17.045 Botschaft zur Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Lettland vom 28. Juni 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Lettland.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. Juni 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-0685

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Übersicht Das geltende Abkommen zwischen der Schweiz und Lettland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen datiert vom 31. Januar 2002. Es sieht keine spezifische Bestimmung über den Informationsaustausch vor.

Im Nachgang zum Beschluss des Bundesrats vom 13. März 2009, den Vorbehalt der Schweiz gegenüber dem Informationsaustausch gemäss dem Musterabkommen der OECD (nachfolgend «OECD-Musterabkommen») zurückzuziehen, nahmen die Schweiz und Lettland Verhandlungen auf, um das Doppelbesteuerungsabkommen mit einer Bestimmung nach Artikel 26 des OECD-Musterabkommens zu ergänzen.

Nebst der Vereinbarung einer Bestimmung über den Informationsaustausch in Steuersachen nach dem internationalen Standard konnte das Abkommen auch in anderen Punkten an die heutige Abkommenspolitik beider Länder und den Wortlaut des geltenden OECD-Musterabkommens angepasst werden. Zudem wurde die Gelegenheit zur Umsetzung einiger Entwicklungen aus dem OECD-Projekt «Base Erosion and Profit Shifting» (Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung) genutzt.

Das Protokoll wurde am 2. November 2016 in Riga unterzeichnet.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben den Abschluss des Protokolls begrüsst.

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Botschaft 1

Ausgangslage, Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Zwischen der Schweiz und Lettland besteht ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen1, nachfolgend «DBA-LV»). Es wurde am 31. Januar 2002 unterzeichnet und bislang nicht revidiert. Das DBA-LV enthält keine spezifische Bestimmung zum Informationsaustausch.

Auf Wunsch Lettlands und im Nachgang zum Beschluss des Bundesrats vom 13. März 2009, den Vorbehalt der Schweiz gegenüber dem Informationsaustausch gemäss dem Musterabkommen der OECD (nachfolgend «OECD-Musterabkommen») zurückzuziehen, wurden Verhandlungen über die Aufnahme einer Bestimmung zu einem standardkonformen Informationsaustausch in Steuersachen aufgenommen. Die Gelegenheit wurde genutzt, um das DBA-LV nebst der Verankerung der neuen Amtshilfe in Steuersachen auch in anderen Punkten der heutigen Abkommenspolitik der beiden Staaten und dem OECD-Musterabkommen anzupassen.

Zudem wurde die Gelegenheit zur Umsetzung einiger Entwicklungen aus dem OECD-Projekt «Base Erosion and Profit Shifting» zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (nachfolgend «BEPS-Projekt») genutzt. Ein Protokoll zur Änderung des DBA-LV (nachfolgend «Änderungsprotokoll») konnte nach einer Verhandlungsrunde in Riga paraphiert werden. Es wurde am 2. November 2016 in Riga unterzeichnet.

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Würdigung

Gemäss Vorschlag der Schweiz wird im Änderungsprotokoll für Dividenden die Residualsteuer von derzeit 5 Prozent auf Dividenden an Gesellschaften mit einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent am Kapital der ausschüttenden Gesellschaft aufgehoben. Künftig können diese Dividenden nur im Ansässigkeitsstaat der empfangenden Gesellschaft besteuert werden, sofern die Beteiligung während mindestens einem Jahr gehalten wurde. Dividendenzahlungen an Vorsorgeeinrichtungen und die Nationalbank wurden ebenfalls von der Quellensteuer befreit.

Hinsichtlich der Zinsen wird der aktuelle Residualsteuersatz von 10 Prozent beibehalten. Lettland hat jedoch einer Erweiterung des Ausnahmenkatalogs zugestimmt.

So werden die Zinsen für Darlehen zwischen Gesellschaften und Zinsen an Vorsorgeeinrichtungen sowie für Bankdarlehen künftig von der Quellensteuer befreit.

