3). Die gerichtliche Polizei und infolgedessen auch die von ihr getätigten Ermittlungen stehen nämlich unter der Leitung des Bundesanwalts und unter der Aufsicht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (BStP Art. 17, Abs. 1). Im Laufe des Ermittlungsverfahrens durch die gerichtliche Polizei steht dem verhafteten Angeschuldigten nur die Rekursmöglichkeit an das Eidgenössiche Justiz- und Polizeidepartement offen und nicht an eine gerichtliche Behörde4), wie dies von Artikel 5, Absatz 4 der Konvention verlangt wird. Soll hier die Anbringung eines entsprechenden Vorbehaltes vermieden werden, so wird eine Änderung des Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege nicht zu umgehen sein; und im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die gerichtliche Polizei sollte eine5) Rekursmöglichkeit an eine Gerichtsinstanz vorgesehen werden, beispielsweise an die Anklagekammer des Bundesgerichtes.

l

) Zu bemerken ist noch, dass der Gesetzesentwurf über die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit) unter Artikel 99, Buchstabe h feststellt (BB11965II1334 f.), dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig ist gegen Verfügungen auf Grund von Bestimmungen über das Strafrecht, das Strafverfahren und die Auslieferung.

8 ) Der Mangel jeglicher Formvorschriften im Zusammenhang mit dem Eintretensverfahren bei Auslieferungsbegehren ganz allgemein ist im übrigen von Prof. Schultz in seiner Abhandlung über das schweizerische Auslieferungsgesetz kritisiert worden (Schweizerische Kriminalistische Studien, Band 7, S. 195f.).

3 ) Vgl. Huggenberger, Das polizeiliche Ermittlungsverfahren bei Verbrechen und Vergehen im schweizerischen Strafprozessrecht, Dissertation Zürich 1947, S. 175 ff.

4 ) Vgl. die Bemerkungen von Albert Picot in seiner Studie über das genferische Verfassungsgesetz vom 21.März 1849 «sur la liberté individuelle et sur l'inviolabilité du domicile» in: Strafprozess und Rechtsstaat, S. 96. Siehe auch Carl Ludwig, Der Schutz der persönlichen Freiheit im Strafprozess, in : Die Freiheit des Bürgers im schweizerischen Recht, Festgabe zur 100-Jahr-Feier der Bundesverfassung, S. 278 f.

") In der bereits zitierten Botschaft über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit (BB11965II1265ff.) hat der Bundesrat die Meinung vertreten, dass die im Zusammenhang mit der Ermittlung der gerichtlichen Polizei gefällten Entscheidungen sehr oft einen politischen Charakter aufwiesen und deshalb einer richterlichen Überprüfung nicht zugänglich seien. Wir glauben nicht, diesen Standpunkt noch weiter aufrecht erhalten zu können, wenigstens was die Haftverfügung betrifft, die auf jeden Fall an eine Gerichtsinstanz sollte weitergezogen werden können.

1093 d. Was das Verwaltungsstrafrecht des Bundes anbelangt, so überweist im Rahmen des Verfahrens bei Übertretung fiskalischer Bundesgesetze (Art. 279ff.

BStP) oder anderer Bundesgesetze (Art. 321 ff. BStP) die zuständige Verwaltungsbehörde die Akten dem zuständigen Strafgericht (Art. 281, Abs. 3 und 322, Abs. 2 BStP), sofern sie die Voraussetzungen für die Verhängung einer Freiheitsstrafe für gegeben erachtet. In diesem Fall stehen gegen das Urteil sämtliche ordentlichen Rechtsmittel zu Gebote, die durch das entsprechende kantonale Recht oder das Bundesrecht vorgesehen werden. Eine gerichtliche Überprüfung ist deshalb auf jeden Fall gewährleistet1).

e. Auf Grund der Artikel 182 und 183 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1889 über die Militärstrafgerichtsordnung (MSTGO) (BS 3, 456, AS 1951, 447,1968, 212) sind Beschwerden gegen Amtshandlungen des Untersuchungsrichters, insbesondere gegen Arrestbefehle, während des Untersuchungsverlaufes an den Oberauditor zu richten ; dieser entscheidet darüber endgültig2). Der vom Bundesrat ernannte Oberauditor steht der gesamten Militärstrafrechtspflege vor; er leitet und überwacht sie unter der Aufsicht des Militärdepartements (Art. 25, Abs. l MSTGO). Obwohl die Unabhängigkeit der Militärjustiz im grossen ganzen gewährleistet ist3), kann man sich fragen, ob es angeht, den Oberauditor einem «Gericht» im Sinne von Artikel 5, Absatz 4 der Konvention gleichzusetzen. Zudem fehlt es gemäss Artikel 71 MSTGO überhaupt an jeder Beschwerdemöglichkeit, wenn die Sicherheitshaft durch den Grossrichter persönlich angeordnet wird (Art. 186 MSTGO).

Dadurch wird ganz allgemein die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Militärstrafrecht und den Regeln der Menschenrechtskonvention aufgeworfen.

Dieses Problem ist bisher weder von der Kommission noch vom Gerichtshof für Menschenrechte behandelt worden. Wir glauben jedoch davon ausgehen zu können, dass auf Grund des besonderen Gewaltverhältnisses, durch welches die Militärpersonen an den Staat gebunden sind 4), diese gehalten sind, bei der Ausübung ihrer Rechte einschneidendere Beschränkungen auf sich zu nehmen als die übrigen Rechtsträger. Daraus folgt, dass sich die Konvention nicht im ganzen Umfange auf den Sonderfall diensttuender Militärpersonen anwenden lässt.

Zudem darf daran erinnert werden, dass die Militärgerichte
hinsichtlich ihrer Rechtsprechung volle Unabhängigkeit gemessen6).

*) Vgl. hiezu Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 557: «Als weitere Art der Verwaltungsstrafrechtspflege erscheint die unmittelbare Bestrafung durch den Richter nach Massgabe der Strafprozessordnung. Dieses System gilt prinzipiell für die Verhängung von Freiheitsstrafen und wahrt damit unmittelbar den rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltentrennung sowie der richterlichen Garantie der persönlichen Freiheit bei Fällung von Freiheitsstrafen».

") Vgl. Haefliger, Kommentar zur Militärstrafgerichtsordnung, S. 225.

3 ) Vgl. Artikel 183ter des Bundesgesetzes betreffend die Militärorganisation der schweizerischen Eidgenossenschaft mit der Abänderung vom 12. September 1947 (AS 1948, 425). Ausserdem Haefliger, a.a.O., S.13 und Marti, Unabhängige Militärgerichtsbarkeit, in Mélanges Marcel Bridel, S. 265 ff.

4 ) Vgl. hiezu Aubert, Traité, Band 2, Nr. 1749, S. 630.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 227.

1094 Schliesslich dürfte noch von Interesse sein, dass die Europäische Menschenrechtskommission zum Schlüsse gelangt ist, dass Artikel 6 der Konvention auf das Disziplinarstrafrecht keine Anwendung finden kann1). Die Bestimmungen der Konvention sind ganz allgemein den Eigenheiten des Disziplinarrechts, das im militärischen Bereich die Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin innerhalb der Truppe bezweckt, nicht angepasst.

/. Wie wir bereits zu Beginn dieses der Frage der Vereinbarkeit des schweizerischen Rechtes mit Artikel 5 der Konvention gewidmeten Abschnittes angetönt haben, ist in unserem Land der Schutz des Einzelnen im Rahmen des Strafprozesses sichergestellt durch die verfassungsrechtiche Gewährleistung der individuellen Freiheit. Bundesrichter Castella führt aus2), dass, wer immer sich durch eine ihn betreffende Massnahme in seiner persönlichen Freiheit in einer Art und Weise beschränkt glaubt, die der entsprechenden Schutznorm des ungeschriebenen Bundesverfassungsrechts entgegensteht, gegen den Entscheid der kantonalen Behörde beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erheben kann. Soweit es um Akte kantonaler Behörden geht, dürfte somit dank der Möglichkeit der staatsrechtlichen Beschwerde die in Artikel 5, Absatz 4 der Konvention aufgestellte Forderung einer gerichtlichen Kontrolle erfüllt sein3). Gewisse Einschränkungen sind allerdings anzubringen, insbesondere weil eine Beschwerde wegen Verletzung der ungeschriebenen Verfassungsnorm der individuellen Freiheit laut Artikel 86, Absatz 2 OG nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide angestrengt werden kann. Der einfachste Weg, der einzuschlagen wäre, um unsere Rechtsordnung mit der in Frage stehenden Bestimmung der Konvention in Einklang zu bringen, bestünde laut Bundesrichter O.Kaufmann4) darin, dass die individuelle Freiheit unter den Katalog derjenigen verfassungsmässig gewährleisteten Rechte des Bürgers eingereiht würde, für welche eine staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht direkt und ohne Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges angestrengt werden kann (Art. 86, Abs. 2 OG)5)Dazu ist vorerst zu bemerken, dass Artikel 5, Absatz 4 der Konvention es nicht verbietet, dass ein administratives Beschwerdeverfahren einem gerichtlichen Verfahren vorangeht6). Die betreffende Bestimmung verlangt nur, dass das angerufene
Gericht rasch möglichst entscheide. Ausserdem ist zu erwähnen, dass die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht erforderlich ist, wenn die *) Entscheid vom 29. Mai 1961 über die Zulassung des Gesuches Nr. 734/60, Recueil de décisions, Band 6, S. 32f.

2 ) a.

a. O., S. 54.

3 ) Vgl. zur Frage der administrativen Versorgung die Studie von Prof. Favre über die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 36, wo der Verfasser vor allem daraufhinweist, dass beim Bundesgericht jedes Jahr mehrere Beschwerden wegen angeblich illegaler Inhaftierung eingehen. So gingen im Jahre 1966 8 derartige Beschwerden ein und wurden innerhalb einer Zeitspanne von 5-55 Tagen, mit einem Mittel von 27 Tagen seit Eingang der Beschwerde erledigt.

4 ) St. Galler Festgabe 1965, S.261.

6 ) Je nachdem, so fugt Kaufmann (a. a. O.) hinzu, wäre eine direkte Beschwerde ans Bundesgericht nur zulässig, wenn ein Kanton keine Gerichtsbehörde bestimmt hätte, die über angebliche Verletzungen der individuellen Freiheit entscheiden könnte.

6 ) Vgl. Favre, a.a.O.

1095 staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht wegen Verletzung eines Staatsvertrages angestrengt wird1). Somit könnte unser höchstes Gericht letztlich ohne Zeitverlust die Vereinbarkeit einer durch eine kantonale Behörde angeordneten Haftmassnahme mit der Konvention überprüfen, da die Konvention, einmal ratifiziert, integraler Bestandteil unserer eigenen Rechtsordnung geworden ist2). Dieser besondere Rechtsmittelweg würde zusätzlich zu demjenigen offenstehen, der sich auf den Schutz vor Verletzung der individuellen Freiheit gründet3). Das Bundesgericht könnte auf diesem Wege dazu veranlasst werden, die Freilassung einer Person anzuordnen, deren Inhaftierung mit der Konvention nicht zu vereinbaren wäre4). Somit steht unserer Meinung nach der Feststellung, unser Recht sei mit dem Wortlautvon Artikels, Absatz4 der Konvention vereinbar, nichts entgegen.

Nach diesen Bemerkungen allgemeiner Natur muss noch kurz auf einige Einzelprobleme eingegangen werden, die sich im Zusammenhang mit den kantonalen Rechtsordnungen ergeben6).

g. Die Mehrzahl der kantonalen Gesetze kennen die administrative Versorgung von Geisteskranken und verschiedener Kategorien von asozialen Personen, sehen aber keine gerichtliche Überprüfung des administrativen Internierungsentscheides vor6). Nur einige Kantone kennen die Rekursmöglichkeit an ein Verwaltungsgericht7). Unter Zitierung der Professoren Burckhardt8) und Giacometti9) hat der Bundesrat in seiner Botschaft vom 24. September 1965 über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bund (BB11965, II, 1278f.) daraufhingewiesen, dass die Institution der staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht bis zu einem gewissen Grad für das Fehlen einer kantonalen Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Ersatz bieten könnte. Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass, um Sinn und Geist von Artikel 5, Absatz 4 der Konvention Ge1

) Vgl. Birchmeier, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, S. 326.

2 ) Siehe Partsch, a.a.O., S.370.

3 ) Hinsichtlich des Umfanges der Kompetenz des Bundesgerichts zur Prüfung staatsrechtlicher Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte der Bürger und des Subsidiärcharakters der staatsrechtlichen Beschwerde im Zusammenhang mit ändern bundesrechtlichen Rechtsmitteln konsultiere man die speziellen Studien von Bonnard und Marti.

4 ) Bezüglich der Ausnahmen vom rein kassatorischen Charakter der staatsrechtlichen Beschwerde siehe Aubert, Traité, Band 2, Note 1727, S. 620.

6 ) Hinsichtlich des Bundesrechts hat das Bundesgericht entschieden, dass der Beschluss, einen Bevormundeten auf Antrag des Vormundes in eine Anstalt zu unterbringen (Art. 406/421, Ziff. 13 ZGB), eine Zivilsache sei, die nicht der Berufung nach Artikel 43 ff. OG unterliege (BGE 83II180). Vorbehalten bleiben jedoch die Nichtigkeitsbeschwerde nach Artikel 68 OG und die staatsrechtliche Beschwerde nach Artikel 84 OG.

e ) Die verschiedenen diesbezüglichen Rekursmoglichkeiten sind aufgeführt in der Dissertation von Bossart, S. 71 ff.

') Vgl. Bossart, a. a. O., S. 76f. Ausserdem sei auf die Bemerkungen von Prof. Kägi in seiner zitierten Studie, S. 26f., verwiesen.

8 ) Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der schweizerischen Eidgenossenschaft, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 90,1931, S. 228.

") Die Verfassungsgerichtsbarkeit des schweizerischen Bundesgerichtes, S. 268.

1096 nüge zu tun, bereits auf kantonaler Ebene eine Beschwerdemöglichkeit gegenüber Internierungsverfügungen vorzusehen wäre, so wäre ein derartiger Widerspruch zur Konvention durch den Vorbehalt gedeckt, den wir zu Artikel 5, Absatz l, Buchstaben d und e vorgeschlagen haben. Dieser Vorbehalt würde sich nämlich auf den gesamten Artikel 5 beziehen und somit die Anwendung der genannten Bestimmungen auf die kantonalen Gesetze über die administrative Versorgung ausschliessen. Hier mag darauf hingewiesen werden, dass die Frage der administrativen Verwahrung Gegenstand einer Debatte im schwedischen Parlament gebildet hat, als in Schweden die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Diskussion standl). Bei dieser Gelegenheit hat ein schwedischer Abgeordneter in Erinnerung gerufen, dass ein Land mehrere Fälle kenne, in denen die Behörden Massnahmen anordnen könnte, durch welche die individuelle Freiheit beschränkt wird, ohne dass die betroffenen Parteien das Recht hätten, an ein Gericht zu appellieren2). Schweden hat aber anlässlich der Ratifikation zu diesem Punkt keinen Vorbehalt angebracht.

h. Im Strafrecht steht einer Person, die ihrer Freiheit durch Verhaftung oder Inhaftierung beraubt worden ist, allgemein ein Rekursrecht zu. Wie beim Bundesstrafprozess3) kennen auch die meisten Kantone eine Rekursmöglichkeit an eine gerichtliche Instanz (z.B. Anklagekammer) gegen amtliche Verfügungen über die Anordnung oder Auf hebung von Sicherheitshaft4). Was jene wenigen Kantone betrifft, deren kantonale Rechtsordnung in diesem Stadium des Prozessverfahrens kein oder nur ein verwaltungsinternes Rechtsmittel vorsieht5), könnte ein Beitritt der Schweiz zur Konvention vielleicht dazu führen, dass diese Kantone ihre Strafprozessordnungen in dem Sinne ändern, dass sie den Rekurs an ein Gericht einführen. Im übrigen fordert auch Artikel 9, Absatz 7 des internationalen Paktes betreffend die bürgerlichen und politischen Menschenrechte, der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Dezember 1966 einstimmig gutgeheissen worden ist, ein solches Rekursrecht. Was jedoch im Zusammenhang mit der Konvention vor allem wichtig erscheint, ist der Umstand, dass gegen eine rechtswidrige Verhaftung oder Inhaftierung beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben
werden kann, so dass das Recht auf richterliche Beurteilung derartiger Streitfälle so oder so gewährleistet ist.

7. Auf Grund von Artikel 5, Absatz 5 der Konvention hat jede Person, die unter Umständen verhaftet oder in Haft gehalten wird, die mit den Bestimmungen des Artikels 5 nicht zu vereinbaren sind, ein Recht auf Entschädigung.

*) Vgl. Annuaire Nr. 7 (l 964), S. 479ff., insbesondere S. 483-485 und 489^91.

a ) Es handelt sich vor allem um die Behörden, die sich mit Jugendschutz und mit der Versorgung von Alkoholikern und Geisteskranken befassen.

s ) Artikel 52 BStP bestimmt, dass ein Angeschuldigter jederzeit um seine Freilassung ersuchen kann. Im Falle der Verweigerung der Freilassung durch den Untersuchungsrichter kann die Entscheidung Gegenstand einer Beschwerde bei der Anklagekammer des Bundesgerichts bilden.

*) Vgl. Graven, La protection de la personne, S. 30.

") Vgl. z.B. das bündnerische Gesetz über die Strafrechtspflege (StPO) vom S.Juni 1958, Artikel 83,85,137,138 und 204: Rekurse gegen Entscheide des Staatsanwalts im Verlaufe der Untersuchung sind an das Justiz- und Polizeidepartement zu richten.

1097 In der Schweiz ist das Recht auf Schadenersatz unter gewissen Voraussetzungen durch das Bundesstrafprozessrecht und durch die meisten Kantonsverfassungen1) gewährleistet. Gemäss Bundesstrafprozessrecht (Art. 122 und 176 BStP) haben der Beschuldigte, gegen den die Untersuchung eingestellt wird, für die Untersuchungshaft und für andere Nachteile, die er erlitten hat, und der Angeklagte im Falle der Freisprechung Anspruch auf eine Entschädigung. Ausserdem ist in mehreren Kantonsverfassungen die Ausrichtung einer Entschädigung nicht nur an unrechtmässig oder grundlos verhaftete Personen, sondern beispielsweise auch an ungerecht Verurteilte oder an Opfer eines Justizirrtums vorgesehen.

V. Das Recht auf ein gerechtes Gerichtsverfahren und die Rechte der Verteidigung

(Art. 6) 1. Artikel 6 der Konvention gewährleistet das Recht auf ein gerechtes gerichtliches Verfahren. Diese Bestimmung ist vor der Europäischen Menschenrechtskommission oft angerufen worden und hat bereits zu einer umfangreichen Rechtsprechung Anlass gegeben2). Der erste Satz des ersten Abschnittes lautet wie folgt: Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat.

Aus dem Wortlaut dieses Artikels und aus der Rechtsprechung der Kommission ergibt sich, dass bei einem gerechten Gerichtsverfahren mindestens folgende Voraussetzungen erfüllt sein müssen : kontradiktorisches Verfahren bei Gleichstellung der Parteien (Waffengleichheit)3), Öffentlichkeit des Verfahrens, Bestehen eines unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gerichtes und Erlass des Urteils innerhalb einer angemessenen Frist. Zum Begriff des «Gerichtes» haben wir schon vorgehend, im Zusammenhang mit Artikel 5, Absatz 4 der Konvention, darauf hingewiesen, dass er neben der Unabhängigkeit der urteilenden Behörde4) auch die Beachtung einer Reihe verfahrensrechtlicher Grundprinzipien einschliesst.

Bei der Absteckung des Anwendungsbereiches der zur Diskussion stehenden Bestimmung ergeben sich eine Reihe schwieriger Auslegungsprobleme. Vor allem x

) Vgl. Graven, a. a. O., S. 41. Vom gleichen Autor siehe auch : La protection des droits de l'accusé, S. 283 ff. Ausserdem: Clerc, in Strafprozess und Rechtsstaat, S.216f. Aubert bemerkt hiezu (Traité, Band 2, Note 2214, S. 773), dass das Bundesgericht noch keine Gelegenheit gefunden habe, zu entscheiden, ob die Pflicht zu einer Entschädigungsleistung ungeschriebenes Bundesrecht darstelle oder nicht.

a ) Vgl. Antonopoulos, a. a. O., S. 121 ff. und Buergenthal, Rechtsprechung, S. 158 ff.

3 ) Zum Begriff der «Waffengleichheit» (égalité des armes) vergleiche man den Überblick über die Rechtsprechung der Kommission bei Vasak, Convention, S. 32fT.

·) In seinem Urteil vom 27. Juni 1968 in der Angelegenheit Neumeister hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt, dass der Ausdruck «Gericht» lediglich zur Voraussetzung habe, dass es sich bei der urteilenden Behörde um eine solche rechtsprechender Natur handle, d. h. um eine solche, die sowohl von der Regierungsgewalt wie auch von den betroffenen Parteien unabhängig sei.

1098 stellt sich die Frage, ob Artikel 6 eine generelle «Rechtsweggarantie» enthält oder ob, wie dies Professor Partsch1) behauptet, lediglich eine Reihe von Mindestbedingungen aufgestellt werden, die im Rahmen des allfälligen gerichtlichen Verfahrens zu beachten sind. Die Kommission hat sich bisher zu dieser Frage noch nicht ausdrücklich geäussert. Sie hat ursprünglich festgestellt2), dass sich die genannte Bestimmung nur auf das Verfahren vor den Gerichten beziehe und nicht auf Entscheide, die in die alleinige Kompetenz der Verwaltungsbehörden fallen3). Bei einer ändern Gelegenheit hat die Kommission jedoch erklärt4), der Umstand, dass die strittige Angelegenheit vor einer mit gewissen rechtsprechenden Funktionen ausgestatteten administrativen und politischen Behörde zur Sprache gekommen sei und nicht vor einem gewöhnlichen Zivil- oder Strafgericht, genüge an sich noch nicht, um die Anwendung von Artikel 6, Absatz l auszuschliessen.

Wenn man sich an den Wortlaut der in Frage stehenden Bestimmung hält, so sichert diese jedermann das Recht zu, von einer Behörde, die den im ersten Absatz aufgestellten Kriterien entspricht, zu verlangen, dass sie ein Urteil fälle, gleichgültig ob dasselbe sich auf zivile Ansprüche oder Verpflichtungen des Betreffenden oder auf eine gegen seine Person gerichtete strafrechtliche Klage erstreckt. Normalerweise wird es sich bei einer derartigen Behörde um ein Gericht handeln, d.h.

um ein Organ der rechtsprechenden Gewalt. Eine mit der Ausübung richterlicher Funktionen betraute Verwaltungsbehörde wird allerdings oft wie ein Gericht dem Erfordernis der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gemäss Artikel 6 gerecht werden und auch die verfahrensrechtlichen Grundprinzipien beachten. Im übrigen schliesst diese Bestimmung das Bestehen verschiedener Verfahrensstufen nicht aus. Wichtig ist nur, dass der Rechtsuchende, der sich einer erstinstanzlichen Entscheidung nicht unterziehen will (wobei es sich bei dieser ersten Instanz auch um eine Verwaltungsbehörde handeln kann), die Möglichkeit hat, ein Urteil zu erlangen, das auf Grund eines Verfahrens ergangen ist, bei dem die in der Konvention aufgeführten verfahrensrechtlichen Vorschriften beachtet worden sind.

Die Europäische Menschenrechtskommission hat Gelegenheit gehabt, sich über die Auslegung des Ausdruckes «zivilrechtliche
Ansprüche und Verpflichtungen» auszusprechen5). Dabei hat sie diesem Begriff einen eigenen, von den *) A. a. O., S. 3831 Der Autor will diese Behauptung aber auf Streitigkeiten über Ansprüche und Verpflichtungen zivilrechtlicher Natur beschränkt wissen. Bei Strafsachen habe hingegen der Angeklagte einen Anspruch auf ein richterliches Urteil, was allerdings nicht ausschliesse, dass die Strafe vorerst durch eine Verwaltungsbehörde ausgefällt werde, sofern in der Folge die Möglichkeit besteht, an ein Gericht zu appellieren.

2 ) Entscheid vom 7. Mai 1962 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 1329/62, Annuaire Nr. 5 (l 962), S. 209.

3 ) Wie beispielsweise ein Entscheid des Justizministeriums, demzufolge das Recht des Gesuchstellers auf Besuch seiner Kinder aufgehoben worden war. Es sei verwiesen auf die kritischen Bemerkungen zu dieser RechtsprechungvonBuergenthal, a. a. O., S. 163.

4 ) Entscheid vom I.Oktober 1965 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr.2134/64, Recueil de décisions, Band 18, S. 16.

6 ) Vgl. hiezu Buergenthal/Kewenig, Zum Begriff der «civil rights» in Artikel 6, Absatz l der Europäischen Menschenrechtskonvention, Archiv des Völkerrechts, Band 13 (1966/1967), S. 393 ff.

1099 einzelnen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten unabhängigen Inhalt verliehen1). Die Frage, ob ein Anspruch oder eine Verpflichtung zivilrechtlicher Natur ist, hängt nicht von dem internrechtlich vorgeschriebenen Verfahren ab, sondern allein von der Prüfung des an die Kommission gerichteten Gesuches und seines Inhalts2).

2. Artikel 64Ms, Absatz 2 der Bundesverfassung bestimmt: «Die Organisation der Gerichte, das gerichtliche Verfahren und die Rechtsprechung verbleiben, wie bis anhin, den Kantonen.» Die Praxis des Bundesgerichtes zu Artikel 4 der Bundesverfassung (Prinzip der Rechtsgleichheit) hat jedoch eine Reihe von bundesrechtlichen Regeln aufgestellt, die von den Kantonen beachtet werden müssen. Dazu gehört der Anspruch auf rechtliches Gehör3), der dem Rechtsuchenden und unter gewissen Bedingungen dem von Verwaltungsmassnahmen Betroffenen Gewähr bietet, dass er angehört wird, bevor eine ihn treffende Entscheidung gefällt wird4). Besonders im Bereich des Strafrechtes hat das Bundesgericht festgehalten, dass der Anspruch des Angeschuldigten auf rechtliches Gehör grundsätzlicher Natur sei, ungeachtet allfälliger gesetzlicher Vorschriften bestehe und nicht übergangen werden könne, ohne dass dadurch die in Artikel 4 der Bundesverfassung aufgestellte Garantie der Rechtsgleichheit verletzt werde5). Darbellay folgert daraus6), dass jede Verletzung grundlegender Verfahrensregeln auf eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör hinauslaufe'), wogegen staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben werden könne8).

Der Anspruch auf rechtliches Gehör9) ist im Rahmen der Zivil- und Strafprozessordnungen weitgehend sichergestellt10). Im Rahmen administrativer Verfahren hingegen kann ihn der Betroffene nur dann in vollem Umfange geltend machen, wenn die Missachtung des Anspruchs die Freiheit seiner Person in Frage stellt, oder wenn er in seinen höchstpersönlichen Rechten betroffen wird11). AusJ

) Vgl. die Übersicht über die Rechtsprechung bei Vasak und Lalive, Journal du droit international (Clunet) 1967, S. 482f.

) Vgl. Antonopoulos, a. a. O., S. 126 und die von diesem Autor angeführten Entscheide der Kommission.

3 ) Vgl. hiezu die im Rahmen des Schweizerischen Juristenvereins im Jahre 1964 gehaltenen Referate über das Rechtliche Gehör von Tineer und Darbellay.

4 ) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1804, S. 650.

5 ) Zitiert von Darbellay, a. a. O., S.424.

·) a.a.O.,S.571.

') Die Verletzung des Rechtes auf rechtliches Gehör stellt nach bundesgerichtlicher Auslegung eine formelle Rechtsverweigerung dar. Siehe auch Huber, Die Grundrechte in der Schweiz, S. 221.

