16.457 Parlamentarische Initiative Verschiedene Änderungen des Parlamentsrechts Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 18. August 2017

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen Entwürfe zu einer Änderung des Parlamentsgesetzes, der Parlamentsverwaltungsverordnung und des Geschäftsreglements des Nationalrates. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, den beiliegenden Entwürfen zuzustimmen.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, folgende parlamentarische Initiativen abzuschreiben: ­

14.472 Pa.Iv. Streiff. Mehr Transparenz bei der Offenlegung der Interessenbindungen von Ratsmitgliedern;

­

15.425 Pa.Iv. IK-NR. Immunität. Behandlung der Gesuche durch die Präsidenten beider Kommissionen;

­

15.437 Pa.Iv. Keller. Register der Interessenbindungen: Unterscheidung von ehrenamtlichen und bezahlten Tätigkeiten;

­

15.442 Pa.Iv. Heer. Auskunftspflicht über die Reisetätigkeit von Mitgliedern der Bundesversammlung;

­

15.496 Pa.Iv. Nussbaumer. Zugang zum Extranet der Bundesversammlung für persönliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ratsmitgliedern;

­

16.436 Pa.Iv. Vogt. Überregulierung stoppen! Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielraum für die Privaten und die Unternehmen bewahren;

­

16.440 Pa.Iv. Vogt. Überregulierung stoppen! Die Internationalisierung des Rechts, die Übernahme von EU-Recht und den Hang zum Swiss Finish bremsen.

18. August 2017

Im Namen der Kommission Der Präsident: Heinz Brand

2017-2310

6797

Übersicht Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates unterbreitet mit dieser Vorlage zahlreiche Änderungen des Parlamentsgesetzes (ParlG), der Parlamentsverwaltungsverordnung (ParlVV) und des Geschäftsreglements des Nationalrates (GRN). Zum grösseren Teil handelt es sich um kleine Änderungen, um die Schliessung von Gesetzeslücken und um Präzisierungen des Parlamentsrechts, dessen Anwendung in der Praxis gelegentlich zu Unsicherheiten Anlass gegeben hat.

Von grösserer Bedeutung sind die Diskussionen über drei Aspekte des Parlamentsrechts: ­

Die Offenlegungspflichten der Ratsmitglieder (Art. 11 ParlG) sollen erweitert werden. Die heutigen Vorschriften über die Angabe der beruflichen Tätigkeiten haben zur Folge, dass die durch diese Tätigkeiten entstehenden Interessenbindungen in vielen Fällen verborgen bleiben. Neu sollen daher auch die Arbeitgeber angegeben werden müssen.

­

Wichtige Kommissionsunterlagen sollen vermehrt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (Art. 47a ParlG, Art. 8 ParlVV). Die Kommissionen sollen insbesondere auch systematisch prüfen, ob eine Unterlage für das Verständnis ihrer Anträge an den Rat wesentlich ist. In diesem Fall besteht ein Anspruch der Öffentlichkeit auf Information. Die heute festzustellenden Unsicherheiten im Umgang mit Kommissionsunterlagen sollen behoben werden, indem diese grundsätzlich klassifiziert werden, aber unter gewissen Voraussetzungen entklassifiziert werden können ­ mit Ausnahme der Protokolle der Kommissionssitzungen. An deren Vertraulichkeit soll in jedem Fall festgehalten werden. Im anderen Fall würden die Kommissionen entscheidend an Bedeutung verlieren. Bundesrat und Verwaltung würden den Kommissionen wichtige Informationen nicht mehr zukommen lassen. Die Vorbereitung der Parlamentsbeschlüsse würde in informelle, nicht repräsentativ zusammengesetzte und nicht nach demokratischen Regeln funktionierende Gremien ausgelagert.

­

Die Protokolle und weiteren Unterlagen der Kommissionen sollen den Ratsmitgliedern und ihren persönlichen Mitarbeitenden in erheblich erweitertem Ausmass auf dem geschützten Informationssystem des Extranet elektronisch zugänglich gemacht werden. Damit wird die Arbeit der Ratsmitglieder erleichtert und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Parlament mit weniger Papier gemacht.

6798

BBl 2017

Inhaltsverzeichnis Übersicht

6798

1

Entstehungsgeschichte 1.1 Entwicklung des Parlamentsrechts 1.2 Hängige Probleme 1.3 Ausarbeitung der Vorlage 1.4 Empfehlungen der GRECO

6800 6800 6800 6802 6803

2

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 2.1 Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002 2.2 Parlamentsverwaltungsverordnung vom 3. Oktober 2003 2.3 Geschäftsreglement des Nationalrates vom 3. Oktober 2003

6804 6804 6831 6842

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

6844

4

Rechtliche Grundlagen

6845

A Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) (Entwurf)

6847

B Verordnung der Bundesversammlung zum Parlamentsgesetz und über die Parlamentsverwaltung (Parlamentsverwaltungsverordnung, ParlVV) (Entwurf)

6855

C Geschäftsreglement des Nationalrates (GRN) (Entwurf)

6861

6799

BBl 2017

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Entwicklung des Parlamentsrechts

Das Parlamentsrecht hat seit Gründung des Bundesstaates bis in die Mitte der 1960er-Jahre nur wenige und kleinere Änderungen erfahren. Seit ca. 50 Jahren ist aber ein hoher Revisionsrhythmus festzustellen, seinerzeit ausgelöst durch die «Mirage»-Affäre. Auch die umfassende Neukodifizierung des Parlamentsrechts mit dem am 1. Dezember 2003 in Kraft getretenen Parlamentsgesetz (ParlG) hat daran nichts geändert. Dieses ist seither in vierzehn Jahren bereits einundzwanzig Mal geändert worden. Wie kann dieser hohe Revisionsrhythmus erklärt werden?

«Eine Erklärung dieses Rhythmus findet sich in der intensiver werdenden politischen Auseinandersetzung in einem Parlament, das einerseits immer einflussreicher geworden ist und das andererseits nicht mehr mit konstanten Blöcken, sondern mit von Thema zu Thema wechselnden Mehrheiten entscheidet [...]. Alle Akteure sind mehr oder weniger häufig in der Mehrheit oder Minderheit und häufig auch in der Ungewissheit, ob sie am Ende eines Entscheidungsprozesses dem siegenden oder unterliegenden Lager angehören. Dabei steht häufig viel auf dem Spiel. Bis in die 1960er-Jahre konnte sich der BR, aber auch eine klare bürgerliche Mehrheit im Parlament i.d.R.

durchsetzen und brauchte dafür weniger präzise Zuständigkeits- und Verfahrensregeln. Dieses souveräne Machtbewusstsein und das damit verbundene grosszügige «laissez faire» sind heute weitgehend verschwunden. Vielmehr haben alle Akteure ein grosses Interesse daran, dass ihre eigenen Rechte und die Rechte ihrer jeweiligen Gegner, sowohl in den Beziehungen innerhalb des Parlaments als auch zwischen der BVers, ihren Organen und Mitgliedern einerseits und dem BR andererseits, möglichst transparent und präzise definiert sind.» (von Wyss Moritz, Kommentar zu Art. 1, N 16, in: Graf/Theler/ von Wyss, Kommentar zum Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002, Basel 2014).

Mit Bericht vom 29. August 2011 hat die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-SR) eine «Sammelvorlage» mit Antworten auf verschiedene neu aufgetretene Fragen unterbreitet (10.440 s Pa.Iv. SPK-SR. Verbesserungen der Organisation und der Verfahren des Parlamentes; BBl 2011 6793).

1.2

Hängige Probleme

Seit der Verabschiedung der letzten Sammelvorlage für verschiedene Änderungen des Parlamentsrechts (21. Juni 2013; AS 2013 3687) haben sich erneut mehrere Probleme ergeben, die einer Lösung bedürfen: ­

6800

Die von Artikel 11 ParlG verlangte Offenlegung der Interessenbindungen der Ratsmitglieder genügt den heutigen Anforderungen an die Transparenz

BBl 2017

der politischen Tätigkeiten nicht mehr vollumfänglich. Die SPK des Nationalrates (SPK-NR) hat daher zwei parlamentarischen Initiativen (pa. Iv.), welche diese Transparenz verstärken wollen, Folge gegeben. Die SPK-SR hat diesen Beschlüssen zugestimmt1. Weiter gehende Forderungen wurden vom Nationalrat abgelehnt2.

­

Die SPK-SR hat einer pa. Iv. Folge gegeben, welche die Unklarheiten betreffend die Vertraulichkeit von Kommissionsunterlagen beseitigen will; die SPK-NR hat diesem Beschluss zugestimmt3.

­

Die Immunitätskommission des Nationalrates will die Zuständigkeiten bei der Behandlung offensichtlich unhaltbarer Gesuche für die Aufhebung der Immunität ändern; beide SPK haben das Anliegen positiv aufgenommen4.

­

Das Kommissionssekretariat hat den SPK eine Liste weiterer Fragen unterbreitet, die sich aufgrund von Beobachtungen der zuständigen Dienststellen der Parlamentsdienste in den letzten Jahren in der Praxis gestellt haben (Wiederholung von Abstimmungen, Auswirkungen einer Ablehnung der Dringlicherklärung eines Bundesgesetzes auf die Inkrafttretensbestimmung; Zeitpunkt der Schlussabstimmung; Verbindung der Beschlussfassungen über die Teilungültigkeit einer Volksinitiative einerseits und über die Abstimmungsempfehlung andererseits). Die beiden SPK haben dem Sekretariat den Auftrag erteilt, diese Fragen zu prüfen und Lösungsvorschläge auszuarbeiten; gegebenenfalls können diese Themen auch noch ergänzt werden.

Die SPK beider Räte haben an ihren Sitzungen vom 25. August bzw. 1. September 2016 das Vorgehen für die Bearbeitung dieser Themen festgelegt. Sie haben beschlossen, eine Sammelvorlage auszuarbeiten, welche die verschiedenen Vorschläge zusammenfasst. Die Federführung obliegt der SPK-NR, auch wenn eine pa. Iv., deren Anliegen erfüllt werden soll, im Ständerat eingereicht wurde.

Bereits im Spätsommer 2016 wurde ins Auge gefasst, dass diese Vorlage mit weiteren Vorschlägen ergänzt werden kann, wenn in der Zwischenzeit weiteren pa. Iv. in diesem Themenbereich Folge gegeben wird. Das ist in der Folge auch geschehen:

1

2

3 4

14.472 n Pa.Iv. Streiff. Mehr Transparenz bei der Offenlegung der Interessenbindungen von Ratsmitgliedern; 15.437 n Pa.Iv. Keller. Register der Interessenbindungen: Unterscheidung von ehrenamtlichen und bezahlten Tätigkeiten.

15.441 n Pa.Iv. Keller. Offenlegungspflicht für Einkünfte aus Tätigkeiten, die unter die Offenlegungspflicht (Interessenbindungen) fallen; 15.446 n Pa.Iv. Keller. Freiwillige Deklaration ehrenamtlicher und bezahlter Tätigkeiten, die unter die Offenlegungspflicht (Interessenbindungen) fallen; 15.449 n Pa.Iv. Fraktion S. Transparenz der Einkünfte und Interessenbindungen der Parlamentsmitglieder; 15.452 n Pa.Iv. Masshardt. Mehr Transparenz: Regelung bei Spenden; 15.453 n Pa.Iv. Masshardt. Mehr Transparenz. Regelung für Informationsreisen; 15.463 n Pa.Iv. Fraktion G. Parlamentarische Interessenbindungen mit Angabe der finanziellen Entschädigung ergänzen; 15.467 n Pa.Iv. Bertschy. Ausstandspflicht von Ratsmitgliedern mit direkten finanziellen Eigeninteressen in Kommissionssitzungen.

15.444 s Pa.Iv. Minder. Parlamentarische Kommissionen. Öffentlichkeit der sekundären Unterlagen.

15.425 n Pa.Iv. IK-NR. Immunität. Behandlung der Gesuche durch die Präsidenten beider Kommissionen.

6801

BBl 2017

­

Die SPK-NR und der Nationalrat sowie in der Differenzbereinigung auch die SPK-SR haben einer pa.Iv. Folge gegeben, welche die Informationen über die Auslandreisen von Mitgliedern der Bundesversammlung im Rahmen eines Mandates eines Parlamentsorgans öffentlich zugänglich machen will5.

­

Das Büro des Nationalrates hat einer pa. Iv. Folge gegeben, welche den persönlichen Mitarbeitenden der Ratsmitglieder einen beschränkten Zugang zum Extranet und damit zu nicht öffentlichen Kommissionsunterlagen verschaffen will. Nachdem das Büro des Ständerates zugestimmt hat, hat das Büro des Nationalrates die pa. Iv. zur Umsetzung der SPK-NR zugewiesen6.

­

Beide SPK haben pa. Iv. Folge gegeben, welche den Katalog der Fragen, die durch Botschaften des Bundesrates beantwortet werden sollen, erweitern wollen7.

Im Übrigen sind zurzeit auch noch weitere parlamentarische Initiativen im Bereich des Parlamentsrechts hängig, welche mit separaten Vorlagen umgesetzt werden sollen. Diese Vorschläge sind möglicherweise stark umstritten, so dass ihre Integration in eine Sammelvorlage das Risiko des Scheiterns der ganzen Vorlage wegen einer umstrittenen Bestimmung mit sich bringen könnte. Die SPK-SR ist federführend für zwei Projekte: die Neuregelung der Transparenz über die Tätigkeit der Lobbyisten8 sowie die Klärung der Zuständigkeiten für die Kündigung von Staatsverträgen9. Die SPK-NR wird Vorschläge für ein Verordnungsveto10 sowie für eine Änderung des Verfahrens der Legislaturplanung11 ausarbeiten.

1.3

Ausarbeitung der Vorlage

Das Sekretariat der SPK hat unter Einbezug der von einzelnen Bestimmungen betroffenen Dienststellen der Parlamentsdienste und der allgemeinen Bundesverwaltung einen Vorentwurf ausgearbeitet, welchen die SPK an ihren drei Sitzungen vom 27. April, 29. Juni und 17./18. August 2017 beraten hat. Die Kommission hat das 5 6 7

8

9 10 11

15.442 Pa.Iv. Heer. Auskunftspflicht über die Reisetätigkeit von Mitgliedern der Bundesversammlung.

15.496 n Pa.Iv. Nussbaumer. Zugang zum Extranet der Bundesversammlung für persönliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ratsmitgliedern.

16.436 n Pa.Iv. Vogt. Überregulierung stoppen! Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielraum für die Privaten und die Unternehmen bewahren; 16.440 n Pa.Iv. Vogt. Überregulierung stoppen! Die Internationalisierung des Rechts, die Übernahme von EU-Recht und den Hang zum Swiss Finish bremsen; 16.446 s Pa.Iv. Caroni. Mehr Föderalismus in den bundesrätlichen Botschaften.

15.438 s Pa.Iv. Berberat. Eine Regelung für transparentes Lobbying im eidgenössischen Parlament; 15.433 n Pa.Iv. (Caroni) Moret. Transparenz über die Mandate von Lobbyisten im Bundeshaus.

16.456 s Pa.Iv. SPK-SR. Kündigung und Änderung von Staatsverträgen. Verteilung der Zuständigkeiten.

14.422 n Pa.Iv. Aeschi Thomas. Einführung des Verordnungsvetos.

16.402 n Pa.Iv. Fraktion RL. Legislaturplanung. Vermeidung unnötiger Kosten im Parlamentsbetrieb; 16.425 n Pa.Iv. Kommission 16.016-NR. Legislaturplanung. Verfahrensänderung ; 16.426 n Pa.Iv. Kommission 16.016-NR. Erwähnung von im Parlament hängigen Vorlagen in der Legislaturplanung.

6802

BBl 2017

Resultat ihrer Beratungen am 18. August 2017 mit 16 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung zuhanden des Rates verabschiedet.

Gemäss Artikel 3a des Vernehmlassungsgesetzes kann auf die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens verzichtet werden, wenn «das Vorhaben vorwiegend die Organisation oder das Verfahren von Bundesbehörden betrifft». Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall gegeben.

1.4

Empfehlungen der GRECO

Während der Ausarbeitung dieser Vorlage hatte die Kommission Gelegenheit, von dem am 15. März 2017 veröffentlichten «Evaluationsbericht Schweiz» der GRECO (Staatengruppe des Europarates gegen Korruption) Kenntnis zu nehmen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hat diesen Bericht dem Präsidenten des Nationalrates übermittelt, welcher drei Empfehlungen zur näheren Prüfung an die SPK weitergeleitet hat. Die GRECO empfiehlt: 1.

«eine Erhöhung der Transparenz für die Beratungen und Abstimmungen der Kommissionen beider Räte sowie die Abstimmungen im Ständerat zu prüfen» (Empfehlung i.);

2.

«die Meldepflicht bei persönlichen Interessen auf jeden Konflikt zwischen privaten Interessen eines Ratsmitglieds und dem Beratungsgegenstand im parlamentarischen Verfahren auszuweiten ­ dies sowohl in den Räten als auch den Kommissionen ­ unabhängig davon, ob dieser Konflikt durch Konsultation des Interessenbindungsregisters eruierbar wäre» (Empfehlung iii.);

3.

«quantitative Angaben zu den finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der Ratsmitglieder sowie Auskünfte über die wichtigsten Verbindlichkeiten ins bestehende Meldesystem aufzunehmen; einen Ausbau der Meldepflicht zu erwägen, damit auch Informationen über den Ehepartner und abhängige Familienangehörige erfasst werden (wobei diese Informationen nicht zwingend zu veröffentlichen wären)» (Empfehlung iv.).

Die Kommission hat sich diese Empfehlungen durch einen Vertreter des EJPD in der GRECO erläutern lassen und hat dazu eine Aussprache geführt. Die Themen der drei Empfehlungen sind ebenfalls Gegenstand dieser Vorlage. Die Kommission ist bei ihren Beratungen zu folgenden Schlussfolgerungen gelangt: ad 1.: Die Kommission hat die «Transparenz» der Kommissionsarbeiten intensiv geprüft und schlägt vor, in stärkerem Mass als bisher Kommissionsunterlagen zu veröffentlichen (siehe die Erläuterungen zu Art. 47a ParlG und zu Art. 8 ParlVV unter Ziff. 2 dieses Berichtes). An der Vertraulichkeit der Protokolle der Kommissionssitzungen soll jedoch in jedem Fall festgehalten werden. Im anderen Fall würden die Kommissionen entscheidend an Bedeutung verlieren. Bundesrat und Verwaltung würden den Kommissionen wichtige Informationen nicht mehr zukommen lassen.

Die Vorbereitung der Parlamentsbeschlüsse würde in informelle, nicht repräsentativ zusammengesetzte und nicht nach demokratischen Regeln funktionierende Gremien

6803

BBl 2017

ausgelagert. Die Überprüfung der Transparenz der Abstimmungen im Ständerat fällt in die Zuständigkeit der ständerätlichen Schwesterkommission.

ad 2.: Die Kommission hat eine «Ausweitung der Meldepflicht bei persönlichen Interessen» im Rahmen der Beratung von Artikel 11 ParlG diskutiert (siehe die Erläuterungen unter Ziff. 2 dieses Berichtes). Artikel 11 Absatz 3 ParlG verlangt bereits heute die Offenlegung jedes unmittelbaren persönlichen Interesses bei Wortmeldungen von Ratsmitgliedern und erfüllt damit die Empfehlung der GRECO vollumfänglich, da nach Auffassung der Kommission die Offenlegungspflicht nach Artikel 11 Absatz 3 ParlG unabhängig davon besteht, ob der konkrete Konflikt zwischen spezifischen privaten Interessen und dem Beratungsgegenstand auch aus dem öffentlichen Register gemäss Absatz 2 erschliessbar wäre. Die Umsetzung in der Praxis liegt in der Selbstverantwortung der Ratsmitglieder. Die Kommission legt Wert auf eine klare und damit eng gefasste Definition der persönlichen Interessen; Unklarheiten können in der Praxis zu Unsicherheiten bei der Auslegung führen, was der Akzeptanz der Offenlegungspflicht abträglich wäre.

ad 3.: Die Kommission hat auch eine Verpflichtung der Ratsmitglieder zu «quantitativen Angaben zu den finanziellen und wirtschaftlichen Interessen» im Rahmen der Beratung von Artikel 11 ParlG diskutiert (siehe die Erläuterungen unter Ziff. 2 dieses Berichtes). Entsprechende Anträge hat sie deutlich abgelehnt, weil sie überzeugt ist, dass die Intensität des Engagements der Ratsmitglieder für bestimmte Interessen nicht davon abhängt, in welchem Ausmass sie von entsprechenden Interessengruppen entschädigt werden. Den Ausbau der Meldepflicht auf Informationen über Familienangehörige hat die Kommission gemäss Empfehlung erwogen, aber verworfen, weil damit schutzwürdige Interessen von Drittpersonen verletzt würden und weil eine solche Regelung kaum lösbare Abgrenzungsfragen aufwirft.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

2.1

Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002

Art. 6

Verfahrensrechte

Artikel 6 Absatz 3 liefert die Rechtsgrundlage für eine Einschränkung des Rechtes auf Wortmeldung der Ratsmitglieder durch die Ratsreglemente. Das Geschäftsreglement des Nationalrates gewährleistet in Artikel 46 Absatz 3, dass «sich die Berichterstatterin oder der Berichterstatter der Kommission und die Vertreterin oder der Vertreter des Bundesrates zu jedem Beratungsgegenstand zu Wort melden» können. Eine Kommissionsminderheit (Barrile, Galladé, Glättli, Masshardt, Piller Carrard, Streiff, Wermuth) möchte auch den Kommissionsminderheiten ein derartiges Rederecht garantieren. Dieses Recht besteht heute in der Beratungskategorie V des Nationalrates nicht (Art. 49 GRN). Das führt in der Praxis dazu, dass z.B. über Petitionen oder über Verlängerungen der Behandlungsfrist für parlamentarische Initiativen im Rat ohne Diskussion abgestimmt wird, auch wenn eine Kommission dem Rat neben dem Antrag der Mehrheit auch einen Minderheitsantrag unterbreitet.