Bei den Lizenzgebühren wurde die Residualsteuer von derzeit 10 Prozent auf 5 Prozent reduziert. Zudem wurde für Lizenzgebühren zwischen zwei Gesellschaften künftig die ausschliessliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der nutzungsberechtigten Gesellschaft vereinbart.

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SR 0.672.948.71

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Diese Regeln fördern Investitionen und den wirtschaftlichen Austausch im bilateralen Verhältnis.

Ausserdem sieht das Änderungsprotokoll eine Anpassung des Titels und der Präambel des DBA-LV sowie die Aufnahme einer Missbrauchsklausel in der Form einer Hauptzweckbestimmung («principal purpose test rule» oder «PPT-Regel») in Einklang mit den im Bericht zur Massnahme 6 des BEPS-Projekts vorgeschlagenen Bestimmungen vor. Damit erfüllt das DBA-LV den minimalen Standard, so wie er im Rahmen dieser Massnahme zur Bekämpfung von Abkommensmissbrauch in der Form von sogenanntem «Treaty Shopping» gesetzt worden ist. Als «Treaty Shopping» werden Gestaltungen bezeichnet, die auf das Erlangen von in diesem Abkommen vorgesehenen Entlastungen zum mittelbaren Vorteil von in Drittstaaten ansässigen Personen zielen.

Der minimale Standard hätte anstelle einer PPT-Regel auch durch die Aufnahme einer Missbrauchsklausel in der Form einer sogenannten «limitationonbenefits rule» oder «LOB-Regel» erfüllt werden können. Die folgenden Gründe sprechen jedoch gegen die Verankerung der LOB-Regel in die Schweizer Abkommenspolitik: Erstens mag der Vorteil einer LOB-Regel darin liegen, dass sie auf objektiven Tests beruht und damit eine schärfere Trennlinie zwischen Abkommensmissbrauch und geschütztem Verhalten schafft. Bei einer genaueren Betrachtung ist diese Trennlinie jedoch weit weniger scharf. Denn auch bei der LOB-Regel besteht Auslegungsspielraum, namentlich bei der Anwendung des sogenannten «active business test». Ausserdem stützt sie sich nicht ausschliesslich auf objektive Tests, sondern enthält mit dem sogenannten Ermessenstest einen Test, der rein subjektive Elemente beinhaltet.

Zweitens stellt die LOB-Regel ­ im Gegensatz zur PPT-Regel ­ keine umfassende Klausel zur Bekämpfung von Abkommensmissbrauch dar. Die LOB-Regel ist keine allgemeine Missbrauchsklausel («general anti avoidance rule» oder «GAAR»), sondern eine spezifische Missbrauchsklausel («specific anti avoidance rule» oder «SAAR») zur Bekämpfung von «Treaty Shopping», wobei mit ihr nicht einmal alle Formen von «Treaty Shopping» verhindert werden können. Mit einer LOB-Regel allein könnte der minimale Standard deshalb auch gar nicht erfüllt werden.

Drittens besteht mit der LOB-Regel das Risiko, dass in Situationen, die effektiv keinen Abkommensmissbrauch
darstellen, die Vorteile eines DBA in ungerechtfertigter Weise verweigert werden.

Es kann somit der Schluss gezogen werden, dass die PPT-Regel, wie sie nach Massnahme 6 des BEPS-Projekts vorgeschlagen wird, als allgemeine Missbrauchsklausel genügt, um sicherzustellen, dass das DBA-LV nicht von Personen verwendet werden kann, die kein Anrecht auf die Vorteile dieses Abkommens haben.

Die Aufnahme einer Schiedsklausel ins DBA-LV erhöht die Rechtssicherheit für die steuerpflichtigen Personen.

Schliesslich erfüllt die neue Bestimmung über den Informationsaustausch den aktuell geltenden internationalen Standard im Bereich des Informationsaustauschs auf Ersuchen.

