13.478 Parlamentarische Initiative Einführung einer Adoptionsentschädigung Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 5. Juli 2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes vom 25. September 19521 über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (EOG). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

5. Juli 2019

Im Namen der Kommission Der Präsident: Thomas de Courten

1

SR 834.1

2019-3111

7095

BBl 2019

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 12. Dezember 2013 reichte Nationalrat Marco Romano (CVP, TI) die parlamentarische Initiative «Einführung einer Adoptionsentschädigung» ein. Sie verlangt die Einführung einer Erwerbsausfallentschädigung bei der Adoption eines Kindes.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) prüfte die parlamentarische Initiative an ihrer Sitzung vom 21. Januar 2015 vor und gab ihr mit 14 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) stimmte diesem Beschluss am 27. März 2015 mit 7 zu 5 Stimmen zu.

An den Sitzungen vom 25. Februar 2016 und 7. Juli 2016 diskutierte die SGK-NR die Eckwerte für einen Erlassvorentwurf zur Änderung des Bundesgesetzes vom 25. September 19522 über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (EOG). Sie zog dazu ­ gestützt auf Artikel 112 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 20023 über die Bundesversammlung (ParlG) ­ Sachverständige des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) bei. In der Folge beauftragte sie die Verwaltung, auf der Basis der Eckwerte den Vorentwurf auszuarbeiten. Aufgrund der Behandlung von dringlichen und komplexen Bundesratsvorlagen (u. a.

Altersvorsorge 2020) verzögerte sich die weitere Bearbeitung der Vorlage durch die Kommission. Am 16. Juni 2017 stimmte der Nationalrat auf Antrag der Kommission einer Fristverlängerung für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative zu.

Schliesslich einigte sich die SGK-NR an der Sitzung vom 22. Juni 2017 mit 12 zu 12 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten auf einen konkreten Vorentwurf zur Änderung des EOG. Sie beauftragte das Kommissionssekretariat in Zusammenarbeit mit der Verwaltung mit der Erarbeitung des erläuternden Berichts.

An ihrer Sitzung vom 25. Januar 2018 genehmigte die Kommission den erläuternden Bericht und beschloss, die Vernehmlassung zu ihrer Vorlage zu eröffnen. Die Vernehmlassung dauerte vom 16. Februar bis am 23. Mai 2018. An der Sitzung vom 15. November 2018 diskutierte die Kommission die Ergebnisse der Vernehmlassung (vgl. Kapitel 2.7). Sie nahm zur Kenntnis, dass ihr Vorschlag für eine Adoptionsentschädigung kontrovers aufgenommen wurde. In ihrer Beurteilung des Ergebnisses gelangte die Kommission mit 10 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung und mit Stichentscheid ihres
Präsidenten zum Schluss, dem Nationalrat die Abschreibung der parlamentarischen Initiative zu beantragen. Der Nationalrat lehnte die Abschreibung am 22. März 2019 jedoch mit 102 zu 93 Stimmen ab.

Nach nochmaliger Diskussion verabschiedete die Kommission schliesslich am 5. Juli 2019 ihren Erlassentwurf sowie den erläuternden Bericht mit 12 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung zuhanden des Nationalrates. Zugleich überwies sie die Vorlage dem Bundesrat zur Stellungnahme.

2 3

SR 834.1 SR 171.10

7096

BBl 2019

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage und Zielsetzungen

Bei einer Adoption ­ insbesondere im frühesten Kindesalter ­ sind die Rahmenbedingungen derjenigen Familie, die ein Kind bei sich aufnimmt, mitentscheidend für die Entwicklung des Kindes und das Gleichgewicht in der Familie. Gerade die ersten Wochen und Monate nach einer Adoption sollten allen Beteiligten einen möglichst guten Start in das neue Familienleben ermöglichen. Es ist für das adoptierte Kind wichtig, dass in dieser Zeit ein Vertrauensklima und gute Bindungen zwischen ihm und seinen Adoptiveltern aufgebaut werden können. Adoptierte Kinder kommen oftmals aus prekären Verhältnissen und bedürfen einer besonderen Zuwendung, vor allem in der ersten Zeit nach ihrer Adoption. Diese emotionale Bindung zwischen den Adoptiveltern und dem Kind, die für die künftige Beziehung zentral ist, muss zunächst hergestellt und etabliert werden.

Adoptionen verlangen sowohl von den Adoptierenden als auch vom Kind ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit. Das Kind muss die Trennung von den leiblichen Eltern bewältigen; zudem stammt es teilweise aus einem anderen Kulturkreis. Die Adoptiveltern ihrerseits haben infolge der fehlenden biologischen Dimension der Schwangerschaft beziehungsweise der Geburt weniger die Möglichkeit, sich auf das Kind einzustellen. Auch handelt es sich vielfach um das erste Kind einer Familie, was eine generelle Umstellung der bisherigen Lebensgewohnheiten mit sich bringt.

Das EOG sieht heute eine Mutterschaftsentschädigung vor, mit der folgende Ziele verfolgt werden: Die Mutter soll sich von der Schwangerschaft und der Geburt erholen können und es sollen gute Voraussetzungen für den Aufbau einer starken Beziehung zum Kind geschaffen werden, die für eine positive Entwicklung der Familie unerlässlich ist. Schliesslich soll das Stillen des Kindes, so sich die Mutter dafür entscheidet, erleichtert werden.

Das Verhältnis zwischen dem adoptierten Kind und seinen Adoptiveltern ist nach Einschätzung der Kommission als gleichwertig zu einer biologisch entstandenen Elternschaft zu charakterisieren. Ob ein Kind in eine Familie hineingeboren oder adoptiert werde, stelle in ähnlicher Weise ein einschneidendes Erlebnis dar. Die ersten Wochen und Monate, in denen ein Kind in die neue Familie aufgenommen werde, seien in jedem Fall eine Zeit, die alle Beteiligten stark fordere.