Die Minderheit Barrile vertritt die Auffassung, dass ein Parlament nicht zur blossen Abstimmungsmaschine verkommen dürfe. Die Mehrheit möchte den mit weiterge6804

BBl 2017

henden Rederechten einhergehenden Effizienzverlust vermeiden. Sie weist zudem darauf hin, dass mit dem erst vor vier Jahren eingefügten Artikel 6 Absatz 4 ParlG das in der Praxis viel bedeutendere Rederecht der Urheberinnen und Urheber von Motionen und parlamentarischen Initiativen verankert und damit der von der Minderheit befürchteten Entwicklung entgegengetreten worden ist.

Art. 11

Offenlegungspflichten

Mit der in Absatz 1 Buchstabe a angebrachten Ergänzung wird die parlamentarische Initiative von Nationalrätin Marianne Streiff-Feller (C, BE) umgesetzt (14.472 Pa.Iv. Streiff. Mehr Transparenz bei der Offenlegung der Interessenbindungen von Ratsmitgliedern). Die SPK-NR hat der Initiative am 26. März 2015 mit 11 zu 10 Stimmen Folge gegeben; die SPK-SR hat diesem Beschluss am 16. November 2015 mit 6 zu 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen zugestimmt.

Neu soll ein Ratsmitglied nicht nur seine beruflichen Tätigkeiten, sondern ­ falls es Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist ­ auch seine Arbeitgeberin oder seinen Arbeitgeber im Register der Interessenbindungen angeben müssen.

Die Initiantin weist in ihrer Begründung darauf hin, dass die im Register angeführten Berufsbezeichnungen häufig wenig aussagen; demgegenüber wäre die Offenlegung der Arbeitgeberin von erheblichem öffentlichem Interesse.

Ein Blick ins Interessenregister zeigt heute zahlreiche Berufsbezeichnungen, bei welchen offen bleibt, ob eine selbstständige oder unselbstständige Tätigkeit vorliegt und wer im Falle einer unselbstständigen Tätigkeit der Arbeitgeber ist. Beispiele: Berater, Buchprüfer, Juristin, Kauffrau, Vermögensverwalterin. Einige Ratsmitglieder geben zwar heute bereits auf freiwilliger Basis zusätzlich den Arbeitgeber und die Funktion an; andere Ratsmitglieder unterlassen dies aber, ohne damit gegen die Offenlegungspflichten zu verstossen. Damit bleibt in vielen Fällen die tatsächliche Interessenbindung verborgen.

Kein Problem stellen hingegen die Berufsbezeichnungen «Unternehmer» oder «Geschäftsführerin» dar, wenn es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Die tatsächliche Interessenbindung ergibt sich hier nicht durch die Angabe zur Berufstätigkeit, sondern durch die Angaben zu den Führungsfunktionen, die gemäss Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b gemacht werden müssen.

Die Kommission beantragt diese Änderung von Absatz 1 Buchstabe a mit 12 zu 11 Stimmen bei einer Enthaltung; die Kommissionsminderheit I (Pfister Gerhard, Brand, Buffat, Burgherr, Glarner, Nidegger, Pantani, Romano, Rutz Gregor, Steinemann) beantragt, beim geltenden Recht zu bleiben.

Mit einem neuen Artikel 11 Absatz 1bis könnte die parlamentarische Initiative von Nationalrat Peter Keller (V, NW) umgesetzt werden (15.437 Pa.Iv. Keller. Register der
Interessenbindungen: Unterscheidung von ehrenamtlichen und bezahlten Tätigkeiten). Die SPK-NR hat der Initiative am 4. Februar 2016 mit 16 zu 8 Stimmen Folge gegeben; die SPK-SR hat diesem Beschluss am 3. Mai 2016 mit 6 Stimmen 1 Stimme bei 3 Enthaltungen zugestimmt.

Bei der Diskussion über die Umsetzung dieser Initiative hat sich aber nur die Kommissionsminderheit II (Jauslin, Barrile, Galladé, Glättli, Piller Carrard, Streiff, 6805

BBl 2017

Weibel, Wermuth) dafür ausgesprochen, dass ein Ratsmitglied neu im Register angeben muss, ob es ein Mandat ehrenamtlich oder bezahlt ausübt. Als ehrenamtlich sollten Tätigkeiten gelten, für die pro Jahr weniger als 12 000 Franken bezogen werden. Die heutige undifferenzierte Auflistung der Mandate vermittle ein falsches Bild; es bestehe ein grundlegender Unterschied zwischen ehrenamtlichen und bezahlten Mandaten. Die Kommission hat diesen Antrag mit 13 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt.

Die Kommissionsminderheit III (Wermuth, Barrile, Galladé, Glättli, Kiener Nellen, Piller Carrard) möchte weiter gehen als die Minderheit II, indem sie fordert, dass bei Entgelten von jährlich über 12 000 Franken auch die Höhe des Betrages offengelegt werden muss. Wenn ein Ratsmitglied für ein Mandat einen hohen Betrag erhält ­ in der Praxis werden auch sechsstellige Beträge bezahlt ­ so führe dies zu einer stärkeren Interessenbindung, als wenn geringere Summen im Spiel sind. Die Wählerinnen und Wähler hätten Anspruch auf diese Information; werde sie verschwiegen, so würden nur Polemiken gefördert, welche die Glaubwürdigkeit des Parlaments in der Öffentlichkeit in Frage stellen. Die Kommission hat diesen Antrag in einer ersten Abstimmung gegen den Antrag der Minderheit II mit 16 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt.

Für die Kommissionsmehrheit gehen die abgelehnten Anträge von der falschen Annahme aus, dass sich ein Parlamentsmitglied umso mehr einem Unternehmen oder einer Organisation verpflichtet fühlt, desto mehr Geld es von dort bezieht. Ein Ratsmitglied, das sich ehrenamtlich für eine bestimmte Organisation engagiert, kann sich aber den Interessen dieser Organisation genauso verpflichtet fühlen wie ein Ratsmitglied, das als Verwaltungsratsmitglied von einem Unternehmen ein grosses Honorar bezieht. Die Offenlegung der Einkünfte oder auch nur die Unterscheidung zwischen ehrenamtlichen und bezahlten Tätigkeiten würde die Glaubwürdigkeit der Politik keineswegs fördern, sondern im Gegenteil einem oberflächlichen Sensationsjournalismus Vorschub leisten. Ratsmitglieder, die sich auch ausserhalb des Parlamentes in der Gesellschaft engagieren und dafür entschädigt werden, würden an den Pranger gestellt. Im Ergebnis würde die Verbindung zwischen Politik und Berufswelt geschwächt und damit die Tendenz
zur Bildung eines reinen Berufsparlaments verstärkt.

Die Kommissionsminderheit IV (Wermuth, Barrile, Galladé, Glättli, Kiener Nellen, Piller Carrard) vermisst in der heutigen Regelung eine Kontrolle der Angaben der Ratsmitglieder und möchte mit ihrem Vorschlag für eine neue Formulierung von Absatz 2 die Parlamentsdienste mit dieser Aufgabe betrauen. Die Kommission lehnt diesen Antrag mit 18 zu 6 Stimmen ab, weil sie am heutigen Grundsatz der Selbstverantwortung der Ratsmitglieder festhalten will. Die Kontrolle der Angaben im Register durch die Öffentlichkeit genügt und ist durchaus wirksam; ein Ratsmitglied, das falsche oder unvollständige Angaben macht, muss mit öffentlicher Kritik rechnen. Würden die Parlamentsdienste mit dieser Kontrollaufgabe beauftragt, so würde ein Teil der Verantwortung von den Ratsmitgliedern an die Parlamentsdienste übergehen.

Während Artikel 11 Absätze 1 und 2 das Interessenregister betreffen, verpflichtet Artikel 11 Absatz 3 die Ratsmitglieder zum Hinweis auf eine Interessenbindung bei einer Wortmeldung im Rat oder in einer Kommission. Das Büro des Nationalrates 6806

BBl 2017

hat in seiner Stellungnahme vom 28. November 2016 zum Postulat der Grünen Fraktion 16.3276 (Po. Fraktion G. Sicherstellung der Offenlegung der Interessenbindungen) folgende Anregung für eine Ergänzung von Artikel 11 Absatz 3 gemacht: «Insbesondere ist eine Lösung aufzuzeigen, wie bei grossen Ausgaben- und Beschaffungsgeschäften des Bundes die inoffiziellen Interessenverbindungen (z.B. via Lobbyisten in den Bereichen externe Beratungen, Auslandhilfe, Bauaufträge, Rüstungsbeschaffungen, Energie- und Eisenbahnprojekte usw.) transparent gemacht werden müssen.» Die Offenlegungspflicht gemäss Artikel 11 Absatz 3 ist heute eng gefasst. Im Jahre 2001 hat die Grüne Fraktion mit der Interpellation 01.3272 (Ip. Fraktion G. Interessenbindungen. Transparenz und Kontrolle der Offenlegung) das Büro u.a. gefragt: «Gibt es eine präzise Auslegung, was unter und unter zu verstehen ist?» Antwort des Büros: «Ein Parlamentsmitglied ist dann in seinen betroffen, wenn es selbst, ein nächster Angehöriger oder ein privater Auftraggeber von einem Ratsbeschluss unmittelbar begünstigt wird. Wo es um allgemein verbindliche, abstrakte Regeln geht, besteht für das Ratsmitglied keine Offenlegungspflicht.» Der Begriff «unmittelbares persönliches Interesse» findet sich übrigens auch in Artikel 20 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes (RVOG; SR 172.010); liegt ein solches Interesse bei der Behandlung eines Geschäftes vor, so begründet dies eine Ausstandspflicht eines Mitglieds des Bundesrates12.

Die Kommissionsminderheit V (Barrile, Galladé, Glättli, Kiener Nellen, Piller Carrard, Wermuth) nimmt die Anregung des Büros auf und möchte die Offenlegungspflicht gemäss Artikel 11 Absatz 3 erweitern. Mit der Ergänzung von Absatz 3 Buchstabe b soll ein Auffangsachverhalt definiert werden für die Grauzone von Interessenbindungen, die weder gemäss Absatz 1 offen gelegt noch als unmittelbare Betroffenheit in persönlichen Interessen betrachtet werden müssen. Gemäss Absatz 3 Buchstabe b soll ein Ratsmitglied auf eine bereits gemäss Artikel 11 Absätze 1 und 2 offen gelegte Interessenbindung nicht erneut mündlich aufmerksam machen müssen, wenn ein Zusammenhang besteht zwischen dieser Interessenbindung und dem Beratungsgegenstand, zu dem es spricht. Die
Kommissionsminderheit VI (Glättli, Barrile, Galladé, Kiener Nellen, Piller Carrard, Wermuth) fügt hier noch eine Ausnahme bei: Wenn es um grosse Ausgaben und Beschaffungen geht, so ist die Interessenbindung in jedem Fall zu deklarieren.

Die Kommission lehnt diese Anträge mit 15 zu 7 bzw. mit 16 zu 6 Stimmen bei je 2 Enthaltungen ab. Es bleibt unklar, welche Interessenbindungen zusätzlich offen gelegt werden müssen. Wie lassen sich die «inoffiziellen Interessenbindungen», die das das Büro des Nationalrates in seiner Stellungnahme zum Po. 16.3276 erwähnt, hinlänglich genau definieren? Diese Unklarheit kann in der Praxis zu Unsicherheiten bei der Auslegung führen, was der Akzeptanz der Offenlegungspflicht abträglich wäre.

12

Zur Auslegung des Begriffs siehe z.B. die Antworten des Bundesrates vom 11. Februar 2004 zu 03.3629 (Ip. Fraktion G. Bundesrat Blocher und seine wirtschaftlichen Verquickungen) und vom 18. Februar 2004 zu 03.3662 (Ip. Fraktion S. Interessenkonflikte Bundesrat Blochers zwischen Regierungsamt und EMS-Chemie).

6807

BBl 2017

Art. 17

Relative Immunität: Begriff und Zuständigkeiten

Mit dem neu eingefügten Absatz 3bis und der Änderung von Absatz 4 wird die parlamentarische Initiative der Immunitätskommission des Nationalrates umgesetzt (15.425 Pa.Iv. IK-NR. Immunität. Behandlung der Gesuche durch die Präsidenten beider Kommissionen). Die SPK-NR hat der Initiative am 29. Juni 2015 ohne Gegenstimme Folge gegeben; die SPK-SR hat diesem Beschluss am 15. Oktober 2015 ebenfalls ohne Gegenstimme zugestimmt.

Die Präsidentinnen oder Präsidenten der zuständigen Kommissionen können nach geltendem Recht ein offensichtlich unhaltbares Gesuch für Aufhebung der Immunität im gegenseitigen Einvernehmen direkt erledigen. Als «offensichtlich unhaltbar» kann ein Gesuch beurteilt werden, wenn die Anschuldigungen gegen das Ratsmitglied (oder eine andere im Schutze der Immunität stehende Person) offensichtlich nicht «im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner amtlichen Stellung oder Tätigkeit stehen» (Art. 17 Abs. 1 ParlG); in diesem Fall ist keine Ermächtigung für die strafrechtliche Verfolgung erforderlich und auf das Gesuch ist nicht einzutreten.

«Offensichtlich unhaltbar» kann ein Gesuch aber auch sein, wenn die Anschuldigungen zwar im unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Stellung oder Tätigkeit des Beschuldigten stehen und folglich auf das Gesuch eingetreten werden muss, aber die Immunität offensichtlich nicht aufgehoben werden soll (z.B. weil nicht ersichtlich ist, dass die Anschuldigung strafrechtlich relevant ist).

Es gibt zwar in der Praxis nur sehr wenige Fälle, die in diesem Verfahren behandelt werden. Dabei hat sich aber gezeigt, dass entsprechende Entscheide nachträglich in Zweifel gezogen werden können. Damit kann die Legitimität des Verfahrens in Frage gestellt werden, auch wenn sich bei näherer Betrachtung ergibt, dass diese Zweifel unbegründet waren. Es soll daher die Möglichkeit geschaffen werden, dass die zuständige Kommission das Verfahren an sich ziehen kann. Die Präsidentinnen oder Präsidenten informieren die Kommissionen über das Gesuch und ihre Absicht, es in eigener Zuständigkeit als unhaltbar zu erklären. Verlangt die Mehrheit einer Kommission eine Beratung des Gesuches, so muss es von beiden Kommissionen im normalen Verfahren beraten werden; die Zuständigkeit zum Entscheid geht von den Präsidentinnen oder Präsidenten an die Kommissionen über. Der Entwurf ändert
in diesem Punkt den Wortlaut der in der Form des ausgearbeiteten Vorentwurfs eingereichten Initiative der Immunitätskommission. Dieser Wortlaut lässt offen, welche Frage die einberufene Kommission zu beantworten hat, und es bleibt somit unklar, wie die Zuständigkeiten verteilt sind. Entscheidet die Kommission zuerst nur über die formelle Frage, ob die Präsidentinnen oder Präsidenten das Gesuch zurecht als unhaltbar beurteilt haben, und bleibt also im bejahenden Fall die Zuständigkeit zum Entscheid bei den Präsidentinnen oder Präsidenten? Wenn die Kommission die formelle Frage negativ beantwortet, so lässt die Formulierung offen, ob dieser Entscheid nur für sie selbst gilt oder auch für die Kommission des anderen Rates. Die vorgeschlagene Lösung ist einfacher: Wenn eine Mehrheit einer Kommission die Einberufung einer Sitzung verlangt, ist das Gesuch nicht mehr als offensichtlich unhaltbar zu betrachten; die Zuständigkeit zum Entscheid geht damit in beiden Kommissionen von den Präsidentinnen oder Präsidenten an die Kommissionen selbst über.

Gemäss Vorschlag der Immunitätskommission soll die bisher in Punkt 2.3 der «Handlungsgrundsätze der Immunitätskommission des Nationalrates und der Kom6808

BBl 2017

mission für Rechtsfragen des Ständerates» vom 27. Juni/15. November 2012 festgelegte Praxis im Gesetz verankert werden (Abs. 3bis), dass die Präsidentinnen oder Präsidenten ein ungenügend begründetes Gesuch zur Nachbesserung an die Strafverfolgungsbehörde zurückschicken können, damit sie selbst oder ggf. die Kommissionen in Kenntnis aller relevanten Sachverhalte entscheiden können. In der Praxis hat diese Zurücksendung gelegentlich zur Folge, dass die Strafverfolgungsbehörde auf das Gesuch verzichtet.

Art. 37

Koordinationskonferenz

Mit Schreiben an die SPK-NR vom 22. Februar 2017 schlägt die Koordinationskonferenz vor, Artikel 37 Absatz 5 ParlG aufzuheben. Diese Bestimmung überträgt der mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Aussenpolitischen Kommissionen (APK) erweiterten Koordinationskonferenz die Aufgabe, unter Beizug anderer betroffener Organe der Bundesversammlung die «parlamentarischen Aussenbeziehungen» zu planen und zu koordinieren. In der Praxis findet jährlich im Februar eine Sitzung im Vorfeld der Sitzungen der einzelnen Ratsbüros statt. An dieser Sitzung wird von der Liste der geplanten internationalen Aktivitäten der Bundesversammlung Kenntnis genommen. Die Koordinationskonferenz hat in dieser Sache keine Entscheidkompetenzen. Nur ein kleinerer Teil ihrer Mitglieder ist von Amtes wegen unmittelbar mit parlamentarischer Aussenpolitik befasst, nämlich die Präsidentinnen oder Präsidenten der Räte sowie der APK, wobei letztere meistens nicht anwesend sind. Die Koordinationskonferenz ist daher auch nicht das geeignete Koordinationsorgan, wenn man unter «Koordination» die gegenseitige Information all derjenigen Organe versteht, deren Tätigkeitsbereiche sich überschneiden, mit dem Ziel, von den Erkenntnissen des anderen Organs zu profitieren und Doppelspurigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden. Die «Verordnung der Bundesversammlung vom 28. September 2012 über die Pflege der internationalen Beziehungen des Parlamentes» (VPiB; SR 171.117) regelt in detaillierter und zufriedenstellender Weise den wichtigen Informationsaustausch zwischen den APK und den verschiedenen Delegationen, welche die Bundesversammlung in internationalen parlamentarischen Versammlungen vertreten oder die Beziehungen mit Parlamenten der Nachbarländer und mit dem Europäischen Parlament pflegen.

Art. 47a

Klassifizierung der Protokolle und weiteren Unterlagen

1. 15.444 s Pa.Iv. Minder. Parlamentarische Kommissionen. Öffentlichkeit der sekundären Unterlagen Mit dem neuen Artikel 47a und den darauf sich abstützenden Änderungen der Parlamentsverwaltungsverordnung (ParlVV) wird das Anliegen der parlamentarischen Initiative von Ständerat Thomas Minder (V, SH) inhaltlich umgesetzt13. Die SPKSR hat der Initiative am 15. Oktober 2015 ohne Gegenstimme Folge gegeben; die 13

Die Initiative kann durch die SPK-NR nicht in formellem Sinn umgesetzt werden, weil sie im Ständerat hängig ist. Wegen des Verfassungsgrundsatzes der getrennten Beratung der Räte (Art. 156 Abs. 1 BV) kann im Nationalrat daher kein Antrag zu dieser Initiative gestellt werden. Der Ständerat wird sie abschreiben können, wenn ihr Anliegen durch die hier vorgeschlagene Gesetzesänderung erfüllt sein wird.

6809

BBl 2017

SPK-NR hat diesem Beschluss am 14. Januar 2016 ebenfalls ohne Gegenstimme zugestimmt.

Die Initiative möchte an der Vertraulichkeit der Kommissionsprotokolle festhalten.

Was die weiteren (als «sekundär» bezeichneten) Unterlagen der Kommissionen betrifft, so ist das Parlamentsgesetz so zu ändern, dass diese «veröffentlicht werden können oder grundsätzlich öffentlich sind, sofern sie nicht explizit anders klassifiziert sind. Dabei sollen Differenzierungen (etwa nach Kommission oder nach Art und Klassifizierung der Unterlagen) möglich sein.» Mit anderen Worten: Entweder soll der Geheimhaltungsgrundsatz mit Öffentlichkeitsvorbehalt oder der Öffentlichkeitsgrundsatz mit Geheimhaltungsvorbehalt näher geregelt werden. Aus der Begründung der Initiative und aus den Diskussionen in beiden SPK geht hervor, dass die heutige Situation als unklar empfunden wird. Eine neue Regelung soll Klarheit schaffen und den öffentlichen Zugang zu den Unterlagen verbessern.

