16.414 Parlamentarische Initiative Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 14. Februar 2019

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Arbeitsgesetzes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

14. Februar 2019

Im Namen der Kommission Der Präsident: Pirmin Bischof

2019-0751

3937

Übersicht Der Entwurf sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Vorgesetztenfunktion sowie Fachpersonen, die über wesentliche Entscheidbefugnisse in ihrem Fachgebiet verfügen, nach einem Jahresarbeitszeitmodell arbeiten können, sofern sie bei ihrer Arbeit eine grosse Autonomie geniessen und ihre Arbeitszeiten mehrheitlich selber festsetzen können. Bei einer Anstellung nach dem Jahresarbeitszeitmodell fällt die vom Gesetz festgelegte Grenze der wöchentlichen Höchstarbeitszeit weg und es darf unter dem Jahr Schwankungen bei der wöchentlichen Arbeitszeit geben. Im Jahresdurchschnitt dürfen jedoch höchstens 45 Stunden pro Woche gearbeitet werden und per Ende Jahr dürfen netto maximal 170 Mehrstunden resultieren, die dann mit Zuschlag von 25 Prozent auszuzahlen oder, sofern vertraglich vereinbart, im Folgejahr zu kompensieren sind. Gleichzeitig werden für Arbeitnehmende mit Jahresarbeitszeitmodell die Bestimmungen zur Ruhezeit und zur nach eigenem, freiem Ermessen geleisteten Sonntagsarbeit gelockert. Ausserdem kann der Bundesrat in der Verordnung Präventionsmassnahmen zum Schutz vor psychosozialen Risiken vorsehen.

Nach Ansicht der Mehrheit ist das Arbeitsgesetz heute in weiten Teilen überholt, da es auf den industriellen Produktionsprozess in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zugeschnitten sei. Gerade im Dienstleistungsbereich, der heute zentral ist, habe sich die Arbeitsweise stark verändert, und auch die gesellschaftlichen Gegebenheiten seien nicht mehr die gleichen. Nicht zuletzt wünschten vor allem die Arbeitnehmenden selber mehr Freiheiten in der Gestaltung ihrer Arbeits- und Ruhezeiten, damit sich der Beruf besser mit der Familie, mit Hobbies und mit anderen Engagements vereinbaren lasse.

Die Minderheit hält die vorgeschlagene Änderung für unnötig und ist der Ansicht, das geltende Recht biete genügend Flexibilität. Sie ist der Meinung, der vorliegende Entwurf höhle letztlich das Arbeitsrecht insgesamt aus und gefährde ausserdem die Gesundheit der Einzelnen.

3938

BBl 2019

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 17. März 2016 reichte Ständerat Konrad Graber seine parlamentarische Initiative 16.414 Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle ein. Die Initiative fordert, den Veränderungen in der Arbeitswelt und den Bedürfnissen des Denk- und Werkplatzes Schweiz sei Rechnung zu tragen, indem auf Gesetzesstufe ein Jahresarbeitszeitmodell eingeführt und die Bestimmungen zur Arbeits- und zur Ruhezeit im Arbeitsgesetz flexibilisiert werden.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) beschloss an ihrer Sitzung vom 18. August 2016 mit 10 zu 3 Stimmen, der parlamentarischen Initiative von Ständerat Graber Folge zu geben. Die nationalrätliche Schwesterkommission (WAK-N) stimmte dem Entscheid der WAK-S am 20. Februar 2017 mit 18 zu 6 Stimmen zu.

Am 31. August 2017 nahm die WAK-S mit 7 zu 1 Stimmen bei 1 Enthaltung einen Antrag an, der die Leitlinien für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative vorgab. Zugleich beauftragte sie die Verwaltung, in Zusammenarbeit mit dem Sekretariat und dem Initianten auf dieser Grundlage einen Vorentwurf auszuarbeiten und die entsprechenden Erläuterungen zu verfassen.

Diesen Vorentwurf prüfte die WAK-S am 15. Februar 2018. Sie beschloss mit 10 zu 3 Stimmen, darauf einzutreten, und beriet ihn ein erstes Mal. Anschliessend wurde der Vorentwurf durch die Verwaltung und das Kommissionssekretariat in gesetzestechnischer Hinsicht überarbeitet. An ihrer Sitzung vom 18. Juni 2018 prüfte die Kommission diese überarbeitete Fassung und stimmte dem definitiven Vorentwurf in der Gesamtabstimmung mit 8 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung zu. Weiter beschloss die Kommission die Eröffnung einer Vernehmlassung. Diese lief vom 4. September bis zum 4. Dezember 2018.

Die WAK-S hat den Ergebnisbericht der Vernehmlassung am 14. Februar 2019 zur Kenntnis genommen. Daraufhin hat sie den definitiven Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 10 zu 3 Stimmen ohne Änderung angenommen.

Eine Minderheit (vgl. Kap. 2.2.2) lehnt den Entwurf insgesamt ab und beantragt, nicht darauf einzutreten. Die gleiche Minderheit beantragt zudem die Rückweisung der Vorlage an die Kommission mit dem Auftrag, vor neuen Beschlüssen arbeitsmedizinische Gutachten über mögliche Risiken einer Umsetzung des Entwurfs einzuholen und die Evaluationen der in der Verordnung eingeführten Neuerungen abzuwarten.

2

Grundzüge der Vorlage

Mit dem vorliegenden Entwurf sollen die Vorschriften zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden, indem für bestimmte Arbeitnehmerkategorien ein Jahresarbeitszeitmodell eingeführt wird. Angepasst werden sollen ausserdem die 3939

BBl 2019

Bestimmungen zur Lage und Länge des Zeitraums für die individuelle Tages- und Abendarbeitszeit, zur Ruhezeit und zum Sonntagsarbeitsverbot. Die nachfolgenden Ausführungen zum geltenden Recht beziehen sich auf diese Aspekte und erläutern ausserdem die Möglichkeiten der Jahresarbeitszeit. Da der Entwurf die Frage der Vereinbarkeit mit der Regelung der Überstunden im Obligationenrecht (OR) 1 aufwirft, wird die entsprechende Bestimmung des OR ebenfalls erläutert.

2.1

Geltendes Recht

2.1.1

Wöchentliche Arbeitszeit

2.1.1.1

Wöchentliche Höchstarbeitszeit gemäss Arbeitsgesetz

Artikel 9 des Arbeitsgesetzes (ArG)2 legt die wöchentliche Höchstarbeitszeit fest.

Diese liegt heute für Arbeitnehmende in industriellen Betrieben, für Büropersonal, technische und andere Angestellte sowie für Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels grundsätzlich bei 45, für alle übrigen Arbeitnehmenden (z.B. in handwerklichen und gewerblichen Berufen, aber auch in der Krankenpflege) bei 50 Stunden. Dieses Maximum muss innerhalb einer Kalenderwoche eingehalten werden.

Bei Dringlichkeit der Arbeit, bei ausserordentlichem Arbeitsanfall, für Inventaraufnahmen, Rechnungsabschlüsse und Liquidationsarbeiten oder zur Vermeidung von Betriebsstörungen darf die wöchentliche Höchstarbeitszeit nach Artikel 12 Absatz 1 ArG ausnahmsweise überschritten werden, soweit dem Arbeitgeber keine anderen Vorkehrungen zumutbar sind.

Für den einzelnen Arbeitnehmenden darf diese Überzeit ausser an arbeitsfreien Werktagen oder in Notfällen zwei Stunden pro Tag jedoch nicht überschreiten (Art. 12 Abs. 2 ArG). Insgesamt ist für Arbeitnehmende mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 Stunden die Leistung von höchstens 170 Überstunden pro Jahr erlaubt, für solche mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 50 Stunden dürfen es höchstens 140 Überstunden sein. Dabei wird jede Überstunde gezählt, unabhängig davon, ob sie im Lauf des Jahres kompensiert wurde oder nicht (sog.

Bruttoprinzip).

Heute gilt die wöchentliche Höchstarbeitszeit gemäss Arbeitsgesetz auch bei Teilzeitbeschäftigung unverändert, womit Überzeit unabhängig vom Beschäftigungsgrad erst ab 45 bzw. 50 Wochenstunden anfällt. In der Lehre3 wird dies kritisiert, weil damit indirekt die Frauen diskriminiert werden, die häufig Teilzeit arbeiten.

1 2 3

SR 220 SR 822.11 STREIFF/VON KÄNEL/RUDOLPH, Praxiskommentar zu Art. 319­362 OR, 7. Auflage, Art. 321c, N 5 und die dort zitierte Literatur (u.a. K. Arioli in AJP 1993 S. 1333 f. und Olivier Steiner «Das Verbot der indirekten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Erwerbsleben» und beide zusammen in AJP 2001 996 ff.).

3940

BBl 2019

2.1.1.2

Entschädigung für Überzeitarbeit nach dem Arbeitsgesetz

Nach Artikel 13 Absatz 1 ArG muss für Überzeitarbeit ein Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent bezahlt werden ­ wobei der Zuschlag für Büropersonal sowie technische und andere Angestellte einschliesslich des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels nur für Überzeit geschuldet wird, die 60 Stunden im Kalenderjahr übersteigt.