Aus Respekt vor der
Gleichberechtigung der Adoption mit dem durch Geburt entstandenen Kindesverhältnis und den vergleichbaren Herausforderungen für die Adoptiveltern ist es nach Auffassung der Kommission angezeigt, ergänzend zur Mutterschaftsentschädigung auch eine Adoptionsentschädigung einzuführen. Bei der konkreten Ausgestaltung der Entschädigung hat die Kommission mitberücksichtigt, dass im Vergleich zur Geburt die Erholungszeit der Mutter wegfällt, was eine zeitliche Beschränkung des Anspruchs rechtfertigt (vgl. Ziff. 2.4).

Die Kommission will mit ihrer Vorlage alle diejenigen Familien unterstützen, die sich für die Adoption eines Kindes entschieden haben. Sie geht davon aus, dass die von ihr moderat gehaltene Adoptionsentschädigung aus einer gesellschafts- und

7097

BBl 2019

familienpolitischen Perspektive eine wichtige Investition darstellt, die aufgrund der überschaubaren Kostenfolgen finanzpolitisch verantwortbar ist.

2.2

Aktuelle Situation

Bisher hat bei einer Adoption keiner der beiden Elternteile Anspruch auf eine bundesrechtlich geregelte Entschädigung während einer bestimmten Zeit, die für die erste Eingewöhnungsphase des Adoptivkindes in der neuen Familie erforderlich ist.

Gemäss dem Obligationenrecht4 muss der Arbeitgeber den Angestellten freie Zeit für bestimmte familiäre Ereignisse gewähren. Auf kantonaler Ebene haben zwei Kantone (Genf und Tessin) einen bezahlten Adoptionsurlaub eingeführt (vgl.

Ziff. 2.3). Der Bund, zahlreiche Kantone, Städte und Gemeinden kennen einen bezahlten Adoptionsurlaub für ihr Personal. Schliesslich gibt es auch Gesamtarbeitsverträge, die einen Adoptionsurlaub vorsehen.

Die Zahl der Adoptionen ist in der Schweiz seit 1980 tendenziell rückläufig. Wie aus der nachfolgenden tabellarischen Aufstellung auf Basis der Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) hervorgeht, wurden im Jahr 2018 insgesamt 429 Personen adoptiert; davon waren 295 Stiefkindadoptionen.5 Von den adoptierten Kindern waren im gleichen Jahr 58 (53 Nicht-Stiefkinder und 5 Stiefkinder) weniger als vier Jahre alt. Diese Grössenordnung ist für den vorliegenden Gesetzesentwurf insofern von Bedeutung, als die Kommission vorschlägt, die Adoptionsentschädigung auf die Adoption von Kindern zu beschränken, die weniger als vier Jahre alt sind (vgl. dazu Ziff. 2.5).

Tabelle Adoptionen nach Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Alter der adoptierten Person6

Total

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

509

513

425

383

329

363

305

429

Nach Geschlecht der adoptierten Person Männer

236

252

205

184

159

188

149

193

Frauen

273

261

220

199

170

175

156

236

4 5

6

SR 220 Die Zunahme der Adoptionen im Jahr 2018 ist primär auf das revidierte Adoptionsrecht zurückzuführen, das seit dem 1. Januar 2018 in Kraft ist. Es ermöglicht Stiefkindadoptionen auch für Personen in eingetragener Partnerschaft und in faktischen Lebensgemeinschaften. Gemäss Artikel 16i Absatz 5 E-EOG des Entwurfs der Kommission besteht bei einer Stiefkindadoption nach Artikel 264c Absatz 1 des Zivilgesetzbuchs kein Anspruch auf die Adoptionsentschädigung.

Die Zahlen dieser Tabelle basieren auf den Angaben des Bundesamtes für Statistik: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > 01 - Bevölkerung > Geburten und Todesfälle > Adoptionen; abgerufen am 9. August 2019.

7098

BBl 2019

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

Nach Staatsangehörigkeit der adoptierten Person (vor der Adoption) Schweiz

175

185

169

140

132

163

160

251

60

63

51

56

39

62

37

53

135

120

107

76

53

58

23

32

Amerika

64

61

35

40

37

26

27

30

Asien

75

82

57

65

63

50

51

56

0

2

6

6

5

4

7

7

Europa (ohne Schweiz) Afrika

Andere

Nach Alter der adoptierten Person 0­4 Jahre

221

176

173

130

109

82

53

58

5­9 Jahre

73

82

59

47

48

41

56

64

10­14 Jahre

67

85

61

69

63

64

59

61

15­19 Jahre

76

92

71

72

57

88

57

88

20 Jahre und mehr

72

78

61

65

52

88

80

158

Quelle: BFS, BEVNAT

2.3

Frühere parlamentarische Diskussionen

Das Anliegen einer Adoptionsentschädigung war bereits Gegenstand verschiedener parlamentarischer Debatten. Sowohl in der anlässlich der Volksabstimmung vom 13. Juni 1999 abgelehnten Vorlage für eine Mutterschaftsversicherung7 als auch bei der Behandlung der von Nationalrat Pierre Triponez (FDP, BE) eingereichten parlamentarischen Initiative «Revision Erwerbsersatzgesetz. Ausweitung der Erwerbsersatzansprüche auf erwerbstätige Mütter» (01.426 n), die letztlich zur Einführung der Mutterschaftsentschädigung (Inkrafttreten am 1. Juli 2005) im Rahmen der Erwerbsersatzordnung führte, wurde die Frage des Leistungsanspruchs bei Adoption8 diskutiert.

7 8

Der Gesetzesentwurf vom 18. Dezember 1998 sah sowohl Mutterschafts- als auch Adoptionsleistungen vor; vgl. BBl 1998 5695.

Vgl. Minderheitsantrag Maury Pasquier zu Artikel 16b Absatz 2bis EOG und die entsprechenden Erläuterungen im Bericht der SGK-NR vom 3. Oktober 2002 zum Geschäft 01.426 (BBl 2002 7522). Die Ratsunterlagen zum Geschäft können abgerufen werden unter: www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Suche Curia Vista > Geschäftsnummer 01.426.