2. Die heutige Rechtslage und Praxis Artikel 47 ParlG legt fest, dass die «Beratungen der Kommissionen» vertraulich sind; «insbesondere wird nicht bekannt gegeben, wie die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Stellung genommen und abgestimmt haben». Die Protokolle und weiteren Unterlagen der Kommissionen werden damit nicht direkt erwähnt. Aber aus der Bestimmung lässt sich klar ableiten, dass die Protokolle der Kommissionssitzungen vertraulich sind. Der 2. Abschnitt (Art. 4­9) der ParlVV regelt recht ausführlich die Form der Protokollierung (Art. 4, 5), die Verteilung und damit die Zugänglichkeit der Protokolle (Art. 6, 6a und 6b) sowie die Akteneinsichtsrechte (Art. 7). Was die weiteren Unterlagen neben den Sitzungsprotokollen betrifft, so legt Artikel 8 ParlVV die sinngemässe Anwendung der Bestimmungen über die Protokolle fest, ohne dass irgendeine Differenzierung vorgenommen wird. Das bedeutet, dass grundsätzlich alle Unterlagen von Kommissionen vertraulich zu behandeln sind ­ mit Ausnahme von Unterlagen, die bereits öffentlich sind, bevor sie an die Kommission gelangt sind. Die Vertraulichkeit gilt, auch wenn keine entsprechende Klassifizierung vorgenommen wurde. Akteneinsicht kann nur unter den einschränkenden Voraussetzungen gewährt werden, die auch für die Protokolle gelten (Art. 7 i.V.m. Art. 8 ParlVV). «Wer Akteneinsicht erhält, hat die
Vertraulichkeit der Akten zu wahren» (Art. 7 Abs. 5 ParlVV): Eine Veröffentlichung auf diesem Weg wäre also ausgeschlossen.

In der Praxis werden gelegentlich Kommissionsunterlagen durch Entscheid der Kommissionspräsidentin oder des Kommissionspräsidenten publiziert14. Es kommt auch zunehmend vor, dass Kommissionsunterlagen durch Mehrheitsentscheid einer Kommission veröffentlicht werden15.

14

15

Beispiel: Bericht des Bundesamtes für Justiz vom 28. Dezember 2006 zhd. der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates: Voraussetzungen für die Gültigkeit von Volksinitiativen und die materiellen Schranken der Verfassungsrevision; publiziert in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden (VPB) 1/2012 vom 1. Mai 2012.

Beispiel: Medienmitteilung der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates vom 14. Februar 2017, mit der mehrere bei der Verwaltung in Auftrag gegebene Abklärungen über den Service public im Medienbereich publiziert wurden.

6810

BBl 2017

Die geltende Regelung geht auf eine Zeit zurück, als die Bedeutung der Kommissionen im parlamentarischen Entscheidungsprozess noch erheblich geringer war als heute. Vor der Schaffung des Systems der ständigen Kommissionen im Jahre 1991 beschränkte sich die Arbeit der Kommissionen noch weitgehend auf die Vorberatung von Vorlagen des Bundesrates durch ad hoc eingesetzte Kommissionen; diese Vorlagen wurden in erheblich geringerem Ausmasse verändert als in der Zeit nach 1991. Die Kommissionen entwickelten noch weniger eigene Aktivitäten. Folglich spielten eigene Unterlagen neben den Sitzungsprotokollen eine geringere Rolle als heute.

Die heutige Rechtslage entspricht nicht mehr den heutigen Bedürfnissen. Die Kommissionen geben häufig bei der Verwaltung oder bei Experten Berichte in Auftrag, sie erhalten zahlreiche Eingaben von Dritten und sie produzieren im Rahmen der Ausarbeitung von Vorlagen auf dem Wege der parlamentarischen Initiative auch eigene, nicht öffentliche Unterlagen. Alle diese Unterlagen sind nach Artikel 8 ParlVV vertraulich, und zwar auch nach der Behandlung durch die Kommission und nach Abschluss der Beratung eines Geschäfts durch die Räte. Diese Vertraulichkeit ist aber nicht transparent, weil die Dokumente nicht entsprechend klassifiziert sind.

3. Funktion der Vertraulichkeit bzw. Öffentlichkeit von Kommissionsunterlagen Der wichtigste Typus der Kommissionsunterlage bleibt das Kommissionsprotokoll.

Seine Vertraulichkeit wurde zwar wiederholt in Frage gestellt; entsprechende Vorschläge wurden aber deutlich abgelehnt16. Die Vertraulichkeit der Protokolle hat insbesondere zwei Funktionen:

16

a.

Die Vertraulichkeit kann wesentlich dazu beitragen, dass die Sitzungsteilnehmer den nötigen Handlungsspielraum behalten, um mehrheitsfähige Kompromisse eingehen zu können. Will die Bundesversammlung ein gestaltendes Parlament bleiben, so müssen Räume bestehen, in welchen auch noch nicht zu Ende gedachte Lösungen diskutiert und weiter entwickelt werden können. Wären die Kommissionsberatungen öffentlich, so würde sich die Entscheidfindung zunehmend auf vorparlamentarische nicht öffentliche Gremien verlagern, welche anders als die Kommissionen nicht repräsentativ zusammengesetzt sind und nicht nach demokratischen Regeln funktionieren.

b.

Die Vertraulichkeit ist Voraussetzung dafür, dass die Kommissionen ihren verfassungsmässigen Anspruch auf alle diejenigen Informationen durchsetzen können, welche sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen (Art. 153 Abs. 4 BV). Wären die Kommissionsberatungen öffentlich, so müsste damit gerechnet werden, dass die Gesprächspartner der Kommissionen (Bundesrat, Verwaltung, Experten, angehörte Interessenvertreter usw.) bestimmte wichtige Informationen zurückhalten würden. Damit würde insbesondere die Oberaufsicht weitgehend verunmöglicht, aber auch die Erfüllung der anderen Aufgaben des Parlamentes inklusive der Gesetzgebung erschwert.

Der Nationalrat hat letztmals am 25. September 2008 zwei parlamentarischen Initiativen mit dieser Forderung (08.410 Pa.Iv. Fraktion V. Veröffentlichung der Kommissionsprotokolle; 08.427 Pa.Iv. Noser. Kommissionsprotokolle veröffentlichen) mit 106 zu 56 bzw.

98 zu 60 Stimmen keine Folge gegeben.

6811

BBl 2017

Die unter Buchstabe b. dargestellte Funktion der Vertraulichkeit gilt nicht nur für die mündlichen Kommissionsberatungen und damit für ihre schriftliche Erfassung durch Sitzungsprotokolle, sondern genauso für die weiteren Unterlagen der Kommission.

Auf der anderen Seite kann aber auch der Öffentlichkeit von bestimmten Kommissionsunterlagen eine wichtige Funktion zukommen. Artikel 158 BV garantiert die Öffentlichkeit der Ratssitzungen. Diese Funktion der Öffentlichkeit ist zentrale Voraussetzung der Demokratie. Die durch die Ratsmitglieder vertretene Bevölkerung muss nachvollziehen können, wie die Entscheide, die sie betreffen, zustande kommen. Welche Ratsmitglieder vertreten mit welchen Argumenten welche Interessen? Die Anträge der Kommissionen präjudizieren in der Praxis in starkem Ausmass die Beschlüsse der Räte. Falls eine Kommissionsunterlage eine wesentliche Rolle spielt für die Antragstellung der Kommission an den Rat, so muss aus Artikel 158 BV ein Anspruch auf Veröffentlichung dieser Unterlage abgeleitet werden. Das gilt umso mehr, weil die Anträge einer Kommission im Nationalrat i.d.R. nicht mehr wie früher mündlich begründet werden, falls sie nicht bestritten werden. Die heutige Rechtslage trägt dem Anspruch auf Öffentlichkeit nicht Rechnung.

Es muss also eine Abwägung stattfinden zwischen den gleichermassen legitimen Interessen an der Vertraulichkeit oder an der Öffentlichkeit einer Kommissionsunterlage. Im Falle der Sitzungsprotokolle hat der Gesetzgeber die Abwägung zugunsten der Vertraulichkeit vorgenommen. Im Falle der weiteren Kommissionsunterlagen muss eine differenzierte Abwägung im Einzelfall möglich sein.

4. Wechsel zum Öffentlichkeitsprinzip mit Geheimhaltungsvorbehalt?

Das Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 2004 (BGÖ; SR 152.3) hat für die Bundesverwaltung den Paradigmawechsel vom Geheimhaltungsgrundsatz mit Öffentlichkeitsvorbehalt zum Öffentlichkeitsgrundsatz mit Geheimhaltungsvorbehalt herbeigeführt. Die Bundesversammlung und ihre Organe sind vom Geltungsbereich des BGÖ ausgenommen. Es stellt sich die Frage, ob der Paradigmawechsel auch für die Organe der Bundesversammlung vorgenommen werden soll. Dabei käme eine blosse Unterstellung der Bundesversammlung unter das BGÖ nicht in Frage: Viele Regelungen des BGÖ wären auch beim Paradigmawechsel für das Parlament nicht
anwendbar; zudem stellen sich spezifische Probleme, die das Parlamentsrecht lösen muss. Eine Regelung könnte so aussehen, dass im ParlG der Grundsatz der Öffentlichkeit aller Unterlagen mit einem Katalog von Ausnahmen festgehalten würde. An der Spitze des Kataloges der Ausnahmen würden die nach wie vor vertraulichen Sitzungsprotokolle stehen. An nächster Stelle würden die Unterlagen folgen, welche der Oberaufsicht dienen. Was die übrigen Unterlagen betrifft, so würde es nahe liegen, sie bis zum Abschluss der Beratung einer Vorlage in der Kommission zuhanden des Rates als vertraulich zu erklären, in Analogie zu Artikel 8 Absatz 2 BGÖ, der für die Bundesverwaltung gilt und lautet: «Amtliche Dokumente dürfen erst zugänglich gemacht werden, wenn der politische oder administrative Entscheid, für den sie die Grundlage darstellen, getroffen ist». In der Folge müsste nach Abschluss der Beratung einer Vorlage in der Kommission zuhanden des Rates für jede Unterlage einzeln geklärt werden, ob sie entklassifiziert und damit öffentlich zugänglich gemacht werden kann, oder ob eine der zahlreichen Ausnahmen gemäss Artikel 7 BGÖ vorliegt. Gemäss Artikel 7 BGÖ wird nämlich der Zugang zu amtlichen

6812

BBl 2017

Dokumenten z.B. eingeschränkt, wenn «die freie Meinungs- und Willensbildung einer diesem Gesetz unterstellten Behörde [...] beeinträchtigt werden kann», wenn die «aussenpolitischen Interessen oder die internationalen Beziehungen der Schweiz beeinträchtigt werden können», wenn «die Privatsphäre Dritter beeinträchtigt werden kann» usw. usf. Es handelt sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, welche der Behörde einen weiten Handlungsspielraum offen lassen. Das BGÖ sieht nun aber ein Schlichtungsverfahren vor und öffnet den Rechtsweg gegen Entscheide für die Nichtherausgabe von Dokumenten. Diese Verfahren beugen der Gefahr einer zu weitgehenden Willkür vor; die Praxis des Eidg. Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB), des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts hat den Handlungsspielraum der Verwaltung eingeengt. Es ist nun allerdings kaum denkbar, dass ein solcher Rechtsweg auch gegenüber Entscheiden von Parlamentsorganen über den öffentlichen Zugang zu Kommissionsunterlagen vorgesehen werden könnte. Das widerspräche dem Verfassungsgrundsatz, wonach «Akte der Bundesversammlung und des Bundesrates» beim Bundesgericht nicht angefochten werden können (Art. 189 Abs. 4 BV). Der Gesetzgeber kann zwar Ausnahmen von diesem Grundsatz vorsehen, war aber in dieser Beziehung bisher sehr zurückhaltend17. Es widerspricht der schweizerischen Rechtskultur, politische Entscheide justiziabel zu machen ­ der Entscheid einer Kommission, ein bestimmtes Dokument nicht öffentlich zugänglich zu machen, ist von ausgesprochen politischer Natur.

Fazit: Ein Paradigmawechsel zum Öffentlichkeitsgrundsatz mit Geheimhaltungsvorbehalt würde die Erwartungen nicht erfüllen. Angesichts der nach wie vor nötigen «Geheimhaltungsvorbehalte» würde nicht wesentlich mehr Öffentlichkeit hergestellt18. Angesichts der möglichen Ausnahmen von der Öffentlichkeit aufgrund unbestimmter Rechtsbegriffe und der fehlenden richterlichen Überprüfung entsprechender Entscheide würde nicht mehr Klarheit hergestellt, im Gegenteil. Zudem würde ein beträchtlicher administrativer Aufwand entstehen, wenn Gesuchsteller den Öffentlichkeitsgrundsatz geltend machen können und im Einzelfall abgeklärt werden muss, ob nicht ein Grund vorliegt, um eine Ausnahme zu machen.

5. Vorschlag einer Präzisierung der Vertraulichkeit bzw. des öffentlichen Zugangs
zu Kommissionsunterlagen Mit einem neuen Artikel 47a ParlG soll eine explizite gesetzliche Grundlage für die Behandlung aller Kommissionsunterlagen (Sitzungsprotokolle und weitere Unterlagen) geschaffen werden. Der erste Satz von Absatz 1 legt den Grundsatz fest, dass Kommissionsunterlagen zu klassifizieren sind. Das bedeutet erstens, dass am «Geheimhaltungsprinzip» aus den oben (Ziff. 3 und 4) dargelegten Gründen festgehalten wird. «Klassifizieren» bedeutet zweitens, dass Transparenz über den Geheimhaltungsgrad geschaffen werden muss. Diese Regelung entspricht dem Entwurf des 17

18

Einzige Ausnahme einer zulässigen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen eine Verfügung eines zuständigen Organs der Bundesversammlung: «Verfügungen auf dem Gebiet des Arbeitsverhältnisses des Bundespersonals» (d.h. hier des Personals der Parlamentsdienste), Art. 33 Bst. a Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG; SR 173.32).

Siehe dazu die pointierte Aussage von Bundesrat Christoph Blocher bei der Beratung des BGÖ im Nationalrat: «[...] wenn Sie alles öffentlich erklären und dann praktisch alles wieder davon ausnehmen, kommt es auf das Gleiche heraus, wie wenn Sie alles geheim erklären und davon ein paar Ausnahmen machen, die öffentlich sind» (AB 2004 N 1254).

6813

BBl 2017

Bundesgesetzes über die Informationssicherheit (E-ISG; BBl 2017 3097; siehe insb.

Art. 11 ff. E-ISG), dessen Geltungsbereich auch die Bundesversammlung einbeziehen soll19. Die Form der Klassifizierung wird in der ParlVV geregelt (siehe die Erläuterungen zu Art. 5a ParlVV). Häufig gelangen bereits öffentlich zugängliche Unterlagen in eine Kommissionsdokumentation. Dass sie dadurch öffentlich bleiben und nicht klassifiziert werden müssen, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, welche der Klarheit halber doch festgehalten werden soll.

Absatz 2 schafft neu eine gesetzliche Grundlage dafür, dass eine Kommission eine Unterlage öffentlich zugänglich machen kann. Vorbehalten bleiben die Sitzungsprotokolle, die im Einklang mit Artikel 47 klassifiziert bleiben müssen, weil aus ihnen ersichtlich ist, wie einzelne Sitzungsteilnehmende Stellung genommen haben. «Öffentlich zugänglich machen» kann bedeuten, dass eine Unterlage in gedruckter Form oder im Internet veröffentlicht wird; der öffentliche Zugang kann sich aber auch darauf beschränken, dass eine nicht selbst veröffentlichte Unterlage entklassifiziert und auf Anfrage an Aussenstehende herausgegeben wird. Der zweite Satz von Absatz 2 verweist auf die Artikel 5a, 8 und 8a ParlVV, welche die Klassifizierung bzw. Entklassifizierung im Einzelnen regeln (siehe die Erläuterungen zur Änderung der ParlVV).

Eine mit 15 zu 8 Stimmen unterlegene Kommissionsminderheit (Pfister Gerhard, Brand, Buffat, Burgherr, Glarner, Nidegger, Pantani, Rutz Gregor, Steinemann) möchte beim geltenden Recht bleiben, also den Artikel 47a ParlG und die damit im Zusammenhang stehenden Änderungen der ParlVV (Art. 5a, 6, 6a Abs. 3, 8, 8a, 9) streichen. Die Veröffentlichung von Unterlagen durch die Kommissionen wird abgelehnt, weil damit indirekt auch die Vertraulichkeit der Kommissionsberatungen in Frage gestellt werde.

Art. 57

Aufgaben und Verfahren [der Redaktionskommission]

Die rechtliche Zuständigkeit der Redaktionskommission für die Überprüfung des Wortlautes der Erlasse (Art. 57 Abs. 1) richtet sich heute nicht nach dem funktionalen Kriterium, ob sich in einem Erlass tatsächlich redaktionelle Probleme stellen, sondern nach dem formellen Kriterium, ob die Eidg. Räte über einen Erlass eine Schlussabstimmung durchführen: Dies ist der Fall für Bundesgesetze, Verordnungen der Bundesversammlung und Bundesbeschlüsse, die dem obligatorischen oder fakultativen Referendum unterstehen (Art. 81 ParlG). Die Redaktionskommission ist damit nicht zuständig für die Berichtigung von einfachen Bundesbeschlüssen.

Diese bisherige Regelung der Zuständigkeit lässt sich historisch erklären. Einfache Bundesbeschlüsse waren früher vorwiegend Kreditbeschlüsse und Beschlüsse für die Genehmigung von Staatsverträgen mit zwei Artikeln nach folgendem einfachem Muster: In Artikel 1 «genehmigt» oder «bewilligt» die Bundesversammlung; Artikel 2 legt fest: «Dieser Beschluss untersteht nicht dem Referendum». Probleme redaktioneller Natur stellten sich hier kaum. In jüngerer Vergangenheit werden vermehrt derartige Bundesbeschlüsse mit weiteren Bestimmungen nicht rechtsetzen19

Die vorgeschlagenen Änderungen des ParlG und der ParlVV wären aber auch ohne ISG anwendbar ­ z.B. wenn das ISG erst nach der Änderung des ParlG in Kraft gesetzt werden kann.

6814

BBl 2017

der Natur (Aufträge an den Bundesrat, Vorbehalte, u.ä.) ergänzt. Gemäss der Änderung vom 7. Oktober 2005 von Artikel 25 ParlG kann die Bundesversammlung in Kreditbeschlüssen «die Rahmenbedingungen der Kreditverwendung, den zeitlichen Ablauf der Projektverwirklichung und die Berichterstattung durch den Bundesrat näher regeln». Es kommt auch vor, dass bei der parallelen Beratung der gesetzlichen Grundlage für einen Kreditbeschluss (Vorlage 1) und dem Kreditbeschluss selbst (Vorlage 2) bei einer Änderung der Vorlage 1 die nötigen Anpassungen der Vorlage 2 nicht vorgenommen werden. Eine neue Erscheinung sind auch die «Grundsatzund Planungsbeschlüsse» (Art. 28, 143 Abs. 4 und 146 ParlG; Legislaturplanung, Finanzplan, sektorielle Planungen). Diese einfachen Bundesbeschlüsse können durchaus auch redaktionelle Probleme aufwerfen.

Falls redaktionelle Berichtigungen eines einfachen Bundesbeschlusses nötig werden, ist dafür nach geltendem Recht niemand zuständig; es liegt eine eigentliche Gesetzeslücke vor. Weder ist die Redaktionskommission zuständig, noch darf die Bundeskanzlei im Rahmen der Publikation im Bundesblatt den von den Eidg. Räten beschlossenen Text verändern. Die Bundeskanzlei ist «nur befugt, [...] fehlende AS-, BBl- und SR-Referenzen zu ergänzen sowie gestalterische Anpassungen vorzunehmen» (Art. 14a Abs. 2 PublG; SR 170.512).

Mit dem neuen Absatz 1bis soll die Redaktionskommission zuständig erklärt werden für die Berichtigung von Erlassen, die nicht der Schlussabstimmung unterstehen.

Gedacht ist nicht an eine systematische Überprüfung aller einfachen Bundesbeschlüsse, sondern nur an ein Eingreifen der Redaktionskommission im Bedarfsfall.

Die Umsetzung soll in der Praxis so erfolgen, dass die Sekretariate der für die Vorberatung eines Erlassentwurfes zuständigen Kommissionen das Sekretariat der Redaktionskommission auf problematische Fälle hinweisen.

Auf eine detaillierte Regelung des Vorgehens je nach Zeitpunkt der Berichtigung (vor oder nach Abschluss der Beratung durch die Bundesversammlung bzw. vor oder nach Publikation im Bundesblatt) wird verzichtet. Die entsprechenden Regelungen in der Verordnung der Bundesversammlung über die Redaktionskommission (SR 171.105) betreffend die Erlasse, die der Schlussabstimmung unterstehen, können sinngemäss angewendet werden.

