19.023 Botschaft zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und zum indirekten Gegenvorschlag (Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung) vom 15. März 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, als indirekten Gegenvorschlag das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. März 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2018-4090

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Übersicht Der Bundesrat beantragt dem Parlament, die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Mit dem geforderten flächendeckenden Gesichtsverhüllungsverbot im öffentlichen Raum schiesst die Initiative über das Ziel hinaus. Sie greift in die bewährte kantonale Regelungsautonomie ein und problematisiert ein seltenes Phänomen. Der Bundesrat stellt der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe gegenüber, der Probleme im Zusammenhang mit der Gesichtsverhüllung gezielt löst.

Inhalt der Initiative Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ist am 15. September 2017 eingereicht worden. Sie verlangt eine Ergänzung der Bundesverfassung mit einem neuen Artikel 10a. Die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum und an Orten, die öffentlich zugänglich sind, soll verboten werden. Ausnahmen sollen aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums möglich sein. Die Initiative enthält überdies das Verbot, eine Person aufgrund ihres Geschlechts zu zwingen, ihr Gesicht zu verhüllen. Für die Erarbeitung der Ausführungsgesetzgebung ist eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen.

Vor- und Nachteile der Initiative Nach Ansicht des Bundesrates respektiert die Initiative die Einheit der Form und die Einheit der Materie. Sie steht auch nicht im Widerspruch zu zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Gültigkeitserfordernisse gemäss Artikel 139 Absatz 2 der Bundesverfassung.

Die Initiative setzt sich zum Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die Mindestvoraussetzungen für das «Zusammenleben» zu bewahren. Der Bundesrat teilt die Ansicht, dass das Zeigen des Gesichts eine wichtige Rolle beim gesellschaftlichen Austausch spielt. Er anerkennt insbesondere, dass die Gesichtsverhüllung aus religiösen Gründen, wie etwa das Tragen einer Burka oder eines Nikab, bei zahlreichen Personen Unbehagen auslöst. Solche Auftritte sind Ausdruck fundamentalistischer Strömungen im Islam und weisen auf eine Integrationsverweigerung hin. Sie entsprechen nicht den Werten der Offenheit und des Austauschs, wie sie unserer Demokratie zugrunde liegen. Begegnungen mit vollverhüllt auftretenden Personen in unseren Strassen sind aber in der Schweiz äusserst selten. Die Vollverhüllung
betrifft meistens Touristinnen, die nicht eigentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes beitragen. Der Bundesrat erinnert überdies daran, dass das geltende Recht, namentlich das Ausländerrecht und das Bürgerrecht, konkrete Antworten mit Blick auf berechtigte Sorgen über die Integration und die Unvereinbarkeit radikaler islamischer Strömungen mit Schweizer Werten liefert. Ein generelles Verbot auf Bundesebene hätte somit vor allem symbolische Bedeutung und wäre unverhältnismässig.

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Die Initiative will auch die öffentliche Ordnung stärken, indem die Identifizierung und Verfolgung von Kriminellen und Vandalen erleichtert wird. Damit zielt sie hauptsächlich auf Straftaten ab, die am Rande von Demonstrationen begangen werden. Vorschriften, die die Vermummung an Demonstrationen verbieten, gibt es jedoch auf kantonaler Ebene bereits. Eine solche Regelung auf Bundesebene erscheint deshalb wenig sinnvoll.

Die Initiative greift in die Autonomie der Kantone ein. Nach Ansicht des Bundesrates sollen diese wie bisher selbst entscheiden können, ob sie ein Verhüllungsverbot erlassen und insbesondere wie sie mit verhüllten Touristinnen aus dem arabischen Raum umgehen möchten. Eine Annahme der Initiative wird zudem zu Mehrkosten für die Kantone führen, da diese namentlich für die Durchsetzung des Verbots zuständig sein werden.

Die Initiative nimmt schliesslich für sich in Anspruch, die individuellen Freiheitsrechte und die Gleichstellung der Geschlechter zu stärken. Sie spricht damit den Umstand an, dass die Vollverschleierung Symbol eines Gesellschaftsverständnisses ist, das die Unterdrückung der Frau zementiert. Der Bundesrat ist wie die Initiantinnen und Initianten der Ansicht, dass es nicht hinnehmbar ist, eine Person zur Verhüllung ihres Gesichts zu zwingen. Er stellt aber klar, dass sich in Anwendung von Artikel 181 des Strafgesetzbuches (Nötigung) bereits heute strafbar macht, wer jemanden zwingt, sein Gesicht zu verhüllen. Überdies ist zu bedenken, dass die Gesichtsverhüllung auch die freie Wahl einer Person sein kann, so etwa bei konvertierten Schweizerinnen. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass das Verbot der Vollverhüllung im öffentlichen dazu führt, dass sich die betroffenen Frauen zuhause einschliessen. Damit bestünde die Gefahr, dass sie zusätzlich isoliert werden.

Die Schweiz bekennt sich zu einer liberalen Gesellschaftsordnung. Flächendeckende Kleidervorschriften stehen dazu im Widerspruch. Das gilt umso mehr, als die gemäss der Initiative tolerierten, abschliessend formulierten Ausnahmen vom Verbot es nicht zulassen, touristische Interessen oder die Interessen von Personen zu berücksichtigen, die ohne Gewalt demonstrieren oder wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehen wollen.

Die Initiative begründet keine verfassungsmässige Kompetenz für den Bund und muss somit von den
Kantonen und vom Bund gemäss ihren jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Wie mit allen Vorschriften, die die Bekleidung betreffen, sind auch mit einem Gesichtsverhüllungsverbot im öffentlichen Raum Umsetzungsschwierigkeiten verbunden.

Antrag des Bundesrates Aus diesen Gründen beantragt der Bundesrat dem Parlament, die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass es Fälle gibt, in denen das Tragen gesichtsverhüllender Kleidungsstücke problematisch sein kann. Abgesehen von den Fällen der Nötigung, die das geltende Recht schon ahndet, können sich Probleme ergeben, wenn eine Behörde eine Person identifizieren muss, die betreffende Person ihr Gesicht jedoch nicht zeigen will. Der Bundesrat unterbreitet deshalb einen indi-

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rekten Gegenvorschlag in Form eines Bundesgesetzes, mit dem sich dieses spezifische Problem gezielt lösen lässt.

Im Gegensatz zur Initiative tangiert der Gegenvorschlag die kantonale Regelungsautonomie nicht. Die Kantone müssen die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum nicht verbieten, können dies aber tun, wenn sie es für zweckmässig erachten.

In einem neuen Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung werden klare Verhaltensregeln festgelegt, mit deren Hilfe das Entstehen von Spannungen vermieden und sichergestellt werden soll, dass die Behörden ihre Aufgaben erfüllen können. Das Gesetz verankert eine Pflicht zur Enthüllung des Gesichts in Situationen, in denen eine Schweizer Behörde gestützt auf Bundesrecht und in Erfüllung ihrer Aufgaben eine Person identifizieren muss (Art. 1 Abs. 1). Die Pflicht zur Gesichtsenthüllung erfasst die kantonalrechtlich geregelten Bereiche nicht, da dafür eine Änderung der Bundesverfassung notwendig wäre. Eine Sanktionsbestimmung im neuen Gesetz sieht ferner vor, dass mit Busse bestraft wird, wer einer wiederholten Aufforderung zur Enthüllung des Gesichts keine Folge leistet (Art. 2). Die Verfolgung und die Beurteilung der Straftaten obliegt den Kantonen (Art. 3).

Artikel 4 hält fest, dass der indirekte Gegenvorschlag nur dann in Kraft tritt, wenn die Volksinitiative zurückgezogen oder abgelehnt wird (Unvereinbarkeit der Volksinitiative mit dem Gegenvorschlag).

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Vorprüfung und Zustandekommen 1.3 Behandlungsfristen 1.4 Gültigkeit 1.4.1 Einheit der Form 1.4.2 Einheit der Materie 1.4.3 Vereinbarkeit mit zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts

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2

Ausgangslage 2.1 Einleitung 2.2 Ausgangslage im Ausland 2.2.1 Frankreich 2.2.2 Belgien 2.2.3 Österreich 2.2.4 Dänemark 2.2.5 Italien 2.2.6 Deutschland 2.2.7 Niederlande 2.2.8 Grossbritannien 2.2.9 Kanada 2.2.10 Australien 2.3 Ausgangslage in der Schweiz 2.3.1 Auf Bundesebene 2.3.1.1 Geltende Gesetzgebung 2.3.1.2 Parlamentarische Vorstösse 2.3.2 Auf kantonaler Ebene 2.3.2.1 Tessin 2.3.2.2 St. Gallen

2922 2922 2922 2922 2924 2925 2925 2926 2926 2927 2927 2927 2928 2928 2928 2928 2929 2930 2930 2932

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Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes 3.3.1 Gesichtsverhüllungsverbot 3.3.2 Verbot, eine Person zu zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen 3.3.3 Ausnahmen 3.3.4 Übergangsbestimmung

2932 2932 2933 2933 2933

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2934 2934 2935

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Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Ziele der Initiative 4.1.1 Wahrung der Mindestvoraussetzungen für das gesellschaftliche Zusammenleben 4.1.2 Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 4.1.3 Stärkung der Freiheit und der Gleichberechtigung der Geschlechter 4.2 Auswirkungen bei einer Annahme 4.2.1 Unnötige Einschränkung der kantonalen Kompetenzen 4.2.2 Umsetzungsprobleme 4.2.3 Unverhältnismässige Einschränkung der Grundfreiheiten 4.2.4 Widerspruch zur liberalen Gesellschaftsordnung 4.2.5 Belastung der Kantone 4.3 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 4.3.1 EMRK 4.3.2 UNO-Pakt II

2935 2935

5

Schlussfolgerungen

2941

6

Indirekter Gegenvorschlag: Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung 6.1 Vorverfahren 6.2 Grundzüge des Gegenvorschlags 6.3 Vernehmlassungsergebnisse 6.4 Wesentliche Änderungen gegenüber dem Vorentwurf 6.5 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 6.6 Auswirkungen des Gegenvorschlags 6.6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 6.6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.7 Rechtliche Aspekte 6.7.1 Verfassungsmässigkeit 6.7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.7.3 Erlassform 6.8 Verhältnis zur Legislaturplanung

2935 2936 2937 2938 2938 2939 2939 2940 2940 2940 2940 2941

2942 2942 2942 2943 2945 2945 2947 2947 2947 2948 2948 2948 2948 2949 2949

Bundesbeschluss zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» (Entwurf)

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Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung (Entwurf)

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 10a

Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts

Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen, die öffentlich zugänglich sind oder an denen grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistungen angeboten werden; das Verbot gilt nicht für Sakralstätten.

1

Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.

2

Das Gesetz sieht Ausnahmen vor. Diese umfassen ausschliesslich Gründe der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums.

3

Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmung zu Art. 10a (Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts) Die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 10a ist innert zweier Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände zu erarbeiten.

1.2

Vorprüfung und Zustandekommen

Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» wurde am 1. März 2016 von der Bundeskanzlei vorgeprüft3 und am 15. September 2017 eingereicht. Bei der Vorprüfung hat die Bundeskanzlei festgestellt, dass die Unterschriftenliste und der Titel der Initiative formell den gesetzlichen Erfordernissen entsprechen. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2017 hat die Bundeskanzlei festgestellt, dass die Initiative mit 105 553 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.4

1 2 3 4

SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

BBl 2016 1669 BBl 2017 6447

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1.3

Behandlungsfristen

Die Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat hat beschlossen, diesem Volksbegehren einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) ist der Bundesrat verpflichtet, der Bundesversammlung innerhalb von achtzehn Monaten nach Einreichung der Initiative, d. h. bis spätestens zum 15. März 2019, die Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu unterbreiten.

Gemäss Artikel 100 ParlG muss die Bundesversammlung bis zum 15. März 2020 darüber beschliessen, ob sie die Initiative Volk und Ständen zur Annahme oder Ablehnung empfiehlt, es sei denn, dass einer der beiden Räte über einen Gegenentwurf oder über einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf Beschluss fasst. Im letzteren Fall kann die Bundesversammlung die Frist für die Behandlung der Initiative um ein Jahr verlängern (Art. 105 Abs. 1 ParlG).