Die im Änderungsprotokoll verankerten Lösungen stellen ein ausgewogenes Ergebnis dar und werden zur weiteren positiven Entwicklung der bilateralen Wirtschafts5158

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beziehungen beitragen. Sie bekräftigen die Verpflichtungen auf dem Gebiet der Amtshilfe, welche die Schweiz seit 2009 gegenüber der internationalen Gemeinschaft eingegangen ist.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Das Änderungsprotokoll ändert und ergänzt einzelne Bestimmungen im DBA-LV von 2002. Es folgt sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht den entsprechenden Bestimmungen des OECD-Musterabkommens sowie der Abkommenspolitik der Schweiz und setzt den aus dem BEPS-Projekt hervorgegangenen Standard zur Missbrauchsbekämpfung um. Die wichtigsten Änderungen werden nachfolgend erläutert.

Art. I des Änderungsprotokolls betreffend Titel und Präambel des DBA-LV Das Ziel und der Zweck des Abkommens werden erweitert. Neu dient das Abkommen auch der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung. Der Titel und die Präambel des DBA-LV werden damit dem Titel und der Präambel des OECD-Musterabkommens nach dessen Anpassung aufgrund der Massnahme 6 des BEPS-Projekts entsprechen.

Art. IV des Änderungsprotokolls betreffend Art. 3 DBA-LV (Allgemeine Begriffsbestimmungen) Auf Begehren der Schweiz wurde eine Definition der Vorsorgeeinrichtung vereinbart. Diese muss in einem Vertragsstaat errichtet sein, der Regulierung dieses Staates unterliegen, von den Steuern vom Einkommen generell ausgenommen sein und natürliche Personen gegen die Risiken von Alter, Invalidität oder Tod versichern.

Die Bestimmung wird in Absatz 2 des Protokolls zum Abkommen (Art. XIII Ziff. 1 des Änderungsprotokolls) weiter präzisiert. Für die Schweiz umfasst der Begriff der Vorsorgeeinrichtung sämtliche Einrichtungen der Säulen 1, 2 und 3a. Die kollektive Kapitalanlage, in welche ausschliesslich Vorsorgeeinrichtungen investieren, wird gleich behandelt wie die direkte Kapitalanlage durch die Vorsorgeeinrichtungen selbst.

In der neuen Ziffer 3 des Protokolls zum Abkommen wird festgehalten, dass Vorsorgeeinrichtungen und Organisationen mit religiösen, wohltätigen, wissenschaftlichen, kulturellen, sportlichen oder Ausbildungszwecken als in einem Vertragsstaat ansässige Personen gelten. Diese Bestimmung dient der Präzisierung, dass solche Einrichtungen auch im Fall einer allfälligen Steuerbefreiung als ansässige Personen qualifizieren können. In der Schweiz gelten solche Institutionen auch ohne eine entsprechende Bestimmung nach innerstaatlichem Recht als ansässig für die Zwecke der Doppelbesteuerungsabkommen, selbst wenn diese Institutionen aufgrund der von ihnen verfolgten Zwecke steuerbefreit sind.

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Art. V des Änderungsprotokolls betreffend Art. 10 DBA-LV (Dividenden) Nach dem geltenden Abkommen kann auf Dividenden eine Residualsteuer von 15 Prozent erhoben werden, die im Fall einer Beteiligung einer Gesellschaft von mindestens 20 Prozent an der ausschüttenden Gesellschaften auf 5 Prozent reduziert wird. Neu können Dividenden aus direkten Beteiligungen an Gesellschaften von mindestens 10 Prozent des Kapitals nur noch im Ansässigkeitsstaat der nutzungsberechtigten Gesellschaft besteuert werden, vorausgesetzt die Haltedauer von einem Jahr war im Zeitpunkt der Zahlung der Dividenden bereits abgelaufen (Art. 10 Abs. 3 Bst. a). Ist die Haltedauer im Zeitpunkt der Zahlung nicht erfüllt und wird deshalb eine Quellensteuer einbehalten, so kann diese bei späterer Erfüllung der Haltedauer zurückgefordert werden (Abs. 7 des Protokolls zum Abkommen; Art. XIII Ziff. 5 des Änderungsprotokolls).