Art. 76

Anträge

Artikel 76 Absatz 3 hält heute fest, dass bis zur Gesamtabstimmung über einen Erlassentwurf ­ also während der Detailberatung ­ mit einem Ordnungsantrag «auf jede behandelte Frage Rückkommen verlangt werden» kann. Ein späterer Beschluss in der Detailberatung kann zur Folge haben, dass ein früherer Beschluss in Frage gestellt wird ­ sei es aus sachlichen oder politischen Gründen. Kein Rückkommen ist zulässig auf den Eintretensbeschluss: Wer mit Zwischenresultaten der Detailberatung nicht zufrieden ist, soll nicht während der laufenden Detailberatung eine neue Gesamtbeurteilung des Erlassentwurfs verlangen können; Gelegenheit zu dieser Gesamtbeurteilung bietet die Gesamtabstimmung nach Abschluss der Detailberatung.

Diese Regelung ist soweit klar und unbestritten. Sie ist aber unvollständig: Die Beratung zahlreicher Geschäfte wird nicht mit einer Gesamtabstimmung abge6815

BBl 2017

schlossen, obwohl während der Beratung verschiedene Beschlüsse gefasst werden, zu welchen ein analoges Bedürfnis nach Rückkommen aufgrund späterer Beschlüsse entstehen kann (Erlassentwürfe, über welche wegen obligatorischen Eintretens keine Gesamtabstimmung durchgeführt wird; Differenzbereinigungen von Erlassentwürfen; teilbare Motionen usw.). Die Zulässigkeit eines Ordnungsantrags auf Rückkommen dürfte auch in diesen Fällen unbestritten sein. Diese Lücke wird geschlossen, indem in Artikel 76 Absatz 3 neu generell der Abschluss der Beratung eines Beratungsgegenstandes durch den Rat als Schlusspunkt festgelegt wird, bis zu welchem Rückkommensanträge eingereicht werden können.

Unzulässig sind damit Ordnungsanträge auf Rückkommen auf eine Abstimmung, mit welcher ein Beratungsgegenstand an den anderen Rat gegangen ist oder welche dessen Beratung abschliesst. In diesen Fällen ist der Beratungsgegenstand gar nicht mehr im Rat hängig; d.h. der Rat ist nicht mehr zuständig, um Beschlüsse zu fassen.

Nachdem in der letzten Zeit derartige Ordnungsanträge gestellt und zugelassen wurden, erweist es sich als notwendig, diese Frage im Gesetz zu klären.

Zwei Beispiele aus der Praxis: ­

Der Nationalrat hat am 11. März 2015 um 17.17 Uhr die Motion 14.3671 (Mo. APK-NR [12.3980]. Umsetzung des rechtsvergleichenden Berichtes des Bundesrates über die Verantwortung von Unternehmen bezüglich Menschenrechten und Umwelt) mit Stichentscheid des Präsidenten bei Stimmengleichheit von 90 zu 90 Stimmen angenommen. Die Motion ging damit an den Ständerat. Trotzdem wurde 1½ Stunden später ein Ordnungsantrag für Wiederholung der Abstimmung gestellt und angenommen. Begründung der Antragstellerin: «Einige Ratsmitglieder haben falsch abgestimmt». Anschliessend wurde die Motion mit 95 zu 86 Stimmen abgelehnt. Das Resultat erklärt sich dadurch, dass von den ablehnenden Fraktionen zwei Mitglieder zusätzlich anwesend und von den zustimmenden Fraktionen zwei Mitglieder zusätzlich abwesend waren; in einer gespaltenen Fraktion wechselten drei Mitglieder vom Ja oder von der Stimmenthaltung zum Nein.

­

Der Nationalrat hat am 22. September 2015 um 10.24 Uhr die Motion 14.4060 (Mo. Ständerat [Bieri]. Beschaffung von Transportflugzeugen.

Neuevaluation) mit 89 zu 87 Stimmen bei sechs Enthaltungen angenommen.

Die Motion war damit definitiv angenommen und nicht mehr im Nationalrat, sondern als Auftrag beim Bundesrat hängig. Trotzdem wurde zwei Stunden später ein Ordnungsantrag für Wiederholung der Abstimmung gestellt und angenommen. Begründung des Antragstellers: «Es hat ein bisschen Verwirrung gegeben, und Zufallsentscheide sind dieses Parlamentes unwürdig.» Anschliessend wurde die Motion mit 98 zu 85 Stimmen abgelehnt. Es fällt auf, dass bei der ersten Abstimmung fünf Mitglieder einer grossen Fraktion für Annahme stimmten; bei der zweiten Abstimmung stimmte die Fraktion geschlossen für Ablehnung.

Abgesehen davon, dass diese Vorgehensweise jeder Verfahrenslogik widerspricht, vermittelt sie auch der Öffentlichkeit keinen günstigen Eindruck über die Seriosität der parlamentarischen Arbeit. Es entsteht in diesen Fällen der Eindruck, dass solche Ordnungsanträge nur deswegen gestellt werden, weil das Resultat einer Abstim-

6816

BBl 2017

mung missfällt und man sich von einer Wiederholung ein genehmeres Resultat erwartet. Der Antragsteller stellt z.B. fest, dass einige Ratsmitglieder die Abstimmung versäumt haben, und er erhofft sich von der Wiederholung aufgrund leicht veränderter Mehrheitsverhältnisse ein anderes Resultat. Oder die Stimmabgabe von Ratsmitgliedern ­ z.B. einer Fraktionsminderheit ­ wird nachträglich in Frage gestellt, damit diese unter Druck gesetzt werden können, bei einer Wiederholung anders abzustimmen. Die Garantie der politischen Rechte, d.h. der Schutz der freien Willensbildung und unverfälschten Stimmabgabe (Art. 34 BV), gilt auch für die Ratsmitglieder als Vertreterinnen und Vertreter der stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger; diese verfassungsmässige Garantie wird durch derartige Versuche zur nachträglichen Korrektur eines Abstimmungsresultats verletzt.

Eine andere Situation liegt vor, wenn unmittelbar im Anschluss an eine Abstimmung eine Wiederholung verlangt wird, z.B. weil technische Probleme mit der elektronischen Stimmabgabe vorliegen oder weil die Fragestellung der Abstimmung unklar war oder falsch verstanden wurde. Hier muss eine Ausnahme vom in Absatz 3 festgehaltenen Grundsatz möglich sein. Artikel 76 Absatz 3ter ermöglicht in diesen Fällen eine Wiederholung der Abstimmung. Das Vorliegen eines derartigen Problems muss aber sofort erkannt werden, sonst ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass andere Motive vorliegen. Der Begriff «im unmittelbaren Anschluss» überlässt der Ratsleitung einen kleinen Ermessensspielraum. Massgebend für die Beurteilung der Zulässigkeit des Ordnungsantrags für Wiederholung der Abstimmung soll nicht ein rein schematisches Kriterium sein, sondern der Eindruck, dass der Antrag als unmittelbare Reaktion auf bei der Abstimmung aufgetretene Probleme und nicht mit einer der oben dargestellten manipulativen Absichten gestellt wird.

Art. 77

Dringlichkeitsklausel

Soll ein Bundesgesetz dringlich erklärt werden, so stimmen die Räte über die Dringlichkeitsklausel erst dann ab, wenn sie übereinstimmende Beschlüsse über den Gesetzesentwurf gefasst haben. Wird die Dringlichkeit abgelehnt, so muss der Gesetzestext zuhanden der Schlussabstimmungen in den Räten angepasst werden.

Dabei stellen sich ein redaktionelles und ein materielles Problem. Die nötige Anpassung der Referendumsklausel ist ein rein redaktionelles Problem, das bereits nach geltendem Recht durch die Redaktionskommission gelöst werden kann. Bei der nötigen Anpassung der Bestimmung über das Inkrafttreten stellt sich aber auch eine materielle Frage. Früher war es selbstverständlich, dass der Gesetzgeber die Inkraftsetzung an den Bundesrat delegiert hat. Heute gibt es aber drei mögliche Antworten: Die Inkraftsetzung kann an den Bundesrat oder an die Koordinationskonferenz der Eidg. Räte übertragen werden oder es kann im Gesetz ein Termin festgelegt werden.

In der Praxis hat sich die Frage bisher nicht gestellt, weil die Dringlichkeitsklausel seit längerer Zeit nie abgelehnt wurde. Die Frage könnte sich aber jederzeit stellen.

Die Gesetzeslücke soll daher geschlossen werden, indem diese Zuständigkeit der Redaktionskommission ausdrücklich zugewiesen wird. Die Präsidentinnen oder Präsidenten der vorberatenden Kommissionen kennen die sachlichen und politischen Aspekte der Vorlage und müssen daher konsultiert werden.

6817

BBl 2017

Die Ablehnung der Dringlichkeit eines Gesetzes kann auch zur Folge haben, dass das verspätete Inkrafttreten die beabsichtigte Wirkung des Gesetzes vereitelt. Für diesen Fall sieht der bisherige Absatz 3 vor, dass jedes Ratsmitglied und der Bundesrat die Abschreibung des Entwurfs beantragen können. Diese Regelung ist unklar und unnötig. Unklar bleibt, wie im (bisher nie eingetretenen) Anwendungsfall das Verfahren ablaufen müsste. Die Regelung ist aber auch nicht nötig, da bereits Artikel 90 ParlG ein Verfahren für die Abschreibung eines Erlassentwurfs nach Abschluss der Differenzbereinigung vorsieht. Danach können die Räte zu diesem Zeitpunkt auf gleich lautenden Antrag ihrer vorberatenden Kommissionen abschreiben. Möglich wäre in dieser Situation aber auch, dass die Vorlage in den Schlussabstimmungen abgelehnt wird. Wenn die Dringlichkeitsklausel kurz vor Abschluss einer Session abgelehnt wird, so dürfte die Ablehnung in der Schlussabstimmung einfacher sein als die Anwendung von Artikel 90, welche die Einberufung der Kommissionen beider Räte erfordert.

Art. 78

Abstimmungsverfahren

Das ParlG sieht in Artikel 78 Absatz 4 vor, dass über unbestrittene Anträge nicht abgestimmt wird. Es enthält bisher keine Vorschrift darüber, in welchen Fällen obligatorisch eine Abstimmung durchgeführt werden muss, auch wenn kein Antrag für Ablehnung vorliegt. Diese Regelung findet sich in den Geschäftsreglementen der Räte. Die Stimmenzahlen sind immer zu ermitteln bei Schlussabstimmungen, Gesamtabstimmungen und Abstimmungen, für welche eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Diese Formulierung findet sich allerdings nur für die Regelung der Ausnahmesituation der «Stimmabgabe durch Handerheben» bei geheimer Beratung oder falls die Abstimmungsanlage defekt ist (Art. 59 i.V.m. Art. 58 GRN, Art. 45 i.V.m. Art. 44 GRS). Für den Normalfall der elektronischen Stimmabgabe ist vorgeschrieben, dass bei diesen Abstimmungen das Ergebnis in Form einer Namensliste zu veröffentlichen ist (Art. 57 GRN, Art. 44a GRS), aber es fehlt die Vorschrift, dass eine Abstimmung durchgeführt werden muss ­ das gesetzgeberische Versehen ist wohl damit zu erklären, dass dies seit jeher selbstverständliche Praxis ist.

Die Regelung der obligatorischen Abstimmung als Ausnahme vom Grundsatz des Verzichtes auf eine Abstimmung über unbestrittene Anträge (Art. 78 Abs. 4) gehört als neuer Absatz 5 in den Artikel 78. Zugleich wird damit als materielle Neuerung die obligatorische Abstimmung über den Einigungsantrag der Einigungskonferenz eingeführt. Diese Abstimmung hat eine analoge Bedeutung wie die Gesamt- oder die Schlussabstimmung: Sie entscheidet über das Schicksal des Erlassentwurfs als Ganzes. In der bisherigen Praxis zeigen sich Ratsmitglieder gelegentlich verwundert darüber, dass ein Einigungsantrag ohne Abstimmung angenommen wurde, obwohl er in der Einigungskonferenz umstritten war. Offenbar kommt es vor, dass ein Minderheitsantrag für Ablehnung des Einigungsantrags nicht gestellt wird, weil von der falschen Annahme ausgegangen wird, es finde eine obligatorische Abstimmung statt.

6818

BBl 2017

Art. 81

Schlussabstimmung

1. Keine Schlussabstimmung über den Bundesbeschluss über eine Volksinitiative Gemäss Artikel 74 Absatz 3 ParlG ist für bestimmte Beratungsgegenstände, u.a.

auch für Bundesbeschlüsse über Volksinitiativen, das Eintreten obligatorisch. Diesen Beratungsgegenständen ist gemeinsam, dass die Bundesversammlung verpflichtet ist, sie zu behandeln und darüber Beschluss zu fassen. Was die formulierte Volksinitiative auf Partialrevision der Bundesverfassung betrifft, so ist die Bundesversammlung aufgrund von Artikel 139 Absatz 5 BV verpflichtet, die Initiative Volk und Ständen zur Annahme oder zur Ablehnung zu empfehlen; sie darf nicht aus freiem Ermessen auf diese Empfehlung verzichten. Wenn Eintreten obligatorisch ist, so wird gemäss Artikel 74 Absatz 4 ParlG die nach der ersten Beratung eines Erlassentwurfes in einem Rat sonst nötige Gesamtabstimmung nicht durchgeführt (abgesehen vom Spezialfall der Voranschläge und Rechnungen). Dies gebietet die Logik, weil eine negative Gesamtabstimmung einem Nichteintreten gleich käme (Art. 74 Abs. 5 1. Satz ParlG). Bei den erwähnten Beratungsgegenständen besteht auch deswegen kein Bedarf nach einer Gesamtabstimmung, weil anders als z.B. bei einem Gesetzesentwurf mit mehreren Bestimmungen keine Notwendigkeit besteht, dass das Resultat einer Detailberatung mit mehreren (Teil-)Entscheiden noch gesamthaft beurteilt werden muss. Es geht bei diesen Beratungsgegenständen (mit Ausnahme des Spezialfalls der Legislaturplanung) jeweils nur um eine Frage: Genehmigung oder Nichtgenehmigung, Gewährleistung oder Nichtgewährleistung, im Falle einer Volksinitiative um die zustimmende oder ablehnende Abstimmungsempfehlung20.

Diese Frage stellt sich bei der Detailberatung des Wortlautes des Erlassentwurfs.

Falls über den Erlassentwurf noch eine Gesamtabstimmung durchgeführt wird, so würde zum zweiten Mal dieselbe Frage gestellt, was weder nötig noch sinnvoll ist.

Was hier über die Gesamtabstimmung gesagt wird, gilt sinngemäss auch für die Schlussabstimmung. Die Abstimmungsfrage in der Schlussabstimmung lautet, ob ein Erlassentwurf angenommen oder abgelehnt werden soll, nachdem beide Räte darüber übereinstimmende Beschlüsse gefasst und den von der Redaktionskommission bereinigten Wortlaut gutgeheissen haben. Die Schlussabstimmung z.B. über ein Bundesgesetz ist notwendig, weil sich der
Gesetzestext auch noch nach der ersten Beratung in beiden Räten und nach den positiven Gesamtabstimmungen im weiteren Laufe der Bereinigung der Differenzen zwischen den Räten bei mehreren Detailbestimmungen in einer Weise verändern kann, die zu einer negativen Gesamtwürdigung der Vorlage führen kann. Im Falle einer Volksinitiative besteht weder Bedarf nach einer solchen Gesamtwürdigung noch nach redaktioneller Bereinigung. Es stellt sich bei der Schlussabstimmung in rechtlicher Hinsicht nur die Frage, ob überhaupt eine Abstimmungsempfehlung gegeben werden soll oder nicht. Damit wird eine Frage gestellt, die gemäss Artikel 139 Absatz 5 BV gar nicht gestellt werden dürfte.

20

Bei der Behandlung von Volksinitiativen stellt sich zudem auch die Frage der Gültigkeit bzw. Ungültigkeit. Diese Frage stellt sich aber vorfrageweise (siehe Art. 98 ParlG), so dass eine Gesamtabstimmung über beide Fragen (Gültigkeit und Abstimmungsempfehlung) weder nötig noch sinnvoll ist.

6819

BBl 2017

In der Praxis wird die Schlussabstimmung über den Bundesbeschluss über eine Volksinitiative allerdings als Wiederholung der Abstimmung über die Abstimmungsempfehlung aufgefasst. Das zeigt sich z.B. in den Abstimmungserläuterungen des Bundesrates, die regelmässig nicht das Ergebnis der rechtlich massgebenden Abstimmung über die Abstimmungsempfehlung, sondern das Ergebnis der Schlussabstimmung angeben. Diese Angabe ist in rechtlicher Hinsicht unzutreffend.

Schlussfolgerung: Falls Eintreten obligatorisch ist und keine Gesamtabstimmung stattfindet (Art. 74 Abs. 3 und 4 ParlG), so sollte logischerweise auch keine Schlussabstimmung durchgeführt werden. Gemäss Artikel 81 ParlG wird nun aber über alle dem obligatorischen Referendum unterstehenden Bundesbeschlüsse eine Schlussabstimmung vorgenommen. In der Praxis wird auch ein Bundesbeschluss über eine Volksinitiative als dem obligatorischen Referendum unterstehender Bundesbeschluss verstanden; ein derartiger Bundesbeschluss ist damit der einzige Beratungsgegenstand, bei welchem sowohl Artikel 74 Absätze 3 und 4 als auch Artikel 81 ParlG Anwendung finden, obwohl die beiden Bestimmungen nicht kompatibel sind.

Man könnte zwar mit gutem Grund die Auffassung vertreten, dass ein Bundesbeschluss über eine Volksinitiative kein dem obligatorischen Referendum unterstehender Bundesbeschluss im Sinne von Artikel 81 sei: Es ist nicht dieser Bundesbeschluss, sondern die Volksinitiative selbst, welche der Volksabstimmung unterbreitet wird. Das zeigt sich schon nur darin, dass über die Volksinitiative auch abgestimmt wird, wenn der Bundesbeschluss nicht innert der gesetzten Frist zustande kommt. Weil die jahrzehntelange Praxis anders aussieht, kann sie aber nur durch eine ausdrückliche Klarstellung in Artikel 81 ParlG korrigiert werden.

Als Folge dieser Änderung sind Anpassungen nötig in den Artikeln 73a und 75a des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR), welche auf die Schlussabstimmung über die Volksinitiative Bezug nehmen.

Die Beratung eines Bundesbeschlusses über eine Volksinitiative ist abgeschlossen, sobald beide Räte übereinstimmende Beschlüsse über die Abstimmungsempfehlung gefasst haben. Die Beratung wird somit in der Regel nicht mehr am Tag der Schlussabstimmungen, sondern an einem Sitzungstag während der Session abgeschlossen. Dieser Tag ergibt
das Datum des Bundesbeschlusses, ab welchem die Frist für die Durchführung der Volksabstimmung (Art. 75a BPR) läuft. Eine Ausnahme liegt vor, falls der Volksinitiative ein direkter Gegenentwurf gegenübergestellt wird. Über den Gegenentwurf muss eine Schlussabstimmung durchgeführt werden. Hat diese Schlussabstimmung zum Zeitpunkt des Zustandekommens übereinstimmender Beschlüsse über die Abstimmungsempfehlung zur Volksinitiative noch nicht stattgefunden, so können diese Beschlüsse noch nicht definitiver Natur sein. Sie erfolgen unter dem Vorbehalt, dass der Gegenentwurf angenommen wird.

Wird er abgelehnt, so muss die Beratung des Bundesbeschlusses über die Volksinitiative gemäss Artikel 101 Absatz 3 ParlG wieder aufgenommen werden (Antrag der Einigungskonferenz zur Abstimmungsempfehlung), weil sich die Voraussetzungen für die Beurteilung der Volksinitiative unter Umständen geändert haben. Das für den Fristenlauf für die Ansetzung der Volksabstimmung massgebende Datum ist im Falle eines Gegenentwurfs das Datum seiner Annahme in der Schlussabstimmung;

6820

BBl 2017

wird dieser abgelehnt, so ist es das Datum der Annahme des Antrags der Einigungskonferenz gemäss Artikel 101 Absatz 3 ParlG21.

Im Übrigen behebt die vorgeschlagene neue Formulierung von Artikel 75a BPR einen weiteren Mangel des geltenden Rechts. Kommt der Bundesbeschluss nicht zustande, weil sich die Räte über die Abstimmungsempfehlung nicht einigen können, so läuft gemäss Absatz 1 Buchstabe a die Frist für die Durchführung der Volksabstimmung ab dem Datum der Ablehnung des Einigungsantrages. Gemäss geltendem Recht läuft in diesem Fall die Frist erst ab Ablauf der der Bundesversammlung gesetzten Behandlungsfrist, also unter Umständen mehrere Monate später. Diese Verzögerung lässt sich nicht begründen.

Wenn keine Schlussabstimmung über den Bundesbeschluss über eine Volksinitiative mehr durchgeführt wird, so muss Artikel 73a BPR in dem Sinne angepasst werden, dass die Beratung eines indirekten Gegenentwurfes der Bundesversammlung nicht mehr wie bisher spätestens am selben Tag, sondern in derselben Session wie die Beratung eines Bundesbeschlusses über eine Volksinitiative abgeschlossen werden muss. Dies ist die Voraussetzung für einen Rückzug der Volksinitiative unter dem Vorbehalt, dass der indirekte Gegenentwurf in einer Volksabstimmung nicht abgelehnt wird (bedingter Rückzug). Weil die Beratung eines Bundesbeschlusses über die Volksinitiative ohne Schlussabstimmung früher abgeschlossen werden kann, werden die zuständigen Kommissionen in Zukunft bei der Planung der parlamentarischen Arbeiten unter Umständen in Betracht ziehen müssen, die Beratung einer Volksinitiative im Zweitrat nicht zu frühzeitig durchzuführen. Verzögert sich nämlich die Beratung des indirekten Gegenentwurfs bis zu einer späteren Session, so entfällt die Möglichkeit eines bedingten Rückzuges der Volksinitiative.