1.4

Gültigkeit

1.4.1

Einheit der Form

Volksinitiativen auf Teilrevision der Bundesverfassung (BV) können die Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs haben (Art. 139 Abs. 2 BV). Nach Artikel 75 Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 6 über die politischen Rechte (BPR) sind Mischformen nicht zulässig. Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Sie erfüllt folglich die Anforderungen an die Einheit der Form.

1.4.2

Einheit der Materie

Nach Artikel 75 Absatz 2 BPR ist die Einheit der Materie gewahrt, wenn zwischen den einzelnen Teilen einer Volksinitiative ein sachlicher Zusammenhang besteht.

Der Grundsatz soll sicherstellen, dass die freie und unverfälschte Stimmabgabe gewährleistet ist. Dies setzt voraus, dass Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihre Meinung über eine bestimmte, thematisch eingegrenzte Frage äussern können. Es gilt zu verhindern, dass mehrere vermischte Postulate in einem Begehren zusammengefasst werden mit dem Ziel, einfacher Unterstützung für die Initiative und damit die erforderliche Unterschriftenzahl zu erlangen.7 Die Bundesversammlung vertritt eine eher grosszügige Auslegung der Einheit der Materie8 Im vorliegenden Fall erfüllt die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» diese Anforderung nach Ansicht des Bundesrates.

5 6 7 8

SR 171.10 SR 161.1 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 5. Juli 2017 zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)», BBl 2017 5355, hier 5363.

Vgl. Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. Nov. 1996, BBl 1997 I 1 432.

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1.4.3

Vereinbarkeit mit zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts

Verletzt eine Volksinitiative zwingende Bestimmungen des Völkerrechts, so erklärt die Bundesversammlung sie für ganz oder teilweise ungültig (Art. 139 Abs. 3 BV).

Der Bundesrat und die Bundesversammlung haben eine Praxis zum Begriff der «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts» entwickelt. Demnach zählen die folgenden Normen und Rechte zu den «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts»:9 ­

Die Normen des zwingenden Völkerrechts (ius cogens), wie es Artikel 53 zweiter Satz des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 196910 über das Recht der Verträge (VRK) allgemein umschreibt. Ius cogens bezeichnet die fundamentalen Normen des Völkerrechts, von denen keine Abweichung zulässig ist. Eine autoritative Auflistung des zwingenden Völkerrechts existiert zwar nicht, doch ergeben sich Anhaltspunkte auf Normen mit Ius-cogensCharakter aus der Staatenpraxis und aus Staatsverträgen des humanitären Völkerrechts.11

­

Die notstandsfesten Garantien der Konvention vom 4. November 1950 12 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) (Art. 15): das Verbot willkürlicher Tötung (Art. 2), das Verbot der Folter (Art. 3), das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft (Art. 4 Abs. 1), der Grundsatz «Keine Strafe ohne Gesetz» (Art. 7) und ausserdem das Verbot der Doppelstrafe beziehungsweise der Grundsatz ne bis in idem (Art. 4 des Protokolls Nr. 7 vom 22. November 198413 zur EMRK).

­

Einzelne notstandsfeste Garantien des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 196614 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II). Dabei handelt es sich um das Recht auf Leben (Art. 6), das Folterverbot (Art. 7), das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft (Art. 8 Abs. 1 und 2), das Verbot des Schuldverhafts (Art. 11), den Grundsatz «Keine Strafe ohne Gesetz» (Art. 15), die universelle Rechtsfähigkeit (Art. 16) und gewisse Aspekte der Religionsfreiheit (Art. 18) (Art. 4 Abs. 2 UNO-Pakt II).15

Im vorliegenden Fall soll mit der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ein Verbot eingeführt werden, im öffentlichen Raum sein Gesicht zu verhüllen. Damit kann sie verschiedene in der EMRK oder im UNO-Pakt II verankerte Rechte und 9

10 11

12 13 14 15

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 5. Juli 2017 zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)», BBl 2017 5355, hier 5365 mit weiteren Hinweisen.

SR 0.111 Vgl. die Auflistung in der Botschaft des Bundesrates vom 20. Nov. 2013 zur Volksinitiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)», BBl 2013 9459, hier 9468.

SR 0.101 SR 0.101.07 SR 0.103.2 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 20. Nov. 2013 zur Volksinitiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)», BBl 2013 9459, hier 9469.

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Garantien beeinträchtigen, zum Beispiel die Religionsfreiheit, das Recht auf Achtung des Privatlebens, die Versammlungsfreiheit, die Meinungsäusserungsfreiheit oder das Diskriminierungsverbot.

Was die EMRK angeht, sind diese Rechte nicht von Artikel 15 EMRK erfasst und nicht Teil des zwingenden Völkerrechts.

Auf den ersten Blick könnte der Fall beim UNO-Pakt II anders gelagert sein, da das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Artikel 18 in Artikel 4 Absatz 2 als Recht aufgeführt ist, das auch bei einem Notstand nicht ausser Kraft gesetzt werden darf. Dem ist jedoch nicht so. Die Bestimmung kann nicht zum zwingenden Völkerrecht gezählt werden, da Artikel 18 Absatz 3 UNO-Pakt II Einschränkungen bei der Bekundung der eigenen Religion erlaubt (worauf die Volksinitiative auch abzielt). Wenn also davon ausgegangen wird, dass von Artikel 18 auch im Notstand nicht abgewichen werden darf, sind die Einschränkungen nach Absatz 3 dieses Artikels davon ausgeschlossen.

Daraus geht hervor, dass die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstösst.

2

Ausgangslage

2.1

Einleitung

Das Thema der Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum beschäftigt die Zivilgesellschaft in der Schweiz wie auch im Ausland seit mehreren Jahren. Diskutiert werden hauptsächlich die Vollverschleierung (Nikab oder Burka), die vermummte Teilnahme an (sportlichen oder politischen) Veranstaltungen und allgemein die Begehung von Straftaten durch nicht identifizierbare Personen. Die Verfechter eines allgemeinen Gesichtsverhüllungsverbots im öffentlichen Raum verweisen namentlich auf die Achtung der Werte einer demokratischen Gesellschaft, den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Die Gegner kritisieren einen ihrer Ansicht nach ungerechtfertigten Eingriff in ihre Religions-, Versammlungs-, Meinungsäusserungs- und Wirtschaftsfreiheit, eine Beeinträchtigung ihres Privatlebens sowie einen Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot.

2.2

Ausgangslage im Ausland

2.2.1

Frankreich

In Frankreich wurde 2010 ein Gesetz verabschiedet, welches das Tragen einer gesichtsverhüllenden Kleidung im öffentlichen Raum untersagt, d. h. auf öffentlichen Strassen und an Orten, die öffentlich zugänglich oder für eine öffentliche Dienstleistung bestimmt sind.16 Dieses Verbot gilt nicht, wenn die Gesichtsverhüllung 16

Loi no 2010-1192 du 11 octobre 2010 interdisant la dissimulation du visage dans l'espace public.

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durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften vorgeschrieben oder erlaubt ist, wenn sie aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen gerechtfertigt ist oder wenn das Gesicht im Rahmen einer sportlichen Betätigung oder von festlichen, künstlerischen oder traditionellen Anlässen verhüllt wird. Ein Verstoss wird mit einer Busse von höchstens 150 Euro bestraft.

Mit Artikel 4 dieses Gesetzes wurde im Übrigen eine Bestimmung im französischen Strafgesetzbuch eingeführt, die eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder eine Busse von 30 000 Euro für Personen vorsieht, die eine oder mehrere andere Personen durch Drohung, Gewalt, Nötigung, Amtsmissbrauch oder Machtmissbrauch zwingen, wegen ihres Geschlechts ihr Gesicht zu verhüllen. Die Strafe wird erhöht, wenn die Straftat gegen Minderjährige begangen wird.

Über das französische Gesetz hat die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in einem Urteil 17 befunden. Der Gerichtshof hat sich zu den gerügten Verletzungen der Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) und 9 EMRK (Religionsfreiheit) in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) geäussert. Es ging vor allem darum, mit Blick auf die Artikel 8 Absatz 2 und 9 Absatz 2 EMRK die Rechtmässigkeit des mit dem französischen Gesetz verfolgten öffentlichen Interesses sowie die Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit des Eingriffs zu beurteilen.

Gemäss den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf soll dieses einerseits Zwecken der öffentlichen Sicherheit dienen und andererseits «die Achtung der Mindestanforderungen für das Leben in der Gesellschaft», d. h. das «Zusammenleben» («vivre ensemble») sicherstellen. Der erste Grund wird in den Artikeln 8 Absatz 2 und 9 Absatz 2 EMRK ausdrücklich genannt, der zweite jedoch nicht. Der Gerichtshof folgt aber der französischen Regierung mit der Einschätzung, dass dieses Ziel mit dem «Schutz der Rechte und Freiheiten anderer» im Sinne der Artikel 8 Absatz 2 und 9 Absatz 2 EMRK verknüpft werden kann. Auf die Rechtsgleichheit zwischen Frauen und Männern und die Achtung der Menschenwürde abgestützte Motive hat der Gerichtshof hingegen nicht anerkannt.

In Bezug auf die Verhältnismässigkeit der Massnahmen gelangte der Gerichtshof zur Einschätzung, dass der Schutz des «Zusammenlebens» ein Verbot rechtfertigt.

Er verwies diesbezüglich
darauf, dass es sich um eine Angelegenheit der allgemeinen Politik handelt, bei der die Mitgliedstaaten über einen weiten Ermessensspielraum verfügen und der Gerichtshof Zurückhaltung üben muss. Ferner wies er darauf hin, dass es bei den Mitgliedstaaten des Europarates keinen Konsens gegen das Verbot gibt, der es rechtfertigen würde, dass er seine Zurückhaltung ablegt. Hingegen befand der Gerichtshof, dass die zur Begründung des Gesetzes angeführten Gründe im Zusammenhang mit der öffentlichen Sicherheit kein allgemeines Verbot rechtfertigen können. Die Notwendigkeit, Individuen jederzeit und überall identifizieren zu können, um Angriffen auf die Sicherheit von Personen und Eigentum vorzubeugen oder Identitätsbetrug zu bekämpfen, kann nur in einem Kontext als verhältnismässig angesehen werden, in dem eine allgemeine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit besteht. Dies war in Frankreich nicht der Fall. Die vorgesehenen

17

Urteil S.A.S. gegen Frankreich vom 1. Juli 2014, Beschwerde Nr. 43835/11.

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Geldstrafen wurden angesichts des tiefen Betrags ebenfalls als verhältnismässig eingestuft.

Es ist zu erwähnen, dass das Urteil nicht nur auf Zustimmung stösst, 18 auch innerhalb des Gerichtshofs nicht. Zwei Richter äusserten eine abweichende Meinung. Sie sind der Auffassung, dass die Bestrafung der Vollverschleierung eine unverhältnismässige Massnahme zur Wahrung des Ziels des «Zusammenlebens» ist ­ eines Ziels, das aus ihrer Sicht schwer mit der Liste der Gründe nach den Artikeln 8 Absatz 2 und 9 Absatz 2 EMRK zu vereinbaren ist.

Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen teilt die Auffassung des EGMR nicht. In zwei am 23. Oktober 2018 veröffentlichten Feststellungen kam er zum Schluss, dass Frankreich die Menschenrechte zweier Frauen verletzt hat, indem es sie gebüsst hat, weil sie den Nikab getragen hatten. Anders als der EGMR vertritt er die Auffassung, dass die Bewahrung des «Zusammenlebens» nicht mit dem «Schutz der Rechte und Freiheiten anderer» verknüpft werden kann. Da dieses angeführte Ziel des öffentlichen Interesses nicht in der abschliessenden Liste von Artikel 18 Absatz 3 des UNO-Pakts II aufgeführt sei, sei es folglich auch nicht rechtmässig. Und selbst wenn dessen Rechtmässigkeit anerkannt würde, wäre die Bestrafung der Nichtbeachtung des Verbots unverhältnismässig. Der Ausschuss ersuchte Frankreich um einen Bericht zu den Massnahmen zur Umsetzung seiner Empfehlungen. In diesen wird unter anderem verlangt, dass die Beschwerdeführerinnen entschädigt und Massnahmen einschliesslich der Revision des gerügten Gesetzes getroffen werden, mit denen ähnliche Fälle in Zukunft vermieden werden können.19 Auch im Ausschuss sind allerdings nicht alle Mitglieder derselben Meinung.

