zu 16.414 Parlamentarische Initiative Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle Neue Anträge und Zusatzbericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 2. Mai 2019

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Zusatzbericht unterbreiten wir Ihnen in Ergänzung des Berichts vom 14. Februar 2019 den neuen Entwurf der Kommission betreffend eine Änderung des Arbeitsgesetzes. Dieser Entwurf ersetzt denjenigen vom 14. Februar 2019. Gleichzeitig erhält der Bundesrat erneut Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem Entwurf zuzustimmen.

2. Mai 2019

Im Namen der Kommission Der Präsident: Pirmin Bischof

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Zusatzbericht 1

Ausgangslage

Am 14. Februar 2019 verabschiedete die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) ihren Entwurf zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative 16.414 von Ständerat Konrad Graber1. Sie überwies den Entwurf sowie den zugehörigen Bericht ihrem Rat und lud gleichzeitig den Bundesrat zur Stellungnahme ein. Der Bundesrat veröffentlichte seine Stellungnahme zwar am 17. April 20192, er verzichtete allerdings darauf, sich materiell zur Vorlage zu äussern. Er empfahl dem Parlament stattdessen, deren Beratung zu sistieren, bis eine vom SECO in Auftrag gegebene Studie zu den Auswirkungen der neuen Artikel 73a und 73b der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz3 vorliege. Diese Studie wird nach Ende der Sommerpause 2019 erwartet. Der Bundesrat empfahl der Kommission weiter, die Arbeiten an der Vorlage erst zusammen mit denjenigen am Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative 16.423 der ehemaligen Ständerätin Karin Keller-Sutter wieder aufzugreifen. Diesen Vorentwurf betreffend den Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung für bestimmte Arbeitnehmerkategorien hatte die Kommission am 14. Februar 2019 sistiert, um die genannte Studie abzuwarten.

An ihrer Sitzung vom 2. Mai 2019 lagen der Kommission Anträge eines ihrer Mitglieder zur Änderung und Präzisierung des Entwurfs vor. Sie beschloss daraufhin, eine zweite Lesung ihrer Vorlage durchzuführen, die neuen Anträge zu beraten und den geänderten Entwurf dem Bundesrat anschliessend erneut zur Stellungnahme zukommen zu lassen. Gleichzeitig entschied sie, das Geschäft bis zum Herbst 2019 zu sistieren, um vor der Beratung im Rat einerseits nach Möglichkeit über eine materielle Stellungnahme des Bundesrates zu verfügen und andererseits von den Ergebnissen der SECO-Studie Kenntnis nehmen und die Sozialpartner anhören zu können.

In der Gesamtabstimmung nahm die Kommission den geänderten Entwurf mit 7 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Die bestehenden Minderheiten auf Nichteintreten bzw. auf Rückweisung der Vorlage an die Kommission bleiben auch im neuen Entwurf aufrechterhalten.

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Inhalt des Zusatzberichts

Der vorliegende Zusatzbericht ergänzt den Bericht der Kommission vom 14. Februar 20194 und beschränkt sich deshalb auf eine Erläuterung der geänderten Bestimmungen. Das geltende Recht, der Regelungsbedarf und das ausländische Recht sowie die detaillierte Erläuterung der bereits im Februar vorliegenden Bestimmungen werden nicht erneut wiedergegeben.

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BBl 2019 3961 BBl 2019 3965 SR 822.111 BBl 2019 3937

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Erwägungen der Kommission

In der Vernehmlassung5 war an verschiedenen Bestimmungen des Vorentwurfs Kritik geübt worden. Insbesondere hatten verschiedene Vernehmlassungsteilnehmende bemängelt, die Gruppe der betroffenen Arbeitnehmenden lasse sich zu schlecht abgrenzen. Sie äusserten die Befürchtung, der Vollzug könnte vor allem für die Arbeitsinspektoren schwierig werden. Weiter wurde kritisiert, mit den ursprünglich vorgesehenen Bestimmungen wären für manche Arbeitnehmende Wochen von mehr als 70 Arbeitsstunden möglich, was gesundheitsschädigend sein könnte. Öfter wurde auch gesagt, ein Jahresarbeitszeitmodell wie das vorgesehene solle nicht ohne Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewendet werden können. Kritisiert wurde schliesslich ausserdem die Möglichkeit, unbeschränkt freiwillig sonntags zu arbeiten; dies könne das Familienleben beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission nun mehrere Bestimmungen angepasst.