8 ) Bonnard (Problèmes relatifs au recours de droit public, S. 394) hat hiezu bemerkt, dass die staatsrechtliche Beschwerde, insoweit sie die Beachtung gewisser grundlegender Prinzipien voraussetzt, die sich aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Artikel 4 der Bundesverfassung ergeben, zur Vereinheitlichung der verschiedenen kantonalen Prozessverfahrcn beiträgt, 9 ) Über den Inhalt dieses Rechts siehe Aubert, Traité, Band 2, Nr. 1808, S. 652.

10 )Vgl. Darbellay, a. a. O., S. 480ff.

")Vgl. Darbellay, a.a.O., S.516ff. Das Bundesgericht hat namentlich festgehalten, dass die sich auf einen Verwaltungsentscheid stützende Verwahrung eines Arbeitsscheuen, eines Alkoholikers oder eines des Landes Verwiesenen dem Einzelnen zustehende, höchstpersönliche Rechte verletzt.

2

1100 serdem besteht ein Anspruch auf rechtliches Gehör in all denjenigen Fällen, in denen eine Verwaltungsbehörde einen zivilrechtlichen Streitfall zu beurteilen hat1).

Der Grundsatz der Rechtsgleichheit ist in der Schweiz jedoch nicht der einzige, der eine gerechte Rechtsprechung und insbesondere die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter garantiert2). Es kann in diesem Zusammenhang auch verwiesen werden auf das Prinzip der Trennung der Gewalten als Grundsatz des eidgenössischen und kantonalen Verfassungsrechtes3) sowie auf die in Artikel 58 der Bundesverfassung enthaltene Garantie des verfassungsmässigen Richters und des Verbotes von Ausnahmegerichten4).

3. Der Hinweis auf diese paar grundsätzlichen Regeln gestattet uns, von einer eingehenden Überprüfung der Vereinbarkeit unseres Rechts mit Artikel 6, Absatz l, erster Satz der Konvention abzusehen. Wir können uns in der Folge darauf beschränken, auf einige Probleme hinzuweisen, auf die näher einzutreten uns nützlich erscheint.

a. Durch die Bestimmung von Artikel 58, Absatz l der Bundesverfassung- das Recht des einzelnen auf einen verfassungsmässigen Richter - wird den Kantonen nicht eine bestimmte Gerichtsorganisation vorgeschrieben5). Insbesondere verlangt die Bestimmung nicht, dass Rechtsbegehren ziviler Natur ausschliesslich von Zivilgerichten beurteilt werden. Wenn demnach das Zivilgesetzbuch von der zuständigen Behörde spricht, ohne näher zu umschreiben, ob es sich dabei um eine richterliche oder eine Verwaltungsbehörde handeln muss, so steht es den Kantonen auf Grand von Artikel 54 des Schlusstitels des ZGB frei, eine Verwaltungsbehörde oder eine richterliche Instanz als zuständig zu erklären6). Die Kantone haben von dieser Kompetenz weitgehenden Gebrauch gemacht, indem sie Verwaltungsbehörden damit betraut haben, in Streitfällen privatrechtlicher Natur zu urteilen7). Wir haben indessen vorgehend, im Zusammenhang mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör, festgestellt, dass die Verwaltungsbehörde in derartigen Fällen gehalten ist, gewisse Verfahrensrechtliche Grundprinzipien zu beachten, die sich aus Artikel 4 der Bundesverfassung ergeben und die durch die Möglichkeit der staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht gewähr1

) Beispielsweise im Bereich der obligatorischen Unterstützungspflicht oder des Notwegrechtes. Vgl. Imboden, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, S. 315ff. Es sei auch verwiesen auf Fleiner/Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S.419f.

2 ) Vgl. Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 269 ff.

3 ) Vgl. Favre, Traité, S.156ff., insbesondere S.162ff. Siehe auch Huber, Die Grundrechte in der Schweiz, S. 221-223.

4 ) Vgl. Graven, La garantie du juge naturel et l'exclusion des tribunaux d'exception, in : Die Freiheit des Bürgers im Schweizerischen Recht, Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Bundesverfassung, S. 209 ff.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 397.

") Vgl. Voyame, Droit privé fédéral et procédure civile cantonale, Berichte und Mitteilungen des Schweizerischen Juristenvereins, 1961, S. 75.

') Vgl. die von Darbellay, S. 522, angeführten Beispiele.

1101 leistet sind1). Der Umstand, dass in unserem Lande Verwaltungsbehörden Streitigkeiten zivilrechtlicher Natur entscheiden können2), scheint demnach mit Artikel 6, Absatz l der Konvention nicht unvereinbar.

Die Europäische Menschenrechtskommission hat bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sich zu dieser Frage zu äussern. Im Jahre 1963 wurde ihr ein Streitfall unterbreitet, in dem besonders das Problem zur Diskussion stand, ob angesichts von Artikel 6 der Konvention ein Streitfall zivilrechtlicher Natur durch eine Administrativbehörde entschieden werden kann, sofern letztlich die Möglichkeit eines Weiterzuges an eine gerichtliche Instanz in Form einer Nichtigkeitsbeschwerde besteht. Der Fall wurde jedoch durch aussergerichtlichen Vergleich beigelegt und durch die Kommission im Register abgeschrieben3).

b. Trotz tiefgreifenden Unterschieden weisen nach Professor Clerc4) unsere kantonalen Strafprozessordnungen einen gemeinsamen Zug auf: die Sicherstellung des Rechtsstaatsprinzips, demzufolge die öffentliche Gewalt gehalten ist, gewisse Grundsätze, die für ein gerechtes Gerichtswesen unabdingbar sind, zu beachten. Die Rechte der Verteidigung sind im grossen ganzen, wie wir dies bereits festgestellt haben, im Anspruch auf rechtliches Gehör enthalten, der im Bereich des Strafrechtes durch das Bundesgericht sehr weitgehend geschützt wird6)Darüber hinaus führt die Verletzung der Rechte der Verteidigung sehr oft zu einem Rekursverfahren vor den obersten kantonalen Gerichten8).

Eines der wenigen Probleme, die sich in diesem Zusammenhang stellen könnten, betrifft die Definition des Wortes «Gericht» in Artikel 6, Absatz l der Konvention. Wie wir bereits im Zusammenhang mit Artikel 5, Absatz 4 festgestellt haben, darf hierbei jedoch nicht ein rein formelles Kriterium angewendet *) Vgl. Voyame, a. a. O., S. 115f. Gemäss Artikel 84, Absatz 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde gegenüber ändern Rechtsmitteln, die beim Bundesgericht eingelegt werden können, subsidiärer Natur.

2 ) Die Rechtspraxis hat diesen Fall demjenigen gleichgestellt, bei dem die Verwaltungsbehörde auf Grund einer ihr im öffentlichen Interesse erteilten speziellen Ermächtigung in privatrechtliche Rechtsverhältnisse zwischen gleichgestellten Parteien eingreift, beispielsweise im Bereich des Kündigungsschutzes bei Wohnungsmieten oder
landwirtschaftlichen Pachtverhältnissen. Vgl. Imboden, a. a. O., S. 316.

3 ) Vgl. den Entscheid vom 30. Mai 1967 zum Gesuch Nr. 2076/63, Recueil de décisions, Band 23, S. 74ff. Es sei namentlich auf die von den beiden Parteien vorgebrachten Argumente hingewiesen, deren Inhalt im Abschreibungsbeschluss in zusammengef asster Form wiedergegeben ist, wie auch auf die Stellungnahme des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, auf S. 90f.

4 ) Etat de droit et procédure pénale dans les constitutions cantonales, S. 207.

') Vgl. insbesondere Darbellay, a.a.O., S.486ff. und 489ff.

') Im Kanton Basel-Stadt kann beispielsweise gemäss Artikel 256, Absatz l, Buchstabe b der Strafprozessordnung vom 15. Oktober 1931 gegen erstinstanzliche Urteile, die nicht weitergezogen werden können, Beschwerde eingelegt werden «wegen wesentlicher Verfahrensmängel, die für den Beschwerdeführer einen Rechtsnachteil zur Folge gehabt haben». Vgl. ausserdem die Artikel 419, Absatz l und 430, Ziffer 4 des zürcherischen Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919.

1102 werden, sondern es geht darum, zu untersuchen, ob das Verfahren vor der betreffenden Behörde die in einem demokratischen Staat üblichen Garantien kennt oder nicht.

Das schweizerische Strafrecht weicht in verschiedener Hinsicht vom Prinzip der Gewaltentrennung ab, soweit dies fordert, dass gewisse wesentliche Aufgaben des Staates von verschiedenen Organen ausgeübt werden1). So bestimmt Artikel 345 Ziffer l, Absatz 2 StGB, dass die Beurteilung von Übertretungen einer Verwaltungsbehörde übertragen werden kann. Ausserdem können die Kantone zur Beurteilung von Kindern und Jugendlichen auch eine nicht richterliche Behörde zuständig erklären, da es hier weniger darum geht, das Kind oder den Jugendlichen zu bestrafen, als sie vielmehr geeigneten Erziehungsmassnahmen zuzuführen (Art. 369 StGB)2). Schliesslich haben die Kantone die Möglichkeit, Verwaltungsbehörden mit der Beurteilung von Übertretungen kantonaler Verwaltungsund Prozessvorschriften zu beauftragen (Art. 335 StGB)3).

Trotz diesen Abweichungen vom Grundprinzip der staatlichen Organisation, das verlangt, dass Verwaltungsaufgaben und richterliche Funktionen von verschiedenen Amtspersonen ausgeübt werden, sind Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Urteilenden in den aufgezählten Fällen dennoch gewährleistet, nur in anderer Form. Die Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive ist namentlich sichergestellt dank der Mitbeteiligung des Volkes an der Organisation und Verwaltung des Rechtslebens*). Wenn in mehreren Kantonen der Regierungsstatthalter oder gar der Gemeinderat richterliche Funktionen ausübt, so ist er doch von der Regierung unabhängig, da er vom Volk selbst in sein Amt eingesetzt wurde. Die Organisation der Gerichte und im besonderen das System der zwei- oder dreistufigen Gerichtsbarkeit gibt die Möglichkeit, einen erstinstanzlichen Entscheid durch eine Appellationsbehörde überprüfen zu lassen, woraus den Rechtssuchenden eine zusätzliche Garantie erwächst5). Auf eidgenössischer Ebene trägt überdies die Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts gegen Urteile, die auf kantonaler Ebene nicht wegen Verletzung bundesrechtlicher Bestimmungen angefochten werden können (mit Ausnahme der Urteile der unteren Gerichte, die als einzige kantonale Instanz entscheiden), und gegen Strafentscheide von
Verwaltungsbehörden, die nicht an ein Gericht weitergezogen werden können (Art. 268 BStP),6) in gewis*) Zur Frage der Gewaltentrennung und ihrer Verwirklichung in der Schweiz siehe das Sammelwerk «Die Durchführung der Gewaltenteilung in der Schweiz», Veröffentlichung der schweizerischen Verwaltungskurse an der Handelshochschule St. Gallen, Band 12, 1949.

2 ) Vgl. Clerc, Le procès pénal en Suisse romande, S. 23.

3 ) Vgl. Clerc, a.a.O., S.24. Und siehe die Berichte von Hafter und Panchaud über das den Kantonen laut Artikel 335 StGB verbleibende Strafrecht, die diese Autoren im Jahre 1939 dem Schweizerischen Juristenverein vorgelegt haben.

*) Vgl. Clerc, a.a. O., S.25ff.

6 ) Vgl. Clerc, a.a.O., S.42.

·) Vorbehalten bleibt die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 269, Abs. 2 BStP).

1103 sem Umfange den in Artikel 6, Absatz l der Konvention umschriebenen Voraussetzungen eines angemessenen richterlichen Schutzes Rechnung1).

Schliesslich sei daran erinnert, dass die Mehrheit der Straffälle in der Schweiz im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens erledigt wird, bei dem das Urteil ohne vorherige Verhandlungen im Strafverf ügungs- oder Straf befehlsverfahren gefällt wird2). Der Betroffene hat dann allerdings immer noch die Möglichkeit, eine Beurteilung im ordentlichen Verfahren zu verlangen, so dass wir nicht glauben, dass dadurch der in der Konvention enthaltene Begriff eines angemessenen Prozessverfahrens verletzt wird.

c. Ein weiterer Punkt verdient noch unsere Aufmerksamkeit : die Frage der Vereinbarkeit des heutigen Verwaltungsstrafrechtes in Bund und Kantonen mit der entsprechenden Bestimmung der Konvention.

Im Rahmen des Fiskalstrafverfahrens des Bundes (Art. 279 ff. BStP) und im Verwaltungsstrafverfahren auf Grund anderer Bundesgesetze (Art. 321 ff. BStP) kann der Angeschuldigte, der sich dem Verwaltungsentscheid nicht unterwerfen will, richterliche Beurteilung verlangen (Art. 298 und 325 BStP). In diesem Falle überweist die Verwaltungsbehörde die Akten an das zuständige Gericht3). Die Möglichkeit, Entscheide, die auf Grund der in Artikel 279 BStP aufgeführten Gesetze und Ausführungsverordnungen ergangen sind, nach erfolgter Einsprache an den Strafrichter zu überweisen, hatte zur Folge, dass diese Entscheide von der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde ausgeklammert wurden4). Die gleiche Überlegung ist auch angestellt worden mit Bezug auf andere Bestimmungen im Bereich der Spezialgesetzgebung des Bundes, die wegen Zuwiderhandlungen gegenüber den massgebenden Gesetzesvorschriften Strafen im Sinne des Strafgesetzbuches (namentlich Bussen) vorsehen. (BB1 1965, II, 1310). Der in Ausarbeitung stehende Entwurf zu einem Gesetz über das Verwaltungsstrafrecht5) sieht vor, dass derartige Strafen durch den Strafrichter ausgesprochen oder jedenfalls einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht werden sollen.

Auch zahlreiche Kantone kennen das System von Verwaltungsentscheiden die im Rekursverfahren einer richterlichen Beurteilung zugängig gemacht wer*) Vgl. Pfenninger, Einheitliches Strafrecht und kantonale Nichtigkeitsbeschwerden, in : Fragen des Verfahrens- und Kollisionsrechtes,
Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Hans Fritzsche, S. 140.

2 ) Vgl. Clerc, La procédure simplifiée en Suisse, Revue internationale de droit pénal 1962, S. 509ff.

3 ) Vgl. Fleiner/Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 853 f. und Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 556.

4 ) Vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 24. September 1965 über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde (BB11965II1309).

6 ) In seinem Bericht an die Bundesversammlung vom 15. Mai 1968 über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1968-1971 hat der Bundesrat angekündigt, dass der Erlass eines Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafverfahren, ausgehend von der angeregten Revision des Fiskalstrafverfahrens, die Kodifizierung der im Bundesstrafprozess- und in zahlreichen speziellen Verwaltungsgesetzen des Bundes enthaltenen Straf- und Strafverfahrensbestimmungen mit sich bringen wird (BB1196811222).

1104 den1). Obschon die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichtes nur wegen Verletzung von Bundesrecht angestrengt werden kann (Art. 269, Abs. l BStP), können doch mit Hilfe der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte auch Rechtseinwendungen überprüft werden, die auf kantonalem Recht gründen. Für weitere Details, namentlich was die strafgerichtliche Verwaltungsrechtsprechung anbetrifft, sei verwiesen auf die Ausführungen über die verschiedenen kantonalen Rechtsschutzsysteme in Verwaltungssachen in der bereits zitierten Botschaft des Bundesrates über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit (BB1 1965, II, 1281).

Auch in dieser Beziehung kann letztlich davon ausgegangen werden, dass zwischen unserem Recht und der von der Konvention eingeführten Rechtsordnung keine Unvereinbarkeit besteht.

4. Gemäss Artikel 6, Ziffer l erster Satz der Konvention hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache öffentlich angehört wird; der zweite Satz fügt hinzu: «Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während des gesamten Verfahrens oder eines Teiles desselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.» Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen und der Urteilsverkündung wird somit als eines der wesentlichen Elemente des Begriffes eines gerechten Prozessverfahrens anerkannt.

Bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde für die Konvention hat Österreich den folgenden Vorbehalt gemacht : « Die Bestimmungen des Artikels 6 der Konvention werden mit der Massgabe angewendet, dass die in Artikel 90 des Bundesverfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 festgelegten Grundsätze über die Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren in keiner Weise beeinträchtigt werden. »2) Artikel 90 des erwähnten Gesetzes schreibt vor : « Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem
erkennenden Gericht sind mündlich und öffentlich. Ausnahmen bestimmt das Gesetz.»3 Entsprechend dieser Bestimmung ist nach der österreichischen Strafprozessordnung in gewissen Fällen das *) Vgl. Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 557, Note 91 und Bridel, Précis de droit constitutionnel et public suisse, Band II, S. 237T., Anmerkung 2. Anstatt den Rechtsbrecher vor Gericht zu bringen erlässt die zuständige Behörde einen eigenen Entscheid, einen Urteilsentwurf oder einen Strafbefehl, und spricht darin eine Strafe aus; dieser Entscheid erlangt Rechtskraft, es sei denn, es werde dagegen innert der erforderlichen kurzen Frist rekurriert oder Einsprache erhoben. Die Einsprache hat zur Folge, dass die Angelegenheit dem zuständigen Gericht zur Beurteilung überwiesen wird.

2 ) Vgl. AnnuaireNr.2(1958-1959), S.80.

3 ) Heinl-Loebenstein-Verosta, Das Osterreichische Recht, I/a/3.

1105 Verfahren teilweise nicht öffentlich1). Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat bereits wiederholt den österreichischen Vorbehalt bei der Beurteilung nichtöffentlicher Verfahren vor den Oberlandesgerichten berücksichtigt2).

Imfolgenden werden wir nacheinander die Rechtslage im zivil-, straf- und verwaltungsrechtlichen Verfahren in der Schweiz prüfen.

a. Die Verhandlungen vor Zivilgerichten sind grundsätzlich öffentlich3). Vor Bundesgericht und höheren kantonalen Gerichten finden oft sogar die Beratungen und Abstimmungen in öffentlicher Sitzung statt4). Gemäss Artikel 17, Absatz 2 OG kann im Verfahren vor Bundesgericht die Öffentlichkeit durch Gerichtsbeschluss ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wenn eine Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu befürchten ist oder das Interesse eines Beteiligten es erfordert. In ähnlicher Weise umschreiben im allgemeinen die kantonalen Gesetze die Fälle, in denen die Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausgeschlossen werden kann oder muss5).

Diese Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip halten sich im Rahmen der Konvention. Insbesondere wäre der Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schütze eines Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisses durch die allgemeine Klausel des Artikels 6 gedeckt («wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde»)6).

Schwierigkeiten könnten daraus entstehen, dass in mehreren Kantonen das Urteil nicht oder nur vor den höheren Gerichten öffentlich verkündet wird. So sind beispielsweise die Verhandlungen nach der neuen waadtländischen Zivilprozessordnung vom 14.Dezember 1966 grundsätzlich öffentlich (Art.9); die Urteilsverkündung erfolgt jedoch nicht in einer öffentlichen Sitzung, sondern es Wird den Parteien eine Abschrift des Urteils zugestellt (Art. 301,342 und 353).

Hingegen sind die Verhandlungen und Beratungen der Rekurskammer des Kantonsgerichtes unter Vorbehalt gesetzlich vorgesehener Ausnahmen öffentlich7). In den beiden Zivilkammern des Bundesgerichtes sind die Beratungen und Abstimmungen öffentlich (Art. 17 OG).

Der in Artikel 6, Absatz l der Konvention festgehaltene Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen erfordert nicht notwendigerweise ein mündliches Verfahren8). So widerspricht es beispielsweise unseres Erachtens dieser
Norm nicht, wenn vor Bundesgericht im Berufungs- oder im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren (Art. 62 und 73 OG) nicht immer mündliche Verhandlungen stattfinden.

1 2

) Vgl. Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, S. 234.

) Vgl. z. B. : Entscheidung vom 19. Dezember 1960 betreffend die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 596/59, Annuaire Nr. 3 (1960), S. 363.

3 ) Vgl. Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 160.

4 ) Vgl. Guldener, a. a. O., und für das Bundesgericht Artikel 17 OG.

6 ) Vgl. Guldener, a. a. O., S. 160, Anmerkung 4.

6 ) Vgl. Schorn, Kommentar, S.219f.

') Vgl. Artikel 52 des waadtländischen Rechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1947.

8 ) Vgl. Vasak, Convention, S. 37f ; Partsch, a.a.O., S.392; Guradze, Kommentar, S. 100.

Bundesblatt. 120. Jahrg. Bd. II

66

1106 b. Gemäss Artikel 24, Absatz l des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege sind die Verhandlungen vor den Strafgerichten des Bundes öffentlich. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen gilt auch fast überall in den Kantonen1). Nur vereinzelte Gesetzgebungen kennen ihn nicht2). In diesen Fällen sind jedoch die für den Ausschluss der Öffentlichkeit massgebenden Gründe von der Idee der Respektierung der Menschenwürde inspiriert3).

Man kann sich daher fragen, ob diese Gesetzgebungen nicht wenigstens dem Geiste der in Artikel 6, Absatz l der Konvention vorgesehenen Ausnahmen (namentlich der Interessen der Rechtspflege) gerecht werden. Es bleibt noch zu bemerken, dass sich in Strafsachen die Öffentlichkeit lediglich auf die Verhandlungen, nicht auch auf die Beratungen der Richter bezieht4). Die Urteilsverkündung ist im allgemeinen öffentlich, selbst dann, wenn die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben5).

c. Umstritten ist die Frage, ob die Bestimmungen der Konvention über die Öffentlichkeit der Verhandlungen und der Urteilsverkündung sich auch auf die Verwaltungsgerichte beziehen6). Die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise sind der Ansicht, das Öffentlichkeitsprinzip betreffe nur die Zivilund Strafgerichte7). Die Doktrin neigt eher der Auffassung zu, das Öffentlichkeitsprinzip gelte auch, wenn eine als Gericht konstituierte Verwaltungsbehörde einen Entscheid fällt, dem der Charakter eines Urteils zukommt und der zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder eine strafrechtliche Anklage zum Gegenstand hat8). Die Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte 9) scheint diese Ansicht zu bestätigen.

x

) Siehe die Studien von Professor Clerc über die Öffentlichkeit der Verhandlungen in der Schweiz, in Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 1961, S. 233ff., und in Revue internationale de droit pénal, 1962, S. 3 5ff.

2 ) Vgl. Clerc, Revue internationale de droit pénal, 1962, S.48f. (Appenzell Innerrhoden und Nidwaiden; im Kanton Obwalden sind öffentliche Verhandlungen nur für «Kriminalfälle» vorgesehen).

3 ) Professor Clerc, a.a.O., weist in dieser Beziehung daraufhin, dass es sich um sehr kleine Kantone handelt, die andere Garantien bieten als jene, die normalerweise die Öffentlichkeit der Verhandlungen in sich schliesst. Die Richter, die direkt vom Volk gewählt werden, neigen umso weniger zu einer « déformation professionnelle», als sie nicht notwendigerweise Juristen sind und sich nicht ausschliesslich der richterlichen Tätigkeit widmen. Vgl. auch Clerc, L'avenir de la procédure pénale, in Festschrift Lausanne 1964, S. 337.

4 ) Vgl. Clerc, Etat de droit et procédure pénale dans les constitutions cantonales, S. 218.

Für die strafrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichtes vgl. Artikel 17 OG.

6 ) Vgl. Clerc, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 1961, S. 240.

6 ) Vgl. Velu, Le problème de l'application aux juridictions administratives des règles de la Convention européenne des droits de l'homme relatives à la publicité des audiences et des jugements, Revue de droit international et de droit comparé, 1961, S. 129 ff.

') Vgl. die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster vom 25. November 1955, zitiert in: Annuaire Nr. 2 (1958-1959), S. 573ff.

8 ) Vgl. Velu, a. a. O., S. 135f. Siehe überdies Partsch, a. a. O., S. 379 (für die Verwaltungsgerichte), und Wiebringhaus, Die Rom-Konvention für Menschenrechte in der Praxis der Strassburger Menschenrechtskommission, S. 82 und 84.

·) Vgl. Velu, a. a. O., S. 160ff., insbesondere S. 169.

1107 Wie bereits erwähnt, kann es in der Schweiz vorkommen, dass Verwaltungsbehörden über zivilrechtliche Streitigkeiten zu befinden und wie Strafrichter Strafen zu verhängen haben. Nun ist aber das Verwaltungsverfahren grundsätzlich nicht öffentlich1). Das Gleiche gilt für das Verwaltungsgerichtsverfahren2), trotz seines kontradiktorischen Charakters. Es ist überdies zweifelhaft, ob der Grundsatz der Öffentlichkeit im Verfahren in Verwaltungsstrafsachen allgemein zur Anwendung kommt3).

Nach dieser kurzen Prüfung der Vereinbarkeit unseres Verfahrensrechtes mit dem in Artikel 6, Absatz l der Konvention niedergelegten Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen und der Urteilsverkündung ist festzustellen, dass gewisse Fragen offen bleiben. Die Schwierigkeiten, denen wir begegnet sind, ergeben sich vor allem aus den Problemen, welche die Auslegung der in der Konvention verwendeten Begriffe stellt. Unter diesen Umständen muss mit Bezug auf Artikel 6 trotz der Ausnahmen, die diese Bestimmung selber vorsieht4), ernsthaft an die Anbringung eines Vorbehaltes gedacht werden. Durch diesen Vorbehalt würde die Schweiz erklären, dass sie die Anwendung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Verhandlungen und der Urteilsverkündung ausschliesst für Verfahren, die vor Verwaltungsbehörden stattfinden und die zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage zum Gegenstand haben; und ferner, dass sie diesen Grundsatz vorbehaltlich der Bestimmungen der kantonalen Zivil- oder Strafprozessordnungen betreffend die Verkündung und Zustellung des Urteils anwenden wird. Der endgültige Wortlaut dieses Vorbehaltes wäre erst nach erfolgter Aussprache mit dem Generalsekretariat des Europarates festzulegen.

5. Gemäss Artikel 6, Absatz 2 der Konvention wird bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

Die Vermutung der Unschuld stellt eine Beweisregel dar ; sie wird in unseren Verfahrensrechten allgemein anerkannt6). Die einzigen Ausnahmen, die zur Zeit !) Vgl. Imboden, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, S. 324.

2 ) Vgl. Schwarzenbach, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 145 ff.

3 ) Vgl. Schorn, Kommentar, S. 211 : «Dagegen gilt Artikel 6, Absatz l MRK (öffentliche Verhandlung)
nicht für das Bussgeldverfahren bei der Verwaltungsbehörde. Denn dieses Verfahren ist ein solches eigener Art und weder ein Strafverfahren noch einem solchen gleich zu achten; es handelt sich bei diesem auch nicht um die Ausübung der den Gerichten vorbehaltenen rechtsprechenden Gewalt, insbesondere auch um kein Strafverfahren.» 4 ) Wenn man sich beispielsweise an die im zweiten Satz des ersten Absatzes von Artikel 6, in fine, verwendete Formulierung hält, so kann der Zutritt zum Verhandlungssaal, wenn unter besonderen Umständen die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, nur in dem nach Auffassung des Gerichts strikt erforderlichen Umfang untersagt werden, d.h. von Fall zu Fall auf Grund eines Beschlusses des Gerichtes selber und nicht kraft einer allgemeinen gesetzlichen Bestimmung, die den Ausschluss der Öffentlichkeit für besondere Prozesse verlangt.

B ) Vgl. Graven, La protection des droits de l'accusé, S. 267.

1108 im Steuerstrafrecht des Bundes1) noch bestehen, werden bei Inkrafttreten des Gesetzes über das Verwaltungsstrafrecht aufgehoben werden2).