Einige haben sich im Sinne der Erwägungen des EGMR abweichend geäussert.

Das Urteil des EGMR wird durch die Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses nicht in Frage gestellt. Der Ausschuss hat wie die anderen Ausschüsse der Vereinten Nationen keine Rechtsprechungsbefugnisse und verfügt über keine Zwangsmittel, um seine Empfehlungen durchzusetzen. Deren Umsetzung unterscheidet sich von einem Land zum anderen.

2.2.2

Belgien

In Belgien wurde 2011 ein Gesichtsverhüllungsverbot in Artikel 563 bis Code Pénal20 verankert. Vorgesehen sind eine Busse von 15 bis 25 Euro und/oder eine Freiheitsstrafe von einem bis sieben Tagen für Personen, die ihr Gesicht an öffentlich zugänglichen Orten vollständig oder teilweise verhüllen, sodass sie nicht identifiziert 18

19

20

Vgl. namentlich Andrea Edenharter, «Rechtliche Implikationen eines Verbots der Vollschleierung ­ EMRK, Deutschland, Schweiz», in: JZ 20/2018, S. 973; Bijan FatehMoghadam, «Dresscodes: Verhüllungsverbote im liberalen Rechtsstaat», in: recht 2017, S. 226; Thierry Tanquerel, «L'expression religieuse sur le domaine public», in: Études en l'honneur de Tristan Zimmermann. Constitution et religion ­ Les droits de l'homme en mémoire, Genève, 2017, S. 245 ff. und 256 f.

Vgl. auch den Artikel «France: l'interdiction du niqab viole la liberté de religion de deux musulmanes (Comité des droits de l'homme)», veröffentlicht am 23. Okt. 2018 auf der Seite ONU Info (https://news.un.org/fr/story/2018/10/1027302).

Code Pénal du 8 Juin 1867, dossier numéro 1867-06-08/01.

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werden können. Anderslautende gesetzliche Bestimmungen bleiben vorbehalten.

Das Verbot gilt nicht, wenn die Gesichtsverhüllung durch eine arbeitsrechtliche Vorschrift vorgeschrieben oder durch eine polizeiliche Anordnung anlässlich einer festlichen Veranstaltung erlaubt ist.

Das Gesetz war ebenfalls Gegenstand einer Überprüfung durch den EGMR. 21 Der Gerichtshof hat das Verbot aus denselben Gründen wie das französische Gesetz als zulässig erklärt. In Bezug auf die Verhältnismässigkeit der vorgesehenen Sanktionen weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Bussen niedrig sind und eine Inhaftierung nur im Wiederholungsfall erfolgt.

2.2.3

Österreich

In Österreich trat 2017 das Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit (Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, AGesVG)22 in Kraft.

Ein Verstoss gegen das Verhüllungsverbot liegt nicht vor, wenn die Verhüllung oder Verbergung der Gesichtszüge durch ein Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist, im Rahmen künstlerischer, kultureller oder traditioneller Veranstaltungen oder im Rahmen der Sportausübung erfolgt oder gesundheitliche oder berufliche Gründe hat.

Die Sanktion ist eine Geldstrafe bis zu 150 Euro, welche als Verwaltungsübertretung klassifiziert ist.

2.2.4

Dänemark

Das dänische Parlament hat am 31. Mai 2018 ebenfalls ein Gesetz angenommen, welches die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbietet. Das Verbot betrifft nicht nur das Tragen einer Burka oder eines Nikab, sondern auch das Tragen von Strumpfmasken, Halstüchern oder falschen Bärten, die das Gesicht weitgehend bedecken. Das Gesetz ist am 1. August 2018 in Kraft getreten. Bei einem Verstoss gegen das Verhüllungsverbot droht eine Busse von 1000 Dänischen Kronen (rund 135 Euro). Im Wiederholungsfall kann die Busse sogar 10 000 Dänische Kronen betragen (rund 1350 Euro).23

21 22 23

Urteil Belcacemi und Oussar gegen Belgien vom 11. Dezember 2017, Beschwerde Nr. 37798/13.

BGBl. I Nr. 68/2017 Vgl. den auf der Seite «bazonline.ch» veröffentlichten Artikel «Burkaverbot jetzt auch in Dänemark» (https://bazonline.ch/ausland/europa/burkaverbot-jetzt-auch-in-daenemark/ story/25830190).

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2.2.5

Italien

In Italien gilt ein Gesetz,24 das in Artikel 5 zum Schutz der öffentlichen Ordnung jegliche «Vermummung», sei diese mit Schleier, Maske oder Helm, ohne ein rechtfertigendes Motiv verbietet. Das Verbot gilt im öffentlichen Raum oder an Orten, die dem Publikum zugänglich sind, wobei Sportveranstaltungen ausgenommen sind.

Die Sanktion ist bis zwei Jahre Gefängnis und eine Busse von 1000 bis 2000 Euro.

Dabei ist zu erwähnen, dass die Gerichte Beschlüsse der Gemeinden, mit denen gestützt auf dieses Gesetz die Vollverschleierung verboten werden sollte, systematisch mit der Begründung abgelehnt haben, dass der Schleier eher auf eine Tradition zurückzuführen sei als auf die Absicht, die eigene Identität zu verbergen.

Zwei von der Lega Nord regierte Regionen, die Lombardei und Venetien, haben die Vollverschleierung und die Burka in den Spitälern und öffentlichen Gebäuden verboten.

2.2.6

Deutschland

In Deutschland gibt es kein Bundesgesetz oder Gesetz eines Landes, das die Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum generell verbietet. Es bestehen jedoch punktuelle Verbote.

So dürfen Beamtinnen und Beamte, Soldatinnen und Soldaten sowie Richterinnen und Richter im Dienst ihr Gesicht seit 2017 grundsätzlich nicht verhüllen.25 Die Begründung des Bundestags für dieses Gesetz ist die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und die vertrauensvolle Kommunikation der staatlichen Funktionsträger. 26 Einzelne Gesetze enthalten Regelungen, wonach Personen in gewissen Situationen ihr Gesicht auf Verlangen enthüllen müssen, so etwa bei Wahlen, zur Erstellung eines Lichtbildausweises oder zum Abgleich mit dem Lichtbildausweis bei Perso-

24 25

26

«Legge 22 maggio 1975, n. 152, Disposizioni a tutela dell'ordine pubblico», GU n. 136 del 24-5-1975.

Gesetz zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 8. Juni 2017, BGBl. I S. 1570, ausgegeben am 14. Juni 2017.

Deutscher Bundestag (18. Wahlperiode), Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ­ Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung, Drucksache 18/11813 vom 30. März 2017; vgl. dazu Greve/Kortländer/Schwarz, Das Gesetz zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung (NVwZ 2017, 992).

2926

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nenkontrollen. Verstösse werden mit Leistungsverweigerung 27 oder Busse bis zu 3000 Euro28 sanktioniert.

Mehrere Länder haben zudem Gesetze mit einem gezielten Verbot der Gesichtsverhüllung beispielsweise in den Spitälern oder Schulen verabschiedet.

2.2.7

Niederlande

Das niederländische Abgeordnetenhaus verabschiedete am 29. November 2016 ein Gesichtsverhüllungsverbot in Verwaltungsgebäuden, Spitälern, Schulen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei Verstössen droht eine Geldstrafe von rund 400 Euro.

Die Vorlage wurde vom Senat am 25. Juni 2018 verabschiedet.29

2.2.8

Grossbritannien

In Grossbritannien gibt es kein generelles Gesichtsverhüllungsverbot. Jedoch gibt es gewisse Einschränkungen in Schulen oder bei der Arbeit. Auch in Grossbritannien gab es in der Vergangenheit politische Kreise, die ein Gesichtsverhüllungsverbot forderten und eine nationale Diskussion darüber wünschten.30

2.2.9

Kanada

Die kanadische Provinz Quebec verbietet mit dem Gesetz zur religiösen Neutralität des Staates («loi favorisant le respect de la neutralité religieuse de l'État et visant notamment à encadrer les demandes d'accommodements pour un motif religieux dans certains organismes») vom 18. Oktober 201731 die Gesichtsverhüllung für Personen, die Dienstleistungen des Staates erhalten oder anbieten. Angestellte des Staates wie Lehrerinnen und Lehrer, Polizistinnen und Polizisten oder Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger dürfen dementsprechend das Gesicht nicht verhüllen.

Dasselbe gilt für Personen, die Kontakt mit Behörden haben und eine Dienstleistung 27

28

29

30

31

Bundeswahlordnung (BWO), neugefasst durch Bekanntmachung vom 19. Apr. 2002, BGBl. I S. 1376; zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 8. Juni 2017, BGBl. I S. 1570.

Personalausweisgesetz (Art. 1 G. v. 18. Juni 2009, BGBl. I S. 1346 [Nr. 33]; zuletzt geändert durch Art. 4 G. v. 18. Juli 2017, BGBl. I S. 2745, Geltung ab 1. Nov. 2010, § 21 gilt ab 1. Mai 2010); Aufenthaltsgesetz (neugefasst durch B. v. 25 Febr. 2008, BGBl. I S. 162; zuletzt geändert durch Art. 10 Abs. 4 G. v. 30. Okt. 2017, BGBl. I S. 3618); Freizügigkeitsgesetz/EU (Art. 2 G. v. 30. Juli 2004, BGBl. I S. 1950, hier 1986; zuletzt geändert durch Art. 6 G. v. 20. Juli 2017, BGBl. I S. 2780).

Der Text des Gesetzesentwurfs kann auf der Seite des Senats eingesehen werden (www.tweedekamer.nl, vergaderiaar 2015­2016, 34 349, Nr. 2); ergänzende Informationen finden sich auf der Webseite der Ersten Kammer (www.eerstekamer.nl).

Vgl. den in der Zeitung The Telegraph vom 15. September 2013 erschienenen Artikel «Britain needs about banning Muslim girls from wearing veils in public».

Abrufbar unter folgender Internetadresse: http://legisquebec.gouv.qc.ca/fr/ShowDoc/ cs/R-26.2.01.

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beanspruchen.32 Das Ziel dieses Gesetzes ist es, die religiöse Neutralität des Staates zu gewährleisten (Art. 1). Das Gesetz wurde im Dezember 2017 vor Gericht angefochten. Die Umsetzung von Artikel 10 des Gesetzes, nach dem eine Person, die eine Dienstleistung durch ein Mitglied einer Behörde beansprucht, bei der Leistung dieses Dienstes das Gesicht enthüllen muss, wurde aufgeschoben, bis die Regierung konkretisierende Weisungen für Fälle erlassen hat, in denen eine religiöse Diskriminierung geltend gemacht wird. Diese Weisungen sind inzwischen verabschiedet worden.33 Trotzdem tritt Artikel 10 nicht in Kraft, solange kein Grundsatzurteil zu dessen Verfassungsmässigkeit vorliegt.34

2.2.10

Australien

In der australischen Provinz New South Wales wurde 2011 ein Gesetz erlassen, das alle Personen verpflichtet, ihre Gesichtsverhüllung abzunehmen, wenn dies Staatsbedienstete verlangen.35 Der Zweck dieses Gesetzes ist die Sicherstellung der Identifizierung.

Auf nationaler Ebene wurde ein Gesichtsverhüllungsverbot zum Schutz vor terroristischen Anschlägen diskutiert. 2017 gab es einen parlamentarischen Vorstoss zum Erlass eines Gesetzes, das v. a. auch den Zwang zur Gesichtsverhüllung sanktionieren soll. Eine erwachsene Person zum Tragen einer Burka zu zwingen soll demnach mit sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Ist das Opfer ein Kind, soll die Strafe zwölf Monate Freiheitsentzug betragen. Diese Vorschläge wurden bis anhin jedoch nicht angenommen.

2.3

Ausgangslage in der Schweiz

2.3.1

Auf Bundesebene

2.3.1.1

Geltende Gesetzgebung

Es ist Sache der Kantone, Regeln für die Bekleidung im öffentlichen Raum zu erlassen. Es besteht keine Gesetzesbestimmung auf Stufe Bund, die ein generelles Gesichtsverhüllungsverbot vorsieht.