Mit dem Einverständnis des Arbeitnehmenden ist nach Artikel 13 Absatz 2 subsidiär auch ­ innert einem angemessenen Zeitraum ­ ein Ausgleich durch Freizeit von gleicher Dauer möglich. Nach Artikel 25 Absatz 2 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz4 (ArGV 1) hat dieser Ausgleich innerhalb von 14 Wochen zu erfolgen, wobei Arbeitgeber und Arbeitnehmender auch eine längere Frist von maximal 12 Monaten vereinbaren können.

2.1.1.3

Möglichkeiten zur Flexibilisierung der wöchentlichen Arbeitszeit

In bestimmten Fällen erlaubt das Arbeitsgesetz eine Erhöhung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, die über die Möglichkeiten gemäss Artikel 12 ArG hinausgeht.

Bei einer solchen Heraufsetzung fallen keine Überzeitstunden an, entsprechend ist auch keine Kompensation geschuldet.

Bei Tätigkeiten mit witterungsbedingtem Arbeitsausfall oder in Betrieben mit erheblichen saisonalen Schwankungen des Arbeitsanfalls Wegen schlechter Witterung oder erheblicher saisonaler Schwankungen kann die wöchentliche Höchstarbeitszeit um bis zu vier Stunden erhöht werden, sofern die in Artikel 9 ArG festgelegte Wochenarbeitszeit im Durchschnitt eines halben Jahres eingehalten wird (Art. 22 Abs. 1 ArGV 1). Solche Schwankungen im Arbeitsanfall liegen dann vor, wenn in bestimmten Jahreszeiten, um bestimmte Feiertage oder andere kalendarische Ereignisse herum die Auslastung während wenigstens vier Wochen um mehr als 50 Prozent von der durchschnittlichen Auslastung pro Kalenderjahr abweicht und auch Zeiten mit ausgesprochenen Auslastungsbaissen zu verzeichnen sind.

Für Betriebe mit einer Höchstarbeitszeit von 45 Stunden und einer Fünf-TageWoche Ausserdem kann die Höchstarbeitszeit für Arbeitnehmende mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 Stunden und einer im Durchschnitt des Kalenderjahres gewährten Fünf-Tage-Woche um zwei Stunden erhöht werden, wenn die 45 Stunden im Durchschnitt von acht Wochen nicht überschritten werden, oder um vier Stunden, wenn sie im Durchschnitt von vier Wochen eingehalten werden (Art. 22 Abs. 2 ArGV 1).

4

SR 822.111

3941

BBl 2019

Bei ununterbrochenem Betrieb Der ununterbrochene Betrieb, bei dem rund um die Uhr und an sieben Tagen die Woche in Schichten gearbeitet wird, bedarf der Bewilligung. Dieses Arbeitszeitsystem kommt meist in industriellen Betrieben zur Anwendung. Dabei kann anstelle der normalerweise geltenden maximal sechs Tage in Folge (nebst Gewährung eines wöchentlichen freien Halbtags) an sieben Tagen in Folge gearbeitet werden. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit muss in diesem Fall innerhalb von 16 Wochen eingehalten werden, wobei dieser Zeitraum ausnahmsweise bis auf 20 Wochen verlängert werden kann (Art. 24 ArG). Für einzelne Zeiträume von sieben aufeinander folgenden Tagen kann die wöchentliche Höchstarbeitszeit sodann bis auf 52 Stunden verlängert werden; wenn ein grosser Teil der Arbeitszeit aus reiner Präsenzzeit besteht und die Arbeitnehmenden keinen physisch, psychisch und mental belastenden Tätigkeiten ausgesetzt sind, ist ausnahmsweise eine Verlängerung auf 60 Stunden möglich (Art. 38 ArGV 1).

Bei mehr als 5 Arbeitstagen pro Woche Der bei mehr als fünf Arbeitstagen pro Woche zu gewährende wöchentliche freie Halbtag à acht Stunden darf im Einverständnis mit dem Arbeitnehmenden für höchstens vier Wochen zusammenhängend gewährt werden (Art. 21 ArG). Das heisst, es ist möglich, zweimal an sechs und danach zweimal an fünf Tagen oder dreimal an sechs und dann an vier Tagen zu arbeiten. Allerdings muss die wöchentliche Höchstarbeitszeit im Durchschnitt eingehalten werden.

2.1.1.4

Überstunden gemäss OR

Überstunden nach Obligationenrecht (OR) werden dann geleistet, wenn die vertraglich (oder durch Normal- oder durch Gesamtarbeitsvertrag) vereinbarten Stunden überschritten werden. Nach Artikel 321c Absatz 1 OR ist der Arbeitnehmende, wenn die Umstände dies erfordern, soweit dazu verpflichtet, solche Arbeitsstunden zu leisten, als er sie zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden können. Bei der Frage der Notwendigkeit von Überstunden geht es darum, ob es dem Arbeitgeber nicht möglich gewesen wäre, zuerst andere organisatorische Massnahmen zu treffen. Bezüglich der Zumutbarkeit werden die konkrete Situation und die Leistungsmöglichkeit des Arbeitnehmenden berücksichtigt. Da es sich auch bei Überzeitarbeit gemäss Arbeitsgesetz jeweils um Überstunden handelt, gelten diese Bedingungen auch für die Arbeitsstunden, die die vom Arbeitsgesetz definierten Grenzen überschreiten.

Nach Artikel 321c Absatz 3 OR ist für Überstunden ein Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent zu bezahlen. Nur wenn der Arbeitnehmende einverstanden ist, können die Überstunden innert angemessener Frist durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen werden. Da allerdings diese Regelung dispositiver Natur ist, kann vertraglich auch vereinbart werden, dass keinerlei Entschädigung oder Ausgleich erfolgen soll. Die Grenzen dieser Möglichkeit setzt Artikel 13 ArG (vgl. Kap.

2.1.1.2), der nicht wegbedungen werden kann: Demnach wird für Überstunden, die die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 bzw. 50 Stunden übersteigen, immer ein 3942

BBl 2019

Lohnzuschlag von 25 Prozent oder ­ das Einverständnis des Arbeitnehmenden vorausgesetzt ­ ein Zeitausgleich fällig.

Gemäss Rechtsprechung bedürfen Überstunden, die auf eigene Initiative geleistet werden, einer Genehmigung des Arbeitgebers, damit dafür ein Anspruch auf Vergütung oder Zeitausgleich entsteht5.

2.1.2

Jahresarbeitszeitmodelle im geltenden Recht

Ein Jahresarbeitszeitmodell nimmt als Bezugsgrösse für die Vereinbarung der geschuldeten Arbeitsstunden das Kalender- oder das Betriebsjahr. Nach heute geltendem Recht ist dies möglich, solange die zwingenden Bestimmungen des OR und des Arbeitsgesetzes eingehalten sind. Angesichts der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, die das Arbeitsgesetz vorgibt, kann ein Jahresarbeitszeitmodell de facto heute nur für die unterhalb von 45 bzw. 50 geleisteten Wochenarbeitsstunden zur Anwendung gelangen. Überdies müssen auch alle übrigen Bestimmungen des Arbeitsgesetzes eingehalten werden.

2.1.3

Lage und Länge des Zeitraums der täglichen Arbeitszeit

Im Zeitraum zwischen 6 Uhr und 23 Uhr kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmenden bewilligungsfrei beschäftigen (Art. 10 Abs. 1 ArG). Die Lage dieses betrieblichen Tages- und Abendzeitraums kann zwischen 5 Uhr und 24 Uhr nach den Bedürfnissen des Betriebes verschoben werden. Dafür sieht Artikel 10 Absatz 2 ArG ein echtes Mitwirkungsrecht der Arbeitnehmenden bzw. der Arbeitnehmervertretung im Betrieb vor. Sind diese mit der Verschiebung des Zeitraums nicht einverstanden, darf sie nicht einseitig vom Arbeitgeber angeordnet werden.

Für den einzelnen Arbeitnehmenden gilt zudem ein individueller maximaler Beschäftigungszeitraum von 14 Stunden, innerhalb dessen seine Arbeitszeit mit Einschluss der Pausen und der Überzeit zu liegen kommen muss. Darauf abgestützt berechnet sich die maximale tägliche Arbeitszeit von 12,5 Stunden (vgl. dazu Kap.

3.3.7).

5

Die im Rahmen eines Gleitzeitarbeitsmodells geleisteten Mehrstunden werden in der Rechtsprechung z.B. nur dann als auszugleichende Überstunden anerkannt, wenn aufgrund betrieblicher Notwendigkeit oder Anordnung eine ausgeführte Arbeit gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen musste oder dem Arbeitnehmer die zeitliche Kompensation der aufgelaufenen Mehrstunden aus betrieblichen Gründen nicht möglich war.

Vgl. STREIFF/VON KÄNEL/RUDOLPH, Praxiskommentar zu Art. 319­362 OR, 7. Auflage, Art. 321c, N 4.

3943

BBl 2019

2.1.4

Tägliche Ruhezeit

Gemäss Artikel 15a ArG beträgt die tägliche Ruhezeit elf aufeinander folgende Stunden. Sie kann für erwachsene Arbeitnehmende einmal pro Woche auf acht Stunden herabgesetzt werden, sofern die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von zwei Wochen eingehalten ist. Für verschiedene Betriebsarten sieht Artikel 9 ArGV 26 eine Sondervorschrift vor, wonach die tägliche Ruhezeit mehrmals pro Woche bis auf neun Stunden herabgesetzt werden kann, sofern sie im Durchschnitt von zwei Wochen zwölf Stunden beträgt.