6. Artikel 6 zählt im dritten Absatz eine Anzahl von Rechten auf, die es dem Angeklagten erlauben sollen, seine Verteidigung sicherzustellen : das Recht, in möglichst kurzer Frist über die Art und den Grund der Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden (Buchstabe a) ; das Recht, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen (Buchstabe b); das Recht, sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlichen Beistand eines amtlichen Verteidigers zu erhalten (Buchstabe c) ; das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung von Entlastungszeugen zu erwirken (Buchstabe d); und das Recht, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen (Buchstabe e). Diese Rechte werden einem Angeklagten, d.h. einer Person, die einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, und nur ihr allein garantiert3). Die Europäische Menschenrechtskommission hat daraus gefolgert, dass, wenn ein Urteil rechtskräftig geworden ist, der Angeklagte zum «Verurteilten» wird, und Artikel 6 nicht mehr zur Anwendung kommt4). Sie hat auch wiederholt darauf hingewiesen5), dass die in Frage stehenden Rechte nicht eine abschliessende Liste darstellen (vgl. den in Absatz 3 verwendeten Ausdruck «insbesondere»), sondern dass sie im Rahmen des allgemeineren Grundsatzes des «gerechten Prozesses», wie er in Absatz l von Artikel 6 vorgesehen ist, gesehen werden müssen.

Die Rechte der Verteidigung, deren Schutz dank dem in der Konvention vorgesehenen Mechanismus der kollektiven Garantie gewährleistet wird, halten die Grundregeln der rechtsstaatlichen Strafgerichtsbarkeit fest6). Ihre Annahme als Bundesrechtsnormen mittels eines Beitritts zur Konvention sollte daher keine Schwierigkeiten bieten. Wir beschränken uns darauf, die folgenden besonderen Probleme zu erwähnen :

1

) Vgl. Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 552, und die vom Autor zitierten Bundesgesetze. Siehe auch: Ludwig, Der Schutz der persönlichen Freiheit im Strafprozess, S. 274.

2 ) Dieser Gesetzesentwurf wird den Räten im Laufe des Jahres 1969 unterbreitet werden.

3 ) Vgl. Vasak, Convention, S. 41.

4 ) Siehe z.B. den Entscheid vom S.März 1962 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 1237/61, Recueil de décisions, Band 8, S. 78.

5 ) Siehe z. B. den Entscheid vom 15. März 1961 über das Gesuch Nr. 343/57 (Angelegenheit Nielsen), AnnuaireNr.4 (1961), S.549-551.

6 ) Siehe die Grundsätze, die das Strafrechtskommitee des II. Internationalen Kongresses der Internationalen Juristen-Kommission in Athen (12.-20. Juni 1955) angenommen hat und die Prof.Graven in der Schweizerischen Zeitschrift für Strafrecht, 1956, S. 141ff. wiedergibt. Auch Artikel 14, Absatz 3 des am lo.Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Internationalen Paktes betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte verkündet diese Grundsätze.

1109 a. Artikel 6, Absatz 3, Buchstabe b gewährt dem Angeklagten das Recht, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen. Er sieht damit eine Garantie vor, die in unseren Verfahrensrechten ganz allgemein anerkannt wird1). Im Recht auf Verteidigung ist normalerweise das Recht, frei mit seinem Verteidiger zu verkehren, inbegriffen2). Die Kantone, die den Untersuchungsrichter in Ausnahmefällen und für die Bedürfnisse der Untersuchung zur Absonderung des Beschuldigten ermächtigen3), könnten daher gewissen Schwierigkeiten begegnen, je nachdem welchen Gebrauch ihre Behörden von dieser Möglichkeit machen. Wir sind jedoch der Meinung, dass diese allfälligen Schwierigkeiten die Schweiz nicht zur Formulierung eines Vorbehaltes veranlassen sollten.

b. Das Recht des Angeklagten, für sich einen Verteidiger zu bestellen und die Hilfe eines amtlichen Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist (Art. 6, Abs. 3, Buchstabe c), wird im Bundesstrafverfahren (Art. 35ff. und 136 BStP) und in den meisten kantonalen Gesetzen anerkannt4). In seiner auf Artikel 4 der Bundesverfassung gestützten Rechtsprechung erkennt das Bundesgericht dem Bedürftigen in Strafsachen überdies ein beschränktes Recht auf die Bezeichnung eines amtlichen Verteidigers zu; dies namentlich in Angelegenheiten, die hinsichtlich Tat- und Rechtsfragen derartige besondere Schwierigkeiten aufweisen, dass der Angeklagte oder sein gesetzlicher Vertreter nicht in der Lage sind, sie zu meistern5). Was den Grundsatz des Beistandes eines amtlichen Verteidigers anbetrifft, besteht demnach Übereinstimmung zwischen dem schweizerischen Recht und der Konvention 6). Es bleibt die Frage der Unentgeltlichkeit. Wir werden diese Frage zusammen mit derjenigen des Rechtes des Angeklagten prüfen, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann (Art. 6, Abs. 3, Buchstabe e).

Einige kantonale Rechte kennen den Anspruch auf unentgeltlichen Beistand eines amtlichen Verteidigers oder den Grundsatz der Unentgeltlichkeit eines Dolmetschers nicht. In mehreren Kantonen werden die einem amtlichen Verteidiger eines bedürftigen Beschuldigten oder einem Dolmetscher zugesprochene

J

) Vgl. Graven, La protection des droits de l'accusé, S. 263.

) Für das Bundesstrafverfahren vergleiche Artikel 117 BStP.

3 ) Vgl. Artikel 152-155 der Strafprozessordnung des Kantons Genf vom 7.Dezember 1940 (Recueil systématique de la législation genevoise, Band 4a, E, 3/5, S. 28).

4 ) Vgl. Graven, La protection des droits de l'accusé, S. 262-263.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 255.

·) Im Verwaltungsstrafverfahren verlangen die Interessen der Rechtspflege im allgemeinen den Beistand eines amtlichen Verteidigers nicht.

z

ino Entschädigung zu den «Prozesskosten», die dem Verurteilten auferlegt werden, gezählt1). Das gleiche gilt für das Bundesstrafverfahren2).

Die Europäische Menschenrechtskommission hatte bis heute den Begriff der Unentgeltlichkeit, gemäss Artikel 6, Absatz 3, Buchstaben c und e der Konvention, noch nicht zu prüfen. In einem Urteil vom 18. Oktober 19623) hat das Amtsgericht von Bremerhafen (Bundesrepublik Deutschland) die Auffassung vertreten, Artikel 6, Absatz 3, Buchstabe e bedeute nicht nur, dass der unentgeltliche Beistand eines Dolmetschers notwendig sei, sondern auch, dass seine Kosten nicht dem Verurteilten auferlegt werden können, nachdem einmal das Urteil rechtskräftig geworden ist4). Das Landesgericht von Mannheim hat sich im gegenteiligen Sinne ausgesprochen5).

Die Fragen der Unentgeltlichkeit des Beistandes eines amtlichen Verteidigers für Bedürftige, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist, und der Unentgeltlichkeit des Dolmetschers werfen für unser Land komplexe Probleme auf; dies namentlich deshalb, weil bei uns kraft Artikel 116 der Bundesverfassung vier Nationalsprachen bestehen und weil sich auf unserem Gebiet eine grosse Zahl von Ausländern befindet. Die Rechte des Angeklagten scheinen uns gewahrt, solange dieser nicht gezwungen ist, die Kosten vorzuschiessen, um einen amtlichen Verteidiger oder einen Dolmetscher zu erhalten. Da wir jedoch jede mögliche Unstimmigkeit zu vermeiden wünschen und da zu diesem Punkt noch keine Rechtsprechung der Kommission besteht, sind wir der Meinung, die Schweiz sollte beim Beitritt zur Konvention eine auslegende Erklärung zu Artikel 6, Absatz 3, Buchstaben c und e hinterlegen. Diese sollte die Praxis berücksichtigen, wonach die Kosten für den Beistand eines amtlichen Verteidigers und eines Dolmetschers dem Verurteilten auferlegt werden.

7. Bevor wir diesen der Frage der Vereinbarkeit des schweizerischen Rechtes mit Artikel 6 der Konvention gewidmeten Abschnitt abschliessen, möchten wir noch einige Bemerkungen allgemeiner Natur beifügen.

Die Schwierigkeiten, denen wir begegnet sind, betreffen zunächst Auslegungsfragen. In seiner Entscheidung vom 27. Juni 1968 in Sachen Wemhoff hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Bezug auf die Konvention erklärt, dass, « da es sich um einen rechtsetzenden Vertrag handelt,
die Auslegung zu suchen ist, die am geeignetsten ist, Sinn und Zweck dieses Vertrages zu verwirklichen, und nicht jene, die den Verpflichtungen der Vertragsparteien den geL

) Vgl. z. B. Artikel 207, Ziffer l, Buchstabe a der Strafprozessordnung des Kantons Wallis vom 22. Februar 1962 (Reçue:! des lois, décrets et arrêtés du canton du Valais, 1962, S. 340). Im Kanton Waadt kann auch der vom Gericht Freigesprochene zur Zahlung der Kosten oder eines Teiles der Kosten verurteilt werden, wenn er durch seine Schuld oder sein Verhalten die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen sich bewirkt hat.

2 ) Vgl. Artikel 245 BStP. Das Gericht bestimmt die Gerichtsgebühr (Art. 246 BStP); darin sind die Kosten der amtlichen Verteidigung inbegriffen. Über das Recht auf Beistand eines Dolmetschers vergleiche Artikel 98 BStP.

3 ) Annuaire Nr. 5 (1962), S. 363.

4 ) Vgl. ferner Buergenthal, Rechtsprechung, S. 178.

B ) Das Urteil ist veröffentlicht in : Der deutsche Rechtspfleger, 1965, S. 52.

lili ringsten Umfang gibt». Artikel 6 enthält eine Reihe von Normen, die dazu bestimmt sind, verschiedene Verfahrensrechte zu gewährleisten. Indem diese Bestimmung Grundsätze für die Prozessführung aufstellt, bezweckt sie eine einwandfreie Rechtspflege. Deshalb haben wir dafür gehalten, dass ein Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde, die mit richterlichen Funktionen betraut ist, gegebenenfalls die wesentlichen Elemente des Begriffes des gerechten Prozesses aufzuweisen vermag, obschon die Konvention in ihrem Artikel 6, Absatz l den Ausdruck «Gericht» gebraucht.

Obgleich das schweizerische Recht im allgemeinen mit den Regeln des Artikels 6 übereinstimmt, müssten wir zu zwei besonderen Punkten einen Vorbehalt und eine auslegende Erklärung ins Auge fassen. Im ersten der beiden Fälle könnte die Annahme des Grundsatzes der Öffentlichkeit des Verfahrens in der weiten Formulierung von Artikel 6, Absatz l, Probleme aufwerfen. Man kann sich im übrigen fragen, ob die Forderung einer öffentlichen Verkündung des Urteils, namentlich in Zivilsachen, den Betroffenen tatsächlich eine zusätzliche Garantie gewährt. Was die Frage der Unentgeltlichkeit des Beistandes eines amtlichen Verteidigers oder eines Dolmetschers betrifft, so haben die Kommission und der Gerichtshoffür Menschenrechte bisher keine Gelegenheit gehabt, sich dazu zu äussern. Angesichts dieser Tatsache schiene es uns angezeigt, in der Ratifikationsurkunde die Auslegung, welche die Schweiz diesen Bestimmungen gibt, zu umschreiben.

Eine andere Quelle von Schwierigkeiten liegt in der Verschiedenheit der Gerichtsorganisation und der Verfahren in den Kantonen. In seiner Rechtsprechung - namentlich zu Artikel 4 der Verfassung - hat das Bundesgericht immerhin eine gewisse Anzahl grundlegender Verfahrensregeln aufgestellt, welche die Kantone zu beachten haben. Überdies kann die Kommission gemäss Artikel 26 der Konvention erst nach Erschöpfung der internen Rechtsmittel angegangen werden.

Eine allfällige Missachtung wesentlicher Grundsätze durch eine Behörde erster Instanz könnte daher in einem späteren Stadium des Verfahrens korrigiert werden - bei staatsrechtlichen Beschwerden durch das Bundesgericht selbst -, bevor die Angelegenheit vor die Kommission gebracht werden kann. Dazu kommt, dass, falls die Schweiz der Konvention beitreten sollte, diese
integrierender Teil unserer Rechtsordnung würde und vor unseren Gerichten wie innerstaatliches Recht angerufen werden könnte.

VI. Grundsatz der Gesetzmässigkeit von Delikten und Strafen und Verbot der Rückwirkung des Strafrechtes (Art. 7) l. Gemäss Artikel 7, Absatz l der Konvention kann niemand «Wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden». Absatz 2 sieht vor : «Durch diesen Artikel darf die Verurteilung odejr Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeit-

1112 punkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.» Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat die Folgen aus der Regel «nullum crimen, nulla poena sine lege» gezogen*) ; insbesondere hat sie die Grundsätze der Nichtrückwirkung des Strafrechtes2) und der restriktiven Auslegung der Straf bestimmungen anerkannt3). Sie hat überdies, unter Berufung auf die Vorarbeiten der Konvention, dargelegt4), dass Absatz 2 des Artikels 7 bestätigen soll, dass Artikel 7 die Gesetze nicht berührt, welche unter aussergewöhnlichen Umständen am Ende des Zweiten Weltkrieges zur Bestrafung von Kriegsverbrechern, verräterischen Handlungen und Kollaboration mit dem Feinde erlassen wurden.

2. Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit ist ein allgemeiner Grundsatz des schweizerischen Rechtes5). Im Strafrecht des Bundes ist er in Artikel l StGB festgehalten, der lautet: «Strafbar ist nur, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht.» Sichergestellt wird der Grundsatz durch das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts6). Was das Prinzip der Nichtrückwirkung der Gesetze betrifft, hat das Bundesgericht entschieden, dass es sich dabei ebenfalls um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handle7). Das Schweizerische Strafgesetzbuch enthält ihn in seinem Artikel 2, Absatz 1. Unser Recht stimmt infolgedessen mit Artikel 7 der Konvention überein8).

VII. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs (Art. 8) 1. Artikel 8 der Konvention erklärt im ersten Absatz, dass jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs hat. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäss Absatz 2 von Artikel 8 «nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist».

*) Dazu: Antonopoulos, a.a.O., S. 113ff.

2 ) Vgl. den Entscheid vom 20. Juli
1957 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 268/57, Annuaire Nr. l (1955-1956-1957), S.240.

3 ) Vgl. den Entscheid vom 20. Juli 1957 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 217/56, Annuaire Nr. l (1955-1956-1957), S. 239.

4 ) Vgl. Vasak, Convention, S. 49.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 243.

6 ) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1842, S. 661.

') Vgl. Favre, Traité, S. 244.

·) Vgl. Schultz, Strafrecht, in : Festschrift Lausanne 1964, S. 308.

1113 Die Europäische Menschenrechtskommission hat sich schon wiederholt mit diesem Artikel befasst. Ihre Rechtsprechung bezüglich des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens betrifft vor allem die Einschränkungen in der Ausübung dieses Rechtes, namentlich auf dem Gebiete der Unterdrückung der Homosexualität1). Beim Anspruch auf Achtung des Familienlebens geht die Kommission vom Begriff der Einheit der Familie aus2). Das Recht auf Achtung des Briefverkehrs wurde vor allem von Inhaftierten angerufen, die sich über die Kontrolle ihres Briefverkehrs beschwerten3).

2. Die Frage der Vereinbarkeit unseres Bundesrechts mit Artikel 8 stellt sich hauptsächlich im Zusammenhang mit Artikel 13 (Familiennachzug) des Abkommens vom lO.August 1964 zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderungitalienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz4). Dieser Artikel unter wirf t den Nachzug der Familie zwei Bedingungen : Aufenthalt und Anstellungsverhältnis müssen gefestigt und dauerhaft sein, und eine angemessene Wohnung muss zur Verfügung stehen5). Man kann sich in der Tat fragen, ob diese Bedingungen für die betroffenen Personen die Führung eines normalen Familienlebens nicht beeinträchtigen. Wie dem aber auch sei, wäre Artikel 13 des schweizerisch-italienischen Abkommens durch die Ausnahmen, die in Artikel 8, Absatz 2 der Konvention vorgesehen sind, gedeckt. Einerseits ist es in einem internationalen Vertrag enthalten, der vom Augenblick der Ratifikation an in unserem Lande Rechtskraft hat. Andererseits liegt ihm die Sorge für die Verteidigung der Ordnung wie auch für den Schutz der Gesundheit, der Moral und des wirtschaftlichen Wohles des Landes zugrunde6). Insbesondere bedeutet die Bedingung des gefestigten und dauerhaften Charakters des Aufenthaltes und der Anstellung des Familienhauptes für den Familiennachzug eine Vorsichtsmassnahme gegen eine ungeordnete Einwanderung, deren Wirkungen das Gleichgewicht der politischen, demographischen und sozialen Lage des Landes beeinträchtigen können. Die Bedingung einer angemessenen Wohnung stützt sich auf Erfordernisse der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral.

*) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S.119.

2 ) Vgl.Vasak,a.a.O.,S.51f.

a ) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S. 194.

4 ) AS 1965, 399. Siehe dazu: Kaufmann, St.Galler Festgabe 1965, S.255ff., ferner: Moser, Die
Rechtsstellung des Ausländers in der Schweiz, S. 375 f.

6 ) In Übereinstimmung mit den bei der Unterzeichnung des schweizerisch-italienischen Abkommens vom lO.August 1964 unterschriebenen gemeinsamen Erklärungen hat die schweizerische Delegation in Ziffer II erklärt, dass die Bundesbehörden dt? Kantone anweisen werden, Aufenthalt und Anstellungsverhältnis der italienischen Arbeiter nach ISmonatigem ordnungsgemässem und ununterbrochenem Aufenthalt in der Schweiz als genügend gefestigt und dauerhaft anzusehen und daher von diesem Zeitpunkt an den Familiennachzug zuzulassen (BEI 1964, II1038).

6 ) Vgl. Kaufmann, a.a.O., S.257. Zu Artikel 8, Absatz 2 der Konvention bemerkt der Autor: «Diese weitgefasste Beschränkung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gibt praktisch den Signatarstaaten die grösste Freiheit, auch den Familiennachzug im Rahmen der Konvention zu regeln. Es dürfte deshalb genügen, wenn die Schweiz bei der Unterzeichnung die Erklärung abgibt, ihrer Ansicht nach verstosse die geltende fremdenpolizeiliche Praxis nicht gegen die Konvention. » Unseres Erachtens wäre eine solche Erklärung unnötig.

1114 Das Problem des Familiennachzuges bei Arbeitern, die aus ändern der Konvention beigetretenen Staaten stammen, stellt sich in analoger Weise. Einerseits bildet Artikel 16 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer die nötige Rechtsgrundlage für allfällige Eingriffe der Behörden in das Privat- und Familienleben. Anderseits gelten für derartige Eingriffe die oben erwähnten allgemeinen Erwägungen.

3. Im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Achtung des Privatlebens und des Briefverkehrs wurde auch die Frage aufgeworfen, ob die in unserem Lande geltenden Bestimmungen, welche Behörden in bestimmten Fällen ermächtigen, private Telephongespräche abzuhören, mit Artikel 8 der Konvention vereinbar wären1).

Die Ausnahmen von Telephon- und Telegraphengeheimnis sind in Artikel 7, Absatz l des Bundesgesetzes vom 14. Oktober 1922 betreffend den Telegraphen-und Telephonverkehr festgehalten (BS 7,868). Dieser Bestimmung zufolge sind Ausnahmen nur zulässig, wenn es sich um eine Strafuntersuchung oder um die Verhinderung eines Verbrechens oder Vergehens oder um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten handelt. Dasselbe gilt für den Gesetzesentwurf, welcher der Bundesversammlung mit einer Botschaft des Bundesrates vom 14. Februar 1968 unterbreitet wurde2). Im Wortlaut des neuen Artikels 7 ist übrigens der Tatbestand der «bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten»alsAusnahmemöglichkeitvomTelephonund Telegraphengeheimnis fallengelassen worden. Diese Regelung3), die den legitimen Interessen des Staates und der Strafgerichtsbarkeit Rechnung trägt, stimmt mit Artikel 8 der Konvention überein. Dessen zweiter Absatz sieht nämlich ausdrücklich die Möglichkeit eines Eingriffes einer öffentlichen Behörde in das Recht auf Achtung des Privatlebens vor, wenn diese Massnahme für die nationale Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und für die Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig ist4).

4. Artikel 8, wie übrigens auch die ändern Bestimmungen der Konvention, schützt den Bürger nur gegen Eingriffe öffentlicher Behörden. Angesichts der Notwendigkeit, das Recht auf Achtung des Privatlebens unter seinen verschiedenen Aspekten zu gewährleisten, hat die Beratende Versammlung des Europarates *) Vgl. Bulletin delà Commission internationale de juristes, Nr. 33, März 1968, S. 39. Der Autor des in Frage stehenden Artikels,
betitelt: Ratification de la Convention européenne des droits de l'homme et revision de la constitution fédérale par la Suisse, schlägt vor, das Telephongeheimnis zu garantieren, so wie Artikel 36 der Bundesverfassung das Post- und Telegraphengeheimnis gewährleistet. Während Artikel 36 das Post- und Telegraphengeheimnis gewahrleistet, ist das Telephon im Rechtsbegriff der telegraphischen Verbindung eingeschlossen, so dass das Telegraphengeheimnis sich auch auf das Telephon erstreckt. Vgl. Favre, Traité, S. 316.

2

) Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Änderung des Bundesgesetzes betreffend den Telegraphen- und Telephonverkehr und des Bundesgesetzes betreffend den Postverkehr (BB11968,1,393ff.).

3 ) Die Ausnahmen vom Postgeheimnis sind im neuen Entwurf von Artikel 6, Absatz 3 gleich wie im Postverkehrsgesetz vom 2. Oktober 1924 geregelt (BB11968,1,402 f.).

4 ) Dies ist auch Prof. Gravens Ansicht (La protection des droits de l'accusé, S. 258, und La protection de la personne, S. 38).

1115 am 31. Januar 1968 die Empfehlung 509 (1968) über die Menschenrechte und die modernen wissenschaftlichen und technologischen Verwirklichungen angenommen 1). Diese Empfehlung zielt namentlich auf eine Prüfung der Frage ab, ob angesichts von Artikel 8 der Konvention die interne Gesetzgebung der Mitgliedstaaten das Recht auf Achtung des Privatlebens genügend gegen die Verletzungen schützt, die durch den Gebrauch der modernen wissenschaftlichen und technischen Methoden begangen werden können.

Mit Botschaft vom 21. Februar 1968 (BEI 1968,1,585) haben wir Ihnen einen Gesetzesentwurf über die Verstärkung des strafrechtlichen Schutzes des «persönlichen Geheimbereiches» unterbreitet (BB11968,1, 599). Soweit damit ein besserer Schutz gegen die Verletzungen der Privatsphäre durch Abhörgeräte und andere technische Verfahren verwirklicht werden soll, entspricht der Entwurf den Absichten der Urheber der erwähnten Empfehlung. Wir wollten nicht verfehlen, hier auf diese Entwicklung hinzuweisen.

VIII. Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art.9) 1. Die beiden Absätze von Artikel 9 haben folgenden Wortlaut : «Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Massnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.» Die Rechtsprechung der Europäischen Menschenrechtskommission zu diesem Artikel ist umfangreich2). Die Kommission hat insbesondere festgestellt, dass die nationalen Parlamente bezüglich der im zweiten Absatz vorgesehenen Bedingungen über eine grosse Ermessensfreiheit bei der Umschreibung der lebenswichtigen Interessen der Gemeinschaft verfügen. Dennoch ist es die Kommission, die letzlich darüber entscheidet, ob eine von einer Regierung ergriffene Massnahme mit den Bestimmungen dieses Absatzes
vereinbar ist3).

2. Die Artikel 49 und 50 der Bundesverfassung garantieren die Glaubensund Gewissens- und die Kultusfreiheit. Obwohl Artikel 49 dies im Unterschied zu Artikel 50 nicht ausdrücklich erwähnt, kann die Glaubens- und Gewissensfreiheit J

) Vgl. den Bericht der juristischen Kommission über die Menschenrechte und die modernen wissenschaftlichen und technologischen Verwirklichungen, Dokument

2

2326 der Beratenden Versammlung des Europarates, mit dem Entwurf einer Empfehlung.

) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S. 156ff.

) Vgl. den Entscheid vom 14. Dezember 1962 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr.1068/61, Annuaire Nr. 5 (1962), S. 285.

3

1116 im Namen der öffentlichen Ordnung und der Sittlichkeit eingeschränkt werden1).

Diese Einschränkungen sind mit denjenigen, die in Absatz 2 von Artikel 9 der Konvention vorgesehen sind, vereinbar. Hingegen widersprechen gewisse für die katholische Kirche nachteilige Bestimmungen unserer Verfassung der Konvention. Es handelt sich um die sogenannten «konfessionellen» oder «Ausnahmeartikel»2).

3. Die Artikel der Bundesverfassung die das Verbot des Jesuitenordens (Art. 51) und das Verbot der Errichtung neuer und die Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden (Art. 52) betreffen, stehen im Widerspruch zu Artikel 9 der Konvention. Diese Nichtübereinstimmung wurde - auch vom Bundesrat - schon wiederholt anerkannt3). In dem Ihnen unterbreiteten Bericht vom 15. Mai 1968 über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der laufenden Legislaturperiode (BB1 1968, I, 1220) haben wir darauf hingewiesen, dass die Artikel 51 und 52 der Verfassung dringend der Revision bedürfen. Diese wäre getrennt und vor einer allfälligen Totalrevision der Verfassung durchzuführen. Bis zur Beseitigung der Ausnahmeartikel müsste die Schweiz bei einem Beitritt zur Konvention bezüglich Artikel 9 einen Vorbehalt anbringen. Nach der Durchführung der in Aussicht genommenen Teilrevision könnte dieser Vorbehalt zurückgezogen werden. Für ein derartiges Vorgehen besteht ein Präzedenzfall: Norwegen hat zuerst die Vorschrift seiner Verfassung, die den Jesuiten das Betreten des Landes verbot, abgeändert und dann den Vorbehalt, den es bezüglich Artikel 9 gemacht hatte, zurückgezogen4). Obwohl das Jesuitenverbot und das Verbot neuer Orden und Klöster eine Diskriminierung bedeutet, wäre es nicht erfordern'ch, im Vorbehalt zu Artikel 9 auch Artikel 14 (Grundsatz der Nichtdiskriminierung)5) zu nennen. Denn Artikel 14 kann nicht für sich allein verletzt werden. Diese Bestimmung bildet einen integrierenden Bestandteil jedes Artikels der Konvention, der ein Recht oder eine Freiheit garantiert6).

4. Artikel 9 der Konvention garantiert insbesondere die Freiheit, seine Religion durch «Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche» auszuüben. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob Artikel 25Ms der Verfassung, der das Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung vor dem Blutentzuge untersagt, mit dieser !) Vgl. Aubert, Traité, Band 2,
Note 2030, S. 717 und Favre, Traité, S. 269.

2 ) Vgl. Kaufmann, St. Galler Festgabe 1965, S. 258-260 und Kägi, Die Menschenrechte und ihre Verwirklichung, S. 23-25.

3 ) Vgl. die Antwort von Bundesrat Wahlen auf die Interpellation Purgier vom l I.Dezember 1962 (Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, Wintersession 1962,8.710) und die Antwort von Bundesrat Spühler auf die Motion Eggenberger vom 22. Juni 1966 (Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, Sommersession 1966, S. 407).

4 ) Vgl. Vasak, Convention, S. 69.

6 ) Wir werden uns weiter unten mit der allfalligen Verletzung der Artikel 10 (Recht auf freie Meinungsäusserung) und 11 (Vereinsfreiheit) der Konvention befassen.