Das Strafgesetzbuch36 (StGB) enthält ausserdem keine separate Bestimmung, die den Zwang zur Gesichtsverhüllung ausdrücklich unter Strafe stellt. Wer eine andere

32 33 34

35 36

Vgl. den am 19. Okt. 2017 in der Zeitung The Independent erschienenen Artikel «Quebec bans Muslim women from wearing face veils on public transport».

Die Weisungen sind unter folgender Internetadresse abrufbar: www.justice.gouv.qc.ca/ ministere/dossiers/neutralite/.

Vgl. den am 11. Aug. 2018 auf der Webseite der Zeitung Le Devoir erschienenen Artikel «Québec renonce une fois de plus à défendre sa loi sur la neutralité religieuse» (www.ledevoir.com/politique/quebec/534329/quebec-renonce-une-fois-de-plus-adefendre-sa-loi-sur-la-neutralite-religieuse).

Identification Legislation Amendment Act 2011.

SR 311.0

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Person zwingt, ihr Gesicht zu verhüllen, kann aber nach geltendem Recht gestützt auf den Nötigungstatbestand von Artikel 181 StGB bestraft werden.

2.3.1.2

Parlamentarische Vorstösse

Das Thema Gesichtsverhüllungsverbot hat die eidgenössischen Räte in den letzten Jahren punktuell beschäftigt. Es lassen sich die folgenden Vorstösse anführen:

37

­

Interpellation Caroni 16.3966 «Burka und Eigenverantwortung»: Diese Interpellation stellte dem Bundesrat eine ganze Reihe von Fragen über bereits bestehende negative Folgen der Gesichtsverhüllung bei Frauen namentlich mit Blick auf die Erteilung bestimmter Bewilligungen durch Behörden (im Ausländerrecht, im Bereich des Bürgerrechts oder bei der Gewährung von Sozialleistungen). Die Interpellation wurde am 3. März 2017 erledigt.

­

Parlamentarische Initiative Wobmann 14.467 «Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts»: Diese Initiative zielte darauf ab, Artikel 57 BV mit folgendem neuen Absatz 3 zu ergänzen: «Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen oder verbergen, die allgemein zugänglich sind (ausgenommen sind Sakralstätten) oder der Erbringung von Publikumsdienstleistungen dienen. Und niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen». Der Ständerat folgte seiner Kommission und beschloss im Gegensatz zum Nationalrat, der Initiative keine Folge zu geben.

­

Motionen Fehr 13.3525 und Föhn 13.3520 «Vermummungsverbot im Strafgesetzbuch»: Mit diesen Motionen wurde der Bundesrat beauftragt, dem Parlament eine Bestimmung im StGB vorzulegen, wonach eine Vermummung bei Demonstrationen und Kundgebungen künftig zwingend als Straftat geahndet wird. Die erste Motion wurde abgeschrieben, weil der Nationalrat die Vorlage nicht rechtzeitig behandelt hatte. Die zweite Motion wurde vom Ständerat abgelehnt.

­

Motion Fehr 11.3043 «Nationales Vermummungsverbot»: Mit dieser Motion wurde der Bundesrat beauftragt, dem Parlament baldmöglichst eine Vorlage für ein nationales Vermummungsverbot zu unterbreiten. Sie wurde vom Nationalrat angenommen und vom Ständerat abgelehnt.

­

Motion Freysinger 10.3173 «Runter mit den Masken!»: Mit dieser Motion wurde der Bundesrat beauftragt, im Bundesgesetz vom 21. März 199737 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) einen Artikel 22bis hinzuzufügen. Vorgesehen waren in diesem Artikel insbesondere die Pflicht, sich mit unverhülltem Gesicht an eine Behörde zu richten, das Verbot, öffentliche Verkehrsmittel mit vermummtem Gesicht zu benutzen, und das Verbot, mit vermummtem Gesicht an einer Demonstration auf öffentlichem Grund teilzunehmen. Diese Motion wurde vom Nationalrat angenommen, aber vom Ständerat abgelehnt.

SR 120

2929

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2.3.2

Auf kantonaler Ebene

Die meisten Kantone haben Bestimmungen eingeführt, mit denen die Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum, an öffentlichen Veranstaltungen oder an Sportanlässen verboten wird. Volksinitiativen und parlamentarische Vorstösse für eine allgemeines Gesichtsverhüllungsverbot im öffentlichen Raum ­ und somit auch für das Verbot, eine Burka oder einen Nikab zu tragen ­ gab es in verschiedenen Kantonen: Bern (2010), Tessin (2013), Basel-Stadt (2013)38, St. Gallen (2013), Zürich (2016) und Glarus (2017). Nur in den Kantonen Tessin und St. Gallen waren die Vorstösse erfolgreich.

Zu ergänzen ist, dass am 10. Februar 201939 das Genfer Gesetz über die Laizität des Staates angenommen wurde.40 Dieses Gesetz sieht kein generelles Gesichtsverhüllungsverbot im öffentlichen Raum vor, und es richtet sich auch nicht spezifisch gegen die Burka, sondern gegen das Tragen jeglicher religiösen Symbole. Namentlich ist vorgesehen, dass der Staatsrat zur Verhinderung schwerer Störungen der öffentlichen Ordnung das Tragen auffälliger religiöser Symbole im öffentlichen Raum oder in öffentlichen Gebäuden für eine begrenzte Zeit beschränken oder gar verbieten kann. Das Gesetz legt auch fest, dass in der öffentlichen Verwaltung, in öffentlichen oder staatlich subventionierten Einrichtungen sowie in Gerichten das Gesicht sichtbar sein muss.

2.3.2.1

Tessin

Im Jahr 2013 hat die Tessiner Bevölkerung eine kantonale Volksinitiative angenommen, die vorsah, in der Tessiner Kantonsverfassung einen neuen Artikel 9a aufzunehmen.41 Dieser ist am 1. Juli 2016 in Kraft getreten. Er untersagt die Verhüllung des eigenen Gesichts im öffentlichen Raum sowie an Orten, die für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind. Damit gemeint sind öffentliche Plätze und Strassen, aber auch Verwaltungseinrichtungen, Betriebe des Service public (z. B. Post oder Gebäude der SBB) sowie private Betriebe, die der Öffentlichkeit zugänglich sind (z. B.

Restaurants, Einkaufszentren, Kinos usw.). Das Verbot erfasst vor allem zwei Zielgruppen: Personen, die sich vermummen, um bei Massenveranstaltungen anonym zu bleiben, und Personen, die ihr Gesicht aus religiösen Gründen verhüllen.42 Im betreffenden Artikel ist auch festgehalten, dass niemand eine Person zwingen darf, ihr

38

39 40 41 42

Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt lehnte die Initiative ausdrücklich wegen rechtlicher Unzulässigkeit ab. Vgl. Grosser Rat des Kantons Basel-Stadt, Beschluss-Protokoll der 10. und 11. Sitzung, Amtsjahr 2013­2014 vom 15. Mai 2013.

Die Abstimmungsresultate sind abrufbar unter: https://fao.ge.ch/avis/ 6263647021977960785.

Das Gesetz ist abrufbar unter: www.ge.ch/legislation/modrec/f/11764.html.

SR 131.229 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 12. Nov. 2014 zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Uri, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Tessin, Waadt und Jura, BBl 2014 9091, hier 9109­9110.

2930

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Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen. Schliesslich steht im Artikel, dass die Ausnahmen und Sanktionen durch das Gesetz bestimmt werden.

Die Bundesversammlung hat dieser Bestimmung gestützt auf die Botschaft des Bundesrates vom 12. November 2014 die verfassungsmässige Gewährleistung erteilt,43 wobei sie weitgehend die Argumentation des EGMR im Urteil S.A.S. gegen Frankreich übernommen hat44 (vgl. Ziff. 2.2.1).

Der Verfassungsartikel wurde umgesetzt durch: ­

Das Gesetz vom 23. November 201545 über die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum (LDiss), das seit dem 1. Juli 2016 in Kraft ist. Der Zweck dieses Gesetzes ist die Gewährleistung der fundamentalen Voraussetzungen des Zusammenlebens (Art. 1 LDiss). Das Gesichtsverhüllungsverbot gilt nicht, wenn die Gesichtsverhüllung durch ein Gesetz oder eine Verordnung vorgeschrieben ist, wenn sie aus gesundheitlichen, sicherheitsrelevanten oder beruflichen Gründen oder im Zusammenhang mit einer sportlichen Betätigung gerechtfertigt ist oder wenn das Gesicht im Rahmen von religiösen, traditionellen oder künstlerischen Anlässen oder von Freizeitveranstaltungen verhüllt wird. Das Gesetz sieht bei Widerhandlung Bussen zwischen 100 und 10 000 Franken vor.

­

Die Totalrevision des Gesetzes vom 23. November 201546 über die öffentliche Ordnung (LOrP), das ebenfalls am 1. Juli 2016 in Kraft getreten ist. Ziel dieses Gesetzes ist der Erhalt der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Die Ausnahmen vom Verbot entsprechen im Grossen und Ganzen denjenigen des LDiss. Im Gesetz wurde das Verbot zum Zwang zur Gesichtsverhüllung hinzugefügt.

­

Das Reglement vom 6. April 201647 über die öffentliche Ordnung und die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum. Es legt die konkreten Tarife bei Widerhandlungen gegen das LOrP fest. Die Busse im Falle der Gesichtsverhüllung beträgt zwischen 100 und 1000 Franken und im Falle des Zwangs zur Gesichtsverhüllung zwischen 200 und 2000 Franken (Art. 2).

Gegen die beiden Gesetze wurden 2016 Beschwerden beim Bundesgericht erhoben.

Sie wurden teilweise gutgeheissen. In zwei Urteilen vom 20. September 201848 gelangte das Bundesgericht zur Einschätzung, dass die abschliessend formulierten Ausnahmen vom Gesichtsverhüllungsverbot hinsichtlich der Verhältnismässigkeit in 43 44

45 46

47

48

BBl 2015 3035 Botschaft des Bundesrates vom 12. Nov.2014 zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Uri, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Tessin, Waadt und Jura, BBl 2014 9091, hier 9109 ff.

www4.ti.ch > Tematiche > Leggi Cantone Ticino > Apri Raccolta delle leggi > Sicurezza > 550.200 «Legge sulla dissimulazione del volto negli spazi pubblici» www4.ti.ch > Tematiche > Leggi cantone Ticino > Apri Raccolta delle Leggi > Sicurezza > 550.100 «Legge sull'ordine pubblico» (im Amtlichen Bulletin 17/2016, 194, veröffentlichte Änderung) www4.ti.ch > Tematiche > Leggi Cantone Ticino > Apri Raccolta delle Leggi > Sicurezza > 550.250 «Regolamento sull'ordine pubblico e sulla dissimulazione del volto negli spazi pubblici» BGE 1C_211/2016 und 1C_212/2016

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Bezug auf die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV), die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV) und die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) problematisch sind. Das Bundesgericht hat den Fall an den Grossen Rat des Kantons Tessin zurückgewiesen mit dem Auftrag, die beiden Gesetze mit zusätzlichen Ausnahmen zu ergänzen. Da die Beschwerdeführer keine Rüge der Vereinbarkeit der Neuregelungen mit der persönlichen Freiheit und der Religionsfreiheit (Art. 10 und 15 BV) erhoben hatten, hat sich das Bundesgericht mit diesen Fragen nicht befasst.

2.3.2.2

St. Gallen

Im Kanton St. Gallen wurde 2017 aufgrund von parlamentarischen Vorstössen (SVP und CVP) eine Änderung49 des Übertretungsstrafgesetzes vom 13. Dezember 198450 angenommen. Gemäss dieser Änderung wird mit Busse bestraft, wer sich im öffentlichen Raum sowie an Orten, die öffentlich zugänglich sind, durch Verhüllung des Gesichts unkenntlich macht und dadurch die öffentliche Sicherheit oder den religiösen oder gesellschaftlichen Frieden bedroht oder gefährdet. Dagegen wurde das Referendum ergriffen. Dieses ist Ende Januar 2018 zustande gekommen. Die St. Galler Stimmberechtigten haben die Änderung des Gesetzes am 23. September 2018.51

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele

Gemäss den Initiantinnen und Initianten soll mit der Initiative die Freiheit gestärkt werden, für die sich die Schweiz seit jeher einsetze. Diese Freiheit bedeute, dass jeder Mensch mit offenem Angesicht seine Standpunkte frei vertreten könne. Das Initiativkomitee vertritt die Auffassung, eine freiwillige oder aufgezwungene Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum stehe im Konflikt mit dem Zusammenleben in einer freien Gesellschaft.