Nach dem Willen der Kommission soll in erster Linie der Kreis der betroffenen Arbeitnehmenden klarer abgegrenzt werden als im Entwurf vom 14. Februar 2019 vorgesehen: Massgebend für die mögliche Anwendung des neuen «besonderen Jahresarbeitszeitmodells» sollen für die Vorgesetzten wie auch für die Fachspezialisten nicht mehr die «wesentlichen Entscheidbefugnisse im Fachgebiet» sein, sondern stattdessen ein Bruttojahreseinkommen von mindestens 120 000 Franken oder ein Bildungsabschluss auf Tertiärstufe. Durch diese Präzisierung will die Kommission insbesondere erreichen, dass sich die Anzahl der potenziell Betroffenen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf deutlich reduziert. Gleichzeitig wird durch die eindeutigen Kriterien auch der Vollzug erleichtert.

Damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausreichend geschützt bleiben, soll für die Einführung eines besonderen Jahresarbeitszeitmodells weiter die Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmenden oder der Arbeitnehmervertretung des Betriebs erforderlich sein. Ausserdem soll die wöchentliche Arbeitszeit auf maximal 67 Stunden begrenzt werden, während gleichzeitig die Jahresarbeitszeit auf mindestens 40 Wochen verteilt sein muss. Damit will die Kommission verhindern, dass Wochen mit über 70 oder gar 80 Arbeitsstunden möglich sind. Schliesslich müssen die Arbeitgeber für die Arbeitnehmenden mit besonderem Jahresarbeitszeitmodell
Massnahmen zum Schutz der Gesundheit vorsehen.

Als weitere Massnahme zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll die freiwillig erbrachte Sonntagsarbeit nur ausserhalb des Betriebs stattfinden dürfen. Damit will die Kommission sicherstellen, dass es sich bei der Sonntagsarbeit entweder nur um kurze Arbeitseinsätze von zu Hause aus ­ etwa für die rasche Beantwortung von Mails ­ oder um die An- oder Rückreise von einem geschäftlichen Auswärtstermin handelt.

Mit ihren Anträgen will die Kommission sicherstellen, dass die Bestimmungen tatsächlich nur auf die mit dem neuen Modell angesprochenen Arbeitnehmerkategorien anwendbar sind. Gleichzeitig will sie dafür sorgen, dass das neue Modell 5

www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2981/Arbeitszeitmodelle_Ergebnisbericht_de.pdf

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weder andere, bereits vorhandene Jahresarbeitszeitmodelle noch sozialpartnerschaftliche Lösungen infrage stellt. Das im Entwurf vorgesehene Jahresarbeitszeitmodell wird deshalb im Sinn einer Unterscheidung von bestehenden Modellen nun als «besonderes Jahresarbeitszeitmodell» bezeichnet.

Insgesamt will die Kommission mit ihren neuen Anträgen den in der Vernehmlassung geäusserten Bedenken Rechnung tragen und den Kreis der Betroffenen einerseits reduzieren und klarer abgrenzen und andererseits besser schützen.

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Erläuterungen zu den geänderten Bestimmungen

Art. 13a Titel, Abs. 1, 2 und 9, Art. 15a Abs. 3 und 4, 19a Die terminologischen Anpassungen in diesen Artikeln («besonderes Jahresarbeitszeitmodell» anstelle von «Jahresarbeitszeitmodell») bezwecken, dass klar zwischen dem neuen besonderen Jahresarbeitszeitmodell nach Artikel 13a ArG und den bereits heute möglichen Jahresarbeitszeitmodellen unterschieden wird.