Ausser bei den erwähnten Beteiligungen gilt die ausschliessliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat auch für Dividenden an Vorsorgeeinrichtungen und die Nationalbanken (Art. 10 Abs. 3 Bst. b und c).

Art. VI des Änderungsprotokolls betreffend Art. 11 DBA-LV (Zinsen) Die bisherige Bestimmung sieht eine Residualsteuer von 10 Prozent mit gewissen Ausnahmen vor. Die Residualsteuer von 10 Prozent wurde beibehalten. Künftig gilt aber das ausschliessliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats des Empfängers auch für Zinsen auf Darlehen zwischen Gesellschaften und Bankdarlehen sowie Zinsen an Vorsorgeeinrichtungen.

Art. VII des Änderungsprotokolls betreffend Art. 12 DBA-LV (Lizenzgebühren) Bei den Lizenzgebühren wurde die Residualsteuer von 10 Prozent im DBA-LV auf 5 Prozent reduziert. Zudem sind Lizenzgebühren zwischen Gesellschaften künftig ausschliesslich im Ansässigkeitsstaat der nutzungsberechtigten Gesellschaft steuerbar.

Art. IX des Änderungsprotokolls betreffend den neuen Art. 22a DBA-LV (Anspruch auf Vorteile) Diese Bestimmung sieht die Einführung einer Missbrauchsklausel vor, die auf dem hauptsächlichen Zweck einer Gestaltung oder eines Geschäfts abstellt. Aufgrund dieser Klausel werden die Vorteile des DBA-LV nicht gewährt, wenn das Erlangen dieser Vorteile einer der hauptsächlichen Zwecke der entsprechenden Gestaltung oder des Geschäfts war; es sei denn, es wird nachgewiesen, dass das Gewähren dieser Vorteile
in Einklang mit dem Ziel und Zweck der entsprechenden Bestimmungen des Abkommens steht. Diese Missbrauchsklausel stimmt mit der PPTRegel gemäss OECD-Musterabkommen nach dessen Anpassung aufgrund der Massnahme 6 des BEPS-Projekts überein.

Diese Missbrauchsklausel ist zwar von ihrer Formulierung her neu, sie entspricht aber in ihren Grundzügen den Missbrauchsklauseln, die die Schweiz in den letzten Jahren in einer Vielzahl ihrer Doppelbesteuerungsabkommen vereinbart hat. Anders ist indessen, dass die Missbrauchsklausel nicht auf gewisse Arten von Einkünften, 5160

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wie Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren, beschränkt ist. Vielmehr findet sie in Bezug auf sämtliche Bestimmungen des DBA-LV Anwendung. Alle Abkommensvorteile unterliegen damit dem Vorbehalt einer missbräuchlichen Inanspruchnahme.

Vom Wortlaut her unterscheidet sich die Missbrauchsklausel von jenen in vielen jüngeren Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz noch in einem weiteren Punkt.

So ist der Missbrauch nicht auf Situationen beschränkt, bei denen der Hauptzweck der entsprechenden Gestaltung oder des Geschäfts im Erlangen der Abkommensvorteile lag, sondern Missbrauch besteht auch dann, wenn bloss einer der Hauptzwecke dafür verantwortlich war. Vom Resultat her besteht indessen diesbezüglich keine Differenz. Denn der zweite Teil der Missbrauchsklausel sieht vor, dass die Abkommensvorteile dennoch gewährt werden, wenn dies in Einklang mit dem Ziel und Zweck der entsprechenden Bestimmungen des Abkommens steht. Dies sollte grundsätzlich dann der Fall sein, wenn das Erlangen des entsprechenden Abkommensvorteils nicht der Hauptzweck der Gestaltung oder des Geschäfts war.