6 ) Vgl. den Entscheid des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 23. Juli 1968 in der Angelegenheit «gewisser Aspekte der Sprachenordnung beim Unterricht in Belgien» (Sachurteil), S. 38.

1117 Bestimmung vereinbar wäre1). Ohne Zweifel bedeutet dieses Verbot eine Einschränkung der Ausübung des jüdischen Ritus ; die jüdische Religion verbietet ihren Anhängern, Fleisch von Tieren zu essen, die nicht geschachtet wurden2).

Ursprünglich war das Verbot jedoch zum Teil als Massnahme zum Schutz der Tiere gedacht und wurde zur Wahrung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassen3). Diese Beweggründe gestatten eine Einschränkung der Gewissens- und Religionsfreiheit, werden sie doch in Absatz 2 von Artikel 9 der Konvention ausdrücklich anerkannt. Nach unserer Meinung wäre es daher nicht erforderlich, Artikel 25Ms der Bundesverfassung4) in den Vorbehalt zu Artikel 9 einzuschliessen. Diese Auffassung präjudiziert in keiner Weise die Frage einer allf àlligen Beseitigung der Bestimmung über das Schächtverbot im Zusammenhang mit der Revision der Ausnahmeartikel der Verfassung.

IX. Recht auf freie Meinungsäusserung (Art. 10) l. Artikel 10, Absatz l der Konvention lautet : « Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schliesst nicht aus, dass die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. » Absatz 2 des Artikels anerkennt jedoch: «Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer notwendig sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit derRechtsprechung zu gewährleisten. » Ein Autor hat festgestellt5), dass kein anderer Artikel der Konvention einem Gesetzgeber, der mehr um den Schutz der öffentlichen Ordnung als um die Achtung der freien Meinungsäusserung besorgt ist, derart
weite Möglichkeiten für Einschränkungen öffnet.

Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat wiederholt Gelegenheit gehabt, Artikel 10 auszulegen6). Eine ihrer wichtigsten Entscheidungen be*) Siehe: Kaufmann, a.a.O., S.260f. Vgl. ferner die Chronik der Rechtsprechung von Vasak und Lalive, Journal du droit international (Clunet), 1967, S. 460, Anm. 2.

Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 2067, S. 728 und Favre, Traité, S. 269.

) Vgl.

Burckhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, S. 188 : «Artikel 25Ms der Bundesverfassung ist ein zur Wahrung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenes Polizeiverbot.» 4 ) Kägi, a.a.O., S.25, bemerkt, dass das Schächtverbot heute noch in Schweden und Norwegen besteht, d. h. in zwei der Konvention angehörenden Staaten. Übrigens sind Import und Konsum von koscherem Fleisch in der Schweiz erlaubt.

6 ) Vasak, Convention, S. 55 ·) Vgl. Antonopoulos, a. a. O., S. 161 ff.

2 ) 3

1118 trifft das Gesuch, das 1956 vom Journalisten De Becker gegen Belgien eingebracht wurde1). Die Angelegenheit wurde an den Gerichtshof weitergezogen und führte zu einer Abänderung des belgischen Strafgesetzbuches2).

2. Die Bundesverfassung enthält keine allgemeine Bestimmung, die den Grundsatz der freien Meinungsäusserung gewährleistet. Dieses Recht wird jedoch garantiert durch die Artikel über die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 49), die Vereinsfreiheit (Art. 96) und vor allem die Pressefreiheit (Art. 55)3).

Gleich verhält es sich in gewissem Masse mit der Kultusfreiheit (Art. 50) und dem Petitionsrecht (Art. 57), die verschiedene Aspekte der Meinungsfreiheit gewährleisten4).

Hinsichtlich der Vereinbarkeit unseres Rechts mit Artikel 10 der Konvention ist kurz auf ein besonderes Problem hinzuweisen. Artikel 51 der Verfassung untersagt den Angehörigen des Jesuitenordens jede Wirksamkeit in Kirche und Schule. Die Jesuiten dürfen in der Schweiz Vorträge halten5), eine Lehrtätigkeit in unserem Lande ist ihnen hingegen verwehrt. Ihr Recht auf freie Meinungsäusserung ist folglich eingeschränkt. Man darf jedoch, namentlich wegen des Zusammenhanges unter den Artikeln der Konvention, davon ausgehen, dass die Schweiz bei der Ratifikation sich darauf beschränken könnte, einen Vorbehalt zu Artikel 9 anzubringen; dieser wäre auch für Artikel 10 wirksam6). Zudem besteht kein Zweifel, dass Artikel 51 unserer Verfassung in erster Linie gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit verstösst.

X. Recht auf Versammlungs- und Vereinsfreiheit (Art. 11) l. Auf Grund von Artikel 11, Absatz l der Konvention haben alle Menschen das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschliessen, einschliesslich des Rechts, zum Schütze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Absatz 2 zählt die üblichen Einschränkungen auf: «Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokrati1) Entscheid vom 9. Juni 1958 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 214/56, Annuaire Nr.2(1958-1959),S.215ff.

2 ) Für eine ausführliche Darstellung des Falles De Becker siehe Antonopoulos, a.a.O., S. 164ff. ; ferner Morrison, The developing european law of human rights, S. 173 ff.

3 ) Vgl. Favre, Traité, S. 295. Siehe
auch die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 19. Oktober 1951 über die Revision von Artikel 55 der Bundesverfassung betreffend die Pressefreiheit (BB11951,III, 241ff.). Siehe auch: Fleiner/Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 365. Das Bundesgericht hat anerkannt, dass die Meinungsäusserungsfreiheit ein grundlegendes Prinzip des geschriebenen oder ungeschriebenen Bundes- und Kantonsrechtes und eine Erweiterung des durch die Pressefreiheit gewährten Schutzes darstellt (BGE 87,1,117; 91,1,485/).

4 ) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 2010, S. 711 5 ) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 2062, S. 727.

6 ) Es sei daran erinnert, dass die Europäische Kommission für Menschenrechte z. B. den österreichischen Vorbehalt zu Artikel 5 der Konvention so ausgelegt hat, dass er sich auch auf Artikel 6 erstreckt.

1119 sehen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Dieser Artikel verbietet nicht, dass die Ausübung dieser Rechte durch Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung gesetzlichen Einschränkungen unterworfen wird, »*) Diese Bestimmung verankert zwei traditionelle Freiheitsrechte, die man in den meisten Verfassungen der Mitgliedstaaten des Europarates findet. Dazu kommt das Recht, Gewerkschaften zu gründen, das auch durch Artikel 5 der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta garantiert wird.

Artikel 11 wurde vor der Europäischen Menschenrechtskommission nicht sehr häufig angerufen2). Die Kommission hat namentlich entschieden, dass das Recht, an der Verwaltung, der Geschäftsführung oder der Leitung eines Berufsverbandes oder einer nicht nach wirtschaftlichem Gewinn strebenden Vereinigung teilzunehmen, nicht unter den traditionellen Begriff der in Artikel 11 festgehaltenen Vereinsfreiheit falle3).

2. Artikel 56 der Bundesverfassung garantiert die Vereinsfreiheit. Auch die Versammlungsfreiheit wird, obwohl in der Verfassung nicht erwähnt, durch das Bundesrecht geschützt4). Die Einschränkungen für die Ausübungen dieser Freiheiten (vgl. Art. 56 der Verfassung für die Vereinsfreiheit) gehen nicht über das hinaus, was Absatz 2 von Artikel 11 der Konvention gestattet. Namentlich würden die Beschränkungen, die sich aus dem Beamtenstatus ergeben5), durch den letzten Satz dieses Absatzes gedeckt.

Bei der Prüfung der Gewissens- und Religionsfreiheit haben wir einen Widerspruch zwischen Artikel 52 der Bundesverfassung und Artikel 9 der Konvention festgestellt. Das Verbot der Errichtung neuer und der Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden konnte auch als unvereinbar mit Artikel 11 der Konvention betrachtet werden. Aus den Gründen, die wir oben im Zusammenhang mit der Frage der Vereinbarkeit unseres Rechts mit Artikel 10 dargelegt haben, sind wir jedoch der Meinung, dass ein Vorbehalt zu Artikel 9 auch im Fall, der uns hier beschäftigt, genügen würde.

1

) Artikel 16 der Konvention erlaubt ferner den Staaten, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen.

) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S.192f.

3 ) Entscheid vom IS.September 1961 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 1028/61, Annuaire Nr.4 (1961), S.339.

4 ) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 2159, S. 754 und Favre, Traité, S. 312f.

6 ) Artikel 13, Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1927 über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten (BS1492) sieht vor, dass es Beamten untersagt ist, einer Vereinigung anzugehören, die den Streik von Beamten vorsieht oder anwendet oder die sonstwie in ihren Zwecken oder in den dafür bestimmten Mitteln rechtswidrig oder staatsgefährlich ist.

2

1120 XI. Das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen (Art. 12) 1. Artikel 12 der Konvention hat folgenden Wortlaut : «Mit Erreichung des heiratsfähigen Alters haben Männer und Frauen gemäss den einschlägigen nationalen Gesetzen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. » Diese Verweisung auf die interne Gesetzgebung der Vertragsstaaten bewirkt eine Eingliederung der innerstaatlichen Gesetze, welche die Ausübung des Rechts zur Ehe regeln, in die Konvention1). Selbst unter Berücksichtigung von Artikel 14 der Konvention (Grundsatz der Nichtdiskriminierung) ist anzunehmen, dass Artikel 12 die Staaten nicht daran hindert, für Männer und Frauen ein verschiedenes Alter als Voraussetzung der Ehefähigkeit festzusetzen2).

Die Europäische Menschenrechtskommission hat sich mit der Auslegung von Artikel 12 befasst, als sich ein Inhaftierter beklagte, man hätte ihm nicht gestattet, sich zu verehelichen. Sie hat dem Gesetzgeber und der staatlichen Verwaltung hinsichtlich der Ehe von inhaftierten Personen eine recht weite Ermessensfreiheit zugebilligt3), 4).

2. Das Recht zur Ehe steht gemäss Artikel 54, Absatz l der Bundesverfassung unter dem Schütze des Bundes. In Wirklichkeit ist dieses Recht, so wie es in der Verfassung umschrieben ist, angesichts der einheitlichen Bestimmungen der Artikel 96 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches nur mehr von historischem Interesse5).

Namentlich Bundesrichter Kaufmann6) hat die Frage aufgeworfen, ob die Regelung des Familiennachzuges gemäss Artikel 13 des Abkommens vom 10. August 1964 zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz (AS 1965, 399) mit Artikel 12 der Konvention vereinbar wäre. Artikel 12 garantiert das Recht, eine Familie zu gründen, und Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) das Recht, «in der Familie zu leben»7)- Unter gewissen Umständen könnte die Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung, die eine Trennung der Familienmitglieder zur Folge hätte, Artikel 8 zuwiderlaufen8). Wir haben jedoch im Zusammenhang mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gesehen, dass Artikel 13 !) Vgl. Vasak, Convention, S. 50 2

) Vgl. Partsch, a. a. O., S. 448. Artikel 23, Absatz 4 des Internationalen Paktes betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte sieht ausserdem vor, dass die Vertragsstaaten angemessene Massnahmen treffen werden zur Sicherung der Gleichheit von Rechten und Verantwortlichkeiten der Ehegatten während der Ehe und bei ihrer Auflösung.

3 ) Entscheid vom 13. April 1961 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 892/60, Annuaire Nr.4(1961), S.255-257.

4 ) Betreffend die Situation in der Schweiz siehe Schultz, La sauvegarde des droits des détenus, S. 95.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 294.

6 ) A.a.O., S.256f.

7 ) Vgl. Partsch, a.a.O., S.451.

8 ) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S.208.

1121 des schweizerisch-italienischen Abkommens als durch die in Artikel 8, Absatz 2 der Konvention vorgesehene Ausnahmegenehmigung gedeckt zu betrachten ist.

B) Das Zusatzprotokoll zur Europäischen Konvention für Menschenrechte

XII. Recht auf Achtung des Eigentums (Art. 1) 1. Artikel l des Zusatzprotokolls hat folgenden Wortlaut: «Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.

Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern, sonstiger Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält. » Die Europäische Menschenrechtskommission hat schon wiederholt Gelegenheit gehabt, die Tragweite dieser Bestimmung zu umschreibenl). So hat sie namentlich die Meinung geäussert, dass dieser Artikel «sich hauptsächlich gegen die willkürliche Konfiszierung des Eigentums wendet» und «grundsätzlich die Wege und Mittel zur Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen, die Streitigkeiten zwischen Bürgern zum Gegenstand haben, nicht berührt»2). Hinsichtlich der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts hat sie erklärt, dass es sich um die Grundsätze handelt, die im allgemeinen Völkerrecht bezüglich der Konfiszierung ausländischer Güter aufgestellt worden sind3). Daraus folgt, dass die Massnahmen, die ein Staat hinsichtlich des Eigentums seiner eigenen Bürger ergreift, diesen allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechtes nicht unterworfen sind, solange die Konvention und ihre Protokolle nicht ausdrücklich das Gegenteil vorsehen.

2. Heute gehört die Eigentumsgarantie wie die persönliche Freiheit zum ungeschriebenen Bundesverfassungsrecht4). Mit Botschaft vom 15. August 1967 (BB11967, II, 133) haben wir Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Ergänzung der Bundesverfassung durch Bestimmungen über die verfassungsrechtliche Ordnung des Bodenrechts, insbesondere über die Gewährleistung des Eigentums durch einen Artikel 22ter (BB11967, II, 148), vorgelegt. Absatz 2 und 3 dieses Artikels sehen vor, dass Bund und Kantone im Rahmen ihrer verfassungsmässigen Befugnisse im öffentlichen Interesse und auf dem Wege der Gesetzgebung die Enteignung und Eigentumsbeschränkungen vorsehen können. Bei J

) Vgl. Antonopoulos, a. a. O., S, 196 ff.

) Entscheid vom 18. Dezember 1963 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 1420/62, Recueil de décisions, Band 13, S. 91.

3 ) Entscheid vom 20. Dezember 1960 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 511/59, Annuaire Nr. 3 (1960), S. 423 f.

4 ) Vgl. Favre, Traité, S. 287, a

Bundesblatt. J20. Jahrg. Bd. II

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1122 Enteignung und bei Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, ist volle Entschädigung zu leisten. Diese Bedingungen für Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts *) wie auch Artikel l des Zusatzprotokolls.

Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts sind im schweizerischen Recht kraft ihrer völkerrechtlichen Gültigkeit automatisch wirksam2). Das Bundesgericht hat dies anlässlich eines Urteils über die gerichtliche Immunität fremder Staaten bestätigt3).

XIII. Recht auf Unterricht (Art. 2) l. Artikel 2 des Zusatzprotokolls lautet wie folgt : « Das Recht auf Unterricht darf niemandem verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. » Diese Bestimmung wirft besonders schwierige Auslegungsprobleme auf, was mehrere Staaten dazu veranlasst hat, einen Vorbehalt anzubringen (vgl. Kapitel I dieses Berichtes). Im Sachurteil vom 23. Juli 1968 betreffend gewisse Aspekte der Sprachenordnung beim Unterricht in Belgien hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kürzlich die Tragweite des Artikels 2 näher umschrieben.

Ausgangspunkt dieses Urteils waren sechs vor der Menschenrechtskommission gegen Belgien eingelegte Gesuche. Die Gesuchsteller waren belgische Familienväter und -mütter, die im eigenen Namen wie auch in dem ihrer unmündigen Kinder handelten. Unter Berufung darauf, dass ihre Muttersprache französisch sei oder dass sie sich meist auf französisch ausdrückten, wünschten sie, dass ihre Kinder in dieser Sprache unterrichtet würden4).

Was die Auslegung von Artikel 2 des Zusatzprotokolls betrifft, so hat der Gerichtshof entschieden, dieser Artikel begründe ein eigentliches Recht. Das Gericht hob hervor, dass alle Vertragsstaaten des Europarates zur Zeit der Entstehung des Zusatzprotokolls ein allgemeines und offizielles System des Unterrichts kannten und heute noch kennen. Daraus folgerte das Gericht, dass es nicht darum ging oder gehe, jeden Staat zur Schaffung eines solchen Systems zu verpflichten. Es gehe nur darum, den der Hoheit der Vertragsstaaten unterworfenen *) BEI
1967,11,146. Siehe auch: Huber, Die Grundrechte in der Schweiz, S. 227.

2 ) Vgl. Lardy, La force obligatoire du droit international en droit interne, S. 181 ff.

3 ) Entscheid vom 6. Juni 1956 in Sachen Königreich Griechenland gegen Bank Julius Bär &Cie.,BGE 52,1,82.

4 ) Dazu: Vanwelkenhuyzen, L'affaire linguistique belge, Cahiers dedroiteuropéen, 1967, S. 413ff. Ferner: Grisel, Das Prozessurteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 9. Februar 1967 über die prozesshindernde Einrede in den belgischen Sprachenfällen, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd.27(1967),S.693ff.

1123 Personen das Recht zu gewährleisten, sich grundsätzlich der jeweils gegebenen Unterrichtsmöglichkeiten zu bedienen.

Der Gerichtshof entschied, dass das Zusatzprotokoll keine bestimmten Pflichten mit Bezug auf die Tragweite und Organisation der Unterrichtsmöglichkeiten begründe. Insbesondere gebe Artikel 2, erster Satz, nicht genau an, in welcher Sprache der Unterricht stattfinden müsse, damit das Recht auf Unterricht beachtet sei. Immerhin wäre ein solches Recht sinnlos, wenn es für seine Inhaber nicht bedeuten würde, dass sie in der oder gegebenenfalls einer der Nationalsprachen unterrichtet werden sollen.

Der Gerichtshof wandte sich darauf dem zweiten Satz von Artikel 2 zu. Nach seiner Ansicht auferlege diese Bestimmung den Staaten im Bereich der Erziehung und des Unterrichts keine Verpflichtung, die Wünsche der Eltern hinsichtlich der Sprache zu befolgen; nur auf deren religiöse und weltanschauliche Überzeugungen sei Rücksicht zu nehmen. Die Vorarbeiten zu Artikel 2 bestätigen übrigens, dass dadurch kein Staat verpflichtet werden sollte, ein Recht der Eltern auf Unterricht der Kinder in einer anderen als der Nationalsprache anzuerkennen.

Der Gerichtshof musste auch auf den Zusammenhang zwischen Artikel 14 der Konvention1) und Artikel 2 des Zusatzprotokolls eingehen. Er erinnerte daran, dass die Garantie der Nichtdiskrimination nur für die in die Konvention aufgenommenen Rechte gilt. Das Gericht hielt dafür, dass es bei seiner Untersuchung, ob im Einzelf all eine willkürliche Behandlung vorliege, auf die rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Gesellschaftsleben des jeweiligen Staates abstellen müsse. Es folgte bei der Beurteilung der Frage, wann eine unterschiedliche Behandlung Artikel 14 verletze, den von der Rechtsprechung in einer grossen Zahl demokratischer Staaten ausgearbeiteten Grundsätzen. Danach ist die Gleichheit verletzt, wenn eine Unterscheidung der objektiven und vernünftigen Begründung ermangelt. Ob eine solche Begründung vorliegt, beurteilt sich in den Augen des Gerichts nach dem Ziel und den Wirkungen der betreffenden Massnahme und nach den in einer demokratischen Gesellschaft allgemein geltenden Grundsätzen. Eine Unterscheidung in der Ausübung eines durch die Konvention garantierten Rechts muss nicht ein legitimes Ziel verfolgen. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist
Artikel 14 auch verletzt, wenn klar feststeht, dass die verwendeten Mittel und das angestrebte Ziel unverhältnismässig weit auseinander liegen.

Der Gerichtshof hat nun entschieden, dass Artikel 14 und Artikel 2 des Zusatzprotokolls den Kindern oder Eltern kein Recht auf Unterricht in der von ihnen bevorzugten Sprache gewährleisten. Wenn die beiden Artikel zusammen erfasst würden, so sei ihr Zweck sicherzustellen, dass jeder Vertragsstaat jeder seiner Jurisdiktion unterstehenden Person ohne irgendwelche Diskrimination (z. B.

aus Gründen der Sprache) das Recht auf Unterricht gewähre.

Wir haben die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestellten Überlegungen ausführlich dargelegt wegen der Tragweite dieses Urteils *) Der auch für das Zusatzprotokoll gilt (vgl. dessen Art. 5).

1124 für das Verständnis der Artikel 2 des Zusatzprotokolls und 14 der Konvention.

Das Gericht hat namentlich festgehalten, dass die Weigerung des belgischen Staates, in einsprachig flämischen Gegenden Primarschulen mit Französisch als Unterrichtssprache einzurichten oder zu subventionieren, Artikel 2, Satz l des Zusatzprotokolls nicht verletzt. Die betreffenden Gesetze bezweckten, im Innern der beiden grossen Sprachregionen Belgiens, in denen die grosse Mehrzahl aller Leute nur eine Nationalsprache beherrscht, die sprachliche Einheit zu verwirklichen. Nach Ansicht des Gerichts gehen diese Gesetze von einer objektiven Gegebenheit aus, nämlich der Region. Sie entsprechen auch einem öffentlichen Interesse, indem sie sicherstellen, dass alle vom Staat abhängigen Schulen in derselben Region ihren Unterricht in der Sprache der Region abhalten. Zudem betreffen diese Gesetze nur den offiziellen oder subventionierten Schulunterricht; sie verunmöglichen die Organisation eines freien französischen Unterrichts im einsprachig flämischen Gebiet nicht. Die Eltern französischer Muttersprache, die für ihre Kinder einen französischen Unterricht wünschen, können diese also in nichtsubventionierte Privatschulen schicken.

In seinen Schlussfolgerungen hat der Gerichtshof entschieden, dass die vom belgischen Gesetzgeber zur Wahrung der sprachlichen Einheitlichkeit der Region1) eingesetzten Mittel mit den Erfordernissen des öffentlichen Interesses nicht in einem Missverhältnis stehen. Sie stellen daher keine unter Artikel 14 der Konvention - kombiniert mit Artikel 2 des Zusatzprotokolls - fallende Diskrimination dar2).

2. In der Schweiz ist die kantonale Kompetenz in Schulangelegenheiten nur durch die Bundesverfassung und die allfälligen vom Bund erlassenen Durchführungsbestimmungen beschränkt3). Im Bereich des Primarunterrichts stellt Artikel 27 der Bundesverfassung einige für die Kantone verbindliche Grundsätze auf.

Der Primarunterricht muss obligatorisch, in den öffentlichen Schulen unentgeltlich, genügend und ausschliesslich staatlicher Leitung unterstellt sein (Art. 27, Abs. 2). Weiter sollen die öffentlichen Primarschulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können (Art. 27, Abs.3)4). Übrigens sieht Artikel 277, Absatz l ZGB vor,
dass die Eltern frei bezüglich der Konfession verfügen, der ihr Kind bis *) In ihrem Bericht vom 24. Juni 1965 über die belgischen Sprachenfälle hatte die Europäische Kommission für Menschenrechte die Ansicht vertreten, dass eine auf territorialer Grundlage ruhende Sprachenordnung der Konvention nicht unbedingt widersprechen müsse; sie könne durch gewichtige Gründe verwaltungstechnischer, finanzieller oder anderer Art gerechtfertigt sein.

*) Der Gerichtshof hatte auch die Übereinstimmung der belgischen Gesetzgebung zur Sprachenfrage im Unterricht mit Artikel 8 der Konvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) zu überprüfen.

") Vgl. Favre, Traité, S. 282.

*) Zur Tragweite dieser Bestimmung und vor allem zum Problem der konfessionellen Schulen siehe : Favre, Traité, S. 282ff. Siehe ferner : Aubert, Traité, Band 2, Note 2028, S.716f.

1125 zum 16. Altersjahr angehören und in der es erzogen werden soll; sie können es auch ohne religiöse Erziehung lassen1).

Im Prinzip lässt sich sagen, dass in unserem Land das Recht auf Unterricht sowie das Recht der Eltern, ihren Kindern eine ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen entsprechende Erziehung geben zu lassen, garantiert sind. Doch ist das Recht auf Unterricht in mehreren Kantonen nicht völlig unterschiedslos gewährleistet. So sind etwa in gewissen Kantonen die Unterrichtsmöglichkeiten für Mädchen und Knaben nicht dieselben ; dies insbesondere auf der Ebene der Mittelschulen.

Nun ergibt sich aus dem Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte in den belgischen Sprachenf allen, dass kraft Artikel 2 des Zusatzprotokolls, kombiniert mit Artikel 14 der Konvention, das Recht auf Zutritt zu den Schulen allgemein gewährleistet sein muss. Das Gericht hat ja wie erwähnt entschieden, dass die beiden Artikel zusammengenommen eine Garantie dafür bezwecken, dass jeder Vertragsstaat jeder seiner Jurisdiktion unterstehenden Person ohne irgendwelche Diskrimination (z. B. aus Gründen der Sprache) das Recht auf Unterricht gewähre. Diese Bestimmungen schaffen somit eine eigentliche Verpflichtung der Staaten und, im Falle der Schweiz, auch der Kantone, dieses Recht ohne sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung zu sichern. Es scheint uns daher unumgänglich, dass die Schweiz bei einem Beitritt zur Konvention und zu den Protokollen einen Vorbehalt zu Artikel 2 anbringe.

Es sei indessen unterstrichen, dass in der Schweiz zahlreiche und vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten bestehen; auch ist zum Beispiel unser Land das erste gewesen, das Frauen zum Hochschulstudium zugelassen hat.

3. In einem 1964 erschienenen Artikel2) hat Professor Schindler die Frage aufgeworfen, ob Artikel 49, Absatz 5 der Bundesverfassung, wonach die Glaubensansichten nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten3) (und folglich auch der Schulpflichten) entbinden, mit Artikel 2, Satz 2 des Zusatzprotokolls vereinbar sei. Beim jetzigen Stand der Rechtsprechung der Kommission und des Gerichtshofs für Menschenrechte kann man sich kaum ein Bild über die Tragweite des Artikels 2, Satz 2 machen. Die Kompliziertheit der durch diese Bestimmung aufgworfenen Probleme widerspiegelt sich in den von
verschiedenen Staaten, z.B. dem Vereinigten Königreich und Schweden, dazu angebrachten Vorbehalten. Wir denken nicht, dass die Anwendung von Artikel 49, Absatz 5 der Verfassung durch die Kantone Schwierigkeiten hinsichtlich des Artikels 2 des Zusatzprotokolls nach sich ziehen würde4). Die verbleibenden Unsicherheiten x

) Vgl. Tuor/Schnyder, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, S. 227.

) NZZ Nr.3314 vom S.August 1964.

c ) Dazu: Aubert, Traité, Band2, Note2033, S.718f.

4 ) Vgl. Artikel 27, Absatz 3 der Verfassung, wonach die öffentlichen Primarschulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können. Gemäss der Verfassung haben Eltern und Kinder Anspruch auf völlige Berücksichtigung ihres religiösen Glaubens. Vgl. Favre, Traité, S. 284.

2

1126 machen jedoch einen Vorbehalt zu Artikel 2 im Falle eines Beitritts der Schweiz zur Konvention und Protokollen um so wünschenswerter.

XIV. Verpflichtung zur Abhaltung freier und geheimer Wahlen der gesetzgebenden Organe (Art. 3) l. Nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls verpflichten sich die Vertragsstaaten, «in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen über Bedingungen abzuhalten, die die freie Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleisten».

Anders als die Artikel des I. Abschnitts der Konvention und der zwei ersten Artikel des Zusatzprotokolls schafft Artikel 3 nur eine Verpflichtung zu Lasten der Staaten1). Sie gewährleistet nicht das Wahlrecht als solches2). Die Europäische Menschenrechtskommission hat sich wiederholt zur Tragweite dieses Artikels ausgesprochen3). Sie hat unter anderem festgehalten, dass der Artikel «weder das Stimmrecht noch das aktive oder passive Wahlrecht garantiere... sondern nur ein Recht, dass die Vertragsstaaten in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abhalten, die die freie Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleisten»4).

