19.032 Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus vom 22. Mai 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf des Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2014

M 14.3001

Überprüfung von Personendaten im Abrufverfahren (N 6.5.14, Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen NR; S 8.9.14)

2016

M 16.3213

Kompetenz zur verdeckten Registrierung im SIS. Fedpol muss nicht ausgeschlossen bleiben (N 14.9.16, Romano; S 14.12.16)

2017

M 17.3497

Zentrale Anlauf- und Koordinationsstelle zur Bekämpfung der organisierten und international tätigen Computerkriminalität (N 29.9.17, Dobler; S 14.3.18)

2017

P

Verbesserungen der Ausschaffungsprozesse und Schutz vor Gefährdern (S 8.6.17, Müller Damian)

17.3044

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. Mai 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2018-3811

4751

Übersicht Die Polizei soll für den Umgang mit Personen, von denen eine terroristische Gefährdung ausgeht, mehr Möglichkeiten erhalten. Das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) ergänzt das Instrumentarium der Schweiz in der Terrorismusbekämpfung durch präventive Massnahmen der Polizei.

Ausgangslage Die terroristische Bedrohungslage bleibt in ganz Europa und damit auch in der Schweiz erhöht. Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren ihr Instrumentarium zur Terrorismusbekämpfung verstärkt. Im Jahr 2015 hat der Bundesrat die Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet. Sie verfolgt unter anderem folgende Ziele: Auf schweizerischem Territorium wird Terrorismus verhindert; es erfolgen kein Export und keine Unterstützung von Terrorismus von ihrem Territorium aus; die Schweiz unterstützt das Ausland bei der Verhinderung von Terrorismus und lässt sich von Terroristen nicht erpressen. Mit den in der Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus beschriebenen Massnahmen werden sämtliche Phasen der Radikalisierung einer Person erfasst ­ von den ersten Ansätzen dieser Radikalisierung über eine allfällige Strafverfolgung einschliesslich des Vollzugs der Sanktion bis hin zur Reintegration der Person in die Gesellschaft. Der Bundesrat hat aufgrund einer Analyse des geltenden bundesrechtlichen Instrumentariums die Bereiche identifiziert, in denen das Dispositiv zur Bekämpfung des Terrorismus zu verstärken ist.

Aktuell laufen verschiedene Projekte, um das Dispositiv zu stärken: Im November 2017 haben Bund und Kantone den Nationalen Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP) mit 26 Massnahmen verabschiedet, dessen Umsetzung bereits läuft. Geplant sind unter anderem die Sensibilisierung von Schlüsselpersonen, der Aufbau bzw. die Beibehaltung von Gewaltpräventionsstellen sowie die bessere Vernetzung zwischen den zuständigen Akteuren. Mit einer Teilrevision insbesondere des Strafgesetzbuches soll das Instrumentarium im Bereich der Strafverfolgung gestärkt werden. Die Strafandrohung soll erhöht und das Anwerben, die Ausbildung und das Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat neu unter Strafe gestellt werden. Verstärkt werden soll auch die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen sowie die
Kooperation zwischen den Meldestellen für Geldwäscherei.

NAP, PMT, Strafrecht: Zusammenspiel verschiedener Massnahmen Das vorliegende Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus will das bestehende polizeiliche Instrumentarium ausserhalb eines Strafverfahrens verstärken. Die Massnahmen können vor einem Strafverfahren, nach Beendigung des Strafvollzugs, unter Umständen aber auch ergänzend zu strafprozessualen Ersatzmassnahmen zur Anwendung kommen.

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Ziel der neuen polizeilichen Massnahmen ist es, eine zunehmende Hinwendung zur Gewalt zu verhindern. Dabei verläuft die Interventionskette nicht linear. Von Fall zu Fall sollen Bund und Kantone gemeinsam die passenden Massnahmen beschliessen.

Für die einzelnen Fälle soll ein Case Management eingesetzt werden, das die enge Begleitung einer Person mit den geeigneten Massnahmen ermöglicht.

Die Massnahmen erfolgen subsidiär und komplementär zu sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen der Städte, Gemeinden und Kantone und subsidiär zu kantonalen und kommunalen Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr und zu Massnahmen des Strafrechts. Der Bund nimmt primär eine koordinative und unterstützende Rolle wahr. Die Zuständigkeit zur Führung einzelner Fälle bleibt den zuständigen kommunalen und kantonalen Behörden vorbehalten. Das Zusammenspiel sozialer, integrativer, therapeutischer und polizeilicher Massnahmen auf den verschiedenen Staatsebenen hat sich in anderen Bereichen der Prävention bewährt und ist auch in der Terrorismusbekämpfung richtungsweisend.

Inhalt der Vorlage Die Vorlage sieht folgende verwaltungspolizeiliche Massnahmen vor, welche gegenüber terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern angeordnet werden können: Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht, Kontaktverbot, Ein- und Ausgrenzung, Eingrenzung auf eine Liegenschaft und Ausreiseverbot.

Bekämpfung des Terrorismus ist häufig gleichzeitig eine Bekämpfung krimineller Organisationen. Neu soll das Bundesamt für Polizei (fedpol) die Befugnis erhalten, im Internet und in elektronischen Medien verdeckt fahnden zu können.

Das geltende Ausländer- und Integrationsgesetz sieht vor, dass ausländische Staatsangehörige, deren Wegweisung aus der Schweiz verfügt worden ist, vorübergehend inhaftiert werden können, um den Vollzug dieser Massnahme sicherzustellen. Neu soll dies auch dann möglich sein, wenn die weg- oder ausgewiesene oder des Landes verwiesene Person eine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz darstellt. Zudem soll eine rechtskräftig ausgewiesene Person ­ analog der Landesverweisung ­ künftig nicht mehr vorläufig aufgenommen werden können.

Fedpol muss Personen, von denen angenommen werden muss, dass sie eine schwere Straftat planen oder begehen, im Schengener Informationssystem und im nationalen

4753

Fahndungssystem RIPOL ausschreiben können. Weiter wird der Informationsaustausch zwischen den Behörden durch erweiterte Zugriffsrechte auf die Informationssysteme des Bundes verbessert. Schliesslich soll die Zuverlässigkeitsüberprüfung von Mitarbeitenden von Behörden und Betrieben, die Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens in der Schweiz haben, besser geregelt werden.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.2 Die beantragte Neuregelung 1.3 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 1.3.1 Im Allgemeinen 1.3.2 Weitere Änderungen 1.3.3 Beurteilung der Vernehmlassungsergebnisse 1.4 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 1.5 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen und dem kantonalen Recht 1.6 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

4756 4756 4760 4763 4763 4767 4767 4773

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4782

3

Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.1.1 Finanzielle Auswirkungen 3.1.2 Personelle Auswirkungen 3.1.3 Andere Auswirkungen 3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, Gesellschaft und Umwelt

4839 4839 4839 4840 4842

4

5

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates 4.1 Verhältnis zur Legislaturplanung 4.2 Verhältnis zu Strategien des Bundesrates Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.3 Erlassform 5.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 5.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 5.6 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes 5.7 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 5.8 Datenschutz

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) (Entwurf)

4773 4781

4842 4844 4844 4844 4844 4845 4845 4847 4847 4847 4848 4849 4849 4850 4851

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Terrorismus stellt eine Bedrohung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz und der Freiheitsrechte ihrer Bevölkerung dar. Der dschihadistisch motivierte Terrorismus gibt dem Terrorismus ein neues Gesicht. Er zeigt sich immer mehr als Low-Cost-Terrorismus, der mit bescheidenen Mitteln und wenig Planung auch von Einzeltätern begangen wird. Diese Low-Cost-Anschläge können jede und jeden überall treffen. Im Gegensatz zu terroristischen Organisationen wie (in der Vergangenheit) der Roten Armee Fraktion (RAF) oder der Irish Republican Army (IRA) ist der dschihadistisch motivierte Terrorismus eine globale Bedrohung.

Er fasst die möglichen Angriffsziele sehr weit und nimmt mit seinen Anschlägen generell die Bevölkerung von freiheitlichen, offenen Gesellschaften ins Visier. Zur Erreichung seiner Ziele nutzt er geschickt die Möglichkeiten von Internet und sozialen Medien.

Die terroristische Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS) und Al-Qaïda sowie andere dschihadistisch motivierte Terrororganisationen bleibt weiterhin erhöht ­ auch in der Schweiz. Der IS ruft seine Anhängerinnen und Anhänger explizit dazu auf, Anschläge mit den vorhandenen Mitteln und Fähigkeiten dort zu verüben, wo sie sich gerade befinden. So sind es v. a. hier ansässige Einzelpersonen und Kleingruppen, die von diesen Terrororganisationen inspiriert in der Schweiz Anschläge verüben oder von der Schweiz aus Anschläge im Ausland vorbereiten können. In einem solchen Kontext genügen repressive Massnahmen für die Terrorismusbekämpfung nicht. Die ganze Gesellschaft ist gefordert, den Rechtsstaat und die damit verbundene Freiheit vor dieser Bedrohung zu schützen. Entscheidend ist die Präventionsarbeit zum Erkennen und Verhindern der Radikalisierung einer bestimmten Person in ihrem sozialen Umfeld mit Massnahmen, wie sie der Nationale Aktionsplan vom 4. Dezember 20171 zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP) vorsieht. Radikalisiert sich eine Person weiter, ergreift der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seinerseits Massnahmen zur Erkennung der Bedrohung. Geht von einer radikalisierten Person weiterhin eine Gefahr aus, soll sie mit polizeilichem Zwang an einer bestimmten Tätigkeit gehindert werden. Hier kommen die präventiv-polizeilichen Massnahmen dieser Vorlage über
polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) zur Anwendung. Eine terroristische oder fundamentalistische Ideologie und Gesinnung allein können nicht Auslöser präventiv-polizeilicher Massnahmen sein. Erst wenn die Radikalisierung einer Person in eine terroristische Aktivität überzugehen droht, ist staatliches Handeln angezeigt und gerechtfertigt. Diese Vorlage soll das beste-

1

Abrufbar unter: www.svs.admin.ch > Dokumentation > Nationaler Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (Stand: 11.3.2019).

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hende und geplante Instrumentarium von Bund und Kantonen um zusätzliche präventiv-polizeiliche Massnahmen ergänzen.

Namentlich folgende Personen können eine Gefahr für die innere oder äussere Sicherheit darstellen: ­

Straftäterinnen und Straftäter, die in der Schweiz für Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus rechtskräftig verurteilt wurden, jedoch auch nach dem Straf- und Massnahmenvollzug aufgrund ihrer terroristischen Ideologie die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden;

­

Inhaftierte, die versuchen, Mitinhaftierte zu radikalisieren und in der Absicht zu bestärken, terroristische Anschläge zu begehen;

­

Rekrutierende, die über das Internet versuchen, Personen für die Unterstützung terroristischer krimineller Organisation zu gewinnen und zu terroristischen Aktivitäten zu verleiten;

­

Kämpferinnen und Kämpfer, die aus Konfliktgebieten mit terroristischen Absichten in die Schweiz zurückkehren;

­

ausländische Staatsangehörige, die eine Gefährdung für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz darstellen, jedoch aufgrund des NonRefoulement-Grundsatzes nicht in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat zurückgeführt werden können und deshalb vorerst in der Schweiz bleiben.

Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung ­ Ergänzung des Instrumentariums Angesichts der Bedrohungslage hat der Bundesrat am 18. September 20152 die Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet. Hauptziele der Strategie sind insbesondere die Verhinderung von Anschlägen in der Schweiz, des Exports von Terrorismus aus der Schweiz und der Nutzung der Schweiz als Unterstützungsbasis für Terrorismus. Die Strategie nennt vier Handlungsfelder, mit denen die genannten Ziele erreicht werden sollen: Prävention, Repression, Schutz und Krisenvorsorge. In jedem Handlungsfeld wurden die bestehenden Instrumente analysiert und die vorhandenen Lücken identifiziert.

Prävention: Mit Inkrafttreten des Nachrichtendienstgesetzes vom 25. September 20153 (NDG) am 1. September 2017 verfügt der NDB über wichtige Instrumente zum Erkennen von Bedrohungslagen und sogenannten «Risikopersonen». Die kantonalen Vollzugsbehörden beschaffen gestützt auf das NDG und im Auftrag des NDB auf ihrem Gebiet Informationen. Die Kantone verfügen für diese Aufgaben über eine spezialisierte Dienststelle (kantonaler Nachrichtendienst, KND), die sich in der Regel im jeweiligen Polizeikorps befindet. Diese KND übernehmen in verschiedenen Kantonen auch wichtige Funktionen beim Bedrohungsmanagement dschihadistisch radikalisierter Personen. Die präventiven Massnahmen des NDB dienen dem Erkennen einer Bedrohung durch eine Person. Im Gegensatz dazu auferlegen präventiv-polizeiliche Massnahmen terroristischen Gefährderinnen und

2 3

BBl 2015 7487 SR 121

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Gefährdern bestimmte Verhaltensweisen, die nötigenfalls mit polizeilichem Zwang durchgesetzt werden können.4 Repression: Zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums hat der Bundesrat am 14. September 20185 die Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität zuhanden des Parlaments verabschiedet. Diese Vorlage stellt unter anderem das Anwerben, die Ausbildung und das Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat ­ insbesondere die sogenannten «Dschihadreisen» ­ ausdrücklich unter Strafe. Die terroristische Organisation wird im Strafgesetzbuch6 (StGB) klar definiert (Art. 260ter E-StGB7). Das befristete Bundesgesetz vom 12. Dezember 20148 über das Verbot der Gruppierungen «AlQaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen wird damit in das ständige Recht überführt. Mit der oben genannten Vorlage zur Verhütung des Terrorismus wird das strafrechtliche Instrumentarium zur Verfolgung terroristisch motivierter Handlungen im Sinne des Übereinkommens des Europarats vom 16. Mai 20059 zur Verhütung des Terrorismus vervollständigt.

Terrorismus kann nicht mit den Mitteln des Strafrechts allein bekämpft werden. So genügt die Anpassung des Strafrechts nicht, um das Ziel ­ die Verhinderung von Terrorismus in der Schweiz ­ zu erreichen. Die Radikalisierung von Personen hin zum Terrorismus erfordert frühzeitige staatliche Interventionen, sobald sich sozial auffälliges Verhalten manifestiert. Hierzu hat fedpol ein Sechsphasenmodell der Radikalisierung erstellt (Phase 4 ist aufgeteilt in 4a und 4b: Anklage und Verurteilung):

Es ist entscheidend, dass die kommunalen und kantonalen Behörden in der Frühphase der Radikalisierung soziale, erzieherische, therapeutische, ärztliche oder andere Massnahmen ergreifen, um eine (weitere) Radikalisierung zu verhindern bzw. eine solche rückgängig zu machen.

Zur Bewältigung der von einer radikalisierten Person ausgehenden Bedrohung für Dritte und sich selbst haben verschiedene Kantone eine behördenübergreifende Fallführung (auch «Case Management» oder «Bedrohungsmanagement») eingerichtet oder sind daran, eine solche einzurichten. Im Rahmen der Fallführung wird am runden Tisch unter Beteiligung aller involvierten Behörden (KND, Migrationsamt, 4 5 6 7 8 9

Vgl. zu dieser Abgrenzung die Ausführungen unter Ziff. 1.3.1.

BBl 2018 6427 SR 311.0 BBl 2018 6525 SR 122 BBl 2018 6541

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Sozialamt, Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde usw.) die notwendige Koordination und Kontrolle aller sozialen, erzieherischen, therapeutischen, ärztlichen oder anderen Massnahmen gewährleistet. Dem Grad ihrer Radikalisierung und der damit einhergehenden Gefahr entsprechend können bereits heute im Rahmen einer Fallführung verschiedene Massnahmen gegenüber einer betroffenen Person ergriffen werden.

Der NAP, der vom Sicherheitsverbund Schweiz (SVS) am 24. November 2017 verabschiedet und am 4. Dezember 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, schlägt entsprechende Massnahmen vor und gibt Handlungsempfehlungen ab, wie alle Formen von politisch und ideologisch motivierter Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus erkannt und verhindert werden können. Dieser Aktionsplan wurde gemeinsam mit Städten und Gemeinden erarbeitet, da die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene bei dieser Radikalisierungsprävention zentral ist.

Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren wichtige Schritte zur Umsetzung und Ratifikation einer Reihe internationaler Verträge unternommen, deren gemeinsames Ziel die Bekämpfung und Prävention von Terrorismus ist. Sie leistet heute als Vertragsstaat der internationalen Übereinkommen ihren Beitrag im internationalen Kampf gegen den Terrorismus. Insbesondere aus den jüngsten Übereinkommen ergeben sich Strafbarkeitsketten, welche mit einer ausgeprägten Vorverlagerung der Strafbarkeit einhergehen.

Darüber hinaus sollen mit der vorliegenden Gesetzesvorlage zusätzliche Massnahmen präventiven Charakters geschaffen werden, denen kein konkreter Tatverdacht zugrunde liegen muss. Die Schaffung einer entsprechenden Gesetzesgrundlage verlangt angesichts der Breite der damit verbundenen Einschränkungen fundamentaler Grund- und Menschenrechtsgarantien besondere Sorgfalt. Den Prinzipien der Verhältnismässigkeit und dem Bestimmtheitsgebot wird entsprechend hohe Beachtung geschenkt.

Konkret geht es darum, die neuen polizeilichen Instrumente grund- und völkerrechtskonform auszugestalten und anzuwenden. Von Bedeutung sind hierbei insbesondere das Recht auf persönliche Freiheit, die Meinungsäusserungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie weitere einschlägige Garantien, wie sie in der Konvention vom 4. November 195010 zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten (EMRK), im Internationalen Pakt vom 16. Dezember 196611 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) und in weiteren völkerrechtlichen Übereinkommen sowie im Grundrechtekatalog unserer Bundesverfassung12 (BV; Art. 7­36) enthalten sind.

10 11 12

SR 0.101 SR 0.103.2 SR 101

4759

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1.2

Die beantragte Neuregelung

Mit dem vorliegenden Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus werden Lücken in den Handlungsfeldern «Prävention» und «Schutz» für ein umfassendes Abwehrdispositiv gegen Terrorismus geschlossen: Die präventiv-polizeilichen Massnahmen sollen vorwiegend wie folgt zur Anwendung kommen: ­

vor der Eröffnung eines Strafverfahrens, wenn soziale oder therapeutische Massnahmen zur Verhinderung einer Gefährdung durch die radikalisierte Person nicht (mehr) ausreichen und noch nicht genügend Elemente zur Eröffnung eines Strafverfahrens vorliegen;

­

nach Abschluss des Strafverfahrens und nach dem Vollzug einer Haftstrafe, wenn die Sicherheitsbehörden die verurteilte und aus der Haft entlassene Person nach wie vor als Gefahr für die innere Sicherheit einstufen; sowie

­

während einem hängigen Strafverfahren, wenn keine andere strafprozessuale Massnahme angeordnet wurde, welche dieselbe Wirkung wie eine PMTMassnahmen hat.

Die vorgeschlagenen Massnahmen sollen die Präventionsmassnahmen von Kantonen und Gemeinden gegenüber radikalisierten Personen ergänzen.

Reichen jedoch soziale, integrative oder therapeutische Massnahmen zur Verhinderung der von einer radikalisierten Person ausgehenden Gefahr nicht aus, so müssen adäquate präventiv-polizeiliche Massnahmen angeordnet werden können. Zur Anwendung gelangen Massnahmen des kantonalen Polizeirechts sowie ­ ergänzend hierzu ­ die vorliegend neu vorgeschlagenen Massnahmen. Sie zielen insbesondere darauf ab, radikalisierte und als gefährlich beurteilte Personen an einer Reise in Konfliktgebiete zu hindern (Dokumentensperre, Meldepflicht), ihren Bewegungs4760

BBl 2019

radius einzuschränken (Ein- und Ausgrenzungen) und ihnen den Kontakt zum kriminellen Rekrutierungsumfeld zu unterbinden (Kontaktverbot). Die Massnahmen können lediglich verfügt werden, wenn soziale, integrative oder therapeutische Massnahmen sowie Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr der Gemeinden und Kantone gegenüber einer Gefährderin oder einem Gefährder nicht ausreichen. In diesem Sinne wird dem Grundsatz der Subsidiarität Rechnung getragen.

Gemäss den Empfehlungen des NAP werden die hier vorgeschlagenen polizeilichen Massnahmen das Dispositiv wie folgt ergänzen: ­

Damit das kriminogene Umfeld und die kriminellen Netzwerke, in denen sich radikalisierte Personen bewegen, für die Behörden überhaupt erkennbar werden, soll fedpol radikalisierte Personen zur verdeckten Registrierung in den polizeilichen Informationssystemen ausschreiben können.

­

Zum Erkennen des sogenannten «Crime-Terror-Nexus», d. h. der Verbindungen zwischen der organisierten Kriminalität und terroristischen Netzwerken, muss fedpol in der Lage sein, auch ausserhalb eines Strafverfahrens im Internet und in sozialen Medien verdeckte Fahnderinnen und Fahnder einsetzen zu können.

Die Auswahl und Ausgestaltung der einzelnen Massnahmen orientiert sich weitgehend an vergleichbaren, bereits bestehenden Instrumenten, welche ebenfalls der Abwehr einer Sicherheitsgefährdung durch bestimmte Personen dienen (vgl.

Ziff. 1.3.1).

Mit den neuen Massnahmen wird ein ganzheitliches, multidisziplinäres Bedrohungsmanagement von Bund und Kantonen aufgebaut und gesetzlich verankert.

Dies mit dem Ziel, in jedem Fall die geeignete Kombination von Massnahmen zu beschliessen, damit einer (zunehmenden) Radikalisierung möglichst effektiv entgegengewirkt werden kann.

4761

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4762

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1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

1.3.1

Im Allgemeinen

Ergänzung sozialer, integrativer und therapeutischer Massnahmen Die Terrorismusbekämpfung ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die zahlreiche Massnahmen auf den unterschiedlichsten Ebenen und in verschiedenen Handlungsfeldern erfordert. Zunächst ist es von grundlegender Bedeutung, die Radikalisierung einer Person in einem frühen Stadium zu erkennen und eine weitergehende Radikalisierung zu verhindern. Mit dem NAP werden Massnahmen und Handlungsempfehlungen vorgelegt, um eine politisch und ideologisch motivierte Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus frühzeitig erkennen und bekämpfen zu können. Dennoch ist nicht auszuschliessen, dass einer bestehenden oder sich abzeichnenden Radikalisierung und der von ihr ausgehenden Gefährdung mit sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen nicht ausreichend begegnet werden kann. In solchen Fällen sollen neu präventiv-polizeiliche, spezifisch auf terroristische Bedrohungen zugeschnittene Massnahmen angeordnet werden können.

Diese dienen dazu, unmittelbaren Gefährdungen wirksam begegnen zu können, und haben teilweise selbst einen sozialen und integrativen Charakter (so namentlich die vorgesehene Gesprächsteilnahmepflicht; neuer Art. 23k des Bundesgesetzes vom 21. März 199713 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit [BWIS]).

Nach der Konzeption des vorliegenden Entwurfs sollen die präventiv-polizeilichen Massnahmen die sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen nicht verdrängen, sondern subsidiär und komplementär zur Anwendung gelangen: Präventiv-polizeiliche Massnahmen können nur angeordnet werden, wenn soziale, integrative oder therapeutische Massnahmen allein nicht ausreichend sind, um der von einer Person ausgehenden Gefährdung wirksam zu begegnen. Zudem sind die präventiv-polizeilichen Massnahmen durch soziale, integrative und therapeutische Massnahmen zu begleiten bzw. zu ergänzen. Beispielsweise kann ein kommunales Beschäftigungsprogramm neben einer präventiv-polizeilichen Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht durchgeführt werden. Dieses Zusammenspiel zwischen sozialen, integrativen und polizeilichen Massnahmen hat sich in anderen Bereichen bereits bewährt ­ z. B. bei der Vorbeugung häuslicher Gewalt ­ und soll auch in der Terrorismusbekämpfung richtungsweisend sein.

Anordnungskompetenz des Bundes Die im
BWIS neu vorgesehenen präventiv-polizeilichen Massnahmen werden nach der Konzeption der Vorlage vom Bund (fedpol) angeordnet, während der Vollzug den Kantonen obliegt. In der Vernehmlassung ist die Anordnungskompetenz von fedpol bei den Kantonen grossmehrheitlich auf Zustimmung gestossen, wurde von einer Minderheit der Kantone jedoch kritisiert. Es wurde der Wunsch geäussert, die präventiv-polizeilichen Massnahmen in eigener Kompetenz anordnen zu können.

Allerdings stünde dies nicht mit dem gebotenen Einbezug des Bundes in die präventiv-polizeiliche Terrorismusbekämpfung im Einklang: Die effiziente Bekämpfung 13

SR 120

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terroristischer Bedrohungen setzt ein einheitliches und koordiniertes Vorgehen voraus. Insbesondere ist zu beachten, dass terroristische Gefährderinnen und Gefährder häufig über Kantons- und Landesgrenzen hinaus vernetzt sind und der Informationsaustausch mit in- und ausländischen Behörden eine zentrale Rolle spielt.

Mit der Anordnungskompetenz durch den Bund wird sichergestellt, dass bei der vorbeugenden Bekämpfung terroristischer Aktivitäten die Fäden bei der operativen Koordination Terrorismusbekämpfung (Terrorist Tracking oder kurz TETRA) zusammenlaufen, welche unter der Leitung von fedpol steht. Im Rahmen von TETRA koordinieren und optimieren die in der Terrorismusbekämpfung engagierten Behörden von Bund und Kantonen ihre Arbeit. Auf nationaler Ebene kann dabei eine möglichst vollständige Fallübersicht erreicht werden. Neben fedpol sind folgende Behörden an TETRA beteiligt: Der NDB, die Bundesanwaltschaft (BA), das Krisenmanagementzentrum und die Abteilung Sicherheitspolitik des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV), das Staatssekretariat für Migration (SEM), das Bundesamt für Justiz (BJ), der Führungsstab Polizei (FST P) sowie die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS). TETRA bezieht im jeweiligen Einzelfall weitere behördliche Stellen wie die kantonalen Migrationsämter, Sozialdienste und Strafvollzugsbehörden in die Koordinationstätigkeit mit ein. Damit wird sichergestellt, dass die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten nach einheitlichen Grundsätzen erfolgt und die Vorgehensweise abgestimmt ist.

Abgrenzung zu den Massnahmen des NDB Die Bekämpfung des Terrorismus ist eine klare Priorität des NDB. Er verfügt mit den gesetzlichen Grundlagen im neuen NDG über verschiedene Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung und zum Datenaustausch in diesem Bereich. Im Postulat 17.3044 Müller Damian vom 1. März 2017 «Verbesserungen der Ausschaffungsprozesse und Schutz vor Gefährdern» wird die Frage aufgeworfen, ob der NDB über ausreichende Befugnisse verfügt, um Informationen über Gefährderinnen und Gefährder mit ausländischen Partnerdiensten auszutauschen und um entsprechende Abklärungen gemeinsam mit diesen Diensten zu tätigen. Eine Antwort auf die Frage ist zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht. Wie der Bundesrat
in seinen Stellungnahmen auf die Motionen 17.3730 Walliser vom 26. September 2017 «Permanente Überwachung von Gefährdern» und 17.3779 Amstutz vom 27. September 2017 «Vorladungskompetenz für den Nachrichtendienst des Bundes» festgehalten hat, ist zunächst das am 1. September 2017 in Kraft getretene NDG anzuwenden und es sind die dabei gewonnenen Erkenntnisse zu analysieren.

Im vorliegenden Zusammenhang ist zu beachten, dass die präventiven Massnahmen des NDB ­ oder der gestützt auf das NDG und im Auftrag des NDB tätigen KND ­ dem Erkennen einer Bedrohung durch eine Person oder Personengruppe dienen und keinen Einsatz unmittelbaren Zwangs vorsehen. Im Gegensatz dazu auferlegen die neuen präventiv-polizeilichen Massnahmen terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern bestimmte Pflichten, die nötigenfalls mit polizeilichem Zwang durchgesetzt werden können. Diese vom Gesetzgeber gewollte Trennung zwischen dem Beschaffen von Informationen über eine Person durch den NDB und der Anordnung polizeilicher Massnahmen gegenüber einer Person widerspiegelt sich in der organi4764

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sationsrechtlichen Trennung von NDB/KND und fedpol. Zum Beispiel ist es nicht der NDB, der Einreiseverbote und Ausweisungen gegenüber terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern erlässt, sondern fedpol ­ nach Anhörung des NDB (Art. 67 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 1 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 200514 [AIG]). Diese Aufgabenteilung hat sich bewährt und soll mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf fortgeführt werden. Zu beachten bleibt, dass sich die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung und die Durchführung präventiv-polizeilicher Massnahmen gegenseitig nicht ausschliessen, sondern ergänzen.

Ergänzung des strafrechtlichen und strafprozessualen Instrumentariums Die präventiv-polizeilichen Massnahmen nach den Artikeln 23k­23q E-BWIS stehen im Dienste der Abwehr terroristischer Gefahren. Sie haben keine pönale Wirkung und setzen weder die Einleitung noch den Abschluss eines Strafverfahrens voraus. Sie sollen verhindern, dass terroristische Straftaten begangen werden. Im Unterschied zu strafprozessualen Massnahmen können sie auch gegenüber Personen angeordnet werden, die noch nicht straffällig geworden sind.

Strafprozessuale Zwangsmassnahmen können hingegen erst bei Vorliegen eines strafrechtlich relevanten Verdachts ergriffen werden. Häufig bestehen zu Beginn bloss Anhaltspunkte für terroristische Gefährdungen. Diese haben sich noch nicht zu einem eigentlichen Verdacht verdichtet, sollen aber angesichts der potenziell schweren Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit nicht ignoriert werden. Die von der Strafprozessordnung15 (StPO) wegen Ausführungsgefahr vorgesehene Haft (Art. 221 Abs. 2 StPO) relativiert den Bedarf an präventiv-polizeilichen Massnahmen, einschliesslich der Eingrenzung auf eine Liegenschaft, nur bedingt. Zwar setzt die Haft wegen Ausführungsgefahr keinen Tatverdacht auf ein bereits begangenes Delikt voraus ­ sie kann bereits angeordnet werden, wenn die konkrete Gefahr der Tatbegehung besteht. Artikel 221 Absatz 2 StPO setzt jedoch die (explizite oder konkludente) Drohung der Person voraus, ein schweres Verbrechen auszuführen. 16 Bezogen auf terroristische Gefährderinnen und Gefährder dürfte es jedoch regelmässig am Vorliegen einer solchen Drohung mangeln.

Zudem gibt es Verhaltensweisen, die für sich genommen noch keine Strafbarkeit begründen,
aber dennoch Ausdruck einer fortgeschrittenen Radikalisierung sind und denen mit sozialen, integrativen und therapeutischen Massnahmen allein nicht wirksam begegnet werden kann. Zu denken ist sodann an den Fall, dass eine Person ihre Strafe wegen eines terroristisch motivierten Delikts zwar verbüsst hat, aber aufgrund ihrer unverändert terroristischen Einstellung die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nach wie vor gefährdet. Problematisch sind dabei auch diejenigen Fälle, in denen gegenüber einer Person die Landesverweisung (Art. 66a oder 66abis StGB oder Art. 49a oder 49abis des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 192717 [MStG]) angeordnet wurde, diese jedoch wegen des Non-Refoulement-Prinzips nicht vollzogen werden kann. Obwohl die Person in solchen Fällen gegenwärtig 14 15 16 17

SR 142.20 SR 312.0 BGE 137 IV 339 E. 2.4 S. 340 SR 321.0

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(noch) keine strafbaren Handlungen vornimmt, muss es mit Blick auf die Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit möglich sein, von ihr ausgehende terroristische Aktivitäten präventiv zu bekämpfen, sofern sich eine konkrete Gefährdung nachweisen lässt.

Selbst während eines laufenden Strafverfahrens kann ausnahmsweise ein Bedürfnis nach PMT-Massnahmen bestehen (vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 23f E-BWIS).

Bei der Anordnung und Auswahl einer präventiv-polizeilichen Massnahme muss in jedem Fall geprüft werden, ob damit allenfalls gewichtige Interessen der Strafverfolgung tangiert werden. Fedpol und die zuständige Staatsanwaltschaft müssen das Vorgehen untereinander absprechen.

Orientierung am Bewährten Die vorgeschlagenen Massnahmen orientieren sich weitgehend an vergleichbaren, auf der Ebene von Bund und Kantonen bereits bestehenden Instrumenten zur Abwehr künftiger Gefährdungen: ­

Ausreisebeschränkungen werden bereits heute von fedpol gegen Personen verfügt, sofern konkrete und aktuelle Tatsachen die Annahme begründen, dass sie sich im Bestimmungsland an Gewalttätigkeiten an Sportveranstaltungen beteiligen werden (Art. 24c BWIS).

­

Ein- und Ausgrenzungen gemäss Artikel 74 AIG können gegenüber ausländischen Personen ohne Bewilligung dann angeordnet werden, wenn sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder gefährden.

­

Kontakt- und Rayonverbote können gestützt auf Artikel 67b StGB verfügt werden, wenn jemand ein Verbrechen oder Vergehen gegen eine oder mehrere bestimmte Personen oder gegen Personen einer bestimmten Gruppe begangen hat und die Gefahr besteht, dass er bei einem Kontakt zu diesen Personen weitere Verbrechen oder Vergehen begehen wird.

­

Verschiedene Schutzmassahmen wie Ausgrenzungen und Kontaktverbote finden sich zudem im Bereich der Bekämpfung der häuslichen Gewalt (vgl. z. B. § 3 des Gewaltschutzgesetzes vom 19. Juni 2006 des Kantons Zürich [GSG]; LS 351).

Subsidiäre Rolle des Bundes Angesichts der Bedrohungen der inneren oder äusseren Sicherheit ist ein Tätigwerden des Bundes angezeigt. Die neuen präventiv-polizeilichen Massnahmen sollen jedoch nicht nur subsidiär und komplementär zu sozialen, integrativen und therapeutischen Massnahmen zur Anwendung gelangen. Sie sollen auch subsidiär zu kantonalen Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr und unter möglichst weitgehender Berücksichtigung und Schonung kantonaler Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche eingesetzt werden. Die Terrorismusbekämpfung ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die im Verbund unter Berücksichtigung bestehender Strukturen zu erfüllen ist. Diese Vorlage ermöglicht das wirkungsvolle Ineinandergreifen neuer präventiv-polizeilicher Massnahmen mit den bestehenden Massnahmen des Abwehrdispositivs von Städten und Gemeinden sowie der Kantone. Unter 4766

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Wahrung des Subsidiaritätsprinzips nimmt der Bund eine koordinative und unterstützende Rolle ein. Wie der vorliegende Entwurf zeigt, sind es ­ vom Antragsrecht des NDB abgesehen ­ die Kantone, welche dem Bund den Erlass präventivpolizeilicher Massnahmen beantragen. Zudem bleibt die Kompetenz zur Führung einzelner Fälle (das sog. Bedrohungs- oder Case-Management) den zuständigen kommunalen und/oder kantonalen Behörden vorbehalten.

1.3.2

Weitere Änderungen

Die Vorlage wird zum Anlass genommen, um ausserhalb des BWIS weitere Anpassungen an geltenden Gesetzen vorzunehmen, die sich im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus aufdrängen. So wird im AIG und im Asylgesetz vom 26. Juni 199818 (AsylG) sichergestellt, dass Personen, die von fedpol mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung (Art. 68 AIG) belegt wurden, künftig gleichbehandelt werden wie Personen mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung19. Weiter wird im AIG für die Vorbereitungshaft (Art. 75 AIG) und die Ausschaffungshaft (Art. 76 AIG) ein zusätzlicher Haftgrund der Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz geschaffen.