Die Aufnahme von Missbrauchsklauseln in ein Doppelbesteuerungsabkommen hat allgemein den Vorteil, dass die Vertragsstaaten sich zur gleichen Auffassung darüber verpflichten, unter welchen Bedingungen die Vorteile eines Abkommens verweigert werden können. Würde darauf verzichtet, so überliesse man die Definition von Missbrauch je den beiden Vertragsstaaten. Diese könnten dann unter Anwendung ihres innerstaatlichen Rechts einseitig darüber entscheiden, ob in einer konkreten Situation infolge Missbrauchs die Abkommensvorteile nicht gewährt werden. Dies kann zu Rechtsunsicherheit führen. Einer solchen Situation ist die Aufnahme der PPT-Regel ins entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen deshalb klar vorzuziehen. Die PPT-Regel vermag mit ihrer vagen Formulierung und mit ihren subjektiven Elementen zwar keine klaren allgemeingültigen Kriterien zur Bestimmung von Abkommensmissbrauch zu schaffen. Die umfassenden Ausführungen und die zahlreichen Beispiele im Kommentar der OECD zum OECDMusterabkommen geben aber die Leitlinien für die Auslegung der PPT-Regel vor.

Artikel 22a Absatz 2 DBA-LV entspricht jener Bestimmung, die im Kommentar zur PPT-Regel als Möglichkeit zu deren Ergänzung vorgeschlagen ist. Gemäss dieser Bestimmung können gewisse
Abkommensvorteile auch in Missbrauchssituationen nach Absatz 1 gewährt werden, wenn die entsprechende zuständige Behörde im Sinne des DBA-LV zum Schluss kommt, dass jene Abkommensvorteile gewährt worden wären, hätte die aus Sicht der Missbrauchsklausel schädliche Gestaltung oder das schädliche Geschäft nicht stattgefunden. Sie stellt sicher, dass ein Vertragsstaat bei Vorliegen eines Abkommensmissbrauchs die Möglichkeit hat, zur Bestimmung der steuerlichen Konsequenzen jenen Sachverhalt heranzuziehen, der ohne die entsprechende Gestaltung oder das entsprechende Geschäft vorgelegen hätte. Für die Schweiz ist diese Klausel lediglich deklaratorischer Natur, da die Steuerbehörden solche Vorteile nach ihrem innerstaatlichen Recht auch ohne eine solche Klausel gewähren können.

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Art. X des Änderungsprotokolls betreffend Art. 23 DBA-LV (Vermeidung der Doppelbesteuerung) Entsprechend der schweizerischen Abkommenspolitik wird festgehalten, dass Gewinne von in der Schweiz ansässigen Personen aus der Veräusserung von Anteilen an lettischen Immobiliengesellschaften nur gegen Nachweis der Besteuerung in Lettland von der schweizerischen Besteuerung ausgenommen werden.

Art. XI des Änderungsprotokolls betreffend Art. 25 DBA-LV (Verständigungsverfahren) Diese Bestimmung sieht die Aufnahme einer Schiedsklausel auf der Basis des OECD-Musterabkommens ins DBA-LV vor. Dies entspricht der Abkommenspolitik der Schweiz. Für Einzelheiten hinsichtlich des Schiedsverfahrens als solches wird auf die Botschaft vom 5. September 20072 über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit Südafrika verwiesen.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass Verständigungsverfahren, insbesondere in Verrechnungspreisfällen, oftmals nicht innerhalb der nach OECD-Musterabkommen vorgesehenen zwei Jahre abgeschlossen werden können. Es wurde daher vereinbart, diese Frist zur Einigung im Verständigungsverfahren auf drei Jahre zu verlängern.