Unter der Wahl der gesetzgebenden Organe im Sinne des Artikels 3 muss man die Wahl der Abgeordneten in die gesetzgebenden Organe verstehen. Ob Artikel 3 in den Staaten mit zwei Legislativ-Kammern für die Wahlen in beide Kammern gilt, ist umstritten5). Wir glauben angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung die Frage bejahen zu müssen6). In Bundesstaaten ist der Artikel auch auf die Wahlen in die gesetzgebenden Organe der Gliedstaaten anwendbar7).

!) Vgl. Partsch, a.a.O., S.477.

2 ) Vgl. Entscheid der Kommission vom 30. Mai 1961 über die Zulässigkeit des Gesuchs Nr. 1065/61, Annuaire Nr. 4 (1961), S. 269.

s ) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S.212.

4 ) Entscheid vom IS.September 1961 über die Zulässigkeit des Gesuchs Nr. 1028/61, Annuaire Nr. 4 (1961), S. 339. Artikel 25, Buchstabe a des Internationalen Paktes betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte sieht vor, dass jeder Bürger das Recht und die Möglicheit haben soll, ohne Diskrimination an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen, sei es direkt, sei es durch die Vermittlung frei gewählter Vertreter. Dieser Text wiederholt Artikel 21, Absatz l
der augemeinen Menschenrechtserklärung!

s ) Das Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (Strassburg, Juni 1963) gibt gestützt auf die Vorarbeiten zu (S. 70), dass Artikel 3 des Zusatzprotokolls den Staaten mit Zweikammersystem keine Verpflichtung auferlegt, für beide Kammern des Parlaments Wahlen abzuhalten.

") Gleicher Ansicht : Antonopoulos, a. a. O., S. 210.

') Vgl. Schorn, Kommentar, S.436: «Artikel 3 gilt für die Wahl aller gesetzgebenden Körperschaften. »

1127 Um dem Zusatzprotokoll zu entsprechen, müssen die von den Staaten abgehaltenen Wahlen vier Bedingungen erfüllen1). Sie müssen zunächst in angemessenen, d.h. den üblichen Gebräuchen demokratischer Staaten entsprechenden Zeitabständen stattfinden. Die Wahlen müssen unabhängig von allen äusseren, ihren Ausgang möglicherweise verfälschenden Einflüssen sein2). Sie müssen geheim sein und schliesslich die freie Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleisten.

2. In der Schweiz ist das Wahlrecht von der Bundesverfassung gewährleistet (Art. 74, Abs. l)3). Auf Bundesebene und in den meisten Kantonen ist das Recht jedoch Bürgern männlichen Geschlechts vorbehalten4). Im Bunde kann das Frauenstimmrecht nicht ohne Revision von Artikel 74 der Verfassung eingeführt werden6).

Artikel 3 des Zusatzprotokolls verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, jeder Person das Recht zur Teilnahme an den Wahlen der gesetzgebenden Organe zu gewähren6). Man kann allerdings mit guten Gründen behaupten, dass Artikel 3 zusammen mit Artikel 14 der Konvention (Grundsatz der Nicht-Diskrimination) jede Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts untersagt '). Die Doktrin ist darüber geteilter Ansicht8). Gewisse Autoren führen aus - ohne sich auf Artikel 14 zu beziehen -, dass das Fehlen des Frauenstimmrechts die freie Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe beeinträchtige und daher mit dem Wortlaut von Artikel 3 unvereinbar sei9).

In allen seinen Stellungnahmen zur Europäischen Menschenrechtskonvention10) hat der Bundesrat das Fehlen des Frauenstimmrechts als ein Hindernis 1

) Vgl. Partsch, a.a.O., S.478.

) Vgl. Antonopoulos, a. a. Öl, S. 211.

3 ) Vgl. Favre, Traité, S. 153.

4 ) Sieheinsbesondere: Aubert, Traité, Band2, Noten 1076ff., S.405ff., und Kägi, Die Menschenrechte und ihre Verwirklichung, S. 21 ff.

5 ) Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden, Band 27 (1957), Nr. 11 (Entscheid des Bundesrates vom 13. Dezember 1957). Vgl. ferner die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 22. Februar 1957 über die Einführung des Frauenstimmund -wahlrechts in eidgenössischen Angelegenheiten (BB11957,1,665 ff.).

6 ) Entscheid der Kommission vom 4. Januar 1960, über die Zulässiglceit des Gesuches Nr. 530/59, Annuaire Nr. 3 (1960), S. 191. Dazu Favre, La Convention européenne des droits de l'homme, S. 35.

7 ) Vgl. Schindler, NZZ Nr.3314 vom S.August 1963. Ausserdem: Kaufmann, a.a.O., S. 254, und Aubert, Traité, Band 2, Note 1777, S. 641.

8 ) Siehe Partsch, a.a.O., S.479; Schorn, Kommentar, S.437; Guradze, Kommentar, S. 267.

9 ) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S.212, und Schorn, Kommentar, a.a.O.: «Der Begriff ,Volk' umschliesst aber Männer und Frauen. Die freie Meinungsäusserung des Volkes kommt aber nur zum Ausdruck, wenn auch die Frauen ihre Stimmen bei den Wahlen abgeben. » 10 )Siehe die Antworten auf die Interpellation von Nationalrat Furgler (lI.Dezember 1962), die Interpellation von Ständerat Lusser (14.Dezember 1965) und die Motion von Nationalrat Eggenberger (22. Juni 1966).

2

1128 eines Beitritts der Schweiz zur Konvention betrachtet. Die Tatsache, dass ein Teil des Schweizervolkes nicht an den Wahlen in den Nationarat und - in den meisten Kantonen - in den Ständerat und die kantonalen gesetzgebenden Organe teilnehmen kann1), scheint uns in der Tat mit dem Geist und wohl auch dem Wortlaut des Artikels 3 des Zusatzprotokolls unvereinbar. Anstatt der Konvention und dem Zusatzprotokoll unter einem diesbezüglichen Vorbehalt beizutreten, hat der Bundesrat es bisher für richtiger angesehen, mit dem Beitritt zuzuwarten, bis das Frauenstimmrecht in der Mehrzahl der Kantone und im Bund eingeführt ist.

Diese Haltung bedarf der Überprüfung. In unserem Bericht vom 15. Mai 1968 über die Richtlinien für dieRegierungspoltik in der bestehenden Legislaturperiode haben wir durchblicken lassen, dass Bund und Kantone die durch eine Ratifikation der Konvention erforderlich werdenden Anpassungen vielleicht nicht sofort vornehmen müssten; die Schweiz könnte vielmehr der Konvention unter bestimmten Vorbehalten beitreten (BB11968,1,1209). Mit Bezug auf die politischen Rechte der Frau haben wir hervorgehoben (BB11968,1,1230), dass wir nach wie vor eine Partiahrevision der Bundesverfassung zur Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene befürworten.

Die Fragen des Frauenstimmrechts und der Ausnahmeartikel der Bundesverfassung bedürfen sorgfältiger Prüfung im Hinblick auf einen möglichen Beitritt der Schweiz zur Konvention und zum Zusatzprotokoll. Der Bundesrat anerkennt die - namentlich im Nationalrat bei der Diskussion der Motion Eggenberger2) - geäusserten Bedenken gegen einen Beitritt unter Vorbehalt der beiden erwähnten Punkte. Wir werden im letzten Kapitel dieses Berichts darauf zurückkommen, wenn wir die Schlussfolgerungen aus unseren rechtlichen Erörterungen ziehen werden.

3. Wie erwähnt müssen die Wahlen geheim sein, um Artikel 3 zu entsprechen3). Nun finden die Wahlen der Ständeräte in mehreren Kantonen an *) Entgegen Artikel 25, Buchstabe b des am 16. Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Internationalen Paktes betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte befasst sich Artikel 3 des Zusatzprotokolls nur mit dem aktiven, nicht dem passiven Wahlrecht. Diese Klarstellung ist deswegen wichtig, weil Artikel 75 der Bundesverfassung die
Schweizerbürger geistlichen Standes von der Wählbarkeit in der Nationalrat ausschliesst.

2 ) Siehe insbesondere die Ausführungen von Nationalrat Schmitt (Genf), Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, Sommersession 1966, S. 409.

8 ) Artikel 21, Absatz 3 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung vom 10. Dezember 1948 sieht dagegen vor, dass die Wahlen periodisch stattfinden müssen, dass jedermann stimmberechtigt sein soll und dass die Wahlen geheim seul «oder in einem die Wahlfreiheit gewahrleistenden Verfahren» abgehalten werden müssen. Dazu: A.Verdoodt, Naissance et signification de la Déclaration universelle des droits de l'homme, S.206. Der Autor hebt insbesondere die Ausführungen von Cassiti (Frankreich) in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hervor.

Nach Cassin seien auch andere Systeme als das des geheimen Wahlrechts, z.B. das in der Schweiz bestehende, gleich demokratisch. Siehe jedoch Artikel 25, Buchstabe b des Internationalen Paktes betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte.

1129 der Landsgemeinde und nicht in geheimen Wahlen statt1). Auch ist die Wahl der kantonalen gesetzgebenden Organe nicht immer geheim2). Selbst wenn man der Ansicht ist, dass die Wahlen an der Landsgemeinde dem demokratischen Ideal3), das den Urhebern des Protokolls bei der Abfassung von Artikel 3 vorschwebte, völlig entsprechen, so widerspricht ein solches System dennoch dem Wortlaut von Artikel 3. Der von der Schweiz bezüglich des Frauenstimmrechts anzubringende Vorbehalt sollte sich daher auch auf die Tatsache erstrecken, dass in einigen Kantonen die Wahl der gesetzgebenden Organe nicht geheim ist.

C) Das Protokoll Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention

Das am 2. Mai 1968 in Kraft getretene Protokoll Nr. 4 fügt vier neue Rechte zu den in Konvention und Zusatzprotokoll bereits garantierten hinzu. Sie seien hier kurz untersucht4).

XV

Laut Artikel l darf niemandem «die Freiheit allein deshalb entzogen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen».

Diese Bestimmung ergänzt Artikel 5 der Konvention, der die zulässigen Fälle des Freiheitsentzugs aufzählt6). Sie schützt Personen, die nicht imstande sind, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, und nicht solche, die dazu nicht willens sind6).

In der Schweiz ist kraft Artikel 59, Absatz 3 der Bundesverfassung der Schuldverhaft abgeschafft. Wohl kann jemand, der verschuldeterweise seine Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, mit Gefängnis bestraft werden (Art. 217 StrGB). Doch handelt es sich dabei um die Verletzung einer auf Gesetz und nicht auf Vertrag beruhenden familienrechtlichen Pflicht.

*) Vgl. Bridel, Précis de droit constitutionnel et public suisse, Band 2, S. 98 (Obwalden, Nidwaiden, Glarus, Appenzell IR).

2 ) Im Kanton Graubünden finden z. B. die Wahlen in den Grossen Rat in gewissen Kreisen «an offener Landsgemeinde» statt.

8 ) Vgl. z.B z.B. den Artikel: Ist in den Landsgemeindekantonen die Demokratie nicht verwirklicht? NZZ Nr. 230 vom 14. Aprü 1968.

4 ) Artikel 5 des Zusatzprotokolls sieht vor, dass diejenigen seiner Bestimmungen, die neue Rechte garantieren, als Zusatzartikel zur Konvention zu betrachten sind ; alle allgemeinen Bestimmungen der Konvention sind daher anwendbar. Dieselbe Regel gilt für das Protokoll Nr. 4 ; dessen Artikel 6, Absatz 2 sieht aber vor, dass die gemäss Artikel 25 (individuelles Beschwerderecht) und 46 (obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs) abgegebenen Erklärungen nicht automatisch für die im Protokoll Nr. 4 garantierten Rechte gelten.

6 ) Vgl. Sand, Le quatrième protocole additionnel à la Convention européenne des droits de l'homme, Annuaire français de droit international, 1964, S. 571.

«) Vgl. Sand,a.a.O.

1130 XVI 1. Nach Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 hat jedermann, « der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen» (Abs. 1). Absatz 2 fügt bei, dass es jedermann freisteht, jedes Land einschliesslich seines eigenen zu verlassen. Absätze 3 und 4 umschreiben die Einschränkungen dieser Rechte : «Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Verhütung von Straftaten, des Schutzes der Gesundheit oder der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Die in Absatz l anerkannten Rechte können ferner für den Bereich bestimmter Gebiete Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sind. » Wie alle anderen Bestimmungen der Konvention und des Zusatzprotokolls gilt auch Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 für Staatsangehörige ebenso wie für Ausländer und Staatenlose. Aus dem Ausdruck «rechtmässig» in Absatz l ergibt sich aber, dass die Vertragsstaaten nach wie vor frei sind, Einreise und Aufenthalt von Ausländern zu gestatten oder zu verweigern1).

2. Artikel 45 sichert den Schweizerbürgern unter gewissen Bedingungen und nach Erfüllung gewisser Formalitäten die Niederlassungsfreiheit zu2). Unter Niederlassung im Sinne dieser Bestimmung versteht man das einer Polizeierlaubnis unterstellte Verweilen einer Person an einem bestimmten Ort3). Die Verfassung unterscheidet zwischen Niederlassung und Aufenthalt (vgl. Art. 47). Der Unterschied richtet sich dabei nach Dauer und Zweck des Verweilens4).

Artikel 45 umschreibt die Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Ob sie sich ganz mit den in Absatz 3 von Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 aufgeführten Einschränkungen decken, mag fraglich scheinen. Obwohl die von einem Vertragsstaat getroffenen Massnahmen «in einer demokratischen Gesellschaft5) notwendig» sein müssen, sind doch die in Artikel 2, Absatz 3 erwähnten Ausnahmen von der Niederlassungsfreiheit sehr allgemein gehalten. Wir glauben daher nicht, dass sich hier Schwierigkeiten
ergeben sollten. Bedenklich ist allenfalls die in Artikel 45, Absatz 3 der Verfassung vorgesehene Möglichkeit des Niederlassungsentzugs für Leute, welche dauernd der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen und deren Heimatgemeinde oder -kanton eine angemessene Unterstützung trotz amtlicher Aufforderung nicht gewähren. Solche Fälle des NiederlassungsOVgl. Sand, a.a.O., S.572.

2 ) Vgl. Favre, Traité, S.321.

3

) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1964, S. 699.

) Vgl. Favre, Traité, S.322.

6 ) Vgl. Vegleris, Valeur et signification de la clause «dans une société démocratique» dans la Convention européenne des droits de l'homme, Revue des droits de l'homme, 1968,S.219ff.

4

1131 entzugs wegen Bedürftigkeit sind aber weniger häufig geworden, seitdem die Sozialversicherung ausgebaut und das Konkordat über die wohnörtliche Unterstützung1) anwendbar geworden ist.

Die Verweigerung oder der Entzug der Niederlassung gegenüber Personen, die infolge eines strafgerichtlichen Urteils nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren sind (Art. 45, Abs. 2), sowie der Entzug der Niederlassung gegenüber Personen, welche wegen schwerer Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft worden sind (Art. 45, Abs. 3), sollten unter die in Absatz 3 von Artikel 2 aufgezählten Einschränkungen fallen und somit zulässig sein. Was den Begriff des «schweren Vergehens» angeht, so hat das Bundesgericht entschieden, es müsse sich um ein Vergehen handeln, das «durch seine Natur oder die Begleitumstände seiner Begehung einen so asozialen Charakter seines Urhebers oder eine solche Missachtung der Gesetze zeigt, dass die Gegenwart des Delinquenten die öffentliche Ordnung bedrohen würde»2). Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Verhütung von Straftaten zählen zu den Gründen, die eine Einschränkung der in Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 garantierten Niederlassungsfreiheit gestatten.

Schliesslich ist zu bemerken, dass Artikel 45 unserer Verfassung heute als veraltet gilt. Mehrere Interpellationen haben in den eidgenössischen Räten seine Änderung angeregt3). Ein Beitritt der Schweiz zum Protokoll Nr.4 würde die Revisionsarbeiten beschleunigen4).

3. Artikel 45 der Bundesverfassung sichert die Niederlassungsfreiheit nur Schweizerbürgern zu5). Die den Ausländern diesbezüglich zustehenden Rechte finden sich in internationalen Verträgen und der Bundesgesetzgebung (vgl.

Art. 69ter der Verfassung). Nach dem Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (BS l, 121, AS 1949, 221) müssen die Ausländer, die in der Schweiz zu bleiben beabsichtigen, eine Aufenthalts-, Niederlassungs- oder Toleranzbewilligungerhalten6).

Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 hindert, wie erwähnt, die Staaten nicht daran, Einreise und Aufenthalt der Ausländer auf ihrem Gebiet zu regeln7). Ebensowenig schliesst die Bestimmung aus, dass die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung O 2 ) 3 ) 4 )

Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 2003, S. 708.

Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1944, S. 706f.

Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1962, S. 698 f.

Vgl. Riesen, Der Stand von Gesetzgebungsarbeiten beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, Schweizerische Juristen-Zeitung, 1968, S. 209.

5 ) Vgl. Aubert, Traité, Band 2, Note 1969, S. 701, und Moser, Die Rechtsstellung des Ausländers in der Schweiz, S. 349. Die Verletzung derjenigen Bestimmungen der Staatsverträge, welche sich auf Handels- und Zollverhältnisse, Patentgebühren, Freizügigkeit und Niederlassung beziehen, ist gemäss Artikel 125, Absatz l, Buchstabe c OG durch Beschwerde an den Bundesrat geltend zu machen. Eine staatsrechtliche Beschwerde ist daher in diesen Fällen unzulässig (Art. 84, Abs. 2 OG). Vgl. Birchmeier, Bundesrechtspflege, S. 487.

6 ) Vgl. Favre, Traité, S. 74 7 ) Vgl. die Untersuchung von Fahr über das Protokoll Nr. 4 in den Juristischen Blättern, 1964, S. 187ff. Patir gibt Auskunft über die Änderungen, denen Artikel 2 im Laufe der Vorarbeiten unterworfen wurde.

1132 gewissen Bedingungen unterstellt wird oder dass die Aufenthaltsbewilligung für eine beschränkte Dauer erteilt wird1). Schwieriger ist die Frage, ob es sich mit dem in Absatz l von Artikel 2 gewährleisteten Recht, den Wohnsitz frei zu wählen, verträgt, wenn eine Aufenthaltsbewilligung nur in dem Kanton gültig ist, der sie ausgestellt hat. Unseres Erachtens gehört diese Einschränkung zu den Bedingungen, denen die Staaten den Aufenthalt der Ausländer unterwerfen dürfen. Die Aufenthaltsbewilligung wird auch von den Kantonen erteilt; doch ist ihre Wirksamkeit interkantonal, soweit ein Niederlassungsvertrag besteht2). Der Ausländer, der in einem Kanton eine Niederlassungsbewilligung besitzt, wird die Bewilligung in einem anderen Kanton ohne Schwierigkeiten erhalten, falls er seinen Wohnsitz ändern will, sofern er nicht die Schweiz verlassen muss (z. B. wegen eines Ausweisungsentscheids). Wie der Schweizer kann auch der Ausländer die Schweiz jederzeit verlassen, es sei denn, er sei hier inhaftiert3). Es besteht also keine Unstimmigkeit zwischen unserem Recht und Absatz 2 des Artikels 2.

XVII Artikel 3, Absatz l sieht vor, dass niemand aus dem Hoheitsgebiet des Staates, dessen Staatsangehöriger er ist, durch eine Einzel- oder eine Kollektivmassnahme ausgewiesen werden darf. Laut Absatz 2 darf niemandem das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Staatsangehöriger er ist4).

Anders als die Allgemeine Menschenrechtserklärung (Art. 15) verbietet das Protokoll Nr. 4 den willkürlichen Entzug der Staatsangehörigkeit nicht. Diese Lücke könnte die Wirksamkeit der in Artikel 3 ausgesprochenen Garantie möglicherweise beeinträchtigen5)Nach Artikel 44, Absatz l der Bundesverfassung darf ein Schweizerbürger weder aus der Schweiz noch aus seinem Heimatkanton ausgewiesen werden. Unser Recht geht sogar noch weiter, da Artikel 2, Absatz l des Bundesgesetzes betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande vom 22. Januar 1892 die Auslieferung von Schweizerbürgern verbietet (BS 3, 510). Auch kann jeder Schweizer unter allen Umständen in die Schweiz zurückkehren. Dies ist eine wesentliche Eigenschaft des Schweizerbürgerrechts6). Artikel 48 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts (AS 7952,1087) sieht nur einen Fall des Entzugs
unseres Bürgerrechts vor : gegenüber Doppelbürgern, deren Verhalten den Interessen oder dem Ansehen der Schweiz erheblich nachteilig ist.

*) Vgl. Fahr, a. a. O., S. 191 f. : «Es kann also auf Grund dieser Bestimmung niemand, der ausdrücklich nur für eine bestimmte Dauer in einem Staat aufgenommen wurde, ein dauerndes Niederlassungsrecht in Anspruch nehmen.» 2 ) Vgl. Aubert, Traité, Band l, Note 1024, S. 384.

3 ) Vgl. Aubert, Traité, Band l, Note 1028, S. 385.

) Der Text der von Österreich und Irland bei der Unterzeichnung abgegebenen auslegenden Erklärungen zu Artikel 3 ist enthalten im Annuaire Nr. 6 (1963), S. 19 und 21.

6 ) Vgl. Sand, a.a.O., S.574, und Fahr, a.a.O., S. 194.

6 ) Vgl. Aubert, Traité, Band l, Note 999, S. 373.

4

1133

XVIII Artikel 4 verbietet allgemein Kollektivausweisung von Fremden. Diese Bestimmung erfordert keine besonderen Erörterungen.

Das schweizerische Recht kennt drei Arten der Ausweisung1)- Nach Artikel 70 der Bundesverfassung steht dem Bunde das Recht zu, Fremde, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen. Dieses Recht übt der Bundesrat aus. Die Ausweisung kann ferner gerichtlich sein, wenn ein Gericht sie als Nebenstrafe oder Massnahme ausspricht2). Sie kann schliesslich administrativ sein, gestützt auf die in Artikel 10 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer aufgeführten Gründe3). In allen diesen Fällen trägt die jeweilige Massnahme, auch wenn sie sich gegen mehrere Personen richtet, individuellen und nicht kollektiven Charakter.

Kapitel IV: Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz (Schlussfolgerungen) Dieses letzte Kapitel ist in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt werden wir zwei Vorfragen untersuchen: Wie sollte unsere Haltung sein mit Bezug auf die verschiedenen Protokolle zur Konvention sowie auf die fakultativen Erklärungen betreffend das individuelle Beschwerderecht und die obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte? Der zweite Abschnitt bringt unsere Schlussfolgerungen, insbesondere zur Frage, ob die Schweiz nicht unter bestimmten Vorbehalten der Konvention und den Protokollen beitreten sollte, noch bevor Bund und Kantone die erforderlichen Anpassungen der Verfassung und Gesetzgebung vorgenommen haben*).

Vorfragen

1. Das Postulat Eggenberger erwähnt nur die Menschenrechtskonvention.

Wir sind indessen davon ausgegangen, dass der vom Nationalrat gewünschte Bericht sich nicht nur auf die Konvention erstrecken solle, sondern auch auf das Zusatzprotokoll und das Protokoll Nr. 4, welche beide die in der Konvention !)

Dazu: Aubert, Traité, Band l, Note 1029, S. 386.

2 ) Vgl. Artikel 16 und 42, Ziffern l und 55 StrGB, sowie die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom l. März 1965 über die Teilrevision des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (BB11965,1, 561 ff.), die namentlich die Aufhebung von Artikel 16 StrGB vorschlägt.

3 ) Vgl. Moser, Die Rechtsstellung des Ausländers in der Schweiz, S. 433 ff.

4 ) Vgl. den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1968-1971, vom 15. Mai 1968 (BB1 1968,1,1209).

1134 garantierten Rechte und Freiheiten erweitern. Allerdings ist kein Staat, der die Konvention unterzeichnet, deswegen verpflichtet, gleichzeitig die Protokolle zu unterzeichnenl). Es wäre daher möglich, dass die Schweiz die Konvention unterzeichnet, aber mit der Unterschrift des Zusatzprotokolls noch zuwartet; dies um so mehr, als zwei von den drei im Zusatzprotokoll gewährleisteten Rechten Schwierigkeiten mit sich brächten2).

Ein solches Vorgehen empfiehlt sich aber unseres Erachtens nicht. Die Protokolle bedeuten eine Ergänzung der Konvention und bilden mit ihr zusammen ein Ganzes. Die in der Konvention und den Protokollen aufgeführten Rechte vervollständigen das Programm der Mitgliedstaaten des Europarats im Bereiche der Menschenrechte. Wenn unser Land sich entschliessen könnte, diesem europäischen Gemeinschaftswerk beizutreten, so sollte es seine Teilnahme nicht nur auf die Konvention beschränken. Eine solche Haltung würde kaum verstanden. Die Tatsache, dass der Beitritt zum Zusatzprotokoll von Vorbehalten begleitet sein müsste, wäre in dieser Hinsicht nicht entscheidend. Laut Artikel 64 der Konvention sind Vorbehalte allgemeiner Art nicht zulässig. Soweit aber Vorbehalte sich auf einen besonderen Punkt beziehen, vermindern sie die Wirksamkeit der Garantie des betreffenden Rechts oder der betreffenden Freiheit nur zum Teil.

Abgesehen vom Zusatzprotokoll und dem Protokoll Nr. 4 glauben wir, dass die Schweiz auch die Protokolle Nr. 2, 3 und 5 unterzeichnen könnte, obwohl diese noch nicht von allen Mitgliedstaaten der Konvention ratifiziert und daher noch nicht in Kraft getreten sind. Diese Protokolle betreffen Verfahrensfragen und ändern die von der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten nicht.

Das Protokoll Nr. 2, vom 6. Mai 1963, überträgt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Kompetenz, auf Ersuchen des Ministerkomitees unter bestimmten Voraussetzungen Gutachten über Rechtsfragen betreffend die Auslegung der Konvention und Protokolle abzugeben3).

Das Protokoll Nr. 34), ebenfalls vom 6. Mai 1963, ändert die Artikel 29, 30 und 34 der Konvention, die sich auf das Verfahren der Menschenrechtskommission beziehen. Es beseitigt einerseits jeden Hinweis auf die Unterkommission5) und ermächtigt anderseits die Kommission, ein ihr gemäss Artikel 25 unterbreitetes Gesuch auch nach der Annahme zurückzuweisen, wenn sie bei seiner Prüfung x

) Artikel 6 des Zusatzprotokolls sieht z.B. vor, dass dieses den Mitgliedern des Europarats, welche die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung offen steht; es wird gleichzeitig mit der Konvention oder zu einem späteren Zeitpunkt ratifiziert.

Artikel 7 des Protokolls Nr. 4 enthält dieselbe Bestimmung.

2 ) Professor Favre schlägt in seiner Studie über die Konvention (Schweiz. Jahrbuch für Internationales Recht, 1966, S. 35) vor, dass die Schweiz den Beitritt zum Zusatzprotokoll aufschieben könnte, solange das Frauenstimmrecht nicht eingeführt ist.

3 ) Vgl. Vasak, Convention. S. 165. Am 30. Juni 1968 hatten Dänemark, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, die Türkei und das Vereinigte Königreich das Protokoll Nr. 2 ratifiziert.

*) Am 30. Juni 1968 war es durch dieselben Länder wie das Protokoll Nr. 2 ratifiziert worden.

5 ) Vgl. Vasak, Convention, S. 140.

1135 feststellt, dass einer der in Artikel 27 bezeichneten Unzulässigkeitsgründe vorliegt1).