Die Initiative ist zudem darauf ausgerichtet, den Schutz der öffentlichen Ordnung zu verbessern, indem sie sich auch gegen jene Formen der Verhüllung richtet, die kriminelle und terroristische Täter sowie Vandalen nutzen, um sich unkenntlich zu machen. Die Initiantinnen und Initianten wollen dem Treiben vermummter Vandalen ein Ende setzen, die ihr Gesicht verhüllen, damit sie unerkannt Menschen angreifen und gefährden oder Schäden in Millionenhöhe anrichten können. Gemäss den Initiantinnen und Initianten muss Schluss sein mit vermummten Steinewerfern auf

49

50 51

Die Dokumente der Session des Kantonsrates vom 27. bis 28. November 2017 sind unter folgender Internetadresse abrufbar: www.ratsinfo.sg.ch > Geschäftssuche > III. Nachtrag zum Übertretungsstrafgesetz.

Das Gesetz ist abrufbar unter: www.gesetzessammlung.sg.ch (sGS 921.1).

Vgl. die chronologische Tabelle zu den kantonalen Abstimmungen unter www.abstimmungen.sg.ch.

2932

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«antifaschistischen Abendspaziergängen» und mit vermummten Hooligans, die im Umfeld von Sportanlässen marodieren.52 Gemäss den Initiantinnen und Initianten muss jeder freie Mensch ­ ob Frau oder Mann ­ sein Gesicht zeigen dürfen. Insbesondere in Bezug auf die Vollverhüllung weisen sie darauf hin, dass die Frau in radikal-islamischen Gesellschaften als Besitz des Mannes gilt, der sie zwingen kann, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu verbergen. Die anhaltende Migrationswelle nach Europa trage zum Import dieses archaischen Frauenbildes in die Schweiz bei,53 das im Widerspruch zur Gleichberechtigung stehe, wie sie in der Schweiz gelebt werde. Das Verbot gemäss der Initiative stärke so die persönliche Freiheit im Allgemeinen und die Stellung der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter im Besonderen.54

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Der Wortlaut der Initiative ist weitgehend an das französische Gesetz des Jahres 2010 und an Artikel 9a der Verfassung des Kantons Tessin angelehnt. Er sieht ein Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts im öffentlichen Raum und an Orten vor, die öffentlich zugänglich sind oder an denen grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistungen angeboten werden. Das Verbot gilt nicht für Sakralstätten. Es wird präzisiert, dass das Gesetz für bestimmte abschliessend aufgezählte Gründe Ausnahmen vorsieht: Gesundheit, Sicherheit, klimatische Bedingungen und einheimisches Brauchtum.

Die Initiative sieht ausserdem vor, dass niemand eine Person zwingen darf, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.

Schliesslich ist die Ausführungsgesetzgebung gemäss der Initiative innert zweier Jahre nach deren Annahme durch Volk und Stände zu erarbeiten.

3.3

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

3.3.1

Gesichtsverhüllungsverbot

Das gemäss dem Initiativtext in Artikel 10a Absatz 1 BV vorgesehene Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts gilt für die ganze Schweiz. Es gilt für alle öffentlich zugänglichen Bereiche, also im öffentlichen Raum (z. B. Strassen), an Orten, die der Allgemeinheit zugänglich sind (z. B. Freibäder, Sportplätze) und in Räumlichkeiten, in denen «von jedermann beanspruchbare Dienstleistungen» erbracht werden. Damit werden neben dem Service public (z. B. öffentlicher Verkehr, Amtsstellen, Post) auch allgemein zugängliche private Dienstleistungen erfasst (z. B.

Restaurants, Einkaufscenter, Kinos, Fussballstadien). Das Verbot gilt weder für 52 53 54

Vgl. Internetseite des Initiativkomitees: www.verhuellungsverbot.ch (Stand: 23. Jan. 2019).

Vgl. die Internetseite des Initiativkomitees: www.verhuellungsverbot.ch > Darum geht es > Begriffe (Stand: 23. Jan. 2019).

Vgl. Internetseite des Initiativkomitees: verhuellungsverbot.ch > Darum geht es > Argumentarium > Argumente (abgerufen am 23. Jan. 2019).

2933

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Sakralstätten noch für den privaten Bereich. Sofern ein Fahrzeug als privater Ort betrachtet werden kann, gilt das Verbot in diesem ebenfalls nicht. 55 Die Initiative zielt hauptsächlich auf zwei Verhalten ab: das Tragen einer Sturmhaube zur anonymen Begehung von Gewalt- und Straftaten, namentlich im Rahmen von Demonstrationen, sowie die Verhüllung des Gesichts aus religiösen Gründen (Burka, Nikab). Die Burka bedeckt das ganze Gesicht und enthält ein kleines Sichtfenster aus perforiertem Gewebe, das das Sehen ermöglicht. Der Nikab bedeckt das ganze Gesicht mit Ausnahme der Augenpartie. Weitere Kleidungsstücke wie Hijab, Jilbab und Tschador bedecken das Gesicht nicht und fallen somit nicht unter das von der Initiative vorgesehene Verbot.

Das Verbot gilt auch für friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten sowie für Personen, die sich für Werbekampagnen auf der Strasse verkleiden. Es gilt sowohl für Touristinnen und Touristen als auch für in der Schweiz ansässige Personen.

Die Initiative umschreibt nicht, was unter «Verhüllung des eigenen Gesichts» zu verstehen ist. Doch das blosse Verhüllen der Haare oder des Gesichtsumfangs fällt nicht unter die Initiative. Es wird somit weiterhin möglich sein, ein Kopftuch oder einen Schal zu tragen, der die Haare bedeckt. Gemäss Auslegung des Bundesrates muss das Gesicht von der Stirn bis zum Kinn sichtbar bleiben.

Zu erwähnen ist, dass Artikel 10a dem Bund keine neue Gesetzgebungskompetenz verleihen würde. Es wird folglich Sache des Bundesgesetzgebers und der kantonalen Gesetzgeber sein, die Initiative gemäss ihren jeweiligen Zuständigkeiten umzusetzen.

3.3.2

Verbot, eine Person zu zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen

Artikel 10a Absatz 2 des Initiativtextes verbietet jeglichen an das Geschlecht einer Person anknüpfenden Zwang zur Gesichtsverhüllung. Auch hier sind die Konsequenzen eines Verstosses nicht festgelegt. Es wird somit ebenfalls Sache des Gesetzgebers sein, eine strafrechtliche Sanktion vorzusehen.

3.3.3

Ausnahmen

Gemäss Artikel 10a Absatz 3 des Initiativtextes sieht das Gesetz Ausnahmen vor.

Der Absatz nennt in abschliessender Form auch die möglichen Fälle. Ausnahmen sind aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums möglich. Für den Tourismus, politische Veranstaltungen, geschäftliche Aktivitäten oder Werbeaktivitäten (z. B. Verkleidung als Mar-

55

Botschaft des Bundesrates vom 12. November 2014 zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Uri, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Tessin, Waadt und Jura, BBl 2014 9091, hier 9111.

2934

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kenmaskottchen im Rahmen einer Promotionsveranstaltung) sind dagegen keine Ausnahmen vorgesehen.

3.3.4

Übergangsbestimmung

In einer Übergangsbestimmung (vorgesehen in Art. 197 Ziff. 12 BV) wird festgehalten, dass die Ausführungsgesetzgebung innert zweier Jahre nach der Annahme der Volksinitiative durch Volk und Stände zu erarbeiten ist.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Ziele der Initiative

4.1.1

Wahrung der Mindestvoraussetzungen für das gesellschaftliche Zusammenleben

Ein Ziel der Initiative ist es, das «Zusammenleben» zu wahren, d. h. die minimalen Voraussetzungen für ein Zusammenleben in einer freien Gesellschaft.

In der Schweiz ist es im gesellschaftlichen Austausch wichtig, sein Gesicht zu zeigen. Die Begegnung mit Menschen, die ihr Gesicht aus religiösen Gründen verhüllen und damit eine fundamentalistische Auffassung des Islam zum Ausdruck bringen, kann beunruhigen oder Unbehagen hervorrufen und als Wunsch, sich zu isolieren, oder als Weigerung, sich in die Gesellschaft zu integrieren, wahrgenommen werden. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass im öffentlichen Raum vollverhüllt auftretende Personen sehr selten anzutreffen sind. Auch die Anzahl der Frauen, die eine das Gesicht voll verschleiern (Burka oder Nikab) tragen, ist in der Schweiz äusserst niedrig. Betroffen sind hauptsächlich Touristinnen (z. B. in Luzern, Interlaken oder Genf), die nicht eigentlich an der Wahrung der Voraussetzungen für das «Zusammenleben» mitwirken.

Der soziale Zusammenhalt und der gesellschaftliche Austausch sind durch andere Massnahmen sicherzustellen. Solche Massnahmen erlauben die Einbindung von Individuen in Gemeinschaften, indem sie das gegenseitige Verständnis fördern und die Integration verbessern. Es geht um die Unterstützung betroffener Personen, aber auch um festgelegte Forderungen gegenüber Leuten, die in der Schweiz leben möchten. Der Bund und die Kantone sind hier bereits aktiv. Genannt werden kann die Revision vom 16. Dezember 201656 des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 200557 (seit dem 1. Jan. 2019 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration [AIG]58), die die Verbesserung der Integration von Ausländerinnen und Ausländern zum Ziel hat. Ein weiteres Beispiel sind die kantonalen Integrationsprogramme.

56 57 58

AS 2017 6521 SR 142.20 Vgl. dazu die Medienmitteilung des Bundesrates vom 15. Aug. 2018, abrufbar unter www.ejpd.admin.ch > Aktuell > News > 2018 > Ausländer- und Integrationsgesetz: Integration durch Anreize verstärken.

2935

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Die Volksinitiative scheint davon auszugehen, dass das geltende Recht das Tragen der Burka oder des Nikab nicht als Hindernisse für die Integration, den sozialen Zusammenhalt und die Erbringung staatlicher Leistungen betrachtet. Das ist falsch.

In zahlreichen Fällen hat ein solches Verhalten rechtliche Konsequenzen. Beispiele sind: ­

Das Ausländerrecht: Das AIG stellt für die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung auf die Integration der betreffenden Person ab. Die zuständigen Behörden berücksichtigen zahlreiche Kriterien, darunter auch die Respektierung der Werte der Bundesverfassung (Art. 58a AIG). Auf den konkreten Fall bezogen müssen sie auch prüfen, ob und in welchem Ausmass das Tragen einer Burka die Integration behindert.

Das könnte der Fall sein, wenn die Teilnahme am Erwerbsleben, der Zugang zu einer Ausbildung oder der Erwerb von Sprachkenntnissen dadurch beeinträchtigt wären.

­

Das Bürgerrecht: Das Bürgerrechtsgesetz vom 20. Juni 201459 (BüG) verlangt eine gelungene Integration. Das heisst unter anderem, dass sich die Bewerberinnen und Bewerber am sozialen und kulturellen Leben der Schweiz beteiligen. Im Rahmen der konkreten Prüfung müssen die Behörden beurteilen, ob die Vollverhüllung ein Indiz für eine ungenügende Integration ist.

Die Förderung und Unterstützung der Integration durch die im Gesetz aufgeführten Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner wird als ein Element einer erfolgreichen Integration gewertet (Art. 12 Abs. 1 Bst. e BüG). Stellen die Behörden fest, dass ein Bewerber der Integration seiner Ehefrau entgegenwirkt, so wird er selber als nicht integriert betrachtet.

­

Das Sozialversicherungsrecht: Hier kann die Vollverhüllung namentlich dann eine Leistungsverweigerung auslösen, wenn sie die Mitwirkungspflicht der versicherten Person beeinträchtigt oder verunmöglicht. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung kann die Verhüllung je nach Fall sogar zu einer Unvermittelbarkeit führen.

Aufgrund dieser Ausführung kann festgehalten werden, dass die Initiative primär Symbolcharakter hat. Der Bundesrat ist daher der Auffassung, dass sie ihr Ziel verfehlt.