Besonders hinzuweisen ist weiter auf die Neuerungen im Bundesgesetz vom 7. Oktober 199420 über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten (ZentG). Die Bekämpfung komplexer und grenzüberschreitender Kriminalität wie Terrorismus im heutigen Umfeld mit Internet und sozialen Medien erfordert einerseits neuer Zusammenarbeitsstrukturen und -formen und andererseits eine umfassende Koordination zwischen Bund und Kantonen. Die Anpassungen im ZentG bieten die Grundlage für diese Herausforderungen der polizeilichen Zusammenarbeit zwischen den Staatsebenen.

1.3.3

Beurteilung der Vernehmlassungsergebnisse

Am 8. Dezember 2017 verabschiedete der Bundesrat den Vorentwurf zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) und ermächtigte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zur Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens. Dieses dauerte vom 8. Dezember 2017 bis 28. März 2018.21 Alle Kantone sehen einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf und befürworten die Vorlage im Grundsatz. Zahlreiche Kantone wünschen vor allem Präzisierungen hinsichtlich der Finanzierung und der Zusammenarbeit mit dem Bund. Teilweise wird die Zustimmung zur Vorlage unter dem Vorbehalt der Kostenübernahme für 18 19 20 21

SR 142.31 Vgl. Erläuterung zu Art. 83 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 2005.

SR 360 Der Vernehmlassungsbericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2017 > EJPD.

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den Vollzug präventiv-polizeilicher Massnahmen durch den Bund erteilt. In der Vernehmlassung ist die Anordnungskompetenz von fedpol bei den Kantonen grossmehrheitlich auf Zustimmung gestossen, von einer Minderheit der Kantone aber kritisiert worden. Befürchtet wurde insbesondere eine Übersteuerung der kantonalen oder kommunalen Fallführung.

Die folgenden 4 Parteien sehen einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf: BDP, CVP, FDP und SVP. Die SP steht der Vorlage «kritisch zustimmend» gegenüber.

Zwei Parteien (GLP, GPS) und 6 Organisationen (Amnesty Int., humanrights.ch, grundrechte.ch, Digit. Gesellschaft, DJS, JP) verneinen ausdrücklich einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Sie stellen zwar die Notwendigkeit von angemessenen Abwehrmassnahmen angesichts neuartiger terroristischer Bedrohung nicht in Frage, erachten aber das bestehende Instrumentarium als ausreichend.

Anpassung des Vernehmlassungsentwurfs Die wichtigsten Entscheide, die im Rahmen der Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse getroffen wurden, sind die folgenden: ­

Einführung des Begriffs «terroristische Gefährderin oder terroristischer Gefährder» auf Gesetzesstufe, was die Voraussetzungen für den Erlass präventiv-polizeilicher Massnahmen präzisiert und Rechtssicherheit schafft (vgl. Erläuterungen zu Art. 23e E-BWIS);

­

Schaffung einer ausdrücklichen Grundlage für eine Zuverlässigkeitsüberprüfung des Personals von Luftverkehrsunternehmen und Flughafenhaltern (vgl. Erläuterungen zum neuen Art. 108b des Luftfahrtgesetzes vom 21. Dezember 194822 [LFG]); sowie

­

verschiedene Ergänzungen am Normtext mit dem Ziel, die neuen Regelungen präziser zu formulieren (vgl. dazu die Erläuterungen zu den jeweiligen Artikeln).

Verzichtet wird auf die im Vernehmlassungsverfahren angeregte Einführung einer gesicherten Unterbringung für Gefährderinnen und Gefährder: Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) sowie die Kantone AR, BL, GL, GR, SH, SO, TG und VS regten in der Vernehmlassung an, die Einführung einer sogenannten gesicherten Unterbringung für terroristische Gefährderinnen und Gefährder (GUG) in Betracht zu ziehen. Die GUG soll sicherstellen, dass Personen, welche rechtskräftig wegen terroristischer Straftaten verurteilt sind und die auch nach Verbüssen ihrer Strafe weiterhin ein konkretes und ernsthaftes Rückfallrisiko für schwere Gewaltstraftaten aufweisen, nicht ohne nachfolgende Sicherungsmassnahmen aus dem Strafvollzug entlassen werden. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Motion 16.3673 der Fraktion der SVP «Umgang mit staatsgefährdenden Personen», welche (u. a.) die Möglichkeit einer Inhaftierung terroristischer Gefährderinnen und Gefährder verlangt. Die Frage einer Präventivhaft wurde auch in der Interpellation 16.3795 Pfister «Freigelassene verurteilte Dschihadisten. Gesetzeslücken schliessen» aufgeworfen.

22

SR 748.0

4768

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Die vorliegende Gesetzesvorlage zielt darauf ab, Lücken des gegenwärtigen Rechts im Umgang mit terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern zu schliessen. Der Bundesrat hat das Anliegen der Vernehmlassungsteilnehmer nach Einführung einer GUG vertieft geprüft, ist allerdings zum Schluss gekommen, dass die Ziele einer GUG mit den verschiedenen heute bereits zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Anordnung von Haft und weiteren Freiheitsbeschränkungen erreicht werden können. Zunächst sei auf die vom Bundesrat vorgeschlagene Erhöhung des Strafrahmens für die Beteiligung an und die Unterstützung von terroristischen Organisationen verwiesen (Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe, im qualifizierten Fall bis zu 20 Jahre Freiheitsstrafe; Art. 260ter Abs. 2 und 3 E-StGB).23 Damit soll im Bereich des Terrorismus eine wichtige Lücke im Strafrecht geschlossen werden. Zu erwähnen ist weiter die gestützt auf das kantonale Polizeirecht mögliche Ingewahrsamnahme von Personen. Gegenüber Ausländerinnen und Ausländern kann zudem gestützt auf das AIG eine ausländerrechtliche Haft (z. B. Ausschaffungshaft) angeordnet werden (Art. 75 ff. AIG). Diesbezüglich hat der Bundesrat eine Lücke in Fällen einer Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit identifiziert, die mit dieser Vorlage geschlossen werden soll (Art. 75 Abs. 1 Bst. i, Art. 76 Abs. 1 Bst. b Ziff. 1 und Art. 76a Abs. 2 Bst. j E-AIG). Zu nennen ist ferner die fürsorgerische Unterbringung (Art. 426 ff. des Zivilgesetzbuchs24 [ZGB]), die zur Anwendung gelangen kann, wenn eine terroristische Gefährderin oder ein terroristischer Gefährder unter einer psychischen Störung oder einer geistigen Behinderung leidet und durch sein Verhalten sich selbst und allenfalls gleichzeitig Dritte gefährdet. Zentral ist schliesslich die gestützt auf Artikel 64 StGB mögliche Verwahrung. Diese kann unter der Voraussetzung angeordnet werden, dass die Täterin oder der Täter ein schweres Delikt begangen hat wie Mord, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat, durch die sie oder er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte; überdies muss ernsthaft zu erwarten sein, dass die Täterin oder der
Täter weitere Taten dieser Art begeht.

In dieser Vorlage wird zudem mit der Eingrenzung auf eine Liegenschaft eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit unabhängig vom Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung vorgesehen. Die Eingrenzung steht auch gegenüber Personen als Instrument zur Verfügung, die eine Freiheitsstrafe verbüsst haben, soweit von ihnen (nach wie vor) eine terroristische Gefahr ausgeht. Vorausgesetzt ist, dass die betroffene Person nach der Haftentlassung einer PMT-Massnahme unterworfen wurde und gegen diese verstossen hat (vgl. zu diesem Mechanismus die Erläuterungen zu Art. 23o E-BWIS). Die Eingrenzung auf eine Liegenschaft kann zudem für einen längeren Zeitraum als der gestützt auf kantonales Recht mögliche, zeitlich regelmässig eng begrenzte Polizeigewahrsam angeordnet werden.

23

24

Vgl. Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, BBl 2018 6427 sowie 6525 (Bundesbeschluss).

SR 210

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Im Ergebnis lässt sich nach Ansicht des Bundesrates keine Lücke ausmachen, welche durch die Einführung einer GUG im eingangs erwähnten Sinn geschlossen werden müsste. Dem mit der GUG verfolgten Anliegen kann insbesondere durch die Verwahrung Rechnung getragen werden, was freilich voraussetzt, dass diese konsequent beantragt und angeordnet wird. Dass es einer GUG nicht bedarf, ist anhand einiger typischer Fallkonstellationen aufzuzeigen: Fall 1: Terroranschlag in einer Innenstadt. Ein 29-jähriger Täter eröffnet mitten im abendlichen Gedränge das Feuer und sticht mit einem Messer auf Passanten ein.

Laut Zeugenaussagen soll er dabei «Allahu akbar» gerufen haben. Er tötet fünf Personen und verletzt weitere schwer.

In dieser Fallkonstellation besteht kein Bedürfnis nach einer GUG: Möglich wäre eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB. Ab Entlassung aus der Verwahrung wird eine Probezeit angesetzt und es können nach Artikel 93 ff. StGB Bewährungshilfe und Weisungen erteilt werden. Während der Probezeit ist eine Rückversetzung in den Freiheitsentzug u. a. bei Missachtung einer Weisung möglich (Art. 95 Abs. 5 StGB) oder wenn von der betroffenen Person «ernsthaft zu erwarten [ist]», dass sie «weitere Straftaten im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 begehen könnte» (Art. 64a Abs. 3 StGB).

Fall 2: Ein 24-jähriger Mann mit Schweizer Staatsbürgerschaft konvertiert zum Islam. Er radikalisiert sich bald, trifft in einer Moschee mit Extremisten zusammen und verlässt die Schweiz Richtung Irak und Syrien. Dort schliesst er sich der Gruppierung «Islamischer Staat» (IS) an. Nachdem er das IS-Training absolviert hat, wird er einem Kampfbataillon zugeteilt. Er beharrt darauf, nie für den IS gekämpft und nie jemanden getötet zu haben. Gegenwärtig befindet er sich in Nordsyrien, in einem geschlossenen Camp für IS-Kämpfer. Er will zurück in die Schweiz.

Falls der betroffenen Person schwerwiegende Delikte wie Mord oder Vergewaltigung nachgewiesen werden können, ist eine Verwahrung grundsätzlich möglich.

Kann lediglich die Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Organisation nach Artikel 260ter E-StGB25 oder deren Unterstützung nachgewiesen werden, sind die Voraussetzungen für die Anordnung einer Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1 StGB hingegen grundsätzlich nicht erfüllt.

Fall 3: In einer Kirche in der Innenstadt
berichtet ein junger Mann einem Seelsorger von einem terroristischen Auftrag, den er auszuführen habe. Er gibt vor, eine Schusswaffe mit sich zu führen, mit der er im Auftrag einer Terrororganisation Leute erschiessen solle. Ausserdem würde sich in seinem Rucksack, den er bei den Sitzbänken der Kirche habe stehen lassen, eine Bombe befinden. Nach Benachrichtigung der Polizei wird die Kirche evakuiert und das Gebiet um die Kirche aus Sicherheitsgründen abgesperrt. Die von der Person mitgeführten Gegenstände erweisen sich später als Attrappen.

Eine echte terroristische Bedrohung ist von der Person ­ jedenfalls rückblickend betrachtet ­ nicht ausgegangen. Vielmehr ist zu prüfen, ob eine psychische Störung vorliegt. In der ersten Phase der Gefährdung ist ein Freiheitsentzug gestützt auf kantonales Polizeirecht möglich, wenn nicht ohnehin im Rahmen eines eröffneten 25

BBl 2018 6525

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Strafverfahrens Untersuchungshaft angeordnet wurde. Anlässlich des Strafverfahrens ist eine Massnahme ­ z. B. eine stationäre therapeutische Massnahme (Art. 59 StGB) ­ zu prüfen. Bei deren Aufhebung bleibt die Möglichkeit der Anordnung einer ­ allenfalls freiheitsbeschränkenden ­ Massnahme des Erwachsenenschutzrechts (Art. 62c Abs. 5 StGB).

Fall 4: Ein junger Mann tritt gegenüber Schulkollegen wiederholt gewalttätig in Erscheinung. Auch schottet er sich gegenüber den «Ungläubigen» ab und beginnt zu predigen, mit der Forderung nach einer Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Einrichtung eines Staates auf Grundlage der «Sharia». Er äussert Verständnis dafür, dass einige Muslime auf Angriffe gegen den Islam mit Gewalt reagieren. Er nimmt über das Internet immer häufiger Kontakt zu Personen auf, die nach Predigern von Gewalt und Hass suchen.

Dieses Verhalten liegt unterhalb der Strafbarkeitsschwelle und zieht keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich. Ein Bedürfnis nach Sicherheitsmassnahmen im Anschluss an einen Strafvollzug besteht somit zum Vornherein nicht. Vielmehr sind in der vorliegenden Konstellation im Einklang mit den NAP-Empfehlungen in erster Linie Massnahmen in den Bereichen Jugend- und Sozialarbeit zu prüfen. Reichen diese nicht aus, können PMT-Massnahmen verfügt werden. Deren Nichteinhaltung ist nach Artikel 29a E-BWIS strafbar und zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich. Mit diesem Wechsel in den repressiven Bereich und den dort anwendbaren strafprozessualen Zwangsmassnahmen vermindert sich das Bedürfnis nach weiteren präventiven Massnahmen.

Fall 5: Ein junger Mann war in seiner Jugend bereits sehr gewaltbereit und kam deswegen wiederholt in Konflikt mit dem Gesetz. Seine Mitschülerinnen und schüler beschreiben ihn als aufbrausende und unberechenbare Person. Mit 15 Jahren zieht er in den Dschihad nach Syrien. Nach dreijährigem Aufenthalt kehrte er von dort zurück in die Schweiz. Hier wird er durch das Bundesstrafgericht für mehrere strafbare Handlungen mit terroristischem Hintergrund verurteilt. Unter anderem hatte er darauf hingewirkt, eine terroristische Zelle in Europa zu errichten. Im Strafvollzug vollzieht er keinen Gesinnungswandel. Er äussert sich gegenüber Mitinhaftierten dahingehend, dass terroristische Gewaltanwendung legitim sein
könne. Nach Beendigung des Freiheitsentzugs wird als Bewährungsauflage neben der psychologischen Betreuung ein Kontaktverbot mit bestimmten gewaltbereiten Personengruppen angeordnet. Diese Verpflichtung hält er stets ein, weshalb er nach drei Jahren endgültig aus dem Vollzug entlassen wird. Kurz darauf lernt er einen Prediger kennen, der ihn dazu bringt, erneut der gewaltsamen Ideologie zu verfallen. Er fällt in alte Verhaltensweisen zurück und sucht im Internet Gleichgesinnte, die sich positiv zu terroristischen Anschlägen äussern. Ausserdem erwirbt er diverse Messer.

Soweit sich die Person noch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle bewegt, ist dieser Fall vergleichbar mit Fall 4: Ein Anwendungsfall für die GUG im Sinne einer nachträglichen Sicherungsmassnahme nach dem Strafvollzug liegt nicht vor. Zu prüfen ist auch in diesem Fall, ob auf die betroffene Person mit sozialen oder therapeutischen Massnahmen positiv eingewirkt werden kann oder allenfalls PMT-Massnahmen erlassen werden müssen.

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Grundsätzlich stellt sich die Frage der EMRK-Konformität einer GUG. Zu dieser Frage hat Prof. Dr. Andreas Donatsch im Auftrag der KKJPD und des EJPD im Frühjahr 2019 ein Gutachten vorgelegt. Dieses kommt zum Schluss, dass eine GUG nicht EMRK-konform umsetzbar ist. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Eingrenzung auf eine Liegenschaft kann hingegen EMRK-konform angewandt werden, da die Anordnung voraussetzt, dass die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder eine weniger einschneidende Massnahme wie ein Kontaktverbot oder eine Meldepflicht verletzt hat. Es liegt ein Anwendungsfall von Artikel 5 Ziffer 1 Buchstabe b EMRK vor («Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung»; siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 23o E-BWIS). Die Eingrenzung auf eine Liegenschaft wird zudem von engen Voraussetzungen abhängig gemacht und unterliegt richterlicher Kontrolle. Sie reicht für die verfolgten Zwecke aus. In Abwägung der Interessen von Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit erachtet der Bundesrat das vorgeschlagene Instrumentarium einschliesslich der Eingrenzung auf eine Liegenschaft insgesamt als verhältnismässig und ausreichend (vgl. dazu auch die Ausführungen zu Art. 23o E-BWIS). Die KKJPD unterstützt den Vorschlag des Bundesrates.

Gesamthafte Beurteilung Die Terrorismusabwehr bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Dies gilt besonders dann, wenn es sich ­ wie im vorliegenden Entwurf ­ um präventive Massnahmen zur Bekämpfung terroristischer Aktivitäten handelt. Mit Blick auf die aktuellen Bedrohungen und identifizierten Lücken in der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten ist es aus Sicht des Bundesrates notwendig, das präventivpolizeiliche Instrumentarium zu verstärken und zu ergänzen. Gleichzeitig sind die Massnahmen von klaren und vorhersehbaren Voraussetzungen abhängig zu machen.

Angesichts der einschneidenden Wirkung der neuen Massnahmen kommt der strikten Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze eine zentrale Bedeutung zu: Die einzelnen Massnahmen schränken verschiedene in der Bundesverfassung und durch das Völkerrecht garantierte Grund- und Menschenrechte ein. Ferner ist zu berücksichtigen, dass eine erfolgreiche Bekämpfung terroristischer Aktivitäten sich nicht auf präventiv-polizeiliche und repressive Massnahmen beschränken kann und darf, sondern
auch den umfassenden Einsatz sozialer, integrativer und therapeutischer Massnahmen erfordert. Schliesslich hat der Bund auch bei der Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit die Aufgaben- und Kompetenzbereiche der Kantone zu respektieren.

Der Bundesrat ist der Auffassung, mit der Vorlage einen angemessenen und ausgewogenen Weg zwischen der Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz und ihrer Bevölkerung sowie dem Schutz der Freiheitsrechte der betroffenen Personen gefunden zu haben. Mit der subsidiären Rolle des Bundes werden den Kantonen gleichzeitig hinreichende Entscheidungsspielräume belassen. Im Übrigen sind die neuen präventiv-polizeilichen Massnahmen so konzipiert, dass sie ergänzend zu sozialen, integrativen und therapeutischen Massnahmen zur Anwendung gelangen müssen. Mit der unterbreiteten Vorlage sollen diese Massnahmen nicht verdrängt, sondern in ihrer Bedeutung gestärkt werden (vgl. dazu insbesondere die Erläuterungen zu Art. 23f E-BWIS).

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1.4

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Die Umsetzung der durch die Vorlage vorgesehenen Massnahmen zum Schutz der Schweiz und ihrer Bevölkerung vor terroristischen Bedrohungen ist mit Kosten sowohl für den Bund als auch die Kantone verbunden. Präventiv-polizeiliche Massnahmen haben die Verhinderung von terroristischen Aktivitäten zum Ziel. In diesem Sinne sollen sie unter anderem repressive Massnahmen vorbeugen bzw. ersetzen.

Ein Strafverfahren ist für den Staat in der Regel erheblich teurer als die Umsetzung von polizeilichen Massnahmen. Es ist davon auszugehen, dass dies auch für PMTMassnahmen gelten wird. So wäre ein Freiheitsentzug in einer Haftanstalt erheblich teurer als die Massnahme der Eingrenzung auf eine Liegenschaft. Es ist auch der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden zu bedenken, den ein terroristischer Anschlag verursachen kann. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass Massnahmen ergänzend zu bestehenden Massnahmen angeordnet werden sollen, zeitlich begrenzt sind und dafür weitestgehend auf bestehende Strukturen zurückgegriffen werden soll. Mit Blick auf die aktuelle Bedrohungslage und die potenziell weitreichenden Auswirkungen terroristischer Aktivitäten auf Einzelpersonen, die Gesellschaft und den Staat steht der mit der Umsetzung der PMT-Massnahmen verbundene finanzielle Aufwand nach Auffassung des Bundesrates in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Vorlage verfolgten Zielen.

1.5

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen und dem kantonalen Recht

Internationaler Rechtsvergleich Im Auftrag von fedpol hat das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung (SIR) ein Gutachten bezüglich Massnahmen zur Terrorismusprävention erstellt. Dieses Gutachten untersucht die Rechtslage in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich sowie dem Vereinigten Königreich.26 Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich wurden für den Rechtsvergleich ausgewählt, da sie zu den Nachbarstaaten der Schweiz zählen und über eine ähnliche Rechtstradition wie die Schweiz verfügen.

Bei Deutschland und Frankreich kommt hinzu, dass die beiden Länder in der Vergangenheit stark vom Terrorismus betroffen waren. Das Vereinigte Königreich hat eine langjährige Erfahrung im Umgang mit terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern.

Zusammenfassend hat das SIR-Gutachten zu folgenden Ergebnissen geführt: Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht Eine speziell zur Terrorismusprävention geschaffene umfassende Rechtsgrundlage für eine Meldepflicht haben das Vereinigte Königreich und neuerdings auch Frankreich. Die Voraussetzungen hierfür sind im Vereinigten Königreich dieselben wie 26

J. Fournier / J. Curran / J. Frosinski / A.-C. Pierrat / I. Pretelli / N. Straimer/ C. Viennet, Massnahmen zur Terrorismusprävention, 22. Mai 2018, Institut suisse de droit comparé, Avis ISDC 15-195c, abrufbar unter www.isdc.ch.

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für alle Massnahmen nach dem Terrorism Prevention and Investigation Measures Act 2011. In Frankreich existieren zwei verschiedene Rechtsgrundlagen im Code de la sécurité intérieure. Eine für zurückkehrende Personen, welche im Verdacht stehen, die öffentliche Sicherheit zu gefährden, und eine für Personen, die verdächtigt werden, terroristische Straftaten begehen zu wollen. Zudem kann in Frankreich zum Zwecke der Terrorismusprävention eine Person verpflichtet werden, ihre Adresse regelmässig zu bestätigen, wenn sie wegen einer terroristischen Tat verfolgt oder verurteilt wurde und deswegen in einem entsprechenden Register eingetragen ist. Zwar existiert seit 2016 auch in Deutschland eine Meldeauflage zur Verhinderung terroristischer Straftaten, diese betrifft jedoch nur Ausländerinnen und Ausländer, die aus Gründen der inneren Sicherheit das Land verlassen sollen. Daneben gibt es in Deutschland im allgemeinen Polizeirecht die Möglichkeit, eine Meldeauflage zu erlassen. Auch das italienische Recht kennt die Möglichkeit, eine Meldeauflage zu erlassen. Diese bezieht sich jedoch nicht spezifisch auf terroristische Taten.

Kontaktverbot Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Frankreich und in Deutschland existiert die Möglichkeit, im Rahmen der Terrorismusprävention ein Kontaktverbot zu erlassen. Im Vereinigten Königreich gelten hierfür die gleichen Voraussetzungen wie für alle Massnahmen nach dem Terrorism Prevention and Investigation Measures Act 2011. Frankreich hat zwei entsprechende Rechtsgrundlagen im Code de la sécurité intérieure eingefügt, welche den Kontakt zu zurückkehrenden Personen betreffen, die verdächtigt werden, die öffentliche Sicherheit gefährden zu wollen, und zu Personen, die verdächtigt werden, terroristische Straftaten begehen zu wollen. Zudem kann Ausländerinnen und Ausländern ein Kontaktverbot zu Personen im Zusammenhang mit terroristischen Taten auferlegt werden, wenn sie auf eine Liegenschaft eingegrenzt wurden oder mit einem Einreiseverbot belegt sind. Im deutschen Recht kann im Rahmen des Zuständigkeitsbereichs der Bundespolizei ein präventives Kontaktverbot zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus oder zur Verhütung terroristischer Straftaten verhängt werden. Auch das deutsche Bundesland Baden-Württemberg hat eine vergleichbare Regelung erlassen. In
Österreich existiert eine Regelung für ein Kontaktverbot, um bereits verurteilte Personen von neuen Straftaten abzuhalten. In Italien kann der Kontakt zu Personen verboten werden, die wegen eines Verbrechens verurteilt wurden oder die Präventivmassnahmen unterliegen.

Ein- und Ausgrenzung Zwar kennen alle hier untersuchten Rechtsordnungen die präventive Ein- oder Ausgrenzung, jedoch gibt es nur in Frankreich, im Vereinigten Königreich und in Deutschland (im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr sowie im Bundesland Baden-Württemberg) spezielle Regelungen bezüglich Terrorismusprävention. In Italien dienen die Massnahmen grösstenteils der Prävention von schweren Straftaten, die mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. In Österreich scheinen derzeit nur allgemeine polizeirechtliche Massnahmen zu bestehen.

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Ausreiseverbot Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und das Vereinigte Königreich verfügen alle über Regelungen, die es ermöglichen, Ausweise zu sperren oder einzuziehen, um Personen davon abzuhalten, zu terroristischen Zwecken das jeweilige Staatsgebiet zu verlassen.

Eingrenzung auf eine Liegenschaft / Hausarrest Lediglich in Deutschland gibt es derzeit keine Regelung, auf deren Grundlage es möglich wäre, präventiven Hausarrest anzuordnen. Von den anderen vier Rechtsordnungen verfügen Frankreich und das Vereinigte Königreich über entsprechende Massnahmen zur Terrorismusprävention. In beiden Rechtsordnungen darf der Hausarrest jedoch lediglich zeitlich beschränkt angeordnet werden. Im Vereinigten Königreich wird der Übernachtungsort festgelegt, welcher entweder die Wohnung der betroffenen Person oder eine vom Innenministerium zur Verfügung gestellte Wohnung sein muss. Dabei müssen auch die für die anderen Massnahmen der Terrorismusprävention erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Im französischen Recht erlauben sowohl eine Bestimmung des Code de la sécurité intérieure als auch eine des Code de procédure pénale präventiven Hausarrest, welcher gemäss dem Code de la sécurité intérieure maximal acht Stunden pro Tag dauern darf. Diese Vorschrift ist anwendbar auf zurückgekehrte Personen, bei denen es wichtige Gründe zur Annahme gibt, dass die Person ausgereist ist, um eine terroristische Gruppierung aufzusuchen und nach ihrer Rückkehr die öffentliche Sicherheit Frankreichs zu beeinträchtigen. Wird diese Massnahme gegenüber Minderjährigen angeordnet, muss der örtlich zuständige Staatsanwalt hierüber benachrichtigt werden.

Auf Grundlage des Code de procédure pénale ist Hausarrest möglich, wenn die Person einer Straftat verdächtig ist, die mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Hierbei muss es sich nicht um eine terroristische Tat handeln. Diese Massnahme ist auch bei Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahren möglich, welchen auch Hausarrest in einer Einrichtung für Jugendliche auferlegt werden kann.

Auch das italienische Recht verfügt über Rechtsgrundlagen für Hausarrest, jedoch nicht notgedrungen im Zusammenhang mit terroristischen Taten, sondern im Rahmen der Strafverfolgung einer mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Tat. Hierbei muss die Gefahr von Flucht,
Beweisvernichtung oder Wiederholung der Tat bestehen. Minderjährigen kann dieser Hausarrest allerdings nicht auferlegt werden. Schliesslich kennt zwar auch das österreichische Recht Hausarrest ohne sanktionierenden Charakter, jedoch stellt dieser lediglich eine Fortsetzung der Untersuchungshaft dar. Dadurch muss die betroffene Person strafmündig sein, was ab 14 Jahren der Fall ist.

Anordnung einer elektronischen Überwachung und einer Mobilfunklokalisierung Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland finden sich Vorschriften zur Verwendung technischer Ortungsgeräte oder zur Mobilfunklokalisierung zum Zwecke der Terrorismusprävention. Allerdings existiert lediglich in Frankreich eine umfassende Regelung, die jede Form der technischen Lokalisierung von Personen, Fahrzeugen oder Sachen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung erlaubt. Aufgrund des föderalen Systems in Deutschland gibt es dort jedoch nur im Kompetenzbereich der Bundespolizei Rechtsgrundlagen sowohl für die Mobilfunklokalisierung als auch für die 4775

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elektronische Aufenthaltsüberwachung zur Abwehr terroristischer Gefahren. Auf Landesebene existieren solche Vorschriften nur vereinzelt, so insbesondere im Bundesland Thüringen für die Mobilfunklokalisierung und im Bundesland BadenWürttemberg für die elektronische Aufenthaltsüberwachung. Das österreichische Recht verfügt zwar über verschiedene Rechtsgrundlagen, die im Zusammenhang mit der Verwendung technischer Ortungsgeräte und von Mobilfunklokalisierung interessant sind, jedoch dienen diese nicht speziell der Terrorismusprävention, sondern der Gefahrenabwehr allgemein. Hierzu gehören das Recht der Sicherheitspolizeibehörden, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste Auskünfte über Standortdaten einzuholen und technische Mittel zur eigenständigen Mobilfunklokalisierung einzusetzen sowie Auskünfte über Standortdaten einzuholen, um verfassungsgefährdende Angriffe zu verhindern. Das Recht des Vereinigten Königreichs hingegen enthält lediglich eine Rechtsgrundlage, um im Rahmen der Terrorismusbekämpfung bei betroffenen Personen und deren Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern den Besitz oder die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel zu beschränken. Schliesslich findet sich auch im italienischen Recht keine Rechtsgrundlage, um zum Zwecke der Terrorismusprävention technische Ortungsgeräte und Mobilfunklokalisierung zu verwenden. Der dort geregelte Einsatz elektronischer Fussfesseln dient ausschliesslich der Überprüfung des Hausarrests.

Einzelhaft als ununterbrochene Trennung von anderen Gefangenen In allen fünf untersuchten Rechtsordnungen ist es möglich, einen Häftling aus Gründen der Sicherheit oder als Disziplinarmassnahme in Einzelhaft unterzubringen.

Keine der Rechtsordnungen sieht jedoch spezielle Regelungen zur Terrorismusbekämpfung vor. Das deutsche und das österreichische Recht sehen Einzelhaft sowohl als Sicherheitsmassnahme als auch als Disziplinarmassnahme vor. Italien, Frankreich und das Vereinigte Königreich verfügen lediglich über Rechtsgrundlagen für die Einzelhaft als Schutz- oder Sicherheitsmassnahme. Als Schutz- oder Sicherheitsmassnahme kommt Einzelhaft in allen fünf Rechtsordnungen dann in Betracht, wenn ansonsten eine schwere Gefahr für die Sicherheit oder die Disziplin innerhalb der Anstalt droht, insbesondere wenn ein erhöhtes Gewaltpotenzial gegeben ist.
Auch Fluchtgefahr oder die Gefahr einer Selbstverletzung durch den Häftling kommen als Gründe in Betracht. Für die in Österreich und Deutschland mögliche Einzelhaft als Disziplinarmassnahme oder Sanktion muss der Häftling in Deutschland schuldhaft gegen eine gesetzliche Pflicht verstossen und damit eine schwere oder mehrfach wiederholte Verfehlung begangen haben; in Österreich muss er eine Ordnungswidrigkeit begangen haben.

Verdeckte Fahndung im Internet und in elektronischen Medien Frankreich und Italien sind die einzigen der hier untersuchten Rechtsordnungen, in welchen die verdeckte Fahndung im Internet und in elektronischen Medien zum Zwecke der Terrorismusprävention ausdrücklich geregelt ist. In Frankreich erlaubt das Gesetz das Verwenden eines Pseudonyms bei der elektronischen Kommunikation, sofern wegen einer terroristischen Tat ermittelt wird, wegen des Erstellens oder Verbreitens einer gewaltsamen oder zu Terrorismus aufrufenden Nachricht, wenn diese Nachricht von Minderjährigen wahrgenommen werden kann sowie wegen direkter Anstiftung einer oder eines Minderjährigen zu einer Straftat. In Italien muss 4776

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die verdeckte Ermittlung dem Beschaffen von Beweismaterial dienen. In Österreich und Deutschland ist die verdeckte Fahndung im Internet nicht explizit geregelt, es lassen sich jedoch die allgemeinen Vorschriften zur verdeckten Fahndung anwenden. Diese dienen allerdings nicht spezifisch der Terrorismusprävention. Im Recht des Vereinigten Königreichs hingegen handelt es sich bei der verdeckten Ermittlung eher um eine prozessrechtliche Frage, ob die auf diesem Wege gefundenen Beweise verwertbar sind.

Präventivhaft In dieser Vorlage wird keine Rechtsgrundlage für eine Präventivhaft zum Zweck der Terrorismusbekämpfung geschaffen. Keines der untersuchten Länder verfügt über eine speziell zur Terrorismusprävention geschaffene Rechtsgrundlage für einen Polizeigewahrsam bzw. eine Präventivhaft. Allerdings haben Deutschland, Italien und Frankreich allgemeine Regelungen, die eine Ingewahrsamnahme ermöglichen.

In Deutschland handelt es sich hierbei um eine in den Polizeigesetzen der Bundesländer geregelte Standardmassnahme, teilweise wird auch explizit der Präventivgewahrsam geregelt, wobei in der Regel die Polizei- und Ordnungsbehörden zuständig sind. In Italien existieren Rechtsgrundlagen für Hausarrest, präventiven Gewahrsam im Gefängnis sowie präventiven Gewahrsam im Krankenhaus oder ähnlichen Einrichtungen. Hierfür müssen ernste Hinweise auf die Gefahr von Flucht, Beweisvernichtung oder einer Wiederholungstat vorliegen und die verfolgte Tat muss mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein. In allen Fällen ist das Gericht dafür zuständig, die Massnahmen zu ergreifen. Das französische Recht gibt die Möglichkeit, eine Person provisorisch festzuhalten, wenn sie sich absichtlich Massnahmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen einer mit einer Freiheitsstrafe bedrohten Tat entzieht. Zuständig ist hier die Ermittlungsrichterin oder der Ermittlungsrichter oder die Haftrichterin oder der Haftrichter. Ebenso besteht die Möglichkeit, eine Person in Gewahrsam zu nehmen, wenn lediglich der Verdacht besteht, sie könne sich Massnahmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens entziehen. Für diese Entscheidung ist die Polizei oder die Gendarmerie zuständig. Das österreichische Recht sieht präventiven Gewahrsam lediglich im Zusammenhang mit Sportgrossveranstaltungen und im Fremdenrecht vor, wobei der Gewahrsam
dort jeweils dazu dient, eine Meldeauflage durchzusetzen. Im Vereinigten Königreich schliesslich scheint es keine Rechtsgrundlage zu geben, um eine Person im Rahmen der Terrorismusprävention in Präventivhaft zu nehmen.

In Deutschland ist etwa im Bundesland Niedersachsen ein Präventivgewahrsam höchstens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen der Person zulässig. Durch richterliche Anordnung kann die Dauer jedoch auf maximal zehn Tage verlängert werden. In Italien hängt die zulässige Höchstdauer vom Einzelfall ab. Das französische Recht gestattet den Gewahrsam für 24 Stunden bei Verdacht, die Person könne sich einer Massnahme entziehen. Daneben besteht die provisorische Ingewahrsamnahme, die für eine «angemessene Dauer» angeordnet werden kann. Wie lange diese angemessene Dauer sein kann, bestimmt sich nach den Vorstrafen der Person und der aktuell verfolgten Tat. Meist beträgt die zulässige Höchstdauer vier bis sechs Monate, zum Teil ist dies jedoch auf bis zu zwei oder vier Jahre verlängerbar. In Österreich muss die Vorführung zur Durchsetzung der Meldeauflage im Zusammenhang mit Sportgrossveranstaltungen verhältnismässig sein. Diejenige zur Durchset4777

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zung von bestimmten Auflagen im Fremdenrecht darf höchstens 72 Stunden dauern und muss beendet werden, sobald die jeweilige Auflage erfüllt ist.