Das Protokoll Nr. 52), vom 20. Januar 1966, ändert die Artikel 22 und 40 der Konvention betreffend die Amtsdauer der Mitglieder der Kommission und des Gerichtshofs. Es will soweit wie möglich sicherstellen, dass die Hälfte der Mitglieder der Kommission und ein Drittel der Mitglieder des Gerichtshofs alle drei Jahre neu gewählt werden. Jedes der drei Protokolle tritt erst in Kraft, wenn alle Mitgliedstaaten der Konvention es ratifiziert haben. Wenn die Schweiz daher nur der Konvention, dem Zusatzprotokoll und dem Protokoll Nr. 4 beitreten würde, so würde dadurch das Inkrafttreten der ändern drei Protokolle verzögert.

2. Die Menschenrechtskonvention hat sich nicht, wie die Allgemeine Erklärung vom 10. Dezember 1948, darauf beschränkt, eine Anzahl Rechte und Freiheiten zu verkünden. Sie will einen internationalen Mechanismus zur Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtungen schaffen, welche die Staaten mit der Ratifikation der Konvention übernommen haben. Zu diesem Zweck hat die Konvention eine Kommission und einen Gerichtshof für Menschenrechte ins Leben gerufen. Die Kommission kann von jedem Vertragsstaat angegangen werden, aber auch - gemäss Artikel 25 der Konvention - durch ein Gesuch jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personenvereinigung, vorausgesetzt, dass der betreffende Staat die Zuständigkeit der Kommission zur Entgegennahme solcher Gesuche in einer Erklärung anerkannt hat. Die Staaten, die eine solche Erklärung abgeben, verpflichten sich, die wirksame Ausübung des Beschwerderechts in keiner Weise zu behindern. Die Erklärung kann für einen bestimmten Zeitabschnitt abgegeben werden.

Das individuelle Beschwerderecht vor der Kommission bedeutet zweifellos den Angelpunkt des von der Konvention errichteten Systems3). Praktisch zum erstenmal wird damit Einzelnen im Bereich der Menschenrechte ein eigentliches direktes Beschwerderecht vor einem internationalen, teilweise richterlichen Organ eingeräumt4). Einzig dieses Beschwerderecht garantiert einen wirksamen Schutz der in der Konvention aufgeführten Rechte5). Es scheint uns kaum denk1 ) 2

Vgl. Vasalc, Convention, S. 144.

) Am 30. Juni 1968 hatten es Dänemark, Irland, Island, Luxemburg, Malta, Norwegen, Schweden und das Vereinigte Königreich ratifiziert.

3 ) Vgl. den Bericht des Europarats an die internationale Menschenrechtskonferenz, 1968, S.40. Der im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeitete internationale Pakt betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte richtet ein Komitee für Menschenrechte ein. Dieses ist gemäss einem Fakultativprotokoll befugt, Mitteilungen von Personen, die behaupten, in ihren vom Pakt gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein, entgegenzunehmen und zu untersuchen. Das Komitee teilt dann seine Feststellungen dem betreffenden Staat und dem Einzelnen mit.

4 ) Vgl. zum Recht des Einzelnen, an eine internationale Instanz zu gelangen, die Botschaft des Bundesrats an die Bundesversammlung vom 15. Dezember 1967 betreffend die Genehmigung des Übereinkommens zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (BB11967, II, 1450). Ausserdem: Virally, L'accès des particuliers à une instance internationale : la protection des droits de l'homme dans le cadre européen, in: Mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, Nr.20, S.67ff.

") Vgl. Virally, a.a.D., S.75.

1136 bar, dass die Schweiz der Konvention beitreten könnte, ohne die in Artikel 25 vorgesehene Erklärung abzugeben. In der Tat hat die überwiegende Mehrheit der Vertragsstaaten eine solche Erklärung abgegeben.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass der Entscheid, den er vorschlägt, Risiken mit sich bringt. So könnten z. B. vereinzelte Personen ihr Beschwerderecht missbräuchlich ausüben1). Indes stellt Artikel 27 der Konvention strikte Bedingungen für die Zulässigkeit eines Gesuches auf2). Ferner kann die Kommission sich mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtszuges und innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach dem Ergehen der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung befassen (Art. 26). Schliesslich kann nur jemand, der sich durch eine Verletzung der in der Konvention anerkannten Rechte «beschwert fühlt», die Kommission gemäss Artikel 25 angehen. Demgemäss hat sich die Kommission für unzuständig erklärt, in abstracto zu prüfen, ob ein Gesetz den Bestimmungen der Konvention entspreche3).

Angesichts der nicht völlig voraussehbaren Schwierigkeiten, welche aus der Anerkennung des individuellen Beschwerderechts entstehen könnten, schlagen wir vor, dass die Schweiz wie die meisten ändern Vertragsstaaten eine z.B. auf 3 oder 5 Jahre befristete Erklärung abgeben könnte.

Die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch eine Erklärung gemäss Artikel 46 der Konvention würde, wie schon in Kapitel II 9 dieses Berichts erwähnt, für unser Land nichts Neues darstellen4). Obwohl seine Tätigkeit bisher relativ beschränkt war5), nimmt der Gerichtshof, vor allem dank der Qualität und Unabhängigkeit seiner Richter, einen hervorragenden Platz im System des kollektiven Rechtsschutzes im Rahmen der Konvention ein. Der Gerichtshof übt seine richterlichen Aufgaben neben einem politischen Organ (dem Ministerkomitee des Europarats) aus. Seine Rolle ist sehr wichtig, besonders weil mehrere Bestimmungen der Konvention heikle Auslegungsprobleme aufwerfen. Der Gerichtshof ist ein Faktor der Stabilität und der Rechtssicherheit; seine Rechtsprechung stellt eine beachtliche Garantie für die Vertragsparteien dar. Die Schweiz hat immer die Idee der internationalen Gerichtsbarkeit unterstützt; sie kann sich ihr jetzt nicht entziehen. Wir denken
deshalb, dass wir uns der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs vollumfänglich und auf unbestimmte Zeit unterstellen sollten, ohne Bedingung der Gegenseitigkeit seitens mehrerer oder bestimmter anderer Vertragsparteien (vgl. Art. 46, Abs. 2). Die beiden erwähnten Erklärun*) Hier sei erwähnt, dass die Sitzungen der Kommission geheim und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden (Art. 33 der Konvention). Vgl. Monconduit, La commission européenne des droits de l'homme, S. 225 ff.

2 ) Vgl. Nay-Cadoux, Les conditions de recevabilité des requêtes individuelles devant la Commission européenne des droits de l'homme (étude de jurisprudence); Golsong, Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention, S. 49 ff.

8 ) Vgl. Antonopoulos, a.a.O., S.42.

*) Vgl. Auhert, Traité, Band 2, Note 1777, S. 640.

6 ) Innerhalb zweier Monate (Juni/Juli 1968) hat das Gericht jedoch drei Urteile gefällt (Angelegenheiten Neumeister, Wemhoffund «belgischer Sprachenstreit»).

1137

gen könnten auch auf Artikel 1-4 des Protokolls Nr. 4 erstreckt werden (gemäss Art. 6, Abs. 2 dieses Protokolls).

B Schlussfolgerungen

1. Lange Zeit haben die nationalen Verfassungen und nicht internationale Verträge den Schutz der Menschenrechte sichergestellt1). Nach dem Ersten Weltkrieg erwies es sich als notwendig, den Schutz der Grundrechte bestimmter Minderheiten dem Völkerbund zu übertragen. Vor allem seit der Gründung der Vereinten Nationen hat dann die Idee einer internationalen Garantie der Menschenrechte Fortschritte gemacht.

Die Charta der Vereinten Nationen erwähnt die Menschenrechte in verschiedenen Bestimmungen2). Insbesondere verpflichtet Artikel 56 die Mitglieder, mit der Organisation zusammenzuarbeiten zur Erreichung der in Artikel 55 festgelegten Ziele, nämlich der Achtung und Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle, ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechtes, der Sprache oder der Religion. Am l O.Dezember 1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Menschenrechtserklärungverkündet. Diese feierliche Erklärung hat nicht den Charakter einer Rechtsnorm3) und sieht auch keine Vollzugsmöglichkeiten vor; sie übt aber nach wie vor einen beträchtlichen Einfluss aus. Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat im Laufe ihrer Tätigkeit die Entwürfe für zwei multilaterale Verträge ausgearbeitet ; die Generalversammlung hat diese Texte am 16.Dezember 1966 genehmigt: den internationalen Pakt betreffend die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und den internationalen Pakt betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte. Dabei überwog die Ansicht, es müssten zwei verschiedene Konventionen ausgearbeitet werden, weil die bürgerlichen und politischen Rechte unmittelbar gewährleistet werden können, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte dagegen nur allmählich, je nach den Mitteln der verschiedenen Staaten.

Der Pakt betreffend die bürgerlichen und politischen Rechte enthält ein Fakultativprotokoll über die von Einzelnen erhobenen Beschwerden. Beide Konventionen treten mit der Ratifikation durch 35 Staaten in Kraft. Sie stehen jedem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder einer ihrer SpezialOrganisationen zur Unterschrift offen, ferner jedem Staat, der dem Statut des Internationalen Ge*) Vgl. Favre, La Convention européenne des droits de l'homme, S.9ff.; ferner: Kägi, Die Menschenrechte und ihre Verwirklichung, S. 34ff.

2 ) Dazu: Ganshof van
der Meersch, Organisations européennes, Band I, S. 252ff. Ferner: J.Humphrey, 1968,les droits de l'homme et les Nations Unies, Revue de la Commission internationale de juristes, 1968, Band IX Nr. l, S. l ff. Aus Anlass des Internationalen Jahres der Menschenrechte hat das Sekretariat der Vereinten Nationen im April 1968 eine Schrift publiziert, in der die Bemühungen dieser Organisation für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte zusammengefasst sind.

3 ) Vgl. Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Band l, S.274.

Bundesblatt. 120. Jahrg. Bd. II

68

1138 richtshofs angehört oder der von der Generalversammlung eingeladen wird, Vertragspartei zu werden1).

2. Die Europäische Menschenrechtskonvention hat in Europa2) erstmals ein System der kollektiven Garantie der Menschenrechte eingeführt. Sie steht in enger Beziehung zum Europarat3). Die Mitglieder des Europarats verpflichten sich nach Artikel 3 des Statuts (AS 1963, 772) «bei der Erfüllung der in Kapitel I bestimmten Aufgaben aufrichtig und tatkräftig mitzuarbeiten». Nach Artikel l hat der Europarat «zur Aufgabe, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schütze und zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern». Diese Aufgabe wird insbesondere erfüllt «durch den Abschluss von Abkommen und durch gemeinschaftliches Vorgehen auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet und auf den Gebieten des Rechts und der Verwaltung sowie durch den Schutz und die Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten». Die Konvention umschreibt und konkretisiert die Vorschriften des Statuts des Europarats. Ihre Urheber betrachteten sie als eine Grundfeste des Europarats.

Kann ein Staat Mitglied des Europarates sein, ohne der Konvention und den Protokollen beizutreten4) ? Die Bestimmungen der Konvention zeigen klar, dass ein Mitgliedstaat des Europarats nicht verpflichtet ist, zugleich Mitglied der Konvention zu sein. So erlaubt Artikel 65, Absatz l jeder Vertragspartei, die Konvention nach Ablauf von fünf Jahren vom Tage an, an dem die Konvention für sie wirksam wird, zu kündigen. Die Mitteilung der Kündigung muss sechs Monate vorher erfolgen. Eine derartige Kündigung bedeutet für den betreffenden Staat nicht, dass er gleichzeitig aufhört, dem Statut des Europarats anzugehören5). Auf jeden Fall aber sind die Mitgliedstaaten des Europarats verpflichtet, auf ihrem Gebiet für die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sorgen, auch wenn sie rechtlich nicht gehalten sind, der Konvention beizutreten *). Von den 18 *) Die Frage der Beziehungen zwischen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Pakten der Vereinten Nationen wirft heikle Probleme auf; diese werden z. Z. von einem Expertenkomitee des Europarats untersucht. Die Frage stand auch auf der
Tagesordnung der 5. Konferenz der Europäischen Justizminister, die vom 5.-7. Juni 1968 in London stattfand. Vgl. dazu: Polys Modines, Coexistence de la convention européenne des droits de l'homme et du Pacte des droits civils et politiques des Nations Unies, Revue des droits de l'homme, 1968, S. 41 ff.

2 ) Betreffend die anderen Kontinente siehe : Vasak, La commission interaméricaine des droits de l'homme, und vom selben Autor, les droits de l'homme et l'Afrique, Revue belge de droit international, 1967, S. 459 ff.

3 ) Vgl. Favre, Convention, S.34.

*) Vgl. dazu: Piato, Les organisations européennes, S. 84ff.

6 ) Dagegen scheidet jeder Vertragsstaat, der aus dem Europarat ausscheidet, zugleich auch aus der Konvention aus (Art. 65, Abs. 3). Zudem sieht Artikel 8 des Statuts des Europarats vor, dass jedem Mitglied, das sich einer schweren Verletzung seiner Verpflichtungen zur Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten schuldig macht, das Recht auf Vertretung vorläufig entzogen und es vom Ministerkomitee aufgefordert werden kann, seinen Austritt zu erklären.

6

)Vgl.Pinto,a.a.O.,S.86.

1139 Mitgliedstaaten des Europarats haben 16 geglaubt, sie könnten diese Verpflichtung nicht voll erfüllen, ohne der Konvention beizutreten. Es war wichtig, dies festzuhalten, ehe wir uns nun der Haltung der Schweiz zuwenden.

3. Der Bundesrat hat seit jeher Wichtigkeit und Wert der Europäischen Menschenrechtskonvention voll gewürdigt. Er war aber bisher der Ansicht, dass ein Beitritt unseres Landes nicht ernstlich in Frage komme, solange die bekannten Hindernisse - insbesondere das Fehlen des Frauenstimmrechts und das Fortbestehen der konfessionellen Ausnahmeartikel in der Bundesverfassung - nicht beseitigt seien. Wie wir in unserem Bericht über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der bestehenden Legislaturperiode angetönt haben, bedarf diese Ansicht einer neuerlichen Überprüfung. In dem Bericht hatten wir eine Ratifikation der Konvention durch die Schweiz grundsätzlich befürwortet (BB11968,1,1209).

Es liegt uns ferne, die Schwierigkeiten einer solchen Ratifikation bagatellisieren zu wollen. Doch glauben wir, dass die Frage unseres Beitritts in grösserem Zusammenhang gesehen werden muss, insbesondere im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen im Bereich des internationalen Schutzes der Menschenrechte und im Hinblick auf die zentrale Stellung der Konvention im Rahmen der Bestrebungen, zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates eine engere Verbindung herzustellen.

In erster Linie ist hervorzuheben, dass die Ziele der Konvention unserer Staatsauffassung in jeder Hinsicht entsprechen. Sie gewährleisten den liberalen Rechtsstaat und die Sicherung eines Mindestmasses von Menschenrechten und Grundfreiheiten. Die Schweiz teilt mit den anderen Mitgliedstaaten des Europarats das «gemeinsame Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaft des Gesetzes», von welchem die Präambel der Konvention feierlich spricht. Um der grösstmöglichen Anzahl von Staaten die Teilnahme an der kollektiven Menschenrechtsgarantie zu erlauben, haben die Urheber der Konvention realistischerweise gewisse Abweichungen davon vorgesehen. Artikel 64, der sich auf die Vorbehalte bezieht, sollte den Staaten, deren Rechtssystem in einzelnen Punkten den Erfordernissen der Konvention nicht entspricht, gestatten, dennoch die Konvention zu unterzeichnen1). Wie im I.Kapitel dieses Berichts
erwähnt wurde, haben verschiedene Staaten in der Tat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Wir waren hingegen bisher der Meinung, dass die Unterschiede zwischen unserem Recht und den Vorschriften der Konvention zu gross seien, als dass auch nur ein Beitritt unter Vorbehalten in Frage käme. Diese Frage ist nun näher zu untersuchen.

4. Im Laufe der rechtlichen Erörterungen im Kapitel III haben wir wiederholt feststellen müssen, dass Bundes- und kantonales Recht einerseits und Kon1

) Die Europaische Sozialcharta, unterzeichnet in Turin am 18. Oktober 1961, sieht ein verschiedenes, etappenvveises System der Verpflichtungen vor. Sie benützt dabei einen im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation geschaffenen MechanismusJeder Staat kann im Zeitpunkt der Ratifikation die Anwendung bestimmter Artikel der Charta ausschliessen. Er verpflichtet sich jedoch, sich an ein Mindestmass von Vorschriften gebunden zu betrachten. Seine Verpflichtungen nehmen dann zu im Ausmass, in dem der Staat die anderen Vorschriften der Charta annimmt.

1140 vention und Zusatzprotokoll andererseits in gewissen Punkten nicht übereinstimmen. Grundsätzlich kommen nun zwei Lösungen in Betracht. Die erste liegt im Beitritt unter Vorbehalt sämtlicher Punkte, in denen - anerkanntermassen oder vermutungsweise - keine Übereinstimmung besteht. Der Bundesrat kann diese Lösung nicht empfehlen. Wir haben schon in unserer Botschaft vom l. März 1965 über die Genehmigung von acht Übereinkommen des Europarats (BB11965,I, 439) hervorgehoben, dass es dem Sinn und Zweck dieser Übereinkommen widerspräche, Vorbehalte bezüglich sämtlicher Punkte anzubringen, die nicht dem schweizerischen Recht entsprechen. Diese Überlegung gilt erst recht, wenn ein internationaler Vertrag eine Regelung bringt, die besser oder mindestens so gut wie die schweizerische ist und die einer allgemeinen Tendenz der Rechtsentwicklung Rechnung trägt. Dies ist bei der Europäischen Menschenrechtskonvention der Fall. Sie setzt sich die Schaffung eines «gemeinschaftlichen ,ordre public' der freien Demokratien Europas zum Schütze ihres gemeinschaftlichen Erbes an politischen Überlieferungen, Idealen, Freiheit und Vorrang des Rechts» zum Ziel1). Damit gehört sie in die Reihe der Bestrebungen, den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch ein internationales Garantiesystem zu verbessern. Es scheint uns nötig, uns um eine Anpassung unseres Rechtes an die Konvention zu bemühen2). Übrigens würde eine allzulange Liste von Vorbehalten von den anderen Vertragsstaaten wahrscheinlich nicht hingenommen.

Wir befürworten daher die zweite Lösung, nämlich eine Beschränkung der schweizerischen Vorbehalte zur Konvention, zum Zusatzprotokoll und zum Protokoll Nr. 4. Soweit wir keine Vorbehalte anbringen, würden die Unterschiede zwischen unserem Recht und der Konvention automatisch beseitigt. Denn wenn die Bundesbehörden eine völkerrechtliche Regelung vorbehaltlos genehmigen, wird diese von Rechts wegen zur bundesrechtlichen Regelung, vom Moment des Inkrafttretens des jeweiligen internationalen Vertrages an. Sie bricht das anderslautende Bundes- oder kantonale Recht3). Landesrechtliche Vollzugsmassnahmen wären nur erforderlich, wenn die Konvention selbst dies gebieten würde oder wenn die darin enthaltenen Bestimmungen nicht direkt anwendungsfähig («seif executing») wären4). Rein formell gesehen wären gewisse
Änderungen unserer Rechtsordnung dennoch notwendig, damit darin keine der Rechtssicherheit abträgliche Unstimmigkeiten bestehen blieben.

Um uns darüber klar zu werden, wo Vorbehalte anzubringen sind und wo nicht, müssen wir bestimmte Kriterien aufstellen.

Man kann sich drei Kriterien vorstellen. Gemäss dem ersten würde man die Unterschiede zwischen schweizerischem Recht und Konvention nach der Wichtigkeit der betreffenden schweizerischen Vorschriften bewerten: Handelt es sich z, B. um Verfassungs- oder Gesetzesrecht (dies gilt für Bundes- wie auch für kan*) Entscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom l I.Januar 1961 über die Zulässigkeit des Gesuches Nr. 788/60 Annuaire Nr. 4 (1961), S. 139.

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) Vgl. den Bericht des Bundesrats an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1966, S.43.

3 ) Vgl. Fleiner/Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 829 f.

4 ) Dieses Problem wurde im Kapitel II6 dieses Berichts untersucht.

1141 tonales Recht) ? Ist der Anwendungsbereich der betreffenden Vorschrift weit oder eng? Steht die Vorschrift mit den grundlegenden, traditionellen Rechtsvorstellungen des Schweizervolkes im Einklang oder nicht? Ein zweites Kriterium trägt dem Begriff des Vorbehalts Rechnung ; es fällt ein Werturteil über die Frage, ob es wünschenswert und zweckmässig sei, die landesrechtliche Bestimmung mit der Konvention in Übereinstimmung zu bringen. Schliesslich kann man auch die tatsächliche Möglichkeit einer Anpassung des schweizerischen Rechtes in Betracht ziehen.

Eine Verbindung dieser Kriterien würde dazu führen, dass die Schweiz nur Vorbehalte bezüglich solcher Vorschriften unserer Rechtsordnung anbringt, die entweder wichtig sind oder die man zur Zeit nicht der Konvention anpassen will oder kann. Gestützt auf diese Erwägungen halten wir dafür, dass Vorbehalte bezüglich der folgenden Punkte am Platz sind (die Aufzählung erfolgt in der Reihenfolge der Artikel der Konvention und des Zusatzprotokolls) : a. Die kantonalen Gesetze über die Anstaltsversorgung.

Bei der Prüfung von Artikel 5 der Konvention haben wir gesehen, dass die Gründe, die nach den kantonalen Gesetzgebungen eine von einer Verwaltungsbehörde angeordnete Internierungsmassnahme rechtfertigen, über Artikel 5 hinausgehen. Zudem kennt die Mehrheit dieser Gesetze keine gerichtliche Überprüfung der Anstaltseinweisung1).

Es handelt sich hier noch um einen weitgehend der kantonalen Kompetenz überlassenen Bereich, trotz den vom Bundesgericht aus der Verfassungsgarantie der persönlichen Freiheit abgeleiteten bundesrechtlichen Regeln. Übrigens scheinen diese Internierungsmassnahmen beim heutigen Stand des Bundesrechts noch einer Notwendigkeit zu entsprechen. Dieser Vorbehalt könnte zurückgezogen werden, wenn die Kantone ihre Gesetze über die Anstaltsversorgung den Erfordernissen der Konvention anpassen. Ein besserer Schutz der persönlichen Freiheit hängt auch vom Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Kantonen ab.

b. Ausnahmen vom Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung und Urteilsverkündung.

Dieser Vorbehalt würde sich auf Artikel 6 der Konvention beziehen. Die Schweiz würde dadurch Verfahren vor Verwaltungsbehörden, welche gerichtliche Funktionen ausüben, vom Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung und Urteilsverkündung
ausschliessen. Ferner würden die Bestimmungen der kantonalen Zivil-oder Strafprozessordnungen über die Verkündung und Zustellung des Urteils vom Öffentlichkeitsprinzip der Konvention ausgenommen.

Wann ein solcher Vorbehalt zurückgezogen werden könnte, scheint schwierig vorauszusehen.

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) Wir haben auch gesehen, dass sich je nachdem entsprechende Probleme im Gebiet der Vormundschaft stellen könnten (Unterbringung des Bevormundeten in eine Erziehungs-, Versorgungs- oder Heilanstalt, nach Art. 406 und 421, Ziff. 13 ZGB).

1142 e. Die Ausnahmeartikel der Bundesverfassung.

Dieser Vorbehalt zu Artikel 9 der Konvention wäre provisorischer Natur und von der Revision der Artikel 51 und 52 der Bundesverfassung abhängig.

Diese Revision wird voraussichtlich noch vor einer allfälligen Totalrevision der Verfassung unternommen werden.

d. Die faktischen Ungleichheiten, die in mehreren Kantonen mit Bezug auf die Ausübung des Rechts auf Unterricht bestehen.

Ob dieser Vorbehalt zu Artikel 2 des Zusatzprotokolls beibehalten werden soll, wird weitgehend von der künftigen Rechtsprechung der Kommission und des Gerichtshofs für Menschenrechte zu dieser Bestimmung abhängen. Jedenfalls ist anzunehmen, dass die erwähnten faktischen Ungleichheiten zunehmend verschwinden werden.

e. Die fehlende Beteiligung der Frauen an den Wahlen in die gesetzgebenden Behörden im Bund und, abgesehen von Ausnahmen, in den Kantonen sowie die Ausnahmen vom geheimen Charakter der Wahlen.

Hier müssen wir auf ein Problem zurückkommen, das wir bei der Erörterung von Artikel 3 des Zusatzprotokolls aufgegriffen haben, nämlich auf die im Nationalrat bei der Behandlung der Motion Eggenberger sowie vom Verein der Frauenverbände1 erhobenen Bedenken gegen einen Beitritt unter Vorbehalt des Frauenstimmrechts und des Weiterbestehens der konfessionellen Ausnahmeartikel in der Bundesverfassung. Die Gegner einer unter diesen Bedingungen erfolgenden Ratifikation der Konvention betonen namentlich, man könne gewisse von anderen Vertragsstaaten angebrachte Vorbehalte nicht mit den Gegebenheiten in der Schweiz gleichsetzen. Hier besitze die Hälfte der Bevölkerung über 20 Jahre kein Stimmrecht und könne daher insbesondere nicht an den Wahlen des gesetzgebenden Organs teilnehmen2). Ausserdem befürchten diese Kreise, dass ein Beitritt unter Vorbehalt des Wahl- und Stimmrechts der Frau das Fehlen dieses Rechts gewissermassen völkeirechtlich «veiankern» werde, was die Stellung aller Anhänger des Frauenstimmrechts in unserem Lande entscheidend schwäche.

Der Bundesrat teilt diese Befürchtungen nicht. Er benützt die Gelegenheit, daran zu erinnern - wie er dies schon in seinem Bericht vom 15. Mai 1968 über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der jetzigen Legislaturperiode getan *) Vgl. dazu vor allem den Artikel von Frau L. Ruckstuhl, Die Schweiz und die Menschenrechtskonvention,
NZZNr.573, vom 17. September 1968.

z ) Der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht hat in einem an die Abgeordneten der Bundesversammlung gerichteten und in der Presse weitgehend wiedergegebenen Brief vor allem vorgebracht, dass ein Vorbehalt zu Artikel 3 des Zusatzprotokolls « allgemeiner Art» sei, weil er alle mündigen Schweizerfrauen betreffe, d.h. etwa 2 Millionen Erwachsene. Ein solcher Vorbehalt verletze daher Artikel 64 der Konvention.

Diese Argumentation lässt sich bestreiten. Um gemäss Artikel 64 zulässig zu sein, muss ein Vorbehalt sich auf eine besondere Frage beziehen. Er darf nicht allgemein auf die geltenden Gesetze eines Landes verweisen. Gewisse Autoren glauben sogar, dass ein auf eine bestimmte Vorschrift der Konvention bezüglicher Vorbehalt nicht allgemeiner Art ist. Vgl. Vasak, Convention, S. 69.

1143 hat -, dass er eine Partialrevision der Bundesverfassung zur Einführung des Frauenstimm- und -Wahlrechts auf Bundesebene anstrebt. Wir glauben jedoch, dass die Probleme des Frauenstimmrechts und der Ausnahmeartikel der Verfassung unabhängig von der Ratifikation der Konvention gelöst werden müssen. Die Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene sollte zur völligen Gleichstellung vonMann und Frau im Bereich der politischen Rechte führen. Sie sollte den Frauen das Stimm- sowie das aktive und passive Wahlrecht gewähren. Demgegenüber ist Absatz 3 des Zusatzprotokolls nur auf die Wahlen in die Legislative und auf keine anderen Wahlen oder Abstimmungen anwendbar.