7099

BBl 2019

Bei der Beratung der parlamentarischen Initiative Triponez 01.426 verzichtete der Gesetzgeber auf eine Bundeslösung für eine Adoptionsentschädigung und übertrug den Kantonen die entsprechende Kompetenz. So können die Kantone gemäss Artikel 16h EOG eine höhere oder länger dauernde Mutterschafts- oder eine Adoptionsentschädigung vorsehen und zu deren Finanzierung besondere Beiträge erheben9.

Seit der Einführung der Mutterschaftsentschädigung forderten mehrere parlamentarische Vorstösse explizit die Einführung eines bundesgesetzlich verankerten Adoptionsurlaubs (vgl. insbesondere die Standesinitiative Neuenburg 14.309, die Motion Romano 12.3110 sowie die parlamentarische Initiative Maury Pasquier 07.416).

2.4

Geprüfte Varianten

Der Anspruch auf eine Adoptionsentschädigung kann unterschiedlich ausgestaltet werden. Für die Kommission stand eine pragmatische und möglichst einfach umsetzbare Lösung im Vordergrund ihrer Arbeiten. In diesem Rahmen prüfte sie auch Varianten, die sie nach Abwägen der Vor- und Nachteile nicht weiterverfolgte: Die Kommission diskutierte beispielsweise die Einführung einer Maximalgrenze für die Reduktion des Beschäftigungsgrades durch die Adoptiveltern, dies im Sinne eines wirtschaftsfreundlichen Anreizes, die Erwerbstätigkeit nicht vollständig zu unterbrechen. Letztlich verzichtete sie auf eine solche Vorgabe, da sich der Vorentwurf grundsätzlich am Modell der Mutterschaftsentschädigung orientiert und vergleichbare Rahmenbedingungen für die Betroffenen bieten soll.

Weiter hat die Kommission auch eine Variante diskutiert, in der die Adoptiveltern den Urlaub tage- oder halbtageweise hätten beziehen können. Aufgrund ihrer klaren Absicht, ein praktikables und effizientes Modell für die Adoptionsentschädigung vorzuschlagen, nahm sie Abstand von einer derartigen Stücklung des Anspruchs.

Schliesslich setzte sich die Kommission mit der Frage der Dauer des Adoptionsurlaubes auseinander, wobei sie sich einerseits von gesundheitspolitischen und anderseits von finanziellen Gesichtspunkten leiten liess. Da die Adoption im Unterschied zur Mutterschaft nicht an die Geburt und den damit zusammenhängenden Gesundheitsschutz der Mutter anknüpft, rechtfertigt sich für die Kommission eine deutlich kürzere Entschädigungsdauer. Zudem haben die Kantone, wie oben bereits erwähnt, die Kompetenz für weitergehende Lösungen. Dementsprechend verzichtete die Kommission auf Varianten, die längere Entschädigungsdauern vorsahen.

9

Zwei Kantone machen heute von dieser Kompetenz Gebrauch: Genf und Tessin sehen in ihrer kantonalen Gesetzgebung einen entschädigten Adoptionsurlaub für einen Elternteil vor (Genf 16 Wochen, Tessin 14 Wochen).

7100

BBl 2019

2.5

Die beantragte Neuregelung

Artikel 116 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)10 hält fest, dass der Bund eine Mutterschaftsversicherung einrichtet. Wie der Bundesrat in seinem Bericht «Vaterschaftsurlaub und Elternurlaub. Auslegeordnung und Präsentation unterschiedlicher Modelle»11 vom 30. Oktober 2013 in Erfüllung des Postulates Fetz (11.3492) feststellt, kann der Begriff der Mutterschaftsversicherung weit gefasst werden und nicht nur das «Mutterschaftsrisiko» im üblichen Sinne ­ Schwangerschaft und Geburt eines Kindes ­ betreffen, sondern auch Risiken in Zusammenhang mit mutterschaftsähnlichen Situationen, insbesondere der Adoption12.

Auf dieser Basis (vgl. auch Ziff. 6) schlägt die Kommission vor, das EOG mit einem neuen Kapitel IIIb zur Adoptionsentschädigung zu ergänzen. Das von ihr entworfene Modell enthält folgende Eckpunkte: Die Anspruchsvoraussetzungen für die Adoptionsentschädigung orientieren sich grundsätzlich an der Mutterschaftsentschädigung, sie werden aber nicht auf Frauen beschränkt. Da die Adoption nicht an eine Geburt anknüpft sowie aus Respekt vor der Gleichberechtigung in der Familie sieht das Modell vor, dass die Adoptiveltern frei wählen können, wer von ihnen die Entschädigung in Form eines über die EO finanzierten Urlaubs von zwei Wochen bezieht. Sie können sich auch für eine Aufteilung des Anspruchs entscheiden.

Der Anspruch gilt für erwerbstätige Personen, die ein Kind zur Adoption aufnehmen, das weniger als vier Jahre alt ist. Als weitere Voraussetzung schlägt die Kommission vor, dass adoptierende Personen innerhalb eines Jahres nach der Aufnahme des Kindes die Erwerbstätigkeit unterbrechen oder den Beschäftigungsgrad um mindestens 20 Prozent reduzieren müssen.

Die Adoptionsentschädigung soll als Taggeld ausgerichtet werden. Es beträgt nach dem Willen der Kommission bei einem Unterbruch der Erwerbstätigkeit 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor Beginn des Anspruchs erzielt wurde. Bei einer Reduktion des Beschäftigungsgrades soll sich das Taggeld auf 80 Prozent der Erwerbseinbusse während der Reduktion belaufen.

Werden gleichzeitig mehrere Kinder zur Adoption aufgenommen, so entsteht nur ein Anspruch auf eine Entschädigung; kein Anspruch entsteht bei der Stiefkindadoption.