Beim Pikettdienst hält sich der Arbeitnehmende neben der normalen Arbeit bereit für allfällige Arbeitseinsätze zur Behebung von Störungen, für die Hilfeleistung in Notsituationen, für Kontrollgänge oder für ähnliche Sonderereignisse (Art. 14 Abs. 1 ArGV 1). Wird Pikettdienst geleistet, so darf die tägliche Ruhezeit durch einen Arbeitseinsatz unterbrochen werden (Art. 19 Abs. 3 ArGV 1). Dabei müssen folgende Rahmenbedingungen eingehalten werden: Die tägliche Ruhezeit gilt als gewährt, sofern die Zeit zwischen Arbeitsschluss und Beginn des Piketteinsatzes einerseits und die Zeit nach dem Piketteinsatz bis zur erneuten ordentlichen Arbeitsaufnahme andererseits zusammengerechnet wenigstens elf Stunden umfasst. Bei mehreren Piketteinsätzen während der Ruhezeit muss eine Teil-Ruhezeit wenigstens einmal vier aufeinander folgende Stunden umfassen. Sind alle Teil-Ruhezeiten kürzer als vier Stunden, so muss anschliessend an den letzten Piketteinsatz eine ganze tägliche Ruhezeit von elf Stunden gewährt werden. Erst danach kann die Wiederaufnahme der Arbeit erfolgen. Diese Eventualität muss schon bei der Pikettdienstplanung mitberücksichtigt werden.

2.1.5

Sonntagsarbeitsverbot

Grundsätzlich gilt ein generelles Sonntagsarbeitsverbot (Art. 18 ArG). Damit Arbeitnehmende am Sonntag trotzdem arbeiten können, müssen die dem Arbeitsgesetz unterstellten Betriebe entweder für diejenigen Arbeitnehmenden, die den Arbeitsund Ruhezeitbestimmungen unterstellt sind, eine Bewilligung für vorübergehende oder regelmässige Sonntagsarbeit haben (Art. 19 ArG) oder als eine in der ArGV 2 geregelte Betriebsart von der Bewilligungspflicht befreit sein.

Vorübergehende Sonntagsarbeit an bis zu sechs Sonntagen pro Jahr wird durch die kantonalen Behörden bewilligt, falls ein dringendes Bedürfnis gemäss Artikel 27 ArGV 1 vorliegt. Dabei handelt es sich um kurzfristig anfallende Arbeiten oder solche, die aus Gründen der Sicherheit in der Nacht oder am Sonntag erledigt werden müssen, oder um besondere Ereignisse kultureller, gesellschaftlicher oder sportlicher Artikel Für darüber hinaus gehende regelmässige Sonntagsarbeit ist das SECO die Bewilligungsinstanz; dafür muss der Betrieb die wirtschaftliche oder technische Unentbehrlichkeit der Sonntagsarbeit gemäss Artikel 28 ArGV 1 belegen. Bei der Prüfung dieser Kriterien ist gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ein strenger Massstab anzusetzen. Das SECO erteilt die Bewilligungen in der Regel für drei Jahre, danach muss der Betrieb erneut ein Gesuch einreichen.

6

SR 822.112

3944

BBl 2019

Muss am Sonntag gearbeitet werden, darf der Arbeitnehmende höchstens an sechs aufeinanderfolgenden Tagen beschäftigt werden (Art. 21 Abs. 3 ArGV 1) und es muss ihm innert zweier Wochen mindestens ein ganzer Sonntag als wöchentlicher Ruhetag unmittelbar vor oder nach der täglichen Ruhezeit gewährt werden (Art. 20 Abs. 1 ArG). Somit hat er Anspruch auf 26 freie Sonntage à 35 Stunden pro Jahr. Es ist nach heutiger Praxis möglich, an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen zu arbeiten, wenn darauf zwei freie Sonntage folgen. Sonntagsarbeit bis zu fünf Stunden ist innert vier Wochen durch Freizeit von gleicher Dauer auszugleichen (Art. 20 Abs. 2 ArG und Art. 21 Abs. 7 ArGV 1). Dauert sie länger als fünf Stunden, hat der Arbeitnehmende in der laufenden oder nachfolgenden Woche Anspruch auf einen Ersatzruhetag von 35 Stunden (Art. 20 Abs. 2 ArG).

In der ArGV 2 sind für verschiedene bewilligungsbefreite Betriebsarten weitere Ausnahmen vorgesehen, wonach z.B. die Anzahl der freien Sonntage reduziert und auch von der allgemeinen Regel abgewichen wird, die verlangt, dass die Arbeitnehmenden, die am Sonntag arbeiten, an jedem zweiten Sonntag frei haben müssen7.

Für vorübergehende Sonntagsarbeit (bis sechs Sonntage pro Jahr) haben die Arbeitnehmenden einen Anspruch auf einen Lohnzuschlag von 50 Prozent. Bei regelmässiger Sonntagsarbeit ist vom Gesetz kein Zuschlag vorgeschrieben, es wird davon ausgegangen, dass die regelmässige Sonntagsarbeit im Rahmen des Arbeitsvertrages vorgesehen und entsprechend abgegolten wird.

2.2

Handlungsbedarf: Erwägungen der Kommission

2.2.1

Antrag der Mehrheit

Die Kommissionsmehrheit beantragt, auf den Entwurf einzutreten. Sie ist der Ansicht, das geltende Arbeitsgesetz aus dem Jahr 1964 sei auf die industrielle Produktion der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgerichtet. Das Umfeld habe sich seither jedoch stark gewandelt, insbesondere habe der Dienstleistungssektor massiv an Bedeutung gewonnen. Zudem erlaubten die neuen technischen und elektronischen Hilfsmittel vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein ortsunabhängiges und zeitlich flexibles Arbeiten, und diese wünschten auch durchaus mehr Freiheit in der Planung ihrer Arbeits- und Ruhezeiten: Die Mehrheit ist überzeugt, zahlreiche Arbeitnehmende möchten ihre Arbeitszeiten anders gestalten können als vom Gesetz erlaubt, etwa um vor, nach oder zwischen der Arbeit familiäre Aufgaben oder anderweitige Verpflichtungen wahrnehmen zu können, um eine vorübergehend grössere Arbeitslast zu bewältigen oder auch einfach, um den Pendlerströmen etwas ausweichen zu können.

Zusätzlich gebe es Branchen ­ wie etwa die Beratungs-, Treuhand-, IT- oder PRBranche ­, in denen es in einem Mass Spitzenbelastungen aufzufangen gelte, wie es unter den geltenden restriktiven Bestimmungen nicht möglich sei, weil bestimmte 7

Eine Zusammenstellung der Zuordnung der Sonderbestimmungen zu den Betriebsarten findet sich im Anhang zur Wegleitung zur Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz: www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Arbeitsbedingungen/Arbeitsgesetz-undVerordnungen/Wegleitungen/Wegleitung-zur-ArGV-2.html

3945

BBl 2019

Ruhezeiten bzw. Höchstarbeitszeiten einzuhalten seien. Arbeitnehmende wie auch Unternehmen würden unter diesen Umständen zum Teil fiktive Arbeitszeiten erfassen, selbst wenn es gar nicht ihre Absicht sei, das Gesetz zu umgehen: Wer z.B.

freiwillig abends oder am Sonntag arbeite, notiere die entsprechenden Stunden dann eben zu einer anderen, gesetzeskonformen Zeit, wer über eine gewisse Zeitdauer mehr arbeite als gesetzlich erlaubt, notiere einen fiktiven Stundendurchschnitt. Das sei stossend. Der Mehrheit ist es wichtig, die Rechtssicherheit wiederherzustellen; die Gesetzgebung soll dem tatsächlich gelebten Zustand entsprechen.

Vor diesem Hintergrund schlägt die Kommissionsmehrheit deshalb vor, für Arbeitnehmende mit Vorgesetztenfunktion und für Fachpersonen mit wesentlichen Entscheidbefugnissen in ihrem Fachgebiet ein Jahresarbeitszeitmodell zu ermöglichen.

Gleichzeitig will sie insbesondere die Vorschriften bezüglich Ruhezeit und Sonntagsarbeit flexibilisieren.

Die Mehrheit ist der Meinung, es sei nicht nur für die Organisation der eigenen Arbeit von Vorteil, sondern auch der Gesundheit eher förderlich, wenn man die Arbeitszeit freier und autonomer gestalten könne. Im Vergleich zu einem vorgegebenen Rahmen sei dieses Arbeitszeitmodell für die Arbeitnehmenden motivierender und reduziere Stress. Bei den potenziell betroffenen Arbeitnehmenden handle es sich um Personen, die selbstständiges Arbeiten und Eigenverantwortung gewohnt seien; von Führungskräften und Spezialisten könne durchaus erwartet werden, dass sie ihre Gesundheit nicht selber gefährdeten, sondern in der Lage seien, zu delegieren und ihre Autonomie wahrzunehmen. Zudem bleibe die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ohnehin bestehen, und schliesslich sehe der Entwurf auch vor, dass für Personen mit Jahresarbeitszeit namentlich im Hinblick auf die psychosozialen Risiken besondere Präventionsmassnahmen ergriffen werden könnten. Die gesundheitlichen Risiken würden sich durch die Flexibilisierung somit nicht vergrössern.