Aufgrund zweier Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird die Zulässigkeit des Präventivgewahrsams in Deutschland derzeit in Rechtsprechung und Literatur viel diskutiert. Auch in Österreich stellt sich die Frage, wie sich diese Rechtsprechung auf die Zulässigkeit der präventiven Vorführung auswirkt. In Frankreich wurde bei Erlass des Gesetzes 2017­1510 zur Verstärkung der inneren Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung diskutiert, Präventivhaft zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung einzuführen. Dies wurde jedoch nicht gemacht, da eine solche Präventivhaft radikalisierter Personen gegen die französische Verfassung sowie gegen die EMRK verstosse.

Für die meisten der hiernach vorgeschlagenen präventiv-polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus bestehen auf kantonaler Ebene und in den Erlassen der grösseren Schweizer Städte keine direkt vergleichbaren Rechtsgrundlagen.

Die (meisten) kommunalen und kantonalen Polizeierlasse kennen lediglich die Anordnung eines kurzfristigen polizeilichen Gewahrsams und einer Wegweisung und Fernhaltung von Personen etwa bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung:27 Die Untersuchung der allgemeinen Polizeierlasse der Kantone und grösseren Städte (Zürich, Basel, Genf, Lausanne und Bern) hat ergeben, dass auf diesen Staatsebenen keine Rechtsgrundlagen für eine Meldepflicht - und damit verbundene Gespräche mit Fachpersonen - als Eindämmung hinsichtlich terroristischer Vorhaben bestehen (Art. 23k E-BWIS). Ebenso wenig finden sich Bestimmungen, aufgrund deren terroristische Gefährderinnen und Gefährder mit einem Ausreiseverbot (Art. 23n E-BWIS) oder einer Eingrenzung auf eine Liegenschaft (Art. 23o E-BWIS) belegt werden könnten. Das kurzfristige Festhalten i. S. v. Artikel 19 des Zwangsanwendungsgesetzes vom 20. März 200828 (ZAG) als präventiv-polizeiliche Massnahme zur Aufrechterhaltung oder Herstellung eines rechtmässigen Zustands kennen - mit Ausnahme der Kantone Freiburg, Tessin und Waadt - alle Kantone sowie die Stadt Lausanne. Die entsprechenden Regelungen können auch als Rechtsgrundlage für den kurzfristigen polizeilichen Gewahrsam terroristischer Gefährderinnen und
Gefährder herangezogen werden. Die betreffenden Bestimmungen sehen ausserdem in der Regel die gleiche Maximaldauer des Polizeigewahrsams vor wie die Bundesregelung, nämlich 24 Stunden. In Einzelfällen kann diese gemäss kantonalem Recht mit richterlicher Genehmigung verlängert werden. Einzig die Stadt Lausanne weicht mit einer maximalen Dauer von 12 Stunden nach unten ab.

Die Möglichkeit, eine der geplanten Ein- oder Ausgrenzung von terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern (Art. 23m E-BWIS) entsprechende Massnahme auf kantonales oder städtisches Recht zu stützen, besteht nur bedingt. Die Kantone (mit Ausnahme der Kantone Appenzell Innerrhoden, Tessin und Waadt) sowie die Stadt Lausanne kennen zwar das Instrument der Wegweisung und Fernhaltung (etwa bei 27

28

Vgl. Institut für Föderalismus, Präventiv-polizeiliche Massnahmen gegenüber terroristischen Gefährdern bzw. Gefährderinnen, Vergleich zwischen den geplanten PMTMassnahmen und den bestehenden Massnahmen in den Kantonen und grösseren Städten, Freiburg 2018.

SR 364

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Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie zum Schutz anderer Personen). Dieses entspricht jedoch lediglich einem Teilgehalt der geplanten Massnahme des Bundes, in deren Rahmen eine Ein- oder Ausgrenzung etwa auch zur Unterbindung von Kontakten vorgesehen ist. Zudem sehen die entsprechenden kantonalen Rechtsgrundlagen und das einschlägige Reglement der Stadt Lausanne eine wesentlich kürzere maximale Dauer der Fernhaltung vor als das geplante Bundesrecht (von 24 Stunden bzw. «vorübergehend» oder «ereignisbezogen» bis zu max. drei Monaten).

Bei der Prüfung der allgemeinen Polizeierlasse der Kantone fällt ausserdem auf, dass vereinzelt (d. h. in den Kantonen Bern und Basel-Landschaft) Grundlagen für Kontaktverbote bestehen, deren Anwendung auf terroristische Gefährderinnen und Gefährder auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen scheint. Eine genauere Betrachtung der betreffenden Regelungen führt jedoch zum Schluss, dass diese den Kontakt zu bestimmten Personen nicht unterbinden, um damit terrorfördernden Austausch zu verhindern, sondern um die kontaktierte Person vor Gefährdungen, Bedrohungen und Belästigungen zu schützen. Mit diesem abweichenden Regelungszweck fällt eine Anwendbarkeit der kantonalen Bestimmungen im Kontext der Verhinderung terrorfördernder Kontakte i. S. v. Artikel 23l E-BWIS ausser Betracht.

Ähnlich verhält es sich mit Blick auf in gewissen Kantonen (Basel-Landschaft, Graubünden, Jura, Neuenburg und Wallis) vorhandene Bestimmungen, die eine Observation bzw. Kontrolle auch mittels technischer Ortungsgeräte erlauben. Diese kantonalen Massnahmen sind entweder auf die Kontrolle der Einhaltung von Massnahmen, die dem Schutz einer bestimmten Person dienen, oder auf die Verhinderung von Verbrechen oder Vergehen angelegt. Sie verfolgen einen anderen Regelungszweck oder sind zu unbestimmt, um als Rechtsgrundlage für den Erlass einer Massnahme i. S. v. Artikel 23q E-BWIS zu dienen; Letztere zielt ganz konkret auf die Sicherstellung des Vollzugs z. B. einer Ein- oder Ausgrenzung oder einer Eingrenzung auf eine Liegenschaft ab.

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Übersicht: Präventiv-polizeiliche Instrumente von Bund und Kantonen zur Terrorismusbekämpfung: Vergleich zwischen dem geltenden Recht und den vorgeschlagenen Neuerungen gemäss Vorlage PMT: Hauptaufgabenbereich

Zuständige Behörde

Geltendes Recht

Früherkennung

Bund

genehmigungsfreie Zugriff auf zusätzliche BPI, AwG und genehmigungs- Informationssysteme pflichtige Massnah- (u. a. ISA) men zur Informationsbeschaffung

Gefahrenab- Bund wehr

Mit PMT zusätzlich

Anzupassendes Gesetz

Vorermittlungen im verdeckte Fahndung ZentG Bereich Schwerst- im Internet und in kriminalität elektronischen Medien; Ausschreibung von Personen und Sachen zur verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle (auch auf Ersuchen kantonaler Polizeibehörden)

Bund/ Kantone

Ausweisungen (fed- Zusätzlicher Haftgrund AIG pol) für ausländerrechtliche Haft Einreiseverbote (fedpol)

Kontaktbeschränkung in Haft Einzelhaft keine vorläufige Aufnahme bei rechtskräftiger Ausweisung

Bund

Melde- und Gesprächs- BWIS teilnahmepflicht Kontaktverbot Ein- und Ausgrenzung Ausreiseverbot Eingrenzung auf Liegenschaft Elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierung (Durchsetzung)

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Hauptaufgabenbereich

Zuständige Behörde

Geltendes Recht

Mit PMT zusätzlich

Kantone

Kontaktverbot

[Die bestehenden kanto- Kantonale nalen Massnahmen Polizeigewerden durch die PMT- setze Massnahmen ergänzt.]

Ein- und Ausgrenzung Polizeigewahrsam

Repression

1.6

Anzupassendes Gesetz

Bund/ Kantone (bei Vollzug von Bundesrecht)

Wegweisen und Fernhalten von Personen

Bund

Zuverlässigkeitsüber- LFG prüfung für Mitarbeitende von Luftverkehrsunternehmen und Flughafenhaltern

Bund/ Kantone

ZAG

Durchsuchung von Räumen, Gegenständen und Fahrzeugen

Strafprozessuale Einzelhaft und getrenn- StGB Zwangsmassnahmen te Unterbringung im nach StPO Massnahmenvollzug zwecks Verhinderung von Radikalisierung

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Mit der Vorlage wird die Abschreibung der folgenden Vorstösse beantragt:

29

­

Die Motion 14.3001 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates «Überprüfung von Personendaten im Abrufverfahren» kann mit dieser Vorlage abgeschrieben werden. Diese schafft mit einer Anpassung des Bundesgesetz vom 13. Juni 200829 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI; neuer Art. 15 Abs. 4 Bst. k) die gesetzliche Grundlage dafür, dass die Transportpolizei künftig das Fahndungs-Informationssystem RIPOL abfragen kann.

­

Die Motion 16.3213 Romano «Kompetenz zur verdeckten Registrierung im SIS. Fedpol muss nicht ausgeschlossen bleiben» beauftragt den Bundesrat, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die es fedpol ermöglicht, terroristisch motivierte Reisende im Schengener Informationssystem (SIS) verdeckt zu registrieren. Dies wird mit einer Anpassung des ZentG erfüllt (neuer Art. 3b E-ZentG).

SR 361

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­

Die Motion 17.3497 Dobler «Zentrale Anlauf- und Koordinationsstelle zur Bekämpfung der organisierten und international tätigen Computerkriminalität» beauftragt den Bundesrat, die Bekämpfung der organisierten und international tätigen Computerkriminalität zentral zu regeln. Es brauche dafür «eine Anlauf- und Koordinationsstelle, insbesondere mit Blick auf eine klare Kompetenzaufteilung und Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen».

Das Anliegen der Motion wird in dieser Vorlage in den Artikeln 1 und 2a E-ZentG umgesetzt.

­

Das Postulat 17.3044 Müller Damian «Verbesserungen der Ausschaffungsprozesse und Schutz vor Gefährdern» beauftragt den Bundesrat, die Prozesse zur Ausschaffung von Gefährderinnen und Gefährdern der inneren und äusseren Sicherheit in einem ausführlichen Bericht zu überprüfen und zu analysieren. In seiner Stellungnahme vom 24. Mai 2017 hat der Bundesrat ausgeführt, die im Postulat aufgeworfenen Fragen im Rahmen des vorliegenden Gesetzgebungsprojektes zu beantworten. Auf die im Postulat aufgeworfenen Fragen wird in der vorliegenden Botschaft an verschiedenen Stellen eingegangen (vgl. insbesondere die Vorbemerkungen zu den Anpassungen der Art. 75, 76 und 76a E-AIG). Der Bundesrat erachtet das Anliegen des Postulats damit als erfüllt.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

1. Bundesgesetz vom 21. März 199730 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit Ingress Im Ingress wird neu auch auf Artikel 123 Absatz 1 BV Bezug genommen. Diese Bestimmung dient als Verfassungsgrundlage für polizeiliche Massnahmen des Bundes, soweit diese mit der Strafverfolgung von Delikten, welche in der Strafverfolgungskompetenz des Bundes liegen, eng verknüpft sind (vgl. dazu Ziff. 5.1). Auf die bisherige Erwähnung der verfassungsinhärenten Kompetenz des Bundes zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit wird verzichtet. Nach aktueller Auffassung ist diese Regelungskompetenz in Artikel 173 Absatz 2 BV enthalten. Entsprechend wird der Ingress um die Nennung von Artikel 173 Absatz 2 BV ergänzt.

Art. 2 Abs. 2 Bst. dbis Artikel 2 Absatz 2 zählt die vorbeugenden polizeilichen Massnahmen, die der Bund zur Abwehr von Gefährdungen der inneren Sicherheit treffen kann, abschliessend auf. Diese Auflistung ist mit einem Verweis auf die im neuen 5. Abschnitt eingeführten Massnahmen zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten zu ergänzen (Bst. dbis).

30

SR 120

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Art. 6 Abs. 2 Neu sollen die Bundesbehörden mit Gemeinden auch bei den präventiv-polizeilichen Administrativmassnahmen nach dem 5. Abschnitt direkt zusammenarbeiten können.

Angesichts dessen erweist sich der geltende Artikel 6 Absatz 2 mit seiner Beschränkung auf eine Zusammenarbeit bei «sicherheitspolizeiliche[n] Aufgaben» als zu eng, weshalb neu von «Aufgaben nach diesem Gesetz» die Rede ist. Abgesehen davon bleibt der Regelungsinhalt der Bestimmung unverändert.

Gliederungstitel vor Art. 22 Die Anpassung des Gliederungstitels soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die neuen präventiv-polizeilichen Massnahmen und die bestehenden Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen durch gemeinsame Bestimmungen ergänzt werden. Deshalb wird der bestehende 5. Abschnitt zum 4a. Abschnitt. Die neuen Massnahmen zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten werden im 5. Abschnitt geregelt. Die bereits im BWIS enthaltenen Massnahmen im Bereich Hooliganismus bleiben im 5a. Abschnitt. In einem neuem 5b. Abschnitt finden sich die gemeinsamen, sowohl für die neuen BWIS-Massnahmen zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten als auch für die Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen relevanten Bestimmungen.

Art. 23e

Begriffe

Der Begriff der «terroristischen Gefährderin» oder des «terroristischen Gefährders» legt den Kreis derjenigen Personen fest, die Adressatinnen oder Adressaten der präventiv-polizeilichen Massnahmen nach dem 5. Abschnitt E-BWIS sind. Wie vorne dargelegt (Ziff. 1.1 und 1.3.1) bestehen zwischen dem strafrechtlichen/ polizeilichen Bereich und jenem des Nachrichtendienstes grundsätzliche Unterschiede bezüglich Zuständigkeiten und rechtlichem Instrumentarium. In dieser Vorlage werden wenn immer möglich Begrifflichkeiten verwendet, die im geltenden nationalen und internationalen Recht bereits etabliert sind (insbesondere im NDG oder im Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 200531 zur Verhütung von Terrorismus). So wird auch der Begriff «terroristische Aktivität» in dieser Vorlage nicht neu definiert, sondern aus Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe a NDG übernommen.

Unter terroristische Aktivitäten fallen etwa Vorkehrungen zur Finanzierung, zur logistischen Unterstützung von terroristischen Organisationen oder zur Schleusung bzw. Erleichterung einer Ein- oder Durchreise einer Terroristin oder eines Terroristen in die bzw. durch die Schweiz. Zu denken ist ferner an Vorkehrungen, sich einem terroristischen Netzwerk, einer terroristischen Organisation oder Gruppierung anzuschliessen oder sich sonst wie mit Terroristinnen und Terroristen im In- und Ausland zu vernetzen. Eine terroristische Aktivität liegt auch dann vor, wenn eine Person Propagandaaktionen organisiert oder sich für die Anwerbung und Förderung von Terrorismus einsetzt.

Damit eine Person als terroristische Gefährderin oder terroristischer Gefährder nach dem 5. Abschnitt qualifiziert werden kann, muss aufgrund konkreter und aktueller 31

BBl 2018 6541

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Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass sie oder er eine terroristische Aktivität im vorgenannten Sinn ausübt. Konkret sind Anhaltspunkte, wenn die Befürchtungen durch das Verhalten der betroffenen Person begründet und durch Tatsachen erhärtet sind. Konkrete Anhaltspunkte legen den Schluss nahe, dass es in überschaubarer Zeit zu einer Verletzung eines bedeutenden Rechtsgutes kommen könnte. Es ist aber noch nicht klar, an welchem Ort, zu welcher Zeit oder auf welche Weise diese Verletzung erfolgen wird. Die verfügende Behörde hat gestützt auf das bisherige Verhalten der betroffenen Person die Wahrscheinlichkeit einer möglichen, künftigen Deliktsbegehung darzulegen. Eine solche Einschätzung ist erfahrungsgemäss mit prognostischen Unsicherheiten verbunden. Aktuell sind Anhaltspunkte, die zum Zeitpunkt der Anordnung einer Massnahme (noch) vorhanden sind. Zeitlich weit zurückliegende Tatsachen, die zum gegebenen Zeitpunkt nicht mehr sicherheitsrelevant sind, können für sich genommen nicht zur Begründung einer Gefährdung angeführt werden.

Konkrete und aktuelle Anhaltspunkte liegen beispielsweise dann vor, wenn eine Person sich zunehmend aus ihren gewohnten sozialen Strukturen zurückzieht und zu einem Umfeld Kontakte zu pflegen beginnt, in welchem zu terroristischer Gewalt aufgerufen, eine solche gerechtfertigt oder verherrlicht wird. Entscheidend ist, ob eine polizeiliche Gefahr vorliegt.32 Auch Bestrebungen, sich innerhalb und ausserhalb Europas zu terroristischen Zwecken zusammenzuschliessen oder in Konfliktgebiete zu reisen, können entsprechende Anhaltspunkte sein. Zu denken ist etwa an die Meldung besorgter Eltern an die Polizei, wonach sich die Tochter oder der Sohn radikalisiert habe und sie oder er beabsichtige, ins Ausland zu reisen, um sich dort Gleichgesinnten anzuschliessen. Stellen die Sicherheits- und Polizeibehörden z. B. aufgrund von Einträgen in sozialen Netzwerken fest, dass tatsächlich eine entsprechende Reise bevorsteht, liegen konkrete und aktuelle Anhaltspunkte für eine terroristische Aktivität vor. Weitere Beispiele sind das Erstellen von Social-MediaProfilen, das Weiterverbreiten terroristischer Inhalte etwa durch das «Verlinken» oder durch das «Befürworten», das Setzen von sogenannten Likes. Letzteres ging einzelnen Vernehmlassungsteilnehmern zu weit. Der Bundesrat hält dem
entgegen, dass solche Tätigkeiten in der Vergangenheit wesentlich zur Stärkung von terroristischen Organisationen und Gruppierungen beigetragen haben. Es gehört zur Strategie von terroristischen Organisationen, mittels Verlinken und Likes terroristischer Internet-Inhalte ihre Ideologie zu verbreiten. Durch solche Internetpropaganda haben sich zahlreiche Personen aus Europa zu schweren Straftaten verleiten lassen oder sind mit kämpferischen Absichten ins Ausland gereist. Gegen das Erstellen von SocialMedia-Profilen oder das Liken und Verlinken terroristischer Inhalte oder Äusserungen ist deshalb frühzeitig durch Massnahmen wie eine Gesprächsteilnahmepflicht (Art. 23k E-BWIS) oder allenfalls ein Kontaktverbot nach Artikel 23l E-BWIS vorzugehen. Präventiv-polizeiliche Massnahmen nach dem 5. Abschnitt E-BWIS sind zudem gegen Gefährderinnen und Gefährder vorzusehen, die Verständnis für

32

Vgl. mit Blick auf Einreiseverbote das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-2397/2014 vom 19. Februar 2015 E. 3.5. Polizeiliche Massnahmen weisen keinen strafrechtlichen Charakter auf und enthalten keine repressiven Komponenten. Sie sind vielmehr präventiver Natur und dienen der Gefahrenabwehr (vgl. bezogen auf präventiv-polizeiliche Massnahmen im Hooligan-Bereich BGE 137 I 31 E. 5.2 S. 43 f.).

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terroristische Taten äussern und mit diesen Äusserungen in Kauf nehmen, dass Dritte negativ beeinflusst werden.

Art. 23f

Grundsätze

Die präventiv-polizeilichen Massnahmen gemäss den Artikeln 23k­23q E-BWIS bezwecken die Abwehr terroristischer Gefahren (vgl. bereits Ziff. 1.2 und 1.3.1). Es dürfen keine präventiv-polizeilichen Massnahmen verfügt werden, die sich gegen die rechtmässige Ausübung einer religiösen, weltanschaulichen oder politischen Tätigkeit richten. Das legitime Anliegen der Terrorismusbekämpfung darf nicht als Vorwand missbraucht werden, um bestimmte Meinungen, Einstellungen und Überzeugungen zu unterdrücken. Eine radikale Gesinnung allein reicht nicht aus für eine Anordnung präventiv-polizeilicher Massnahmen. Erst wenn sich die Radikalisierung einer Person durch ein Verhalten in einer Art und Weise manifestiert, dass sie in eine terroristische Aktivität überzugehen droht, ist staatliches Handeln angezeigt und gerechtfertigt (konkrete und aktuelle Gefährdung; vgl. Art. 23e E-BWIS).

Angesichts der einschneidenden Wirkung der neuen Massnahmen kommt der Einhaltung und strikten Handhabung rechtsstaatlicher Grundsätze eine zentrale Bedeutung zu. Die einzelnen Massnahmen haben Beschränkungen von verschiedenen ­ in der Bundesverfassung und dem Völkerrecht garantierten ­ Grund- und Menschenrechten zur Folge. Grundrechtseinschränkungen sind mit der Verfassung nur vereinbar, wenn sie sich auf eine genügend bestimmte gesetzliche Grundlage stützen, einem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen, verhältnismässig sind und der Kerngehalt des Grundrechts unangetastet bleibt (Art. 36 BV). Insbesondere darf der Eingriff in den Schutzbereich der Grund- und Menschenrechte in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Beziehung nicht über das Notwendigste hinausgehen. Die Beurteilung hat nicht nur mit Blick auf die Art und Schwere der Gefahr sowie die bedrohten Rechtsgüter zu erfolgen, sondern es sind auch die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Person, etwa deren berufliche und familiäre Situation, zu berücksichtigen.

Absatz 1: Die präventiv-polizeilichen Massnahmen werden durch fedpol verfügt.

Dabei können gegenüber einer terroristischen Gefährderin oder einem terroristischen Gefährder gleichzeitig mehrere Massnahmen angeordnet werden. Die anordnende Behörde kann beispielsweise eine Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht (Art. 23k E-BWIS) neben einem Ausreiseverbot (23n E-BWIS) verfügen, wenn sie Letzteres
für sich allein als nicht ausreichend beurteilt, um die terroristische Gefährdung abzuwenden.

Absatz 1 Buchstabe a: Die Vorlage geht vom Grundsatz aus, dass einer Radikalisierung in erster Linie mit sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen zu begegnen ist. Solche Massnahmen sind insbesondere in der Frühphase einer Radikalisierung zu ergreifen. Reichen solche Massnahmen jedoch nicht aus (oder sind sie nicht zulässig, möglich oder zum Vornherein nicht erfolgversprechend) und lässt sich der von einer radikalisierten Person ausgehenden Gefährdung auch nicht mit Massnahmen des Kinder- und Erwachsenenschutzes begegnen, können präventivpolizeiliche Massnahmen nach dem 5. Abschnitt angeordnet werden. Bei der fürsorgerischen Unterbringung nach Artikel 426 ff. ZGB ist insbesondere zu bedenken, 4785

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dass der Schutz der Öffentlichkeit nicht das Hauptanliegen dieser zivilrechtlichen Massnahme ist. Die Vorlage weist ganz bewusst enge Schnittstellen mit dem NAP auf. Das Zusammenspiel von sozialen, integrativen und therapeutischen Massnahmen mit solchen polizeilicher Natur hat sich in anderen Bereichen sowie im Ausland bewährt und muss auch in der Terrorismusbekämpfung eine zentrale Rolle spielen (siehe Ziff. 1.2 und 1.3.1).

Absatz 1 Buchstabe b: Die Massnahmen nach dem 5. Abschnitt sollen nicht nur subsidiär und komplementär zu sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen erfolgen, sondern auch subsidiär zu kantonalen Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr. Entsprechende Massnahmen der Kantone sollen nicht verdrängt, sondern ergänzt bzw. unterstützt werden. Es ist deshalb im Einzelfall zu prüfen, ob kantonale Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr ausreichend sind. Eine vergleichbare Regelung findet sich bereits heute in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 201133 über den ausserprozessualen Zeugenschutz.

Absatz 1 Buchstabe c: Fedpol kann Massnahmen nach dem 5. Abschnitt auch dann verfügen, wenn gegen eine Person bereits ein Strafverfahren eröffnet worden ist.

Zwar kann Gefahren, welche von einer beschuldigten Person ausgehen, allenfalls auch mit strafprozessualen Mitteln begegnet werden (freiheitsentziehende Massnahmen, Ersatzmassnahmen). Diese bezwecken jedoch primär die Durchführung des Strafverfahrens (Verhinderung einer Flucht-, Kollusions-, Wiederholungs- oder Ausführungsgefahr). Sie sind nicht deckungsgleich mit dem Zweck der Gefahrenabwehr, der mit den präventiv-polizeilichen Massnahmen nach dem 5. Abschnitt E-BWIS verfolgt wird (Vorbeugung terroristischer Gefährdungen). Vor diesem Hintergrund kann sich der Erlass präventiv-polizeilicher Massnahmen gemäss den Artikeln 23k­23q E-BWIS ausnahmsweise auch bei einem laufenden Strafverfahren rechtfertigen, wenn keine für die Prävention von Terrorismus zielführenden strafprozessualen Massnahmen getroffen wurden oder getroffen werden können. Zu denken ist etwa an die Konstellation, dass bei einem Beschuldigten nach der StPO lediglich die Ersatzmassnahme einer Ausweis- und Schriftensperre gerechtfertigt ist, aber kein Kontaktverbot (z. B. weil der Gefahr einer Flucht ins Ausland mit einer Ausweis-
und Schriftensperre begegnet werden kann und keine Kollusionsgefahr besteht). Dennoch kann es sein, dass die Person unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit Kontakte zu einem terroristischen Umfeld pflegt: Diesen aber muss mit präventiv-polizeilichen Administrativmassnahmen ­ hier einem Kontaktverbot ­ begegnet werden können. Selbstverständlich sind die Umstände des Einzelfalls zu betrachten: Bei der Anordnung und Auswahl einer präventiv-polizeilichen Massnahme ist insbesondere zu prüfen, ob damit allenfalls gewichtige Interessen der Strafverfolgung tangiert werden. fedpol und die Staatsanwaltschaft, welche die Untersuchung leitet, haben das Vorgehen untereinander abzusprechen; dies erfolgt insbesondere im Rahmen von TETRA oder des vom Kanton unter Involvierung sämtlicher Partner initiierten Bedrohungsmanagements. Auf Massnahmen nach dem 5. Abschnitt E-BWIS ist dann zu verzichten, wenn gegenüber einer oder einem Beschuldigten bereits eine Ersatzmassnahme oder eine freiheitsentziehende Zwangsmassnahme nach der StPO angeordnet wurde, welche dieselbe Wirkung wie 33

SR 312.2

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eine Massnahme nach den Artikeln 23k­23q E-BWIS hat. Damit werden Doppelspurigkeiten vermieden. Umgekehrt ist bei der Eröffnung eines Strafverfahrens zu prüfen, ob gegen die betreffende Person gestützt auf die Artikel 23k­23q E-BWIS angeordnete Massnahmen aufzuheben sind. Jedenfalls dann, wenn eine Ersatzmassnahme oder freiheitsentziehende Zwangsmassnahme angeordnet wird, die dieselbe Wirkung hat wie eine Massnahme nach den Artikeln 23k­23q, ist Letztere durch fedpol aufzuheben (Art. 23f Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Bst. c E-BWIS).

Absatz 2: Nach der Konzeption des vorliegenden Entwurfs sollen die präventivpolizeilichen Massnahmen die sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen nicht in den Hintergrund drängen, sondern diese begleiten und ergänzen.

Dieser wichtige Grundsatz soll in Absatz 2 ausdrücklich festgehalten werden. Indessen sind Fälle denkbar, in denen entsprechende Massnahmen nicht angeordnet werden können oder zum Vornherein nicht erfolgversprechend sind. Die Massnahmen nach Artikel 23k­23o sind deshalb nach Möglichkeit durch soziale, integrative oder therapeutische Massnahmen zu begleiten. Ob und inwiefern solche angeordnet werden, ist von der dafür zuständigen kantonalen oder kommunalen Stelle und nicht durch fedpol zu entscheiden.

Absatz 3: Sind die Voraussetzungen für die Anordnung einer Massnahme nicht mehr gegeben, ist sie von Amtes wegen durch fedpol aufzuheben. Die betroffene Person ist umgehend über die Aufhebung in Kenntnis zu setzen.

Absatz 4: Die betroffene Person hat die Möglichkeit, jederzeit ein Gesuch um Aufhebung der Massnahme zu stellen und damit die Überprüfung einer angeordneten Massnahme zu erwirken.

Art. 23g

Dauer einer Massnahme

Absatz 1: Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt, dass die zeitliche Dauer der Massnahmen begrenzt wird. Die Dauer einer Massnahme ist deshalb auf sechs Monate begrenzt und kann einmalig um maximal sechs Monate verlängert werden.

Die Dauer der Eingrenzung auf eine Liegenschaft richtet sich nach Artikel 23o Absatz 5.

Absatz 2: In der Vernehmlassung wurde von verschiedener Seite kritisiert, dass eine Maximaldauer der Massnahmen von sechs Monaten mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung um sechs Monaten zu kurz sei. Tatsächlich ist zu berücksichtigen, dass gegenüber terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern angeordnete Massnahmen ihre Wirkung erst nach einer gewissen Zeit entfalten bzw. dass die betroffene Person nach einer gewissen Zeit wieder in gewohnte Verhaltensweisen zurückfallen kann. Mit anderen Worten ist nicht auszuschliessen, dass terroristische Gefährderinnen und Gefährder nach der Beendigung einer Massnahme erneut eine terroristische Aktivität ausüben. Gleichzeitig ist zu vermeiden, dass eine Massnahme dauerhaft angeordnet werden kann. Aufgrund dieser Überlegung soll es möglich sein, eine Massnahme auch nach dem Ablauf der Dauer von 12 Monaten anordnen zu können (eine Ausnahme gilt für die Eingrenzung auf eine Liegenschaft; wurde eine solche bereits einmal verfügt, kann sie kein zweites Mal angeordnet werden).

Voraussetzung ist aber, dass neue und konkrete Anhaltspunkte zum Schluss führen, 4787

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dass die betroffene Person eine terroristische Aktivität ausübt. Es ist unter Hinweis auf neue Feststellungen zu begründen, dass der Grund, der zur Anordnung der ursprünglichen Massnahme geführt hat, nach wie vor besteht oder neue Gründe vorliegen, welche den Schluss auf die Ausübung einer terroristischen Aktivität zulassen. Die neue Massnahme i. S. v. Absatz 2 muss sich von der Art her nicht von der ursprünglich angeordneten unterscheiden.

Art. 23h

Datenbearbeitung

Im Rahmen der Anwendung des 5. Abschnitts sind die antragstellende wie auch die verfügende und die mit der Umsetzung befasste Behörde darauf angewiesen, besonders schützenswerte Personendaten zu bearbeiten. Mit Artikel 23h wird dafür eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage geschaffen.

In Absatz 1 werden fedpol und die zuständigen kantonalen Behörden dazu ermächtigt, besonders schützenswerte Personendaten von terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern zu bearbeiten, soweit dies für die Begründung der Anordnungsvoraussetzungen sowie die Durchführung der Massnahmen nach den Artikeln 23k­23q erforderlich ist. In einem eng begrenzten Umfang muss es jedoch auch möglich sein, besonders schützenswerte Personendaten Dritter zu bearbeiten (z. B. über strafrechtliche Verfolgungen) mit welchen die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder in Kontakt steht oder stand. Vorausgesetzt ist, dass dies zur Einschätzung der von einer terroristischen Gefährderin oder einem terroristischen Gefährder ausgehenden Gefahr notwendig ist. Eine Bearbeitung von Daten Dritter ist z. B. dann unerlässlich, wenn es um die Anordnung eines Kontaktverbots geht oder wenn die Gefährlichkeit von Gruppierungen zu beurteilen ist, mit welchen die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder verkehrt. Ist die Gefährdungseinschätzung erstellt und damit der Zweck der Datenbearbeitung erreicht, werden die Personendaten Dritter gelöscht (Art. 6 Abs. 1 BPI). Zudem ist bei der Bearbeitung von Daten Dritter sicherzustellen, dass die datenbearbeitende Stelle keine von einem Berufsgeheimnis erfassten Informationen erfährt, die nicht mit dem Grund, aus welchem die Datenbearbeitung erforderlich ist, zusammenhängt.

Bei den besonders schützenswerten Personendaten ist im vorliegenden Zusammenhang insbesondere an Daten über religiöse und weltanschauliche Ansichten oder Tätigkeiten, über die Gesundheit, über Massnahmen der sozialen Hilfe sowie über administrative oder strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen zu denken. Für die Bearbeitung dieser Daten ist keine Einwilligung der betroffenen Person erforderlich.

Eine eigenständige Ermittlungskompetenz zur (verdeckten) Beschaffung von Informationen betreffend terroristische Bedrohungen wird für fedpol mit Artikel 23h jedoch nicht geschaffen. Die Beschaffung
entsprechender Informationen ist in erster Linie Aufgabe des NDB (wobei keineswegs auszuschliessen ist, dass die kantonalen Polizeibehörden im Rahmen ihrer durch das kantonale Recht geregelten Aufgaben und Befugnisse Sachverhaltselemente ermitteln, welche sie zu einer Antragstellung an fedpol veranlassen). Wie bereits unter Ziffer 1.4 ausgeführt, will der Gesetzesentwurf die bisher gewollte Trennung zwischen dem Beschaffen von Informationen über eine Person durch den NDB und der Anordnung polizeilicher Massnahmen gegenüber einer Person nicht ändern.

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Auf die Datenbearbeitung durch fedpol ist das BPI anwendbar, namentlich Artikel 18 BPI, welcher mit dieser Vorlage angepasst wird (vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 18 E-BPI).

In Absatz 2 wird die gesetzliche Grundlage für den Austausch derjenigen Personendaten zwischen den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen geschaffen, welche für die Erfüllung der Aufgaben nach dem 5. Abschnitt erforderlich sind. Über den Informationsaustausch zwischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden hinaus umfasst Absatz 2 auch den Austausch mit (kantonalen) Strafvollzugsbehörden, Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, Schulbehörden, Integrationsfachstellen, Einwohner-, Migrations-, Jugend- und Sozialämtern. Damit wird einer Forderung aus dem NAP nachgekommen (siehe Massnahme 15 Bst. a). Vorausgesetzt ist immer, dass der Datenaustausch für die Anordnung und den Vollzug von Massnahmen nach dem 5. Abschnitt erforderlich ist. Ein direkter Informationsaustausch ist auch zwischen dem Bund und den Gemeinden möglich, wenn der Kanton Letzteren Aufgaben nach diesem Gesetz übertragen hat (Art. 6 Abs. 2 E-BWIS). Nicht geregelt wird der Datenaustausch innerhalb des Kantons und unter den Kantonen, welcher nicht der Erfüllung von Aufgaben nach dem 5. Abschnitt dient. Der innerkantonale horizontale und der vertikale Informationsaustausch zwischen Kantonen und Gemeinden richtet sich nach dem massgeblichen kantonalen Recht.34 Gemäss Absatz 3 kann fedpol die Betreiber von kritischen Infrastrukturen über den Erlass einer präventiv-polizeilichen Massnahme gegenüber einer Person informieren und zu diesem Zweck auch besonders schützenswerte Personendaten übermitteln (z. B. Angaben über eine strafrechtliche Verfolgung bzw. in diesem Rahmen ermittelte modi operandi, welche für die Abwehr einer Bedrohung erforderlich sind).