2. Zeitpunkt und Gleichzeitigkeit der Schlussabstimmungen in beiden Räten In Artikel 81 Absatz 1bis soll ausdrücklich festgehalten werden, dass die Schlussabstimmungen in den beiden Räten am selben Tag stattfinden müssen. Die Durchführung der Schlussabstimmungen am selben Tag ist zwar konstante Praxis der Eidg. Räte. Aber es besteht Klärungsbedarf, nachdem sich in der Frühjahrssession 2015 die Frage gestellt hat, wie vorzugehen wäre, wenn eine für die Schlussabstimmung bereite Vorlage durch einen angenommenen Ordnungsantrag
in einem Rat von der Liste der Schlussabstimmungen gestrichen wird. Ist die Verschiebung einer Schlussabstimmung überhaupt zulässig, wenn eine Vorlage für die Schlussabstimmung bereit ist? Welches ist die Auswirkung der Verschiebung in einem Rat auf den anderen Rat: Müssen beide Räte die Schlussabstimmung am selben Tag oder zumindest in derselben Session durchführen? Auf den Ordnungsantrag für Verschiebung 21

Möglich ist auch die Ablehnung dieses Antrags. Auch ohne Vorliegen eines Gegenentwurfs kann ein Einigungsantrag zur Abstimmungsempfehlung abgelehnt werden. In diesem Fall wie auch im Falle einer Überschreitung der der Bundesversammlung gesetzten Behandlungsfrist muss der Bundesrat die Volksinitiative ohne Abstimmungsempfehlung der Volksabstimmung unterbreiten. Diese verfassungsmässige Verpflichtung ist schwerer zu gewichten als die ebenfalls verfassungsmässige Pflicht der Bundesversammlung, eine Abstimmungsempfehlung zu beschliessen. Der Umstand, dass in dieser Situation eine Verfassungsbestimmung nicht durchsetzbar ist, ist allerdings kein Argument dafür, mit einer unnötigen Schlussabstimmung explizit die Frage zu stellen, ob die Verfassungsbestimmung eingehalten werden soll.

6821

BBl 2017

der Schlussabstimmung wurde zwar am Ende verzichtet, aber die gestellten Fragen sind nach wie vor offen. Antworten sind aber nötig, weil die Fragen sich wieder stellen können und weil die Antworten erhebliche politische Konsequenzen haben können.

Das Gesetz schreibt nicht vor, dass über eine für die Schlussabstimmungen bereite Vorlage in jedem Fall am Ende der nächsten ordentlichen Session abgestimmt werden muss. Es ist aber konstante Praxis der Eidg. Räte, dass die Schlussabstimmungen in der Regel in derjenigen Session stattfinden, in welcher die Beratungen abgeschlossen werden. Die Kommissionssekretariate melden die Geschäfte, die voraussichtlich abgeschlossen werden können, der Redaktionskommission. Diese nimmt sie auf eine Liste auf, welche von den Ratsbüros zur Kenntnis genommen wird. Werden die Geschäfte auf dieser Liste tatsächlich reif für die Schlussabstimmungen, so werden diese durchgeführt.

Folgende Gründe können zum Beispiel ausnahmsweise zur Verschiebung der Schlussabstimmungen führen: ­

Die Redaktionskommission kann im unter Umständen sehr kurzen Zeitraum zwischen dem Abschluss der Differenzbereinigung und der Schlussabstimmung die redaktionelle Überprüfung einer komplexen Vorlage nicht abschliessen (Beispiel: 93.461 Pa.Iv. Mehrwertsteuergesetz). In diesem Fall ist eine in Artikel 81 genannte Voraussetzung für die Durchführung der Schlussabstimmung nicht gegeben. Die Ratspräsidentin oder der Ratspräsident muss die Vorlage aufgrund einer entsprechenden Mitteilung der Redaktionskommission aus der Liste der Schlussabstimmungen streichen.

­

Zwei oder mehrere thematisch zusammenhängende Erlassentwürfe sind nicht in derselben Session bereit für die Schlussabstimmung. Die Schlussabstimmung über einen Erlassentwurf, dessen Beratung früher abgeschlossen werden kann, wird verschoben, damit die Referendumsfristen für alle Erlasse gleichzeitig laufen (Beispiel: 99.084 Militärgesetz. Änderung). Es ist auch denkbar, dass die Kenntnis des Ergebnisses der Beratungen über einen Erlass Auswirkungen hat auf die abschliessende Beurteilung eines anderen Erlasses.

Diese begründeten Ausnahmen zeigen, dass kein Bedarf nach einer Gesetzesänderung besteht, welche den jetzt bestehenden Handlungsspielraum bei der Festlegung der in die Schlussabstimmung gelangenden Vorlagen einengt.

Eine Verschiebung wegen der oben an zweiter Stelle aufgeführten Begründung wird erreicht, indem entweder ein entsprechender Ordnungsantrag in einem Rat angenommen wird oder indem eine für die Schlussabstimmung bereite Vorlage gar nicht auf die Liste der Schlussabstimmungen aufgenommen wird; in diesem Fall könnte ein angenommener Ordnungsantrag in einem Rat dafür sorgen, dass die Schlussabstimmung trotzdem durchgeführt wird. In beiden Fällen führt der in einem Rat angenommene Ordnungsantrag dazu, dass die Schlussabstimmung im anderen Rat möglicherweise nicht in derselben Session stattfindet.

Diese mögliche Situation erscheint im Lichte der Grundsätze des Zweikammersystems problematisch. Die Bundesversammlung, zusammengesetzt aus National- und Ständerat, beschliesst Gesetze und Verfassungsänderungen zwar in getrennter Ab6822

BBl 2017

stimmung beider Räte, aber es sind Beschlüsse der Bundesversammlung, welche diese als ein Verfassungsorgan zu fassen hat. Besteht ein zu grosser Zeitraum zwischen den Schlussabstimmungen der beiden Räte, so kann sich die Ausgangslage für die zweite Abstimmung ändern. Es können in der Zwischenzeit neue Entwicklungen eingetreten sein; ja es kann sich sogar die personelle Zusammensetzung des Abstimmungskörpers geändert haben. Ein grösserer Zeitraum zwischen Beschlussfassungen der beiden Räte erlaubt es auch, im Hinblick auf die spätere Abstimmung politischen Druck zu erzeugen. Das Problem ist vergleichbar mit demjenigen, das bei der Wiederholung von Volksabstimmungen infolge Ungültigerklärung einer ersten Abstimmung entsteht.

Seit Gründung des Bundesstaates bis zur Änderung vom 4. Oktober 1991 des Geschäftsverkehrsgesetzes war im Gesetz festgelegt, dass die beiden Räte am Eröffnungs- und am Schlusstag der Session gemeinsam eine Sitzung abzuhalten haben.

Aus der Begründung der Streichung dieser Vorschrift im Bericht der Kommission des Nationalrates vom 16. Mai 1991 darf nicht der Schluss gezogen werden, dass die Schlussabstimmungen in beiden Räten nicht mehr am selben Tag durchgeführt werden sollten; im Gegenteil: «Es ist Aufgabe der Koordinationskonferenz, die Sessionsplanung der beiden Räte aufeinander abzustimmen (Art. 8ter). Dadurch ist gewährleistet, dass die Räte dann gemeinsam tagen, wenn der Geschäftsverkehr dies verlangt (Geschäfte der Vereinigten Bundesversammlung, Abstimmungen über die Dringlichkeit, Schlussabstimmungen)» (BBl 1991 III 702). Die Durchführung der Schlussabstimmungen am selben Tag war eine Selbstverständlichkeit. Das zeigt sich auch darin: In den 1990er Jahren führten die Räte zwei Sondersessionen durch, welche im Nationalrat später endeten als im Ständerat. Der Nationalrat führte die Schlussabstimmungen nicht an seinem Schlusstag, sondern am Schlusstag des Ständerates durch, damit sie am selben Tag stattfanden.

Die konstante Praxis soll daher im Gesetz festgehalten werden. Zwar wäre es auch denkbar, dass mit der Gesetzesänderung eine Lockerung der bisherigen Praxis ermöglicht würde, indem die Schlussabstimmungen in beiden Räten nicht in jedem Fall am selben Tag, sondern nur in derselben Session durchgeführt werden müssten.

Eine mit 10 zu 13 Stimmen unterlegene
Kommissionsminderheit (Rutz Gregor, Addor, Buffat, Burgherr, Campell, Glättli, Glarner, Pantani, Reimann Lukas, Steinemann) möchte dies ermöglichen. Die Mehrheit sieht darin keinen Gewinn. Wenn ein Rat die Schlussabstimmungen früher durchführt, so müssen auch die Differenzbereinigungen und damit die Bereinigungen der Schlussabstimmungstexte durch die Redaktionskommission früher abgeschlossen werden. In der Regel finden in jeder Session schwierige Differenzbereinigungen statt, die bereits jetzt unter grossem Zeitdruck stehen. Dieser Zeitdruck sollte nicht noch grösser werden. Die Vorschrift einer Durchführung der Schlussabstimmungen am selben Tag präjudiziert nicht die Antwort auf die zurzeit in beiden Räten gestellte Frage, ob die Freitagssitzung der dritten Woche weiterhin durchgeführt werden soll oder nicht (siehe dazu den Antrag einer Kommissionsminderheit zu Art. 34 GRN). Wenn die Schlusstage der Session beider Räte nicht identisch sind, so bedeutet die Vorschrift nur, dass die Schlussabstimmungen am letzten gemeinsamen Sitzungstag beider Räte stattfinden müssen.

Die neue Regelung führt dazu, dass die Annahme eines Ordnungsantrages in einem Rat für die Streichung einer Vorlage aus der Liste bzw. für die Aufnahme in die 6823

BBl 2017

Liste der Schlussabstimmungen auch für den anderen Rat gilt. Die Präsidentin oder der Präsident des anderen Rates teilt die Änderung der Liste der Schlussabstimmungen seinem Rat mit. Ein dagegen gerichteter Ordnungsantrag würde gegen das Gesetz verstossen.

Art. 97

Botschaft und Beschlussentwurf des Bundesrates

Gemäss Artikel 97 Absatz 1 hat der Bundesrat seinen Entwurf des Bundesbeschlusses über eine Volksinitiative innert einem Jahr nach der Einreichung der Volksinitiative der Bundesversammlung zu unterbreiten. Diese Frist verlängert sich gemäss Absatz 2 auf 18 Monate, wenn er gleichzeitig den Entwurf eines Bundesbeschlusses über einen direkten oder indirekten Gegenentwurf vorlegt. Gemäss der Formulierung des Absatzes 2 wird diese Fristverlängerung nur gewährt, wenn der Bundesrat den Gegenentwurf tatsächlich unterbreitet. Das bedeutet, dass innert der Einjahresfrist der Gegenentwurf ausgearbeitet und dazu ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt und ausgewertet werden muss, damit der Bundesrat auf den Gegenentwurf noch verzichten kann, wenn das Vernehmlassungsverfahren ein negatives Resultat ergibt. Handelt es sich nicht um eine einfache Gesetzgebung, so ist es schwierig, einen derart straffen Zeitplan einzuhalten. Verzichtet der Bundesrat wegen eines negativen Ergebnisses des Vernehmlassungsverfahrens nach Ablauf der Einjahresfrist auf seine ursprüngliche Absicht, einen Gegenentwurf zu unterbreiten, so verletzt er aber nach heutigem Recht das Gesetz.

Diese heutige Regelung ist nicht sinnvoll. Voraussetzung für eine Fristverlängerung sollte nicht sein, dass der Bundesrat der Bundesversammlung einen Gegenentwurf unterbreitet, sondern dass er die Ausarbeitung eines Gegenentwurfs beschliesst.

Bei Gelegenheit soll auch die unklare Formulierung von Absatz 3 präzisiert werden.

Betrachtet man Absatz 3 isoliert und legt ihn wörtlich aus, so könnte die Bundesversammlung mit den Beratungen einer Volksinitiative jederzeit nach ihrer Einreichung beginnen. Absatz 3 muss aber im Zusammenhang mit den Absätzen 1 und 2 gesehen werden, welche dem Bundesrat bestimmte Behandlungsfristen einräumen. Es wäre nicht logisch, einerseits den Bundesrat zu verpflichten, innert bestimmter Fristen einen Entwurf eines Bundesbeschlusses auszuarbeiten, und andererseits der Bundesversammlung zu ermöglichen, parallel dazu einen solchen Entwurf auszuarbeiten.

Der Zweck von Absatz 3 ist ein anderer und soll im Gesetz präzisiert werden: Absatz 3 legt fest, dass die Bundesversammlung ihre Beratung der Volksinitiative beginnen darf, wenn der Bundesrat die ihm gesetzten Fristen nicht einhält. Zugleich kann auch das Verfahren präzisiert
werden, in welchem die Bundesversammlung ihre Beratung aufnimmt: Sie ist nur dann innert nützlicher Frist handlungsfähig, wenn eine Kommission den Erlassentwurf auf dem Wege der parlamentarischen Initiative ausarbeitet (Art. 107 ff. ParlG). Die Kommission kann aktiv werden, wenn eines ihrer Mitglieder oder irgendein Ratsmitglied (Art. 76 Abs. 1 2. Satz ParlG) einen entsprechenden Antrag in der Kommission einreicht.

6824

BBl 2017

Art. 98

Gültigkeit von Volksinitiativen

Ein Bundesbeschluss über eine Volksinitiative enthält zwei Bestimmungen: Mit Artikel 1 beschliesst die Bundesversammlung über die Gültigkeit der Initiative, mit Artikel 2 über ihre Abstimmungsempfehlung zur Initiative. Wird mit Artikel 1 die Ungültigkeit der gesamten Initiative festgestellt, so entfällt Artikel 2. Wenn die beiden Räte keine übereinstimmenden Beschlüsse fällen, so gilt für die Differenzbereinigung von Artikel 1 eine Sonderregel: Es setzt sich derjenige Rat durch, der ganz oder teilweise gültig erklärt (Art. 98 Abs. 2). Für die Differenzbereinigung von Artikel 2 gilt das normale Differenzbereinigungsverfahren: Können sich die Räte über die Abstimmungsempfehlung nicht einigen (Ablehnung des Antrages der Einigungskonferenz), so wird der Erlassentwurf abgeschrieben. Damit tritt die Rechtsfolge von Artikel 75a BPR ein: Der Bundesrat muss die Volksinitiative ohne Abstimmungsempfehlung der Volksabstimmung unterbreiten. Damit entfällt nun allerdings auch eine mit Artikel 1 des abgeschriebenen Bundesbeschlusses beschlossene allfällige Teilungültigkeitserklärung. Der Bundesrat muss die Volksinitiative mit ihrem ursprünglichen Text der Volksabstimmung unterbreiten, auch wenn dieser Text einen Teil enthält, der zwingendem Völkerrecht widerspricht. Diese Rechtsfolge ist zweifellos ungewollt und lässt sich nicht begründen. Um dieses Risiko zu beseitigen, braucht es in Form des neuen Absatzes 3 eine weitere Sonderregel für die Differenzbereinigung: Können sich die beiden Räte über die Abstimmungsempfehlung nicht einigen, so wird nicht der ganze Bundesbeschluss abgeschrieben. Der Beschluss über die Gültigkeit oder Teilungültigkeit bleibt bestehen.

Eine mit 9 zu 15 Stimmen unterlegene Kommissionsminderheit (Addor, Buffat, Burgherr, Glarner, Pantani, Reimann Lukas, Rutz Gregor, Steinemann) lehnt diese Änderung ab. Damit werde die Hürde für eine Teilungültigkeitserklärung gesenkt, was die Minderheit als im Interesse der uneingeschränkten Wahrung der Volksrechte nicht erwünscht betrachtet.

Art. 99

Unabänderbarkeit von Volksinitiativen

Nach Artikel 69 Absatz 3 BPR prüft die Bundeskanzlei Initiativtexte im Rahmen der Vorprüfung auf ihre sprachliche Übereinstimmung und nimmt allfällige Übersetzungen vor. Die anschliessende Vorprüfungsverfügung nach Artikel 69 BPR legt den Text einer Volksinitiative fest und wird im Bundesblatt veröffentlicht. Nach Artikel 99 ParlG ist eine zustande gekommene und nicht zurückgezogene Volksinitiative in allen gültigen Teilen, «so wie sie lautet», der Volksabstimmung zu unterbreiten. Es stellt sich damit die Frage, wie mit offensichtlichen Übersetzungsfehlern umzugehen ist, die erst nach der Publikation der Vorprüfungsverfügung entdeckt werden.22 In der jüngeren Vergangenheit wurden bei verschiedenen Volksinitiativen nach deren Zustandekommen inhaltliche Unstimmigkeiten zwischen den drei Sprachfassungen festgestellt. So beispielsweise bei der Volksinitiative 13.086 «Stopp der 22

Siehe die ausführliche Darlegung dieser Problematik in: Bundeskanzlei, Wegleitung zum Umgang mit offensichtlichen Übersetzungsfehlern bei Volksinitiativen, VPB 2/2016 vom 30. Juni 2016, S. 44­49, www.admin.ch/gov/de/start/bundesrecht/ verwaltungs-praxis-der-bundesbehoerden.html.

6825

BBl 2017

Überbevölkerung ­ zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» (EcopopInitiative), der Volksinitiative 13.107 «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)» und bei der Volksinitiative 14.026 «Für eine sichere und wirtschaftliche Stromversorgung (Stromeffizienzinitiative)». Im ersten Fall hatte die Bundesversammlung ihre Beratungen bereits abgeschlossen; der Bundesrat wies in seinen Abstimmungserläuterungen auf den offensichtlichen Übersetzungsfehler in der französischen Fassung hin. In den beiden anderen Fällen stellte die Redaktionskommission in den Eidg. Räten Antrag auf Berichtigung der Fehler.

Mit dem neuen Absatz 2 wird also keine Neuerung herbeigeführt, sondern es wird die Praxis der Redaktionskommission und der Eidg. Räte im Sinne einer Klarstellung im Gesetz verankert. Im Bereich der Volksrechte ist eine klare und transparente Regelung der Zuständigkeiten und Verfahren in besonderem Masse wünschenswert.

Berichtigungen von offensichtlichen Übersetzungsfehlern durch die Bundesversammlung stehen im Einklang mit der Vorschrift von Artikel 99 ParlG, wonach eine Volksinitiative, «so wie sie lautet», der Volksabstimmung zu unterbreiten ist: Stimmen die gleichwertigen Sprachversionen nicht überein, so ist unklar, wie die Volksinitiative lautet. Die Bundesversammlung ist in diesem Fall verpflichtet, für einen übereinstimmenden Wortlaut in den verschiedenen Sprachversionen zu sorgen.

Beim Gegenstand einer Berichtigung kann es sich lediglich um eine inhaltlich offensichtlich fehlerhafte, nicht aber um eine allenfalls wenig adäquat erscheinende oder politisch umstrittene Übersetzung handeln.

Bei Gelegenheit soll zudem geklärt werden, dass die Redaktionskommission auch befugt ist, die nötigen formellen Anpassungen vorzunehmen, um den Initiativtext in die Verfassung einzuordnen. Diese Notwendigkeit kann sich ergeben, wenn die Verfahren für die Behandlung von verschiedenen Vorlagen für Änderungen derselben Verfassungsbestimmung, sei es in Form einer Volks- oder Behördeninitiative, parallel laufen. Es ist z.B. möglich, dass eine Volksinitiative zu einer Verfassungsbestimmung lanciert wird, die bis zur Volksabstimmung durch eine andere Vorlage geändert wird, so dass der Text der Volksinitiative im Falle der Annahme gesetzestechnisch nicht mehr in die Verfassung hineinpasst. Oder
die Bundesversammlung berät mit kurzem zeitlichem Abstand zwei teilweise miteinander kompatible Änderungen derselben Verfassungsbestimmung. Werden in der Folge beide Verfassungsänderungen mit zwei aufeinander folgenden Volksabstimmungen angenommen, so wird mit der zweiten Änderung die erste Änderung teilweise wieder geändert. In solchen Situationen können sich schwierige gesetzestechnische Fragen stellen, die auf eine Weise beantwortet werden müssen, welche dem Volkswillen vollumfänglich Rechnung trägt. Die Verantwortung für diese Anpassungen darf nicht durch eine Verwaltungsstelle, sondern muss durch ein politisches Organ wahrgenommen werden.

Die Redaktionskommission wird in beiden Fällen ­ bei der Berichtigung offensichtlicher Übersetzungsfehler und bei formellen Anpassungen infolge der Einordnung des Initiativtexts in die Verfassung ­ verpflichtet, das Initiativkomitee zu konsultieren. Wenn bei dieser Konsultation begründete Zweifel an der Berechtigung der vorgeschlagenen Anpassungen aufkommen und nicht beseitigt werden können, so wird die Redaktionskommission im Interesse der Glaubwürdigkeit der politischen

6826

BBl 2017

Institutionen auf die Anpassungen verzichten. Die nötige Interessenabwägung obliegt der Redaktionskommission.