Kurz: In den Augen der Mehrheit dient die vorgeschlagene Lösung der Flexibilität und einer guten Work-Life-Balance des Einzelnen wie auch den Interessen der Unternehmen, die die erforderliche Arbeitsleistung dem Arbeitsanfall anpassen könnten, wenn ihre Mitarbeitenden besser auf Spitzenbelastungen bzw. auf weniger stark
ausgelastete Zeiten reagieren können; sie fördere den Wirtschaftsstandort Schweiz und passe das Arbeitsrecht dem gewandelten Umfeld an. Die vorliegende Lösung entspreche den heutigen Realitäten und Bedürfnissen, sie erhöhe die Eigenverantwortung und damit auch die Motivation der Arbeitnehmenden.

2.2.2

Antrag der Minderheit

Die Kommissionsminderheit (Zanetti Roberto, Fetz, Levrat) beantragt, nicht auf den Entwurf einzutreten. Sie ist der Ansicht, es gebe keinen Handlungsbedarf, das geltende Recht biete ausreichende Möglichkeiten, um auf betrieblicher Ebene spezifische Lösungen zu finden, es brauche keine zusätzliche Lockerung. Auch mit der heutigen Gesetzesgrundlage könne man ein Jahresarbeitszeitmodell einführen, und die saisonalen Schwankungen, wie sie verschiedene Branchen kennen, könnten auf unterschiedliche Weise aufgefangen werden (vgl. Kap. 2.1.1.3). Die Minderheit verweist darauf, dass die schweizerische Rechtsordnung einem Vergleich mit derje3946

BBl 2019

nigen in Ländern der Europäischen Union durchaus standhalte, auch deshalb seien die vorgeschlagenen Änderungen nicht angezeigt.

Die Minderheit geht davon aus, dass es mit der Vorlage der Mehrheit zulässig wäre, während mehrerer aufeinander folgender Wochen die Ruhezeiten zu verkürzen und über 70 Stunden zu arbeiten8. Die möglichst zeitnahe Kompensation von temporären Belastungsspitzen sei aus arbeitsmedizinischer Sicht jedoch zentral, denn das Risiko der Selbstausbeutung und entsprechender gesundheitlicher Probleme wie Burn-outs steige mit der vorgesehenen Ausdehnung der erlaubten Arbeitszeiten, was mittelund langfristig auch Auswirkungen auf die allgemeinen Gesundheitskosten haben könnte. In vielen Unternehmen herrsche mittlerweile die Einsicht vor, dass gesunde Arbeitnehmende im ureigenen Interesse des Unternehmens seien und letztlich den grösseren Beitrag zur Produktivität leisteten als überarbeitete Arbeitskräfte, weshalb man eher von der ständigen Verfügbarkeit der Arbeitnehmenden abkomme. Die Arbeitgeber verordneten zum Teil sogar Offline-Zeiten abends und am Wochenende. Für die Gesundheit und die Lebensqualität insgesamt sei die Vermischung von Arbeit und Freizeit ungünstig.

Die Minderheit argumentiert weiter, die Vermischung von Arbeitszeit und Ruhezeit könne ausserdem das Recht auf ein normales Familienleben beeinträchtigen. Sie ist aus diesem Grund auch gegen eine Aufweichung des Sonntagsarbeitsverbots, selbst wenn diese auf sogenannt freiwilliger Basis erfolge, und gegen die damit einhergehende Schwächung der Stellung des Sonntags und weist darauf hin, dass solchen Ansinnen bereits in mehreren Volksabstimmungen eine Abfuhr erteilt worden sei.

Nicht zuletzt hält es die Minderheit auch nicht für angebracht, das Arbeitsrecht bereits wieder zu ändern, kurz nachdem 2016 die sozialpartnerschaftlich gefundene Lösung zur Befreiung von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und zur erleichterten Arbeitszeiterfassung (Art. 73a und 73b ArGV 1) in Kraft getreten ist. Die Minderheit möchte, dass vor neuen Beschlüssen arbeitsmedizinische Gutachten über mögliche Risiken einer Umsetzung der Initiative erstellt werden. Auch seien Evaluationen der in der Verordnung eingeführten Neuerungen in Aussicht gestellt worden; diese seien abzuwarten, bevor man weitere Schritte prüfe. Die entsprechende Studie wurde
vom SECO in Auftrag gegeben und sollte etwa Mitte 2019 vorliegen. Sie soll u.a. aufzeigen, wie viele Arbeitnehmende nach Artikel 73a ArGV 1 auf die Arbeitszeiterfassung verzichtet haben und welche Auswirkungen dies allenfalls hatte. Sollte gegen den Willen der Minderheit doch auf den Entwurf eingetreten werden, beantragt sie deshalb eventualiter, dieser sei an die Kommission zurückzuweisen, damit sowohl diese Gutachten eingeholt als auch die Evaluationen der neuen Verordnungsartikel in die Arbeiten einbezogen werden können.

8

Mit den vorgeschlagenen Änderungen ist es beispielsweise möglich, in einer Woche von Montag bis Freitag zwischen 6 und 21 Uhr 13,5 Stunden und am Samstag 5,75 Stunden zu arbeiten. Die auf neun Stunden verkürzten Ruhezeiten müssen dann innerhalb von vier Wochen statt wie im geltenden Recht innerhalb von zwei Wochen kompensiert werden.

(zur Länge des Arbeitstages vgl. Kap. 3.3.7)

3947

BBl 2019

2.3

Vernehmlassungsverfahren

Zusammen mit dem Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative Keller-Sutter 16.423 (vgl. dazu Ziff. 2.7) bildete der Vorentwurf der Kommission den Gegenstand des Vernehmlassungsverfahrens. Dieses dauerte vom 4. September bis zum 4. Dezember 2018. Die Vernehmlassungsteilnehmenden äusserten sich gleichzeitig zu beiden Vorlagen9. Es nahmen 24 Kantone (ohne Obwalden und Zug), 6 Parteien (CVP, FDP, GLP, Grüne, SP, SVP), 2 interkantonale Verbände, 30 Arbeitgeber- und 17 Arbeitnehmerorganisationen, 6 Organisationen aus dem Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheit, 8 Berufsverbände und andere Institutionen sowie 5 Unternehmen teil.

Die Reaktionen der Vernehmlassungsteilnehmenden fallen sehr unterschiedlich aus.

Während 12 Kantone beide Vorentwürfe ablehnen, befürworten 12 weitere Kantone entweder den einen oder den anderen Entwurf. Einige befürworten zwar eine Liberalisierung, sind aber mit den beiden Entwürfen nicht einverstanden, vier Kantone sprechen sich ­ mit Vorbehalten ­ nur für die Vorlage zur parlamentarischen Initiative Graber Konrad aus. Grundsätzlich befürchten alle Kantone einen erschwerten Vollzug.

Von den politischen Parteien sprechen sich FDP, GLP und SVP für beide Vorentwürfe aus, die CVP stimmt den Entwürfen mit Änderungswünschen zu. SP und Grüne lehnen beide Vorentwürfe ab.

Die meisten Arbeitgeberorganisationen unterstützen beide Vorlagen in ihren Grundzügen, einige nur entweder die eine oder die andere. Sämtliche teilnehmenden Arbeitnehmerorganisationen lehnen beide Vorentwürfe ab.

Die Befürworter begrüssen eine Anpassung des Arbeitsrechts an die Bedürfnisse der heutigen Arbeitswelt und versprechen sich davon eine bessere Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche. Sie wünschen generell eine Flexibilisierung. Gerade die Vorlage zur parlamentarischen Initiative Graber Konrad ermögliche es, saisonale Spitzenbelastungen aufzufangen. Zum Teil halten die Befürworter eine umfassende Revision des Arbeitsgesetzes für unumgänglich.

Die Gegner kritisieren demgegenüber, der Geltungsbereich sei zu wenig klar definiert, wodurch sich die Rechtssicherheit reduziere. Ausserdem sei dem Gesundheitsschutz besser Rechnung zu tragen. Ihres Erachtens bietet das heutige Arbeitsgesetz genügend Flexibilität; sie sind der Meinung, es solle nicht kurz nach Inkrafttreten der Artikel 73a und 73b ArGV 1 bereits wieder eine Änderung vorgenommen werden.

9

Ergebnisbericht und eingegangene Stellungnahmen unter den folgenden Links: www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2981/Arbeitszeitmodelle_ Ergebnisbericht_de.pdf www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2981/Arbeitszeitmodelle_ Stellungnahmen.pdf

3948

BBl 2019

2.4

Änderungen gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf

Die Kommission hat keine Änderungen am Vernehmlassungsentwurf vorgenommen.

2.5

Kurzüberblick über die Vorlage

Mit dieser Vorlage soll im Arbeitsgesetz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Vorgesetztenfunktion sowie für Fachpersonen, die über wesentliche Entscheidbefugnisse in ihrem Fachgebiet verfügen, die Möglichkeit der Jahresarbeitszeit (JAZ) geschaffen werden, sofern sie bei ihrer Arbeit über eine grosse Autonomie verfügen und ihre Arbeitszeiten weitgehend selber definieren können und nicht nach vorgegebenen Einsatzplänen arbeiten.