Das Schiedsverfahren wird auf Verlangen der betroffenen steuerpflichtigen Person eingeleitet, sofern sich die zuständigen Behörden der beiden Vertragsstaaten nicht innert drei Jahren nach Vorlage des Falls gütlich einigen können. Der Entscheid der Schiedsstelle ist im Einzelfall für die Vertragsstaaten verbindlich, sofern keine der direkt betroffenen steuerpflichtigen Personen den Entscheid ablehnt oder die zuständigen Behörden und die betroffenen Personen sich nicht innert sechs Monaten nach dem Entscheid auf eine andere Lösung einigen. Die Verfahrensfragen müssen noch von den zuständigen Behörden vereinbart werden.

Art. XII des Änderungsprotokolls betreffend Art. 26 DBA-LV (Informationsaustausch) Das Änderungsprotokoll führt eine Bestimmung über den Informationsaustausch nach dem internationalen Standard ein. Die nachfolgenden Ausführungen gehen lediglich auf einzelne Punkte in Artikel 26 DBA-LV sowie die dazugehörigen Protokollbestimmungen (Abs. 12 des Protokolls zum Abkommen, Art. XIII Ziff. 11 des Änderungsprotokolls) ein.

Die Schweiz hat der lettischen Delegation anlässlich der Verhandlungen mitgeteilt, dass sie keine Amtshilfe leisten wird, wenn das Amtshilfegesuch auf illegal
beschafften Daten beruht.

Wie in den Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz mit diversen anderen Staaten sowie im OECD-Musterabkommen gilt die Bestimmung über den Informationsaustausch für sämtliche Steuern.

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Die Bestimmungen von Artikel 26 werden im Protokoll zum Abkommen (Ziff. 12) konkretisiert. Es regelt unter anderem im Detail die Voraussetzungen, die ein Auskunftsersuchen erfüllen muss (Bst. b). Notwendig sind insbesondere die Identifikation der betroffenen steuerpflichtigen Person sowie, soweit bekannt, Name und Adresse der Person (z. B. einer Bank), in deren Besitz der ersuchende Staat die gewünschten Informationen vermutet. Ebenso hält das Protokoll zum Abkommen fest, dass diese Voraussetzungen nicht formalistisch ausgelegt werden dürfen (Bst. c).

Gemäss dem internationalen Standard ist der Informationsaustausch auf konkrete Anfragen beschränkt. Dazu gehören nach dem weiterentwickelten OECD-Standard auch konkrete Anfragen, die auf eine genau definierte Gruppe von Steuerpflichtigen abzielen, bei denen davon ausgegangen werden muss, dass sie ihren Steuerpflichten im ersuchenden Staat nicht nachgekommen sind. Das Änderungsprotokoll zum DBA-LV ermöglicht es, solchen Ersuchen Folge zu leisten. Die Identifikation kann durch Name und Adresse der betroffenen Person erfolgen, aber auch durch andere Mittel, z. B. durch die Beschreibung eines Verhaltensmusters. Diese Auslegung beruht auf der Auslegungsklausel (Bst. c i.V. mit Bst. b), die die Vertragsstaaten zu einer Auslegung der Erfordernisse an ein Ersuchen mit dem Ziel eines möglichst weit gehenden Informationsaustausches verpflichtet, ohne dass «fishing expeditions» zuzulassen sind. Die prozeduralen Voraussetzungen für die Erfüllung von Gruppenersuchen sind im Steueramtshilfegesetz vom 28. September 20123 geregelt.

Artikel 26 DBA-LV sieht den spontanen und den automatischen Informationsaustausch nicht vor.

Die neue Klausel findet auf die Steuerjahre Anwendung, die am oder nach dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten des Änderungsprotokolls folgenden Kalenderjahres beginnen.

Art. XIII Ziff. 10 des Änderungsprotokolls betreffend Abs. 11 des Protokolls zum Abkommen (zu den Art. 18 und 24 ­ Beiträge an die Vorsorge) Diese Bestimmung betrifft die steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgebeiträgen.