Abgesehen davon möchte der Bundesrat unterstreichen, dass die Vorbehalte anlässlich eines schweizerischen Beitritts zur Konvention auf keinen Fall bedeuten, dass der Bundesrat nicht alles tun wird, was in seiner Gewalt liegt, um den jetzigen Zustand sobald wie möglich zu ändern. Eine Ratifikation mit Vorbehalten darf nicht als Verzicht verstanden werden ; sie ist vielmehr Ausdruck des Willens zum Handeln und zur Ausmerzung der faktischen oder rechtlichen Situation, die den Vorbehalten zugrundeliegt. Das gilt namentlich mit Bezug auf die politischen Rechte der Frau und die Ausnahmeartikel.

/. Zusätzlich zu den erwähnten fünf Vorbehalten sollte eine auslegende Erklärung zu Artikel 6, Absatz 3, Buchstaben c und e der Konvention abgegeben werden. Diese Bestimmungen beziehen sich auf die Unentgeltlichkeit des Pflichtverteidigers und des Dolmetschers. Hier ist der im Bundesstrafprozess und in mehreren Kantonen bestehenden Praxis Rechnung zu tragen, wonach die Prozesskosten, inbegriffen die den Pflichtverteidigern und Dolmetschern zugesprochene Entschädigung, zu Lasten des Verurteilten gehen.

5. In unserer Botschaft vom 1. März 1965 über die Genehmigung von acht Übereinkommen des Europarats haben wir hervorgehoben (BB1 1965,1, 439), dass die Ratifikation eines Übereinkommens nicht durch allzuviele Vorbehalte zu seinem Inhalt entwertet werden sollte. Die von uns vorgeschlagene Zahl von fünf Vorbehalten zur Europäischen Menschenrechtskonvention scheint uns nicht übermässig. Da die Schweiz dem Europarat erst 1963 beigetreten ist, konnte sie an der Ausarbeitung der Konvetion, des Zusatzprotokolls und des Protokolls Nr. 4 nicht teilnehmen. Sie
konnte daher ihren Standpunkt zu gewissen Bestimmungen, die ihr von vornherein schwerlich annehmbar gewesen wären, nicht vortragen 1). Zudem lassen sich ein Vertrag mit beschränkter Zielsetzung,wie z.B. das Europäische Auslieferungsübereinkommen, und die Menschenrechtskonvention mit ihrem kollektiven Rechtsschutzsystem für eine grosse Zahl von Menschenrechten und Grundfreiheiten nicht miteinander vergleichen. Schliesslich muss auch betont werden, dass einige der vorgesehenen Vorbehalte vorläufiger Art sind und in absehbarer Zukunft zurückgezogen werden sollten.

6. Was die anderen zwischen unserem Recht und der Konvention oder den Protokollen bestehenden Unstimmigkeiten betrifft, so halten wir es weder für notwendig noch wünschenswert, Vorbehalte anzubringen. Auf Bundesebene würde *) Z.B. betreffend den geheimen Charakter des Wahlrechts bei der Wahl der gesetzgebenden Behörde im Rahmen der Landsgemeinden.

1144 dieser Entscheid die Revision einiger Bundesgesetze erfordern, um unsere Gesetzgebung in Übereinstimmung mit der Konvention zu bringen. Wir denken hier insbesondere an die Änderung des Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934. Darin sollte das Beschwerderecht an ein Gericht (z.B. an die Anklagekammer des Bundesgerichts) im Ermittlungsverfahren der gerichtlichen Polizei eingeführt werden. Durch eine solche Revision würden übrigens die Bundesbehörden nur den am Verfahren von Artikel 100 ff. BStP angebrachten Kritiken Rechnung tragen, wonach die dem Angeschuldigten zustehenden Garantien ungenügend seien.

Andere Anpassungen sollten keine besonderen Schwierigkeiten bieten. So sieht die zur Zeit in Vorbereitung stehende Revision des Bundesgesetzes betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande die Einführung eines Rekursrechts an ein Gericht gegen Inhaftierungen im Zusammenhang mit einem Auslieferungsbegehren vor. Ferner führt die heutige Fassung des Entwurfs zur Abänderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege durch den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde die Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Beschwerde gegen Internierungsmassnahmen ein, welche die Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements in Anwendung des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer anordnet. Auch das vorgesehene Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht, das die zahlreichen straf- und strafprozessrechtlichen Bestimmungen im Bundesstrafverfahren und in Verwaltungsgesetzen zusammenfassen wird, soll dem Betroifenen gerichtliche Rekurswege öffnen und dadurch einen besseren Schutz bieten1).

Schliesslich würde auch die Durchführung der von den Vertragsstaaten gemäss Artikel 28, Buchstabe a der Konvention übernommenen Rechtshilfeverpflichtung die Annahme gewisser für die ganze Schweiz einheitlicher gesetzlicher Bestimmungen erfordern, wie wir dies in Kapitel II10 dieses Berichts erwähnt haben.

Diese Liste erhebt keinen Anspruch darauf, erschöpfend zu sein, da sie namentlich die allf ällig notwendigen Änderungen kantonaler Gesetze nicht berücksichtigt. Verschiedene Bestimmungen der Konvention sind sehr schwer auszulegen. Auch berührt die Konvention Bereiche, die der kantonalen Kompetenz überlassen sind. Es kann daher
hier nicht darum gehen, einen vollständigen Katalog der Unstimmigkeiten zwischen Bundes- und kantonalem Recht einerseits und Konvention und Protokollen andererseits aufzustellen. Die schweizerischen Gerichte werden die Konvention wie Bundesrecht anwenden. Ihnen obliegt es in erster Linie, sich über die Vereinbarkeit unserer Rechtsordnung mit der Konvention auszusprechen. Bei Feststellung einer Unvereinbarkeit würde die betreffende Vorschrift des Bundes- oder kantonalen Rechts hinfällig, denn internationale Verträge, die eine abweichende Regelung bringen, gehen in der Regel der internen 9 Siehe, was die hängigen Gesetzgebungsarbeiten im Bund betrifft, den Überblick von A. Riesen, Generalsekretär des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, in der Schweizerischen Juristen-Zeitung, 1968, S.209f.

1145 Gesetzgebung vor. Letzten Endes müsste die Kommission oder der Gerichtshof für Menschenrechte nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtszugs entscheiden, ob der ihr vorgelegte Sachverhalt eine Verletzung der der Schweiz durch die Konvention auferlegten Verpflichtungen bedeutet.

7. Ein schweizerischer Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention hätte auch praktische Folgen. Diese seien hier kurz dargestellt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte besteht nach Artikel 38 der Konvention aus ebensoviel Richtern, wie der Europarat Mitglieder zählt. Seit unserem Beitritt zum Europarat im Jahre 1963 ist Herr Antoine Favre, alt Bundesrichter und Professor an der Universität Freiburg, das schweizerische Mitglied des Gerichtshofs. Sein Mandat läuft 1972 ab.

Die Zahl der Mitglieder der Europäischen Menschenrechtskommission entspricht demgegenüber derjenigen der Vertragsstaaten der Konvention (Art. 20). Mit ihrem Beitritt hätte die Schweiz somit Anspruch darauf, einen Kandidaten schweizerischer Nationalität in die Kommission wählen zu lassen.

Das Ministerkomitee des Europarats spielt eine wichtige Rolle als Entscheidungsorgan nach Artikel 32 der Konvention. Es ist gleich zusammengesetzt und arbeitet grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie als Organ des Europarats1).

Die Schweiz ist im Ministerkomitee vertreten und nimmt schon heute, auch ohne der Konvention anzugehören, an der Wahrnehmung der in Artikel 32 umschriebenen Funktionen und Zuständigkeiten teil.

Ausserdem besteht ein Komitee von Regierungsexperten im Bereiche der Menschenrechte, das auf Grund eines Entscheides des Ministerkomitees des Europarats gegründet wurde. Die Schweiz ist darin zur Zeit durch eine Beamtin des Politischen Departements vertreten.

Schliesslich werden nach Artikel 58 der Konvention die Kosten der Kommission und des Gerichtshofes vom Europarat getragen und in dessen Budget eingeschlossen. Die Schweiz übernimmt damit schon heute einen Teil der anfallenden Kosten.

8. Unter abschliessender Würdigung aller in diesem Bericht aufgeführten Ermessenselemente kommt der Bundesrat zum Ergebnis, dass die Unterzeichnung und Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Protokolle - mit den oben erwähnten Vorbehalten und auslegenden Erklärungen - nicht mehr länger aufgeschoben werden sollte. Unser
Beitritt ist mit der Neutralität vereinbar. Er wäre ein Akt der Solidarität und die logische Folge unseres Beitritts zum Statut des Europarats. Gleichzeitig würden wir damit eine Form der europäischen Integration unterstützen, die wir immer befürwortet haben. Ein solcher Entscheid würde unseren Wunsch unterstreichen, an den internationalen Bestrebungen zum allgemeinen und wirksamen Schutz der Menschenrechte und *) Das Ministerkomitee hat eine Anzahl von Verfahrensregeln zur Ausführung von Art. 32 der Konvention erlassen. Vgl. Annuaire Nr. 8 (1965) S. 7-9. Diese Regeln wurden 1967 revidiert. Siehe auch Vasak, Convention, S. 197 ff.

1146 Grundfreiheiten teilzunehmen1). Er wäre auch Ausdruck unseres Willens, an der Entwicklung eines wichtigen Bereichs des Völkerrechts mitzuwirken; er würde sich somit in den Rahmen eines der Hauptziele unserer Aussenpolitik einreihen.

So gesehen würde unser Entscheid einen ersten Schritt darstellen, dem die Prüfung der Möglichkeit unseres Beitritts zu anderen die Menschenrechte berührenden Konventionen, vor allem der Europäischen Sozialcharta, folgen sollte2).

Vom Standpunkt der Schweiz aus gesehen würde sich unser Beitritt zur Konvention positiv auf die bestehende Rechtsordnung auswirken, insbesondere auf die Weiterentwicklung der Grundrechte3). Einzelne Kantone könnten die Gelegenheit benützen, in ihre Prozessordnungen oder gar in ihre Verfassung die in der Konvention aufgeführten, für einen Rechtsstaat unabdingbaren Garantien aufzunehmen.

Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Protokolle stehen den Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung offen. Wir beabsichtigen, diese Unterzeichnung vorzunehmen, wenn Sie die Schlussfolgerungen dieses Berichts genehmigen ; wir würden Ihnen danach eine Botschaft betreffend die Genehmigung der Konvention vorlegen.

Jeder Vertragsstaat kann gemäss Artikel 65 die Konvention nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Tage, an dem sie für ihn wirksam wird, kündigen. Daher kommen die Bestimmungen von Artikel 89, Absatz 4 der Bundesverfassung betreffend das fakultative Referendum bei internationalen Verträgen nicht zur Anwendung.

Wir beantragen Ihnen, von diesem Bericht in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen.

Wir beantragen Ihnen ebenfalls, das Postulat des Nationalrats (Nr.9398) abzuschreiben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 9.Dezember 1968.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : Spühler Der Bundeskanzler : Huber x

) «Die Schweiz darf nicht abseits stehen, wo an der Ausbreitung und Verwirklichung der Menschrechte auf völkerrechtlichem Boden gearbeitet wird» (Kägi, Die Menschenrechte und ihre Verwirklichung, S. 48).

2 ) Eine Unterzeichnung der internationalen Pakte der Vereinten Nationen betreffend die Menschrechte wird kaum in Frage kommen, bevor die Ergebnisse der im Rahmen des Europarats unternommenen Studie über die Probleme, die das gleichzeitige Bestehen der Pakte und der EuropäischenMenschrechtskonvention aufwirft, bekannt sind.

8 ) Siehe: Huber, Die Menschrechte in der Schweiz, S. 192.

1147

( Übersetzung)

Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

In Erwägung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am l O.Dezember 1948 verkündet wurde; in der Erwägung, dass diese Erklärung bezweckt, die allgemeine und wirksame Anerkennung und Einhaltung der darin erklärten Rechte zu gewährleisten ; in der Erwägung, dass das Ziel des Europarates die Herbeiführung einer grösseren Einigkeit unter seinen Mitgliedern ist und dass eines der Mittel zur Erreichung dieses Zieles in der Wahrung und in der Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten besteht ; unter erneuter Bekräftigung ihres tiefen Glaubens an diese Grundfreiheiten, welche die Grundlage der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bilden, und deren Aufrechterhaltung wesentlich auf einem wahrhaft demokratischen politischen Regime einerseits und auf einer gemeinsamen Auffassung und Achtung der Menschenrechte andererseits beruht, von denen sie sich herleiten; entschlossen, als Regierungen europäischer Staaten, die vom gleichen Geiste beseelt sind und ein gemeinsames Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaft des Gesetzes besitzen, die ersten Schritte auf dem Weg zu einer kollektiven Garantie gewisser in der Allgemeinen Erklärung verkündeter Rechte zu unternehmen; vereinbaren die unterzeichneten Regierungen, die Mitglieder des Europarates sind, folgendes :

Art. l Die Hohen Vertragschliessenden Teile sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.

Abschnitt I

Art. 2 l. Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

1148 2. Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt : a. um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen; b. um eine ordnungsgemässe Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäss festgehaltenen Person zu verhindern; c. um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.

Art. 3 Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Art. 4 1. Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.

2. Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.

3. Als «Zwangs- oder Pflichtarbeit» im Sinne dieses Artikels gilt nicht : a. jede Arbeit, die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 der vorliegenden Konvention vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt freigelassen worden ist ; b. jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige an Stelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung; c. jede Dienstleistung im Falle von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen ; d. jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört.

Art. 5 1. Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden : a. wenn er rechtmässig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird; b. wenn er rechtmässig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird wegen Nichtbefolgung eines rechtmässigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung; c. wenn er rechtmässig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, dass der Betreffende eine strafbare

1149 Handlung begangen hat, oder begründeter Anlass zur der Annahme besteht, dass es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern ; d. wenn es sich um die rechtmässige Haft eines Minderjährigen handelt, die zum Zwecke überwachter Erziehung angeordnet ist, oder um die rechtmässige Haft eines solchen, die zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Behörde verhängt ist; e. wenn er sich in rechtmässiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle findie Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist ; / wenn er rechtmässig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

2. Jeder Festgenommene muss in möglichst kurzer Frist und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden.

3. Jede nach der Vorschrift des Absatzes l c dieses Artikels festgenommene oder in Haft gehaltene Person muss unverzüglich einem Richter oder einem ändern, gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Er hat Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassimg während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.

4. Jedermann, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen wird, hat das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht raschmöglichst über die Rechtmässigkeit der Haft entschieden wird und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird.

5. Jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz.

Art. 6 l. Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während des gesamten Verfahrens oder eines Teiles desselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung

1150 die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.

2. Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

3. Jeder Angeklagte hat mindestens (englischer Text) insbesondere (französischer Text) die folgenden Rechte : a. in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden; b. über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen ; c. sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist ; d. Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken; e. die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn der Angeklagte die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.

Art.7 1. Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

2. Durch diesen Artikel darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.

Art. 8 1. Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Brief verkehrs.

2. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

1151 Art. 9 1. Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

2. Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Massnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.

Art. 10 1. Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schliesst nicht aus, dass die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.

2. Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer notwendig sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.

Art. 11 1. Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschliessen, einschliesslich des Rechts, zum Schütze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten.

2. Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Dieser Artikel verbietet nicht, dass die Ausübung dieser Rechte durch Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung gesetzlichen Einschränkungen unterworfen wird.

1152 Art. 12 Mit Erreichung des heiratsfähigen Alters haben Männer und Frauen gemäss den einschlägigen nationalen Gesetzen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.

Art. 13 Sind die in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten verletzt worden, so hat der Verletzte das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.

Art. 14 Der Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ist ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.

Art. 15 1. Im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht, kann jeder der Hohen Vertragschliessenden Teile Massnahmen ergreifen, welche von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, und unter der Bedingung abweichen, dass diese Massnahmen nicht in Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen.

2. Die vorstehende Bestimmung gestattet kein Ausserkraftsetzen des Artikels 2 ausser bei Todesfällen, die auf rechtmässige Kriegshandlungen zurückzuführen sind, oder der Artikel 3,4, Absatz l, und 7.

3. Jeder Hohe Vertragschliessende Teil, der dieses Recht der Ausserkraftsetzung ausübt, hat den Generalsekretär des Europarates eingehend über die getroffenen Massnahmen und deren Gründe zu unterrichten. Er muss den Generalsekretär desEuroparates auch über den Zeitpunkt in Kenntnis setzen,in dem diese Massnahmen ausser Kraft getreten sind und die Vorschriften der Konvention wieder volle Anwendung finden.

Art. 16 Keine der Bestimmungen der Artikel 10,11 und 14 darf so ausgelegt werden, dass sie den Hohen Vertragschliessenden Parteien verbietet, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen.

Art. 17 Keine Bestimmung dieser Konvention darf dahin ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in der

1153 vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in der Konvention vorgesehen, hinzielt.

Art. 18 Die nach der vorliegenden Konvention gestatteten Einschränkungen dieser Rechte und Freiheiten dürfen nicht für andere Zwecke als die vorgesehenen angewendet werden.

Abschnitt II

Art. 19 Um die Einhaltung der Verpflichtungen, welche die Hohen Vertragschliessenden Teile in dieser Konvention übernommen haben, sicherzustellen, werden errichtet : a. eine Europäische Kommission für Menschenrechte, im folgenden «Kommission » genannt ; b. ein Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, im folgenden « Gerichtshof» genannt.

Abschnitt III

Art. 20 Die Zahl der Mitglieder der Kommission entspricht derjenigen der Hohen Vertragschliessenden Teile. Der Kommission darf jeweils nur ein Angehöriger jedes einzelnen Staates angehören.

Art. 21 1. Die Mitglieder der Kommission werden vom Ministerkomitee mit absoluter Stimmenmehrheit nach einem vom Büro der Beratenden Versammlung aufgestellten Namensverzeichnis gewählt ; jede Gruppe von Vertretern der Hohen Vertragschliessenden Teile in der Beratenden Versammlung schlägt drei Kandidaten vor, von denen mindestens zwei die Staatsangehörigkeit des betreffenden Landes besitzen müssen.

2. Dasselbe Verfahren ist, soweit anwendbar, einzuschlagen, um die Kommission im Falle späteren Beitritts anderer Staaten zu ergänzen und um sonst freigewordene Sitze neu zu besetzen.

Art. 22 1. Die Mitglieder der Kommission werden für die Dauer von sechs Jahren gewählt. Sie können wiedergewählt werden. Jedoch läuft das Amt von sieben der bei der ersten Wahl gewählten Mitglieder nach Ablauf von drei Jahren ab.

2. Die Mitglieder, deren Amt nach Ablauf der ersten Amtsperiode von drei Jahren endet, werden vom Generalsekretär des Europarates unmittelbar nach der ersten Wahl durch das Los bestimmt.

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1154 3. Das Amt eines Mitgliedes der Kommission, das an Stelle eines anderen Mitgliedes, dessen Amt noch nicht abgelaufen war, gewählt worden ist, dauert bis zum Ende der Amtszeit seines Vorgängers.

4. Die Mitglieder der Kommission bleiben bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger im Amt. Danach bleiben sie in den Fällen tätig, mit denen sie bereits befasst waren.

Art. 23 Die Mitglieder der Kommission gehören der Kommission nur als Einzelpersonen an.

Art. 24 Jeder Vertragschliessende Teil kann durch Vermittlung des Generalsekretärs des Europarates die Kommission mit jeder angeblichen Verletzung der Bestimmungen der vorliegenden Konvention durch einen anderen Hohen Vertragschliessenden Teil befassen.

Art. 25 1. Die Kommission kann durch ein an den Generalsekretär des Europarates gerichtetes Gesuch jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personenvereinigung angegangen werden, die sich durch eine Verletzung der in dieser Konvention anerkannten Rechte durch einen der Hohen Vertragschliessenden Teile beschwert fühlt, vorausgesetzt, dass der betreffende Hohe Vertragschliessende Teil eine Erklärung abgegeben hat, wonach er die Zuständigkeit der Kommission zur Entgegennahme solcher Gesuche anerkannt hat. Die Hohen Vertragschliessenden Teile, die eine solche Erklärung abgegeben haben, verpflichten sich, die wirksame Ausübung dieses Rechts in keiner Weise zu behindern.

2. Diese Erklärungen können auchf ür einen bestimmten Zeitabschnitt abgegeben werden.

3. Sie sind dem Generalsekretär des Europarates zu übermitteln, der den Hohen Vertragschliessenden Teilen Abschriften davon zuleitet und für die Veröffentlichung der Erklärungen sorgt.

4. Die Kommission wird die ihr durch diesen Artikel übertragenen Befugnisse nur ausüben, wenn mindestens sechs Hohe Vertragschliessende Teile durch die in den vorstehenden Absätzen vorgesehenen Erklärungen gebunden sind.

Art. 26 Die Kommission kann sich mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtszuges in Überemstimmung mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts und innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Ergehen der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung befassen.

1155 Art. 27 1. Die Kommission befasst sich nicht mit einem gemäss Artikel 25 eingereichten Gesuch, wenn es a. anonym ist; b. mit einem schon vorher von der Kommission geprüften Gesuch übereinstimmt oder einer anderen internationalen Untersuchungs-oder Vergleichsinstanz unterbreitet worden ist, und wenn es keine neuen Tatsachen enthält.

2. Die Kommission erklärt jedes gemäss Artikel 25 unterbreitete Gesuch als unzulässig, wenn sie es für unvereinbar mit den Bestimmungen dieser Konvention, für offensichtlich unbegründet oder für einen Missbrauch des Beschwerderechts hält.

3. Die Kommission weist jedes Gesuch zurück, das sie gemäss Artikel 26 für unzulässig hält.

Art. 28 Falls die Kommission das Gesuch annimmt, a. hat sie zum Zweck der Tatsachenfeststellung mit den Vertretern der Parteien eine kontradiktorische Prüfung und, falls erforderlich, eine Untersuchung der Angelegenheit vorzunehmen; die betreffenden Staaten haben, nachdem ein Meinungsaustausch mit der Kommission stattgefunden hat, alle Erleichterungen, die zur wirksamen Durchführung der Untersuchung erforderlich sind, zu gewähren; b. hat sie sich zur Verfügung der beteiligten Parteien zu halten, damit eine gütliche Regelung der Angelegenheit auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechte, wie sie in dieser Konvention niedergelegt sind, erreicht werden kann.

Art. 29 1. Die Kommissionführt die in Artikel 28 bezeichneten Aufgaben durch eine Unterkommission aus, die aus sieben Mitgliedern der Kommission besteht.

2. Jede der beteiligten Parteien hat das Recht, ein Kommissionsmitglied ihrer Wahl in diese Unterkommission zu entsenden.

3. Die übrigen Mitglieder werden nach dem in der Geschäftsordnung der Kommission festgelegten Verfahren durch das Los bestimmt.

Art. 30 Gelingt es der Unterkommission, gemäss Artikel 28 eine gütliche Regelung zu erzielen, so hat sie einen Bericht anzufertigen, der den beteiligten Staaten, dem Ministerkomitee und dem Generalsekretär des Europarates zur Veröffentlichung zu übersenden ist. Der Bericht hat sich auf eine kurze Angabe des Sachverhalts und der erzielten Lösung zu beschränken.

Art. 31 l. Wird eine solche Lösung nicht herbeigeführt, so hat die Kommission einen Bericht über den Sachverhalt anzufertigen und zu der Frage Stellung zu nehmen, ob sich aus den festgestellten Tatsachen ergibt, dass der betreffende Staat seine

1156 Verpflichtungen aus der Konvention verletzt hat. In diesem Bericht können die Ansichten sämtlicher Mitglieder der Kommission über diesen Punkt aufgenommen werden.

2. Der Bericht ist dem Ministerkomitee vorzulegen; er ist auch den beteiligten Staaten vorzulegen, die nicht das Recht haben, ihn zu veröffentlichen.

3. Bei der Vorlage des Berichts an das Ministerkomitee hat die Kommission das Recht, von sich aus die ihr geeignet erscheinenden Vorschläge zu unterbreiten.

Art. 32 1. Wird die Frage nicht innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten, vom Datum der Vorlage des Berichts an das Ministerkomitee an gerechnet, gemäss Artikel 48 dieser Konvention, dem Gerichtshof vorgelegt, so entscheidet das Ministerkomitee mit Zweidrittelmehrheit der zur Teilnahme an den Sitzungen des Komitees berechtigten Mitglieder, ob die Konvention verletzt worden ist.

2. Wird eine Verletzung der Konvention bejaht, so hat das Ministerkomitee einen Zeitraum festzusetzen, innerhalb dessen der betreffende Hohe Vertragschliessende Teil die in der Entscheidung des Ministerkomitees vorgesehenen Massnahmen durchzuführen hat.

3. Trifft der betreffende Hohe Vertragschliessende Teil innerhalb des vorgeschriebenen Zeitraumes keine befriedigenden Massnahmen, so beschliesst das Ministerkomitee mit der in vorstehendem Absatz l vorgeschriebenen Mehrheit, auf welche Weise seine ursprüngliche Entscheidung durchgesetzt werden soll, und veröffentlicht den Bericht.

4. Die Hohen Vertragschliessenden Teile verpflichten sich, jede Entscheidung des Ministerkomitees, die in Anwendung der vorstehenden Absätze ergeht, für sich als bindend anzuerkennen.

Art. 33 Die Sitzungen der Kommission finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Art. 34 Die Kommission trifft ihre Entscheidungen mit Stimmenmehrheit der anwesenden und an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder; die Unterkommission trifft ihre Entscheidungen mit Stimmenmehrheit ihrer Mitglieder.

Art. 35 Die Kommission tritt zusammen, wenn die Umstände es erfordern. Die Sitzungen werden vom Generalsekretär des Europarates einberufen.

Art. 36 Die Kommission setzt ihre Geschäftsordnung selbst fest.

1157 Art. 37 Die Sekretariatsgeschäfte der Kommission werden vom Generalsekretär des Europarates wahrgenommen.

Abschnitt IV

Art. 38 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte besteht aus ebensoviel Richtern, wie der Europarat Mitglieder zählt. Dem Gerichtshof darf jeweils nur ein Angehöriger jedes einzelnen Staates angehören.

Art. 39 1. Die Mitglieder des Gerichtshofes werden von der Beratenden Versammlung mit Stimmenmehrheit aus einer Liste von Personen gewählt, die von den Mitgliedern des Europarates vorgeschlagen werden ; jedes Mitglied hat drei Kandidaten vorzuschlagen, von denen mindestens zwei eigene Staatsangehörige sein müssen.

2. Dasselbe Verfahren ist, soweit anwendbar, einzuschlagen, um den Gerichtshof im Falle der Zulassung neuer Mitglieder zum Europarat zu ergänzen und um freigewordene Sitze zu besetzen.

3. Die Kandidaten müssen das höchste sittliche Ansehen gemessen und müssen entweder die Befähigungfür die Ausübung hoherrichterlicher Ämter besitzen oder Rechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein.

Art. 40 1. Die Mitglieder des Gerichtshofes werden für einen Zeitraum von neun Jahren gewählt. Ihre Wiederwahl ist zulässig. Jedoch läuft die Amtszeit von vier bei der ersten Wahl gewählten Mitgliedern nach drei Jahren, die Amtszeit von weiteren vier Mitgliedern nach sechs Jahren ab.

2. Die Mitglieder, deren Amtszeit nach drei bzw. sechs Jahren ablaufen soll, werden unmittelbar nach der ersten Wahl vom Generalsekretär durch das Los bestimmt.

3. Ein Mitglied des Gerichtshofes, das zum Ersatz eines anderen Mitgliedes gewählt wird, dessen Amtszeit noch nicht abgelaufen war, bleibt bis zum Ablauf des Amts seines Vorgängers im Amt.