Die Unterstellung unter ein solches Jahresarbeitszeitmodell führt in erster Linie dazu, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 bzw. 50 Stunden nicht mehr eingehalten werden muss; damit finden auch die Vorschriften zur Überzeit keine Anwendung mehr auf die betroffenen Arbeitnehmenden. Massgebend ist einzig noch, wie viele Stunden per Ende Kalender- oder Geschäftsjahr aufgelaufen sind.

Diese werden mit Blick auf den Gesundheitsschutz begrenzt: Vereinbart werden können nur Jahresarbeitszeitmodelle auf der Basis von maximal 45 Stunden pro Arbeitswoche, und Ende Jahr darf ein Nettosaldo von maximal 170 Stunden resultieren. Weist das Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmenden gemäss diesem Nettoprinzip am Ende des Jahres Mehrstunden auf, so sind diese mit einem Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent zu entschädigen oder, sofern vertraglich vereinbart, im Folgejahr zu kompensieren (vgl. Kap. 3.3.5).

Für die Arbeitnehmenden mit JAZ enthält der Entwurf folgende weiteren Flexibilisierungen: Einerseits ist eine Verlängerung des zulässigen Beschäftigungszeitraums von bisher 14 auf 15 Stunden vorgesehen (vgl. Kap. 3.3.7). Andererseits werden auch die Vorschriften betreffend die tägliche Ruhezeit für die angesprochenen Arbeitnehmergruppen flexibler gestaltet: Eine Unterbrechung der Ruhezeit soll möglich sein, sofern dies nach eigenem, freiem Ermessen des Arbeitnehmenden ausserhalb des Betriebes erfolgt, überdies soll eine Verkürzung der täglichen Ruhezeit mehrmals pro Woche bis auf neun Stunden ermöglicht werden (vgl. Kap. 3.3.8).

Schliesslich soll für die entsprechenden Arbeitnehmergruppen auch Sonntagsarbeit unbeschränkt und ohne Bewilligung möglich sein, sofern sie nach eigenem, freiem Ermessen des Arbeitsnehmenden erbracht wird (vgl. Kap. 3.3.9).

Die Flexibilisierung kann mit einem verstärkten Gesundheitsschutz einhergehen: Mittels Verordnung können Präventionsmassnahmen
für Arbeitnehmende mit besonderen Arbeitszeitmodellen vorgesehen werden. In diesem Fall soll den psychosozialen Risiken besondere Beachtung geschenkt werden (vgl. Kap. 3.1).

Alle übrigen Bestimmungen behalten ihre Gültigkeit, soweit nicht abweichende Bestimmungen vorgeschlagen werden: Das Nachtarbeitsverbot gilt ohne Einschränkungen, es kann nach wie vor höchstens an sechs Tagen in Folge gearbeitet werden,

3949

BBl 2019

der wöchentliche freie Halbtag von acht Stunden muss gewährt werden (Art. 21 ArG) und auch die Pausenregelung von Artikel 15 ArG bleibt unverändert bestehen.

2.6

Anzahl potenziell betroffener Arbeitnehmender

Gemäss Entwurf soll ein Jahresarbeitszeitmodell nur für Arbeitnehmende mit Vorgesetztenfunktion oder für Fachpersonen, die über wesentliche Entscheidbefugnisse in ihrem Fachgebiet verfügen, eingeführt werden können, und dies nur dann, wenn sie bei ihrer Arbeit über eine grosse Autonomie verfügen und ihre Arbeitszeiten mehrheitlich selber festsetzen können. Diese Kriterien sind also kumulativ zu erfüllen, was die Anzahl potenziell Betroffener einschränkt. Ausserdem soll diese Möglichkeit explizit nur für Arbeitnehmende ab 18 Jahren gelten; Jugendliche und Lernende sind ausgenommen.

Wie viele Arbeitnehmende von der neuen Bestimmung betroffen sein könnten, lässt sich nur schwer beziffern. Einerseits entsprechen gewisse Begriffe des Entwurfs, die den persönlichen Anwendungsbereich eingrenzen ­ wie etwa «grosse Autonomie bei der Arbeit» oder «Fachpersonen mit wesentlichen Entscheidbefugnissen» ­, keiner statistischen Kategorie, andererseits lässt sich nicht voraussagen, wie viele Unternehmen tatsächlich ein Jahresarbeitszeitmodell einführen werden.

Für die Definition der Kategorie «Fachpersonen mit wesentlichen Entscheidbefugnissen in ihrem Fachgebiet» wird zu entscheiden sein, ob auf Verordnungsstufe z.B.

ein bestimmter Bildungsabschluss als Kriterium aufgenommen werden soll und welches Niveau es gegebenenfalls sein soll. Denkbar wären Abschlüsse wie z.B.

Bachelor, Berufsbildungsstufe 6 gemäss nationalem Qualifikationsrahmen10 oder auch nur ein Berufsabschluss. Je nachdem, was festgelegt wird, variiert die Menge der Betroffenen beträchtlich. Die Kommission möchte sich noch einmal mit dieser Frage befassen, wenn der Bundesrat den entsprechenden Verordnungsentwurf ausgearbeitet hat.

Angesichts der beschriebenen Ausgangslage gehen die Meinungen zur Anzahl Betroffener in der Kommission auseinander. Die Mehrheit geht davon aus, dass nicht alle Arbeitgeber ein Jahresarbeitszeitmodell einführen werden und dass vielleicht die Hälfte aller potenziell betroffenen Arbeitnehmenden einem solchen Modell unterstellt wird. Nach ihrer Einschätzung wären das ungefähr 13 bis 19 Prozent der Arbeitnehmenden (ohne Lernende), je nachdem, welches Ausbildungskriterium für die Kategorie der Fachpersonen gewählt wird.

Die Kommissionsminderheit hingegen fürchtet, es könnten deutlich mehr Arbeitnehmende betroffen sein als
die Mehrheit annimmt. Insbesondere ist sie der Ansicht, der Begriff «Fachperson mit wesentlichen Entscheidbefugnissen in ihrem Fachgebiet» lasse rechtlich sehr grossen Interpretationsspielraum offen, womit die Anzahl betroffener Arbeitnehmender beträchtlich ansteigen könnte. Auch dürften weit mehr Arbeitgeber als von der Mehrheit angenommen vom Jahresarbeitszeitmodell Ge10

Verordnung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI über das Verzeichnis der gemäss dem nationalen Qualifikationsrahmen für Abschlüsse der Berufsbildung eingestuften Berufsbildungsabschlüsse (SR 412.105.12)

3950

BBl 2019

brauch machen. Damit wären ihrer Meinung nach bis 40 Prozent der Arbeitnehmenden betroffen.

2.7

Verhältnis zur Vorlage zu 16.423

Der Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative 16.423 Keller-Sutter. Ausnahme von der Arbeitszeiterfassung für leitende Angestellte und Fachspezialisten betrifft grundsätzlich die gleichen Arbeitnehmerkategorien wie der vorliegende Entwurf zur parlamentarischen Initiative Graber Konrad, schlägt aber einen anderen Weg vor.

Der Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative Keller-Sutter lässt die materiellen Bestimmungen zur Arbeits- und Ruhezeit für diese Kategorien unverändert, erweitert aber die Möglichkeiten eines Verzichts auf die Arbeitszeiterfassung und macht sie für eine grössere Gruppe von Arbeitnehmenden zugänglich als heute. Der Entwurf zur parlamentarischen Initiative Graber Konrad behält hingegen die Arbeitszeiterfassungspflicht bei, ändert aber bestimmte materielle Bestimmungen in Bezug auf die Arbeits- und die Ruhezeit.

Sollten beide Entwürfe in das geltende Recht aufgenommen werden, gälte für den einzelnen Arbeitnehmenden nur entweder das eine oder das andere Modell, wie aus Artikel 13a Absatz 2 des vorliegenden Entwurfs hervorgeht (vgl. auch Kap. 3.3.2).

Die Kommission hat den Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative Keller-Sutter sistiert, bis die Ergebnisse der Studie vorliegen, die das SECO zu den Auswirkungen von Artikel 73a und 73b ARGV 1 in Auftrag gegeben hat. Dies wird voraussichtlich nach der Sommerpause der Fall sein.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Gesundheitsschutz

Art. 6 Abs. 4 Bereits die geltende Fassung von Artikel 6 Absatz 4 ArG schreibt vor, dass auf Verordnungsebene Massnahmen für den Gesundheitsschutz in den Betrieben festgelegt werden können. Diese gesetzliche Grundlage wird mit der vorgesehenen Ergänzung konkretisiert: Demnach sollen Präventionsmassnahmen im Besonderen bei Arbeitnehmenden in bestimmten Branchen und mit besonderen Arbeitszeitmodellen vorgesehen werden können, wobei die psychosozialen Risiken angemessen berücksichtigt werden müssen.

3951

BBl 2019

3.2

Zeitraum der Tages- und Abendarbeit

Art. 10 Abs. 2 zweiter und dritter Satz Diese Änderung gilt generell für alle Arbeitnehmenden und beschränkt sich nicht auf die Vorgesetzten und Fachpersonen mit wesentlichen Entscheidbefugnissen. Es handelt sich hier um einen Zusatz, der über das ursprüngliche Anliegen der parlamentarischen Initiative hinausgeht und erst im Lauf der Beratungen der Kommission aufgenommen wurde.

Die Lage des betrieblichen Tages- und Abendzeitraums kann bereits heute zwischen 5 Uhr und 24 Uhr nach den Bedürfnissen des Betriebes verschoben werden (vgl.