Art. 141

Botschaften zu Erlassentwürfen

Artikel 141 Absatz 2 legt die Anforderungen an die Begründung eines Erlassentwurfs des Bundesrates in einer Botschaft an die Eidg. Räte fest. Gemäss Artikel 111 gelten diese Anforderungen auch für Berichte parlamentarischer Kommissionen, mit welchen diese ihrem Rat einen Erlassentwurf unterbreiten.

Der Katalog der Punkte, welche in einer Botschaft oder in einem Bericht erläutert werden sollen, soll wie folgt ergänzt werden: ­

Buchstabe abis: Gemäss dem neuen Buchstaben abis soll der Bundesrat erläutern, wie er bei der Übernahme von internationalem Recht den Handlungsspielraum der Schweiz optimal genutzt hat. Die Internationalisierung des Rechts fördert die Überregulierung. Es besteht in der Praxis die Gefahr zu einer übereifrigen Umsetzung des internationalen Rechts. Der Bundesrat soll daher bei der Übernahme von für die Schweiz verbindlichem Recht aufzeigen müssen, wieweit dessen Anforderungen gehen und ob eine Umsetzung im Sinne des Äquivalenzprinzips möglich ist. Bei einer freiwilligen Übernahme soll er die Folgen einer Nichtübernahme und Alternativen zu einer Übernahme darlegen. Mit dieser Ergänzung wird die Forderung einer parlamentarischen Initiative von Nationalrat Vogt (V, ZH) umgesetzt (16.440 Pa.Iv. Vogt. Überregulierung stoppen! Die Internationalisierung des Rechts, die Übernahme von EU-Recht und den Hang zum Swiss Finish bremsen).

­

Buchstabe ater: Es soll erläutert werden, ob und wie der Erlassentwurf dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung trägt. Artikel 5a BV lautet: «Bei der Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten». Artikel 43a Absatz 1 BV konkretisiert diesen Grundsatz: «Der Bund übernimmt nur die Aufgaben, welche die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen». Artikel 50 Absatz 2 BV weist darauf hin, dass der Grundsatz der Subsidiarität auch gegenüber der untersten staatlichen Ebene der Gemeinden zu beachten ist: «Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden». In seiner Botschaft vom 14. November 2001 zur Neugestaltung des Finanzausgleichs (01.074) hat der Bundesrat das Subsidiaritätsprinzip wie folgt definiert: «Dem Grundsatz der Subsidiarität im Bundesstaat liegt die Idee zu Grunde, dass der Bund nicht Aufgaben an sich ziehen soll, welche die Gliedstaaten ebenso gut erfüllen können, für die es also keinen zwingenden Grund zur bundesweiten Vereinheitlichung gibt» (BBl 2002 2458).

Es besteht die Gefahr, dass dieser zentrale Grundsatz des schweizerischen Föderalismus ein blosses Lippenbekenntnis bleibt, wenn nicht bei jeder Gesetzesänderung systematisch geprüft wird, ob der Grundsatz beachtet wird.

Der Bundesrat hat in seinem Bericht vom 12. September 2014 «Einhaltung der Grundsätze der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA)» (in Erfüllung des Postulats 6827

BBl 2017

12.3412 Stadler Markus) selber festgestellt, dass in der Periode von Dezember 2004 bis Dezember 2013 bei vier Vorlagen «die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips als fragwürdig bezeichnet werden» muss (S. 3).

Diese neue explizite Anforderung an die Begründung von Erlassentwürfen wird in den Katalog von Absatz 2 an zweiter Stelle (Bst. ater) eingereiht, weil sie in den Kontext der Berücksichtigung allgemeiner Verfassungsgrundsätze gehört, wie sie auch vom ersten Punkt (Bst. a) des Katalogs verlangt wird.

Für eine mit 8 zu 14 Stimmen unterlegene Kommissionsminderheit (Burgherr, Addor, Buffat, Glarner, Pantani, Reimann Lukas, Rutz Gregor, Steinemann) bleibt die Formulierung der Kommission zu abstrakt; sie möchte mit einer ausführlicheren und konkreteren Formulierung eine verbindlichere Wirkung erzielen. Die Mehrheit sieht den Mehrwert dieser Formulierung nicht; Gesetzessprache sollte möglichst knapp bleiben.

Mit dieser Ergänzung von Artikel 141 wird die Forderung der parlamentarischen Initiativen von Ständerat Andrea Caroni (RL, AR) und von Nationalrat Thomas Burgherr (V, AG) erfüllt (16.446 Pa.Iv. Caroni. Mehr Föderalismus in den bundesrätlichen Botschaften/16.497 Pa.Iv. Burgherr. Das Subsidiaritätsprinzip stärken). Die Initiative von Nationalrat Burgherr verlangt zusätzlich, dass für die Begründung der in die Vernehmlassung geschickten Vorentwürfe dieselbe Anforderung wie für die Begründung der Erlassentwürfe gelten soll. Das Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 2005 (VlG; SR 172.061) enthält bisher keine Regelung der inhaltlichen Anforderungen an eine Vernehmlassungsvorlage. Im öffentlichen Entscheidungsprozess ist die Behandlung dieses Vorentwurfs eines Erlasses der erste Schritt, dem die Behandlung des Entwurfes im parlamentarischen Verfahren als zweiter Schritt folgt. Es ist folgerichtig, dass für die Begründung des Vorentwurfes dieselben Anforderungen gelten sollten wie für die Begründung des Entwurfes. Mit einem generellen Verweis in einem neuen Artikel 6a VlG sollen die Vorschriften von Artikel 141 ParlG auch für den Inhalt von Vernehmlassungsunterlagen sinngemäss anwendbar erklärt werden. Damit werden auch Vorhaben des Bundesrates erfasst, welche nicht zu einer Vorlage an das Parlament führen (Verordnungen des Bundesrates gemäss Art. 3 Abs. 1 Bst. d und e sowie Abs. 2 VlG).

­

6828

Buchstaben e und f: Buchstabe f verlangt gemäss geltendem Recht eine Erläuterung der «personellen und finanziellen Auswirkungen des Erlasses und seines Vollzugs auf Bund, Kantone und Gemeinden». Indem die Gemeinden erwähnt werden, wird zwar Artikel 50 Absatz 2 BV Rechnung getragen.

Artikel 50 Absatz 3 BV verlangt aber darüber hinaus: «Er [der Bund] nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete». Der Bericht der Eidg. Finanzkontrolle vom 21. Oktober 2016 «Prognosen in den Botschaften des Bundesrates ­ Evaluation der prospektiven Folgenabschätzungen von Gesetzesentwürfen» weist darauf hin, dass Artikel 141 ParlG mit diesem Element ergänzt werden sollte. Als Beispiel für eine nach Auffassung weiter Kreise ungenügende Berücksichtigung der Auswirkungen eines Erlasses auf die Städte und

BBl 2017

Agglomerationen kann die Unternehmungssteuerreform III (15.049) dienen, welche in der Volksabstimmung vom 12. Februar 2017 gerade auch in den Städten auf starken Widerstand stiess und gescheitert ist. Mit dieser Ergänzung wird die Forderung der parlamentarischen Initiative von Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (S, BL) erfüllt (17.417 Pa.Iv. Leutenegger Oberholzer. Gesetzgebung. Auswirkungen auf Städte, Agglomerationen und Berggebiete).

Der Bundesrat erläutert gemäss Buchstabe f des geltenden Rechts einerseits die erwähnten personellen und finanziellen Auswirkungen, andererseits auch «die Art und Weise der Kostendeckung, de[n] Einfluss auf die Finanzplanung und das Verhältnis von Kosten und Nutzen»; zudem erläutert er gemäss Buchstabe e «das Abstimmen von Aufgaben und Finanzen». Die Aufteilung dieser finanziellen Aspekte in zwei Bestimmungen (Bst. e und f) befriedigt in systematischer Hinsicht nicht. Die verwendete Terminologie ist teilweise in der Gesetzgebung sonst nicht üblich und schwer verständlich.

Bei dieser Gelegenheit soll die Bestimmung mit einer Neufassung von Buchstaben e kürzer und verständlicher gefasst werden.

­

Buchstabe gbis: Gemäss dem neuen Buchstaben gbis soll der Bundesrat in seinen Botschaften künftig erläutern, wie eine vorgeschlagene neue Regelung die Selbstverantwortung und den Handlungsspielraum der betroffenen Privaten wahrt. Damit soll der Überregulierung entgegengewirkt werden.

Statt detaillierter Regelungen und konkreter Verhaltenspflichten sind nach Möglichkeit allgemeine Grundsätze und Zielvorgaben zu erlassen. Es soll geprüft werden, ob den Betroffenen Wahlmöglichkeiten eingeräumt werden können (z.B. ein Opting-out für Start-up-Unternehmungen) und ob eine Verpflichtung der Betroffenen zu einer Selbstregulierung zweckmässiger ist als eine staatliche Regelung. Ganz allgemein geht es darum, dass der Einsatz sogenannter alternativer Regelungen bewusst geprüft wird. Mit dieser Ergänzung wird die Forderung einer parlamentarischen Initiative von Nationalrat Vogt (V, ZH) umgesetzt (16.436 Pa.Iv. Vogt. Überregulierung stoppen!

Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielraum für die Privaten und die Unternehmen bewahren).

­

Buchstabe gter: Die Finanzdelegation der Eidg. Räte beantragt mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 an die beiden SPK eine Ergänzung des Katalogs von Artikel 141 Absatz 2 mit einer Verpflichtung, in Botschaften und Berichten die Auswirkungen eines Erlasses auf die Anforderungen an die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und die damit verbundenen Aufwendungen zu erläutern. Die Finanzdelegation weist darauf hin, dass sie sich im Rahmen ihrer mitschreitenden Finanzoberaufsicht seit längerem intensiv mit der Entwicklung der IKT des Bundes befasst. Der Stellenwert der IKT in der Bundesverwaltung hat in den letzten fünfzehn Jahren markant zugenommen. Rund 1,2 Milliarden Franken wendet der Bund jährlich für die IKT der Zentralverwaltung, der Behörden und der eidg. Gerichte auf. Dies entspricht rund 12 Prozent des Eigenaufwands des Bundes. Als Beispiel für eine ungenügende Folgenabschätzung von Gesetzesentwürfen weist die Finanzdelegation auf die Schlussfolgerung der Untersuchung über das Infor6829

BBl 2017

matikprojekt «Insieme» hin23, wonach «die Revision des Mehrwertsteuergesetzes im 2009 und deren informatikmässige Umsetzung parallel zum Projekt Insieme ihren Beitrag zur Schieflage des Projekts Insieme geleistet hat.» Als weiteres Beispiel zeigt die Finanzdelegation auf, dass geplante Erlasse im Bereich des Zollwesens in der nächsten Zeit grosse Auswirkungen auf die IKT der Eidg. Verwaltung haben werden.

Eine Kommissionsminderheit (Nantermod, Barrile, Galladé, Glättli, Masshardt, Moser, Piller Carrard, Wermuth) möchte alle Änderungen von Artikel 141 Absatz 2 ausser denjenigen von Buchstaben e und f streichen. Die Ausweitung der Anforderungen an die Botschaften des Bundesrates leiste keinen Beitrag zur Deregulierung, sondern führe im Gegenteil zu grösserem bürokratischem Aufwand. Der Bundesrat liesse sich dadurch sicher nicht von Regulierungsvorschlägen abhalten. Würden in einer Botschaft des Bundesrates wichtige Informationen fehlen, so können alle Ratsmitglieder und insbesondere die vorberatenden Kommissionen die erforderlichen Zusatzinformationen verlangen.

Änderung anderer Erlasse 1. Bundesgesetz über die politischen Rechte, Art. 73a und 75a Siehe die Erläuterungen zu Artikel 81 ParlG.

2. Vernehmlassungsgesetz, Art. 6a Siehe die Erläuterungen zu Artikel 141 ParlG.

3. Parlamentsressourcengesetz, Art. 3 Abs. 1 Das Taggeld der Ratsmitglieder beträgt heute gemäss Artikel 3 des Parlamentsressourcengesetzes 440 Franken. Eine Kommissionsminderheit (Rutz Gregor, Addor, Buffat, Burgherr, Glarner, Reimann Lukas, Sollberger, Steinemann) möchte, dass die Ratsmitglieder nur noch pro halben Tag ausbezahlt werden. Viele Sitzungen dauern nur einen halben Tag oder kürzer; häufig nehmen Ratsmitglieder für weniger als eine Stunde an einer Sitzung teil, z.B. wenn sie eine parlamentarische Initiative in einer Kommission begründen, ohne Kommissionsmitglied zu sein. Nach Auffassung der Kommissionsminderheit ist die Zahlung des ganzen Taggeldes in diesen Fällen unverhältnismässig. Die Kommission lehnt diesen Vorschlag ab, weil er zu einer beträchtlichen Reduktion des Einkommens der Ratsmitglieder führen würde.

Dieses Einkommen ist heute im Verhältnis zum Zeitaufwand und zur Bedeutung der zu erfüllenden Aufgaben bescheiden. Die Aufteilung der Taggeldzahlungen auf halbe Tage hätte einen unverhältnismässigen
bürokratischen Aufwand zur Folge.

Während ganztägigen Sitzungen müsste neu eine genaue Erhebung über die Dauer der Sitzungsteilnahme jedes Ratsmitglieds stattfinden.

In einem anderen Rahmen wird die Umsetzung einer parlamentarischen Initiative vorzunehmen sein, welche das System der Übernachtungsentschädigungen ändern will: Die Staatspolitischen Kommissionen beider Räte haben einer parlamentari23

Bericht der Finanz- und der Geschäftsprüfungskommissionen der Eidg. Räte vom 21. November 2014 über das Informatikprojekt Insieme, Ziff. 3.2.4.3 (BBl 2015 6377).

6830

BBl 2017

schen Initiative zugestimmt, wonach keine Übernachtungsentschädigungen an Ratsmitglieder mehr ausgerichtet werden sollen, die zuhause übernachten (16.413 s Pa.Iv. Eder Keine Übernachtungsentschädigungen für nicht erfolgte Übernachtungen). Die Nationalratskommission hat zudem einer parlamentarischen Initiative aus dem eigenen Rat zugestimmt, welche die gleiche Stossrichtung verfolgt (17.435 n Pa.Iv. Geissbühler. Für den Steuerzahler nachvollziehbare Spesenentschädigungen).

2.2

Parlamentsverwaltungsverordnung vom 3. Oktober 2003 2. Abschnitt: Protokolle und weitere Unterlagen der Kommissionen Es werden zwei Änderungen der Systematik dieses Abschnitts vorgenommen: ­

Der Titel des Abschnitts wird von «Protokolle der Kommissionssitzungen» in «Protokolle und weitere Unterlagen der Kommissionen» geändert: Der bisherige Titel ist Ausdruck der traditionellen, fast ausschliesslich auf die Sitzungsprotokolle fokussierten Betrachtungsweise. Doch selbstverständlich sind die Protokolle auch «Unterlagen»; dies ist der zutreffende Oberbegriff.

Die Systematik des 2. Abschnitts geht nun von folgendem Aufbau aus: Artikel 4 und 5 definieren die Protokolle und ihren Zweck. Artikel 5a legt die allgemeinen Regeln für die Klassifizierung der Protokolle und weiteren Unterlagen fest. Die Einzelheiten der Behandlung der Protokolle sind in Artikel 6, 6a, 6b, 6c und 7, diejenigen betreffend die weiteren Unterlagen sind in Artikel 8 geregelt.

­

Die Zuständigkeit der Aufsichtskommissionen und -delegationen für die Regelung der Behandlung ihrer Protokolle und weiteren Unterlagen wird bisher nur für die Verteilung der Sitzungsprotokolle und die Zugriffsberechtigungen im Extranet ausdrücklich statuiert. In der Praxis sind die Aufsichtskommissionen und -delegationen aber natürlich auch für die Behandlung ihrer weiteren Unterlagen selbst zuständig. In einem neuen Artikel 8a wird diese generelle Zuständigkeit begründet; dafür können Artikel 6 Absatz 5 und Artikel 6a Absatz 3 aufgehoben werden.

Art. 5a

Klassifizierung

Gemäss Botschaft und Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 22. Februar 2017 für ein «Informationssicherheitsgesetz» (E-ISG; BBl 2017 3097) sollen künftig die Klassifizierungsstufen «intern», «vertraulich» und «geheim» von allen Bundesbehörden einheitlich angewendet werden. Artikel 1 Absatz 2 E-ISG definiert die öffentlichen Interessen, die durch das Gesetz geschützt werden sollen. Buchstabe a nennt an erster Stelle «die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Behörden und Organisationen des Bundes» als schutzwürdiges Interesse. Die Kommissionen können aufgrund ihrer Aufgaben dieses Interesse geltend machen (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 47a ParlG, Ziff. 3). Wenn die Kenntnisnahme von Informationen durch Unberechtigte diese Interessen beeinträchtigen kann, so muss die Information gemäss Artikel 13 Absatz 1 E-ISG als «intern» klassifiziert werden.

6831

BBl 2017

Gemäss Artikel 12 E-ISG muss die Bundesversammlung festlegen, «welche Personen und Stellen für das Klassifizieren der Informationen zuständig sind (klassifizierende Stellen)». Diese Festlegung erfolgt durch Artikel 5a ParlVV in der Weise, dass jede Kommission für ihre Unterlagen «klassifizierende Stelle» ist. Die Aufgabe der Kommission als «klassifizierende Stelle» kann ohne jeden weiteren Aufwand erfüllt werden, indem grundsätzlich jede Unterlage als «intern» klassifiziert wird; vorbehalten bleibt eine ausdrückliche andere Klassifizierung durch die Kommission oder eine andere Behörde, was ein Ausnahmefall bleiben wird (z.B. im Bereich der Oberaufsicht).

Art. 6

Verteilung der Protokolle

Siehe die Erläuterung zum Titel des 2. Abschnitts der ParlVV.

Art. 6a

Extranet

Seit 2008 werden die Protokolle und weiteren Unterlagen der Kommissionen den Kommissionsmitgliedern auf einem geschützten Informationssystem zugänglich gemacht. Zugriffsrecht besteht aber nur auf die Unterlagen derjenigen Kommission, in welcher man Mitglied ist, sowie auf die Unterlagen der Schwesterkommission des anderen Rates. Die Unterlagen anderer Kommissionen können auf Wunsch in Papierform erhalten werden.

Das Büro des Nationalrates hat bereits am 8. November 2013 eine Vorlage unterbreitet (BBl 2013 8921), mit welcher alle Ratsmitglieder im Extranet erweiterte Zugriffsrechte auf die Kommissionsunterlagen erhalten sollten.

Das Büro hatte diese Vorlage allerdings in der Gesamtabstimmung nur mit 7 zu 5 Stimmen angenommen. Die starke Minderheit befürchtete eine Gefährdung der Vertraulichkeit der Kommissionsunterlagen. Nachdem auch der Bundesrat mit derselben Begründung Nichteintreten beantragt hatte, hat das Büro am 14. Februar 2014 die Vorlage zurückgezogen.

Die SPK hat nun einstimmig beschlossen, die Vorschläge des Büros aus dem Jahre 2013 unverändert zu übernehmen.

Je mehr sich der Gebrauch des Extranet etabliert hat, desto mehr wird die geltende einschränkende Regelung als nicht mehr zeitgerecht beurteilt. Betroffen sind vor allem Ratsmitglieder, die an einer Kommissionssitzung nicht als ständiges Mitglied, sondern als Stellvertreterin oder Stellvertreter eines abwesenden Kommissionsmitglieds teilnehmen.

Als stossend wird empfunden, dass Mitarbeitende der Fraktionssekretariate weitergehende Zugriffsrechte haben als Ratsmitglieder und insbesondere ihre Fraktionschefin oder ihr Fraktionschef.

Die Befürchtungen betreffend der Wahrung der Vertraulichkeit sind zwar ernst zu nehmen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Ratsmitglieder durch den Zugang zum Extranet keine Einsichtsrechte in zusätzliche Dokumente erhalten; der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Dokumente nicht nur in Papierform, sondern auch in elektronischer Form eingesehen werden können. Wer eine Indiskretion

6832

BBl 2017

begehen möchte, kommt auch auf dem Wege über die Papierversion zum Ziel. Wer dies auf dem Wege über die elektronische Version tut, kann im Falle eines konkreten Verdachts auch auf elektronischem Weg identifiziert werden. Auf Initiative des Büros des Nationalrates (14.402 Pa.Iv. Büro-NR. Aufzeichnung und Auswertung der elektronischen Zugriffsprotokolle der Ratsmitglieder) wurden mit der Ergänzung der ParlVV vom 19. Juni 2015 (AS 2015 2889) die Artikel 16c und 16d eingefügt, welche die nötigen rechtlichen Grundlagen für eine namentliche personenbezogene Auswertung der Zugriffsdaten im Extranet im Falle eines Missbrauchs oder Missbrauchverdachts schaffen.

Gemäss Absatz 2 erhalten die Ratsmitglieder im Extranet Zugriff auf die Kommissionsprotokolle, welche einen Erlassentwurf, eine parlamentarische Initiative, eine Standesinitiative, eine Motion im Zweitrat, eine Petition oder einen Bericht betreffen. Was die kommissionseigenen Geschäfte (d.h. die Geschäfte, die nicht an den Rat gehen, z.B. Konsultationen im Bereich der Aussenpolitik oder Konsultationen zu Verordnungsentwürfen) betrifft, so wird gemäss Absatz 2bis die bisherige Regelung beibehalten, d.h. es besteht Zugriff nur auf die Protokolle der eigenen Kommission und der Schwesterkommission.