Bereits nach heute geltendem Recht ist ein Jahresarbeitszeitmodell möglich, solange die zwingenden Bestimmungen des OR und des Arbeitsgesetzes (insbesondere die Bestimmungen zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit und der Überzeit gemäss Art. 9 und 10 Abs. 3 ArG) eingehalten werden. Die Beschränkungen, die auf das besondere Jahresarbeitszeitmodell von Artikel 13a ArG anwendbar sind, gelten nicht für solche bereits nach geltendem Recht möglichen Jahresarbeitszeitmodelle.

[Zum Zusammenhang zwischen einer Flexibilisierung der Regeln zur Arbeitszeiterfassung gemäss Artikel 73a ArGV 1 und dem besonderen Jahresarbeitszeitmodell vgl. Erläuterungen zu Artikel 13a Absatz 8 weiter unten.]

Art. 13a Abs. 1 Bst. a und abis Damit für die Vollzugsorgane klar ist, wer unter die neuen Bestimmungen fällt, werden neu objektive Kriterien (Lohnhöhe, Ausbildung) zur eindeutigen Bestimmung der betroffenen Arbeitnehmerkategorien festgelegt.

Die Voraussetzung der mehr als 120 000 Franken Bruttojahreseinkommen oder des höheren Bildungsabschlusses gilt für beide Kategorien von Arbeitnehmenden («Arbeitnehmende mit Vorgesetztenfunktion» und «Fachspezialisten»).

Die Kategorie der «Fachspezialisten» ersetzt den vormalig verwendeten Begriff der «Fachpersonen mit wesentlichen Entscheidbefugnissen in ihrem Fachgebiet». Es genügt folglich, dass die Fachspezialisten über besondere Fachkompetenzen verfügen. Eine besondere Verantwortung in ihren Fachgebieten wird nicht mehr vorausgesetzt. Anstelle dessen wurden die Lohngrenze bzw. der Bildungsabschluss als objektivierbare Kriterien festgelegt.

Die Lohngrenze von 120 000 Franken entspricht dem Betrag, wie er in Artikel 73a Absatz 1 Buchstabe b ArGV 1 für den Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung festgelegt wurde. Dort gilt, dass für die Bestimmung des Bruttojahreseinkommens der AHV-pflichtige Lohn des Vorjahres herangezogen wird. Dies bedeutet im Konkre5672

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ten, dass allfällige Bonuszahlungen mitberücksichtigt werden, Sozialzulagen hingegen nicht. Weiter wird in der Verordnung präzisiert, dass sich dieser Betrag bei Teilzeitanstellung anteilsmässig reduziert.

Diese Regeln werden mit Vorteil auch hier zur Anwendung gelangen, um die Komplexität nicht zusätzlich zu erhöhen.

Art. 13a Abs. 1 Bst. d Für die Einführung des besonderen Jahresarbeitszeitmodells braucht es die Zustimmung der Arbeitnehmerschaft. Diese kann individuell oder kollektiv erfolgen. Die individuelle Zustimmung ist ­ im Unterschied zur Lösung für die vereinfachte Arbeitszeiterfassung in Artikel 73b Absatz 3 ArGV 1 ­ unabhängig von der Grösse des Unternehmens möglich. Als Alternative zur individuellen Zustimmung wird ähnlich wie in Artikel 73b Absatz 1 ArGV 1 vorgesehen, dass die Arbeitnehmervertretung bzw. die Mehrheit der betroffenen Arbeitnehmenden dem besonderen Jahresarbeitszeitmodell zugestimmt haben muss. Als Arbeitnehmervertretung kann eine Gewerkschaft, die im Betrieb bereits verankert ist, oder auch die gewählte interne Personalkommission gemäss Mitwirkungsgesetz6 gelten.