4.1.2

Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung

Ziel der Initiative ist es zudem, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Laut den Initiantinnen und Initianten bietet dies die Möglichkeit, Vandalen und Hooligans zu ergreifen, die sich zur Begehung von Delikten vermummen, und Straftaten einschliesslich Terrorakte zu vermeiden.

Der Bundesrat ist ebenfalls der Ansicht, dass ein Verbot der Gesichtsverhüllung zum Schutz der Rechtspflege beitragen kann, indem bestimmte Personen, die sich zur Begehung von Straftaten vermummen, leichter identifiziert werden können. Dieses 59

SR 141.0

2936

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Argument gilt jedoch vor allem dann, wenn die Ereignisse im Rahmen von Demonstrationen stattfinden, d. h. wenn die Menschenmenge bereits eine gewisse Anonymität begünstigt. Da die meisten Kantone jedoch bereits Vorschriften zum Verbot der Vermummung bei Demonstrationen kennen, erscheint die Initiative kaum nützlich.

Zudem haben Kantone, die Vermummungsverbote bei Demonstrationen kennen, einen grossen Handlungsspielraum und wenden die Verbote aus polizeitaktischen Gründen oft nicht konsequent an. So verzichten die kantonalen Polizeikräfte sehr oft auf eine Durchsetzung des Verbots, um eine Eskalation zu verhindern.60 Diese polizeitaktischen Aspekte dürften auch bei der Umsetzung der Initiative zum Tragen kommen. Sie würde daher nicht zwingend eine strengere und einheitlichere Verfolgung von Verstössen gegen das Vermummungsverbot nach sich ziehen.

In Bezug auf die Prävention von Straftaten ist zu bezweifeln, dass ein Vermummungsverbot gewaltbereite Personen davon abhält, Straftaten zu begehen, ob es sich um Sachbeschädigungen anlässlich von Demonstrationen oder um Terrorakte handelt. Jede Person kann ohne Weiteres eine Sturmhaube in der Tasche mitführen. Im Übrigen wurden zahlreiche Terroranschläge von Personen verübt, die nicht vermummt waren.

Aus diesen Gründen ist der Bundesrat der Auffassung, dass die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» auch in diesem Punkt ihr Ziel verfehlt.

4.1.3

Stärkung der Freiheit und der Gleichberechtigung der Geschlechter

Gemäss den Initiantinnen und Initianten kann durch die Initiative die persönliche Freiheit gestärkt werden. Dies dadurch dass festgelegt wird, dass niemand zur Gesichtsverhüllung gezwungen werden darf. Darüber hinaus soll die Initiative auch die Gleichberechtigung stärken, indem es Frauen erlaubt wird, in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zu zeigen.

Der Bundesrat teilt die Meinung der Initiantinnen und Initianten, wonach niemand gezwungen werden darf, sein Gesicht zu verhüllen. Insbesondere hinsichtlich der Frauen ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Vollverschleierung ein Mittel zu ihrer Unterdrückung sein kann. Der Bundesrat ist aber der Auffassung, dass die Schaffung einer neuen, spezifisch den Zwang zur Gesichtsverhüllung aufgrund des Geschlechts unter Strafe stellenden Norm unnötig ist, da ein solches Verhalten schon heute gestützt auf den Tatbestand der Nötigung (Art. 181 StGB) strafbar ist.

Sicher könnte die Tolerierung der Vollverschleierung in der Schweiz als schlechtes Signal verstanden werden, insbesondere gegenüber denjenigen Frauen, die in vielen Ländern dagegen kämpfen. Ausserdem könnte das Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum denjenigen Frauen helfen, die in der Schweiz erheblichem (fami60

Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu den Motionen Fehr 13.3525 und Föhn 13.3520 «Vermummungsverbot im Strafgesetzbuch» sowie den Bericht der Sicherheitspolitischen Kommission vom 12. Nov. 2013 zur Motion Föhn 13.3520 «Vermummungsverbot im Strafgesetzbuch», abrufbar unter: www.parlament.ch > 13.3520 > Kommissionsberichte.

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liären oder kulturellen) Druck ausgesetzt sind, ohne Opfer von eigentlichem Zwang zu sein. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Vollverschleierung auch aus freien Stücken erfolgen kann, wie das etwa auf Schweizerinnen, die zum Islam konvertieren, zutrifft. In solchen Fällen ist nicht ganz klar, wie sich ein Verbot in der Schweiz mit der Gleichberechtigung der Geschlechter begründen liesse. Dieser Auffassung ist auch der EGMR, der dieses Argument in den Rechtsfällen in Frankreich und Belgien nicht gelten liess: «[...] ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf die Gleichberechtigung der Geschlechter berufen, um eine Praxis zu verbieten, die von Frauen ­ wie der Beschwerdeführerin ­ im Zusammenhang mit der Ausübung der in seinen Bestimmungen garantierten Freiheiten in Anspruch genommen wird [...]». 61 Zudem ist festzuhalten, dass die Diskriminierung der Frau zahlreiche Facetten aufweist, die in der Schweiz deutlich stärker verbreitet sind als Burka und Nikab.

Zusammengefasst ist der Bundesrat der Ansicht, dass ein Verbot der Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum keine Lösung zur Verbesserung der Gleichberechtigung der Geschlechter und zur Stärkung der Freiheit der Frauen ist. Das Verbot des gegenüber einer Person ausgeübten Zwangs zur Gesichtsverhüllung ist überflüssig, da es schon aus dem Nötigungstatbestand von Artikel 181 StGB folgt.

4.2

Auswirkungen bei einer Annahme

4.2.1

Unnötige Einschränkung der kantonalen Kompetenzen

Die Regelung des öffentlichen Raums ist in der Schweiz Sache der Kantone. Die Kantone entscheiden heute selbst, ob sie ein Verhüllungsverbot erlassen möchten oder nicht. Wie unter Ziffer 2.3.2 dargelegt, haben sich einzig die Kantone Tessin und St. Gallen für ein allgemeines Verbot entschieden. Mehrere Kantone haben die Einführung einer solchen Regelung explizit abgelehnt (namentlich die Parlamente der Kantone Zürich, Solothurn, Schwyz, Basel-Stadt und die Landsgemeinde von Glarus).

Wenn die Initiative angenommen wird, wird das im Kanton Tessin geltende Verbot auf die gesamte Schweiz übertragen. Die unterschiedlichen Befindlichkeiten und Bedürfnisse der Kantone könnten nicht mehr berücksichtigt werden.

Tourismusdestinationen haben einen anderen Zugang zu Personen, die ihr Gesicht verhüllen, als Regionen, wo der Tourismus von der arabischen Halbinsel keine Bedeutung hat. Mit der Initiative wird es insbesondere nicht möglich sein, Ausnahmen aus touristischen Gründen vorzusehen. Das könnte für Kantone, die Touristinnen und Touristen aus der Golfregion empfangen, schädlich sein. Die kantonalen Befindlichkeiten unterscheiden sich überdies in Bezug auf Vermummungsverbote bei Demonstrationen.62 Mit der Initiative würde ein solches Verbot auch Kantonen aufgezwungen, die ein solches bisher nicht als nützlich erachtet haben.

61 62

Urteil S.A.S. gegen Frankreich vom 1. Juli 2014, Beschwerde Nr. 43835/11.

Vgl. den Bericht der Sicherheitspolitischen Kommission vom 12. Nov. 2013 zur Motion Föhn 13.3520 «Vermummungsverbot im Strafgesetzbuch», abrufbar unter: www.parlament.ch > 13.3520 > Kommissionsberichte.

2938

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Der Bundesrat ist deshalb wie zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Vernehmlassung (vgl. Ziff. 6.2) der Meinung, dass es Sache der Kantone bleiben soll, das Tragen von Kleidungsstücken im öffentlichen Raum zu regeln (vgl. Ziff. 6.5).

4.2.2

Umsetzungsprobleme

Wie oben erwähnt erhält der Bund durch die Volksinitiative keine neuen Verfassungskompetenzen. Ohne verfassungsmässige Grundlage kann der Bund insbesondere kein Bundesgesetz zu einem allgemeinen Verbot im gesamten öffentlichen Raum erlassen. Da für die Nutzung des öffentlichen Raums die Kantone zuständig sind, wird es hauptsächlich den kantonalen Gesetzgebern obliegen, die Initiative umzusetzen. Der Bundesgesetzgeber hingegen ist beispielsweise für die dem Bundesrecht unterstehenden Bereiche Strafrecht und öffentlicher Verkehr zuständig. Diese Ausgangslage könnte zu einer unterschiedlichen Umsetzung des Verbots führen.

Zwar könnte der Bund gestützt auf Artikel 123 Absatz 1 BV grundsätzlich ein Gesichtsverhüllungsverbot im StGB verankern. Es sprechen jedoch gewichtige Gründe dagegen. Erstens würde dadurch ein Verhalten für strafbar erklärt, das an sich kein Rechtsgut konkret bedroht oder verletzt. Dies verstiesse gegen Grundsätze des Strafrechts. Zweitens würde eine solche Lösung ebenfalls keine einheitliche Anwendung des Verbots sicherstellen. Denn im Rahmen der Umsetzung ihrer Polizeitaktik hätten Kantone bei der Umsetzung des Verbots und der Strafverfolgung weiterhin einen gewissen Ermessensspielraum (Ziff. 4.1.2).

4.2.3

Unverhältnismässige Einschränkung der Grundfreiheiten

Die Volksinitiative hat zum Ziel, die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum und an öffentlich zugänglichen Orten zu verbieten. Damit tangiert sie den Geltungsbereich mehrerer durch die Verfassung garantierter Grundrechte.

Betroffen sind namentlich das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 13 Abs. 1 BV), die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) sowie das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV). Im Licht der Rechtsprechung des EGMR ist der Bundesrat der Ansicht, dass in diesen Fällen ein Interesse am Schutz des «Zusammenlebens» anerkannt werden kann. Die Frage, ob die Ausgangslage in der Schweiz tatsächlich mit derjenigen in Belgien und Frankreich vergleichbar ist, ist jedoch durchaus gerechtfertigt.

Die Initiative schränkt weitere Rechte wie die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV), die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV) oder die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) ein.

Das Verbot betrifft auch Personen, die an friedlichen politischen Kundgebungen oder an geschäftlichen Anlässen teilnehmen. Bei diesen Einschränkungen geht es nicht darum, das «Zusammenleben» zu schützen, sondern vielmehr darum, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob mit

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dieser Begründung ein allgemeines Verbot der Gesichtsverhüllung in den genannten Fällen gerechtfertigt werden kann.63

4.2.4

Widerspruch zur liberalen Gesellschaftsordnung

Die Schweiz bekennt sich zu einer liberalen Gesellschaftsordnung. Die individuellen Freiheitsrechte werden grossgeschrieben. Sie sind ein tragender Pfeiler der modernen Schweiz. Die Gesichtsverhüllung aus religiösen Motiven steht im Gegensatz zu liberalen Werten. Flächendeckende Kleidervorschriften wie ein landesweites Gesichtsverhüllungsverbot, das in der Verfassung verankert wird, stehen dazu aber ebenfalls im Widerspruch. Dort, wo die Vollverschleierung im öffentlichen Raum ein effektives Problem darstellt, sollen die Kantone tätig werden können.

4.2.5

Belastung der Kantone

Eine Annahme der Initiative könnte für die Kantone finanzielle Folgenhaben: Sie müssten gegebenenfalls die Befolgung des Verbots kontrollieren und Verstösse dagegen ahnden. Eine Annahme der Initiative könnte auch wirtschaftliche Auswirkungen haben, indem die Attraktivität der Schweiz als Tourismusdestination für Personen aus Ländern abnehmen würde, in denen die Vollverschleierung üblich ist.

4.3

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4.3.1

EMRK

Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» kann mehrere durch die EMRK geschützte Grundrechte verletzen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8), die Religionsfreiheit (Art. 9), die Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10), die Versammlungsfreiheit (Art. 11) und das Diskriminierungsverbot (Art. 14).

In den Frankreich64 und Belgien65 betreffenden Beschwerdefällen hat der EGMR bestätigt, dass ein allgemeines Verbot der Gesichtsverhüllung gestützt auf die Bewahrung des «Zusammenlebens» mit den Artikeln 8, 9 und 14 EMRK vereinbar ist.