4. Die Mitglieder des Gerichtshofes bleiben bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger im Amt. Danach bleiben sie in den Fällen tätig, mit denen sie bereits befasst waren.

Art. 41 Der Gerichtshof wählt seinen Präsidenten und seinen Vizepräsidenten für einen Zeitraum von drei Jahren. Wiederwahl ist zulässig.

1158 Art. 42 Die Mitglieder des Gerichtshofes erhalten für jeden Arbeitstag eine Entschädigung, deren Höhe vom Ministerkomitee festgesetzt wird.

Art. 43 Die Prüfung jedes dem Gericht vorgelegten Falles erfolgt durch eine Kammer, die aus sieben Richtern besteht. Der Richter, der Staatsangehöriger einer beteiligten Partei ist, - oder, falls ein solcher nicht vorhanden ist, eine von diesem Staat benannte Person, die in der Eigenschaft eines Richters an den Sitzungen teilnimmt, - ist von Amtes wegen Mitglied der Kammer ; die Namen der anderen Richter werden vom Präsidenten vor Beginn des Verfahrens durch das Los bestimmt.

Art. 44 Das Recht, vor dem Gerichtshof aufzutreten, haben nur die Hohen Vertragschliessenden Teile und die Kommission.

Art. 45 Die Zuständigkeit des Gerichtshofes umfasst alle die Auslegung und Anwendung dieser Konvention betreffenden Fälle, die ihm nach Artikel 48 von den Hohen Vertragschliessenden Teilen oder der Kommission unterbreitet werden.

Art. 46 1. Jeder der Hohen Vertragschliessenden Teile kann jederzeit die Erklärung abgeben, dass er die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ohne weiteres und ohne besonderes Abkommen für alle Angelegenheiten, die sich auf die Auslegung und die Anwendung dieser Konvention beziehen, als obligatorisch anerkennt.

2. Die oben bezeichneten Erklärungen können bedingungslos oder unter der Bedingung der Gegenseitigkeit seitens mehrerer oder bestimmter anderer Vertragschliessender Teile, oder unter Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum abgegeben werden.

3. Diese Erklärungen sind beim Generalsekretär des Europarates zu hinterlegen; dieser übermittelt den Hohen Vertragschliessenden Teilen Abschriften davon.

Art. 47 Der Gerichtshof darf sich mit einem Fall nur befassen, nachdem die Kommission festgestellt hat, dass die Versuche zur Erzielung einer gütlichen Regelung fehlgeschlagen sind, und nur innerhalb der in Artikel 32 vorgesehenen Dreirnonatsfrist.

Art. 48 Das Recht, ein Verfahren bei dem Gerichtshof anhängig zu machen, haben nur die nachstehend angeführten Stellen, und zwar entweder unter der Voraussetzung, dass der in Frage kommende Hohe Vertragschliessende Teil, wenn nur

1159 einer beteiligt ist, oder die Hohen Vertragschliessenden Teile, wenn mehrere beteiligt sind, der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Gerichshofes unterworfen sind, oder aber, falls dies nicht zutrifft, unter der Voraussetzung, dass der in Frage kommende Hohe Vertragschliessende Teil oder die Hohen Vertragschliessenden Teile zustimmen : a. die Kommission; b. der Hohe Vertragschliessende Teil, dessen Staatsangehöriger der Verletzte ist; c. der Hohe Vertragschliessende Teil, der die Kommission mit dem Fall befasst hat; d. der Hohe Vertragschliessende Teil, gegen den sich die Beschwerde richtet.

Art. 49 Wird die Zuständigkeit des Gerichtshofes bestritten, so entscheidet dieser hierüber selbst.

Art. 50 Erklärt die Entscheidung des Gerichtshofes, dass eine Entscheidung oder Massnahme einer gerichtlichen oder sonstigen Behörde eines der Hohen Vertragschliessenden Teile ganz oder teilweise mit den Verpflichtungen aus dieser Konvention in Widerspruch steht, und gestatten die innerstaatlichen Gesetze des erwähnten Hohen Vertragschliessenden Teils nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folge dieser Entscheidung oder Massnahme, so hat die Entscheidung des Gerichtshofes der verletzten Partei gegebenenfalls eine gerechte Entschädigung zuzubilligen.

Art. 51 1. Das Urteil des Gerichtshofes ist zu begründen.

2. Bringt das Urteil im ganzen oder in einzelnen Teilen nicht die übereinstimmende Ansicht der Richter zum Ausdruck, so hat jeder Richter das Recht, eine Darlegung seiner eigenen Ansicht beizufügen.

Art. 52 Das Urteil des Gerichtshofes ist endgültig.

Art. 53 Die Hohen Vertragschliessenden Teile übernehmen die Verpflichtung, in allen Fällen, an denen sie beteiligt sind, sich nach der Entscheidung des Gerichtshofes zu richten.

Art. 54 Das Urteil des Gerichtshofes ist dem Ministerkomitee zuzuleiten; dieses überwacht seinen Vollzug.

1160 Art. 55 Der Gerichtshof gibt sich seine Geschäftsordnung und bestimmt die Verfahrensvorschriften.

Art. 56 1. Die erste Wahl der Mitglieder des Gerichtshofes findet statt, sobald insgesamt acht Erklärungen der Hohen Vertragschliessenden Teile gemäss Artikel 46 abgegeben worden sind.

2. Vor dieser Wahl kann kein Verfahren vor dem Gerichtshof anhängig gemacht werden.

Abschnitt V

Art. 57 Nach Empfang einer entsprechenden Aufforderung durch den Generalsekretär des Europarates hat jeder Hohe Vertragschliessende Teil die erforderlichen Erklärungen abzugeben, in welcher Weise sein internes Recht die wirksame Anwendung aller Bestimmungen dieser Konvention gewährleistet.

Art. 58 Die Kosten der Kommission und des Gerichtshofes werden vom Europarat getragen.

Art. 59 Die Mitglieder der Kommission und des Gerichtshofes gemessen bei der Ausübung ihres Amtes die in Artikel 40 der Satzung des Europarates und den auf Grund dieses Artikels abgeschlossenen Abkommen vorgesehenen Privilegien und Immunitäten.

Art. 60 Keine Bestimmung dieser Konvention darf als Beschränkung oder Minderung eines der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgelegt werden, die in den Gesetzen eines Hohen Vertragschliessenden Teils oder einer anderen Vereinbarung, an der er beteiligt ist, festgelegt sind.

Art. 61 Keine Bestimmung dieser Konvention beschränkt die durch die Satzung des Europarates dem Ministerkomitee übertragenen Volknachten.

Art. 62 Die Hohen Vertragschliessenden Teile kommen überein, dass sie, es sei denn auf Grund besonderer Vereinbarungen, keinen Gebrauch von zwischen ihnen geltenden Verträgen, Übereinkommen oder Erklärungen machen werden, um von sich aus einen Streit um die Auslegung oder Anwendung dieser Konvention einem anderen Verfahren zu unterwerfen, als in der Konvention vorgesehen ist.

1161 Art. 63 1. Jeder Staat kann im Zeitpunkt der Ratifizierung oder in der Folge zu jedem anderen Zeitpunkt durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Mitteilung erklären, dass diese Konvention auf alle oder einzelne Gebiete Anwendung findet, für deren internationale Beziehungen er verantwortlich ist.

2. Die Konvention findet auf das oder die in der Erklärung bezeichneten Gebiete vom dreissigsten Tage an Anwendung, gerechnet vom Eingang der Erklärung beim Generalsekretär des Europarates.

3. In den genannten Gebieten werden die Bestimmungen dieser Konvention unter Berücksichtigung der örtlichen Notwendigkeiten angewendet.

4. Jeder Staat, der eine Erklärung gemäss Absatz l dieses Artikels abgegeben hat, kann zu jedem späteren Zeitpunkt für ein oder mehrere der in einer solchen Erklärung bezeichneten Gebiete erklären, dass er die Zuständigkeit der Kommission für die Behandlung der Gesuche von natürlichen Personen, nichtstaatlichen Organisationen oder Personengruppen gemäss Artikel 25 dieser Konvention annimmt.

Art. 64 1. Jeder Staat kann bei Unterzeichnung dieser Konvention oder bei Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde bezüglich bestimmter Vorschriften der Konvention einen Vorbehalt machen, soweit ein zu dieser Zeit in seinem Gebiet geltendes Gesetz nicht mit der betreffenden Vorschrift übereinstimmt. Vorbehalte allgemeiner Art sind nach diesem Artikel nicht zulässig.

2. Jeder nach diesem Artikel gemachte Vorbehalt muss mit einer kurzen Inhaltsangabe des betreffenden Gesetzes verbunden sein.

Art. 65 1. Ein Hoher Vertragschliessender Teil kann diese Konvention nicht vor Ablauf von fünf Jahren nach dem Tage, an dem die Konvention für ihn wirksam wird, und nur nach einer sechs Monate vorher an den Generalsekretär des Europarates gerichteten Mitteilung kündigen; der Generalsekretär hat den anderen Hohen Vertragschliessenden Teilen von der Kündigung Kenntnis zu geben.

2. Eine derartige Kündigung bewirkt nicht, dass der betreffende Hohe Vertragschliessende Teil in bezug auf irgendeine Handlung, welche eine Verletzung dieser Verpflichtungen darstellen könnte, und von dem Hohen Vertragschliessenden Teil vor dem Datum seines rechtswirksamen Ausscheidens vorgenommen wurde, von seinen Verpflichtungen nach dieser Konvention befreit wird.

3. Unter dem gleichen Vorbehalt scheidet ein Vertragschliessender Teil aus dieser Konvention aus, der aus dem Europarat ausscheidet.

4. Entsprechend den Bestimmungen der vorstehenden Absätze kann die Konvention auch für ein Gebiet gekündigt werden, auf das sie nach Artikel 63 ausgedehnt worden ist.

1162 Art. 66 1. Diese Konvention steht den Mitgliedern des Europarates zur Unterzeichnung offen; sie bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden sind beim Generalsekretär des Europarates zu hinterlegen.

2. Diese Konvention tritt nach der Hinterlegung von zehn Ratifikationsurkunden in Kraft.

3. Für jeden Unterzeichnerstaat, dessen Ratifikation später erfolgt, tritt die Konvention am Tage der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde in Kraft.

4. Der Generalsekretär des Europarates hat allen Mitgliedern des Europarates das Inkrafttreten der Konvention, die Namen der Hohen Vertragschliessenden Teile, die sie ratifiziert haben, sowie die Hinterlegung jeder später eingehenden Ratifikationsurkunde mitzuteilen.

Geschehen zu Rom, am 4. November 1950, in englischer und französischer Sprache, wobei die beiden Texte in gleicher Weise authentisch sind, in einer einzigen Ausfertigung, die in den Archiven des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär wird allen Signatarstaaten beglaubigte Abschriften übermitteln.

(Es folgen die Unterschriften)

1163

(Übersetzung)

Erstes Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Entschlossen, Massnahmen zur kollektiven Sicherung gewisser Rechte und Freiheiten ausser denjenigen zu treffen, die bereits im Abschnitt Ideram 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (nachstehend als «Konvention» bezeichnet) berücksichtigt sind, vereinbaren die unterzeichneten Regierungen, die Mitglieder des Europates sind, folgendes : Art. l Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.

Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern, sonstiger Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.

Art. 2 Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.

Art. 3 Die Hohen Vertragschliessenden Teile verpflichten sich, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, die die freie Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleisten.

Art. 4 Jeder der Hohen Vertragschliessenden Teile kann im Zeitpunkt der Unterzeichnung oder Ratifikation oder in der Folge zu jedem anderen Zeitpunkt an den Generalsekretär des Europarates eine Erklärung darüber richten, in welchem

1164 Umfang er sich zur Anwendung der Bestimmungen dieses Protokolls auf die in dieser Erklärung angegebenen Gebiete, für deren internationale Beziehungen er verantwortlich ist, verpflichtet.

Jeder der Hohen Vertragschliessenden Teile, der eine Erklärung gemäss dem vorstehenden Absatz abgegeben hat, kann von Zeit zu Zeit eine weitere Erklärung abgeben, die den Inhalt einer früheren Erklärung ändert oder die Anwendung der Bestimmungen dieses Protokolls auf irgendeinem Gebiet beendet.

Eine im Einklang mit diesem Artikel abgegebene Erklärung gilt als eine gemäss Artikel 63 Abs. l der Konvention abgegebene Erklärung.

Art. 5 Die Hohen Vertragschliessenden Teile betrachten die Bestimmungen der Artikel 1,2,3 und 4 dieses Protokolls als Zusatzartikel zur Konvention ; alle Vorschriften der Konvention sind dementsprechend anzuwenden.

Art. 6 Dieses Protokoll steht den Mitgliedern des Europarates, die die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung offen ; es wird gleichzeitig mit der Konvention oder zu einem späteren Zeitpunkt ratifiziert. Es tritt nach der Hinterlegung von zehn Ratifikationsurkunden in Kraft. Für jeden Unterzeichnerstaat, dessen Ratifikation später erfolgt, tritt das Protokoll am Tage der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde in Kraft.

Die Ratifikationsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarates hinterlegt, der allen Mitgliedern die Namen der Staaten, die das Protokoll ratifiziert haben, mitteilt.

Geschehen zuParis.am 20. Märzl952,in englischer und französischer Sprache, wobei die beiden Texte in gleicher Weise authentisch sind, in einer einzigen Ausfertigung, die in den Archiven des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär wird allen Signatarstaaten beglaubigte Abschriften übermitteln.

(Es folgen die Unterschriften)

1J65

( Übersetzung)

Protokoll Nr. 2 zur Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Zuständigkeit zur Erstattung von Gutachten übertragen wird

Die Mitgliedsstaaten des Europarates, die dieses Protokoll unterzeichnen, im Hinblick auf die Bestimmungen der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im folgenden als «Konvention» bezeichnet), insbesondere auf ihren Artikel 19, durch den neben anderen Organen ein Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (im folgenden als « Gerichtshof» bezeichnet) errichtet wird, in der Erwägung, dass es angebracht ist, dem Gerichtshof die Zuständigkeit zu übertragen, unter bestimmten Bedingungen Gutachten zu erstatten, haben folgendes vereinbart :

Art. l 1. Der Gerichtshof kann auf Antrag des Ministerkomitees Gutachten über Rechtsfragen betreffend die Auslegung der Konvention und der dazugehörigen Protokolle erstatten.

2. Diese Gutachten dürfen keine Fragen zum Gegenstand haben, die sich auf den Inhalt oder das Ausmass der in Abschnitt I der Konvention und in den dazugehörigen Protokollen bezeichneten Rechte und Freiheiten beziehen, noch dürfen sie andere Fragen betreffen, über die die Kommission, der Gerichtshof oder das Ministerkomitee auf Grund eines nach der Konvention eingeleiteten Verfahrens zu entscheiden haben könnte.

3. Beschlüsse des Ministerkomitees, ein Gutachten beim Gerichtshof zu beantragen, bedürfen einer Zweidrittelmehrheit der zur Teilnahme an den Sitzungen des Komitees berechtigten Mitglieder.

Art. 2 Der Gerichtshof entscheidet, ob ein vom Ministerkomitee gestellter Antrag auf Erstattung eines Gutachtens unter seine in Artikel l bezeichnete Zuständigkeit fällt.

Art. 3 1. Anträge auf Erstattung eines Gutachtens werden vom Plenum des Gerichshofes behandelt.

2. Die Gutachten des Gerichtshofes sind zu begründen.

1166 3. Bringt das Gutachten im ganzen oder in einzelnen Teilen nicht die übereinstimmende Ansicht der Richter zum Ausdruck, so hat jeder Richter das Recht, eine Darstellung seiner eigenen Ansicht beizufügen.

4. Die Gutachten des Gerichtshofes werden dem Ministerkomitee übermittelt.

Art. 4 Der Gerichtshof kann in Erweiterung seiner in Artikel 55 der Konvention vorgesehenen Befugnis die Geschäftsordnungs- und Verfahrensbestimmungen festlegen, die er für die Zwecke dieses Protokolls für erforderlich hält.

Art. 5 1. Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedsstaaten des Europarates, die die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf; sie können Vertragsparteien des Protokolls werden, a. indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme unterzeichnen oder b. indem sie es unter dem Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme unterzeichnen und später ratifizieren oder annehmen.

Die Ratifikations- oder Annahmeurkunden sind beim Generalsekretär des Europarates zu hinterlegen.

2. Dieses Protokoll tritt in Kraft, sobald alle Vertragsstaaten der Konvention nach Absatz l dieses Artikels Vertragsparteien des Protokolls geworden sind.

3. Vom Tag des Inkrafttretens dieses Protokolls an gelten die Artikel l bis 4 als Bestandteil der Konvention.

4. Der Generalsekretär des Europarates notifiziert den Mitgliedsstaaten des Rates a. jede Unterzeichnung, die ohne Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme erfolgt, b. jede Unterzeichnung, die unter dem Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme erfolgt, c. die Hinterlegung jeder Ratifikations- oder Annahmeurkunde, d. den Zeitpunkt des nach Absatz 2 erfolgenden Inkrafttretens dieses Protokolls.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Strassburg, am 6. Mai 1963, in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär übermittelt allen Unterzeichnerstaaten beglaubigte Abschriften.

(Es folgen die Unterschriften)

1167

( Übersetzung)

Protokoll Nr. 3 zur Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das die Artikel 29, 30 und 34 der Konvention geändert werden

Die Mitgliedsstaaten des Europarates, die dieses Protokoll unterzeichnen, in der Erwägung, dass es angebracht ist, gewisse Bestimmungen der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im folgenden als «Konvention» bezeichnet), die das Verfahren der Europäischen Kommission für Menschenrechte betreffen, zu ändern, haben folgendes vereinbart: Art. l l.) Artikel 29 der Konvention wird gestrichen.

2.) In die Konvention wird folgende Bestimmung eingefügt : «Artikel 29 Die Kommission kann jedoch ein ihr gemäss Artikel 25 unterbreitetes Gesuch durch einstimmigen Beschluss auch nach der Annahme zurückweisen, wenn sie bei der Prüfung des Gesuchs feststellt, dass einer der in Artikel 27 bezeichneten Gründe für seine Unzulässigkeit vorliegt.

In diesem Fall wird die Entscheidung den Parteien mitgeteilt. » Art. 2

In Artikel 30 der Konvention wird das Wort «Unterkommission» durch das Wort «Kommission» ersetzt.

Art. 3 .

l.) Artikel 34 der Konvention beginnt wie folgt : «Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 29 trifft die Kommission...» 2.) Am Schluss desselben Artikels wird der Satz «die Unterkommission trifft ihre Entscheidungen mit Stimmenmehrheit ihrer Mitglieder » gestrichen.

Art. 4

l. Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedsstaaten des Europarates, welche die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf; sie können Vertragsparteien des Protokolls werden,

1168 a. indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme unterzeichnen oder b. indem sie es unter dem Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme unterzeichnen und später ratifizieren oder annehmen.

Die Ratifikations- oder Annahmeurkunden sind beim Generalsekretär des Europarates zu hinterlegen.

2. Dieses Protokoll tritt in Kraft, sobald alle Vertragsstaaten der Konvention nach Absatz l dieses Artikels Vertragsparteien des Protokolls geworden sind.

3. Der Generalsekretär des Europarates notifiziert den Mitgliedsstaaten des Rates a. jede Unterzeichnung, die ohne Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme erfolgt, b. jede Unterzeichnung, die unter dem Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme erfolgt, c. die Hinterlegung jeder Ratifikations- oder Annahmeurkunde, d. den Zeitpunkt des nach Absatz 2 erfolgenden Inkrafttretens dieses Protokolls.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Strassburg, am 6. Mai 1963, in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär übermittelt allen Unterzeichnerstaaten beglaubigte Abschriften.

(Es folgen die Unterschriften)

1169

(Übersetzung)

Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind

Die unterzeichneten Regierungen, die Mitglieder des Europarates sind, entschlossen, Massnahmen zur kollektiven Gewährleistung gewisser Rechte und Freiheiten zu treffen, die in Abschnitt I der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im folgenden als «Konvention» bezeichnet) und in den Artikeln l bis 3 des am 20. März 1952 in Paris unterzeichneten ersten Zusatzprotokolls zur Konvention noch nicht enthalten sind, haben folgendes vereinbart : Art. l Niemandem darf die Freiheit allein deshalb entzogen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.

Art. 2 1. Jedermann, der sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.

2. Jedermann steht es frei, jedes Land, einschliesslich seines eigenen, zu verlassen.

3. Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Verhütung von Straftaten, des Schutzes der Gesundheit oder der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

4. Die in Absatz l anerkannten Rechte können ferner für den Bereich bestimmter Gebiete Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sind.

Art. 3 l. Niemand darf aus dem Hoheitsgebiet des Staates, dessen Staatsangehöriger er ist, durch eine Einzel- oder eine Kollektivmassnahme ausgewiesen werden.

Bundesblau, 120. Jahrg. Bd. n

70

1170 2. Niemandem darf das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Staatsangehöriger er ist.

Art. 4 Kollektivausweisungen von Fremden sind nicht zulässig.

Art. 5 1. Jede Hohe Vertragspartei kann im Zeitpunkt der Unterzeichnung oder Ratifikation dieses Protokolls oder zu jedem späteren Zeitpunkt an den Generalsekretär des Europarates eine Erklärung darüber richten, in welchem Umfang sie sich zur Anwendung der Bestimmungen dieses Protokolls auf die in der Erklärung angegebenen Hoheitsgebiete, für deren internationale Beziehungen sie verantwortlich ist, verpflichtet.

2. Jede Hohe Vertragspartei, die eine Erklärung gemäss Absatz l abgegeben hat, kann jederzeit eine weitere Erklärung abgeben, die den Inhalt einer früheren Erklärung ändert oder die Anwendung der Bestimmungen dieses Protokolls auf irgendein Hoheitsgebiet beendet.

3. Eine gemäss diesem Artikel abgegebene Erklärung gilt als eine Erklärung im Sinne des Artikels 63, Absatz l der Konvention.

4. Das Hoheitsgebiet eines Staates, auf das dieses Protokoll auf Grund der Ratifikation oder Annahme durch diesen Staat Anwendung rindet, und jedes Hoheitsgebiet, auf das das Protokoll auf Grund einer von diesem Staat nach diesem Artikel abgegebenen Erklärung Anwendung findet, werden als getrennte Hoheitsgebiete betrachtet, soweit die Artikel 2 und 3 auf das Hoheitsgebiet eines Staates Bezug nehmen.

Art. 6 1. Die Hohen Vertragsparteien betrachten die Artikel l bis 5 dieses Protokolls als Zusatzartikel zur Konvention; alle Bestimmungen der Konvention sind dementsprechend anzuwenden.

2. Jedoch wird das durch eine Erklärung gemäss Artikel 25 der Konvention anerkannte Recht, eine Individualbeschwerde zu erheben, oder die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes durch eine Erklärung gemäss Artikel 46 der Konvention hinsichtlich der Bestimmungen dieses Protokolls nur insoweit wirksam, als die betreffende Hohe Vertragspartei erklärt hat, dass sie dieses Recht oder diese Gerichtsbarkeit für die Artikel l bis 4 des Protokolls oder für einzelne dieser Artikel anerkennt.

Art. 7 l. Dieses Protokoll liegt für die Mitglieder des Europarates, die Unterzeichnerstaaten der Konvention sind, zur Unterzeichnung auf; es wird gleichzeitig mit der Konvention oder zu einem späteren Zeitpunkt ratifiziert. Es tritt nach Hinterlegung von fünf Ratifikationsurkunden in Kraft. Für jeden Unterzeichner, der

1171 das Protokoll später ratifiziert, tritt es mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Kraft.

2. Die Ratifikationsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarates hinterlegt, der allen Mitgliedern die Namen derjenigen Staaten, die das Protokoll ratifiziert haben, notifiziert.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Strassburg,am le.September 1963,in englischer undfranzösischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär Übermittelt allen Unterzeichnerstaaten beglaubigte Abschriften.

(Es folgen die Unterschriften)

1172

(Übersetzung)

Protokoll Nr. 5 zur Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das die Artikel 22 und 40 der Konvention geändert werden Die unterzeichneten Regierungen, die Mitglieder des Europarates sind, in der Erwägung, dass die Anwendung der Artikel 22 und 40 der am4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im folgenden als «Konvention» bezeichnet) Anlass zu gewissen Schwierigkeiten bezüglich der Amtsdauer der Mitglieder der Europäischen Kommission für Menschenrechte (im folgenden als «Kommission» bezeichnet) und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im folgenden als «Gerichtshof» bezeichnet) gegeben hat; in der Erwägung, dass es wünschensweit ist, soweit wie möglich sicherzustellen, dass die Hälfte der Mitglieder der Kommission und ein Drittel der Mitglieder des Gerichtshofes alle drei Jahre neu gewählt werden ; in der Erwägung, dass es daher angebracht ist, gewisse Bestimmungen der Konvention zu ändern, haben folgendes vereinbart: Art. l In Artikel 22 der Konvention werden nach Absatz 2 die beiden folgenden Absätze eingefügt: «3. Um soweit wie möglich sicherzustellen, dass die Hälfte der Mitglieder der Kommission alle drei Jahre neu gewählt wird, kann das Ministerkomitee vor jeder späteren Wahl beschliessen, dass die Amtsdauer eines oder mehrerer der zu wählenden Mitglieder nicht sechs Jahre betragen soll, wobei diese Amtsdauer jedoch weder länger als neun, noch kürzer als drei Jahre sein darf.

4. Sind mehrere Ämter zu besetzen und wendet das Ministerkomitee den Absatz 3 an, so wird die Zuteilung der Amtsdauer vom Generalsekretär des Europarates unmittelbar nach der Wahl durch das Los bestimmt. » Art. 2 In Artikel 22 der Konvention werden aus den früheren Absätzen 3 und 4 die Absätze 5 und 6.

Art. 3 In Artikel 40 der Konvention werden nach Absatz 2 die beiden folgenden Absätze eingefügt:

1173 «3. Um soweit wie möglich sicherzustellen, dass ein Drittel der Mitglieder des Gerichtshofes alle drei Jahre neu gewählt wird, kann die Beratende Versammlung vor jeder späteren Wahl beschliessen, dass die Amtsdauer eines oder mehrerer der zu wählenden Mitglieder nicht neun Jahre betragen soll, wobei diese Amtsdauer jedoch weder länger als zwölf, noch kürzer als sechs Jahre sein darf.

4. Sind mehrere Ämter zu besetzen und wendet die Beratende Versammlung den Absatz 3 an, so wird die Zuteilung der Amtsdauer vom Generalsekretär des Europarates unmittelbar nach der Wahl durch das Los bestimmt. »

Art. 4 In Artikel 40 der Konvention werden aus den früheren Absätzen 3 und 4 die Absätze 5 und 6.

Art. 5 1. Dieses Protokoll liegt für die Mitglieder des Europarates, welche die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf; sie können Vertragsparteien des Protokolls werden, a. indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme unterzeichnen oder b. indem sie es unter dem Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme unterzeichnen und später ratifizieren oder annehmen.

Die Ratifikations- oder Annahmeurkunden sind beim Generalsekretär des Europarates zu hinterlegen.

2. Dieses Protokoll tritt in Kraft, sobald alle Vertragsparteien der Konvention nach Absatz l dieses Artikels Vertragsparteien des Protokolls geworden sind.

3. Der Generalsekretär des Europarates notifiziert den Mitgliedern des Rates a. jede Unterzeichnung, die ohne Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme erfolgt, b. jede Unterzeichnung, die unter dem Vorbehalt der Ratifikation oder Annahme erfolgt, c. die Hinterlegung j eder Ratifikations- oder Annahmeurkunde, d. den Zeitpunkt des nach Absatz 2 erfolgenden Inkrafttretens dieses Protokolls.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Strassburg, am 20. Januar 1966, in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär übermittelt allen unterzeichneten Regierungen beglaubigte Abschriften.

0408

(Es folgen die Unterschriften)

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