zu 13.426 Parlamentarische Initiative Stillschweigende Verlängerung von Dienstleistungsverträgen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 4. Juli 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Oktober 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 4. Juli 2019 1 betreffend die parlamentarische Initiative 13.426 «Stillschweigende Verlängerung von Dienstleistungsverträgen» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. Oktober 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 17. April 2013 reichte der damalige Nationalrat Poggia die parlamentarische Initiative 13.426 «Stillschweigende Verlängerung von Dienstleistungsverträgen» mit folgendem Text ein: «Die Gesetzgebung wird dahingehend ergänzt, dass Dienstleistungsanbieter, die eine stillschweigende Fortführung eines abgeschlossenen Dienstleistungsvertrages vereinbaren, ihre Kundinnen und Kunden über die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten, informieren müssen; diese Mitteilung muss mindestens einen Monat vor Ablauf der Kündigungsfrist erfolgen. Erfolgt diese Mitteilung nicht, so müssen die Kundinnen und Kunden ohne Konventionalstrafe vom Vertrag zurücktreten können, und der Dienstleistungsanbieter muss ihnen den Betrag, den sie für die noch nicht abgelaufene Vertragsperiode bereits bezahlt haben, zurückerstatten.» Die parlamentarische Initiative wurde am 26. Dezember 2013 von Nationalrat Golay übernommen.

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) hat der Initiative am 11. April 2014 mit 12 zu 10 Stimmen bei 3 Enthaltungen Folge gegeben. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates stimmte diesem Beschluss am 10. Februar 2015 mit 8 zu 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu. Am 8. April 2016 setzte die RK-N für die Ausarbeitung eines Vorentwurfs eine Subkommission ein und führte eine Konsultativabstimmung zum bevorzugten Lösungsansatz durch. Die RK-N hat den Vorentwurf der Subkommission in zwei Sitzungen am 3. Februar 2017 sowie am 11. und 12. Mai 2017 beraten; sie hat dabei einen Abschreibungsantrag abgelehnt und verschiedene Anpassungen und Ergänzungen beschlossen. Anschliessend wurde vom 16. Juni 2017 bis zum 9. Oktober 2017 das Vernehmlassungsverfahren durchgeführt.

An ihrer Sitzung vom 6. Juli 2018 hat die Kommission von den Rückmeldungen der Vernehmlassung Kenntnis genommen2 und einige Änderungen beschlossen. Am 15. November 2018 hat die Kommission die Detailberatung des überarbeiteten Vorentwurfs durchgeführt und diesen mit 12 zu 12 Stimmen bei 1 Enthaltung mit Stichentscheid des Präsidenten in der Gesamtabstimmung abgelehnt. Sie beantragte dem Nationalrat folglich, die Initiative abzuschreiben. Zur Begründung führte sie an, dass die vorgeschlagene Informationspflicht einen Eingriff in die Vertragsfreiheit darstelle und unnötige Bürokratie generiere, was sich durch das geringe Informationsbedürfnis
auf Konsumentenseite nicht rechtfertigen lasse. Die Konsumentinnen und Konsumenten seien in der Lage, eigenverantwortlich zu handeln und die Modalitäten der Vertragsverlängerung selbständig im Auge zu behalten. Oftmals läge eine Vertragsverlängerung auch im Interesse der Konsumentenseite. Eine Minderheit 2

Der Bericht vom 9. Mai 2018 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens ist abrufbar unter www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Sachbereichskommissionen > RK > Berichte und Vernehmlassungen > Vernehmlassungen.