Artikel 6a erwähnt wie bisher nur die Protokolle. Aufgrund des Verweises in Artikel 8 Absatz 1 gelten die Zugriffsrechte aber auch für die weiteren Unterlagen der betreffenden Kommissionen.

Im Bereich der Oberaufsicht regeln die Aufsichtskommissionen die Zugriffsrechte nach wie vor selbst. Die entsprechende Bestimmung im bisherigen Absatz 3 wird aus Gründen der Systematik (siehe die Erläuterung zum Titel des 2. Abschnittes der ParlVV) in den neuen Artikel 8a verschoben.

Nach wie vor kann gemäss Absatz 4 eine Kommissionspräsidentin oder ein Kommissionspräsident ausnahmsweise auf eine elektronische Bereitstellung im Extranet verzichten, wenn überwiegende private oder öffentliche Interessen dies rechtfertigen.

Art. 6b

Zugriff der Fraktionssekretariate und der Parlamentsdienste im Extranet

Aus Gründen der Systematik muss die bisher in Artikel 6a enthaltene rechtliche Grundlage für die Zugriffsrechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Parlamentsdienste in Artikel 6b verschoben werden (Abs. 1 und 1bis), ohne dass sich dadurch eine Änderung ergibt.

Ferner muss in Artikel 6b Absatz 1 Buchstabe b ein gesetzgeberisches Versehen korrigiert werden, welches zur Folge hat, dass die Fraktionssekretariate Anspruch auf Zugriff auf die Protokolle und weiteren Unterlagen der Immunitätskommission hätten, obwohl das offensichtlich nicht dem Willen der Bundesversammlung entspricht. In der Praxis wurde die im Jahre 2011 ungewollt vorgenommene Änderung der Rechtslage allerdings nicht umgesetzt.

Als Artikel 6b am 1. Juli 2009 in Kraft getreten ist (08.412/08.413/08.414/08.415; AS 2009 2795), existierte noch die Kommission für öffentliche Bauten (KöB) des Nationalrates (Art. 10 Ziff. 12 GRN). Gemäss dem Verweis in Artikel 6b auf Arti6833

BBl 2017

kel 10 Ziffern 3­12 GRN hatten die Fraktionssekretariate also auch Zugang auf die Protokolle und weiteren Unterlagen der KöB. Mit der am 5. Dezember 2010 in Kraft getretenen Änderung des GRN vom 1. Oktober 2010 (09.429) wurde Artikel 10 Ziffer 12 aufgehoben und damit die KöB abgeschafft (AS 2010 4543). Ein Jahr später wurde mit der am 5. Dezember 2011 in Kraft getretenen Änderung des GRN vom 30. September 2011 die Immunitätskommission (IK) geschaffen und mit der jetzt freien Ziffer 12 von Artikel 10 im GRN verankert. Dabei wurde übersehen, dass Artikel 6b ParlVV hätte angepasst werden müssen. Bei der Aufnahme dieses Artikels in die ParlVV war es nämlich erklärte Absicht, den Fraktionssekretariaten auf die Protokolle und weiteren Unterlagen zu Gesuchen um die Aufhebung der Immunität keinen Zugriff zu gewähren: «Gründe dafür sind der Persönlichkeitsschutz und die Tatsache, dass die Unterlagen zum Teil aus Dossiers laufender Strafverfahren stammen» (Bericht des Büros des Nationalrates vom 18. September 2008; BBl 2008 8222).

Art. 6c

Zugriff von persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ratsmitglieder im Extranet

Mit der Aufnahme des neuen Artikels 6c wird die parlamentarische Initiative von Nationalrat Eric Nussbaumer (S, BL) umgesetzt (15.496 Pa.Iv. Nussbaumer. Zugang zum Extranet der Bundesversammlung für persönliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ratsmitgliedern). Das Büro des Nationalrates hat der Initiative am 11. November 2016 mit 7 zu 4 Stimmen bei 2 Enthaltungen Folge gegeben. Das Büro des Ständerates hat sich diesem Beschluss am 3. Februar 2017 einstimmig angeschlossen. Am 27. Februar 2017 hat das Büro des Nationalrates die Initiative zur Ausarbeitung der nötigen Rechtsänderungen der SPK zugewiesen.

Die SPK schliesst sich dem Grundsatzbeschluss des Büros an. Jedes Ratsmitglied erhält gemäss Artikel 3a des Parlamentsressourcengesetzes (PRG; SR 171.21) «eine Jahresentschädigung von 33 000 Franken als Beitrag zur Deckung der Personal- und Sachausgaben, die der Erfüllung ihres parlamentarischen Mandates dienen». Das Parlamentsrecht sieht also bereits heute die Existenz von persönlichen Mitarbeitenden der Ratsmitglieder vor. Falls ein Ratsmitglied von der Möglichkeit einer derartigen Anstellung Gebrauch macht, so wird es häufig auch erwarten, dadurch eine Unterstützung zu erhalten bei der Vorbereitung von Kommissions- und Ratssitzungen. Zu diesem Zweck sollte die oder der persönliche Mitarbeitende aber auch Zugriff auf die Protokolle und weiteren Unterlagen der Kommission haben können.

Es ist naheliegend, den persönlichen Mitarbeitenden dieselben Zugriffsrechte zu gewähren wie den Mitarbeitenden der Fraktionssekretariate, mit dem Unterschied, dass sie nur Zugriff haben auf die Protokolle derjenigen Kommissionen, welchen das Ratsmitglied angehört, für das sie tätig sind (Abs. 1). Damit geht das Zugriffsrecht eines persönlichen Mitarbeitenden auch nicht so weit wie dasjenige des Ratsmitglieds, das gemäss dem Vorschlag der Kommission für Artikel 6a neu auch Zugriff auf bestimmte Protokolle anderer Kommissionen erhält. Artikel 6c erwähnt wie der bestehende Artikel 6b nur die Protokolle. Aufgrund des Verweises in Artikel 8 Absatz 1 gelten die Zugriffsrechte aber auch für die weiteren Unterlagen der betreffenden Kommissionen.

6834

BBl 2017

Wie die Fraktionssekretariate erhalten die persönlichen Mitarbeitenden aufgrund des generellen Verweises von Artikel 6c auf Artikel 6b keinen Zugriff auf die Unterlagen von Kommissionen, die besonders sensible Informationen enthalten. Dies sind die Finanz- und Geschäftsprüfungskommissionen (Art. 10 Ziff. 1 und 2 GRN; Art. 7 Ziff. 1 und 2 GRS) sowie die Immunitätskommission des Nationalrates (Art. 10 Ziff. 12 GRN; siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 6b ParlVV). Aufgrund des generellen Verweises in Artikel 6c auf Artikel 6b gelten die Zugriffsrechte zwar für Mitarbeitende, die für ein Mitglied des Büros des Nationalrates tätig sind. Sie gelten aber nicht für Mitarbeitende eines Mitglieds des Büros des Ständerates. Auch für die persönlichen Mitarbeitenden anwendbar ist Artikel 6b Absatz 3: «Die Kommissionspräsidentin oder der Kommissionspräsident kann auf die Zustellung oder die Bereitstellung von Protokollen über kommissionseigene Geschäfte verzichten, wenn dies durch überwiegende öffentliche oder private Interessen gerechtfertigt ist».

Diese Bestimmung liefert die nötige Grundlage dafür, dass z.B. die Unterlagen der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates betreffend Gesuche um Aufhebung der Immunität für die Fraktionssekretariate und damit auch für die persönlichen Mitarbeitenden nicht zugänglich sind (zur Begründung siehe die Erläuterungen zu Art. 6b ParlVV).

Der Verweis in Artikel 6c Absatz 2 auf das für die persönlichen Mitarbeitenden geltende Amtsgeheimnis (Art. 8 ParlG) entspricht dem analogen Verweis in Artikel 62 Absatz 4 ParlG, wonach die Fraktionssekretariate dem Amtsgeheimnis unterstehen.

Durch die Anstellung einer oder eines persönlichen Mitarbeitenden, die oder der Zugriff auf klassifizierte Kommissionsunterlagen erhält und zugleich auch für andere Arbeitgeber als das Kommissionsmitglied tätig ist, können zusätzliche Interessenbindungen entstehen. Die oder der persönliche Mitarbeitende darf zwar einem anderen Arbeitgeber keine Informationen über klassifizierte Unterlagen weitergeben. Auch bei Einhaltung des Amtsgeheimnisses kann aber kaum vermieden werden, dass der andere Arbeitgeber davon profitieren kann, dass seine Mitarbeiterin oder sein Mitarbeiter dank einer Doppelunterstellung nicht öffentlich zugängliche Informationen erhalten kann. Die Offenlegung der Personalien und
der weiteren Arbeitgeber derjenigen persönlichen Mitarbeitenden, die Zugriff auf das Extranet erhalten, ist daher notwendig. Die Parlamentsdienste führen ein entsprechendes öffentliches Register (Abs. 3 und 4). Werden die Angaben gemäss Absatz 3 nicht geliefert oder stellt sich heraus, dass sie unvollständig sind, so wird der Zugriff auf das Extranet nicht erteilt bzw. wieder entzogen.

Art. 8

Weitere Unterlagen

Die Bestimmungen über die Verteilung der Sitzungsprotokolle, ihre Verfügbarkeit im Extranet und die Akteneinsicht sind auch für die weiteren Unterlagen der Kommissionen anwendbar (Abs. 1). Neu werden aber die Kommissionen mit Absatz 3 ausdrücklich ermächtigt, «wichtige Unterlagen» zu veröffentlichen und damit zu entklassifizieren. Als wichtig sind insbesondere Unterlagen zu betrachten, die für das Verständnis von Kommissionsanträgen an den Rat wesentlich sind. Der geeignete Moment für die Beurteilung, ob eine Unterlage diese Bedeutung hat, ist der Abschluss der Kommissionsberatungen. Damit diese Bestimmung in der Praxis 6835

BBl 2017

möglichst breite Anwendung findet, sollte die Frage der Veröffentlichung von Unterlagen zu diesem Zeitpunkt systematisch geprüft werden. Es ist Aufgabe der Kommissionssekretariate, diese Fragestellung zuhanden der Präsidentin oder des Präsidenten vorzubereiten. Falls die Veröffentlichung bestimmter Unterlagen in Betracht gezogen werden sollte ­ bei vielen, insb. weniger komplexen oder unbestrittenen Geschäften wird dies nicht nötig sein ­ kann die Präsidentin oder der Präsident entsprechende Vorschläge unterbreiten. Das Verfahren ist ähnlich wie dasjenige nach Artikel 151 Absatz 2 ParlG, wonach eine Kommission nach der Gesamtabstimmung über einen Erlassentwurf entscheidet, ob sie zum Entwurf der Verordnung des Bundesrates konsultiert werden will.

Der erste Satz von Absatz 1 ermöglicht aber auch eine Veröffentlichung zu einem anderen, insbesondere auch zu einem früheren Zeitpunkt, was heute ohne Rechtsgrundlage bereits von einigen Kommissionen praktiziert wird. Neben dem oben genannten Motiv kann z.B. auch die Prävention von Indiskretionen ein Grund für eine Veröffentlichung sein.

Eine mit 14 zu 8 Stimmen unterlegene Kommissionsminderheit (Barrile, Galladé, Glättli, Kiener Nellen, Piller Carrard, Streiff, Wermuth) schlägt vor, dass nach dem Abschluss der Beratungen nicht nur die Kommission, sondern auch die Kommissionspräsidentin oder der Kommissionspräsident eine Unterlage entklassifizieren können (Abs. 3bis). Die Bedeutung einer Unterlage für die öffentliche Diskussion sei zum Zeitpunkt des Abschlusses der Kommissionsberatungen in der Praxis nicht immer absehbar. Wenn das öffentliche Interesse an einer Unterlage zu einem späteren Zeitpunkt entsteht, so sollte ihm auf eine einfache Weise Rechnung getragen werden können, falls keine schutzwürdigen Interessen entgegenstehen. Falls allein die Kommission zuständig ist, müsste die Frage in der Kommission extra traktandiert werden, weil das Geschäft in der Kommission nicht mehr hängig ist. Dies wäre ein unverhältnismässiger Aufwand und würde häufig auch zu einer grösseren Verzögerung führen, welche das Gesuch nach Herausgabe eines Dokumentes obsolet macht. Der Antrag der Minderheit sieht nicht nur eine aktive Veröffentlichung (im Internet) vor, sondern auch eine weniger weitgehende Entklassifizierung, d.h. eine Herausgabe an Dritte auf Anfrage.
Die Kommission hat im Verfahren nach Absatz 3 zu prüfen, ob «schützenswerte Interessen» vorliegen, die gegen eine Veröffentlichung sprechen (gemäss Kommissionsminderheit für einen Abs. 3bis würde dies auch für die Kommissionspräsidentin oder den Kommissionspräsidenten im Verfahren nach Abs. 3bis gelten). Schützenswerte Interessen sind gemäss Artikel 1 Absatz 2 E-ISG: «a. die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Behörden und Organisationen des Bundes; b.

die innere und äussere Sicherheit der Schweiz;

c.

die aussenpolitischen Interessen der Schweiz;

d.

die wirtschafts-, finanz- und währungspolitischen Interessen der Schweiz;

e.

die Erfüllung der gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen der Behörden und Organisationen des Bundes zum Schutz von Informationen.»

6836

BBl 2017

Eine gesetzliche Verpflichtung im Sinne von Buchstabe e ist z.B. diejenige von Artikel 47 Absatz 1 ParlG: Wenn z.B. ein Bericht der Verwaltung veröffentlicht werden soll, der explizit Bezug nimmt auf einen Antrag eines Kommissionsmitglieds, so muss der Name dieses Kommissionsmitglieds geschwärzt werden. Die Vorschriften des Datenschutzgesetzes (insb. die Vorschriften von Art. 19 betr. die Bekanntgabe von Personendaten durch Organe des Bundes) gelten auch für Kommissionen der Bundesversammlung.

Vor einer Veröffentlichung nach Absatz 3 muss die Urheberin oder der Urheber der Unterlage angehört werden (Abs. 4). Urheberinnen sind z.B. eine Verwaltungsstelle oder eine Expertin. Sie erstellen die Unterlage im Hinblick darauf, dass sie der Kommission als Diskussions- und Entscheidgrundlage dient und nicht öffentlich zugänglich sein wird. Sie sollen ihre allfälligen Einwände gegen eine Veröffentlichung geltend machen können. Falls diese Einwände plausibel sind, so werden die Kommissionen bzw. Kommissionspräsidien sie ernst nehmen müssen, da sie kein Interesse daran haben können, unter Umständen von den Urheberinnen in Zukunft nicht mehr im selben Ausmass informiert zu werden. Aufgrund der bisherigen, weitgehend konfliktfreien Praxis darf erwartet werden, dass sich die Kommissionen auch weiterhin über berechtigte Einwände gegen eine Veröffentlichung nicht hinwegsetzen werden. Sollte ausnahmsweise doch kein Einvernehmen zwischen Kommission und Urheberin einer Unterlage hergestellt werden können, so kann es aber aufgrund der verfassungsrechtlichen Stellung der Kommissionen nicht angehen, dass z.B. einer Verwaltungsstelle ein Vetorecht eingeräumt wird gegen den Beschluss einer Kommission für die Veröffentlichung einer Unterlage. Es ist ja auch denkbar, dass die Kommission bei der nötigen Interessenabwägung zur Schlussfolgerung gelangt, dass ihr politisches Interesse an einer Veröffentlichung überwiegt gegenüber dem Einwand der Verwaltung, der möglicherweise auch politisch und nicht sachlich motiviert ist.

Die vorgeschlagene Anhörungspflicht geht übrigens weiter als Artikel 15 Absatz 2 E-ISG, der lediglich vorsieht, dass das zuständige parlamentarische Organ vor der Entklassifizierung die klassifizierende Stelle anhören kann.

Ist die Urheberin oder der Urheber der Unterlage (z.B. eine Vertretung des Bundesrates)
während der Beratung der Kommission über die Frage der Veröffentlichung anwesend, so kann die Anhörung mündlich erfolgen; in allen anderen Fällen ist die Stellungnahme schriftlich einzuholen.

In bestimmten Ausnahmefällen darf eine Unterlage aber nur mit Zustimmung der Urheberin oder des Urhebers der Unterlage öffentlich zugänglich gemacht werden (Abs. 5): ­

Buchstabe a: Diese Zustimmung ist erforderlich für «Unterlagen, welche eine Kommission in Ausübung ihrer Informations- und Konsultationsrechte im Bereich der Aussenpolitik (Art. 152) erhalten hat». Der Bundesrat verfügt über eine verfassungsunmittelbare Zuständigkeit für die Vertretung der Schweiz nach aussen (Art. 184 Abs. 1 und 2 BV); insb. führt der Bundesrat internationale Verhandlungen. Die Ausübung dieser Zuständigkeit darf durch eine Kommission nicht beeinträchtigt werden, indem sie gegen den Willen des Bundesrates Unterlagen veröffentlicht.

6837

BBl 2017

­

Buchstabe b: Die Verfügungsgewalt einer Kommission über Unterlagen wird begrenzt durch die allgemeinen Informationsrechte der Kommissionen (Art. 150 Abs. 2 ParlG); auch die weiter gehenden Informationsrechte der Aufsichtskommissionen sind nicht unbeschränkt (Art. 153 Abs. 6 ParlG; demgegenüber begründen Art. 169 Abs. 2 BV und Art. 154 ParlG unbeschränkte Rechte der Delegationen der Aufsichtskommissionen). Es kommt in der Praxis aber vor, dass eine Kommission Informationen vom Bundesrat erhält, auf die sie keinen Anspruch hätte. Es wäre nicht logisch, wenn sie diese Informationen ohne Zustimmung des Bundesrates veröffentlichen dürfte. Zum Beispiel können die Sicherheitspolitischen Kommissionen im Rahmen der Beratung von Rüstungsbeschaffungen Informationen erhalten, «deren Kenntnisnahme durch Unberechtigte den Landesinteressen einen schweren Schaden zufügen kann» (kein Anspruch auf Information gemäss Art. 150 Abs. 2 Bst. b ParlG).

Es kann strittig sein, ob eine der in Artikel 150 Absatz 2 und in Artikel 153 Absatz 6 genannten Voraussetzungen für eine Beschränkung der Informationsrechte erfüllt ist. Gemäss den allgemeinen Informationsrechten der Kommissionen entscheidet in diesem Fall der Bundesrat (Art. 150 Abs. 6); folglich muss auch seine Beurteilung massgebend sein im Falle einer strittigen Veröffentlichung (Absatz 6 1. Satz). Dies gilt auch für den «Bericht» über den Inhalt der Unterlagen, welchen der Bundesrat gemäss Artikel 150 Absatz 6 der Kommission vorlegen kann. Demgegenüber entscheidet im Streitfall zwischen Bundesrat und Aufsichtskommission die Letztere «endgültig über die Ausübung ihrer Informationsrechte» (Art. 153 Abs. 6 ParlG); folglich entscheidet sie auch endgültig über eine Veröffentlichung (Abs. 6 2. Satz).

Diese Konfliktregelungen werden in der Praxis voraussichtlich so wenig zur Anwendung gelangen wie die entsprechenden Regelungen über die strittige Herausgabe von Informationen; sie haben aber präventiven Charakter.

Art. 8a

Protokolle und weitere Unterlagen der Aufsichtskommissionen und -delegationen

Siehe die Erläuterung zum Titel des 2. Abschnitts der ParlVV (am Anfang der Erläuterungen zu den Änderungen der ParlVV). Zu beachten ist, dass die selbstständigen Regelungen der Aufsichtskommissionen nur gelten, wenn diese Kommissionen Funktionen der Oberaufsicht wahrnehmen. Wenn die Finanz- oder Geschäftsprüfungskommissionen andere Aufgaben des Parlamentes erfüllen (Gesetzgebung, Finanzen, Mitwirkung bei der Planung), so sind die allgemeinen Bestimmungen der ParlVV über die Behandlung der Protokolle und weiteren Unterlagen der Kommissionen anzuwenden.

Art. 10

(Parlamentarische Verwaltungskontrolle)

Gemäss 170 BV sorgt die Bundesversammlung dafür, «dass die Massnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit überprüft werden». Indem dieser Aufgabe der Bundesversammlung ein eigener Artikel gewidmet wird, wird klargestellt, dass diese Aufgabe nicht nur im Rahmen der Oberaufsicht der Bundesversammlung über die Tätigkeit der anderen Organe und Träger von Aufgaben des Bundes (Art. 169 BV)

6838

BBl 2017

wahrgenommen werden soll. Die Bundesversammlung soll auch die Wirksamkeit ihrer eigenen Tätigkeit, insb. die Gesetzgebung prüfen. Artikel 44 Absatz 1 Buchstabe e ParlG gibt daher nicht nur den Aufsichtskommissionen, sondern allen Kommissionen die Aufgabe, «für die Wirksamkeitsüberprüfung in ihren Zuständigkeitsbereichen» zu sorgen. Die nötige Koordination wurde früher durch den Artikel 54 ParlG sichergestellt. Diese Bestimmung sah eine «Konferenz der Präsidien der Aufsichtskommissionen und -delegationen» vor, welche unter anderem auch die Aufgabe hatte, über Anträge von Kommissionen für die Durchführung von Wirksamkeitsüberprüfungen durch die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) zu entscheiden. Mit Änderung des ParlG vom 3. Oktober 2008 wurde Artikel 54 aufgehoben. Weil diese Sammelvorlage für verschiedene Änderungen des Parlamentsrechts die ParlVV sonst in keinem Punkt betraf, verzichtete man darauf, die nötigen Anpassungen von Artikel 10 ParlVV vorzunehmen. Jetzt bietet sich dazu die Gelegenheit. Artikel 10 unterstellt die PVK den GPK. Folglich können andere Kommissionen der PVK nicht direkt einen Auftrag erteilen; nötig ist gemäss dem neu gefassten Absatz 2 die Zustimmung beider GPK.