Kap. 2.1.3). Mit der Ergänzung von Artikel 10 Absatz 2 ArG soll nun eine Verschiebung des Tages- und Abendzeitraumes auch für einzelne Arbeitnehmende ermöglicht werden. Insbesondere soll der individuelle Tages- und Abendzeitraum neu bis 4 Uhr vorverschoben werden können. Auch in diesem Fall beträgt der Zeitraum für die Tages- und Abendarbeit des betroffenen Arbeitnehmenden jedoch höchstens 17 Stunden. Die Verlängerung des individuellen Beschäftigungszeitraums für Arbeitnehmende mit JAZ von 14 auf 15 Stunden wird in Kapitel 3.3.7 erläutert.

Weiter anwendbar bleibt die Regelung gemäss Artikel 10 Absatz 1 dritter Satz ArG, wonach die Arbeitnehmervertretung oder, wo eine solche nicht besteht, die betroffenen Arbeitnehmenden im Betrieb bei Einführung von Abendarbeit ab 20 Uhr ein Anhörungsrecht haben.

3.3

Jahresarbeitszeit

3.3.1

Arbeitnehmerkategorien

Art. 13a Abs. 1 Mit Artikel 13a ArG wird im Arbeitsgesetz die JAZ eingeführt. Sie soll erwachsenen Arbeitnehmenden mit Vorgesetztenfunktion und erwachsenen Fachpersonen, die in ihrem Fachgebiet über wesentliche Entscheidbefugnisse verfügen, vorbehalten sein (Bst. a). Ausserdem wird wie im heutigen Artikel 73a ArGV 1 vorausgesetzt, dass die betroffenen Arbeitnehmenden bei der Gestaltung ihrer Arbeit über eine grosse Autonomie verfügen (Bst. b) sowie ihre Arbeits- und Ruhezeiten mehrheitlich selber festlegen können (Bst. c). Für Jugendliche gilt ein besonderer Schutz insbesondere auch betreffend Arbeits- und Ruhezeiten. Sie werden deshalb von der Möglichkeit, der JAZ unterstellt zu werden, ausgenommen, auch wenn sie aufgrund ihrer Ausbildungssituation ohnehin kaum jemals in der Lage sind, ihre Arbeitszeiten weitgehend selber zu bestimmen.

Als Arbeitnehmende mit Vorgesetztenfunktion gelten solche, die gegenüber Unterstellten über ein dauerhaftes Weisungsrecht verfügen. Dabei ist die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter nicht massgebend. Hingegen liegt keine solche Vorgesetztenfunktion vor, wenn das Weisungsrecht einzig gegenüber Praktikanten oder Lernenden ausgeübt wird.

3952

BBl 2019

Die Bestimmung gilt auch für Fachpersonen, sofern sie in ihrem Fachgebiet über wesentliche Entscheidbefugnisse verfügen. Im Unterschied zu Arbeitnehmenden mit Vorgesetztenfunktion verfügen diese Arbeitnehmenden nicht über ein (dauerhaftes) Weisungsrecht gegenüber unterstellten Mitarbeitenden. Aufgrund ihrer besonderen Fachkompetenzen übernehmen sie im Betrieb jedoch Verantwortung in ihrem Fachgebiet. Ihre Stellung ist insofern verantwortungsvoller und autonomer ausgestaltet als die der übrigen Fachpersonen im Betrieb und vergleichbar mit derjenigen der Arbeitnehmenden mit Vorgesetztenfunktion. Da ihre verantwortungsvolle Stellung auf ihrem Fachwissen beruht, müssen die erworbenen Fachkenntnisse zwingend in die Arbeitstätigkeit eingebracht werden. Auf Verordnungsstufe wird noch zu klären sein, welche messbaren Kriterien (z.B. Ausbildung, vgl. Kap. 2.4) dafür gelten sollen.

Zusätzlich wird verlangt, dass die erwähnten Arbeitnehmerkategorien über grosse Autonomie bei der Gestaltung ihrer Arbeit verfügen (vgl. Bst. b). Die Arbeitnehmenden müssen also weitgehend selber bestimmen können, in welcher Art und Weise die Arbeiten ausgeführt und organisiert werden. Eine solche Gestaltungsautonomie besitzen tendenziell das höhere Kader sowie Arbeitnehmende mit einem besonderen Pflichtenheft, wie etwa Projektleitende. Für die Beurteilung dieses Kriteriums kann auf die Praxis zu Artikel 73a ArGV 1 abgestellt werden.

Überdies müssen diese Arbeitnehmenden über eine grosse Zeitsouveränität verfügen (vgl. Bst. c), d.h. sie müssen ihre Arbeits- und somit auch ihre Ruhezeiten mehrheitlich selber festzusetzen können und nicht nach vorgegebenen Einsatzplänen arbeiten. Die Zeitsouveränität muss für mindestens die Hälfte der Arbeitszeit bestehen.

Bei der Beurteilung der Zeitsouveränität ist das Arbeitsumfeld als Ganzes in Betracht zu ziehen. Auch für die Beurteilung dieses Kriteriums kann auf die Erfahrungen mit Artikel 73a ArGV 1 zurückgegriffen werden.

Für Arbeitnehmende, die ihre Arbeit nach Einsatzplänen oder sonstigen engen zeitlichen Vorgaben zu verrichten haben, steht das Jahresarbeitszeitmodell nicht zur Verfügung. Dazu zählen etwa Arbeitnehmende im Schichtbetrieb, solche mit vorgegebenen Tageseinsatzplänen oder mit Arbeitszeiten, die in anderer Weise zum grössten Teil durch den Arbeitgeber oder die objektiven
Umstände bestimmt werden. Für Arbeitnehmende mit Blockzeiten, welche weniger als die Hälfte ihrer Arbeitszeit belegen, und die ausserhalb der festgelegten Zeiten die erforderlichen Freiheiten bei der Festlegung ihrer Arbeitszeiten geniessen, kann das Jahresarbeitszeitmodell jedoch vorgesehen werden.

Vor der Einführung einer JAZ ist die Arbeitnehmervertretung im Betrieb oder, wo eine solche nicht besteht, sind die betroffenen Arbeitnehmenden im Sinn von Artikel 48 Absatz 1 Buchstabe b ArG anzuhören.

3.3.2

Zwingende Erfassung der Arbeitszeiten

Art. 13a Abs. 2 Die Einführung einer JAZ setzt voraus, dass die Arbeitszeiten der betroffenen Arbeitnehmenden erfasst werden. Dabei genügt es auch, wenn die Arbeitszeiten in 3953

BBl 2019

vereinfachter Form gemäss Artikel 73b ArGV 1 dokumentiert werden. Ein umfassender Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung ist mit dem Jahresarbeitszeitmodell hingegen nicht vereinbar.

Sollten sowohl der vorliegende Entwurf als auch der Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative 16.423 Keller Sutter. Ausnahme von der Arbeitszeiterfassung für leitende Angestellte und Fachspezialisten ins Arbeitsgesetz aufgenommen werden, klärt diese Bestimmung die Schnittstelle zwischen den beiden Modellen und bestimmt, dass für den einzelnen Arbeitnehmenden nur entweder das eine oder das andere Modell zur Anwendung kommt (siehe auch oben Kap. 2.5).

3.3.3

Keine Anwendung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit und der Überzeitvorschriften

Art. 13a Abs. 3 Die Einführung einer JAZ hat zur Folge, dass die Höchstarbeitszeit nur noch auf der Referenzperiode eines Kalender- oder eines Geschäftsjahres beruht und nicht mehr, wie im geltenden Recht, auf einer Höchstarbeitszeit von 45 oder 50 Stunden innerhalb der Referenzperiode einer Woche (vgl. Art. 9 Abs. 1 ArG). Das Arbeitsgesetz und seine Verordnungen enthalten jedoch zahlreiche Vorschriften, welche auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit ausgelegt sind.11 Da die Jahresmehrstunden beim Jahresarbeitszeitmodell aber erst am Ende des Kalender- bzw. des Geschäftsjahres feststehen, kommen die Vorschriften zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit und zur Überzeit nicht zur Anwendung. Dies gilt auch für diejenigen Vorschriften zur Überzeit, die keinen engen Zusammenhang mit der Referenzperiode einer Woche aufweisen.12

3.3.4

Jährliche Höchstarbeitszeit

Art. 13a Abs. 4 Die Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells ist der Disposition der Parteien überlassen. Damit es im Sinne des Arbeitsgesetzes als solches anerkannt wird, darf die vereinbarte Anzahl Jahresarbeitsstunden jedoch im Durchschnitt des Kalender- bzw.

Geschäftsjahres maximal 45 Stunden pro Woche betragen. Bei der Ermittlung der Wochen pro Kalender- bzw. Geschäftsjahr sind die unter den Parteien vereinbarten Ferienwochen und die auf einen Werktag fallenden, den Sonntagen gleichgestellten 11

12

Dazu gehören etwa die maximale tägliche Dauer von Überzeitarbeit (Art. 12 Abs. 2 ArG), das Verbot von Überzeitarbeit nach verkürzter täglicher Ruhezeit (Art. 19 ArGV 1), das grundsätzliche Verbot von Überzeitarbeit an Sonntagen und in der Nacht (Art. 12 und 26 ArG i.V.m. 25 ArGV 1) sowie insbesondere die Pflicht, bei Überzeitarbeit grundsätzlich eine zeitnahe Kompensation innerhalb von 14 Wochen vorzusehen (Art. 25 ArGV 1).