Wie in Ziffer 2.2.1 dargelegt, verknüpfte der Gerichtshof dieses Ziel mit dem in den 63

64 65

Vgl. ebenfalls BGE 1C_211/2016 und 1C_212/2016 in Bezug auf die Gesetze zur Ausführung von Art. 9a der Tessiner Kantonsverfassung. Das Bundesgericht erachtete die abschliessend aufgeführten Ausnahmen vom Gesichtsverhüllungsverbot in diesen Gesetzen als problematisch in Bezug auf die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV), die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV) und die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV). Es wies den Fall an den Grossen Rat des Kantons Tessin zurück, damit er die beiden Gesetze um weitere Ausnahmen ergänzt.

Urteil S.A.S. gegen Frankreich vom 1. Juli 2014, Beschwerde Nr. 43835/11.

Urteil Belcacemi und Oussar gegen Belgien vom 11. Dez. 2017, Beschwerde Nr. 37798/13.

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Artikeln 8 Absatz 2 und 9 Absatz 2 EMRK als Grund für Einschränkungen anerkannten «Schutz der Rechte und Freiheiten anderer». Da das Verbot nicht ausschliesslich das Tragen religiöser Kleidungsstücke betraf, befand der Gerichtshofs, dass das Diskriminierungsverbot nicht verletzt wird. In der Rechtssache mit Belgien befand er im Übrigen, dass in Bezug auf Artikel 10 EMRK dieselben Erwägungen gelten. In beiden Fällen wurde hingegen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nicht als Rechtfertigungsgrund für ein allgemeines Gesichtsverhüllungsverbot anerkannt. Zur Versammlungsfreiheit (Art. 11 EMRK) hat sich der EGMR nicht geäussert.66 Aus den genannten Gründen erscheint die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» im gegenwärtigen Zeitpunkt als mit der EMRK vereinbar.

4.3.2

UNO-Pakt II

Die unter Ziffer 4.3.1 genannten Rechte sind auch durch den UNO-Pakt II geschützt (Art. 18, 19, 21 und 26 UNO-Pakt II). Die Gründe für eine Einschränkung dieser Rechte stimmen weitgehend mit denjenigen der EMRK überein. In Bezug auf die Religionsfreiheit vertritt der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, wie unter Ziffer 2.2.1 erwähnt, beim allgemeinen Verhüllungsverbot eine andere Haltung als der EGMR. In zwei die Anwendung des französischen Gesetzes betreffenden Fällen äusserte er sich am 22. Oktober 2018 dahingehend, dass die Bewahrung des «Zusammenlebens» nicht mit dem «Schutz der Rechte und Freiheiten anderer» (Art. 18 Abs. 3 UNO-Pakt II) verknüpft werden kann und dieses Ziel somit keine Einschränkung der Religionsfreiheit zulässt. Für den Ausschuss wäre die Bestrafung der Missachtung des Verbots auf jeden Fall eine unverhältnismässige Massnahme.

Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Feststellungen des Menschenrechtsausschusses rechtlich nicht bindend sind und dass sich der Ausschuss überdies zu konkreten Anwendungsfällen des französischen Gesetzes geäussert hat. Seinen Feststellungen lässt sich entnehmen, dass eine mit dem UNO-Pakt II zu vereinbarende Auslegung des Gesetzes zwar schwierig, aber nicht unmöglich wäre. Die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» enthält selbst übrigens keine strafrechtliche Sanktion, sondern überlässt es dem Gesetzgeber, eine solche vorzusehen, ohne zwingend eine Strafbestimmung einzuführen.

Aus diesen Gründen ist der Bundesrat der Ansicht, dass die Volksinitiative mit dem UNO-Pakt II nicht unvereinbar ist.

5

Schlussfolgerungen

Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» sieht ein flächendeckendes Verbot der Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum vor und erlaubt es dem Gesetzgeber nicht, andere Ausnahmen zu bestimmen als diejenigen, die in der Initiative selbst 66

Urteil Belcacemi und Oussar gegen Belgien vom 11. Dez. 2017, Beschwerde Nr. 37798/13, Rz. 77 f.

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genannt werden. Damit geht sie dem Bundesrat zu weit. Das Tragen von Burka und Nikab ist in der Schweiz eine Randerscheinung, die hauptsächlich Touristinnen betrifft. Darüber hinaus ist das Tragen von Masken und Sturmhauben durch Vandalen und Hooligans an öffentlichen Kundgebungen auf kantonaler Ebene bereits weitgehend geregelt. Auf jeden Fall muss es den Kantonen freigestellt bleiben, gesetzgeberisch tätig zu werden, wenn sie dies als notwendig erachten. Es ist ferner nicht auszuschliessen, dass die Initiative negative Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat und dazu führt, dass bestimmte Frauen gänzlich vom öffentlichen Raum ausgeschlossen werden. Schliesslich ist ein Verbot, eine Person aufgrund ihres Geschlechts zur Gesichtsverhüllung zu zwingen, überflüssig, da das Strafgesetzbuch ein solches Verbot bereits enthält. Der Bundesrat beantragt deshalb dem Parlament, die Volksinitiative abzulehnen.

Aus Sicht des Bundesrates kann die Gesichtsverhüllung jedoch zum Problem werden, wenn eine Behörde eine Person identifizieren muss und die Person ihr Gesicht nicht zeigen will. Aus diesen Gründen unterbreitet der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag in Form eines Bundesgesetzes.

6

Indirekter Gegenvorschlag: Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung

6.1

Vorverfahren

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2017 hat der Bundesrat entschieden, die Ablehnung der Initiative zu beantragen und ihr einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Er hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beauftragt, ihm eine Vernehmlassungsvorlage zu unterbreiten. Die Vernehmlassung zum Vorentwurf (VE) zu einem Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot wurde vom 27. Juni bis zum 18. Oktober 2018 durchgeführt. Zur Stellungnahme eingeladen wurden die Kantone, das Bundesgericht und das Bundesverwaltungsgericht, die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte, Berggebiete und der Wirtschaft sowie weitere interessierte Organisationen.

6.2

Grundzüge des Gegenvorschlags

Der Gegenvorschlag ist eine gezieltere Antwort auf die Probleme, die das Tragen von gesichtsverhüllenden Kleidungsstücken mit sich bringen kann. Im Gegensatz zur Initiative bleiben die kantonalen Vorrechte gewahrt. Die Kantone, die weiter gehen und die Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum verbieten möchten, können dies nach wie vor tun. Dies wurde von zahlreichen Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmern als positiv eingestuft.

Der Gegenvorschlag des Bundesrates enthält die Pflicht, einer Vertreterin oder einem Vertreter einer Schweizer Behörde das Gesicht zu zeigen, wenn diese oder dieser, gestützt auf Bundesrecht und in Erfüllung ihrer Aufgabe eine Person identifi-

2942

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zieren muss. Eine Verletzung der Pflicht, das Gesicht zu enthüllen, wird mit Busse oder Leistungsverweigerung bestraft.

6.3

Vernehmlassungsergebnisse

Insgesamt sind 63 Stellungnahmen eingegangen. 25 Kantone67, 8 in der Bundesversammlung vertretene politische Parteien68 sowie 30 Organisationen und andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer69 haben geantwortet. Das Bundesgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet.

Auch der Kanton Uri hat nicht Stellung genommen.70 Der Vorentwurf des Gesetzes wird von 44 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterstützt. 17 davon unterstützen ihn vorbehaltlos (7 Kantone, 2 Parteien und 8 Antwortende aus interessierten Kreisen), während 27 weitere mit Vorbehalten zustimmen.

(11 Kantone71, 3 politische Parteien72 und 13 Antwortende der interessierten Kreise73). 19 Teilnehmerinnen und Teilnehmer lehnen den Gegenvorschlag ab.74 Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass der Vorentwurf des Gesetzes noch eine spezifische, den Zwang zur Gesichtsverhüllung sanktionierende Strafbestimmung vorsah, während der vorliegende Entwurf für solche Fälle auf den allgemeinen Nötigungstatbestand (Art. 181 StGB) abstellt.

Die Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sind sich in der Frage, ob in Bezug auf die Gesichtsverhüllung ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, nicht einig. Die meisten haben sich nicht ausdrücklich zu diesem Punkt geäussert.

Von denjenigen, die einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf ausdrücklich bejahen, hält ein Teil den Gegenvorschlag für angemessen, während ein anderer Teil der Ansicht ist, er gehe zu wenig weit. Dieser Teil hält ein allgemeines Gesichtsverhüllungsverbot für notwendig. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die am Gesetzgebungsbedarf zweifeln oder einen solchen verneinen, lehnen grösstenteils auch den Gegenvorschlag ab. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren, sind der Auffassung, dass der geltende gesetzliche Rahmen auf Stufe Kantone bzw. Bund genügt. Einige Antwortende zweifeln zwar am gesetzgeberischen Handlungsbedarf, unterstützen den Gegenvorschlag jedoch trotzdem.

67 68 69

70

71 72 73 74

ZH, BE, LU, SZ, OW, NW, GL, ZG, FR, SO, BS, BL, SH, AR, AI, SG, GR, AG, TG, TI, VD, VS, NE, GE, JU.

BDP, CVP, EVP, FDP, glp, Grüne, SP, SVP.

Alliance f, Amnesty, CKK, EDU, EFS, EK, EKF, EKR, FIDS, Frauenzentrale, JuCH, hotelleriesuisse, Intellectio, IntUN, KAZ, KKJPD, PLJS, SGB, SGV, SIG, SKF, SKG, SSK, SSV, StaVD, STV, SVZ, TDF, VFG, VSED.

Der Vorentwurf, der erläuternde Bericht sowie der Bericht über die Vernehmlassungsergebnisse sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > EJPD.

OW, GL, FR, SO, SH, AR, GR, AG, TG, VS, NE.

BDP, FDP, SP.

Alliance f, Amnesty, EKF, Frauenzentrale, Intellectio, JuCH, KAZ, SGV, SKG, SSK, SVZ, SSV, VSED.

ZH, BE, SZ, ZG, BS, BL, VD, SVP, Grüne, EVP, EDU, EK, EKR, IntUN, KKJPD, SGB, StaVD, TDF, VFG.

2943

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Die Meinungen zur Änderung des StGB in Bezug auf die Nötigung gehen ziemlich auseinander, auch unter den Befürworterinnen und Befürwortern des Gegenvorschlags. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer heissen den Gegenvorschlag insgesamt zwar gut, lehnen diese Bestimmung jedoch ab. Andere lehnen den Gegenvorschlag ab, sind hingegen mit dieser Bestimmung einverstanden. Unter dem Strich wird die Bestimmung von 27 Antwortenden ausdrücklich gutgeheissen.

Es wird begrüsst, dass der Gegenvorschlag die Autonomie der Kantone wahrt und es ihnen überlässt, ob sie die Gesichtsverhüllung regeln wollen oder nicht. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer heben darüber hinaus hervor, dass der Gegenvorschlag vorhandene Probleme gezielt, pragmatisch und in verhältnismässiger Weise löst.

Vor allem mit Blick auf das Diskriminierungsverbot wird auch begrüsst, dass der Gegenvorschlag nicht auf eine Religion oder eine Personengruppe abzielt. Hinsichtlich der Bestimmung zum Verbot der Ausübung von Zwang betonen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sie ausdrücklich befürworten, dass damit klargestellt wird, dass derartige Handlungen in der Schweiz nicht toleriert werden. Einige halten zudem fest, dass die Bestimmung die Frauen besser vor der Einschränkung ihrer Selbstbestimmung schützt.

Die Kritik am Gegenvorschlag betrifft im Wesentlichen folgende Punkte: ­

Allgemeine Bemerkungen: Der Gegenvorschlag ist nicht oder kaum nützlich, der geltende gesetzliche Rahmen genügt; er geht zu wenig weit und sollte ein allgemeines Gesichtsverhüllungsverbot umfassen; er stärkt die Gleichstellung der Geschlechter und die Stellung der Frau nicht, diese Ziele sollten mit anderen Mitteln als Kleidervorschriften erreicht werden; er schränkt die individuellen Freiheitsrechte ein; er wird die Initiantinnen und Initianten nicht zum Rückzug der Initiative bewegen.

­

Titel: Der Titel des Gesetzes entspricht nicht dessen Inhalt, der kein Gesichtsverhüllungsverbot vorsieht, sondern eine Pflicht zur Gesichtsenthüllung in bestimmten Situationen.