Vorausgesetzt ist, dass von der terroristischen Gefährderin oder dem terroristischen Gefährder tatsächlich eine Gefährdung für die kritische Infrastruktur ausgeht. Zudem sind nur diejenigen Daten zu übermitteln, welche für den Schutz der betreffenden kritischen Infrastruktur erforderlich sind.

Art. 23i

Antrag

In Absatz 1 wird geregelt, wer fedpol den Erlass einer Massnahme nach den Artikeln 23k­23q beantragen kann. Es ist dies die zuständige kantonale oder kommunale Behörde. Die kommunale Behörde muss vom Kanton mit der Erfüllung von Aufgaben nach diesem Gesetz betraut worden sein (Art. 6 Abs. 2 E-BWIS). Ein Antragsrecht wird zudem dem NDB eingeräumt. Ihm kommt in der Terrorismusbekämpfung eine wichtige Rolle zu. Erkennt er im Rahmen seiner Informationsbeschaffung eine terroristische Gefährdung (vgl. Art. 6 Abs. 1 Bst. a Ziff. 1 NDG), muss auch er die Möglichkeit haben, bei fedpol präventiv-polizeiliche Massnahmen zu beantragen.

Absatz 2: Präventiv-polizeiliche Massnahmen nach dem 5. Abschnitt E-BWIS können lediglich subsidiär zu kantonalen Massnahmen zur Anwendung gelangen (Art. 23f Abs. 1 E-BWIS). Sie müssen zudem der Verhältnismässigkeitsprüfung standhalten. Damit fedpol die Zulässigkeit einer präventiv-polizeilichen Massnahme 34

Vgl. hierzu Massnahme 15 Bst. b des NAP: Regelung des Informationsaustausches zwischen Behörden

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beurteilen kann, ist im Antrag darzulegen, dass die allgemeinen Voraussetzungen gemäss Artikel 23f sowie die (allfälligen) besonderen Voraussetzungen der jeweiligen Massnahme (Art. 23n und 23o) bzw. ­ bei einem Antrag auf eine elektronische Überwachung oder Mobilfunklokalisierung ­ die Voraussetzungen nach Artikel 23q Absatz 1 erfüllt sind. Die Behörde begründet den Antrag und äussert sich insbesondere zur Gefährdungslage, zum sozialen Umfeld der terroristischen Gefährderin oder des terroristischen Gefährders sowie zur Art, Dauer und zum Vollzug der beantragten Massnahme. Ferner legt sie dar, wieso soziale, integrative oder therapeutische Massnahmen, Massnahmen des Kinder- und Erwachsenenschutzes sowie solche der allgemeinen Gefahrenabwehr nicht ausreichen oder aufgrund der Umstände im Einzelfall nicht erfolgversprechend oder von vornherein nicht möglich sind. Fedpol sind sämtliche für die Entscheidfindung relevanten Unterlagen zu übermitteln (z. B.

polizeiliche Erkenntnisse, Führungsberichte von Haftanstalten, Entscheide der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde, psychiatrische Gutachten, Informationen aus polizeilichen Informationssystemen, Strafregisterauszüge, Strafurteile und Strafverfahrensakten). Der dabei regelmässig erforderliche Austausch besonders schützenswerter Personendaten findet in Artikel 23h Absatz 2 E-BWIS eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage.

Art. 23j

Verfügung von Massnahmen

Absatz 1: Die Massnahmen nach den Artikeln 23k­23q E-BWIS werden durch fedpol verfügt (zur Begründung dieser Lösung vgl. Ziff. 1.3.1). Es ist jedoch der betroffene Kanton ­ also der Kanton, in welchem sich die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder regelmässig aufhält ­ vorgängig anzuhören, wenn eine Massnahme vom NDB beantragt wird (dritter Satz). Mit Blick auf die mit den Massnahmen nach den Artikeln 23k­23q verbundenen, teils schwerwiegenden Grundrechtseingriffe hat fedpol bei deren Anordnung dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz besonders hohe Beachtung zu schenken. Die polizeilichen Massnahmen können von fedpol selbstständig angeordnet werden und unterstehen keinem richterlichen Genehmigungsvorbehalt. Eine wichtige Ausnahme besteht bei der Eingrenzung auf eine Liegenschaft, welche einer Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht bedarf (Art. 23p E-BWIS). Damit steht die Regelung der PMTMassnahmen im Einklang mit anderen gefahrenabwehrrechtlich motivierten Regelungen auf Stufe Bund und Kantone: Präventiv-polizeiliche Massnahmen unterstehen ­ mit Ausnahme des Polizeigewahrsams und gewisser verdeckter Massnahmen im Vorermittlungsbereich ­ regelmässig keinem richterlichem Genehmigungsvorbehalt. Verwiesen sei etwa auf § 19 des Gesetzes über die Luzerner Polizei vom 27. Januar 1998 (SRL 350) betreffend die «Wegweisung und Fernhaltung», die Regelung der Meldepflicht in Artikel 6 des Konkordates über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen vom 15. November 200735 mit Änderung vom 2. Februar 2012 sowie die Bestimmung von Artikel 74 AIG bezüglich der Ein- und Ausgrenzung.

35

Abrufbar unter www.rayonverbot.ch > Konkordat > Dokumente.

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Absatz 3: Um dem Verhältnismässigkeitsprinzip auch im Rahmen der Durchführung einer präventiv-polizeilichen Massnahme Rechnung tragen zu können, muss diese aus wichtigen Gründen vorübergehend sistiert werden können. Denkbar sind zudem andere, nicht in der Person der terroristischen Gefährderin oder des terroristischen Gefährders liegende Gründe wie überwiegende Interessen der Strafverfolgung. Mit Blick auf die Vollzugsverantwortung der Kantone sowie die von den betroffenen Personen ausgehenden Gefahren für die Bevölkerung kann fedpol eine verfügte Massnahme nur im Einvernehmen mit dem betroffenen Kanton bzw. der betroffenen Gemeinde sistieren.

Art. 23k

Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht

Absätze 1 und 2: Mit der Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht soll den Behörden zunächst eine gewisse Kontrolle darüber ermöglicht werden, ob sich die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder nach wie vor auf dem Gemeindeoder Kantonsgebiet aufhält. Weiter dient sie dazu, das Ausmass der von ihr oder ihm ausgehenden Gefährdung regelmässig überprüfen. Insbesondere zielt die Massnahme darauf ab, risikorelevante Denk- und Verhaltensmuster sowie problematische Lebensumstände positiv zu beeinflussen. Die Meldepflicht und die Gesprächsteilnahmepflicht können unabhängig voneinander angeordnet werden. Das ist etwa von Bedeutung, wenn eine Eingrenzung auf eine Liegenschaft nach Artikel 23o E-BWIS mit einer Gesprächsteilnahmepflicht verbunden werden soll. In der Regel dürften die Meldepflicht und die Gesprächsteilnahmepflicht jedoch kombiniert werden.

Das Erscheinen der terroristischen Gefährderin oder des terroristischen Gefährders muss in bestimmten, festgelegten Zeitabständen erfolgen, wobei die zeitlichen Abstände umso kürzer sind, je grösser die Gefahr ist, dass die Person terroristische Aktivitäten ausführen oder fortsetzen könnte. Die von der antragstellenden Behörde bezeichnete kommunale oder kantonale Stelle kann eine geeignete Örtlichkeit für die Durchführung der Gespräche bestimmen. Die Gespräche können auch in der Wohnung der betroffenen Person stattfinden, was sich v. a. dann als relevant erweist, wenn sie nach Artikel 23o E-BWIS auf eine Liegenschaft eingegrenzt wurde.

Die Gespräche sind mit einer Fachperson, gegebenenfalls auch mit mehreren Fachpersonen aus verschiedenen Fachrichtungen zu führen. Mit Fachperson sind Personen gemeint, die für den Umgang mit Gefährderinnen und Gefährden geschult sind (z. B. Psychologen, Psychiaterinnen, Sozialberater oder Polizistinnen). Je psychisch auffälliger das Verhalten einer Person erscheint, desto naheliegender ist es, dass ausgebildete und entsprechend geschulte Psychologinnen und Psychologen oder Psychiaterinnen und Psychiater die Gespräche führen. Gegebenenfalls ist es angezeigt, eine Fach- oder Vertrauensperson mit einem ähnlichen religiösen und kulturellen Hintergrund beizuziehen, wie die Gefährderin oder der Gefährder mitbringt.

Dass die Pflicht zur Teilnahme an Gesprächen ­ neben der Einschätzung und Überprüfung der Gefährdung
­ auch dazu dienen soll, der Gefährdung entgegenzuwirken (Hilfestellung zur Abkehr von Gewalt und zur Reintegration in die Gesellschaft), soll im Gesetz ausdrücklich verankert werden. Die Gesprächsteilnahmepflicht soll bei den Ursachen terroristischer Aktivitäten ansetzen. Das konkrete Ziel und die konkreten Inhalte der Gespräche werden mit der meldepflichtigen Person sowie je nach Umständen mit ihren erziehungsberechtigten Personen vorbesprochen. Das 4791

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können beispielsweise die Eltern, Stiefeltern, Pflegeeltern, der Beistand oder Vormund sein. Die Gespräche können sozialer, kultureller, integrativer, therapeutischer und rechtlicher Natur sein und namentlich folgende Inhalte umfassen: ­

Vermittlung von Wissen über die rechtsstaatliche Ordnung und die Werte der Bundesverfassung insbesondere hinsichtlich gegenseitiger Rücksichtnahme und der Respektierung von Grundrechten;

­

Vermittlung von Wissen über die Rechtslage und die Konsequenzen bei strafbaren Handlungen;

­

Aufklärung über den Hintergrund und die Gefährlichkeit von Gruppierungen und Organisationen, welche eine terroristische Bedrohung darstellen;

­

Aufarbeitung der individuellen Lebensgeschichte und Eruierung von Risikosituationen und individuellen Risikofaktoren;

­

Vermittlung von Wissen über berufliche, soziale und kulturelle Perspektiven sowie Erwerb von Aus- und Weiterbildungen;

­

Erarbeitung konkreter und persönlicher Handlungspläne.

Nach Beendigung des jeweiligen Gesprächs beurteilt die gesprächsführende Person den Gesprächsverlauf. Die Beurteilung kann Angaben zur persönlichen Entwicklung, zu einer allfälligen medizinischen Diagnose, zu individuellen Risikofaktoren, zur Bedrohungseinschätzung sowie Empfehlungen zum Risikomanagement beinhalten. Idealerweise werden in kurzen Abständen mehrere Sitzungen durchgeführt.

Nach Abschluss der Gespräche zeigt sich, ob bestehende soziale, integrative, therapeutische oder präventiv-polizeiliche Massnahmen aufgehoben werden müssen oder ob allenfalls ein Bedarf nach einer Verlängerung bestehender oder den Erlass neuer präventiv-polizeilicher und anderer Massnahmen besteht.

Absatz 3: Ist die terroristische Gefährderin oder der terroristischen Gefährder minderjährig, sind die Eltern oder andere erziehungsberechtigte Personen in die Gespräche miteinzubeziehen. Ausnahmsweise kann darauf verzichtet werden, wenn sich die Anwesenheit der Eltern negativ auf den Gesprächserfolg auswirken kann. Auch in solchen Fällen sind die Eltern aber zumindest in die Gesprächsvorbereitung miteinzubeziehen.

Absatz 4: Bei Vorliegen wichtiger Gründe (Spitalaufenthalt, wichtige familiäre Verpflichtungen usw.) soll es möglich sein, die Wahrnehmung eines vereinbarten Termins zu verschieben. Die betroffene Person hat die zuständige Stelle unverzüglich über die Gründe zu informieren und ihr ein begründetes Gesuch für eine Verschiebung zu unterbreiten. Welche kantonale oder kommunale Stelle zur Bewilligung des Gesuchs zuständig ist, ist durch die Kantone festzulegen. Anstelle einer Terminverschiebung kann vereinbart werden, dass das vorgesehene Gespräch ausserhalb der Räumlichkeiten der zuständigen Stelle durchgeführt wird (z. B. bei der Gefährderin oder dem Gefährder zu Hause).

Absätze 5 und 6: Die zuständige kantonale oder kommunale Stelle informiert die antragstellende Behörde sowie fedpol über sicherheitsrelevante Vorgänge während der Dauer der Massnahme. Zu denken ist an explizit oder implizit geäusserte Absichten, Menschenleben zu gefährden oder festgestellte suizidale Tendenzen. Weiter 4792

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zu informieren ist über verschobene oder ausgefallene Termine; die Verletzung der Meldepflicht; die Verweigerung der Teilnahme an einem Gespräch mit der Fachperson und das Ergebnis der geführten Gespräche. Über sicherheitsrelevante Vorgänge und die Verletzung der Meldepflicht ist ohne Verzug zu informieren. Sind die Angaben nach Absatz 5 für die Wahrnehmung von Aufgaben anderer Sicherheitsbehörden relevant, werden sie ihnen durch fedpol gestützt auf Artikel 10 BWIS und Artikel 23h E-BWIS übermittelt.

Art. 23l

Kontaktverbot

Mit einem Kontaktverbot wird einer terroristischen Gefährderin oder einem terroristischen Gefährder untersagt, mit bestimmten Personen oder Personengruppen auf telefonischem, schriftlichem oder elektronischem Weg in Kontakt zu treten, diese zu treffen oder in anderer Weise mit ihnen zu verkehren. Ein besonders wichtiger Anwendungsfall dürfte indessen die Bekämpfung der Verbreitung terroristischen Gedankengutes sein. Mit einem Kontaktverbot soll zum einen der Gefahr entgegengewirkt werden, dass die mit der Massnahme belastete terroristische Gefährderin oder der damit belastete terroristische Gefährder im Kontakt mit Dritten durch terroristisches Gedankengut (weiter) negativ beeinflusst wird. Bei solchen Dritten kann es sich z. B. um eine Rekrutiererin oder einen Rekrutierer im Internet handeln.

Zum anderen soll das Kontaktverbot eine terroristische Gefährderin oder einen terroristischen Gefährder daran hindern, Dritte negativ zu beeinflussen, z. B. indem sie oder er sie radikalisiert oder für terroristische Aktivitäten rekrutiert.

Art. 23m

Ein- und Ausgrenzung

Mit einer Ein- oder Ausgrenzung soll die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder am Aufenthalt an bestimmten Orten gehindert werden. Es kann sich dabei um einen Raum oder eine Liegenschaft handeln, in denen die Radikalisierung der Person stattgefunden hat oder eine weitere Radikalisierung zu befürchten ist. Zu denken ist weiter an Orte mit grossen Menschenansammlungen oder besonders gefährdete Orte wie etwa solche, welche kritische Infrastrukturen beherbergen.

Aus wichtigen Gründen kann fedpol anlassbezogene Ausnahmen von der Ein- und Ausgrenzung bewilligen. Beispielsweise für die Wahrnehmung von Terminen aus medizinischen Gründen oder Behördengänge. Die Gewährung einer Ausnahme setzt in jedem Fall eine Interessenabwägung voraus, welche auch die damit verbundenen Risiken und Gefahren zu berücksichtigen hat.

Art. 23n

Ausreiseverbot

Absätze 1 und 2: Das Ausreiseverbot steht einerseits im Dienste der Verhinderung terroristischer Aktivitäten im Ausland. Da Personen mit dieser Massnahme gehindert werden, sich im Ausland weiter zu radikalisieren oder durch terroristische Organisationen ausbilden zu lassen, trägt des Ausreiseverbot andererseits zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten in der Schweiz bei. Würden solche Personen in die Schweiz zurückreisen, stellte dies eine erhebliche Bedrohung der inneren Sicherheit dar. Mit der Verfügung des Ausreiseverbotes wird die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder aufgefordert, sofort oder innert kurzer 4793

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Frist die Reisedokumente (z. B. Pass, Identitätskarte) abzugeben. Schweizer Reisedokumente sind durch fedpol zu beschlagnahmen. Ausländische Reisedokumente können nicht beschlagnahmt werden. Durch eine Beschlagnahme würden die Passhoheit des ausstellenden Staates und damit das völkerrechtliche Einmischungsverbot verletzt. Lediglich die provisorische Sicherstellung ausländischer Reisedokumente durch fedpol kann sich als zulässig erweisen, wenn ein überwiegendes Interesse der Schweiz besteht, das Reisevorhaben der betroffenen Person zu unterbinden und keine milderen Massnahmen zur Verfügung stehen.

Absatz 3: Fedpol informiert den ausstellenden Staat über die provisorische Sicherstellung. Ist dieser damit nicht einverstanden, ist fedpol verpflichtet, die Sicherstellung aufzuheben und der betroffenen Person die Reisedokumente auszuhändigen.

Absätze 4 und 5: Fedpol kann beschlagnahmte Schweizer Reisedokumente für ungültig erklären und im RIPOL, im nationalen Teil des Schengener Informationssystems SIS sowie über Interpol (Art. 351 Abs. 2 StGB) ausschreiben. Es kann ausländische Reisedokumente im RIPOL, im SIS sowie über Interpol (Art. 351 Abs.

2 StGB) ausschreiben, wenn der betroffene Staat das Reisedokument für ungültig erklärt hat und mit der Ausschreibung einverstanden ist. Die SIS-Ausschreibung erfolgt im Einklang mit Artikel 38 des Beschlusses 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 200736 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II), der die Ausschreibung von gestohlenen, unterschlagenen, sonst wie abhanden gekommenen oder für ungültig erklärten ausgefüllten Identitätsdokumenten wie Pässen, Personalausweisen, Führerscheinen, Aufenthaltstiteln und weiteren Reisedokumenten ausdrücklich vorsieht.

Absatz 6: Um eine Ausreise möglichst effektiv verhindern zu können, ist es zulässig, neben Reisedokumenten auch Reisebillette (z. B. Flugtickets, Bahnbillette) zu beschlagnahmen. Fedpol, die EZV bzw. das Grenzwachtkorps (GWK) und die kantonalen Polizeibehörden können Reiseunternehmen zudem anweisen, ein bestimmtes elektronisches Billett für ungültig zu erklären.

Absatz 7: Eine sofortige Sicherstellung der Reiseausweise und Reisebillette wegen Gefahr im Verzug kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die terroristische Gefährderin oder
der terroristische Gefährder im Begriff ist, die Schweiz zu verlassen.

Absatz 8: Der Ersatznachweis dient dem Nachweis der Schweizer Staatsangehörigkeit und der eigenen Identität, insbesondere im Rechtsverkehr mit Behörden und sonstigen Dritten. Für ausländische Staatsangehörige kann der Ersatznachweis dem Nachweis der Identität, nicht aber der Staatsangehörigkeit dienen. Auf dem Dokument ist zu vermerken, dass es nicht zum Verlassen der Schweiz berechtigt. Abgesehen vom Ausreiseverbot soll die betroffene Person in ihrer rechtlichen Handlungsfähigkeit nicht beschränkt werden.

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Beschluss 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II), ABl. L 205 vom 7.8.2007, S. 63; SR 0.362.380.007.

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Art. 23o

Eingrenzung auf eine Liegenschaft: Grundsätze

Zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten soll neu die Eingrenzung auf eine Liegenschaft zur Verfügung stehen. Artikel 23o E-BWIS regelt die hierauf anwendbaren Grundsätze; in einem eigenständigen Artikel 23p E-BWIS wird das Verfahren geregelt.

In der Vernehmlassung wurde die Vereinbarkeit der Eingrenzung auf eine Liegenschaft mit Artikel 5 EMRK verschiedentlich in Zweifel gezogen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unterscheidet anhand «des Grades und der Intensität» der Einschränkung zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentzug.

In der Regel dürfte eine präventiv-polizeiliche Eingrenzung auf eine Liegenschaft i. S. v. Artikel 23o E-BWIS in den Anwendungsbereich von Artikel 5 EMRK fallen, weil je nach den Umständen des Einzelfalls von einem Freiheitsentzug und nicht von einer Freiheitsbeschränkung auszugehen ist.37 Gemäss Artikel 5 Ziffer 1 Buchstabe. b EMRK kann ein Freiheitsentzug «zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung» zulässig sein. Nicht abgedeckt ist damit ein Freiheitsentzug pauschal zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit bzw. damit sich eine Person in genereller Weise an allgemeine gesetzliche Regeln zum Schutz von Sicherheit und Ordnung hält. Vielmehr muss es um die Durchsetzung spezifischer, genau umschriebener gesetzlicher Pflichten gehen; ein Freiheitsentzug steht mit anderen Worten nur dann im Einklang mit Artikel 5 Ziffer 1 Buchstabe b EMRK, wenn eine Person dazu angehalten werden soll, einer spezifischen gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen.38 Artikel 23o Absatz 1 Buchstabe b E-BWIS nennt die gesetzliche Verpflichtungen ausdrücklich, deren Durchsetzung mit einer Eingrenzung auf eine Liegenschaft gesichert werden soll. Der Freiheitsentzug wird von der Verletzung einer früher angeordneten präventiv-polizeilichen Massnahme nach den Artikeln 23k­23n E-BWIS ­ und damit von spezifischen, genau umschriebenen Pflichten ­ abhängig gemacht. Diese stellen eine durch Verfügung konkretisierte gesetzliche Verpflichtung i. S. v. Artikel 5 Ziffer 1 Buchstabe b letzter Satzteil EMRK dar.39 Bei der Eingrenzung auf eine Liegenschaft sind zudem weitere völkerrechtliche Regelungen zu beachten. So steht es den Konsularbeamtinnen und Konsularbeamten nach Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a des Wiener Übereinkommens vom 24. April 196340 über konsularische Beziehungen frei, mit Angehörigen des Entsendestaats zu 37

38 39

40

Ein sechstägiger Hausarrest in der eigenen Wohnung wurde durch den EGMR als Freiheitsentzug qualifiziert ­ «The Court observes [...] that house arrest constitutes a genuine deprivation, not a mere restriction, of liberty»; Urteil Dacosta Silva gegen Spanien vom 2. November 2006 (Nr. 69966/01) Rn. 42.

Siehe hierzu BGE 137 I 31 E. 7.4 S. 51 und aus der Rechtsprechung des EGMR insbesondere das Urteil Lawless gegen Irland vom 1. Juli 1961 (Nr. 332/57) Rn. 9.

Vgl. auch BGE 137 I 31 E 7.4 ff. S. 51 ff.: In diesem Entscheid erachtet das Bundesgericht eine polizeiliche Ingewahrsamnahme von Hooligans deshalb als mit Artikel 5 Ziffer 1 Buchstabe b letzter Satzteil EMRK vereinbar, weil ihm «ein Rayonverbot vorausgegangen» sein muss «und dieses sich als nicht wirksam herausgestellt hat, weil es nicht befolgt worden ist oder weil sich die betroffene Person nachweislich nicht daran halten will.» Das Rayonverbot bilde «Ausgangspunkt und Grundlage der Betrachtung des Polizeigewahrsams» und stelle «eine durch eine Verfügung konkretisierte gesetzliche Verpflichtung im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 Bst. b letzter Satzteil EMRK dar [...]».

SR 0.191.02

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verkehren und sie aufzusuchen. Angehörigen des Entsendestaats steht es in gleicher Weise frei, mit dessen Konsularbeamtinnen und Konsularbeamten zu verkehren und sie aufzusuchen.

Absatz 1 Buchstabe a: Eine Eingrenzung auf eine Liegenschaft ist von engen Voraussetzungen abhängig zu machen. Sie kommt nur in Frage, wenn konkrete und aktuelle Anhaltspunkte darauf bestehen, dass von der betroffenen Person eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, die nicht anders abgewendet werden kann. Eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben kann beispielsweise dann angenommen werden, wenn die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder: ­

für eine oder mehrere strafbare Handlungen verurteilt worden ist, die im Zusammenhang mit einem terroristischen Anschlag stehen, und davon ausgegangen werden muss, dass im Straf- oder Massnahmenvollzug kein Gesinnungswandel stattgefunden hat;

­

in der Vergangenheit Waffen oder explosionsgefährliche Stoffe verwendet hat, um einer Drohung Nachdruck zu verleihen;

­

sich zu terroristischen Zwecken, im Ausland aufgehalten hat; oder

­

in der Vergangenheit mehrfach gewalttätig in Erscheinung getreten ist.

Die Eingrenzung auf eine Liegenschaft schliesst die gleichzeitige Anordnung anderer Massnahmen nicht aus. Die betroffene Person kann beispielsweise dazu verpflichtet werden, Gespräche mit einer Fachperson nach Artikel 23k E-BWIS zu führen und es kann ihr nach Artikel 23l E-BWIS verboten werden, mit bestimmten Personen oder Personengruppen direkt oder über Drittpersonen Kontakt aufzunehmen oder bestehende Kontakte weiter zu unterhalten.

Absatz 1 Buchstabe b: Die Eingrenzung auf eine Liegenschaft kann nur zur Anwendung gelangen, wenn eine oder mehrere gestützt auf die Artikel 23k­23n E-BWIS verfügte Anordnungen nicht eingehalten wurden. Erst wenn beispielsweise die Eingrenzung auf ein bestimmtes Gebiet nach Artikel 23m E-BWIS missachtet wurde, kann die Eingrenzung auf eine Liegenschaft verfügt werden.

Die Voraussetzungen nach Buchstaben a und b müssen kumulativ erfüllt sein.

Absatz 2: Die antragstellende Behörde hat die Liegenschaft zu bezeichnen, auf welche die betroffene Person eingegrenzt werden soll. Im Vordergrund steht eine Eingrenzung auf das aktuelle Wohnumfeld. Gemeint ist die von der terroristischen Gefährderin oder dem terroristischen Gefährder zu Wohnzwecken genutzte Liegenschaft (im Sinne eines «Hausarrests»). Eine Eingrenzung ist aber auch auf solche Liegenschaften möglich, in welchen sich die betroffene Person freiwillig oder auf behördliche Anordnung (dauernd oder vorübergehend) zu Pflege- oder Behandlungszwecken aufhält. Zu denken ist an (private oder öffentliche) Liegenschaften wie Pflegeheime oder Spitäler und Kliniken. Ist der Behandlungs- oder Pflegezweck erfüllt und eine Rückkehr in das angestammte häusliche Umfeld angezeigt, ist die Eingrenzung entsprechend anzupassen. Ausnahmsweise darf die Person auf eine Liegenschaft eingegrenzt werden, in welcher sie sich zum Zeitpunkt der Eingrenzung nicht bereits regelmässig aufhält, die sich also nicht mit dem gegenwärtigen Wohn- und Aufenthaltsumfeld deckt (angemietete Wohnung, Wohnheim, Herberge, 4796

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Pflegeeinrichtung etc.). Diesfalls ist allerdings vorausgesetzt, dass sich der von der betroffenen Person ausgehenden Gefährdung ansonsten nicht wirksam begegnen lässt, beispielsweise weil im üblichen Wohnumfeld die Gefahr besteht, dass Mitbewohnerinnen und Mitbewohner durch Gedankengut, das die Ausübung von terroristischen Aktivitäten begünstigt, beeinflusst werden oder weil sich die Wohnung der terroristischen Gefährderin oder des terroristischen Gefährders in einer besonderen Nähe zu gefährdeten Orten befindet (Flughäfen, Plätze mit grossen Menschenansammlungen usw.). Die Liegenschaft oder Einrichtung muss aber vergleichbare Möglichkeiten zur selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensgestaltung und -führung wie ein (normales) häusliches Umfeld bieten. Dies insbesondere mit Bezug auf den Zugang zu Fernsehen, Radio und Internet, die selbständige Zubereitung von Nahrung, die Körperpflege und den Schutz der Privatsphäre.

Absätze 3 und 4: Die beiden Absätze stehen im Dienste des Verhältnismässigkeitsprinzips. Fedpol kann aus wichtigen Gründen Ausnahmen von der Eingrenzung auf eine Liegenschaft gestatten. Zudem wird ausdrücklich festgehalten, dass die Kontakte zur Aussenwelt und das soziale Leben nur soweit eingeschränkt werden dürfen, als dies zur Durchführung der Massnahme zwingend erforderlich ist. Vorgängig zur Bewilligung einer Ausnahme sind die beteiligten Behörden, d. h. der betroffene Kanton sowie der NDB (vgl. Art. 23j Abs. 1 E-BWIS), anzuhören.

Absatz 5: Die Eingrenzung auf eine Liegenschaft wird für höchstens drei Monate angeordnet. Die Massnahme kann zwei Mal um jeweils maximal drei Monate verlängert werden. Mit der Statuierung einer Maximaldauer soll verhindert werden, dass die Eingrenzung auf eine Liegenschaft zu einer unverhältnismässigen Dauermassnahme wird. Im Gegensatz zu anderen Massnahmen nach dem 5. Abschnitt ist die Anordnung einer weiteren Eingrenzung gegenüber ein und derselben Person ausgeschlossen (vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 23g E-BWIS).

Art. 23p

Eingrenzung auf eine Liegenschaft: Verfahren

Absatz 1: Fedpol unterbreitet die angeordnete Massnahme unverzüglich dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern zur Prüfung der Rechtmässigkeit und Angemessenheit. Mit der gewählten Lösung ­ Anordnung der Massnahme durch fedpol mit nachträglicher Genehmigung durch das Gericht ­ soll sichergestellt werden, dass der von der einzugrenzenden Person ausgehenden und gemäss Artikel 23o Absatz 1 Buchstabe a E-BWIS erheblichen und nicht anders abwendbaren Gefahr unverzüglich mit einer freiheitsentziehenden Massnahme begegnet werden kann. Das Zwangsmassnahmengericht wurde deshalb als Genehmigungsinstanz gewählt, weil es im Bereich von (grundrechtsrelevanten) Zwangsmassnahmen über die notwendige Erfahrung verfügt. Der Antrag enthält insbesondere Angaben zu Art und Umfang der Bedrohung, zur Verletzung bisheriger Anordnungen (vgl. Art. 23o Abs. 1 Bst. b E-BWIS) und zu sonstigen für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit relevanten Umständen. Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags.

Absatz 2 regelt, wie im Fall einer von fedpol als notwendig erachteten Verlängerung der Eingrenzung auf eine Liegenschaft vorzugehen ist. Um zu verhindern, dass die Eingrenzung endet, bevor das Zwangsmassnahmengericht über deren Verlängerung 4797

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entschieden hat, kann das Gericht eine provisorische Fortdauer der Massnahme bis zu seinem Entscheid anordnen. Die in Absatz 1 erwähnte Frist von 48 Stunden findet auf den Entscheid betreffend Verlängerung keine Anwendung.

Absatz 3 regelt die Entschädigung des Zwangsmassnahmengerichts. Diese richtet sich nach Artikel 65 Absatz 4 des Strafbehördenorganisationsgesetzes vom 19. März 201041 (StBOG).

Absatz 4: Die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder kann bei fedpol jederzeit ein Gesuch um Aufhebung der Massnahme einreichen (Art. 23f Abs. 4 E-BWIS). Fedpol leitet das Gesuch spätestens innert drei Tagen zusammen mit den Akten und mit einer begründeten Stellungnahme an das Zwangsmassnahmengericht weiter, sofern dem Gesuch nicht entsprochen wird.

Absatz 5: Fedpol beendet die Eingrenzung auf eine Liegenschaft unverzüglich, wenn die Voraussetzungen für deren Anordnung weggefallen sind, z. B. wenn von der oder dem Betroffenen aufgrund ­ begleitend durchgeführter ­ sozialer, integrativer oder therapeutischer Massnahmen keine erhebliche Gefährdung für Dritte mehr ausgeht. Die Eingrenzung ist ferner dann zu beenden, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Genehmigung zur Anordnung oder Verlängerung der Massnahme verweigert und schliesslich dann, wenn fedpol oder das Zwangsmassnahmengericht einem Gesuch um Aufhebung der Massnahmen entsprechen.

Art. 23q

Elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierung

Zum Vollzug der Massnahmen nach den Artikeln 23l­23o E-BWIS kann es sich als notwendig erweisen, dass die für den Vollzug zuständige Behörde die räumlichen Bewegungen der betroffenen Person nachvollziehen bzw. deren Standort ermitteln kann («Aufenthaltsüberwachung»). Dies erleichtert insbesondere die Feststellung, ob sich die betroffene Person an eine Ein- oder Ausgrenzung bzw. an eine Eingrenzung auf eine Liegenschaft hält (Art. 23m und Art. 23o E-BWIS). Damit lassen sich allenfalls auch Hinweise darauf gewinnen, ob sich die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder an die im Rahmen eines Kontaktverbotes nach Artikel 23l E-BWIS ausgesprochene Auflage hält, bestimmte Personen nicht zu treffen. Werden verschiedene Personen mit einem gegenseitigen Kontaktverbot belegt, kann sich zudem die Einrichtung einer «dynamischen Verbotszone» anbieten: Beide Personen werden mit einer elektronischen Vorrichtung ausgerüstet, welche registriert, wenn sich die Personen einander nähern. Die elektronische Überwachung und die Mobilfunklokalisierung werden auf Antrag durch fedpol verfügt (Art. 23j E-BWIS), deren Durchführung obliegt jedoch der für den Vollzug der Massnahmen nach den Artikeln 23l­23o E-BWIS zuständigen und damit in der Regel der kantonalen Behörde (Art. 23r E-BWIS). Einer richterlichen Genehmigung bedürfen weder die elektronische Überwachung noch die Mobilfunklokalisierung.

Beide Massnahmen erfolgen mit Wissen der betroffenen Person und weisen keine mit einer geheimen Überwachungsmassnahme vergleichbare Eingriffsintensität auf.

In Absatz 1 werden zwei Möglichkeiten vorgesehen, den Standort und Aufenthalt einer Person zu ermitteln: Einerseits die Anordnung einer elektronischen Überwa41

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chung (die Rede ist auch von «elektronischer Aufenthaltsüberwachung», «Electronic Monitoring» oder ­ umgangssprachlich ­ von der «elektronischen Fussfessel» oder dem «elektronischen Armband»); andererseits die Mobilfunklokalisierung. Der Einsatz der elektronischen Überwachung und der Mobilfunklokalisierung kann unter der Voraussetzung angeordnet werden, dass sich andere Mittel und Kontrollmassnahmen als erfolglos erwiesen haben oder der Vollzug von Massnahmen nach den Artikeln 23l­23o ohne die elektronische Überwachung oder die Mobilfunklokalisierung aussichtslos wäre oder übermässig erschwert würde. Übermässig erschwert ist der Massnahmenvollzug auch dann, wenn dafür erhebliche personelle Ressourcen aufgewendet werden müssen. Mit diesen Einschränkungen wird dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung getragen und klargestellt, dass eine Aufenthaltsüberwachung ­ als Eingriff in Artikel 13 Absatz 2 BV ­ durch besondere Gründe gerechtfertigt sein muss. Auf das im Vernehmlassungsentwurf noch enthaltene Erfordernis, wonach die Massnahme angesichts des Ernstes der Lage gerechtfertigt sein muss, wird verzichtet: Dieses Erfordernis stellt keine wirkliche Einschränkung dar, zumal eine Massnahme nach den Artikeln 23l­23o ohnehin nur gegen Personen angeordnet werden darf, von welchen eine terroristische Gefährdung ausgeht.

Absatz 2 regelt das Anbringen von elektronischen Vorrichtungen zur Überwachung.

Elektronische Vorrichtungen können mit dem Körper, insbesondere dem Fuss- oder Handgelenk, fest verbunden werden. Das bedeutet, dass sich der Verschluss der elektronischen Vorrichtung nur gewaltsam öffnen lässt. Es wird aber auch die Möglichkeit vorgesehen, die betroffene Person mit einem Sender auszurüsten, der nicht fest mit dem Körper verbunden ist. Diesfalls ist die Person verpflichtet, das Gerät ständig und in betriebsbereitem Zustand mit sich zu führen. Zudem ist es untersagt, die Vorrichtung so zu manipulieren, dass deren Funktionsfähigkeit vermindert wird.