Dazu gehören etwa die Voraussetzungen für die Leistung von Überzeitarbeit (Art. 12 Abs. 1 ArG) und die Vorschrift, wonach Arbeitnehmende mit Familienpflichten nur mit ihrem Einverständnis zu Überzeitarbeit herangezogen werden können (Art. 36 ArG).

3954

BBl 2019

Feiertage in Abzug zu bringen. Im Durchschnitt über die Jahre entsprechen die in Abzug zu bringenden Feiertage einer weiteren freien Woche.

Die Vereinbarung eines Jahresarbeitszeitmodells mit Arbeitnehmenden, für die gemäss Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b ArG bisher eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 50 Stunden galt, hat zur Folge, dass diese unter dem neuen Modell durchschnittlich nur noch maximal 45 Stunden pro Woche arbeiten können.

Demgegenüber ist ein Jahresarbeitszeitmodell natürlich auch dann zulässig, wenn die vereinbarte JAZ auf einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 45 Stunden basiert. In diesem Fall resultieren Jahresmehrstunden im Sinn dieser Bestimmung erst bei Überschreitung der auf der Basis von 45 Wochenstunden berechneten Jahreshöchstarbeitszeit. Die Entschädigungs- und Kompensationspflicht ist bis zum Erreichen von Jahresmehrstunden im Sinn des Gesetzes der Disposition der Parteien überlassen (vgl. Art. 321c Abs. 3 OR und Kap. 2.1.1.4).

3.3.5

Jahresmehrstunden

Art. 13a Abs. 5 Arbeitnehmende mit einem Jahresarbeitszeitmodell dürfen pro Kalender- bzw. pro Geschäftsjahr Ende Jahr netto höchstens 170 Jahresmehrstunden auf dem Arbeitszeitkonto haben. Dies bedeutet, dass die Mehrstunden während des Kalender- oder Geschäftsjahres Schwankungen unterliegen dürfen und die maximale Anzahl von 170 Stunden zwischenzeitlich auch überschritten werden kann, wohingegen heute jede während des Jahres geleistete Überzeitstunde ­ unbesehen ihrer Entschädigung oder Kompensation ­ addiert wird bis zur Erreichung der maximalen Anzahl von 170 Stunden gemäss Artikel 12 Absatz 2 ArG (vgl. Kap. 2.1.1.1).

Weist das Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmenden per Ende Kalender- oder Geschäftsjahr Mehrstunden auf, so sind diese in Anlehnung an die dispositive Regelung zu den Überstunden in Artikel 321c OR grundsätzlich durch einen Lohnzuschlag von 25 Prozent zu entschädigen. Im Einverständnis mit dem Arbeitnehmenden können sie auch im Folgejahr durch Freizeit gleicher Dauer kompensiert werden. Diese Kompensationsregeln gelten ebenso für Mehrstunden, welche die Grenze von 170 Stunden überschreiten. Wird eine solche Überschreitung festgestellt, trifft die Arbeitsinspektion die Massnahmen gemäss Artikel 51 ff. ArG und kann beim Vorliegen entsprechender Umstände verfügen, dass im betreffenden Betrieb zukünftig keine JAZ mehr vereinbart werden kann.

In diesem Kontext bleibt zu präzisieren, dass aus der Überschreitung der unter den Parteien vertraglich vereinbarten (Jahres-)Arbeitszeit grundsätzlich immer auch Überstunden im Sinn von Artikel 321c OR entstehen. Das hat zur Folge, dass die zwingenden Voraussetzungen in Artikel 321c Absatz 1 OR betreffend die Zumutbarkeit und die betriebliche Notwendigkeit solcher Mehrarbeit a priori auch auf anfallende Jahresmehrstunden Anwendung finden (siehe oben Kap. 2.1.1.4).

Was die Überstunden angeht, die auf eigene Initiative geleistet werden, sind die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu berücksichtigen, wonach sie einer 3955

BBl 2019

Genehmigung des Arbeitgebers bedürfen, damit dafür ein Anspruch auf Vergütung oder Zeitausgleich entsteht (vgl. Kap. 2.1.1.4).

3.3.6

Anteilsmässige Reduktion bei Teilzeitanstellung

Art. 13a Abs. 6 Bei Teilzeitbeschäftigung reduziert sich die maximale Anzahl Jahresarbeitsstunden anteilsmässig. Dies bedeutet, dass Jahresmehrstunden von Teilzeitbeschäftigten bereits bei Überschreitung der entsprechend reduzierten JAZ zwingend mit einem Zuschlag von 25 Prozent zu entschädigen oder durch Freizeit von gleicher Dauer zu kompensieren sind (vgl. Kap. 3.3.5). Auch die maximale Anzahl zulässiger Jahresmehrstunden wird anteilsmässig reduziert. Zudem erfolgt eine anteilsmässige Reduktion konsequenterweise auch bei Mehrfachbeschäftigung und ebenso bei unterjähriger Anstellung, wo dies für die jährlichen Maxima der Arbeitsstunden heute schon so gehandhabt wird.

Nach heutigem Recht erfolgt bei Teilzeitbeschäftigung keine Herabsetzung der Grenze der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, d.h. es gelten die unveränderten Maxima. Im Rahmen des Jahresarbeitszeitmodells wird diese Arbeitnehmerkategorie neu also besser geschützt: Der Schutz kommt für sie früher zum Tragen und sie müssen weniger nicht entsprechend kompensierte Zusatzstunden leisten als bisher.

Damit wird auch auf eine in der Lehre diskutierte indirekte Diskriminierung von Frauen reagiert (vgl. Fussnote 3).

3.3.7

Maximaler täglicher Zeitraum der Beschäftigung

Art. 13a Abs. 7 In Abweichung von Artikel 10 Absatz 3 ArG wird der Zeitraum der Beschäftigung für die Arbeitnehmenden mit Jahresarbeitszeitmodell von 14 auf 15 Stunden erhöht.

Von diesem Zeitraum lässt sich ­ mittels Abzug der Mindestpausen gemäss Artikel 15 ArG ­ die maximale tägliche Arbeitszeit ableiten: Aufgrund der Regeln zum Pausenbezug resultiert eine Verlängerung der maximalen täglichen Arbeitszeit von 12,5 auf 13,5 Stunden. Die erwähnte Pausenregelung bleibt unverändert.13 Ebenfalls unverändert bleibt die Regelung gemäss Artikel 10 Absatz 1 dritter Satz ArG, welche der Arbeitnehmervertretung oder, wo eine solche nicht besteht, den 13

Gemäss Art. 15 ArG ist die Arbeit durch Pausen von ¼ Stunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 5,5 Stunden, von ½ Stunde bei einer solchen von mehr als 7 Stunden und von 1 Stunde bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden zu unterbrechen. Gemäss Art. 18 Abs. 2 ArGV 1 sind die Pausen in der Mitte der Arbeitszeit anzusetzen.

Entsteht daraus eine Teilarbeitszeit von mehr als 5,5 Stunden, ist eine zusätzliche Pause zu gewähren. Das SECO errechnet gestützt darauf eine maximale tägliche Arbeitszeit von 12,5 Stunden. Die Regelung von Art. 18 Abs. 3 ArGV 1, wonach Pausen von mehr als ½ Stunde aufgeteilt werden dürfen, darf nicht dazu benützt werden, die Pausenansprüche der Arbeitnehmenden dank geschickter Legung zu mindern.

3956

BBl 2019

betroffenen Arbeitnehmenden im Betrieb bei Einführung von Abendarbeit ab 20 Uhr abends ein Anhörungsrecht zuspricht (vgl. dazu auch die Erläuterungen zu Art. 10 Abs. 2 ArG, Kap. 3.2).

3.3.8

Tägliche Ruhezeit

Art. 15a Abs. 3 Die tägliche Ruhezeit kann bei Arbeitnehmenden mit einem Jahresarbeitszeitmodell mehrmals pro Woche auf neun Stunden herabgesetzt werden, wobei die tägliche Ruhezeit von elf Stunden im Durchschnitt von vier Wochen eingehalten werden muss. Im Gegenzug fällt die Möglichkeit einer einmaligen Kürzung pro Woche auf acht Stunden weg.

An der heutigen Berechnungsweise für den Durchschnittswert ändert sich nichts, d.h. dafür werden einzig die täglichen Ruhezeiten zwischen zwei Arbeitstagen berücksichtigt.

Art. 15a Abs. 4 Die heutige Pikettdienstregelung von Artikel 19 Absatz 3 ArGV 1 wird mit dem Erlass von Artikel 15a Absatz 4 ArG auf Gesetzesstufe verankert. Nach den gleichen Regeln soll neu auch für Arbeitnehmende, die einem Jahresarbeitszeitmodell unterstellt sind, eine Unterbrechung der täglichen Ruhezeit möglich sein. Verlangt wird jedoch, dass der Arbeitseinsatz nach eigenem, freiem Ermessen des Arbeitnehmenden und ausserhalb des Betriebs erfolgt.