­

Pflicht zur Enthüllung des Gesichts (Art. 1 VE): Diese Pflicht sollte auf weitere Fälle und Behörden ausgedehnt werden (in Verwaltungsgebäuden, im Verhältnis zu weiteren Behörden, bei Sportanlässen, auf Identifizierungspflichten gemäss kantonalem Recht, auf die Gemeindebehörden).

­

Nichtbefolgung der Aufforderung zur Enthüllung des Gesichts (Art. 2 VE): Die Folgen der Nichtbefolgung der Aufforderung sind nicht klar und die Bestimmung wird schwierig umzusetzen sein. Die Ausnahme von der Busse ist verwirrend formuliert.

­

Ausübung von Zwang: Die Bestimmung hat keinen Nutzen, denn der erfasste Tatbestand ist bereits heute strafbar. Ausserdem werden Zweifel an der Wirksamkeit der Bestimmung geäussert.

2944

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6.4

Wesentliche Änderungen gegenüber dem Vorentwurf

Namentlich zur Berücksichtigung der in der Vernehmlassung geäusserten Bemerkungen wurde der Vorentwurf unter anderem wie folgt angepasst: ­

Der Titel des Gesetzes wurde geändert.

­

In Artikel 1 Absatz 1 wird nun «Schweizer Behörden» verwendet, damit nicht der Anschein erweckt wird, die Gemeindebehörden seien ausgeschlossen.

­

Artikel 2 Absatz 2 wurde gestrichen.

­

Artikel 4 wurde gestrichen.

Überdies wurden die Erläuterungen zu den verschiedenen Bestimmungen punktuell ergänzt.

6.5

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 1

Pflicht zur Enthüllung des Gesichts

Abs. 1 Artikel 1 Absatz 1 sieht vor, dass eine Person ihr Gesicht zeigen muss, wenn eine gestützt auf Bundesrecht handelnde Behörde sie in Erfüllung ihrer Aufgaben identifizieren muss. Die Pflicht zur Identifizierung der Person kann sich aus einer ausdrücklichen Norm ableiten (z. B. Art. 20 des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 200975 [PBG] oder Art. 100 des Zollgesetzes vom 18. März 200576 [ZG]).

Sie kann auch mit der Erfüllung einer Aufgabe zusammenhängen, die eine Identifikation der Person notwendig macht. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Behörde eine Leistung erbringen muss oder wenn sie überprüfen muss, ob eine Leistung zu Recht in Anspruch genommen wurde. Wenn etwa eine Person ein Generalabonnement, ein Halbtaxabonnement oder einen anderen Transportausweis mit persönlichen Merkmalen zeigt, so muss die Vertreterin oder der Vertreter der Behörde zu ihrer Identifizierung ihr Gesicht sehen, um die ihr obliegenden Aufgaben gemäss PBG erfüllen zu können. In solchen Fällen muss die betroffene Person ihr Gesicht für die Zeitspanne der Identifizierung von der Stirn bis zum Kinn enthüllen.

Die Pflicht zur Enthüllung des Gesichts gilt auch dann, wenn die Behörde die Person, ohne ihr Gesicht zu sehen, identifizieren könnte, dies aber mit einem unverhältnismässigen Aufwand verbunden wäre. So kann den mit der Durchführung von Kontrollen beauftragten Personen im öffentlichen Verkehr beispielsweise nicht zugemutet werden, eine Person zu identifizieren, indem sie anstelle einer Gesichtserkennung glaubhafte Auskünfte bei Dritten einholen.

75 76

SR 745.1 SR 631.0

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Die Identifizierungspflicht muss sich auf Bundesrecht stützen. Identifizierungspflichten nach kantonalem Recht werden durch das Gesetz nicht erfasst. Eine in den kantonalen Zuständigkeitsbereich eingreifende Regelung würde eine Verfassungsänderung erfordern. Spezialbestimmungen, die ein Verbot der Gesichtsverhüllung aus anderen Gründen oder aufgrund besonderer Rechtsverhältnisse mit dem Staat (z. B. Armeeangehörige) vorsehen, bleiben vorbehalten.

Abs. 2 Bst. a­e Absatz 2 umfasst eine Aufzählung der Personen, die auch als Vertreterinnen und Vertreter einer Schweizer Behörde gelten. Die Aufzählung entspricht weitgehend derjenigen gemäss Artikel 286 StGB zur Hinderung einer Amtshandlung, in der allerdings noch der nicht mehr aktuelle Beamtenbegriff verwendet wird. Die Anlehnung an diese Bestimmung ist dadurch gerechtfertigt, dass diese Personen für Unternehmen tätig sind, die Bundesrecht unterstehen und denen durch Vertrag oder Konzession die Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse anvertraut oder übertragen wurden (Personenbeförderung oder Gütertransport, Sicherheit im öffentlichen Verkehr oder in der Zivilluftfahrt).

Die Pflicht zur Enthüllung des Gesichts besteht somit namentlich bei Kontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Angestellte der Unternehmen nach dem PBG.

Gemäss diesem Gesetz müssen sich Reisende, die keinen gültigen Fahrausweis vorweisen, über ihre Identität ausweisen sowie den Fahrpreis und einen Zuschlag bezahlen (Art. 20 Abs. 1 PBG). In solchen Fällen muss die Kontrolleurin oder ein Kontrolleur die Möglichkeit haben, das Gesicht einer Person zu sehen, um einen Abgleich mit einem Personalausweis vornehmen zu können.

Art. 2

Nichtbefolgung der Aufforderung zur Enthüllung des Gesichts

Artikel 2 erklärt die Missachtung der Pflicht zur Enthüllung des Gesichts für strafbar. Demnach wird mit Busse bestraft, wer sich trotz wiederholter Aufforderung einer Vertreterin oder eines Vertreters der Behörde weigert, das Gesicht zu enthüllen. Die Aufforderung muss mindestens zwei Mal erfolgen. Ausserdem muss sich die Vertreterin oder der Vertreter vergewissern, dass die angesprochene Person die Aufforderung formell und inhaltlich richtig verstanden hat. Die Person muss verstanden haben, was von ihr erwartet wird und welche Folgen die Weigerung zur Enthüllung ihres Gesichts hat.

Es handelt sich um eine vorsätzliche Übertretung. Eine versuchte Übertretung ist nicht strafbar (Art. 105 StGB).

Diese Bestimmung weicht insofern von Artikel 292 StGB ab, als die Strafbarkeit nicht von der Eröffnung einer Verfügung unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels abhängig ist.

Bei Artikel 2 handelt es sich ebenfalls um eine lex specialis in Bezug auf Artikel 286 StGB.77

77

Sinngemäss: Art. 323 StGB; vgl. Stefan Heimgartner, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar zum Strafrecht, Bd. II, Basel 2013, Nr. 17.

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Die Höchstbusse beträgt 10 000 Franken. Voraussichtlich dürfte die Busse in den meisten Fällen nicht mehr als einige hundert Franken betragen, sonst könnte sie unverhältnismässig sein.78 Die Strafverfolgung und die Strafe verjähren in drei Jahren (Art. 109 StGB).

Es ist hier noch darauf hinzuweisen, dass die Weigerung, das Gesicht zu zeigen, in der Mehrzahl der Fälle, in denen eine Person eine behördliche Leistung wünscht, ganz einfach zur Leistungsverweigerung führen wird. Voraussetzung dafür ist, dass das im spezifischen Fall anwendbare Recht dies zulässt. In solchen Fällen kann die betroffene Person die Busse sogar vermeiden, wenn sie selber auf die Leistung verzichtet. Umgekehrt gibt das Bezahlen der Busse keinen Anspruch auf die Erbringung der Leistung.

Art. 3

Strafverfolgung und -beurteilung

Diese Bestimmung sieht vor, dass die Verfolgung und die Beurteilung der Straftaten nach diesem Gesetz den kantonalen Behörden obliegen. Der allgemeine Teil des StGB findet Anwendung. So kann die Behörde auf eine Strafverfolgung oder eine Bestrafung der betroffenen Person verzichten, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind (Art. 52 StGB).

Art. 4

Referendum und Inkrafttreten

Der indirekte Gegenvorschlag in Form eines Bundesgesetzes untersteht dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV.

Die Volksinitiative und der indirekte Gegenvorschlag können wegen ihres teilweise unvereinbaren Inhalts nicht beide Rechtsgeltung beanspruchen. Deshalb sieht Absatz 3 ein alternatives Inkrafttreten vor.

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

6.6

Auswirkungen des Gegenvorschlags

6.6.1

Auswirkungen auf den Bund

Der Gegenvorschlag hat für die Bundesverwaltung keine zusätzlichen Kosten zur Folge. Zusätzliches Personal ist nicht erforderlich.

6.6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Der Gegenvorschlag sieht einen neuen Straftatbestand vor. Die Strafverfolgung und die richterliche Beurteilung sind Sache der Kantone. Bei den Finanzen und beim Personal könnte daher sich ein Mehrbedarf ergeben. Aufgrund der abschreckenden

78

Zur Verhältnismässigkeit der Sanktion, vgl. Urteil S.A.S. gegen Frankreich vom 1. Juli 2014, Beschwerde Nr. 43835/11.

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Wirkung der Strafbestimmung dürfte sich dieser aber mit der Zeit erübrigen. Zudem ist eher mit einer geringen Zahl an einschlägigen Fällen zu rechnen.

6.6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Der Gegenvorschlag hat keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Im Gegensatz zur Initiative wird er insbesondere keine Auswirkungen auf die Kantone haben, in denen sich vollverhüllte Touristinnen aus den Ländern der Golfregion aufhalten.

6.7

Rechtliche Aspekte

6.7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Kompetenz des Bundes in Strafsachen beruht auf Artikel 123 Absatz 1 BV.

Soweit Bundesbehörden betroffen sind, findet die inhärente Kompetenz des Bundes, seine Organisation zu regeln, ebenfalls Anwendung. Zudem kann sich der Bund in spezifischen Bereichen, in denen das Gesichtsverhüllungsverbot gilt, auf spezifische, kompetenzbegründende Verfassungsnormen stützen, so auf die Artikel 87, 112 und 114 BV. Anstelle einer (zwangsläufig) unvollständigen Auflistung einer Vielzahl spezifischer Sachkompetenzen empfiehlt es sich vorliegend, das Bundesgesetz auf Artikel 173 Absatz 2 BV abzustützen. Denn für Bundeszuständigkeiten, für die eine explizite Zuweisung einer Kompetenz an den Bund fehlt, wird nach neuerer Praxis diese Verfassungsnorm herangezogen.

Allfällige Grundrechtseinschränkungen, die mit dem Gegenvorschlag verbunden sein können (zu denken ist primär an die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die persönliche Freiheit), stützen sich auf ein Gesetz im formellen Sinn und sind durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt. Dieses besteht in der Notwendigkeit für Behörden, eine Person zu identifizieren oder ihre vom Recht vorgegebenen Aufgaben wahrnehmen zu können. Die vorgesehenen Massnahmen sind erforderlich und geeignet, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Der Kerngehalt der Grundrechte der betroffenen Personen wird nicht angetastet.

6.7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

In Frage kommen hier die Garantien gemäss EMRK und UNO-Pakt II, insbesondere die Religionsfreiheit. Wie oben gesehen, lassen sowohl die EMRK als auch der UNO-Pakt II Einschränkungen dieser Freiheit zu. Möglich sind namentlich Einschränkungen, die auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und die in einer demokratischen Gesellschaft für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, den Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit und Sittlichkeit oder die Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

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Der Gegenvorschlag enthält im Gegensatz zur Initiative kein allgemeines Gesichtsverhüllungsverbot, sondern ausschliesslich punktuelle Pflichten zur Enthüllung des Gesichts. In den erfassten Situationen rechtfertigt es ein öffentliches Interesse, meist im Zusammenhang mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der öffentlichen Gesundheit, dass die Person ihr Gesicht enthüllen muss.

Aufgrund dieser Überlegungen ist der Bundesrat der Auffassung, dass der indirekte Gegenvorschlag mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar ist.

6.7.3

Erlassform

Der Entwurf enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die nach den Artikeln 164 Absatz 1 BV und 22 Absatz 1 ParlG in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen. Als solches untersteht das Gesetz dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV).

6.8

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 27. Januar 201679 zur Legislaturplanung 2015­2019 noch im Bundesbeschluss vom 14. Juni 201680 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt.

79 80

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