Ein Verstoss gegen diese Pflichten lässt sich zwar nicht gänzlich ausschliessen, doch dürfte von der Strafandrohung (Art. 29a E-BWIS) zumindest eine gewisse präventive Wirkung ausgehen. Die Bestimmung ist technologieneutral ausgestaltet. Zulässig ist insbesondere auch eine satellitengestützte Überwachung mittels GPS. Der Einsatz elektronischer
Vorrichtungen zur Überwachung umfasst auch die Installation eines Satellitenempfängers bzw. eines Basisgerätes in der Wohnung der betroffenen Person, welches mit dem am Körper getragenen Gerät kommuniziert. Auf eine permanente Überwachung des Aufenthaltsorts und der räumlichen Bewegungen in Echtzeit (aktive Überwachung) wird verzichtet, was in der Vernehmlassung auf Zustimmung gestossen ist. Eine solche lässt sich heute technisch kaum zuverlässig durchführen und ist zudem mit erheblichen Kosten verbunden. Die im Rahmen des «Electronic Monitoring» aufgezeichneten Bewegungsdaten können damit lediglich nachträglich ausgewertet werden. Dennoch wird den Behörden damit ein wichtiges Mittel in die Hand gegeben, die Einhaltung der angeordneten Massnahmen ­ z. B.

die Eingrenzung auf eine Liegenschaft ­ zu überprüfen. Zudem dürfte bereits das Wissen der Gefährderin oder des Gefährders um die Aufzeichnung des Bewegungsverhaltens nicht ohne präventive Wirkung bleiben, zumal Verstösse gegen eine Einoder Ausgrenzung oder ein Kontaktverbot strafbar sind (Art. 29a E-BWIS).

In Absatz 3 wird die nach Artikel 23r E-BWIS für den Vollzug zuständige Behörde ausdrücklich ermächtigt, die für die Standortlokalisierung eines Mobilfunkgerätes notwendigen Randdaten des Fernmeldeverkehrs zu verlangen. Im Vordergrund steht dabei die auf die Funkzelle bezogene «Cell-ID», welche immerhin eine grobmaschi4799

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ge Ortung erlaubt. Der Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF) gewährt der zuständigen Behörde im Abrufverfahren Zugriff auf die im betreffenden Verfahren gesammelten Daten (Art. 9 des Bundesgesetzes vom 18. März 201642 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs). Wird gegenüber einer Person eine Mobilfunklokalisierung angeordnet, hat diese das Mobilfunkgerät ständig und in betriebsbereitem, namentlich eingeschaltetem Zustand bei sich zu führen, damit die Lokalisierbarkeit sichergestellt ist.

Die zulässigen Bearbeitungszwecke werden in Absatz 4 abschliessend spezifiziert.

In erster Linie dient die Überwachung dem Vollzug der Massnahmen nach den Artikeln 23l­23o E-BWIS (Bst. a), etwa zur Feststellung, ob sich die Person an eine Ein- oder Ausgrenzungsverfügung hält. Die Daten dürfen zudem für die Verfolgung von Straftaten verwendet werden (Bst. b). Dabei muss es sich nicht zwingend um terroristische Straftaten (vgl. dazu auch Ziff. 1.1) handeln, aber in jedem Fall um ein Verbrechen oder ein schweres Vergehen (vgl. zum Begriff die Erläuterungen zu Art. 3a E-ZentG). Mit der Präzisierung «gemäss dem anwendbaren Verfahrensrecht» soll klargestellt werden, dass die gestützt auf Artikel 23q erhobenen Daten nur insofern in ein Strafverfahren Eingang finden dürfen, als diese Daten auch nach den einschlägigen strafprozessualen Regeln hätten erhoben werden können (Art. 269 ff. und Art. 280 f. StPO; Art. 70 ff. und Art. 71 ff. des Militärstrafprozesses vom 23. März 197943 [MStP]). Ebenfalls dürfen die Daten zur Abwehr von Gefährdungen verwendet werden (Bst. c): Zum einen, um eine Gefährdung festzustellen, zum anderen, um die Gefährderin oder den Gefährder rasch lokalisieren zu können. Anhaltspunkte auf eine Gefährdung bilden beispielsweise Verstösse gegen eine Ein- und Ausgrenzung. Zulässig ist die Bearbeitung auch dann, wenn Anzeichen auf eine schwere Selbstgefährdung (z. B. Suizidabsichten) bestehen und nicht davon auszugehen ist, dass sich die Person der Gefährdung aus freiem Willen aussetzt. Schliesslich dürfen die Daten bearbeitet werden, um die Funktionsfähigkeit der technischen Mittel zu prüfen und aufrechtzuerhalten (Bst. d). Die zulässigen Bearbeitungszwecke werden damit eng umschrieben.

Gemäss Absatz 5 sind die beim Einsatz einer elektronischen Überwachung erhobenen
Daten spätestens nach 100 Tagen zu vernichten. Nicht zur Anwendung kommt diese absolute Frist, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die Daten in einem Strafverfahren als Beweis für ein von der Gefährderin oder dem Gefährder begangenes Delikt Verwendung finden können. Die Löschung der für die Zwecke der Mobilfunklokalisierung erhobenen Randdaten richtet sich nach Artikel 11 Absatz 4 ter E-BÜPF (vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 11 Abs. 4 ter E-BÜPF).

Gemäss Absatz 6 sind diejenigen Personen, welche die erhobenen Daten bearbeiten dürfen, ausdrücklich zu bezeichnen. Damit soll der Kreis derjenigen Personen, welche Zugriff auf die grundrechtssensiblen Daten haben, beschränkt und die Verantwortlichkeiten klar zugewiesen werden. Der Begriff des Bearbeitens ist dabei weit zu verstehen und umfasst jeden Umgang mit Personendaten, unabhängig von den angewandten Mitteln und Verfahren (vgl. Art. 3 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199244 über den Datenschutz [DSG]). Die erhobenen Daten sind zudem vor 42 43 44

SR 780.1 SR 322.1 SR 235.1

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einer missbräuchlichen Verwendung zu schützen. In der Verantwortung dafür steht die für den Vollzug der Massnahme zuständige Behörde (vgl. Art. 23r).

Art. 23r

Vollzug der Massnahmen

Absatz 1 stellt klar, dass für den Vollzug der durch fedpol angeordneten Massnahmen die Kantone zuständig sind. Vorbehalten bleiben die eigenständigen Vollzugskompetenzen von fedpol im Bereich des Ausreiseverbotes nach Artikel 23n E-BWIS. Gemäss Absatz 2 leistet fedpol Amts- und Vollzugshilfe. Damit wird dem in der Vernehmlassung durch verschiedene Kantone geäusserten Anliegen Rechnung getragen, dass diese beim Vollzug der Massnahmen durch den Bund unterstützt werden sollen. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn eine kantonsoder landesgrenzenübergreifende Bedrohung vorliegt. Absatz 3 hält fest, dass die mit dem Vollzug der Massnahmen beauftragten Behörden polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden dürfen. Für die Bundesbehörden gelangt das ZAG zur Anwendung (Art. 2 Abs. 1 Bst. a ZAG; insbesondere zur Abwehr einer Gefahr oder zur Beschlagnahme von Gegenständen), für die kantonalen Behörden sind die entsprechenden Bestimmungen in den kantonalen Polizeigesetzen anwendbar.

Art. 24a Abs. 7 erster Satz und 9 Hierbei handelt es sich um eine rein redaktionelle Anpassung: Das geltende Recht erteilt der Zentralstelle für Hooliganismus (Zentralstelle) Zugriff auf die Informationen über Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen. Da diese Zentralstelle nicht mehr existiert, ist auch ihr Online-Zugriff, der in den Absätzen 7 und 9 erwähnt wird, zu streichen. Ebenso ist neu von der Eidgenössischen Zollverwaltung und nicht mehr von «den Zollbehörden» die Rede. Zusätzlich wird in Absatz 9 der Verweis auf die Rechtsgrundlage für diese Informationsweitergabe ins Ausland angepasst: Der geltende Artikel 24a Absatz 9 BWIS enthält einen Verweis auf Artikel 17 Absätze 3­5 BWIS. Diese Bestimmungen gehören jedoch zu den Normen, die mit dem Inkrafttreten des NDG im BWIS aufgehoben wurden. Die Regelungsmaterie von Artikel 17 Absätze 3­5 aBWIS findet sich heute in Artikel 61 Absätze 1 und 2 sowie 5 und 6 NDG. Diese Normen sind gemäss Artikel 24a Absatz 9 E-BWIS für die Informationsweitergabe analog anwendbar.

Art. 24c Abs. 1 Bst. a und Abs. 5 Diese Bestimmung betrifft ausschliesslich Personen, gegen die eine Massnahme wegen Gewalttätigkeiten an Sportveranstaltungen verhängt wurde. Sie soll wie folgt verschärft werden: Nach geltendem Recht kann einer Person die Ausreise aus der Schweiz in
ein bestimmtes Land für eine bestimmte Zeitdauer untersagt werden, wenn gegen sie ein Rayonverbot besteht. Neu soll diese Bestimmung zusätzlich zur Anwendung gelangen, wenn eine Person einer Meldeauflage nach Artikel 6 des Konkordats der KKJPD vom 15. November 2007 gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen unterliegt. Es hat sich gezeigt, dass die Bezugnahme allein auf das Rayonverbot nicht ausreicht, um gewalttätige Hooligans zur Gewährleistung der Sicherheit ausländischer Sportveranstaltungen an der Ausreise zu hindern.

4801

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In Absatz 5 Satz 2 wird die nicht mehr existierende Zentralstelle (vgl. Erläuterungen zu Art. 24a Abs. 7 erster Satz und 9) gestrichen.

Art. 24f

Altersgrenze

Die Massnahmen nach den Artikeln 23k­23n sowie 23q und 24c E-BWIS können nur gegen Personen verfügt werden, die das 12. Altersjahr vollendet haben. Die Massnahme nach Artikel 23o E-BWIS kann nur gegen Personen verfügt werden, die das 15. Altersjahr vollendet haben. Damit werden ausdrücklich Altersgrenzen festgelegt und wird gleichzeitig dem Umstand Rechnung getragen, dass auch von minderjährigen Personen eine terroristische Gefahr ausgehen kann. Die jüngsten terroristisch motivierten Reisenden aus der Schweiz waren zum Zeitpunkt der Ausreise 15 bzw. 16 Jahre alt. Im Jahr 2017 verhaftete die französische Polizei in einem Vorort von Paris (Vitry-sur-Seine) einen 13-Jährigen, nachdem er auf Telegram (einem Messaging-Dienst) dem IS die Treue geschworen hatte. Er soll kurz davor gestanden sein, einen Anschlag zu verüben. Eine 15-jährige IS-Sympathisantin stach im Jahr 2016 bei einer Polizeikontrolle im Bahnhof von Hannover einem Polizisten mit einem Messer in den Hals. Das Wohl und die Rechte des Kindes sind jedoch stets im Sinne des Übereinkommens vom 20. November 198945 über die Rechte des Kindes sowie von Artikel 11 BV zu wahren und in der Interessenabwägung vorrangig zu berücksichtigen. Bei Kindern sind vorab Kindesschutzmassnahmen zu prüfen, welche das anvisierte Ziel herbeiführen können.

Art. 24g

Rechtsschutz

Mit dieser Bestimmung wird der Rechtsschutz sowohl der Verfügungsadressaten wie auch der antragstellenden Kantone und Gemeinden geregelt. Zudem regelt die Bestimmung die Beschwerdeberechtigung von fedpol gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts.

Absatz 1 und 2 führen eine Rechtsmittelbestimmung für die Anfechtung von Massnahmen nach dem 5. und 5a. Abschnitt ein. Zudem wird eine gemeinsame Bestimmung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerden gegen Verfügungen nach dem 5. und 5a. Abschnitt statuiert (Abs. 3).

Die betroffene Person (Abs. 2 erster Satz) und die antragstellende kantonale oder kommunale Behörde (Abs. 2 Bst. a) können gegen Verfügungen von fedpol betreffend Massnahmen nach dem 5. und 5a. Abschnitt beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde führen. Eine Beschwerde der antragstellenden kantonalen oder kommunalen Behörde kann sich insbesondere darauf beziehen, dass fedpol einen Antrag auf Anordnung von Massnahmen gänzlich ablehnt, einem solchen nur teilweise Folge leistet oder eine Ausnahme bewilligt oder ablehnt (Art. 23m Abs. 2 und Art. 23o Abs. 3). Das Verfahren richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege bzw. nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 196846 (VwVG). Die Ausnahmen gemäss Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe a des

45 46

SR 0.107 SR 172.021

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Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 200547 und Artikel 83 Buchstabe a des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 200548 kommen vorliegend nicht zur Anwendung, da es sich nicht um Anordnungen mit vorwiegend politischem Charakter handelt. Gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts ist die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig. Auch fedpol ist zur Beschwerde berechtigt (Abs. 2 Bst. b).

Absatz 3: Beschwerden gegen Verfügungen über Massnahmen nach diesem Gesetz haben keine aufschiebende Wirkung. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass gegenüber terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern angesichts der von ihnen ausgehenden Gefährdung regelmässig ein schnelles und unverzügliches Einschreiten angezeigt ist. Der Entzug der aufschiebenden Wirkung liegt damit im überwiegenden öffentlichen Interesse. Die Instruktionsrichterin oder der Instruktionsrichter der Beschwerdeinstanz kann einer Beschwerde von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei die aufschiebende Wirkung erteilen, wenn der Zweck der Massnahme dadurch nicht gefährdet wird.

Art. 29a

Verstösse gegen Massnahmen nach den Artikeln 23k­23q

Eine Zuwiderhandlung gegen eine angeordnete Administrativmassnahme nach den Artikeln 23l­23q ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe zu bestrafen (Abs. 1). Eine entsprechende Strafandrohung findet sich in Artikel 291 StGB bezogen auf einen Verstoss gegen eine von fedpol verfügte Ausweisung (Verweisungsbruch) sowie in Artikel 119 AIG bezogen auf die Missachtung einer ausländerrechtlichen Ein- oder Ausgrenzung. Zu bestrafen ist auch, wer im In- oder Ausland einer Person die Nichteinhaltung der Massnahme erleichtert, sie darin bekräftigt oder unterstützt. Handelt die Täterin oder der Täter fahrlässig, ist die Strafe Busse (Abs. 2). Verstösse gegen die Massnahme nach Artikel 23k (Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht) sind ebenfalls strafbar, stellen aber lediglich Übertretungen dar (Abs. 3). Bei nicht volljährigen Personen sind die Bestimmungen des Jugendstrafrechts massgebend.

Art. 29b

Strafverfolgung

Die Verfolgung und Beurteilung der Widerhandlungen nach Artikel 29a E-BWIS unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit. Dies ist deshalb sachgerecht, da eine Bundesbehörde die betreffenden Massnahmen verfügt hat, welche zudem den Bereich des Terrorismus beschlagen.

47 48

SR 173.32 SR 173.110

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2. Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 200549 Art. 31 Abs. 3 Die Artikel 17 und 18 des Übereinkommens vom 28. September 195450 über die Rechtsstellung der Staatenlosen legen fest, dass die vertragsschliessenden Staaten den sich auf ihrem Gebiet rechtmässig aufhaltenden Staatenlosen eine möglichst günstige Behandlung gewähren, die auf alle Fälle nicht ungünstiger ist als die, welche Ausländerinnen und Ausländern im allgemeinen unter den gleichen Umständen gewährt wird, und zwar in Bezug auf Stellenantritt (Art. 17) wie auch in Bezug auf selbstständige Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft, Industrie, im Gewerbe und Handel sowie auf die Gründung von Handels- oder Industriefirmen (Art. 18).

Mit der Änderung des AIG vom 14. Dezember 201851 wurde den Staatenlosen, analog den anerkannten Flüchtlingen, die Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit eingeräumt.52 Dies gilt auch, wenn die Personen mit einer strafrechtlichen Landesverweisung belegt wurden, welche nicht vollzogen werden kann.

Personen, die mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung (Art. 68 AIG) belegt wurden, sollen gleichbehandelt werden wie Personen mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung (vgl. zur Gleichbehandlung die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 AIG). Es wird deshalb vorgeschlagen, neu auch Staatenlose mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung zur Erwerbstätigkeit zuzulassen.

Sollte die Änderung des AIG vom 14. Dezember 2018 wider Erwarten später als diese Vorlage in Kraft treten, werden entsprechende Koordinationsbestimmungen zu erlassen sein (Entsprechendes gilt bezogen auf die nachstehend erläuterten Bestimmungen von Art. 86 Abs. 1bis Bst. b und d und Art. 87 Abs. 1 Bst. d E-AIG).

Art. 75 Abs. 1 Einleitungssatz sowie Bst. a und i, Art. 76 Abs. 1 Bst. b Ziff. 1 und Art. 76a Abs. 2 Bst. j Vorbemerkungen zur Ausschaffung von kriminellen Ausländerinnen und Ausländern Bezüglich der Ausschaffung von kriminellen Ausländerinnen und Ausländern zeigt sich gegenwärtig folgendes Bild: Im Jahr 2018 verzeichnete das Staatssekretariat für Migration (SEM) 6137 Ausreisen auf dem Luftweg. Darunter waren 1365 selbstständige Ausreisen und 4772 Rückführungen gemäss Artikel 28 Absatz 1 der Zwangsanwendungsverordnung vom 12. November 200853. Bei 560 der
rückzuführenden Personen war eine polizeiliche Begleitung bis in den Zielstaat notwendig; bei 214 davon im Rahmen eines Sonderflugs. Die Annullierungs- und Umbuchungsquote betrug im vergangenen Jahr 30,8 Prozent. Insgesamt musste 2018 für 2731 Personen die bereits organisierte Ausreise annulliert oder umgebucht werden.

49 50 51 52 53

SR 142.20 SR 0.142.40 BBl 2018 1769 BBl 2018 1685, hier 1732 SR 364.3

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Die drei hauptsächlichen Annullierungsgründe machen fast einen Anteil von zwei Dritteln aus und betreffen Personen: ­

die untertauchen bzw. nicht am Flughafen erscheinen (26,3 %; 719 Personen);

­

für welche ein Vollzugsstopp verfügt wurde (17,2 %; 470 Personen);

­

welche die Ausreise am Flughafen verweigern (14,1 %; 386 Personen).

Die weiteren Gründe dafür, dass eine Wegweisung nicht bzw. noch nicht vollzogen werden konnte, sind vielfältig. Der Bundesrat hat dazu im Rahmen der Interpellation 16.3714 Steinemann «Gescheiterte Abschiebungen. Zahlen und Gründe» Stellung genommen. Bezogen auf die von fedpol gestützt auf Artikel 68 AIG verfügten Ausweisungen wegen einer Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit ist Folgendes festzuhalten: Im Jahr 2018 wurden fünf Ausweisungen verfügt (alle mit Terrorismusbezug). Davon konnten zwei Ausweisungen aufgrund von Vollzugshindernissen (Non-Refoulement) nicht vollzogen werden. Im Jahr 2017 wurden gesamthaft 13 Ausweisungen verfügt (alle mit Terrorismusbezug). Zwei Ausweisungen konnten wegen des Vorliegens von Vollzugshindernissen (Non-Refoulement) nicht vollzogen werden.

Scheitert eine Rückführung nach Vollzugsstufe 1 (polizeiliche Begleitung bis zum Flugzeug; anschliessend Ausreise auf einem Linienflug ohne Begleitung), wird geprüft, ob der Vollzug nach Vollzugsstufe 2/3 (polizeiliche Begleitung auf einem Linienflug bis zur Einreise in den Zielstaat) möglich ist. Um die begleitete Ausreise sicherzustellen, ist schliesslich als letzte Möglichkeit die Organisation eines Sonderflugs vorgesehen (Vollzugsstufe 4). Die für den Vollzug der Wegweisungen zuständigen Kantone haben zudem die Möglichkeit, gestützt auf Artikel 73 ff. AIG Zwangsmassnahmen wie die Ausschaffungshaft anzuordnen.

Die Flugkosten für eine Ausreise mittels Linienflug betrugen 2018 durchschnittlich 904 Franken pro rückzuführende Person. Darin enthalten sind auch die Flugkosten allfälliger polizeilicher oder medizinischer Begleitpersonen. Bei Sonderflügen betrugen die durchschnittlichen Flugkosten 14 896 Franken pro Person. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass jährlich ca. 1,5 Millionen Franken der Flugkosten der Sonderflüge von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex rückvergütet werden. Dies entsprach im vergangenen Jahr praktisch der Hälfte der gesamten Flugkosten für die Sonderflüge (Total Flugkosten Sonderflüge 2018: 3 187 652 Franken). Bei Rückführungen kommen überdies die Kosten für die polizeiliche Begleitung gemäss Artikel 58 der Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 54 hinzu. Weiter vergütet der Bund den Flughafenbehörden gemäss Artikel 11a Absatz 3 der Verordnung vom 11. August 199955 über den
Vollzug der Weg- und Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen (VVWAL) eine Pauschale für den Empfang der rückzuführenden Personen am Flughafen und die polizeiliche Zuführung zum Flugzeug. Zudem übernimmt der Bund gemäss Artikel 11a Absatz 4 VVWAL die Kosten für die medizinische Begleitung der Ausreisen. Was die ausländerrechtliche Administrativhaft betrifft, beteiligt sich der 54 55

SR 142.312 SR 142.281

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Bund gemäss Artikel 82 Absatz 2 AIG mit einer Tagespauschale an den Betriebskosten. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Ausreise- und Vollzugskosten im Ausländerbereich ­ anders als im Asylbereich ­ vollständig zulasten der Kantone gehen.

Der Vollzug des Asyl- und Ausländerrechts erfolgt in der Schweiz nach föderalistischen Gesichtspunkten. Gemäss Artikel 46 AsylG und Artikel 69 AIG sind die Kantone für den Vollzug der Wegweisungen verantwortlich. Aufgrund der kantonalen Zuständigkeit zeigen sich in der Aufgabenerfüllung Differenzen zwischen den einzelnen Kantonen. Gestützt auf Artikel 46 Absatz 3 AsylG veröffentlicht das SEM einmal jährlich ein Monitoring des Wegweisungsvollzugs. Dieses gibt unter anderem Auskunft über die Anzahl der Vollzugsfälle nach Kanton (aufgeschlüsselt nach Vollzugsstadium).

Was die Zusammenarbeit mit europäischen Drittstaaten im Rückkehrbereich betrifft, so hat die Schweiz die Zusammenarbeit mit Frontex seit 2014 massgeblich intensiviert (vgl. Antwort des Bundesrates zur Motion 17.3800 Romano). Beteiligte sich die Schweiz 2013 lediglich an drei der EU-Sammelflüge (6 Rückzuführende), die durch Frontex koordiniert und finanziert werden, waren es im vergangenen Jahr insgesamt 22 Flüge (82 Rückzuführende). Sieben dieser Flüge hat die Schweiz als federführender Staat organisiert.

Anpassungen mit Blick auf Gefährderinnen und Gefährder der inneren oder äusseren Sicherheit Neu wird für die Vorbereitungshaft (Art. 75 AIG) und die Ausschaffungshaft (Art. 76 AIG) ein zusätzlicher Haftgrund der Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz geschaffen. Eine Anpassung wird auch bezüglich der Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens (Art. 76a E-AIG) vorgenommen: Konkretes ­ eine Haft rechtfertigendes ­ Anzeichen, dass sich die betroffene Person der Durchführung der Wegweisung entziehen will, ist neu auch die Erkenntnis, dass sie die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet (Abs. 2 Bst. j).

Als Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit gilt insbesondere die Gefährdung des Vorrangs der staatlichen Gewalt im militärischen und politischen Bereich ­ insbesondere durch Terrorismus oder die organisierte Kriminalität.56 Auf eine abschliessende Definition, was alles unter die Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit fällt ­ wie dies vereinzelt in der
Vernehmlassung angeregt wurde ­, wird verzichtet. Das AIG verweist in einer Vielzahl von Bestimmungen auf eine Gefährdung der «inneren oder äusseren Sicherheit», ohne diese Begriffe gesetzlich zu definieren. Die Umschreibung in der Botschaft und der Rechtsprechung verleiht dem Begriff der inneren und äusseren Sicherheit für das Ausländerrecht hinreichend scharfe Konturen.

Die Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit hat sich auf Erkenntnisse bzw.

auf die Einschätzung von fedpol und des NDB ­ z. B. im Rahmen einer bereits erlassenen Ausweisungsverfügung oder eines Amtsberichts ­ zu stützen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Annahme einer Gefährdung im konkreten Einzelfall durch Informationen einer dafür kompetenten Bundesbehörde belegt ist.

56

Vgl. im Einzelnen BBl 2002 3709, 3814; BVGE 2013/3 E. 4.2.1 und 5.1

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Mit dem neuen Haftgrund sollen bestehende gesetzliche Lücken geschlossen werden. Schon heute kann zwar eine Person in Haft genommen werden, wenn sie Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet und deshalb strafrechtlich verfolgt wird oder verurteilt worden ist; Entsprechendes gilt, wenn die Person wegen eines Verbrechens verurteilt worden ist (Art. 75 Abs. 1 Bst. g und h; Art. 76 Abs. 1 Bst. b Ziff. 1 i. V. m. Art. 75 Abs. 1 Bst. g und h; Art. 76a Abs. 2 Bst. g und h AIG). Zu bedenken ist aber, dass auch von Personen, welche (noch) nicht strafrechtlich verfolgt werden oder verurteilt worden sind und die die Schweiz verlassen müssen, eine erhebliche und konkrete Gefährdung ausgehen kann. Das Anknüpfen an eine strafrechtliche Verfolgung bzw. Verurteilung ist in solchen Fällen nicht ausreichend. Dies gilt besonders bei terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern. In solch schwerwiegenden Fällen muss eine Haft unabhängig vom Vorliegen einer strafrechtlichen Verfolgung oder Verurteilung zulässig sein. Auch mag es in Einzelfällen zutreffen, dass eine terroristische Gefährderin oder ein terroristischer Gefährder bereits gestützt auf Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe b Ziffern 3 und 4 in Haft genommen werden kann («Untertauchensgefahr»). Indessen ist keinesfalls sichergestellt, dass die für die Bejahung einer Untertauchensgefahr in Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe b Ziffern 3 und 4 genannten und in der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen bei einer terroristischen Gefährderin oder einem terroristischen Gefährder in jedem Fall erfüllt sind. Die Rechtsprechung bejaht eine Fluchtgefahr i. S. v. Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe b Ziffern 3 und 4 namentlich dann, wenn die ausländische Person bereits einmal untergetaucht ist, wenn sie versucht, mittels offensichtlich falscher oder widersprüchlicher Angaben Vorkehren zur Durchführung der Ausschaffung zu hintertreiben, oder wenn sie durch Äusserungen oder ihr Verhalten klar erkennen lässt, nicht bereit zu sein, in ihr Heimatland zurückzukehren.57 Um Klarheit zu schaffen und dem Bestimmtheitsgebot Rechnung zu tragen, wird die Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit zudem neu als konkretes Anzeichen i. S. v. Artikel 76a Absatz 1 Buchstabe a AIG erfasst, welches befürchten lässt, dass sich die betroffene Person der Durchführung der
Wegweisung entziehen will.

Allein der Umstand, dass eine Person die innere oder äussere Sicherheit gefährdet, reicht für sich genommen jedoch nicht aus, um eine ausländerrechtliche Haft anzuordnen. Der neue Haftgrund bzw. die Konkretisierung der Untertauchens- oder Fluchtgefahr i. S. v. Artikel 76a Absatz 1 Buchstabe a AIG dient den Zwecken des Ausländerrechts. Eine Inhaftierung muss somit den Zielen dienen, die mit der Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft bzw. der Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens erreicht werden sollen (Durchführung eines Verfahrens bzw. Sicherstellung des Vollzugs). Eine Haft darf zudem nur unter der Voraussetzung angeordnet werden, dass der Vollzug der Entfernungsmassnahme absehbar, d. h. rechtlich und tatsächlich möglich ist. Für die Annahme einer Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit müssen hinreichende Anhaltspunkte bestehen.

In der Vernehmlassung wurde angeregt, die Vorbereitungshaft auch auf Fälle von Ausweisungen i. S. v. Artikel 68 AIG zu erstrecken. Tatsächlich kann selbst in solchen Fällen ein Bedürfnis nach einer Vorbereitungshaft bestehen: Eine Ausweisung kann auch gegenüber Personen erfolgen, die über keine der in Artikel 75 Ab57

BGE 140 II 1 E. 5.3 S. 4

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satz 1 genannten Bewilligungen verfügen (Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung). In Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe i wird deshalb neu ausdrücklich vorgesehen, dass Haft auch für die Vorbereitung eines Ausweisungsverfahrens zulässig ist. Obwohl für den Ausweisungsentscheid fedpol zuständig ist, wird auch in solchen Fällen die Haft von der zuständigen kantonalen Behörde angeordnet. Zudem wird in Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe a neu ausdrücklich das Ausweisungsverfahren erwähnt.

Art. 81 Abs. 5 und 6 Zweck der ausländerrechtlichen Haft sind namentlich die Vorbereitung und die Sicherstellung des Vollzugs eines Weg- oder Ausweisungsverfahrens oder einer Landesverweisung. Auch im Rahmen einer ausländerrechtlichen Haft müssen die Behörden jedoch Gefährdungen der inneren oder äusseren Sicherheit entgegentreten können. Die in Absatz 5 vorgesehene Kontaktbeschränkung verfolgt nicht primär eine ausländerrechtliche Zielsetzung, sondern ist durch sicherheitspolizeiliche Überlegungen begründet. Nach der Rechtsprechung erfordert der ausländerrechtliche Haftzweck zwar «regelmässig keine Beschränkungen des Kontakts mit der Aussenwelt oder mit andern Personen, die sich ebenfalls in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft befinden», doch rechtfertigen sich einzelfallbezogene Einschränkungen «bei konkreten Sicherheitsbedenken». 58 Mit den neuen Absätzen 5 und 6 soll die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um den von inhaftierten terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern ausgehenden Gefahren besser Rechnung tragen zu können.

Eine Kontaktbeschränkung bis hin zu einem eigentlichen Kontaktverbot (Abs. 5) kann ausgesprochen werden, wenn von der Person eine konkrete Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit ausgeht (Bst. a). Zu denken ist insbesondere an Versuche, Mitgefangene zu radikalisieren, an eine Bestärkung Dritter in der Absicht, terroristische Anschläge zu begehen, oder an die Vermittlung von Plänen und Wissen zur Verübung von terroristischen Anschlägen. Es kann einer Person der Kontakt nicht nur mit mitinhaftierten Personen beschränkt werden, sondern auch mit Nichtgefangenen, soweit die Gefahr einer negativen Einwirkung im vorgenannten Sinne besteht. Die blosse Möglichkeit, dass es zu einer entsprechenden Beeinflussung Dritter kommt, reicht für die Anordnung einer Kontaktbeschränkung
nicht aus.

Vielmehr bedarf es einer konkreten Gefahr. Zu prüfen ist dabei etwa auch, ob sich für allfällige Radikalisierungsversuche tatsächlich empfängliche Personen im Umfeld der inhaftierten Person befinden. Mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip ist im Einzelfall zu prüfen, wie umfassend die Kontaktbeschränkung anzuordnen ist. Möglicherweise reicht es aus, den Kontakt nur zu einzelnen Personen zu beschränken oder zu verbieten. Ebenfalls kann es sich als ausreichend erweisen, wenn der Kontakt zu gewissen Personen lediglich unter Aufsicht gestattet wird. Ein eigentliches Kontaktverbot wäre in solchen Fällen unverhältnismässig. Erforderlich ist zudem, dass die Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit durch Erkenntnisse von Polizei- oder Strafverfolgungsbehörden gestützt wird. Zu denken ist etwa an entsprechende Feststellungen von fedpol im Rahmen einer Ausweisungsverfü58

BGE 122 I 222 E. 2a/bb S. 227; BGE 123 I 221 E. I/4d S. 228

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gung nach Artikel 68 AIG oder in einem Amtsbericht, an Erkenntnisse aus einer laufenden Strafuntersuchung oder an eine bereits erfolgte Verurteilung wegen terroristisch motivierter Straftaten. Damit soll sichergestellt werden, dass eine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit nicht vorschnell unterstellt wird. Die Kontaktbeschränkung muss sich, wie jede staatliche Massnahme, in jedem Fall als erforderlich erweisen (Bst. b). Zu prüfen ist insbesondere, ob schon die blosse Androhung einer Kontaktbeschränkung den erwünschten Effekt hat. Ebenfalls ist zu prüfen, ob der Gefahr einer Radikalisierung Dritter durch Anpassungen im Vollzug entgegengewirkt werden kann. Zu denken ist z. B. an einen Kleingruppenvollzug mit Personen, die für Radikalisierungsversuche nicht anfällig sind. Grundsätzlich denkbar ist auch die Verlegung in eine andere Haftanstalt. Dabei bleibt jedoch das Trennungsgebot von Artikel 81 Absatz 2 zu berücksichtigen. Eine Zusammenlegung mit Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug ist auch für den Vollzug des Kontaktverbotes nicht statthaft. Die Unterbringung von ausländerrechtlich inhaftierten Personen hat in Haftabteilungen zu erfolgen, die von denjenigen anderer Häftlingskategorien getrennt sind.59 Sofern es für den Vollzug der Kontaktbeschränkung erforderlich ist, kann für die Person zudem Einzelhaft angeordnet werden, d. h. die Person darf in der Haftanstalt ununterbrochen getrennt von anderen Mithäftlingen untergebracht werden (Abs. 6).

Angesichts der physischen und psychischen Folgen, welche eine Isolierung von Inhaftierten zur Folge haben kann, sind die Voraussetzungen für eine Einzelhaft klar und eng zu umschreiben. Zudem gelten hohe Anforderungen an die Verhältnismässigkeit entsprechender Anordnungen. Eine Einzelhaft kommt nur dann in Frage, wenn von einer Person eine konkrete Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit ausgeht und diese Gefährdung durch Erkenntnisse von Sicherheits- oder Polizeibehörden gestützt wird. Zudem muss sich die mildere Massnahme einer Kontaktbeschränkung als nicht ausreichend erwiesen haben, um die Gefährdung ­ die negative Einwirkung auf Dritte ­ zu unterbinden.

Die Kontaktbeschränkung und die Einzelhaft werden als Kann-Bestimmungen formuliert. Auch bei einer Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit bedarf es einer
einzelfallbezogenen Prüfung, ob die Massnahmen aufgrund der Umstände tatsächlich notwendig und zumutbar sind. Damit wird auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Rechnung getragen, wonach Sicherheitsbedürfnissen «jeweils im Einzelfall nach Massgabe der konkreten Notwendigkeiten» Rechnung zu tragen ist.60 Bei der ­ ohnehin vorzunehmenden ­ Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass eine Isolierung negative Auswirkungen auf den Einzelnen haben kann. Umgekehrt kann der Kontakt mit Personen, die keinerlei Bezugspunkte zu 59

60

Siehe dazu BBl 2009 8881, 8901; BGE 122 II 299 E. 3c S. 304; siehe auch Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten für die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie); ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98, SR 0.362.380.042). Demnach hat die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu erfolgen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.