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(Flach, Aebischer Matthias, Amherd, Arslan, Gmür-Schönenberger, Guhl, Marti Min Li, Mazzone, Naef, Vogler, Wasserfallen Flavia) beantragte, die Abschreibung abzulehnen. Der Nationalrat folgte am 22. März 2019 mit 102 zu 90 Stimmen bei zwei Enthaltungen dem Antrag der Minderheit und beschloss, den Vorstoss nicht abzuschreiben.3 In der Folge verabschiedete die RK-N am 4. Juli 2019 den vorliegenden Erlassentwurf und Bericht mit 11 zu 10 Stimmen. Eine Minderheit (Merlini, Bauer, Geissbühler, Markwalder, Nidegger, Tuena, Vogt, Walliser, Zanetti Claudio) beantragt ihrem Rat Nichteintreten. Gestützt auf Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 wurden Erlassentwurf und Bericht dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Thematik der automatischen Vertragsverlängerungsklauseln kein gesetzgeberisches Eingreifen rechtfertigt beziehungsweise ein solches unverhältnismässig wäre. Wie die RK-N in ihrem Bericht vom 15. November 2018, in welchem sie ihrem Rat ursprünglich die Abschreibung der Initiative beantragte, ausführte, vermag das geringe Informationsbedürfnis der Konsumentinnen und Konsumenten den vorgeschlagenen Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht zu rechtfertigen. Aus diesen Gründen haben sich in der Vernehmlassung auch eine Mehrheit der teilnehmenden Organisationen sowie eine gewichtige Minderheit der teilnehmenden Parteien klar gegen die vorgeschlagene Lösung ausgesprochen.5 Die vorgeschlagene Informationspflicht würde einen beträchtlichen administrativen Mehraufwand für die betroffenen Unternehmen verursachen. Das rechtzeitige Versenden von Benachrichtigungen an die Kundinnen und Kunden wäre für die Unternehmen nicht einfach zu bewerkstelligen, zumal sie das Risiko dafür tragen würden, dass die Benachrichtigungen die Konsumentinnen und Konsumenten auch tatsächlich und rechtzeitig erreichen. Unter Umständen müssten dafür teure Systemumstellungen bewältigt werden, was dem Vorentwurf denn auch im Vernehmlassungsverfahren von verschiedener Seite entgegengehalten wurde.6 In jedem Fall wäre damit zusätzlicher bürokratischer Aufwand für die Unternehmen verbunden. Dieser Zusatzaufwand entstünde nach Ansicht des Bundesrates auch unabhängig davon, ob die Benachrichtigung nur einmal oder ­ wie von einer Minderheit (Flach, Aebischer Matthias, Arslan, Fehlmann Rielle, Kälin, Marti Min Li, Naef, Wasserfallen Flavia) beantragt ­ bei jeder Vertragsverlängerung erfolgen muss.

Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass es nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein kann, die Konsumentinnen und Konsumenten in dieser Weise ihrer Eigenverantwortung zu entbinden und damit den Unternehmen Mehraufwand aufzubürden. Vielmehr ist es den Konsumentinnen und Konsumenten zuzutrauen und daher auch zuzumuten, ihre Vertragsverhältnisse selbstständig und unter Berücksichtigung all3 4 5 6

AB 2019 N 577 ff.

SR 171.10 Vgl. Bericht Vernehmlassung, S. 3, 5.

Vgl. Bericht Vernehmlassung, S. 5.

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fällig vertraglich vereinbarter Fristen zu verwalten und allenfalls auch zu kündigen.

Den Aufwand hierfür erachtet der Bundesrat nicht zuletzt aufgrund der heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten als gering. Umgekehrt könnten sich Unternehmen, welche ihre Vertragsbedingungen kundenfreundlich ausgestalten, gegenüber ihren Konkurrentinnen und Konkurrenten allenfalls im Wettbewerb auch vorteilhaft positionieren. Das Problem der überraschenden und ungewollten Vertragsverlängerungen kann und soll daher nach Ansicht des Bundesrates durch Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Vertragsparteien gelöst werden und nicht durch einen neuen Schutzmechanismus in der Form von Informationspflichten zu Lasten der Unternehmerseite.

In diesem Zusammenhang ist von zentraler Bedeutung, dass bereits das geltende Recht gewisse Korrekturmechanismen bereithält. Vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) können nur dann gültig in den Vertrag einbezogen werden, wenn die Kundinnen und Kunden zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses darauf hingewiesen wurden sowie die Möglichkeit hatten, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen.7 Auf ungewöhnliche oder überraschende Klauseln müssen die Anbieterinnen und Anbieter bei Vertragsabschluss speziell hinweisen (sog. Ungewöhnlichkeitsregel),8 wobei jeweils im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln sein wird, ob die Vertragsverlängerung generell oder ihre Modalitäten (z.B. Kündigungsfrist) als ungewöhnlich anzusehen sind. Schliesslich sind missbräuchliche Klauseln in AGB, welche in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen, bereits unter geltendem Recht nach Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 19869 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) unlauter. Verlängerungsklauseln werden im Zusammenhang mit dieser Bestimmung oft als möglicher Anwendungsfall erwähnt, wobei gemäss Bundesgericht auch hier eine Einzelfallprüfung entscheidend ist.10 Will man die Situation der Konsumentinnen und Konsumenten noch weiter stärken, ohne gleichzeitig den bürokratischen Aufwand zu vergrössern, wäre die Einführung einer Verpflichtung der Unternehmen zu prüfen, bei Vertragsabschluss ausdrücklich
auf die automatische Vertragsverlängerung hinzuweisen.