Wie bisher können die Kantone ergänzend eine höhere oder länger dauernde Adoptionsentschädigung vorsehen und zu deren Finanzierung besondere Beiträge erheben.

10 11

12

SR 101 Vgl. Bericht des Bundesrates «Vaterschaftsurlaub und Elternurlaub. Auslegeordnung und Präsentation unterschiedlicher Modelle» vom 30. Oktober 2013 in Erfüllung des Postulates Fetz (11.3492), publiziert unter www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Suche Curia Vista > Geschäftsnummer 11.3492.

Ebenda, S. 35

7101

BBl 2019

2.6

Minderheitsanträge

2.6.1

Nichteintreten

Eine Minderheit (Pezzatti, Brand, Buffat, Clottu, de Courten, Frehner, Herzog, Sauter) lehnt den Gesetzesentwurf grundsätzlich ab und beantragt, nicht darauf einzutreten. Dies aus den folgenden Gründen: Für die Kommissionsminderheit stellt die Adoption ein eigenverantwortlicher Entscheid dar, der primär als eine private Angelegenheit zu betrachten sei. Wer ein Kind adoptiere, sei auch bereit, die notwendige Zeit für den Aufbau der Beziehung und die Betreuung zu investieren und sich dementsprechend zu organisieren. Es sei nicht Aufgabe des Staates, in diesen Fällen organisatorische Vorkehrungen finanziell zu unterstützen. Die Minderheit wehrt sich generell gegen die Einmischung des Staates in das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern.

Zudem strapaziere ein weiterer Ausbau bei den Sozialversicherungen, im konkreten Fall in der EO, die Solidarität und er sei angesichts der schwierigen finanzpolitischen Rahmenbedingungen auch nicht sachgerecht, so die Minderheit.

Weiter betont sie, dass die Adoption im Unterschied zur Mutterschaft nicht an die Geburt und den damit zusammenhängenden Gesundheitsschutz der Mutter anknüpft.

Dementsprechend bestehe bei der Adoption kein Arbeitsverbot für die Frauen und es gebe diesbezüglich auch keinen Erwerbsausfall, der entschädigt werden müsste. Hier greife der Vergleich mit der Mutterschaftsentschädigung nicht, argumentiert die Minderheit.

Schliesslich gebe das EOG den Kantonen bereits heute die Kompetenz, auf kantonaler Ebene aktiv zu werden und Adoptionsentschädigungen vorzusehen. Einzelne Kantone machten davon Gebrauch. Nach Auffassung der Kommissionsminderheit ist diese Regelung zweckmässig. Eine neue Bundesregelung führe dagegen zu einer weiteren Kompetenzverlagerung von den Kantonen zum Bund, was abzulehnen sei.

2.6.2

Rückweisung an die Kommission

Eine Minderheit (Feri Yvonne, Barrile, Gysi, Graf Maya, Heim, Schenker Silvia) beantragt die Rückweisung an die Kommission mit dem Auftrag, eine Vorlage auszuarbeiten, die vorsieht, dass der entschädigte Adoptionsurlaub insgesamt 14 Wochen dauert und auf beide Elternteile je zu gleichen Teilen aufgeteilt werden soll.

Nach Auffassung der Minderheit ist eine Beschränkung des Adoptionsurlaubes auf zwei Wochen nicht sachgerecht. Diese Zeitspanne erlaube keinen Aufbau von tragfähigen Bindungen und werde der hohen Bedeutung des Kindeswohls nicht gerecht.

Ebenso solle die Dauer des Urlaubes analog des Mutterschaftsurlaubes vorgesehen werden. Da beim Adoptionsurlaub aber nicht primär die Gesundheit und Erholung der Mutter nach der Schwangerschaft im Vordergrund stehe, solle der Urlaub je zu gleichen Teilen von den Eltern bezogen werden, so die Minderheit weiter.

7102

BBl 2019

2.7

Ergebnis der Vernehmlassung13

Die Vernehmlassung dauerte vom 16. Februar 2018 bis am 23. Mai 2018. Insgesamt gingen 47 Stellungnahmen ein. Die hauptsächlichen Tendenzen der eingereichten Stellungnahmen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Meinungen zum Adoptionsurlaub sind kontrovers. Während diverse Teilnehmende den Adoptionsurlaub als unnötigen und nicht sachgerechten sozialpolitischen Ausbau grundsätzlich ablehnen, wird er von einer Mehrheit als ersten Schritt in die richtige Richtung taxiert, der aber noch zu wenig weit gehe.

Vorbehaltslos unterstützt wird die Vorlage nur von einem kleineren Teil der Vernehmlassungsteilnehmenden (von den Kantonen TG, SH, AR, AI, UR sowie der CVP, EVP, GLP). Sie weisen darauf hin, dass damit eine Lücke in der Familienpolitik geschlossen werde, es sei eine pragmatische Lösung und stelle nur eine geringe Belastung für die EO dar.

Knapp zwei Drittel der Kantone (ZH, BE, TI, VS, JU, GE, VD, NE, SO, GR, SG, BS, BL), die SP und GPS, Arbeitnehmerverbände und weitere interessierte Organisationen begrüssen die Vorlage im Grundsatz und als ersten Schritt in die richtige Richtung. Zu wenig weit geht der Vorschlag vielen grundsätzlich Befürwortenden jedoch hinsichtlich der entschädigten Urlaubsdauer. Mehrere Kantone (ZH, BS, TI, GE, VD, NE), die SP und die GPS, Arbeitnehmerverbände sowie die interessierten Organisationen erachten die vorgeschlagenen 2 Wochen als zu kurz. Damit könne das angestrebte Ziel nicht erreicht werden. In den verschiedenen Stellungnahmen wird eine Dauer von 4, 6, 8, 12 oder 14 Wochen gefordert. Es wird darauf hingewiesen, dass für den Beziehungsaufbau mehr Zeit erforderlich sei, bereits bestehende Urlaube bedeutend länger seien und die Verkürzung auf 2 Wochen gegenüber der ursprünglichen Forderung der Pa.Iv. Romano, die 12 Wochen vorsah, nicht nachvollziehbar sei. Zahlreiche Befürwortende eines Adoptionsurlaubs (ZH, SG, BS, BL, JU, VD, GE, TI, die SP und die GPS, Arbeitnehmerverbände und weitere interessierte Organisationen) bezeichnen die Altersbegrenzung auf unter 4-jährige Kinder als zu tief. Folgende Argumente werden aufgeführt: Auch ältere Kinder würden grosse Aufmerksamkeit bei der Eingewöhnung benötigen und die bereits bestehenden kantonal geregelten Adoptionsurlaube sähen eine höhere Altersgrenze vor. Die Einschränkung auf Kleinstkinder entspreche nicht dem
übergeordneten Kindeswohl in Adoptionsprozessen. Es gäbe keine hinreichenden Gründe für das Limit von 4 Jahren. Gefordert wird eine obere Altersgrenze von 5 bis zu maximal 18 Jahren.