Es kommt regelmässig vor, dass Beiträge an die Vorsorge in einem Staat geleistet werden, während das Erwerbseinkommen im anderen Staat besteuert wird. In solchen Situationen besteht das Risiko, dass die Vorsorgebeiträge steuerlich unberücksichtigt bleiben. So
koordiniert das Abkommen vom 21. Juni 19994 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (nachstehend «Freizügigkeitsabkommen») die Sozialversicherungssysteme der beteiligten Länder (Anhang II zum Freizügigkeitsabkommen). Die Bestimmungen gelten für Staatsangehörige der Schweiz und der EU-Mitgliedstaaten, welche in der Schweiz oder einem EU-Mitgliedstaat arbeiten oder dort gearbeitet haben und danach in ein anderes Land ziehen. Sie sehen grundsätzlich die Unterstellung unter das Sozialversicherungssystem nur eines Staates vor.

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SR 651.1 SR 0.142.112.681

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Da die Koordinierungsbestimmungen des Freizügigkeitsabkommens zur sozialen Sicherheit nicht mit jenen der Doppelbesteuerungsabkommen über die Besteuerung des Erwerbseinkommens übereinstimmen, kommt es regelmässig vor, dass eine Person in einem Vertragsstaat wohnt und dort die Sozialversicherungsbeiträge leisten muss und im anderen Vertragsstaat arbeitet, wo sie ihr Erwerbseinkommen versteuert. Im Rahmen der Verhandlungen konnte Einigkeit erzielt werden, dass Beiträge an die Vorsorge im ersten Vertragsstaat im Arbeitsstaat unter gleichen Bedingungen steuerlich berücksichtigt werden sollen wie Beiträge an das Vorsorgesystem in diesem Staat. In der Schweiz sind davon die Beiträge an die Säulen 1, 2 und 3a betroffen.

In der Schweiz wird der Abzug der Beiträge an die schweizerischen Sozialversicherungen (einschliesslich berufliche Vorsorge) bereits heute in den Quellensteuertarifen pauschal berücksichtigt. Die geltende schweizerische Praxis erfüllt somit in der Regel den Inhalt der Bestimmung schon heute.

Art. XIV des Änderungsprotokolls (Inkrafttreten) Die Bestimmungen des Änderungsprotokolls finden Anwendung auf Steuerjahre, die am oder nach dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten folgenden Kalenderjahres beginnen. Das gilt auch für die Bestimmungen zum Informationsaustausch.

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Finanzielle Auswirkungen

Diese Änderung des DBA-LV senkt die Beteiligungsschwelle auf 10 Prozent für den Anspruch auf einen Residualsteuersatz von 0 Prozent auf den Dividenden. Die Schweiz hat einen solchen Nullsatz bereits mit vielen anderen Ländern vereinbart.

Ausserdem wird der Residualsteuersatz auf den Lizenzgebühren von 10 auf 5 Prozent gesenkt. Diese Massnahmen werden die steuerlichen Rahmenbedingungen festigen und stärken und sich somit insgesamt positiv auf die Schweizer Wirtschaft auswirken. Das Änderungsprotokoll kann im Rahmen der vorhandenen Personalressourcen umgesetzt werden.

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Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Das Änderungsprotokoll stützt sich auf Artikel 54 der Bundesverfassung5 (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung des Änderungsprotokolls zuständig.

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SR 101

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5.2

Form des Erlasses

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 1 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Gemäss Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20026 gelten Bestimmungen als rechtsetzend, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die aufgrund von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind.

Das Änderungsprotokoll ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalenderjahrs gekündigt werden. Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor.

Seine Umsetzung erfordert keinen Erlass von Bundesgesetzen.

Um zu bestimmen, ob der Beschluss wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält, ist Folgendes zu erwägen: Das Änderungsprotokoll enthält Bestimmungen zur erstmaligen Umsetzung gewisser Entwicklungen aus dem BEPS-Projekt, darunter insbesondere die neue PPT-Regel. Auch der Informationsaustausch wird erweitert und an den internationalen Standard angepasst. Dies entspricht der jüngeren Abkommenspolitik der Schweiz in diesem Bereich. Diese Neuerungen bedeuten eine wichtige Neuheit der schweizerischen Politik im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Änderungsprotokolls wird deshalb dem fakultativen Staatsvertragsreferendum für völkerrechtliche Verträge nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstellt.