Für den Fall, dass das Parlament entgegen diesen Ausführungen den Handlungsbedarf weiterhin bejaht und auf den Erlassentwurf eintreten sollte, sollten zumindest bei den Modalitäten der Benachrichtigung Erleichterungen für die Unternehmen vorgesehen werden. So wie die Informationspflicht im Entwurf der RK-N ausgestaltet ist, läge die Beweislast für den Empfang der Benachrichtigung einseitig bei den Unternehmen (Zugangsprinzip), was eine unverhältnismässige Bürde darstellen würde. Die Unternehmen wären dadurch gezwungen, die Adressen ihrer Kundinnen und Kunden vorgängig zu verifizieren und die Zustellung der Benachrichtigung auf eine Weise vorzunehmen, welche den Beweis des Zugangs bei den Empfängerinnen und Empfängern erlaubt. Solche zusätzlichen bürokratischen Hürden sollten vermie7 8 9 10

BGE 100 II 200 E. 5.d BGE 119 II 443 E. 1 SR 241 BGE 140 III 404 E. 4.5

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den werden, indem die Benachrichtigung gültig an die letzte von der Kundin oder vom Kunden kommunizierte Adresse (Postadresse, E-Mailadresse oder auch nur Telefonnummer) erfolgen könnte. Entsprechend wären die Unternehmen auch von der Pflicht zu entbinden, den effektiven Zugang der Benachrichtigung bei den Konsumentinnen und Konsumenten zu beweisen. Diese alternative Lösungsmöglichkeit sollte bei einem allfälligen Eintreten auf die Vorlage vertieft geprüft werden.

Wird der Handlungsbedarf bejaht, wäre es nach Ansicht des Bundesrates zudem konsequenter, anstelle einer einmaligen Informationspflicht die Informationspflicht gemäss Antrag der Minderheit Flach bei jeder erneuten Vertragsverlängerung vorzusehen. Der Zusatzaufwand für die wiederkehrenden Benachrichtigungen hielte sich in Grenzen, da sich die Wiederholung einer bereits erfolgten Benachrichtigung technisch in den meisten Fällen einfach bewerkstelligen lassen dürfte. Der Aufwand für wiederkehrende Benachrichtigungen erscheint damit gegenüber der einmaligen Benachrichtigungspflicht höchstens leicht erhöht, während der Nutzen für die Konsumentinnen und Konsumenten grösser wäre.

Schliesslich sollte die vorgeschlagene einmalige Informationspflicht nur für Verträge, welche nach Inkrafttreten der Bestimmung abgeschlossen werden, gelten. Die RK-N schlägt eine entsprechende Übergangsbestimmung vor. Eine Minderheit (Fehlmann Rielle, Aebischer Matthias, Arslan, Flach, Guhl, Kälin, Marti Min Li, Naef, Wasserfallen Flavia) beantragt hingegen die Einführung einer Übergangsbestimmung, welche auch die Erfassung von laufenden Vertragsverhältnissen erlauben würde. Die Unternehmen wären dadurch gezwungen, sämtliche laufenden Vertragsverhältnisse zu überprüfen und auch bei Verträgen, die unter Umständen seit Jahren problemlos bestehen, Benachrichtigungen zu verschicken. Diese Minderheit ist abzulehnen, da sie einen erheblichen und ungerechtfertigten Zusatzaufwand verursachen würde.

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Anträge des Bundesrates

3.1

Nichteintreten

Der Bundesrat beantragt Nichteintreten auf den Erlassentwurf der RK-N gemäss Antrag der Minderheit Merlini.

3.2

Eventualantrag zu Minderheitsanträgen

Im Falle des Eintretens auf die Vorlage stellt der Bundesrat folgende Anträge zu den vorliegenden Minderheitsanträgen: Minderheit Flach zu Artikel 40g Absatz 1 E-OR: Der Bundesrat beantragt Zustimmung zur Minderheit Flach.

Minderheit Fehlmann Rielle zur Übergangsbestimmung: Zur Minderheit Fehlmann Rielle beantragt der Bundesrat Ablehnung und damit Zustimmung zum Antrag der Mehrheit.

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