Vereinzelt werden Anregungen und Bemerkungen zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen und den Bezugsmodalitäten (Aufteilung unter den Eltern, Rahmenfrist, Pensumsreduktion) oder weitere Wünsche vorgebracht, etwa die Einführung eines Elternurlaubs. Mehrere Kantone ­ auch grundsätzlich Befürwortende ­, halten fest, dass der vergleichsweise kleinen Entschädigung zugunsten von wenig Betroffenen ein (zu) grosser Aufwand entgegenstehe (vorgängiges Prüfen von zahlreichen Voraussetzungen). Von einzelnen Kantonen sowie der Konferenz der kantonalen Aus13

Die Unterlagen der Vernehmlassung und den Ergebnisbericht finden sich unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > Parlamentarische Kommissionen (PK).

7103

BBl 2019

gleichskassen wird angeregt zu prüfen, ob es Möglichkeiten gäbe, den administrativen Aufwand zu reduzieren.

Von den Kantonen ZG, LU, AG, SZ und OW (GL und FR äussern sich kritisch), der SVP und der FDP sowie von Verbänden aus Gewerbe- und Arbeitgeberkreisen wird die Einführung einer Adoptionsentschädigung auf Bundesebene abgelehnt. Als Gründe werden genannt: kein gesetzgeberischer Bedarf von Seiten des Bundes, bestehende Kompetenz der Kantone, Adoptionsentschädigungen einzuführen, eigenverantwortlicher Entscheid der Adoptiveltern, kein Schutzbedürfnis aus biologischen Gründen, keine sozialpolitische Notwendigkeit, kein Verfassungsauftrag sowie ein schlechtes Signal angesichts der steigenden Sozialausgaben.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Erwerbsersatzgesetz (EOG)

Titel Da das EOG neu auch den Erwerbsersatz bei Adoption regeln soll, ist es angebracht, im Titel auch die Adoption zu erwähnen.

Art. 16h

Verhältnis zu kantonalen Regelungen

Da es neu eine Adoptionsentschädigung gibt, wird für diese das Verhältnis zu den kantonalen Regelungen am Ende des Kapitels IIIb geregelt (Vgl. Art. 16m).

Gliederungstitel vor Art. 16i Da sich die Adoptionsentschädigung in wichtigen Punkten von der Mutterschaftsentschädigung unterscheidet, wird diese in einem eigenen Kapitel (IIIb) geregelt.

Art. 16i

Anspruchsberechtigte

Die Anspruchsvoraussetzungen sind eng an die Mutterschaftsentschädigung angelehnt. Ohne Geburt muss der Bezug der Entschädigung jedoch nicht auf die Mutter beschränkt werden. Die Adoptiveltern können wählen, welcher Elternteil den Urlaub von zwei Wochen und die entsprechende Entschädigung bezieht, oder diesen auch untereinander aufteilen (siehe Art. 329g Abs. 3 OR; Art. 16i Abs. 3).

Die Adoption eines Kindes ist mit einem behördlichen Verfahren verbunden, wobei es Unterschiede gibt. Zum einen gibt es diejenigen Eltern, die ein Kind im Hinblick auf eine Adoption in die Familie aufnehmen, das eigentliche «Aussprechen der Adoption» erfolgt jedoch erst später (etwa nach einem Jahr nach der Aufnahme).

Zum andern wird in einer nicht unbedeutenden Anzahl von Fällen nach dem Recht des Herkunftsstaates des Kindes die Adoption bereits im Ausland ausgesprochen und die Adoptiveltern reisen mit dem Kind in die Schweiz ein. Hier errichtet sodann die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) des Wohnsitzkantons eine Beistandschaft für das Kind, die während zirka eines Jahres Adoptiveltern und

7104

BBl 2019

Adoptivkind begleitet. Ein eigentliches «Aussprechen der Adoption» erfolgt in diesen Fällen in der Schweiz nicht mehr. Die im Ausland erfolgte Adoption wird vielmehr aufgrund der ausländischen Papiere ins Zivilstandsregister eingetragen oder anerkannt, wenn nichts dagegenspricht. Damit die Berechtigung für eine Adoptionsentschädigung in beiden Konstellationen möglich ist, gelten als Anspruchsberechtigte alle Personen, die ein Kind unter 4 Jahren zur Adoption aufnehmen. Es fallen darunter sowohl künftige Adoptiveltern (Adoptionsentscheid noch ausstehend) als auch solche, die schon Eltern eines im Ausland adoptierten Kindes sind (haben bereits im Ausland adoptiert). Entscheidend ist der Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes (in die Hausgemeinschaft in der Schweiz) zur Adoption. Eine zeitliche Limite für die im Ausland erfolgte Adoption ist nicht nötig, da weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen (etwa vorgängige AHV-Versicherungsunterstellung, siehe nachfolgend).