5.3

Kompetenzdelegation

Im Anschluss an eine vom Bundesamt für Justiz durchgeführte Analyse7 hat der Bundesrat am 22. Juni 2016 entschieden, dass die Tatsache, dass ein völkerrechtlicher Vertrag keine weiterreichenden Verpflichtungen vorsieht als von der Schweiz bereits abgeschlossene Verträge mit ähnlichem Inhalt, nicht mehr entscheidend ist bei der Beurteilung darüber, ob er dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll. Der Bundesrat hat die Departemente überdies beauftragt, sektorielle Delegationsnormen auszuarbeiten, die dem Bundesrat oder der Bundesversammlung die Kompetenz verleihen, mittels einfachem Bundesbeschluss völkerrechtliche Verträge in Bereichen abzuschliessen, die in ihrer Kompetenz stehen und die eine Delegation erforderlich machen. Diese Delegationsnormen müssen in einem Erlass aufgeführt sein, der dem fakultativen Referendum untersteht.

6 7

SR 171.10 Bericht des Bundesamts für Justiz vom 29. August 2014 mit dem Titel «Fakultatives Staatsvertragsreferendum: Entwicklung der Praxis des Bundesrats und der Bundesversammlung seit 2003», einsehbar unter www.ejpd.admin.ch > Aktuell > News > 2016 > Fakultatives Referendum bei internationalen Standardabkommen.

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Mit diesem Änderungsprotokoll erfolgt eine Anpassung des DBA-LV im Sinne der schweizerischen Abkommenspolitik und zugleich die Umsetzung einiger Entwicklungen aus dem BEPS-Projekt. In Zukunft werden zahlreiche weitere Doppelbesteuerungsabkommen im Sinne vergleichbarer Regelungen der internationalen Steuerfragen zu revidieren oder neu abzuschliessen sein. Deshalb wird beantragt, dass die Bundesversammlung ermächtigt wird, Doppelbesteuerungsabkommen, die dieselben Bereiche wie das revidierte Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Lettland auf vergleichbare Weise regeln, mit einfachem Bundesbeschluss zu genehmigen. Dadurch werden der Abschluss und die Revision von Doppelbesteuerungsabkommen nach ähnlichem, der Abkommenspolitik der Schweiz entsprechendem Muster künftig nicht mehr dem fakultativen Referendum unterliegen. Sollte jedoch die Schweiz zu einem späteren Zeitpunkt abkommensrechtliche Bestimmungen vereinbaren, die weiter gehen als die Bestimmungen im Abkommen zwischen der Schweiz und Lettland in der Fassung des vorliegenden Änderungsprotokolls, so muss jener Beschluss dem fakultativen Referendum unterstellt werden.

5.4

Vernehmlassungsverfahren

Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20058 (VlG) findet bei völkerrechtlichen Verträgen, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder nach Artikel 141 Absatz Buchstabe d Ziffer 3 BV dem Referendum unterstehen, ein Vernehmlassungsverfahren statt. Nach Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG kann aber auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden, wenn daraus keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind, insbesondere weil über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist. Der Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren muss sachlich begründet sein (Art. 3a Abs. 2 VlG).

Zu diesem Änderungsprotokoll zum DBA-LV wurde nach altem Recht ein Anhörungsverfahren durchgeführt, das am 11. März 2016 in Form eines Berichts an die Kantone und die am Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen interessierten Wirtschaftskreise eröffnet wurde. Der Entwurf des Änderungsprotokolls wurde positiv und ohne Einwände aufgenommen. Die Positionen der interessierten Kreise sind entsprechend bekannt und belegt. Gestützt auf Artikel 3a Absatz 2 VlG kann somit auf eine Vernehmlassung verzichtet werden.

8

SR 172.061

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