Wird die tägliche Ruhezeit durch eine Arbeitsleistung unterbrochen, ist die Ruhezeit nach Beendigung der Unterbrechung im restlichen Umfang nachzugewähren. Wird durch den Piketteinsatz oder die nach eigenem, freiem Ermessen erfolgte ausserbetriebliche Arbeitsleistung die minimale tägliche Ruhezeit von vier aufeinander folgenden Stunden nicht mehr erreicht, so ist die tägliche Ruhezeit von elf Stunden im Anschluss an den Einsatz erneut zu gewähren.

Bei einer Unterbrechung der Ruhezeit kann nicht gleichzeitig eine Reduktion der täglichen Ruhezeit im Sinne von Artikel 15a Absatz 3 ArG anfallen.

3.3.9

Sonntagsarbeit

Art. 18 Abs. 1 zweiter Satz Das Verbot der Sonntagsarbeit ist in Artikel 18 ArG verankert. Es gilt unter Vorbehalt von Artikel 19 ArG, welcher die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Sonntagsarbeit nennt. Mit Artikel 19a ArG wird für Arbeitnehmende mit Jahresarbeitszeitmodell neu die Möglichkeit der freiwilligen und bewilligungsfreien Sonntagsarbeit eingeführt. Der Vorbehalt zum Sonntagsarbeitsverbot in Artikel 18 Absatz 1 ArG wird daher um 19a ArG ergänzt.

3957

BBl 2019

Art. 19a Arbeitnehmende mit einem Jahresarbeitszeitmodell dürfen Sonntagsarbeit leisten, sofern diese nach ihrem eigenen, freien Ermessen erbracht wird. Sie muss also tatsächlich freiwillig erfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das eigene Ermessen durch äussere Faktoren wie etwa übermässigen Arbeitsanfall an Freiheit einbüsst. Sonntagsarbeit nach eigenem, freiem Ermessen des Arbeitnehmenden kann demgegenüber sicherlich dann vorliegen, wenn dieser dadurch auf eigenen Wunsch an einem gewöhnlichen Werktag frei hat.

In Abweichung von Artikel 19 Absatz 3 ArG ist für Sonntagsarbeit, welche nach eigenem, freiem Ermessen erbracht wird, kein Lohnzuschlag geschuldet, selbst wenn es sich um vorübergehende Sonntagsarbeit handelt. Demgegenüber finden die übrigen Vorschriften zur Sonntagsarbeit weiterhin Anwendung.14

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Der Vollzug des Arbeitsgesetzes obliegt den Kantonen (Art. 41 ArG). Die Umsetzung der neuen Bestimmung erfolgt im Rahmen des ordentlichen Vollzugs, es sind keine Subventionen und kein zusätzliches Personal vorgesehen.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Wichtig für den Vollzug des Arbeitsgesetzes durch die kantonalen Arbeitsinspektorate ist eine klare Situation bezüglich der anwendbaren bzw. nicht anwendbaren Bestimmungen.

Was die Kriterien der Autonomie und der eigenständigen Festsetzung der Arbeitszeiten angeht, werden sich die Arbeitsinspektoren auf die Praxis stützen können, die im Zusammenhang mit Artikel 73a ArGV 1 entwickelt wurde.

Was die Begriffe «Arbeitnehmende mit Vorgesetztenfunktion» und «Fachpersonen mit wesentlichen Entscheidbefugnissen» angeht, sind die Vollzugsorgane jedoch darauf angewiesen, dass diese in der Verordnung eine klare und mit objektiven Kriterien umschriebene Definition erfahren (vgl. auch Kap. 2.6). Die Arbeitgeber brauchen Rechtssicherheit und sind deshalb ebenfalls auf eine Klärung der Begriffe angewiesen, und zwar nicht nur, um gegenüber der Kontrollbehörde die nötigen Nachweise vorlegen zu können, sondern auch innerbetrieblich, wenn Arbeitnehmende sie mit Forderungen konfrontieren.

14

Dazu gehören etwa der Grundsatz, wonach innert zweier Wochen mindestens ein ganzer Sonntag als wöchentlicher Ruhetag unmittelbar vor oder nach der täglichen Ruhezeit gewährt werden muss (Art. 20 Abs. 1 ArG), wie auch derjenige, wonach ein Arbeitnehmender, der am Sonntag arbeitet, nicht an mehr als sechs aufeinanderfolgenden Tagen beschäftigt werden darf (Art. 21 Abs. 3 ArGV 1). Auch die Regelung betreffend die Gewährung von Ersatzruhe bei Sonntagsarbeit bleibt weiterhin anwendbar (Art. 20 Abs. 2 ArG).

3958

BBl 2019

Mit dem Wegfall der wöchentlichen Höchstarbeitszeit als relativ einfach zu kontrollierender Grenze werden detaillierte Arbeitszeitkontrollen für die Arbeitsinspektorate aufwändiger sein. Da die Kompensationen über einen viel längeren Zeitraum als heute erfolgen können, müssen sie bei ihrer Analyse einen grösseren Zeitraum als bisher in Betracht ziehen und je nachdem mehrmals wiederkehren, bis eine vollständige Kontrolle mit allen relevanten Angaben durchgeführt ist. Weil die Jahresmehrstunden im Folgejahr kompensiert werden können, müssen den Arbeitsinspektionen für die Kontrolle der Arbeitszeiten die entsprechenden Dokumente für zwei Jahre unterbreitet werden. Bereits heute sind die Arbeitgeber gemäss Artikel 73 Absatz 2 ArGV 1 jedoch verpflichtet, Verzeichnisse und Unterlagen nach Ablauf ihrer Gültigkeit für mindestens fünf Jahre aufzubewahren, somit entsteht ihnen daraus kein zusätzlicher Aufwand.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 200315 kommt zwar in der Schweiz nicht zur Anwendung, kann aber dennoch als Referenz dienen. Sie gibt einen allgemeinen Rahmen vor, auf den sich unsere Nachbarländer bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeitmodelle stützen. Die Richtlinie sieht eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden vor, die im Durchschnitt über vier Monate eingehalten werden muss. Diese Zeitspanne kann durch einen Gesamtarbeitsvertrag oder eine Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern aus objektiven, technischen oder arbeitsorganisatorischen Gründen auf zwölf Monate verlängert werden.

Interessant ist, dass die Richtlinie in Artikel 17 festlegt, dass die Mitgliedstaaten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmenden für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmenden von den Bestimmungen über die Dauer der wöchentlichen Arbeits- und Ruhezeit abweichen können, «wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf nachstehende Arbeitnehmer: a) leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis»16. Diesen Ansatz hat auch der Schweizer Gesetzgeber gewählt, indem er Arbeitnehmende, die eine höhere leitende Tätigkeit ausüben, vom Geltungsbereich der Bestimmungen über die Arbeits- und Ruhezeiten ausgenommen hat (Art. 3 Bst. d ArG). Die Bedingungen, die in der Schweiz für eine solche Ausnahme gelten, sind sehr präzise, und das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung eine restriktive Auslegung bekräftigt: Die Ausnahme gilt nur für Geschäftsleitungsmitglieder. Angesichts der komplexen Umsetzungsbestimmungen ist es nicht einfach, sich einen Überblick über die Praxis der anderen Länder zu verschaffen. Einige EU-Länder sind aber offenbar weniger restriktiv: Sie weiten die 15

16

Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. L 299 vom 18.11.2003.

Kaufmann Otto, Die Arbeitszeiten in Frankreich, in: Geiser Thomas/Müller Roland (Hrsg.), Arbeitszeiten in Europa, Zürich/ St. Gallen 2015, S. 61 ff.

3959

BBl 2019

Ausnahme auf weitere Führungspositionen oder auch auf Positionen aus, deren Inhaber über grosse Autonomie verfügen. Dies gilt ­ in unterschiedlichem Mass ­ für Frankreich, Deutschland und Italien.

Gestützt auf die genannte Richtlinie definieren die EU-Länder ihre Modelle zur Arbeitszeitgestaltung. Keines der bekannten Modelle entspricht jedoch hinsichtlich der Jahresarbeitszeit der vorgeschlagenen Revision. In Deutschland, Frankreich und Italien beträgt die tägliche Ruhezeit 11 und die wöchentliche Ruhezeit 35 aufeinanderfolgende Stunden. Die maximale Wochenarbeitszeit liegt bei 48 Stunden. In Deutschland und Frankreich darf unter gewissen Bedingungen bis zu 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden, sofern die Wochenarbeitszeit von 48 Stunden im Durchschnitt während einer gewissen Zeitdauer eingehalten wird. In Italien ist vorgesehen, dass die 48 Stunden im Durchschnitt über vier Monate nicht überschritten werden bzw. über sechs Monate oder ein Jahr, falls dies in einem Gesamtarbeitsvertrag entsprechend festgelegt wurde.

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Der Entwurf stützt sich auf Artikel 110 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 17 der dem Bund die Kompetenz gibt, Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erlassen.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Gemäss Artikel 6 Absatz 4 ArG wird durch Verordnung bestimmt, welche Massnahmen für den Gesundheitsschutz in den Betrieben zu treffen sind. Die im Entwurf vorgesehene Ergänzung dieser Bestimmung mit Beispielen in welchen Bereichen solche Massnahmen vorgesehen werden können, ist von der heutigen Delegation, die auch im Rahmen der üblichen Vollzugskompetenz liegt, bereits abgedeckt und begründet keine neue Delegation der Rechtssetzungskompetenz.

17

SR 101

3960