Die Mutterschaftsentschädigung ist nur für erwerbstätige Frauen konzipiert. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, wenn bei Ehepaaren, in denen die Mutter nicht erwerbstätig ist, der Vater die Adoptionsentschädigung beanspruchen könnte. Es wird daher bei einer gemeinschaftlichen Adoption verlangt, dass sich beide Eltern über eine vorangegangene Versicherungsunterstellung von 9 Monaten und eine Erwerbstätigkeit von 5 Monaten ausweisen können. Andernfalls besteht kein Anspruch auf eine Entschädigung durch die EO.

Nach der Geburt des Kindes besteht für Frauen ein Arbeitsverbot. Im Falle einer Adoption ist dies nicht der Fall. Es ist daher auch nicht erforderlich, dass die Erwerbstätigkeit komplett unterbrochen wird, eine Pensumsreduktion von mindestens 20 % genügt (zu den Auswirkungen auf die Höhe der Entschädigung siehe Erläuterungen zu Art. 16l). Die Adoptiveltern können frei wählen, wer den Urlaub bezieht.

Sie können auch eine Aufteilung vornehmen. Ausgeschlossen ist aber ein gleichzeitiger Bezug (siehe Art. 329g Abs. 3 OR).

Im Unterschied zum Mutterschaftsurlaub, der ab dem Tag der Geburt des Kindes beginnt, muss der Adoptionsurlaub nicht am Tag der Aufnahme des Kindes in die Familie bezogen werden. Es steht den Eltern frei, diesen innerhalb eines Jahres nach der Aufnahme des Kindes zu beziehen. Der Anspruch auf eine Entschädigung entsteht
jedoch nur, wenn der Adoptionsurlaub gemäss Artikel 329g OR auch bezogen wird.

Die Entschädigung soll auf Adoptionen von Kindern beschränkt werden, die jünger als 4-jährig sind. Die Bezugsgruppe ist dadurch zwar relativ klein, aber wer ältere Kinder adoptiert, erhält andere Entlastungen (staatliche Unterstützung seitens des Schulwesens). Analog zur Geburt von Mehrlingen, die auch nur eine Mutterschaftsentschädigung auslöst, soll auch bei einer gleichzeitigen Adoption von mehreren Kindern nur eine Entschädigung ausgerichtet werden.

Eine Minderheit (Feri Yvonne, Barrile, Gysi, Graf Maya, Heim, Schenker Silvia) beantragt, dass auch Eltern, die Kinder unter 12 Jahren adoptieren, von einem entschädigten Urlaub profitieren können. Die Altersbegrenzung auf unter 4-jährige Kinder sei nicht sachgerecht, da die Kinder bei einer Adoption öfters bereits älter seien. Zudem bräuchten auch ältere Kinder während der Eingewöhnungsphase eine erhöhte Aufmerksamkeit der Adoptiveltern.

7105

BBl 2019

Keinen Leistungsanspruch gibt es bei einer Stiefkindadoption, das heisst, wenn das Kind der Ehefrau oder des Ehemannes, das Kind der eingetragenen oder faktischen Partnerin oder des eingetragenen oder faktischen Partners adoptiert wird.

Art. 16j

Beginn des Anspruchs

Der Beginn des Anspruchs auf die Entschädigung ist an den Beginn des Adoptionsurlaubs gekoppelt. Somit kann der Anspruch frühestens am Tag der Aufnahme des Kindes in die Hausgemeinschaft beginnen, falls der Urlaub sofort bezogen wird.

Wird der Adoptionsurlaub erst zu einem späteren Zeitpunkt bezogen (innerhalb eines Jahres) entsteht der Anspruch erst beim Beginn des Urlaubs.

Art. 16k

Ende des Anspruchs

Der zweiwöchige Adoptionsurlaub kann zwar innerhalb eines Jahres bezogen werden, aber er muss am Stück genommen werden. Auch wenn die Person ihre Erwerbstätigkeit während des Adoptionsurlaubs nur teilweise einstellt, verlängert sich die entschädigte Urlaubsdauer deswegen nicht und endet in jedem Fall nach zwei Wochen.

Bei der Mutterschaftsentschädigung führt die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit immer zum Ende des Anspruchs. Da für den Anspruch der Adoptionsentschädigung jedoch nicht vorausgesetzt wird, dass die Erwerbstätigkeit komplett eingestellt wird (Art. 16i Abs. 1 Bst. d), führt die Wiederaufnahme eines Teilpensums auch nicht zwingend zur Einstellung des Taggeldes. Sobald jedoch in diesen zwei Wochen ein Erwerbspensum aufgenommen wird, so dass die Reduktion des Beschäftigungsgrades nicht mehr mindestens 20 Prozent beträgt, endet der Anspruch.

Das folgende Beispiel verdeutlicht das Modell der Kommission: der Vater arbeitet in einem 100 %-Pensum. Nach der Adoption bezieht er zunächst eine Woche Urlaub mit komplettem Unterbruch der Erwerbstätigkeit. In der zweiten Woche arbeitet er wieder zu 50 %. Der Anspruch auf die Entschädigung endet nicht. Die Entschädigung wird jedoch in der zweiten Woche reduziert (Art. 16l Abs. 2). Nimmt er in der zweiten Woche die Erwerbstätigkeit zu 100 % oder zu 90 % wieder auf, dann endet der Anspruch.

Art. 16l

Form, Höhe und Bemessung

Wie beim Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei der Mutterschaft erfolgt die Entschädigung in Form eines Taggeldes.

Für die Höhe und die Bemessung des Taggeldes gelten die Regelungen für die Mutterschaftsentschädigung sinngemäss. Das heisst, das Taggeld beträgt 80 % des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor dem Beginn des Urlaubs erzielt worden ist.

Falls die Person nur einen teilzeitlichen Adoptionsurlaub (Pensumsreduktion) bezieht, werden nur 80 % des Lohnes, der der Pensumsreduktion entspricht, ausgerichtet. Die Person reduziert ihr Arbeitspensum beispielsweise während zweier Wochen um 60 %, was zu einer Lohneinbusse von 60 % Prozent führt. Das Taggeld beträgt

7106

BBl 2019

80 % dieser Einbusse. Für die Bestimmung des Umfangs der Pensumsreduktion ist das Erwerbspensum unmittelbar vor Beginn des Adoptionsurlaubs massgebend.