BGE 122 I 222 E. 2a/bb S. 227

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radikalisierten Kreisen haben, allenfalls zu einer erwünschten Deradikalisierung führen. Ist der Grund für die Anordnung weggefallen, sind die Massnahmen aufzuheben. Das Kontaktverbot und v. a. die Einzelhaft sind zudem in regelmässigen Abständen zu überprüfen.

Die Kontaktbeschränkung und die Einzelhaft werden von der für die Haftanordnung zuständigen Behörde angeordnet. Die Anordnung einer Kontaktbeschränkung und einer Einzelhaft müssen einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden können. Wird eine Kontaktbeschränkung bereits bei Anordnung der Haft verfügt, kann sie gestützt auf Artikel 80 Absatz 2 i. V. m. Absatz 4 AIG («Umstände des Haftvollzugs») durch den Haftrichter überprüft werden.61 Wird eine Kontaktbeschränkung oder eine Einzelhaft erst nachträglich angeordnet, richtet sich der Rechtsschutz nach dem anwendbaren (kantonalen) Verfahrensrecht.

Selbstverständlich sind bei der Anordnung einer Kontaktbeschränkung und der Einzelhaft völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz zu beachten, wie sie sich insbesondere aus der EMRK, der Rückführungsrichtlinie62, dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen sowie anderen für die Schweiz verbindlichen völkerrechtlichen Regeln über den Besuchs- und Briefverkehr ergeben.

Art. 83 Abs. 1, 5, Abs. 7 Einleitungssatz und Bst. c und 9 Ist der Vollzug einer ausländerrechtlichen Entfernungsmassnahme nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so wird in der Regel die vorläufige Aufnahme verfügt. Die ausländische Person darf in der Folge in der Schweiz verbleiben, bis die Vollzugshindernisse nicht mehr vorliegen. Bei der vorläufigen Aufnahme (Ausweis F) handelt es sich nicht um eine ausländerrechtliche Bewilligung, sondern um eine Ersatzmassnahme für eine nicht vollziehbare Weg- oder Ausweisung (Art. 83 ff.

AIG).

Wird gegenüber einer ausländischen Person eine strafrechtliche Landesverweisung 63 rechtskräftig, so erlischt die vorläufige Aufnahme oder sie darf nicht mehr verfügt werden (Art. 83 Abs. 9 AIG). Es bleibt also kein Raum mehr für eine Ersatzmassnahme bei einer nicht vollziehbaren Wegweisung. Diese Bestimmung wurde mit der Umsetzung von Artikel 121 Absätze 3­6 BV erlassen. Ohne vorläufige Aufnahme verlieren die betroffenen Personen namentlich die Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit auszuüben sowie die Familie nachzuziehen. Zudem wird lediglich Nothilfe gewährt (Art. 12 BV) und es wird an der Stelle eines Ausweises lediglich eine

61 62

63

Urteil des Bundesgerichts 2A.10/2002 vom 25. Januar 2002 E. 3b Gemäss Art. 16 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie wird in Haft genommenen Drittstaatsangehörigen auf Wunsch gestattet, zu gegebener Zeit mit Rechtsvertreterinnen und -vertretern, Familienangehörigen und den zuständigen Konsularbehörden Kontakt aufzunehmen.

Die Landesverweisung wird in Artikel 66a ff. StGB und Artikel 49a ff. MStG geregelt und umfasst den Verlust des Aufenthaltsrechts und den Verlust aller Rechtsansprüche auf Aufenthalt (Art. 121 Abs. 3 Einleitungssatz BV), die Verpflichtung zum Verlassen des Landes (Ausweisung) sowie ein Einreiseverbot von 5 bis 15 Jahren, im Wiederholungsfall von 20 Jahren (Art. 121 Abs. 5 BV).

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Bestätigung ausgestellt, dass die betreffende Person mit einer nicht vollziehbaren Landesverweisung belegt ist.64 Personen, gegen die fedpol zu Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz eine Ausweisung verfügt hat (Art. 68 AIG), sollen neu wie Personen mit einer Landesverweisung generell von der Anordnung einer vorläufigen Aufnahme ausgeschlossen werden (Art. 83 Abs. 9 E-AIG). Ist der Vollzug der Ausweisung nicht möglich oder nicht zumutbar, wird die vorläufige Aufnahme bereits heute nicht verfügt oder aufgehoben, wenn die betroffene Person die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet (Art. 83 Abs. 7 Bst. b und Art. 84 Abs. 3 AIG). Mit der vorgeschlagenen Regelung soll bei einer Ausweisung wie bereits heute bei einer Landesverweisung auch dann eine vorläufige Aufnahme ausgeschlossen sein, wenn der Vollzug aus völkerrechtlichen Gründen nicht zulässig ist (Art. 83 Abs. 3 AIG).

Ein Vollzug der Ausweisung ist jedoch auch in diesen Fällen ausgeschlossen, wenn damit das «Non-Refoulement-Gebot» verletzt würde.

Die vorläufige Aufnahme soll damit ­ analog der Landesverweisung ­ in sämtlichen Konstellationen (Art. 83 Abs. 2­4: Unmöglichkeit, Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit der Ausweisung) nicht verfügt werden oder erlöschen. Die vorgeschlagene Gleichstellung von Personen mit einer Landesverweisung und einer Ausweisung bezüglich der vorläufigen Aufnahme ist angezeigt, da in beiden Fällen die weitere Anwesenheit in der Schweiz auf Grund des persönlichen Verhaltens sowie aus Sicherheitsgründen gleichermassen unerwünscht ist.

Da bei rechtskräftigen Ausweisungen nach Artikel 68 vorläufige Aufnahmen erlöschen oder nicht mehr verfügt werden können, sind die Verweise auf die Ausweisung in den Absätzen 1, 5 und 7 zu streichen.

Art. 84 Abs. 2 Da neu die vorläufige Aufnahme ab Rechtskraft einer Ausweisung nicht mehr verfügt werden oder erlöschen soll (Art. 83 Abs. 9 E-AIG), muss sie nicht mehr aufgehoben werden. In der Folge ist der Begriff «Ausweisung» zu streichen.

Art. 86 Abs. 1bis Bst. b und d Artikel 23 des Abkommens vom 28. Juli 195165 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention) legt fest, dass die vertragsschliessenden Staaten den sich auf ihrem Gebiet rechtmässig aufhaltenden Flüchtlingen die gleiche Fürsorge und öffentliche Unterstützung gewähren wie den
Einheimischen. Eine identische Regelung für Staatenlose findet sich im Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Art. 23).

Dies gilt auch, wenn die Personen mit einer strafrechtlichen Landesverweisung belegt wurden, welche nicht vollzogen werden kann. Personen, die mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung (Art. 68 AIG) belegt wurden, sollen 64

65

Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 2013 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes (Umsetzung von Art. 121 Abs. 3­6 BV über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer), BBl 2013 6008.

SR 0.142.30

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gleichbehandelt werden wie jene mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung (vgl. zur Gleichbehandlung die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 AIG).

Es wird deshalb vorgeschlagen, neu auch Staatenlose und Flüchtlinge mit rechtskräftiger, aber nicht vollziehbarer Ausweisung bezüglich Sozialhilfestandards den gleichen Bestimmungen zu unterstellen, wie sie für Flüchtlinge gelten, denen die Schweiz Asyl gewährt hat.

Sollte die Änderung des AIG vom 14. Dezember 2018 wider Erwarten später als diese Vorlage in Kraft treten, sind entsprechende Koordinationsbestimmungen zu erlassen.

Art. 87 Abs. 1 Bst. d Mit der Änderung des AIG vom 14. Dezember 2018 wurde Artikel 87 Absatz 1 Buchstabe d derart abgeändert, dass der Bund den Kantonen neu zusätzlich auch für staatenlose Personen mit einer rechtskräftigen Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis StGB oder Artikel 49a oder 49abis MStG eine Pauschale nach den Artikeln 88 Absatz 3 und 89 AsylG ausrichtet.

Personen, die mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung (Art. 68 AIG) belegt wurden, sollen gleichbehandelt werden wie Personen mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung (vgl. zur Gleichbehandlung die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 AIG). Es wird deshalb vorgeschlagen, dass der Bund den Kantonen neu auch für Staatenlose, welche mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung belegt wurden, eine Pauschale ausrichtet.

Weitere Anpassungen im AIG sind nicht nötig, um die beabsichtigte Gleichbehandlung der Ausweisung mit der Landesverweisung zu erreichen. In Artikel 59 Absatz 3 AIG wird zwar nur die Landesverweisung nicht aber die Ausweisung ausdrücklich erwähnt; da eine ausgewiesene Person aber die in Artikel 59 Absatz 3 AIG ausdrücklich genannte innere oder äussere Sicherheit gefährdet (siehe Art. 68 AIG), hat sie schon nach der heutigen Regelung keinen Anspruch auf die Ausstellung von Reisepapieren.

Sollte die Änderung des AIG vom 14. Dezember 2018 wider Erwarten später als diese Vorlage in Kraft treten, werden entsprechende Koordinationsbestimmungen zu erlassen sein.

Art. 98c

Zusammenarbeit und Koordination mit fedpol

Gemäss der Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung sind die schweizerischen Behörden verpflichtet, insbesondere bei grenzüberschreitenden Bewegungen (Einreise, Ausreise, Durchreise) sicherheitsrelevante Umstände festzustellen, ausländerrechtliche Bewilligungen kritisch zu prüfen sowie bei Asyl- und Einbürgerungsgesuchen sicherheitsrelevante Aspekte besonders zu berücksichtigen (vgl.

Ziff. 5.1 Bst. a).66 Das SEM arbeitet im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben bei 66

BBl 2015 7492 f.

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der Terrorismusbekämpfung (die auch die Erkennung terroristischer Gefährdungen miteinschliesst) mit fedpol zusammen. Es koordiniert die Massnahmen in seinem Zuständigkeitsbereich mit den präventiv-polizeilichen und administrativen Massnahmen von fedpol. Sicherheitsrelevante Informationen sind an fedpol weiterzuleiten. Insbesondere nimmt das SEM bei der behördenübergreifenden Terrorismusbekämpfung eine wichtige Rolle ein. Dadurch kann die operative Zusammenarbeit im Rahmen von TETRA optimal koordiniert werden. Derzeit besteht für diese neuen Aufgaben noch keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage. Diese soll mit dem neuen Artikel 98c E-AIG geschaffen werden.

Um diese neuen Aufgaben erfüllen zu können, sind die wenigen Personen, die im SEM diese neuen Aufgaben wahrnehmen, darauf angewiesen, auch zusätzliche Informationsquellen konsultieren zu können. Entsprechend soll ihnen ein OnlineZugriff auf verschiedene von fedpol betriebene Informationssysteme gewährt werden (vgl. dazu unten die Erläuterungen zu den Art. 11, 12 und 14 E-BPI).

3. Asylgesetz vom 26. Juni 199867 Art. 5a

Zusammenarbeit und Koordination mit fedpol

Mit einem neuen Artikel 98c E-AIG soll, wie vorne dargestellt, eine neue Bestimmung in das AIG aufgenommen werden, die die Zusammenarbeit des SEM mit fedpol im Bereich der Terrorismusbekämpfung auf einer grundsätzlichen Ebene statuiert. Parallel dazu und aus denselben Überlegungen soll mit einem neuen Artikel 5a E-AsylG eine entsprechende Norm auch im AsylG geschaffen werden. Für nähere Ausführungen zu dieser Bestimmung kann auf die Erläuterungen zu Artikel 98c E-AIG verwiesen werden.

Art. 37 Abs. 6 Personen, die mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung (Art. 68 AIG) belegt wurden, sollen gleichbehandelt werden wie Personen mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung (vgl. zur Gleichbehandlung die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 E-AIG). Zugleich hat die Schweiz ein Interesse, den Vollzug möglicher Aus- und Wegweisungen von Personen, welche die Sicherheit der Schweiz gefährden, schnellstmöglich vorzunehmen.

Im AsylG wird deshalb neu vorgesehen, dass das Asylverfahren auch bei Vorliegen einer Ausweisung nach Artikel 68 AIG, also bei einer Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz durch die asylsuchende Person, mit besonderer Beförderlichkeit voranzutreiben ist. Dies wird vom SEM bereits heute so gehandhabt, was im Gesetz abgebildet werden soll.

67

SR 142.31

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Art. 61 Abs. 1 Mit der Änderung des AIG vom 14. Dezember 2018 wurde Artikel 61 Absatz 1 AsylG abgeändert und Flüchtlingen, die mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung belegt sind, die Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit eingeräumt.68 Aus Gründen der Gleichbehandlung von ausgewiesenen Personen (Art. 68 AIG) mit Personen, welche mit einer Landesverweisung belegt wurden (vgl. dazu die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 E-AIG) wird vorgeschlagen, neu auch Flüchtlinge mit rechtskräftiger, aber nicht vollziehbarer Ausweisung zur Erwerbstätigkeit zuzulassen.

Sollte die Änderung des AsylG wider Erwarten später als diese Vorlage in Kraft treten, werden entsprechende Koordinationsbestimmungen zu erlassen sein.

Art. 79 Bst. d Da ­ wie bereits ausgeführt ­ Personen, mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung (Art. 68 AIG) gleich wie Personen mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung behandelt werden sollen (vgl. zur Gleichbehandlung die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 E-AIG), soll im AsylG neu vorgesehen werden, dass der vorübergehende Schutz erlischt, wenn die schutzbedürftige Person mit einer Ausweisung nach Artikel 68 AIG (Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz) belegt wurde.

Art. 88 Abs. 3 erster Satz Da die rechtskräftige, aber nicht vollziehbare Ausweisung (Art. 68 AIG) gleichbehandelt werden soll wie die rechtskräftige, aber nicht vollziehbare Landesverweisung (vgl. die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 AIG), soll der Bund den Kantonen neu auch für Flüchtlinge, welche mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung belegt wurden, eine Pauschale ausrichten. Die Pauschale ist zeitlich befristet und kann nur während fünf Jahren nach Gesuchseinreichung ausgerichtet werden.

Art. 109 Abs. 7 zweiter Satz Aufgrund der angestrebten Gleichbehandlung der rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung (Art. 68 AIG) mit der rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung (vgl. die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 AIG) soll im AsylG neu vorgesehen werden, dass das Beschwerdeverfahren vor Bundesverwaltungsgericht neu auch bei Vorliegen einer Ausweisung nach Artikel 68 AIG, also bei Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz
durch die asylsuchende Person, mit besonderer Beförderlichkeit voranzutreiben ist.

Weitere Anpassungen im AsylG sind nicht erforderlich, um die angestrebte Gleichbehandlung der Ausweisung mit der Landesverweisung zu erreichen: Artikel 53 68

BBl 2018 1732

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(Asylunwürdigkeit) erwähnt zwar in Buchstabe c die Ausweisung nicht ausdrücklich, diese wird aber von Buchstabe b (Verletzung oder Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz) erfasst (vgl. dazu auch die Erläuterungen zu Art. 87 Abs. 1 Bst. d E-AIG). Entsprechendes gilt hinsichtlich Artikel 73 (Ausschlussgründe) aufgrund des Verweises in Buchstabe a auf Artikel 53 (welcher, wie eben ausgeführt, in Bst. b die Ausweisung mitumfasst). Zu verzichten ist auch auf Anpassungen in Artikel 64: Eine vollzogene Ausweisung führt bereits nach der jetzigen Regelung zu einem Erlöschen des Asyls in der Schweiz (Abs. 1 Bst. d); und bei einer nicht vollziehbaren Ausweisung besteht gestützt auf Artikel 63 Absatz 2 (Gefährdung oder Verletzung der inneren oder äusseren Sicherheit) schon heute die Möglichkeit, das Asyl zu widerrufen.

4. Bundesgesetz vom 20. Juni 200369 über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich Art. 9 Abs. 1 Bst. c, l und p sowie 2 Bst. c Einleitungssatz und Ziff. 1 In Absatz 1 (Daten des Ausländerbereichs) Buchstabe c wird der nicht mehr gebräuchliche Begriff «Bundesbehörden im Bereich des Polizeiwesens» ersetzt durch «Bundesbehörden im Bereich der inneren Sicherheit». Weiter werden in die Aufzählung der Behörden, die zum Zugriff auf das Informationssystem für den Ausländerund Asylbereich berechtigt sind, neu zusätzlich jene in den Bereichen der Überstellung verurteilter Personen sowie des stellvertretenden Straf- und Massnahmenvollzugs aufgenommen. Auch diese Behörden bedürfen zur Erfüllung ihrer Aufgaben dieses Datenzugriffs im Abrufverfahren. Zudem wird «automatisiertes Fahndungssystem» angepasst auf «automatisiertes Polizeifahndungssystem», womit neu der formellen Bezeichnung dieses Informationssystems gemäss Artikel 15 BPI entsprochen wird.

Gemäss Buchstabe l erhält der NDB einen Online-Zugriff auf die Daten im Ausländerbereich neu zusätzlich zur Prüfung von Fernhalte- und Entfernungsmassnahmen nach dem AIG (Ziffer 3; die für den NDB bereits bestehenden Zugriffszwecke werden redaktionell neu als Ziffern 1 und 2 erfasst). Ebenso kann fedpol neu zum Zweck der Prüfung von Fernhalte- und Entfernungsmassnahmen nach dem AIG auf das Informationssystem zugreifen (Buchstabe p). Der NDB und fedpol sind zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgabe darauf angewiesen, in die beim SEM vorhandenen relevanten Personendaten aus dem Ausländer- und Asylbereich Einsicht nehmen zu können: Der NDB nimmt im Rahmen seiner Aufgabe, Bedrohungen der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, eine Einschätzung der Gefährdung vor, die von bestimmten Personen ausgeht. Fedpol ist die Aufgabe übertragen, gegebenenfalls gegenüber einer Ausländerin oder einem Ausländer eine Fernhalte- oder Entfernungsmassnahme zur Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit nach Artikel 67 Absatz 4 (Einreiseverbot) und Artikel 68 (Ausweisung) AIG zu verfügen.

69

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Im Absatz 2 (Daten des Asylbereichs) wird in Buchstabe c (Einleitungssatz) wie bereits oben bei Absatz 1 Buchstabe c der nicht mehr gebräuchliche Begriff «Bundesbehörden im Bereich des Polizeiwesens» ersetzt durch «Bundesbehörden im Bereich der inneren Sicherheit». Zudem wird in Ziffer 1 wie bereits oben bei Absatz 1 Buchstabe c rein begrifflich «automatisiertes Fahndungssystem» durch «automatisiertes Polizeifahndungssystem» ersetzt.

Sollte die Änderung des AIG vom 14. Dezember 2018, mit der auch das Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich geändert wird, wider Erwarten später als diese Vorlage in Kraft treten, werden Koordinationsbestimmungen zu erlassen sein.

5. Ausweisgesetz vom 22. Juni 200170 Art. 12 Abs. 2 Bst. g Der NDB beschafft und bearbeitet Daten, um Bedrohungen im Bereich der inneren oder äusseren Sicherheit frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, wobei vorliegend insbesondere die Bereiche Terrorismus, verbotener Nachrichtendienst und gewalttätiger Extremismus relevant sind (Art. 6 Abs. 1 Bst. a NDG). Liegen ihm begründete Anhaltspunkte vor, dass von einer bestimmten Person eine solche konkrete Bedrohung ausgeht, ist er darauf angewiesen, möglichst rasch die Identität dieser Person abklären zu können. Über diese Möglichkeit muss der NDB auch verfügen, um mit Bezug auf die obgenannten Bedrohungsbereiche Ersuchen ausländischer, vor allem europäischer Partnerdienste nach Klärung der Identität einer Person mit mutmasslich schweizerischer Staatsbürgerschaft beantworten zu können. Allgemein ist der NDB nach Artikel 24 NDG im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben befugt, eine Person anzuhalten und zu identifizieren, gegebenenfalls gefolgt von einer Befragung. Aus diesen Gründen soll mit einem neuen Buchstaben g der NDB neu in die Liste der Behörden nach Artikel 12 Absatz 2 des Ausweisgesetzes (AwG) aufgenommen werden, die zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben im Abrufverfahren Daten im Informationssystem Ausweisschriften (ISA) abrufen können. Der Datenabruf ist ausdrücklich auf den Zweck der «Identitätsabklärung» beschränkt, so wie dies nach geltendem Recht für das GWK, für die vom Bund und von den Kantonen bezeichneten Polizeistellen sowie für die Polizeistelle des Bundes der Fall ist, die für aus dem Ausland eingehende Anfragen zur Identitätsabklärung zuständig ist (Art. 12 Abs. 2 Bst. c, d und f AwG). Der Umfang der Datenkategorien, die der NDB abrufen darf, soll dabei jenem entsprechen, wie er nach geltendem Recht dem GWK und den obgenannten Polizeistellen zur Verfügung steht. Konkret bedeutet dies, dass er folgende Daten online abfragen kann: den Geburtsort der betroffenen Person, Namen und Vornamen der Eltern, eine Ausweishinterlegung und den Entzug eines Ausweises.71 Wie bei den übrigen Behörden, die nicht selbst Ausweise ausstellen, erfolgt auch für den NDB der Zugriff auf das ISA mittels einer Schnittstelle über das 70 71

SR 143.1 Vgl. Ausweisverordnung vom 20. September 2002 (SR 143.11), Anhang 1 (Zugriffsmatrix).

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Informationssystem RIPOL. Der NDB wird dabei darauf angewiesen sein, das ISA ausschliesslich anhand des Namens abzufragen.

Der Zugriff wird auf diejenigen Mitarbeitenden des NDB beschränkt, die diese Daten zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Dienstes benötigen. Bedarf der NDB weiterer im ISA gespeicherter Daten, wie etwa Einträge über eine Schriftensperre, die Verweigerung der Ausstellung eines Ausweises oder Angaben zu einem allfälligen Verlust und Widerruf des Bürgerrechts, hat er gestützt auf Artikel 19 NDG ein entsprechendes Amtshilfeersuchen an fedpol zu richten.

6. Strafgesetzbuch72 Art. 78 Bst. d Mit der Anordnung von Einzelhaft sollen verurteilte Strafgefangene daran gehindert werden, Mithäftlinge für ihr terroristisches Gedankengut zu gewinnen. Ziel der Massnahme ist es, eine Gefährderin oder einen Gefährder an der Rekrutierung von Mitinsassen zu hindern und Letztere davon abzuhalten, bei ihrer Suche nach Anschluss und Perspektiven einer gefährlichen Ideologie zu verfallen.

Das geltende Recht kennt keinen auf solche Fälle zugeschnittenen Grund für eine Einzelhaft. Die Vollzugsform der Einzelhaft als «ununterbrochene Trennung von den anderen Gefangenen» ist nach geltendem Recht ­ soweit nicht als kurzzeitige Disziplinarmassnahme oder zur Vollzugseinleitung bei Strafantritt angewandt ­ nur zulässig zum Schutz des Gefangenen oder Dritter (Art. 78 Bst. b StGB). Beim Schutz Dritter geht es aber nicht um den Schutz der Öffentlichkeit vor Gefahren, welche von im Strafvollzug radikalisierten Personen ausgehen. Er zielt in erster Linie auf den Schutz von Mitgefangenen oder des Personals der Vollzugsanstalt ab.73 Angesichts der physischen und psychischen Folgen, welche eine Isolierung von Inhaftierten zur Folge haben kann, sind die Voraussetzungen, unter denen Einzelhaft angeordnet werden kann, möglichst eng zu umschreiben. Mit Blick auf in der Vernehmlassung geäusserte Kritik wird für die Einzelhaft vorausgesetzt, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen für eine Beeinflussung Dritter durch Gedankengut, das die Ausübung von terroristischen Aktivitäten begünstigen kann. Die blosse Möglichkeit solcher Beeinflussungsversuche reicht zur Anordnung einer Einzelhaft nicht aus. In jedem Einzelfall ist zudem zu prüfen, ob allenfalls mildere Mittel bestehen. Einzelhaft kann nur als «ultima ratio» zur Anwendung gelangen. Zu denken ist an eine Verlegung in eine andere Haftanstalt oder an einen Kleingruppenvollzug mit Personen, die für Radikalisierungsversuche nicht anfällig sind. Wichtig bleibt in jedem Fall eine Begleitung der getrennt untergebrachten Person mit sozialen, integrativen und therapeutischen Massnahmen.

72 73

SR 311.0 BBl 1999 II 1979, 2114; Günter Stratenwerth / Wolfgang Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, Art. 78 StGB, Rz. 2, 3. Aufl., Bern 2013.

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Auf die Festlegung einer Maximaldauer wird ­ wie beim Schutz des Gefangenen oder Dritter (Bst. b) ­ verzichtet. Welche Dauer verhältnismässig ist, muss ­ wie bei Buchstabe b74 ­ im Einzelfall und aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit bestimmt werden. Die Einzelhaft ist jedoch regelmässig zu überprüfen, wobei mit zunehmender Dauer die Anforderungen an deren Begründungspflicht steigen.

Art. 90 Abs. 1 Bst. d Beim Vollzug von Massnahmen stellt sich die gleiche Problematik bezüglich des Umgangs mit Radikalisierungsversuchen wie im Strafvollzug. Aus diesem Grund soll auch für den Massnahmenvollzug die Möglichkeit vorgesehen werden, eine Person wegen der Gefahr der Radikalisierung von anderen Eingewiesenen getrennt unterzubringen. Im Übrigen ist auf die Erläuterungen zu Artikel 78 Buchstabe d E-StGB zu verweisen.

Art. 365 Abs. 2 Bst. v sowie Art. 367 Abs. 2 Bst. n und Abs. 4 Gemäss Artikel 108b E-LFG sollen die zuständigen kantonalen Polizeistellen zur Sicherheitsüberprüfung des Flughafenpersonals neu einen Zugriff auf das Strafregister-Informationssystem VOSTRA erhalten (vgl. weiter hinten in diesem Abschnitt, Ziff. 11). Dies erfordert eine entsprechende Anpassung der Bestimmungen des StGB, die den Zweck, die Modalitäten und den Umfang der Datenbearbeitung in diesem Informationssystem regeln.

Der Regelungsinhalt von Artikel 365 Absatz 2 Buchstabe v E-StGB (Zweck der Datenbearbeitung) und von Artikel 367 Absatz 2 Buchstabe n und Absatz 4 E-StGB (bearbeitungsberechtigte Behörden) ist deckungsgleich mit dem weiter hinten in Ziffer 12 neu vorgeschlagenen Artikel 46 Buchstabe d Ziffer 3 des Strafregistergesetzes vom 17. Juni 201675 (StReG). Das Datum des Inkrafttretens des StReG ist gegenwärtig noch offen. Es müssen deshalb die vorgesehenen Anpassungen im heutigen Zeitpunkt für beide Gesetze ­ StGB wie StReG ­ ausgearbeitet werden. Ist im Zeitpunkt der Schlussabstimmung zur Vorlage PMT das StReG bereits in Kraft, können die beiden obgenannten StGB-Bestimmungen im vorliegenden Gesetzesentwurf gelöscht werden. Umgekehrt kann die bei Ziffer 12 vorgelegte StReGNorm aus dem Gesetzesentwurf gestrichen werden, falls das VOSTRA im Zeitpunkt der Schlussabstimmung weiterhin durch das StGB geregelt wird.

74 75

Günter Stratenwerth/Wolfgang Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, Art. 78 StGB, Rz. 2, 3. Aufl., Bern 2013.

BBl 2016 4871 (Referendumsvorlage)

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7. Bundesgesetz vom 23. Dezember 201176 über den ausserprozessualen Zeugenschutz Vorbemerkung Beim ausserprozessualen Zeugenschutz handelt es sich um eine Aufgabe, die gemeinsam vom Bund und den Kantonen erfüllt wird. Auf Seiten der Kantone wie des Bundes besteht ein Interesse an einer vertieften Zusammenarbeit. Die hier erläuterte Anpassung des Bundesgesetzes über den ausserprozessualen Zeugenschutz ist entsprechend in einem engen Zusammenhang mit der nachfolgend darzustellenden Änderung des ZentG zu sehen.

Art. 34 Abs. 2 und 3 Angesichts der relativ kleinen Anzahl von Zeugenschutzfällen in der Schweiz, der Komplexität der Schutzmassnahmen und der Notwendigkeit des Erhalts von Fachwissen und Professionalität einer Zeugenschutzstelle ist die Durchführung von Zeugenschutzmassnahmen sowohl für Zeuginnen und Zeugen aus Bundesverfahren als auch für solche aus kantonalen Verfahren zentral bei den Bundesbehörden angesiedelt. Gemäss heutiger Regelung tragen Bund und Kantone den Betrieb bzw. die Betriebskosten der Zeugenschutzstelle «zu gleichen Teilen» (Art. 34 Abs. 2). Diese Aufteilung der Betriebskosten erweist sich aus heutiger Sicht als zu starr, weshalb ihr auch seitens der Kantone Kritik erwachsen ist. Das Gesetz soll neu Raum lassen für eine flexible Finanzierungsregel, die den Rollen und Zuständigkeiten von Bund und Kantonen besser Rechnung trägt, als dies heute der Fall ist. Dabei soll auch berücksichtigt werden, dass die Zeugenschutzstelle mit dem Ausland bzw. internationalen Strafgerichtshöfen zusammenarbeitet und diese Leistungen nicht unmittelbar den Kantonen zugutekommen. Der Bundesrat soll neu mit den Kantonen die Aufteilung der Betriebskosten vereinbaren.

8. Bundesgesetz vom 7. Oktober 199477 über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten Seit der Schaffung des ZentG im Jahre 1994 hat sich die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen vertieft und ist auch inhaltlich wesentlich erweitert worden. Die Bekämpfung der Kriminalität, insbesondere der terroristisch motivierten Kriminalität, hat die Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen und ihre Zusammenarbeit vor neue Herausforderungen gestellt. Die Bekämpfung komplexer und grenzüberschreitender Kriminalität bedarf im heutigen Umfeld einer umfassenden Koordination zwischen Bund und Kantonen. Die allgemeinen Grundsätze dieser Polizeizusammenarbeit sind im ZentG abzubilden und aus systematischen Gründen an den Anfang des Gesetzes zu stellen. Die Artikel 1 und 2 des geltenden ZentG, die die Zentralstellen näher regeln, werden mit grundsätzlich unverändertem Wortlaut als neue Artikel 2 und 2a entsprechend nach hinten ver76 77

SR 312.2 SR 360

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BBl 2019

schoben. Der Begriff «Bekämpfung» ist in einem weiten Sinn zu verstehen. Neben der straf-justiziellen Verfolgung von Straftaten (Bekämpfung in einem engeren Sinn) ist auch deren Erkennung und Verhinderung mit allen weiteren polizeilichen Massnahmen und Mitteln gemeint (Kriminalitätsprävention).

Art. 1

Zusammenarbeit zwischen schweizerischen Polizeibehörden

Absatz 1 hält einen Grundsatz fest, der heute bereits eine Selbstverständlichkeit darstellt. Bund und Kantone koordinieren ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit (Art. 57 Abs. 2 BV). Sie unterstützen sich gegenseitig, stimmen ihre Tätigkeiten aufeinander ab und arbeiten zusammen. Bei der Zusammenarbeit im Rahmen von Artikel 57 Absatz 2 BV begegnen sich die Kantone und der Bund als gleichrangige Partner.

Absatz 2 enthält eine nicht abschliessende Aufzählung von Bereichen, in denen eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bereits heute besteht oder beabsichtigt ist.

Buchstabe a: Es ist von zentraler Bedeutung, dass Bund und Kantone bei der Kriminalitätsbekämpfung zusammenarbeiten. Diese ist zu einer Verbundaufgabe von Bund und Kantonen geworden. Im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten sollen sich Bund und Kantone in Organisationen und Einrichtungen zusammenschliessen können. Auf diese Weise sollen am besten Synergien und Fachwissen genutzt werden, um die Kriminalität wirksam und effizient zu bekämpfen. Diese Idee wird im Bereich der Bekämpfung der Internetkriminalität bald konkretisiert: Das von der KKPKS lancierte nationale Netzwerk Ermittlungsunterstützung digitale Kriminalitätsbekämpfung (NEDIK), bestehend aus mehreren regionalen und einem nationalen Kompetenzzentrum, soll zukünftig die in der Schweiz vorhandenen Fachleute mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen bündeln und ihre jeweiligen Leistungen aufeinander abstimmen. Das nationale Cyber-Kompetenzzentrum (NC3) von fedpol vereint sämtliche cyber-relevanten Kompetenzen aus den Bereichen Ermittlungen, Ermittlungsunterstützung und Zentralstellenaufgaben, darunter auch die (mittlerweile in die Abteilung IT-Forensik, Cybercrime von fedpol integrierte) Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK). Die Bekämpfung der Kriminalität, insbesondere der terroristisch motivierten Kriminalität, stellt die Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen vor Herausforderungen und bedarf im heutigen Umfeld einer umfassenden Koordination zwischen Bund und Kantonen. Der Begriff «Bekämpfung» ist in einem weiten Sinn zu verstehen.

Neben der strafjustiziellen Verfolgung von Straftaten (Bekämpfung in einem engeren Sinn) ist auch deren Erkennung und Verhinderung mit allen weiteren polizeilichen Massnahmen
und Mitteln gemeint (Kriminalitätsprävention).

Buchstabe b: Ein Beispiel für eine geplante Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in diesem Bereich ist ein Lageführungs- und Informationssystem wie das LAFIS. Das LAFIS ist eine internetbasierte Anwendung zur operativen und taktischen Lage- und Einsatzführung, die für die Bewältigung von besonderen und ausserordentlichen Lagen sowie Grossereignissen entwickelt wurde. Das System ermöglicht die Erstellung und den Zugriff auf ein gemeinsames Lagebild für alle beteiligten Sicherheitsorganisationen. Das LAFIS wird durch einen Verein betrie4820

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ben. Die Mitglieder setzen sich aus Kantonspolizeien, Stadtpolizeien, Führungsstäben und Rettungsorganisationen aus der Ostschweiz sowie Teilen der Nordwest- und Zentralschweiz zusammen. Der Bund muss einerseits in der Lage sein, die Kantone bei der Bewältigung von Sonderlagen zu unterstützen. Andererseits muss der Bund auch eigene Sonderlagen in Zusammenarbeit mit den Kantonen und dem Ausland bewältigen können. Aus diesem Grund soll auch der Bund diesem Verein beitreten können.

Buchstabe c: Ein Beispiel ist das Schweizerische Polizei-Institut (SPI) in Neuenburg, zu dem fedpol enge Kontakte pflegt.

Buchstabe d: Ein Bespiel, das hier genannt werden kann, ist dasjenige der Polizeikooperation im Bereich Polizeitechnik und Polizeiinformatik (PTI). Heute existiert in diesem Bereich eine beträchtliche Anzahl von Organen mit komplizierten Entscheidbefugnissen und viele durch öffentliche Träger gegründete Vereine. Diese Organisation erschwert heute die Zusammenarbeit. Um den künftigen Herausforderungen rasch und effizient begegnen zu können, soll das heutige Zusammenarbeitsmodell in eine neue Struktur überführt werden. Ziel soll es sein, kurze und konsistente Entscheidprozesse sicherzustellen und die strategische Einbindung der politischen Ebene zu stärken. Die Einzelheiten der Zusammenarbeit sollen in einer Vereinbarung geregelt werden.

Buchstabe e: Die Zeugenschutzstelle ist an sich eine nationale Einrichtung (siehe hierzu bereits Ziff. 7). Diese wird allerdings auch von den Kantonen genutzt und mitfinanziert. In diesem Sinne kann auch in diesem Bereich von einer Zusammenarbeit gesprochen werden.