5. Abschnitt: Aufzeichnung und Verbreitung der Ratsdebatten Art. 14

Verbreitung im Internet

Artikel 14 im 5. Abschnitt des ParlVV (bisher «Radio und Fernsehen») schreibt vor, dass die Ratsmitglieder über eine Direktübertragung der Verhandlungen informiert werden müssen. Heute können aber dank «Streaming» alle Ratsverhandlungen im Internet auf www.parlament.ch unmittelbar verfolgt werden. Debatten zu Geschäften mit grossem Publikumsinteresse werden zudem auf Webportalen einzelner OnlineMedien übertragen. Die Nutzung der Direktübertragungen im Internet während solcher wichtiger Debatten ist intensiv. Beispiele: 39 947 Zugriffe am 9. Dezember 2015 (Bundesratswahlen), 14 735 Zugriffe am 21. September 2016 (Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative), 34 115 Zugriffe am 28. Februar 2017 (Altersvorsorge 2020). Die Vorschrift von Artikel 14 macht aufgrund der technischen Entwicklung wenig Sinn und soll daher aufgehoben werden.

Neu wird in Artikel 14 die heutige Praxis der Direktübertragung im Internet dargestellt; damit wird eine ausdrückliche rechtliche Grundlage für diese Praxis geschaffen.

Art. 27

Anstellung des Personals der Parlamentsdienste

Absatz 1 begründet die Zuständigkeit der Verwaltungsdelegation für die Begründung, Änderung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse einiger Kaderfunktionen in den Parlamentsdiensten. Buchstabe d enthält eine von den übrigen Anstellungen abweichende Regelung für die Anstellung der Sekretärin oder des Sekretärs der Finanzkommissionen und der Finanzdelegation: Diese Anstellung durch die Verwaltungsdelegation muss durch die Finanzdelegation bestätigt werden. Diese Sonderregelung war nötig, weil das Finanzkontrollgesetz vom 28. Juni 1967 (FKG; SR 614.0) in Artikel 18 dieselbe Regelung enthielt. Diese heute schwer verständliche Regelung 6839

BBl 2017

geht darauf zurück, dass unter der Herrschaft der bis am 31. Dezember 1999 in Kraft stehenden BV von 1874 der Bundesrat formelle Wahlbehörde für diesen Sekretär war. Unter diesen Umständen war die Erfordernis einer nachträglichen Bestätigung der Wahl durch die Finanzdelegation sinnvoll. Mit dem Inkrafttreten der BV 1999 wurde der Bundesrat als Wahlbehörde durch die Verwaltungsdelegation der Bundesversammlung ersetzt, die Bestätigung der Wahl durch die Finanzdelegation aber beibehalten. Diese Regelung bedeutet eine unnötige Komplizierung des Verfahrens.

Nachdem Artikel 18 FKG auf Antrag der Finanzdelegation im FKG aufgehoben worden ist (16.064; Änderung des FKG vom 17. März 2017, BBl 2017 2466), kann auch Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe d ParlVV entsprechend angepasst werden.

Änderung eines anderen Erlasses Verordnung der Bundesversammlung über die Pflege der internationalen Beziehungen des Parlamentes (VPiB) Art. 9a

Öffentliches Register der amtlichen Reisen von Ratsmitgliedern im Ausland

Mit dem neuen Artikel 9a der Verordnung über die Pflege der internationalen Beziehungen des Parlaments (VPiB) wird die parlamentarische Initiative von Nationalrat Alfred Heer (V, ZH) umgesetzt (15.442 Pa.Iv. Heer. Auskunftspflicht über die Reisetätigkeit von Mitgliedern der Bundesversammlung). Die SPK-NR hat der Initiative am 4. Februar 2016 mit 20 zu 4 Stimmen Folge gegeben. Nachdem die SPK-SR diesem Beschluss am 3. Mai 2016 mit 7 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen seine Zustimmung verweigert hat, hat der Nationalrat der Initiative auf Antrag seiner SPK am 28. Februar 2017 Folge gegeben, ohne dass ein anderer Antrag gestellt worden ist. Die SPK-SR stimmte am 31. März 2017 ohne Gegenantrag zu.

Die Kommission ist der Ansicht, dass ein Anrecht auf öffentliche Auskünfte über die Reisetätigkeiten von Ratsmitgliedern besteht, wenn diese auf Kosten der Öffentlichkeit reisen. Wer mit Steuergeldern unterwegs ist, soll darüber auch Rechenschaft ablegen. Dies schafft Transparenz und steigert das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik. Aufgrund der bisher fehlenden rechtlichen Grundlage wurden derartige Auskünfte bisher nicht erteilt. Diese Verweigerung von Informationen hat den Recherchierjournalismus nicht verhindert, sondern vielmehr angeregt. Die unklare Informationsgrundlage hat aber eine tendenziell unsachliche und fehlerhafte Berichterstattung zur Folge. Es ist besser, wenn fundierte Zahlen bekanntgegeben werden, als wenn in den Medien spekuliert wird.

Die Initiative von Nationalrat Heer forderte zwar nur, dass über die Reisetätigkeit der Ratsmitglieder auf Anfrage hin Auskunft erteilt wird. Es ist aber zweckmässiger, wenn diese Informationen im Internet proaktiv veröffentlicht werden. Der administrative Aufwand für die erstmalige Erstellung und die spätere Aktualisierung eines derartigen Registers ist geringer, als wenn im Einzelfall Auskünfte zusammengestellt werden müssen.

Absatz 1 definiert den Anwendungsbereich dieser Pflicht zur Veröffentlichung, indem festgelegt wird, dass alle Reisen offen gelegt werden müssen, welche gestützt

6840

BBl 2017

auf die VPiB unternommen werden und das Budget der Bundesversammlung belasten. Damit werden alle in Frage kommenden Reisen erfasst. Es sind dies die Reisen: ­

der nicht ständigen Delegationen der Aussenpolitischen Kommissionen (Art. 1 Abs. 3 VPiB);

­

der ständigen Delegationen in internationalen parlamentarischen Versammlungen (Art. 2 VPiB), inkl. die Reisen, welche Ratsmitglieder im Auftrag einer solchen Versammlung (z.B. Wahlbeobachtungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates) unternehmen;

­

der ständigen Delegationen zur Pflege der Beziehungen zu den Parlamenten der Nachbarländer (Art. 4 VPiB);

­

der nicht ständigen Delegationen (Art. 5 VPiB; zu dieser Kategorie gehören u.a. auch Reisen einzelner Ratsmitglieder, der Ratspräsidentinnen und -präsidenten, aber auch Delegationen anderer Kommissionen als der Aussenpolitischen Kommissionen);

­

auf Einladung von Mitgliedern des Bundesrates (Art. 12 VPiB; Ratsmitglieder erhalten ein Taggeld zu Lasten der Bundesversammlung, die übrigen Kosten gehen zu Lasten des Bundesrates).

Absatz 2 legt fest, welche Informationen die Parlamentsdienste über diese Reisen im Register offen legen. Gemäss Buchstabe a wird eine Liste aller Reisen geführt und laufend aktualisiert, sobald jeweils nach einer Reise die nötigen Angaben vorliegen.

Für jede Reise wird angegeben, welches Organ (siehe die Aufzählung der in Frage kommenden Organe in der Erläuterung zu Abs. 1) diese Reise ausführt. Weiter werden der Grund der Reise, ihr Zielort und die Namen der effektiv teilnehmenden Ratsmitglieder aufgeführt. Gemäss Buchstabe b werden einmal pro Jahr die Gesamtkosten (Taggelder, Reisekosten, Spesenentschädigungen, usw.) der Reisen für jedes Organ angegeben. Es ist zu beachten, dass diese Angaben nur mit einiger Verzögerung geliefert werden können, weil erfahrungsgemäss einzelne Abrechnungen erst einige Monate nach einer Reise vorliegen.

Der Text der Initiative von Nationalrat Heer fordert keine Publikation der Kosten pro einzelnes Ratsmitglied. Eine derartige Aufschlüsselung wäre problematisch, da bei einer Delegationsreise auch Gesamtkosten anfallen, die nicht das einzelne Mitglied verursacht. Die Kosten können auch nicht einfach anteilmässig auf alle Mitglieder verteilt werden. In der Praxis reisen einzelne Delegationsmitglieder häufig auf verschiedenen Routen und nehmen nicht während derselben Dauer an der Reise teil, was zu unterschiedlichen Reisekosten führt. Die genaue Berechnung der Kosten pro Person würde einen unverhältnismässigen Aufwand herbeiführen. Diese Publikation wäre aber auch aus institutioneller Sicht nicht gerechtfertigt, weil die Ratsmitglieder nicht in ihrer Eigenschaft als Einzelpersonen, sondern im Namen und Auftrag des parlamentarischen Organs reisen, welches sie bestimmt hat. So argumentierte auch bereits die Verwaltungsdelegation (zusammengesetzt aus den beiden dreiköpfigen Ratspräsiden), die am 31. Mai 2007 eine solche Publikation ablehnte: «Insbesondere soll auf eine weitere Aufschlüsselung nach einzelnen Ratsmitgliedern verzichtet werden, da es sich immer um institutionell begründete und nicht personenbezogene Reisen handelt» (wiedergegeben in der Stellungnahme des Büro des

6841

BBl 2017

Nationalrates zu 08.3897 Ip. Wobmann. Übersicht über Reisen der Parlamentarier 2007 und 2008).

Eine Kommissionsminderheit (Masshardt, Barrile, Galladé, Glättli, Piller Carrard, Streiff, Wermuth) möchte in das Register auch die Reisen aufnehmen lassen, welche Ratsmitglieder «auf Einladung schweizerischer, ausländischer oder internationaler Behörden und Interessengruppen annehmen» und die also nicht zu Lasten der Rechnung der Bundesversammlung gehen. Durch derartige Reisen können nach Ansicht der Minderheit Interessenbindungen entstehen, über die Transparenz hergestellt werden sollte.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Mitglieder der Bundesversammlung durch das schweizerische Korruptionsstrafrecht erfasst werden und sich daher nach dem Straftatbestand der Vorteilsannahme (Art. 322sexies StGB, SR 311.0) strafbar machen können. Am 11. Dezember 2007 haben die Büros Empfehlungen erlassen, welche darlegen, was diese Straftatbestimmung für Mitglieder der Bundesversammlung konkret bedeutet. So wird zum Beispiel unter Ziffer 5 dieser Empfehlungen erläutert, dass «eine Einladung einer schweizerischen oder internationalen Interessenorganisation zu einer Informationsreise angenommen werden kann, sofern die Ratsmitglieder die Reisekosten selber bezahlen». Für die Kommissionsminderheit würde eine Pflicht zur Meldung derartiger Reisen eine bessere Kontrolle über die Einhaltung dieser Bestimmungen ermöglichen. Die Kommission betrachtet es aber als unlogisch, mit einer gesetzlichen Bestimmung die öffentliche Bekanntgabe von potenziell rechtswidrigem Verhalten zu verlangen.

2.3 Art. 15

Geschäftsreglement des Nationalrates vom 3. Oktober 2003 Verteilung der Sitze

In Artikel 15 GRN muss ein ähnliches gesetzgeberisches Versehen korrigiert werden wie in Artikel 6a ParlVV. Mit der Änderung des GRN vom 3. Oktober 2008 wurde erreicht, dass die 275 Sitze der grundsätzlich gleichwertigen ständigen Kommissionen mit 25 Mitgliedern gesamthaft auf die Fraktionen verteilt werden. Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a verwies damals auf Artikel 10 Ziffern 1­11 (AS 2009 733): In diese Gesamtverteilung nicht einbezogen wurden also die Sitze in der Kommission für öffentliche Bauten (KöB; Art. 10 Ziff. 12), weil diese Kommission mit 11 Mitgliedern nicht gleich behandelt werden sollte. Mit der am 5. Dezember 2010 in Kraft getretenen Änderung des GRN vom 1. Oktober 2010 (09.429) wurde Artikel 10 Ziffer 12 aufgehoben und damit die KöB abgeschafft. In Artikel 15 wurde nur noch generell auf Artikel 10 verwiesen (AS 2010 4543). Ein Jahr später wurde mit der am 5. Dezember 2011 in Kraft getretenen Änderung des GRN vom 30. September 2011 die Immunitätskommission (IK) geschaffen und mit der jetzt freien Ziffer 12 von Artikel 10 im GRN verankert. Dabei wurde übersehen, dass Artikel 15 GRN hätte angepasst werden müssen. Auch die IK unterscheidet sich wie früher die KöB von den anderen ständigen Kommissionen und sollte daher nicht in die Gesamtberechnung der Verteilung der Kommissionssitze einbezogen werden.

6842

BBl 2017

Art. 18

Stellvertretung

Gemäss Artikel 18 Absatz 1 GRN kann sich ein Kommissionsmitglied «für eine einzelne Sitzung in der Kommission oder in einer Subkommission vertreten lassen».

Die Minderheit (Romano, Fluri, Humbel, Jauslin, Moret, Nantermod, Pfister Gerhard, Rutz Gregor, Streiff) möchte die Möglichkeit zur Vertretung in einer Subkommission beschränken, indem sich Mitglieder einer Subkommission nur durch Mitglieder der «Mutterkommission», nicht aber durch irgendwelche weiteren Ratsmitglieder vertreten lassen können. Aufgabe einer Subkommission sei seriöse Arbeit; die parteipolitische Repräsentation sei hier weniger wichtig. Die Kommission möchte die Stellvertretungsregelung nicht ändern, weil sie die personelle Flexibilität erlaubt, welche vor allem für kleine Fraktionen nötig ist.

Art. 34

Sitzungszeiten

Die Kommission schlägt zwei Änderungen der Sitzungszeiten des Nationalrates vor: 1.

Weil die Züge in Bern gemäss Taktfahrplan in den Minuten vor und nach 8.00 Uhr ankommen, sollen die Ratssitzungen am Morgen um 8.15 Uhr beginnen und entsprechend bis 13.15 Uhr verlängert werden. Damit wird die Präsenz im Ratssaal zu Sitzungsbeginn verbessert. Damit wird insbesondere die Situation derjenigen Ratsmitglieder verbessert, welche an ihrem Wohnort familiäre Verpflichtungen haben. Eine Minderheit (Romano, Humbel, Jauslin, Nantermod, Streiff) lehnt die Änderung ab, weil sie nur die Situation derjenigen Ratsmitglieder verbessere, welche in mittlerer Distanz von Bern wohnen, so dass sie die Nacht an ihrem Wohnort verbringen können. An der geltenden Regelung sollte jedenfalls solange festgehalten werden, als für derartige Übernachtungen nach wie vor Übernachtungsentschädigungen bezogen werden können, obwohl gar keine entsprechenden Kosten anfallen.

2.

Am Freitag der dritten Sessionswoche soll der Nationalrat während der ganzen auch an anderen Vormittagen üblichen Sitzungszeit tagen. Die heutige Praxis, diese Sitzung bereits nach ein bis zwei Stunden abzubrechen, macht in der Öffentlichkeit einen schlechten Eindruck. Eine Minderheit (Rutz Gregor, Addor, Buffat, Burgherr, Glarner, Reimann Lukas, Sollberger, Steinemann) möchte auf die Freitagssitzung ganz verzichten. Damit könnten beträchtliche Kosten eingespart werden. Die Mehrheit lehnt diesen Verzicht ab, weil der Rat permanent viele hängige Beratungsgegenstände nicht behandeln kann. Der Verzicht auf die Freitagssitzung hätte insbesondere auch zur Folge, dass die Schlussabstimmungen bereits am Donnerstag stattfinden müssten. Damit würde der bereits heute bestehende Druck für die Fertigstellung der Schlussabstimmungstexte und das damit entstehende Risiko für die Entstehung von Fehlern in diesen Texten beträchtlich erhöht.

Art. 42

Zwischenfrage

Das Geschäftsreglement erlaubt heute eine «kurze und präzise Zwischenfrage» an die Adresse einer Rednerin oder eines Redners; «inhaltliche Ausführungen und eine Begründung sind nicht zulässig». Eine Kommissionsminderheit (Wermuth, Barrile, Fluri, Galladé, Glättli, Masshardt, Moser, Piller Carrard) möchte den Ratsbetrieb 6843

BBl 2017

beleben, indem zusätzlich zur spontanen Zwischenfrage auch Bemerkungen zu den Ausführungen einer Rednerin oder eines Redners abgegeben werden können. Die Kommission lehnt diese Ergänzung des Reglements ab, weil sie voraussichtlich zu einer beträchtlichen Verlängerung der Debatten führen würde. Die Ergänzung ist auch nicht notwendig, weil die Möglichkeit der Zwischenfrage bereits heute in kontroversen Debatten rege benützt wird und damit der Ratsbetrieb belebt wird.

Art. 58 ff.

Ausnahmen von der elektronischen Stimmabgabe

Artikel 56 und 57 GRN sehen vor, dass «in der Regel mit dem elektronischen Abstimmungssystem» abgestimmt wird und dass die Abstimmungsergebnisse «in Form einer Namensliste veröffentlicht» werden. Das elektronische Abstimmungssystem kann auch einmal ausfallen. Das kommt in der Praxis zwar sehr selten vor, kann aber nie ganz ausgeschlossen werden. Artikel 58 sieht in diesem Fall vor, dass die Stimmabgabe entweder «durch Aufstehen oder unter Namensaufruf» erfolgt. Die Kommission schlägt vor, für diesen Ausnahmefall nur noch die Abstimmung unter Namensaufruf zuzulassen. Wird durch Aufstehen abgestimmt, so wird die Transparenz über das Stimmverhalten der einzelnen Ratsmitglieder stark eingeschränkt. Die Ausfälle des elektronischen Abstimmungssystems sind in der Praxis immer nur von kurzer Dauer. In einer solchen Situation kann eine Abstimmung auch verschoben werden. Diese Lösung des Problems ist noch naheliegender, wenn die Stimmabgabe durch Aufstehen nicht mehr zulässig ist. Eine Abstimmung unter Namensaufruf dauert nämlich ca. 20­25 Minuten.

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die systematische Klassifizierung der Kommissionsunterlagen (Art. 47a ParlG) erfordert Anpassungen der Informationssysteme (insb. der Dokumentenverwaltung) der Parlamentsdienste. Es ist mit externen Entwicklungskosten von 120 000 bis 200 000 CHF zu rechnen. Das neue Informationssicherheitgesetz (ISG) stellt dieselben Anforderungen.

Die Bereitstellung der Dokumente im Extranet für die Sachbereichskommissionen basiert auf einem weitgehend automatisierten Verfahren. Die Ausweitung der Zugriffsrechte (Art. 6a ParlVV) für alle Ratsmitglieder hat zur Folge, dass dieser automatisierte Prozess angepasst werden muss. Die Ausweitung der Zugriffsrechte bei den bereits früher bereit gestellten Dokumenten wird ebenfalls zu Anpassungen führen. Für die einmaligen Anpassungen sind zwischen 20 000 und 30 000 CHF für externe Programmierarbeiten sowie 15­20 Tage Testaufwand einzusetzen.

Die Umsetzung des Zugriffs der persönlichen Mitarbeitenden der Ratsmitglieder auf das Extranet (Art. 6c ParlVV) verursacht externe Entwicklungskosten von 95 000 bis 165 000 CHF. Für den späteren Betrieb des Systems sind pro Jahr 25 % der Entwicklungskosten einzusetzen; der personelle Aufwand für die Kontrolle und Erfassung der Angaben der persönlichen Mitarbeitenden erfordert 25 Stellenprozente.

6844

BBl 2017

Für die Erstellung des Registers der offiziellen Auslandreisen der Ratsmitglieder (Art. 9a VPiB) ist mit einem Aufwand von 10 000 bis 20 000 Franken zu rechnen; für die laufende Aktualisierung des Registers werden 10 Stellenprozente benötigt.

4

Rechtliche Grundlagen

Das ParlG und dessen hier vorgeschlagene Änderungen stützen sich auf Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe g BV, wonach die grundlegenden Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden in einem Bundesgesetz erlassen werden müssen. Die ParlVV stützt sich auf Artikel 70 Absatz 1 ParlG: die Bundesversammlung erlässt die rechtsetzenden Ausführungsbestimmungen über die Parlamentsverwaltung in der Form von Verordnungen der Bundesversammlung. Das Geschäftsreglement des Nationalrates hat seine gesetzliche Grundlage in Artikel 36 ParlG, wonach jeder Rat «ein Geschäftsreglement mit den Ausführungsbestimmungen über seine Organisation und sein Verfahren» erlässt.

6845

BBl 2017

6846