Art. 16m

Verhältnis zu kantonalen Regelungen

Die Kantone sollen wie bisher die Möglichkeit haben, weitergehende Adoptionsentschädigungen vorzusehen (bisher nach Art. 16h).

Art. 20 Abs. 1 Die Bestimmungen über die Verjährung und Verrechnung sind allgemein gültig, weshalb sie ihren Platz unter «IV. Verschiedene Bestimmungen» haben.

Die Regelung, die für die Mutterschaftsentschädigung gilt, kann sinngemäss übernommen werden: der Anspruch auf Nachzahlung von nicht bezogenen Leistungen erlischt 5 Jahre nach dem Ende des Adoptionsurlaubs.

3.2

Änderung weiterer Erlasse

3.2.1

Änderung des Obligationenrechts (OR)

Art. 329 Randtitel Der Randtitel zu Artikel 329 OR ist zu ergänzen, weil neue Bestimmungen zum Adoptionsurlaub im Obligationenrecht aufgenommen werden.

Art. 329b Abs. 3 Bezieht eine Arbeitnehmerin den Mutterschaftsurlaub, dürfen die Ferien nicht gekürzt werden. Das gilt auch, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen Adoptionsurlaub bezieht.

Art. 329g Der Adoptionsurlaub ist eine notwendige Ergänzung zur Adoptionsentschädigung.

Ohne diesen Urlaub wären die Adoptivmütter und -väter verpflichtet, die Arbeitsleistung zu erbringen. Andererseits soll nach dem OR nur dann ein Adoptionsurlaub zugestanden werden, wenn dieser auch über die EO entschädigt wird. Würde nämlich der Urlaub bei allen Adoptionsfällen gewährt, würde dies zum Beispiel bei einer Adoption eines über 4-jährigen Kindes oder eines Stiefkindes zu einer Lohnlücke führen, weil der Arbeitgeber bei einem Adoptionsurlaub keine Lohnzahlungspflicht hat (vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen). Anstelle des Urlaubs (vollständiger Unterbruch der Erwerbstätigkeit) kann auch nur das Erwerbspensum reduziert werden. Der Urlaub oder die Zeit der Pensumsreduktion dauert in Übereinstimmung mit der Leistungsdauer gemäss EOG zwei Wochen und muss innerhalb des ersten Jahres nach der Aufnahme des Kindes am Stück bezogen werden.

Der Adoptionsurlaub kann sowohl von der Arbeitnehmerin als auch vom Arbeitnehmer bezogen werden. Er kann unter den erwerbstätigen Eltern aufgeteilt werden, 7107

BBl 2019

wobei ein gleichzeitiger Bezug ausgeschlossen ist. Auch bei einer Aufteilung unter den Eltern darf der Urlaub nie mehr als ein 100-Prozent-Pensum umfassen.

Art. 362 Abs. 1 Damit der neue Artikel 329g OR nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgeändert werden kann, wird er in den Katalog der einseitig zwingenden Normen von Artikel 362 Absatz 1 OR aufgenommen.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Gemäss Berechnungen der Verwaltung würde ein 2-wöchiger über die EO finanzierter Adoptionsurlaub voraussichtlich rund 110 000 Franken pro Jahr kosten. Diese Kosten basieren auf 53 im Jahr 2018 in der Schweiz erfolgten Adoptionen von Nicht-Stiefkindern (vgl. dazu Ziff. 2.2). Der Betrag stellt für die EO nur eine geringe Belastung dar. Im Vergleich dazu wurden im Jahr 2018 zulasten der EO 743 Millionen Franken an Dienstleistende und 865 Millionen Franken für die Entschädigung bei Mutterschaft erbracht. Der heutige Beitragssatz von 0,45 % müsste daher nicht erhöht werden.

Die Kosten der Minderheit Feri Yvonne bei Artikel 16i Absatz 1 Buchstabe a (Altersgrenze bei 12 Jahren) wurden von der Verwaltung auf der Basis von 99 in der Schweiz adoptierten Nicht-Stiefkindern von 0­12 Jahren im 2018 auf rund 209 000 Franken pro Jahr berechnet.

In der Bundesverwaltung hätte die Einführung einer Adoptionsentschädigung keine personellen Konsequenzen.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Die Auszahlung der Adoptionsentschädigung würde wie die Mutterschaftsentschädigung über die AHV-Ausgleichskassen erfolgen. Für die Festsetzung der Entschädigung müssen die Arbeitgebenden Angaben über den Lohn liefern. Angesichts der sehr geringen Zahl von Fällen pro Jahr (rund 50) würde dies weder bei den Durchführungsstellen noch bei den involvierten Arbeitgebenden zu einer spürbaren administrativen Mehrbelastung führen.

5

Verhältnis zum europäischen und internationalen Recht

Die EU hat zwecks Erleichterung der Freizügigkeit Regelungen zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit geschaffen. Die Schweiz nimmt seit dem Inkrafttreten des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren 7108

BBl 2019

Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen)14 am 1. Juni 2002 an diesem Koordinationssystem teil. Das EU-Recht sieht keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unter Beachtung der europarechtlichen Koordinationsgrundsätze selber festlegen.

Dies gilt aufgrund des revidierten EFTA-Übereinkommens15 auch in den Beziehungen zwischen der Schweiz und den übrigen EFTA-Staaten.

Der Erwerbsersatz für Dienstleistende gehört nicht zu den vom internationalen Recht geregelten Risiken der sozialen Sicherheit und kann deshalb beliebig ausgestaltet werden. Leistungen bei Mutterschaft und Adoption können hingegen international als Familienleistungen oder als den Leistungen bei Mutterschaft gleichgestellte Leistungen klassifiziert werden. Ihre Ausgestaltung muss den internationalen Verpflichtungen Rechnung tragen, welche die Schweiz auf diesem Gebiet übernommen hat.