Absatz 3 enthält eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage dafür, dass der Bund polizeiliche Einsatzmittel wie beispielsweise besondere Informatikprogramme (Art. 269ter StPO) zentral auch für die Kantone beschaffen und diesen gegen Entgelt zur Verfügung stellen kann. Es wäre weder wirtschaftlich noch effizient, wenn jeder Kanton selbstständig tätig würde. Die Kantone sollen diejenigen Kosten tragen, die ihnen zugerechnet werden können. Im Falle der besonderen Informatikprogramme sind diese die Kosten für die Lizenzen, die die Kantone gebrauchen. Die Frage der Kostenpflicht kann der Bundesrat durch den Erlass einer Gebührenregelung regeln, soweit dies nicht in einer Vereinbarung geregelt ist (vgl. insbesondere
Absatz 4).

Absatz 4: In der Regel schliesst der Bundesrat Vereinbarungen mit den Kantonen über wichtige Fragen der Zusammenarbeit mit den Kantonen ab. Als Beispiel genannt sei die Rahmenvereinbarung zwischen dem EJPD und der KKJPD betreffend die Polizeikooperation zwischen der Bundeskriminalpolizei und den kantonalen sowie städtischen Polizeikorps vom 14./15. November 2013. Es ist selbstverständlich, dass die Vereinbarungen die in der Bundesverfassung verankerten Kompetenzen von Bund und Kantonen nicht untergraben dürfen. Die Vereinbarungen sollten die wesentlichen Punkte der Zusammenarbeit und die rechtlichen Belange regeln. Es ist allerdings klar, dass Vereinbarungen operativer, technischer und administrativer Natur nicht vom Bundesrat unterschrieben werden müssen, sondern auch von einem Amt wie fedpol selbstständig abgeschlossen werden können. Dies, wenn es beispielsweise darum geht, allgemeine Zusammenarbeitsvereinbarungen auf operativer

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Ebene zu konkretisieren. Die Kompetenz von fedpol, solche Vereinbarungen beschränkter Natur abschliessen zu dürfen, soll auf Verordnungsstufe geregelt werden.

Die Auslagerung von Aufgaben der Bedarfsverwaltung in eine gemeinsame Organisation oder Einrichtung führt, bei allen Vorteilen, zu einem gewissen rechtlichen Aufwand. So gilt es verschiedene Arten von Rechtsverhältnissen betreffend den Betrieb der Organisation oder Einrichtung zu klären, etwa betreffend die Staatshaftung, die Arbeitsverhältnisse, die berufliche Vorsorge und den Datenschutz. Solche Regelungen kennen der Bund und die Kantone für ihren eigenen Bereich bereits; das geltende Recht enthält jedoch nicht in allen Bereichen hinreichend klare Antworten darauf, welche Regeln für gemeinsame Einrichtungen und Organisationen gelten.

Etwa im öffentlichen Beschaffungsrecht bestehen bereits Regeln über gemeinsamen Beschaffungen (geltender Art. 2c der Verordnung vom 11. Dezember 199578 über das öffentliche Beschaffungswesen / Art. 5 des Entwurfs des Bundesgesetzes vom 15. Februar 201779 über das öffentliche Beschaffungswesen), die es grundsätzlich erlauben, jeden Fall einer geltenden Rechtsordnung zuzuweisen. Anders liegt der Fall etwa beim Arbeitsrecht, in dem weder das Bundespersonalrecht noch das Personalrecht eines Kantons von sich aus anwendbar ist auf Personal, das direkt von einer gemeinsamen Organisation oder Einrichtung angestellt wird. In den Vereinbarungen sind Fragen dieser Art daher so weit wie notwendig zu regeln. Die Aufzählung der Rechtsbereiche ist zwar nicht abschliessend, soll aber aufzeigen, dass nicht jegliche Rechtsverhältnisse der Organisationen und Einrichtungen geregelt werden können, sondern nur die gewissermassen internen Nebenfragen, die sich aufgrund des Betriebs der Organisation oder Einrichtung stellen. Nicht erfasst wird insbesondere das Recht, dem Verträge mit privaten Lieferantinnen und Lieferanten oder Leistungserbringerinnen und Leistungserbringern unterstehen. Für diese gilt wie stets im öffentlichen Beschaffungsrecht das Privatrecht.

Die Regelung der von Buchstabe d erfassten Rechtsverhältnisse wird sich wo immer möglich auf Verweise auf bereits bestehendes Recht beschränken. Eigenständige, auf die Situation der Organisation oder Einrichtung zugeschnittene Regelungen sind aber nicht ausgeschlossen.
Absatz 5: Nicht in jedem Fall ist schon beim Abschluss einer Zusammenarbeitsvereinbarung klar, welcher Rechtsetzungsbedarf in Bezug auf die Themen nach Absatz 4 besteht. Beispielsweise kann eine Vereinbarung offen lassen, ob eine gemeinsame Organisation eigenes Personal anstellt oder ob ihr ein Gemeinwesen Personal, das es selber nach eigenem Recht anstellt, zur Verfügung stellt. Im zweiten Fall braucht personalrechtlich nichts oder nur wenig geregelt zu werden, im ersten Fall muss entweder ein eigenständiges Personalstatut erlassen oder auf eine bestehende arbeitsrechtliche Regelung verwiesen werden. Dabei dürfte das private Arbeitsrecht des Obligationenrechts80 nicht im Vordergrund stehen, da dieses nicht optimal auf die Rechtsverhältnisse von Personen zugeschnitten ist, die im Auftrag und im Namen des Staats Aufgaben mit einem teilweise sehr engen Zusammenhang zu hoheitlichen Fragen ­ und hier sogar zum Gewaltmonopol des Staats ­ erfüllen.

78 79 80

SR 172.056.11 BBl 2017 2005 SR 220

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Absatz 6: Soweit gemeinsame Organisationen und Einrichtungen für die Behörden Leistungen erbringen, sind diese Leistungen nicht als gewerblich beziehungsweise unternehmerisch zu qualifizieren. Vielmehr dienen sie unmittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (konkret: Polizeiaufgaben), und ein allfälliger Leistungsaustausch findet ausschliesslich zwischen Staatsorganen statt. Somit ist es sachgerecht, diese Organisationen und Einrichtungen von allen Steuern auszunehmen. 81 Sollte eine Einrichtung oder Organisation hingegen gewerbliche Leistungen für Private erbringen, gilt die Steuerbefreiung für diese Leistungen nicht. Die steuerliche Behandlung solcher Leistungen müsste nach dem jeweils anwendbaren Steuerrecht geprüft werden.

Art. 1a

Völkerrechtliche Verträge über die Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeibehörden

Absatz 1: Grundsätzlich sind völkerrechtliche Verträge gemäss Artikel 166 Absatz 1 BV durch die Bundesversammlung zu genehmigen. Falls ein Gesetz dies ausdrücklich vorsieht, kann die Vertragsabschlusskompetenz an den Bundesrat übertragen werden (Art. 166 Abs. 2 BV und Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199782 [RVOG]). Die in Absatz 1 statuierte Vertragsabschlusskompetenz des Bundesrates wird sachlich begrenzt auf den Bereich der Polizeikooperation, also die Regelung einer engen Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeibehörden bei der Bekämpfung von Straftaten. Die Schweiz hat zahlreiche solche Verträge abgeschlossen, dies auf bilateraler Ebene, insbesondere mit den Nachbarstaaten der Schweiz, wie auch auf multilateraler Ebene. 83 Die Inhalte der einzelnen bilateralen Abkommen sind dabei weitgehend deckungsgleich, auch wenn sie etwa bezüglich der Kooperationstiefe voneinander abweichen können. Geregelt werden jeweils die für die Umsetzung des Abkommens zuständigen Behörden, die Formen der polizeilichen Zusammenarbeit im Allgemeinen (Informations- und Erfahrungsaustausch, Zusammenarbeit auf Ersuchen und spontan etc.)

und allfällige besondere Formen der Zusammenarbeit wie Observation, Nacheile oder kontrollierte Lieferung. Hinzu kommen regelmässig Bestimmungen zum Datenschutz und etwa auch zu den Rechtsverhältnissen bei dienstlichen Einsätzen der einen Vertragspartei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei (Voraussetzungen für einen Einsatz der Dienstwaffe, Haftungsfragen etc.).

Absatz 2: Gemäss Artikel 48a Absatz 1 zweiter Satz RVOG kann der Bundesrat die Zuständigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge von beschränkter Tragweite an ein Bundesamt delegieren. Die vorliegende Bestimmung macht von dieser 81

82 83

Vgl. Bericht des Bundesrates vom 13. September 2006 zur Auslagerung und Steuerung von Bundesaufgaben, BBl 2006 8233, hier 8282; die Formulierung orientiert sich am Mustererlass «Anstalten mit Aufgaben der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht», Stand 1. Juli 2016, www.bj.admin.ch > Staat&Bürger > Legistische Hauptinstrumente.

SR 172.010 Auf bilateraler Ebene bestehen aktuell Polizeiverträge mit den Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Liechtenstein sowie weiter mit Albanien, Bosnien-Herzegowina, USA, Ungarn, Kosovo, Lettland, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien, Slowenien und der Tschechischen Republik. Auf multilateraler Ebene sind etwa die Vereinbarungen mit der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) und jene mit der Europäischen Union zu nennen (vor allem: Europol).

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Möglichkeit Gebrauch und befugt fedpol, entsprechende Vereinbarungen in seinem Aufgabenbereich mit ausländischen Polizeibehörden selbständig abzuschliessen.

Diese Regelung hätte auf Verordnungsstufe verankert werden können. Aus Gründen der Übersichtlichkeit (Verhältnis zu Absatz 1) wird sie aber auf Gesetzesstufe eingeführt.

Art. 2

Zentralstellen

Die Bestimmung entspricht unverändert dem Wortlaut des geltenden Artikel 1 ZentG. Sie wird allein aus Gründen der sachlichen Abfolge im Gesetz neu als Artikel 2 geführt.

Art. 2a

Aufgaben

Die Zentralstellen von fedpol nehmen einerseits als Dienstleister vor allem gegenüber den Kantonen, aber auch gegenüber den ausländischen Partnerbehörden wichtige Aufgaben des Informationsaustausches und der Koordination wahr (vgl. Art. 2a Bst. a­e E-ZentG).

Buchstabe f: Andererseits leitet sich aus dem ZentG die Zuständigkeit von fedpol zur Durchführung von Aufgaben kriminalpolizeilicher Natur ab, also von Tätigkeiten im Rahmen der Strafverfolgung, die vor der Eröffnung eines Strafverfahrens erfolgen, also der gerichtspolizeilichen Tätigkeit der Bundeskriminalpolizei vorgelagert sind. Es geht hier um die sogenannten Vorermittlungen, die dem Erkennen von Straftaten dienen. Unter dem Begriff der Vorermittlungen wird allgemein die kriminalpolizeiliche Tätigkeit im Hinblick auf die Erkennung von bereits begangenen Straftaten verstanden. Auch Vorermittlungen dienen somit der Verfolgung von Straftaten; bei ihnen liegt jedoch noch kein konkreter Verdacht vor, weshalb dieser Bereich nicht durch die StPO geregelt wird. In sachlicher Hinsicht erstreckt sich die Zuständigkeit zur Durchführung von Vorermittlungen auf die Straftatbestände, für deren Verfolgung der Bund zuständig ist. Entsprechend ist der kriminalpolizeiliche Aufgabenbereich des Bundes fokussiert auf die Früherkennung des organisierten und international tätigen Verbrechens. Dieser Aufgabenbereich der Bundeskriminalpolizei ist bislang lediglich auf Verordnungsebene angesprochen (siehe Art. 3 der Verordnung vom 30. November 200184 über die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben im Bundesamt für Polizei). Mit dem Buchstaben f wird er neu in den formell-gesetzlichen Aufgabenkatalog der Zentralstellen nach Artikel 2 ZentG aufgenommen. Es wird hier im Übrigen neu ausdrücklich eine Zentralstelle Cyberkriminalität erwähnt. Damit wird die Massnahme 21 der Nationalen Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken (NCS) 2018­202285 umgesetzt.

Das Strafbehördenorganisationsgesetz vom 19. März 201086 legt in Artikel 4 Buchstabe a fest, dass die Aufgabe der Gerichtspolizei bei der Strafverfolgung in Bundesgerichtsbarkeit durch die Bundeskriminalpolizei (BKP) wahrgenommen wird.

Damit erübrigt es sich, den Regelungsinhalt des geltenden Artikels Buchstabe f 84 85 86

SR 360.1 Vgl. Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken (NCS) 2018­2022, S. 23, abrufbar unter: www.isb.admin.ch > Dokumentation > Berichte (Stand: 11.3.2019).

SR 173.71

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ZentG, der diese Aufgabe noch als eine der Tätigkeiten der Zentralstellen vorsieht, in den Aufgabenkatalog nach dem neuen Art. 2a E-ZentG zu übernehmen.

Art. 3a

Verdeckte Fahndung im Internet und in elektronischen Medien

Die Zentralstellen verfügen gegenwärtig nicht über die Möglichkeit, in ihrem Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich eine verdeckte Fahndung durchführen zu können.

Dies erweist sich gerade dort als erheblicher Mangel, wo es um die Erkennung und Bekämpfung schwerer Straftaten im Internet geht. Das Internet und die dort verfügbaren Kommunikationsplattformen (einschliesslich Social Media) und Anonymisierungsdienste (insbesondere im sogenannten Darknet) werden heute in grossem Ausmass auch von kriminellen Organisationen genutzt. Eine effiziente Bekämpfung der organisierten Kriminalität einschliesslich der vom organisierten Verbrechen ausgehenden Unterstützung von Terrororganisationen bedarf deshalb auch verdeckter Ermittlungshandlungen im virtuellen Raum. Die verdeckte Fahndung erweist sich insbesondere dort als notwendig, wo sich die Ermittlerinnen und Ermittler nur unter Verwendung falscher Angaben Zugang zu geschlossenen Teilnehmergruppen verschaffen können oder wo sie zur Kontaktaufnahme ­ z. B. in Chaträumen ­ zwingend auf die Verwendung eines falschen Namens angewiesen sind. Mit der separaten Erwähnung der elektronischen Medien soll verdeutlicht werden, dass auch eine verdeckte Fahndung in sogenannten Messenger-Diensten wie Whatsapp und Threema zulässig ist, die heute auf einer Vielzahl von Mobiltelefonen installiert sind und zur Kommunikation, oft auch in geschlossenen Gruppen, verwendet werden.

Aus dem Verweis auf Artikel 2a Buchstabe f E-ZentG in Absatz 1 wird deutlich, dass die verdeckte Fahndung nur zur Erkennung von Straftaten eingesetzt werden darf, für welche die Bundesgerichtsbarkeit gegeben ist oder bezüglich derer die Zuständigkeit des Bundes oder eines Kantons noch nicht feststeht. Zudem darf die verdeckte Fahndung nur zur Erkennung und Bekämpfung von Verbrechen und schweren Vergehen eingesetzt werden. Als schwere Vergehen gelten im vorliegenden Zusammenhang solche, bei welchen (auch) eine Freiheitsstrafe angedroht ist.

Die polizeilichen Kompetenzen werden mit dieser Bestimmung nicht in die nachrichtendienstliche Früherkennung und insbesondere in das nachrichtendienstliche Terror-internetmonitoring ausgeweitet (vgl. Ziff. 1.3.1). Ebenso wenig geht es ­ entgegen einer in der Vernehmlassung geäusserten Befürchtung ­ darum, in kantonale Kompetenzbereiche einzugreifen. Die Bestimmung bietet
keine Grundlage für eine verdeckte Fahndung hinsichtlich solcher Straftaten, bei denen die kantonale Zuständigkeit feststeht. Dies macht der Verweis auf Artikel 2a Buchstabe f E-ZentG deutlich. Allerdings können sich für die Bundeskriminalpolizei Anzeichen auf (Kantons- oder Landesgrenzen überschreitende) strafbare Handlungen ergeben, bezüglich derer noch nicht feststeht, ob der Bund oder der Kanton zuständig ist.

Nach der gegenwärtigen Rechtslage sind (erste) Ermittlungshandlungen in solchen Fällen nur zulässig, wenn ein strafprozessualer Anfangsverdacht vorliegt (Art. 27 Abs. 2 StPO). Dies ist besonders dann unbefriedigend, wenn sich Anzeichen auf strafbare Handlungen noch nicht zu einem eigentlichen, den Anwendungsbereich der StPO eröffnenden Tatverdacht konkretisiert haben, aber Bundesgerichtsbarkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem kann es sich mit Blick auf die Abklärung der Zuständigkeit oder für eine erste Beweissicherung als notwendig erweisen, dass 4825

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der Bund zum Mittel der verdeckten Fahndung greifen kann. Ergibt sich im Rahmen der Ermittlungen eine kantonale Zuständigkeit, ist das Verfahren dem betreffenden Kanton zu überlassen.

Verdeckte Fahnderinnen und Fahnder legen ihre wahre Identität und Funktion nicht offen. Im Gegensatz zu einer verdeckten Ermittlung werden sie aber nicht mit einer durch Urkunden abgesicherten falschen Identität (sog. «Legende») ausgestattet. Sie bedienen sich zur Täuschung über ihre Identität und Funktion grundsätzlich bloss einfacher Lügen, etwa über ihren Namen, ihren Beruf, ihr Geschlecht, ihr Alter oder ihren Wohnort. Von der verdeckten Fahndung gemäss Artikel 298a ff. StPO grenzt sich die verdeckte Fahndung der Zentralstellen insbesondere dadurch ab, dass sie ausserhalb bzw. im Vorfeld eines Strafverfahrens durchgeführt wird.

Als verdeckte Fahnderinnen und Fahnder können nur Polizeiangehörige eingesetzt werden. Eine verdeckte Fahndung geht regelmässig mit einer zielgerichteten Kontaktaufnahme unter falscher Identität einher. Zudem untersteht sie keinem richterlichen Genehmigungsvorbehalt. Sie soll deshalb dafür speziell ausgebildeten Personen vorbehalten bleiben.

Die Voraussetzungen und Modalitäten der verdeckten Fahndung lehnen sich an die Regelung der verdeckten Fahndung in der StPO an. Eine gegenseitige Abstimmung der Regelungen im präventiven Bereich mit derjenigen nach der StPO ist auch deshalb sachgerecht, da die polizeilichen Erkenntnisse regelmässig in ein Strafverfahren einfliessen und dort als Beweis verwertet werden dürfen und sollen.

Absatz 2 umschreibt die Voraussetzungen, welche für die Anordnung einer verdeckten Fahndung erfüllt sein müssen. Die verdeckte Fahndung ist an enge und nachprüfbare Voraussetzungen zu binden, die aber gleichzeitig nicht so streng abgefasst werden dürfen, dass die verdeckte Fahndung faktisch illusorisch würde. Zu bedenken ist insbesondere, dass sich die verdeckte Fahndung angesichts ihrer Zielrichtung nur beschränkt auf erhärtete Tatsachen stützen kann. Mit dem Erfordernis von «hinreichenden Anzeichen», dass es zu Verbrechen oder schweren Vergehen kommen könnte, wird aber klargestellt, dass die verdeckte Fahndung nicht aufs Geratewohl erfolgen darf. Eine Verschärfung der Anordnungsvoraussetzungen, wie es in der Vernehmlassung vereinzelt gefordert wurde, würde deren
Anwendungsbereich zu stark beschränken. Hinreichende Anzeichen auf strafbare Handlungen können z. B. dann vorliegen, wenn gewisse, nicht öffentlich zugängliche Plattformen oder Internetforen aufgrund der Erfahrung oder aktuellen Hinweisen ­ beispielsweise auch von ausländischen Partnerbehörden ­ (regelmässig) für den Austausch strafbarer Inhalte verwendet werden, ohne dass sich diese Erkenntnisse bereits zu einem eigentlichen strafprozessualen Anfangsverdacht verdichtet haben. Vorausgesetzt ist zudem, dass andere Massnahmen erfolglos geblieben sind oder die Ermittlungen sonst aussichtslos wären oder unverhältnismässig erschwert würden. Damit wird eine mit der Regelung von Artikel 298b Absatz 1 Buchstabe b StPO vergleichbare Subsidiaritätsklausel statuiert.

Allfällige Überschneidungen mit Informationsbeschaffungsmassnahmen des NDB, welcher in seinem Zuständigkeitsbereich über vergleichbare Kompetenzen verfügt, sind durch gegenseitige Absprachen und Koordination zwischen fedpol und dem NDB zu verhindern. Wichtig ist zudem die Koordination mit den Kantonen, um 4826

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Überschneidungen und Doppelspurigkeiten mit kantonal getätigten präventiven verdeckte Fahndungen und Ermittlungen zu verhindern. Wie diese Koordination im operativen Bereich konkret zu erfolgen hat, ist nicht auf Gesetzesstufe zu regeln.

Bund und Kantone können einzelfallbezogene Absprachen treffen oder die Zusammenarbeit ­ gestützt auf Artikel 1 Absätze 3 und 4 E-ZentG ­ im Rahmen von Vereinbarungen regeln.

Anzuordnen ist die verdeckte Fahndung durch den Chef oder die Chefin der Bundeskriminalpolizei. Auf eine ­ in der Vernehmlassung vereinzelt geforderte ­ Anordnung durch das Zwangsmassnahmengericht wird verzichtet. Bei der verdeckten Fahndung wird keine durch Urkunde abgesicherte Legende verwendet, was deren Täuschungsintensität mindert. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch nach der Regelung der StPO die Anordnung einer verdeckten Fahndung keiner richterlichen Genehmigung bedarf; diese Lösung findet sich auch in gewissen Kantonen (Art. 23 des Polizeigesetzes vom 11. März 2010 des Kantons Obwalden, GDB 510.1; § 32d des Polizeigesetzes vom 23. April 2007 des Kantons Zürich, LS 550.1).

Dem Umstand, dass die verdeckte Fahndung im Vorfeld eines Strafverfahrens angesiedelt ist, wird dadurch Rechnung getragen, dass deren Verlängerung gerichtlich zu genehmigen ist: Dauert die verdeckte Fahndung länger als einen Monat, bedarf ihre Fortsetzung der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht (Absatz 3).

Dies stellt verglichen mit der StPO ­ Genehmigung durch die Staatsanwaltschaft (Art. 298b Abs. 2 StPO) ­ eine Verschärfung dar.

Die Monatsfrist entspricht derjenigen von Artikel 298b Absatz 2 StPO. Das Zwangsmassnahmengericht hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine verdeckte Fahndung (nach wie vor) gegeben sind. Damit soll auch einer übermässigen Dauer der verdeckten Fahndung entgegengewirkt werden. Entgegen einem Vorschlag aus der Vernehmlassung wird auf die gesetzliche Statuierung einer Maximaldauer der verdeckten Fahndung verzichtet. Eine solche findet sich auch nicht in Artikel 298d StPO oder in kantonalen Regelungen betreffend präventive Vorermittlungen.

Zuständig ist das Zwangsmassnahmengericht am Ort, von dem aus die Ermittlungen geführt werden. Die Regelung lehnt sich an diejenige von Artikel 65 Absatz 2 StBOG an. Dies wird in den meisten Fällen zu einer Zuständigkeit des
Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Bern führen, es sei denn, fedpol führe die Ermittlungen von einem anderen Standort (Lausanne, Lugano oder Zürich) aus. Für die Frage der Entschädigung des kantonalen Zwangsmassnahmengerichts wird auf die Bestimmung von Artikel 65 Absatz 3 StBOG verwiesen, welche sinngemäss anwendbar ist. Zudem wird in Absatz 3 der Rechtsmittelweg dahingehend präzisiert, dass gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig ist. Fedpol ist ­ analog der Bestimmung von Artikel 24g Absatz 2 Buchstabe b E-BWIS ­ zur Beschwerde berechtigt.

Absatz 4 verweist für die Anforderungen an eingesetzte Personen sowie die Aufgaben der verdeckten Fahnderinnen und Fahnder sowie der Führungspersonen auf die entsprechenden Regelungen der StPO zur verdeckten Ermittlung. Die Anforderungen decken sich damit mit denjenigen der StPO zur verdeckten Fahndung, welche in Artikel 298c StPO ebenfalls auf die Regeln der verdeckten Ermittlung verweist.

Damit wird u. a. klargestellt, dass verdeckte Fahnderinnen oder Fahnder keine 4827

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allgemeine Tatbereitschaft wecken und die Tatbereitschaft nicht auf schwerere Straftaten lenken dürfen (Art. 293 Abs. 1 StPO). Ausgeschlossen bleibt ein Einsatz von Personen als verdeckte Fahnderinnen oder Fahnder, welche i. S. v. Artikel 287 Absatz 1 Buchstabe b vorübergehend für polizeiliche Aufgaben angestellt werden.

In Absatz 5 werden die Voraussetzungen für die Beendigung der verdeckten Fahndung genannt. Diese Regelung erfolgt in enger Anlehnung an die Regelung der verdeckten Fahndung in der StPO (Art. 298d Abs. 1 StPO). Entsprechendes gilt für Absatz 6 (vgl. Art. 298d Abs. 3 StPO).

Die im Rahmen einer verdeckten Fahndung gewonnenen Erkenntnisse können sich im Laufe der Ermittlung zu einem strafprozessualen Anfangsverdacht verdichten.

Mit der Regelung von Absatz 7 soll sichergestellt werden, dass bei Vorliegen eines Tatverdachts die Regelungen der StPO eingehalten werden. In einem solchen Fall ist ein polizeiliches Ermittlungsverfahren nach Artikel 306 StPO einzuleiten bzw. die Staatsanwaltschaft zu informieren, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 307 Absatz 1 StPO erfüllt sind. Falls die Strafverfolgung in die kantonale Zuständigkeit fällt, ist die zuständige kantonale Polizei- und Strafverfolgungsbehörde zu orientieren. Gleichzeitig wird ausdrücklich festgehalten, dass die im Rahmen einer verdeckten Fahndung erhobenen Daten in ein Strafverfahren Eingang finden und dort namentlich als Beweis verwertet werden dürfen.

Abschliessend ist auf Folgendes hinzuweisen: Auf die Bearbeitung der im Rahmen der verdeckten Fahndung erhobenen Daten sind das BPI (vgl. Art. 11 Abs. 1) sowie die JANUS-Verordnung vom 15. Oktober 200887 anwendbar. Auch die Mitteilung der verdeckten Fahndung an die betroffene Person (bzw. der Verzicht darauf) richtet sich nach dem BPI: Unter den Voraussetzungen von Artikel 11 Absatz 6 BPI kann die Mitteilung aufgeschoben oder es kann von ihr abgesehen werden.

Art. 3b

Ausschreibung von Personen und Sachen zur verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle

In Absatz 1 wird die gesetzliche Grundlage für die Ausschreibung von Personen und Sachen zur verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle durch fedpol geschaffen. Das Ersuchen für eine entsprechende Ausschreibung kann von den Strafverfolgungsbehörden des Bundes oder den Polizeibehörden der Kantone stammen. Einem Ersuchen ist auch dann stattzugeben, wenn die Kantone über keine kantonale Rechtsgrundlage zur Vornahme von Ausschreibungen von Personen und Sachen zur verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle verfügen. Die Ausschreibung bedarf keiner gerichtlichen Genehmigung.

Bei der verdeckten Registrierung handelt es sich um eine Personenfahndung mit verdecktem Charakter. Die verdeckte Ausschreibung erlaubt es der Polizei, bei einer Anhaltung gezielt Informationen zu gewinnen (z. B. über Reisezeit und -weg, Reisedokumente, Gepäck, Begleitpersonen und Transportmittel). Diese Informationen werden der Ausschreibungsstelle übermittelt, ohne dass die Person hiervon Kenntnis erhält. Vereinzelt wurde im Rahmen der Vernehmlassung die Befürchtung geäussert, dass die Massnahme zu einer umfangreichen Überwachung einer Person führe. Zu 87

SR 360.2

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berücksichtigen ist allerdings, dass mit der verdeckten Registrierung keine dauernde Überwachung auf Schritt und Tritt ­ wie etwa bei einer Observation ­ einhergeht.

Mit der verdeckten Registrierung lassen sich nur, aber immerhin Momentaufnahmen einer Person bei einer behördlichen Kontrolle gewinnen.

Der Ausschreibungsstelle dienen die auf diese Weise beschafften Informationen für ihre Ermittlungstätigkeit, insbesondere zur Feststellung, wo sich die Person aufhält, ob sie ins Ausland reist, von wem sie begleitet wird und welche Gegenstände sie mit sich führt. Aus solchen Informationen können sich neue Ermittlungsansätze ergeben.

Die Informationsbeschaffung mittels verdeckter Ausschreibung kann auch dazu dienen, Straftaten aufzudecken und zu verhindern. Sie hilft zudem, die Strafverfolgungszuständigkeit innerhalb der Schweiz zu klären. Die betroffene Person wird nach Wegfall des Geheimhaltungsinteresses über die verdeckte Ausschreibung informiert (Art. 8 Abs. 7 BPI). Ihr stehen die entsprechenden Rechtsmittel nach der Datenschutzgesetzgebung zur Verfügung (vgl. Art. 25 DSG88: Berichtigung, Löschung u. a.).

Die Ausschreibung zur gezielten Kontrolle ermöglicht es, eine bestimmte Person bei Antreffen an der Grenze oder im Rahmen einer Kontrolle im Inland anzuhalten. Bei dieser Gelegenheit wird ihre Identität festgestellt bzw. abgeklärt. Die angehaltene Person ist verpflichtet, Angaben zur Person zu machen und mitgeführte Ausweisund Bewilligungspapiere vorzuweisen. Zudem wird sie befragt und körperlich durchsucht. Im Gegensatz zur verdeckten Registrierung erfolgt die Kontrolle gegenüber der Person offen bzw. wird sie sogar zur Mitwirkung angehalten.

Die verdeckte Registrierung und die gezielte Kontrolle sind nur zulässig zu den in Absatz 2 und 3 genannten Zwecken bzw. unter den dort genannten Voraussetzungen.

Als schwere Straftaten nach den Absätzen 2 und 3 gelten insbesondere die Straftaten nach Artikel 286 Absatz 2 StPO (Absatz 4).

Art. 5 Abs. 1bis erster Satz Die Bestimmung wird rein redaktionell angepasst: Mit der vorliegenden Anpassung des ZentG wird «fedpol» als Kurzbezeichnung des Bundesamtes für Polizei bereits in Artikel 1a Absatz 2 eingeführt. Entsprechend kann sich Artikel 5 neu mit dieser Kurzbezeichnung begnügen.

Art. 7 Abs. 2 Die Bestimmung wird rein redaktionell angepasst (Abkürzung «StPO» genügt, da dieses Gesetz mit seiner Abkürzung bereits im vorangehenden Art. 3a E-ZentG eingeführt wird).

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9. Bundesgesetz vom 13. Juni 200889 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes Vorbemerkung Eines der wichtigsten Ziele der Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung ist die Verhinderung der Einreise mutmasslicher Terroristinnen und Terroristen in das schweizerische Staatsgebiet. Angesprochen sind damit insbesondere das SEM und die EZV bzw. das GWK. Beide nehmen polizeiliche Aufgaben zur Bekämpfung des Terrorismus wahr. Die Terrorismusstrategie verlangt die Schaffung der erforderlichen Rechtsgrundlagen und die Förderung der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen den betroffenen Behörden. Zur Verbesserung des Informationsaustausches sind gewissen Stellen im SEM und in der EZV zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben bei der Bekämpfung des Terrorismus Online-Zugriffe auf bestimmte polizeiliche Informationssysteme des Bundes zu gewähren.

Art. 10 Abs. 4 Bst. e Nach geltendem Recht verfügen das GWK und die Zollfahndung der EZV lediglich über einen Online-Zugriff auf den nationalen Polizeiindex (Art. 17 BPI). Dieser informiert nur darüber, ob eine Person in den kantonalen polizeilichen Informationssystemen oder den polizeilichen Informationssystemen von fedpol verzeichnet ist.

Nähere Angaben zur Verzeichnung sind nicht ersichtlich. Mit diesen beschränkten Informationen kann die EZV die betroffenen Personen nicht rasch und effizient kontrollieren und somit ihre Aufgabe nicht richtig wahrnehmen. Die EZV leistet mit ihren Personen- und Warenverkehrskontrollen einen wichtigen Beitrag zur Wahrung der inneren Sicherheit. Weiter vollzieht die EZV zahlreiche zollrechtliche wie auch nicht-zollrechtliche Erlasse (Art. 94 und Art. 95 des Zollgesetzes vom 18. März 200590 [ZG]). Sie nimmt Aufgaben in fast allen Aufgabengebieten wahr, in denen die Bundeskriminalpolizei als Zentralstelle tätig ist. Deswegen ist es wichtig, dass der EZV, insbesondere der Zollfahndung und dem GWK, die Informationen zur Verfügung stehen, die sie benötigt, um bei verdächtigen Personen weitere Massnahmen anordnen zu können. Ferner kann das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) mit einem Kanton auf dessen Begehren eine Vereinbarung abschliessen, wonach die EZV ermächtigt wird, polizeiliche Aufgaben zu erfüllen, die im Zusammenhang mit dem Vollzug nichtzollrechtlicher Erlasse des Bundes stehen und den Kantonen durch
die Gesetzgebung des Bundes übertragen worden sind (Art. 97 ZG). Die EZV ist somit bereits jetzt ein vollwertiger und gut vernetzter Akteur bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Ein direkter Zugriff auf das Informationssystem nach Artikel 10 BPI zur Unterstützung gerichtspolizeilicher Ermittlungen des Bundes ist nicht nur für die Strafverfolgungsbehörden der Kantone und des Bundes von grossem Nutzen, sondern ebenso auch für die EZV. Dieses System enthält die Daten, welche die BKP im Rahmen von hängigen Strafverfahren bei ihren gerichtspolizeilichen Ermittlungen sammelt (Art. 10 Abs. 2 BPI). Der Zugriff auf Daten aus einem bestimmten Strafverfahren kann mit Entscheid der Bundesanwaltschaft eingeschränkt werden (Art. 10 Abs. 5 BPI).

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Art. 11 Abs. 5 Bst. e Den mit Sicherheitsfragen betrauten Stellen der EZV soll auch ein Online-Zugriff auf das «System Bundesdelikte» gewährt werden. In diesem System werden Daten bearbeitet, welche die Bundeskriminalpolizei von fedpol im Rahmen ihrer Informations- und Koordinationsaufgaben ausserhalb von eröffneten Strafverfahren und gemäss internationalen Abkommen über die Polizeizusammenarbeit sammelt. Das Informationssystem dient als Hilfsmittel für polizeiliche Vorabklärungen. Um das zeitnahe Ergreifen von Massnahmen zu gewährleisten, sind auch diese Zugriffsrechte erforderlich. Fedpol kann den Zugriff auf einzelne Datenkategorien sowie auf einen bestimmten Benutzerkreis beschränken (Art. 11 Abs. 4 zweiter Satz BPI).

Art. 12 Abs. 6 Bst. d Den mit Sicherheitsfragen betrauten Stellen der EZV wird für ihre Aufgabenwahrnehmung ein Online-Zugriff auf das «System internationale und interkantonale Polizeikooperation» eingeräumt. Das System dient dem Austausch von kriminalpolizeilichen Informationen, von Informationen zu strafbaren Handlungen, die nicht der Bundesgerichtsbarkeit unterliegen, von Informationen zur Suche nach vermissten und der Identifizierung von unbekannten Personen sowie zur Kooperation der Polizeiorgane des Bundes mit den kantonalen und ausländischen Polizeiorganen. Im Informationssystem sind Daten gespeichert, welche die Bundeskriminalpolizei von schweizerischen und ausländischen Behörden erhält, die aber weder der Bundesgerichtsbarkeit unterliegende Handlungen betreffen, noch in die Zuständigkeit einer kriminalpolizeilichen Zentralstelle des Bundes fallen. Mittels der genannten direkten Zugriffsrechte kann die EZV zeitnahe Massnahmen zur wirksamen Gefahrenabwehr ergreifen zu können. Der Online-Zugriff wird allein den wenigen Fachpersonen der EZV gewährt, die dies zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigen.