Art. 13a Abs. 3 und 4 Die Einführung des besonderen Jahresarbeitszeitmodells hat zur Folge, dass die Höchstarbeitszeit nur noch auf der Referenzperiode eines Kalender- oder eines Geschäftsjahres beruht und nicht mehr, wie im geltenden Recht, auf einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 oder 50 Stunden (vgl. Art. 9 Abs. 1 ArG). Da die Jahresmehrstunden bei einem solchen Jahresarbeitszeitmodell erst am Ende des Kalender- bzw. des Geschäftsjahres feststehen, kommen die Vorschriften des Arbeitsgesetzes und seiner Verordnungen zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit und zur Überzeit nicht zur Anwendung. Dies gilt auch für diejenigen Vorschriften zur Überzeit, die keinen engen Zusammenhang mit der Referenzperiode einer Woche aufweisen.

Dennoch sieht die neue Fassung vor, dass in einer Kalenderwoche als absolute Grenze nicht mehr als 67 Stunden gearbeitet werden dürfen. Zudem wurde ergänzt, dass die jährliche Höchstarbeitszeit während eines Kalender- oder Geschäftsjahres auf mindestens 40 Wochen verteilt werden muss. Auch diese Regel dient dazu, eine allzu grosse Arbeitsbelastung zu vermeiden, die aus der Konzentration der jährlichen Arbeitsstunden auf nur wenige Wochen im Jahr resultieren könnte.

Art. 13a Abs. 8
Gemäss Artikel 6 Absatz 1 ArG ist der Arbeitgeber verpflichtet, zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Im bisherigen Entwurf der Kommission war in Artikel 6 Absatz 4 eine an den Bundesrat gerichtete Kann-Bestimmung zum Erlass von Rege6

SR 822.14

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lungen zum Schutz der Gesundheit besonderer Arbeitnehmergruppen auf Stufe Verordnung enthalten. Diese wird nun wieder gestrichen. Neu wird stattdessen der Arbeitgeber in Artikel 13a Absatz 8 verpflichtet, für Arbeitnehmende, die in einem besonderen Jahresarbeitszeitmodell arbeiten, Präventionsmassnahmen im Bereich Gesundheitsschutz vorzusehen und dabei die psychosozialen Risiken angemessen zu berücksichtigen.

Gemäss geltendem Artikel 6 Absatz 4 ArG kann der Bundesrat durch Verordnung bestimmen, welche Präventionsmassnahmen bezüglich Gesundheitsschutz in den Betrieben zu treffen sind. Der Bundesrat wird daher auch die Kompetenz haben, die gemäss Artikel 13a Absatz 8 ArG erforderlichen Präventionsmassnahmen für Arbeitnehmende mit einem besonderen Jahresarbeitszeitmodell in der entsprechenden Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz7 festzulegen. Die Kompetenz, besondere Präventionsmassnahmen für psychosoziale Risiken zu definieren, hat der Bundesrat bereits nach heutigem Recht.

Seit der Flexibilisierung der Regeln zur Arbeitszeiterfassung durch die Verordnungsrevision vom 4. November 2015 steht in Artikel 73a ArGV 1, dass Gesamtarbeitsverträge, die für bestimmte Kategorien von Arbeitnehmenden den Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung regeln, unter anderem besondere Massnahmen für den Gesundheitsschutz und für die Einhaltung der gesetzlich festgeschriebenen Ruhezeiten vorsehen müssen. Da es für die Umsetzung eines Jahresarbeitszeitmodells grundsätzlich immer einer Arbeitszeiterfassung bedarf, welche es erlaubt, die geleisteten Arbeitsstunden zu zählen (vgl. Art. 13a Abs. 2 ArG), wird die neue Bestimmung von Artikel 13a Absatz 8 keine Auswirkungen auf die sozialpartnerschaftlich vereinbarten besonderen Gesundheitsmassnahmen für Arbeitnehmende ohne Arbeitszeiterfassung haben.

Art. 19a

Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit für Arbeitnehmer mit besonderem Jahresarbeitszeitmodell

Die bewilligungsbefreite Sonntagsarbeit nach eigenem, freien Ermessen wird insofern eingeschränkt, als sie nur erlaubt ist, wenn sie ausserhalb des Betriebs erfolgt.

Damit soll sie auf bestimmte Situationen beschränkt werden wie Homeoffice, Anund Rückreise von Geschäftsterminen und dergleichen.

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SR 822.113

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