Die Schweiz wendet aufgrund des Freizügigkeitsabkommens mit der EU sowie des revidierten EFTA-Übereinkommens die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 (VO 883/ 2004)16 und 987/200917 an. Diese gelten auch für Leistungen bei Mutterschaft und Adoption, welche im Anwendungsbereich des EOG sind (Art. 28a EOG).

Nach der VO 883/2004 ist die Schweiz verpflichtet, Staatsangehörige eines EUbzw. EFTA-Staates gleich zu behandeln wie Schweizer Bürger (Art. 4 VO 883/2004) und ihnen Adoptionsentschädigungen zu gewähren, sofern sie die erforderlichen Voraussetzungen, nötigenfalls unter Mitberücksichtigung von entsprechenden Versicherungszeiten in einem EU-/EFTA-Staat, erfüllen (Art. 6 VO 883/2004). Die Adoptionsentschädigung ist auch bei Wohnsitz im EU- oder EFTA-Raum zu gewähren (Art. 7 VO 883/2004), also namentlich an Grenzgängerinnen und Grenzgänger.

Die Adoptionsentschädigung als ordentliche Erwerbsersatzleistung ist nicht zu verwechseln mit den kantonalen Geburts- und Adoptionszulagen auf der Grundlage von Artikel 3 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen18, welche einen Beitrag zur Deckung von bei einer Geburt oder Adoption anfallenden Kosten darstellen. Diese besonderen, einmaligen Beihilfen konnten von den Koordinierungsvorschriften der VO 883/2004 ausgenommen werden. Die einzelnen
Massnahmen der vorliegenden Revision sind vereinbar mit den erwähnten Koordinierungsvorschriften.

Im Zusammenhang mit dem EU-Recht ist ausserdem auf die Richtlinie 2010/18 über den Elternurlaub19 hinzuweisen. Sie verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, für alle Arbeitnehmenden, Frauen wie Männer, einen individuellen Anspruch auf Elternurlaub von mindestens vier Monaten bei Geburt oder Adoption eines Kindes einzuführen. Dies soll ihnen erlauben, das Kind zu betreuen, bis es ein festgelegtes Alter 14 15 16 17 18 19

SR 0.142.112.681 SR 0.632.31 SR 0.831.109.268.1 SR 0.831.109.268.11 SR 836.2 Vgl. Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG, Amtsblatt der Europäischen Union, 2010, L 68/13.

7109

BBl 2019

von bis zu acht Jahren erreicht. Diese Richtlinie findet auf die Schweiz keine Anwendung.

Im Rahmen des Europarates sah die Empfehlung des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten Nr. R (96) 5 über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon 1996 vor, dass der Vater und die Mutter, einschliesslich Adoptiveltern, Anspruch auf einen Elternurlaub innerhalb eines von den nationalen Behörden zu bestimmenden Zeitraums haben sollten (§ 14).

Die in den beiden Texten geregelten Urlaube können jedoch nicht mit dem Adoptionsurlaub des vorliegenden Gesetzesentwurfs verglichen werden, muss doch der europäische Elternurlaub eher als legitimer Grund für die Abwesenheit vom Arbeitsplatz gesehen werden, ohne eine Entlassung zu riskieren. Die Dauer der Abwesenheit kann dabei ziemlich lange sein. Die Entschädigung für den Urlaub ist allerdings, soweit sie überhaupt in der nationalen Gesetzgebung vorgesehen ist, von geringer Bedeutung. Der Entwurf geht aber in die Richtung dieser Texte, indem er auf nationaler Ebene Massnahmen zugunsten von Adoptiveltern einführt.

Auf globaler Ebene hat die Internationale Arbeitsorganisation im Jahr 2000 eine Empfehlung (Nr. 191) über den Mutterschutz erlassen. Sie regelt insbesondere, dass die Adoptiveltern Zugang zum Schutzsystem haben sollten, das im Übereinkommen Nr. 183 über den Mutterschutz vorgesehen ist, wenn die nationale Gesetzgebung und die Praxis die Adoption zulassen. Dies betrifft namentlich den Urlaub, die Leistungen sowie den Beschäftigungsschutz (§ 10 (5)). Das von der Schweiz ratifizierte Übereinkommen (Nr. 183)20 sieht insbesondere vor, dass der Mutterschaftsurlaub mindestens 14 Wochen dauern muss. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Entwurf betreffend Adoption nicht erfüllt. Dies stellt aber kein Problem dar, weil die Empfehlung (Nr. 191) kein verbindliches Instrument ist.

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die vorgeschlagenen Änderungen des EOG für die Einführung einer Adoptionsentschädigung basieren auf Artikel 116 Absatz 3 der Bundesverfassung21. Diese Bestimmung definiert weder Art noch Umfang der Versicherungsleistung bei Mutterschaft und lässt damit dem Gesetzgeber einen grossen Gestaltungsspielraum offen.

Die Verfassungsgrundlage deckt ein grosses Spektrum von möglichen Leistungen, etwa auch Leistungen bei Adoptivelternschaft.

Was die Änderungen des Obligationenrechts betrifft, stützen sich diese auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a und 122 der Bundesverfassung. Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a erteilt dem Bund eine umfassende Kompetenz zum Erlass von Bestimmungen im Bereich des Arbeitnehmerschutzes. Artikel 122 enthält eine umfassende Bundeskompetenz im Bereich des Zivilrechts.

20 21

SR 0.822.728.3 SR 101

7110

BBl 2019

Sämtliche Gesetzesänderungen, die durch die Kommission vorgeschlagen werden, sind verfassungskonform.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Vorlage enthält keine neuen Delegationsnormen zum Erlass von Verordnungsrecht.

6.3

Erlassform

Das Gesetz ergeht in der Form des ordentlichen Bundesgesetzes nach Artikel 164 der Bundesverfassung.

7111

BBl 2019

7112