Art. 15 Abs. 1 Bst. gbis, h und j sowie 4 Einleitungssatz und Bst. k Die Massnahmen zur Verhinderung terroristischer Straftaten nach dem 5. Abschnitt E-BWIS sind im automatisierten Personen- und Sachfahndungssystem RIPOL zu erfassen, damit die Behörden, die auf RIPOL Zugriff haben, entsprechend informiert sind und die erforderlichen Massnahmen ergreifen können (neuer Bst. gbis).

Absatz 4 Buchstabe k: Der Transportpolizei soll in Umsetzung der Motion 14.3001 der
nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen «Überprüfung von Personendaten im Abrufverfahren» ein Online-Zugriff auf die personenbezogenen Informationen in RIPOL erteilt werden. Der Zweck dieses Datenzugriffs ist eingegrenzt auf die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben. Diese werden in Artikel 3 des Bundesgesetz vom 18. Juni 201091 über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr umschrieben.

91

SR 745.2

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Art. 16 Abs. 2 Bst. gbis Das Informationssystem N-SIS (nationaler Teil des Schengener Informationssystems) dient der Unterstützung von Stellen des Bundes und der Kantone bei der Erfüllung folgender Aufgaben: Fahndung nach gestohlenen, unterschlagenen, sonst wie abhandengekommenen oder für ungültig erklärten ausgefüllten Identitätsdokumenten wie Pässen, Personalausweisen, Führerausweisen, Aufenthaltstiteln und Reisedokumenten. Die Ausschreibung erfolgt im Einklang mit Artikel 38 des Beschlusses 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II), der die Ausschreibung der genannten Dokumente ausdrücklich vorsieht.

Art. 17 Abs. 4 Bst. m Das SEM arbeitet im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben bei der Erkennung und Bekämpfung von Terrorismus mit fedpol zusammen und koordiniert die Massnahmen in seinem Zuständigkeitsbereich mit den vorbeugenden polizeilichen und administrativen Massnahmen von fedpol (vgl. Art. 98c E-AIG und Art. 5a E-AsylG). Direkt angesprochen sind dabei die Aufgaben des SEM insbesondere bei der Prüfung der Einreisevoraussetzungen von Ausländerinnen und Ausländern (Art. 5 Abs. 1 Bst. c AIG), beim Zustimmungsverfahren zu kantonalen Bewilligungen (Art. 99 AIG), bei den notwendigen Abklärungen insbesondere zur Herkunft und Identität nach einem Asylgesuch (Art. 26 Abs. 2 AsylG) sowie bei der Prüfung der Asylunwürdigkeit wegen Gefährdung oder Verletzung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz (Art. 53 Bst. b AsylG).

Gemäss der Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung erfordert eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus eine enge Zusammenarbeit auch innerhalb der Bundesverwaltung. Dafür ist ein aktiver Informationsaustausch notwendig. 92 Damit das SEM seine Aufgaben in diesem Bereich wahrnehmen kann, sollen den mit der Gefahrenabwehr im Bereich der Einreise und Zulassung betrauten Stellen des SEM (Fachreferent/in Sicherheit, Sektion Identifikation und Visumkonsultation) die bei fedpol bearbeiteten Informationen im Bereich der Terrorismusbekämpfung in einem verhältnismässigen Umfang zur Verfügung stehen. Den vorgenannten Stellen im SEM soll dafür ein Online-Zugriff auf den nationalen Polizeiindex nach Artikel 17 BPI gewährt werden. Dieses Informationssystem ermöglicht es,
mit nur einer Abfrage in Erfahrung zu bringen, ob eine Person bei einer kantonalen Polizeibehörde, bei fedpol oder bei ausländischen Polizeibehörden ­ etwa im Zuge des Austausches polizeilicher Daten mit Interpol ­ aktenkundig ist. Das Ergebnis der Anfrage ist auf die Identität der Person, die zuständige Behörde, das Eintragungsdatum, den Eintragungsgrund und auf das Informationssystem beschränkt, aus dem die Daten stammen (Art. 17 Abs. 3 BPI). Umfassendere Auskünfte erhält das SEM von fedpol auf dem ordentlichen Weg der Amtshilfe. Auf Verordnungsstufe sollen die im SEM mit Sicherheitsfragen betrauten Dienststellen transparent ausgewiesen und deren Zugriffsberechtigungen festgelegt werden.

92

BBl 2015 7491

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Durch den Zugriff auf den nationalen Polizeiindex kann das SEM im Übrigen fedpol bei der Erkennung von terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern unterstützen.

Es ist in der Praxis möglich, dass das SEM als erste Behörde in der Schweiz mit einer solchen Person in Kontakt tritt, beispielsweise bei der Einreichung oder Prüfung eines Asylgesuchs. Dank seines Zugriffs auf den Polizeiindex kann das SEM erfahren, ob eine Person, die sich beispielsweise in einem Bundesasylzentrum aufhält, im polizeilichen Informationssystem-Verbund (Art. 17 Abs. 1 Bst. b BPI) verzeichnet ist. Diese Informationen sind sicherheitsrelevant, und das SEM kann diese Feststellung umgehend an fedpol übermitteln.

Art. 17a

Datenindex Terrorismus

Der Datenindex Terrorismus dient dem Abgleich von ausgewählten Daten mit Bezug zu terroristischen Handlungen (Abs. 1 Bst. a), die fedpol im Rahmen seiner Aufgabe als kriminalpolizeiliche Zentralstelle zugeleitet werden auf der Grundlage von Artikel 351 StGB, des Staatsvertrags vom 25. Mai 197393 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen, dem Bundesgesetz vom 3. Oktober 1975 94 zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen sowie auf Artikel 75a des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 198195 (Abs. 1 Bst. b). Die Einführung dieses spezifisch auf die Verfolgung und Verhütung terroristischer Straftaten zugeschnittenen Datenindexes ist zurückzuführen auf eine Absichtserklärung zwischen fedpol und dem Federal Bureau of Investigation (FBI) der Vereinigten Staaten von Amerika vom 12. Dezember 2012 betreffend den Austausch von Informationen über Personen, die mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden. Die Unterzeichnung der Absichtserklärung ermöglichte der Schweiz den Verbleib im Programm für eine visumsfreie Einreise in die USA (Visa-Waiver-Program). Mit dem Datenindex Terrorismus wurde diese Absichtserklärung umgesetzt. Die Grundlage des Indexes findet sich aktuell in den Artikeln 29o­29w der JANUS-Verordnung. Bereits bei Einführung des Indexes hatte der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) darauf hingewiesen, dass eine ausdrückliche formell-gesetzliche Grundlage für dessen fortgesetzten Betrieb erforderlich sei. Dieser Forderung wird nun Rechnung getragen.

Der Index ermöglicht den elektronischen Abgleich der Personenliste des FBI mit den bei fedpol vorliegenden Informationen über Personen, die im Verdacht stehen, an strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit Terrorismus beteiligt zu sein. Der Abgleich erfolgt einzelfallbezogen nach dem Hit-or-No-Hit-Prinzip (Absatz 2). Im Fall eines Treffers kann fedpol beim FBI die erforderlichen weiterführenden Informationen beschaffen. Diese Informationen können zur weiteren Bearbeitung in den bestehenden polizeilichen Informationssystem-Verbund nach Artikel 9­14 BPI aufgenommen werden (Absatz 3). Ihre Bearbeitung unterliegt damit den allgemeinen Vorschriften des BPI (näher ausgeführt durch Art. 29o ff. der JANUS-Verordnung) sowie des DSG.

93 94 95

SR 0.351.933.6 SR 351.93 SR 351.1

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Art. 17b

Datenweitergabe

Mit Artikel 17b wird die Weitergabe der im Zusammenhang mit dem Datenindex Terrorismus bearbeiteten besonders schützenswerten Personendaten neu auf formellgesetzlicher Ebene geregelt (im geltenden Recht: Art. 29s JANUS-Verordnung).

Damit wird der Vorgabe von Artikel 17 Absatz 2 DSG entsprochen. Inhaltlich entspricht Artikel 17b der entsprechenden Regelung in der JANUS-Verordnung, mit folgender Ausnahme: Neu können mittels Abgleichs des Datenindexes Terrorismus gewonnene Informationen auch dem SEM, den Prüfbehörden nach Artikel 21 Absatz 1 BWIS (Sicherheitsüberprüfungen) und den kantonalen Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Vorausgesetzt ist immer, dass diese Behörden die Informationen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigen.

Art. 18

Geschäfts- und Aktenverwaltungssysteme von fedpol

Informationen zur strafrechtlichen Verfolgung und Sanktionen stellen besonders schützenswerte Personendaten dar (Art. 3 Bst. c DSG). Ihre Datenbearbeitung erfordert eine formell-gesetzliche Grundlage (Art. 17 Abs. 2 DSG). Mit Artikel 18 BPI verfügt fedpol über eine explizite formell-gesetzliche Grundlage für ein allgemeines internes elektronisches Geschäfts- und Aktenverwaltungssystem.

Wie die geltende Fassung von Artikel 18 folgt auch die Neufassung der Konzeption des BPI, wonach die in diesem Gesetz geregelten Informationssysteme auf der Ebene des formellen Gesetzes inhaltlich, aber nicht nach ihrer praktischen Bezeichnung festgelegt werden sollen (wie Art. 11 BPI das System Bundesdelikte festlegt, ohne aber die im Kurztitel der Vollzugsverordnung [JANUS-Verordnung] genannte Bezeichnung JANUS zu verwenden). In seiner geltenden Fassung beschreibt Artikel 18 das Informationssystem ORMA (sowie in Absatz 5 ­ neu Absatz 5 Buchstabe a E-BPI ­ eine Anwendung des informatisierten Personennachweis-, Aktennachweisund Verwaltungssystems bei fedpol nach Artikel 14 BPI [IPAS]). Mit ihrer Neufassung umfasst diese Norm in weiterhin technologieneutraler Formulierung auch die Informationssysteme fedpol-GEVER bzw. die künftige GEVER-Lösung Acta Nova.

Wo in Artikel 18 somit aktuell von einem «Informationssystem» die Rede ist, wird neu jeweils von «Informationssystemen» in der Mehrzahl gesprochen. Abgesehen davon bleibt der Regelungsinhalt der Norm grundsätzlich unverändert.

Die zentrale Neuerung findet sich in Absatz 5: Dieser schafft die Rechtsgrundlage, damit im Systembereich GEVER bzw. Acta Nova künftig die Verfügungen bearbeitet und verwaltet werden können, die fedpol in Anwendung des 5. Abschnitts E-BWIS erlässt (Bst. b). Zudem werden in diesem Systembereich auch die Verfügungen bearbeitet, die fedpol bereits heute gestützt auf die Artikel 67 Absatz 4 und 68 AIG erlässt (Bst. c). Diese beiden Bearbeitungsbereiche sind nicht mit einem der Hauptinformationssysteme nach dem BPI verknüpft, für welche auf Verordnungsebene (vgl. Art. 19 Bst. c und d) die anwendbaren Datenbearbeitungsregeln und Zugriffsbeschränkungen resultieren (vgl. Absatz 3 zweiter Satz E-BPI). Diese Regelungen sind vielmehr in Artikel 18 speziell zu treffen: Die Aufbewahrungsdauer wird auf 15 Jahre festgelegt (Abs. 6) und der Online-Zugriff auf die Mitarbeitenden von fedpol beschränkt, die für die Bearbeitung der entsprechenden Verfügungen zuständig sind (Abs. 7).

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10. Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 200896 Art. 6 Bst. abis und c Mit der vorliegenden Anpassung des ZAG erhalten die Behörden die erforderlichen polizeilichen Befugnisse, um den Vollzug der Massnahmen nach dem 5. Abschnitt E-BWIS ­ gegebenenfalls auch mit Zwang ­ durchsetzen zu können: Zum einen wird in den Katalog der polizeilichen Massnahmen nach Artikel 6 ZAG die Wegweisung und das Fernhalten von Personen aufgenommen (Bst. abis). Zum anderen wird bei Buchstabe c eine Anpassung vorgenommen. Mit seiner Beschränkung auf die «Durchsuchung von Räumen und Fahrzeugen» erweist sich der geltende Wortlaut als zu eng. Neu soll die Bezeichnung offener lauten: «Durchsuchung von Räumen, Gegenständen und Fahrzeugen». Das geltende ZAG enthält im Übrigen ­ im Unterschied zu den anderen in Artikel 6 aufgelisteten Massnahmen ­ keine nähere Regelung zur Durchsuchung von Räumen und Fahrzeugen oder eben neu von Räumen, Gegenständen und Fahrzeugen. Diese Lücke wird mit dem neuen Artikel 20a E-ZAG geschlossen.

Art. 19a

Wegweisung und Fernhalten

Die polizeiliche Massnahme der Wegweisung und Fernhaltung kennen zahlreiche kantonale Polizeigesetze (vgl. etwa § 33 des Polizeigesetzes des Kantons Zürich oder § 19 des Gesetzes über die Luzerner Polizei). Sie soll neu auch in das ZAG aufgenommen werden, um den praktischen Bedürfnissen der für den Vollzug der neuen Massnahmen zuständigen kantonalen Behörden sowie von fedpol zu entsprechen. Eine zentrale Aufgabe von fedpol ist es, die Sicherheit von Bundesbehörden oder von Personen, Gebäuden und Einrichtungen zu gewährleisten, für deren Schutz der Bund zuständig ist. Auf die Befugnis nach Artikel 19a E-ZAG (i. V. m. Artikel 22 Absatz 4 BWIS; Anwendbarkeit des ZAG für die sicherheitspolizeilichen Aufgaben nach dem BWIS) wird sich auch die gegebenenfalls zuständige Kantonspolizei stützen können. Wegweisung und Fernhaltung können darüber hinaus auch in weiteren Aufgabenbereichen von fedpol relevant sein, etwa für die Bundeskriminalpolizei: Anlässlich einer Hausdurchsuchung, Verhaftung etc. kann es erforderlich sein, Personen von einem Ort vorübergehend wegzuweisen oder fernzuhalten, wenn diese den gerichtspolizeilichen Einsatz stören oder behindern. Insbesondere ist die neue Befugnis auch eine wichtige Handhabe für die zuständigen Behörden für den Vollzug eines Kontaktverbots, einer Ein- und Ausgrenzung sowie einer Eingrenzung auf eine Liegenschaft. Die Behörden dürfen die polizeilichen Befugnisse nach dem ZAG dabei nur unter der Voraussetzung anwenden, dass ihnen konkrete Hinweise vorliegen, dass die betroffene Person gegen die ihr auferlegte Massnahme verstösst.

Art. 20a

Durchsuchung von Räumen, Gegenständen und Fahrzeugen

Die Regelung stützt sich auf Bestimmungen kantonaler Polizeigesetze (vgl. z. B.

§ 36 des Polizeigesetzes des Kantons Zürich). Sie gibt die heutige Praxis wieder. Die 96

SR 364

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hier geregelte polizeiliche Durchsuchung von Räumen, Gegenständen und Fahrzeugen ist zu unterscheiden von den sachlich vergleichbaren Durchsuchungen gemäss Artikel 241 ff. StPO, die ab Eröffnung eines Strafverfahrens zur Anwendung gelangen.

11. Bundesgesetz über die Luftfahrt vom 21. Dezember 194897 Art. 108b Fedpol hatte im Bereich SIBEL (Sicherheitsbeauftragte Luftverkehr) in der Vergangenheit einige kritische Vorfälle auf in- und ausländischen Flughäfen zu verzeichnen, in die Mitarbeitende eines Flughafenbetriebs involviert waren, die Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens hatten und über spezielle Informationen und Berechtigungen verfügten (sog. Insider). Mit einer verbesserten Zuverlässigkeitsüberprüfung des Flughafenpersonals sollen künftig Gefahren umfassender erkannt und verhindert werden.

Heute bestehen in der Praxis zwei Überprüfungsstufen für Flughafenpersonal, das Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens der Schweiz hat: ­

Erste Stufe: Beschäftigungsbezogene Überprüfung durch den Arbeitgeber.

Dabei wird die Identität der betreffenden Person festgestellt und es werden alle bisherigen Beschäftigungsverhältnisse erfasst, einschliesslich Aus- und Weiterbildungen.

­

Zweite Stufe: Zuverlässigkeitsüberprüfung durch die Kantonspolizei. Diese schliesst mögliche Lücken der ersten Prüfung bei der Feststellung der Identität der betreffenden Person. Insbesondere wird überprüft, ob etwaige Vorstrafen vorliegen. Auf dieser Grundlage entscheidet der Arbeitgeber, ob eine Person zum Sicherheitsbereich zugelassen werden kann oder nicht.

Die Durchführung der ersten Prüfungsstufe stützt sich auf die Bestimmungen des Privatrechts oder das kantonale Personalrecht. Die Unternehmen Flughafen Zürich, SWISS und CUSTODIO beantragten anlässlich der Vernehmlassung die Schaffung einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage für die zweite Stufe der Zuverlässigkeitsüberprüfung. Die Grundsätze der Zuverlässigkeitsüberprüfung sind in der Verordnung (EG) 300/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt und zur Aufhebung der Verordnung (EG) 2320/200298 und der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998 der Kommission vom 5. November 2015 zur Festlegung detaillierter Massnahmen für die Durchführung der gemeinsamen Grundstandards für die Luftsicherheit99 geregelt. Beide Verordnungen wurden im Rahmen des Abkommens vom 21. Juni 1999100 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäi-

97 98 99 100

SR 748.0 ABl. L 97 vom 9.4.2008, S. 72.

ABl. L 299 vom 14.11.2015, S. 1.

SR 0.748.127.192.68

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schen Gemeinschaft über den Luftverkehr übernommen (vgl. Ziff. 4 des Anhanges zum Abkommen).

Eine Zuverlässigkeitsüberprüfung müssen gemäss Absatz 1 die Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in der Schweiz für ihr Luftfahrtpersonal durchführen. Entsprechendes gilt für die Flughafenhalter bezogen auf alle anderen Personen, welche Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens haben oder erhalten sollen. Diese haben gestützt auf Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung des UVEK vom 20. Juli 2009 101 über Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr bereits heute zu gewährleisten, dass sämtliches im Sicherheitsbereich tätige Personal sicherheitsüberprüft ist. Gemeint ist neben dem eigenen Personal auch das Personal von Unternehmen, Lieferanten oder Dritten, die Zugang zum Sicherheitsbereich des Flughafens haben bzw. erhalten sollen.

Absatz 2 legt den Mindestinhalt der Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem massgebenden Recht der Europäischen Union fest. Zuerst wird die Identität der betreffenden Person verifiziert. Anhand eines Auszugs aus dem Strafregister wird überprüft, ob sicherheitsrelevante Vorstrafen vorliegen. Falls die Person im Ausland gelebt hat, wird ein Strafregisterauszug auch aus diesem Land verlangt. Weiter wird der Lebenslauf der betreffenden Person auf sicherheitsrelevante Hinweise überprüft. Ausserdem wird die betroffene Person aufgefordert, in einer Erklärung sämtliche Straffälligkeiten im Zeitraum mindestens während der letzten fünf Jahre und in allen Staaten, in denen sie Wohnsitz gehabt hat, aufzuführen.

Absatz 3 stellt den Rechtsschutz der betroffenen Personen sicher. Diese willigt in die Prüfung ein, indem sie den Arbeitsvertrag oder den Antrag um Zugang zum Sicherheitsbereich des Flughafens unterschreibt. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung haben die Flughafenhalter im Bereich Erteilung, Verweigerung oder Entzug der Zugangsberechtigung Verfügungskompetenz und sind daher berechtigt, Verfügungen i. S. v. Artikel 5 VwVG zu erlassen102. Um entscheiden zu können, müssen die Flughafenhalter und Luftverkehrsunternehmen über die nötigen Daten verfügen.

Diese werden ihnen durch die Polizeistelle mitgeteilt, die vom Fall betroffen ist.

Art. 108c Dieser Artikel kodifiziert die bestehende Praxis der Flughafenhalter, wonach die Prüfung grundsätzlich durch die Kantonspolizei durchgeführt wird.
In Absatz 1 werden die Luftverkehrsunternehmen und die Flughafenhalter ermächtigt, die nötigen Daten (insbesondere Bewerbungsunterlagen, Lebenslauf, Strafregisterauszüge, Mitarbeiterbeurteilungen, Risikobeurteilungen usw.) der zuständigen Polizeistelle bekanntzugeben. Diese erhält zudem einen direkten Zugriff auf das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (vgl. hierzu unten Ziff. 12). Dieser Zugriff schliesst auch Daten über hängige Strafverfahren ein, die im normalen Strafregisterauszug nicht enthalten sind (Abs. 2).

Absatz 3 erteilt der zuständigen Polizeistelle die Kompetenz, Daten, die für eine Zuverlässigkeitsüberprüfung benötigt werden, mit der zuständigen ausländischen 101 102

SR 748.122 Urteil des Bundesgerichts 2C_855/2016 vom 31. Juli 2018 E. 8 ff.

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Polizeistelle auszutauschen und zu bearbeiten. Diese Bestimmung ist erforderlich, weil ein Teil der Personen, die Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens in der Schweiz haben oder haben sollen, über einen ausländischen Wohnsitz verfügen oder über längere Zeit verfügt haben (z. B. Grenzgängerinnen und Grenzgänger).

Ohne diesen internationalen Austausch stehen der zuständigen schweizerischen Polizeistelle keine oder zu wenig sicherheitsrelevante Daten (insbesondere Daten über mögliche Vorstrafen und hängige Strafverfahren) für eine umfassende Zuverlässigkeitsüberprüfung zur Verfügung.

Art. 108d Die Empfehlung der zuständigen Polizeistelle bezüglich Erteilung, Verweigerung oder Entzug der Zugangsberechtigung ist für die Luftverkehrsunternehmen und Flughafenhalter nicht verbindlich; in der Praxis weichen sie in ihren Beurteilungen aber nicht davon ab.

Art. 108e Die Bestimmung verzichtet darauf, die Kadenz der Zuverlässigkeitsüberprüfung zu regeln. Diese ist bereits unter Nummer 11.1.7 der Durchführungsverordnung (EU) 2019/103 der Kommission vom 23. Januar 2019 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998 in Bezug auf Präzisierung, Harmonisierung und Vereinfachung sowie die Verstärkung bestimmter spezifischer Luftsicherheitsmassnahmen103 geregelt und wird im Rahmen des bilateralen Luftverkehrsabkommens mit der EU von der Schweiz übernommen. Da der Abschluss von internationalen Abkommen zur Luftsicherheit in die Vertragsabschlusskompetenz des Bundesrates fällt (Art. 3a Abs. 1 Bst. cbis LFG), wäre im Hinblick auf eine (allfällige) künftige Änderung der Verordnung eine Fixierung auf Gesetzesstufe ungünstig. Eine erste Überprüfung findet auf jeden Fall vor der Anstellung oder vor der Erteilung der Berechtigung statt. Das neue EU-Recht, das die Schweiz demnächst übernehmen wird, verlangt die Wiederholung der Zuverlässigkeitsüberprüfung spätestens nach drei Jahren. Trotz periodischer Wiederholung kann es vorkommen, dass die Zuverlässigkeitsüberprüfung früher wiederholt werden muss. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht dem Bundesamt für Zivilluftfahrt eine strafbare Handlung meldet, die zum Entzug der Berechtigung Anlass geben kann (vgl. Art. 100 Abs. 1 LFG). Eine Wiederholung kann aber beispielsweise auch angezeigt sein, wenn sich das Verhalten der betreffenden Person massgebend verändert hat oder bei einer Verdachtsmeldung aus dem Arbeitsumfeld oder von Dritten.

103

ABl. L 21 vom 24.01.2019, S. 13.

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12. Strafregistergesetz vom 17. Juni 2016104 Art. 46 Bst. d Ziff. 3 Mit dem Inkrafttreten des Strafregistergesetzes (StReG) werden sämtliche Bestimmungen des StGB über das Strafregister in das neue Gesetz transferiert und grundlegend angepasst. Es muss also sichergestellt werden, dass beim Inkrafttreten des StReG die Anpassungen in den Artikeln 365 und 367 des StGB übernommen werden.

Je nachdem, ob im Zeitpunkt der Schlussabstimmung zum E-PMT das neue StReG bereits in Kraft ist oder nicht, verbleiben alternativ entweder der hier vorgeschlagene Artikel 46 Buchstabe d Ziffer 3 oder aber die Artikel 365 Absatz 2 Buchstabe v StGB und 367 Absatz 2 Buchstabe n und Absatz 4 StGB im Gesetzesentwurf (siehe zu dieser Koordinationsregelung näher die Ausführungen bei Ziff. 6, Strafgesetzbuch).

13. Bundesgesetz vom 18. März 2016105 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs Art. 1 Abs. 1 Bst f, Art. 10 Abs. 2ter, Art. 11 Abs. 4ter und 5 erster Satz Da neu auch für die Zwecke der Mobilfunklokalisierung nach Artikel 23q E-BWIS Randdaten erhoben und an die zuständige Behörde übermittelt werden dürfen, wird der sachliche Geltungsbereich des BÜPF in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe f entsprechend erweitert. Die Erweiterung des Geltungsbereichs bezieht sich allerdings lediglich auf die Mobilfunklokalisierung und nicht auch auf die elektronische Überwachung, welche in Artikel 23q E-BWIS ebenfalls erwähnt wird. Damit wird erstmals eine nicht geheime Überwachungsmassnahme eingeführt, die keiner Genehmigung bedarf, was für den Dienst ÜPF einen Paradigmenwechsel darstellt. Dies wird zu einer Änderung der ausführenden Verordnungen führen. Gleichzeitig ist die Regelung betreffend das Auskunftsrecht zu ergänzen (Art. 10 Abs. 2ter) und es ist in Artikel 11 Absatz 4ter eine konkret auf Artikel 23q E-BWIS abgestimmte Regelung der Löschfristen zu treffen.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Die einmaligen Investitionskosten in die polizeilichen Informationssysteme von fedpol belaufen sich auf insgesamt 71 000 Franken. Diese setzen sich wie folgt zusammen: 104 105

BBl 2016 4871 (Referendumsvorlage) SR 780.1

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­

30 000 Franken für die Schaffung einer neuen Ausschreibungskategorie im RIPOL für Massnahmen zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten nach dem 5. Abschnitt E-BWIS;

­

20 000 Franken für die elektronische Erfassung der Daten, die nach dem 5. Abschnitt E-BWIS bearbeitet werden;

­

10 000 Franken für die Ausrüstung der zusätzlichen Stellen in den beiden vorgenannten Bereichen sowie die Ausbildung der betroffenen Personen (einmalige Sachaufwendungen);

­

11 000 Franken für die Anpassungen der Zugriffsrechte (Zugriff NDB) im Informationssystem Ausweisschriften (ISA).

Die im Rahmen der Vorlage vorgesehenen neuen Zugriffsrechte des SEM und der EZV auf die polizeilichen Informationssysteme von fedpol sowie der kantonalen Polizeistellen auf das Strafregister-Informationssystem VOSTRA führen zu keinen nennenswerten Investitions- und Betriebskosten. Die Kosten für die Zugriffsrechte der Transportpolizei werden nicht durch den Bund getragen.

Neu wird für die Vorbereitungshaft (Art. 75 AIG) und die Ausschaffungshaft (Art. 76 AIG) ein zusätzlicher Haftgrund der Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz geschaffen. Die finanzielle Belastung des Bundes durch diesen Haftgrund sollte aufgrund der geringen Anzahl an zu erwartenden Fällen gering sein.

Die rechtskräftige, aber nicht vollziehbare Ausweisung (Art. 68 AIG) soll neu gleich behandelt werden wie die rechtskräftige, aber nicht vollziehbare Landesverweisung (vgl. zur Gleichbehandlung die Ausführungen zur Änderung von Art. 83 Abs. 9 AIG). Der Bund wird den Kantonen neu auch Flüchtlinge, welche mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung belegt wurden, eine Pauschale ausrichten. Die Pauschale ist zeitlich befristet und kann nur während fünf Jahren nach Gesuchseinreichung ausgerichtet werden (vgl. Art. 88 Abs. 3 AsylG). Daraus dürften für den Bund bloss äusserst geringe Mehrkosten entstehen.

Um die Überwachungsmassnahmen PMT-konform abwickeln zu können, muss das Verarbeitungssystem (V-FMÜ) des Dienstes ÜPF zusätzliche Prozessabläufe unterstützen. Die Anpassungen betreffen unter anderem die Umsetzung der Überwachungstypen gemäss PMT, Aufbewahrungsfristen sowie Änderungen der Funktionalitäten und der Online-Zugriffe. Die einmaligen Kosten für diese Systemanpassungen werden auf ungefähr 500 000 Franken geschätzt. Hierin eingeschlossen sind die notwendigen Entwicklungs- und Projektkosten sowie die benötigten Systemerweiterungen. Aufgrund der Systemanpassungen entstehen zusätzliche Betriebskosten im Umfang von 100 000 Franken pro Jahr.

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Die Anordnung von verwaltungspolizeilichen Massnahmen setzt einen Antrag des Kantons voraus und bedarf eines gemeinsamen Case Managements sowie der Koordination durch fedpol mit diesem Kanton. Diese Koordination, die Ausarbeitung der 4840

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Verfügung, eine allfällige Teilnahme an einem Beschwerdeverfahren sowie die Kontrolle des Vollzugs der Massnahmen haben personellen Mehrbedarf bei fedpol zur Folge. Dieser kann im heutigen Zeitpunkt noch nicht abschliessend festgelegt werden. Es wird gegenwärtig von einem Mehrbedarf bei fedpol von ca. neun Stellen ausgegangen, welcher nach Inkraftsetzung der Vorlage jedoch noch vertiefter zu analysieren ist. Bei der Inkraftsetzung müssen jedoch zwingend fünf unbefristete Stellen zur Verfügung stehen. Zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. nach ersten Erfahrungen, sind bei Bedarf weitere personelle Ressourcen anzubegehren Nach spätestens vier Jahren soll unter Berücksichtigung der Bedrohungslage sowie der Fallentwicklung der Ressourcenbedarf für die dauerhafte Sicherstellung der neuen Aufgaben evaluiert werden.106 Die neu vorgeschlagenen verwaltungspolizeilichen Massnahmen kann fedpol mit den bestehenden Ressourcen nicht bewältigen. Angesichts der stark gestiegenen Zahl von Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen (seit 2015 bis zum heutigen Zeitpunkt hat sich die Anzahl Massnahmen beinahe vervierfacht) sowie der aktuellen erhöhten Bedrohungslage ist davon auszugehen, dass ein höherer Ressourcenbedarf für die Bearbeitung der neuen Massnahmen notwendig sein wird. Der nötige Aufwand für die Vorabklärungen, Sachverhaltsfeststellungen, Ausarbeitung von Verfügungen und Eingaben an das Gericht pro Gefährderin oder Gefährder wird vergleichbar sein mit dem personellen Aufwand, den heute eine Ausweisung beansprucht.

Fedpol schätzt, dass bei unveränderter Bedrohungslage in bis zu 30 Fällen pro Jahr durch den NDB, die Gemeinden oder die Kantone Anträge für Massnahmen nach dem 5. Abschnitt E-BWIS gestellt werden, wobei pro Fall in der Regel von mehreren kombinierten Massnahmen auszugehen ist. Beispielsweise kann gegen eine terroristische Gefährderin oder einen Gefährder ein Kontaktverbot in Kombination mit einer Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht sowie einer Eingrenzung und einem Ausreiseverbot notwendig sein. Es ist davon auszugehen, dass gegen einzelne Massnahmen Beschwerde geführt wird und dass viele Massnahmen entweder verlängert oder auf Gesuch hin neu beurteilt werden müssen.

Weiter verursacht die Umsetzung der PMT-Massnahmen zusätzliche Aufgaben beim Dienst ÜPF. Dabei handelt es sich um die Umsetzung von
Mobilfunklokalisierungen gemäss Artikel 23q E-BWIS, zusätzlich umzusetzenden Schaltungen, den Beratungsaufwand sowie die Behandlung entsprechender Störungsmeldungen. Die mit Artikel 29b E-BWIS neu geschaffene Bundeszuständigkeit wird zudem zu einer Mehrbelastung der Strafbehörden des Bundes führen. Der zusätzliche Aufwand für die Strafverfolgung im Falle einer Widerhandlung gegen Massnahmen nach den Artikeln 23k­23q E-BWIS ist derzeit nicht abschätzbar.

106

Bezüglich der im Postulat 17.3044 Müller Damian vom 1. März 2017 aufgeworfenen Frage nach der personellen Ressourcensituation beim NDB zur Überwachung von Risikopersonen ist Folgendes anzumerken: Der Bundesrat ist sich bewusst, dass der NDB über genügend Ressourcen verfügen muss, damit er seine Aufgaben erfüllen kann.

Beispielsweise hat der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) im zweiten Halbjahr 2018 den Bereichen Cyberund Spionageabwehr insgesamt 26 neue Stellen zur Verfügung gestellt. Ob zusätzliche Anpassungen nötig sind, wird auf Stufe Bundesrat und VBS regelmässig geprüft.

Entscheidungen wurden diesbezüglich noch keine getroffen.

4841

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3.1.3

Andere Auswirkungen

Zum gegebenen Zeitpunkt ist nicht von anderen Auswirkungen auszugehen.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Präventiv-polizeiliche Massnahmen Fedpol entscheidet über den Erlass präventiv-polizeilicher Massnahmen (Art. 23j Abs. 1 E-BWIS). Der Vollzug ist Sache der Kantone; fedpol kann dabei Amts- und Vollzugshilfe leisten (Art. 23r Abs. 1 und 2 E-BWIS). Die Kantone wünschten in der Vernehmlassung Präzisierungen hinsichtlich der Finanzierung und Zusammenarbeit mit dem Bund. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass eine elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierung (Art. 23q E-BWIS) zeit-, personalund damit kostenintensiv sein kann. Teilweise wurde die Zustimmung zur Vorlage nur unter dem Vorbehalt einer Kostenübernahme für den Vollzug präventivpolizeilicher Massnahmen durch den Bund erteilt. Die Vorlage geht vom Grundsatz aus, dass die Kantone die Kosten des Vollzugs selbstständig tragen.107 Im vorliegenden Zusammenhang ist zudem zu beachten, dass es grundsätzlich den Kantonen obliegt, Massnahmen nach dem 5. Abschnitt zu beantragen. Zudem fällt der Nutzen der neuen präventiv-polizeilichen Massnahmen nicht nur auf gesamtschweizerischer Ebene an, sondern auch im die Massnahme beantragenden Kanton. Es ist auch aus diesen Gründen gerechtfertigt, dass die Kantone zumindest die Kosten des Vollzugs tragen, während der Bund die Kosten der Anordnung der Massnahmen übernimmt (vgl. Ziff. 5.5).

Nach der Konzeption des Gesetzesentwurfs wird jeder Kanton eine zuständige Stelle bezeichnen müssen, die fedpol Antrag auf Erlass einer präventiv-polizeilichen Massnahme stellt. In verschiedenen Kantonen bestehen bereits solche Strukturen im Sinne einer Fallführung (sog. Bedrohungs- oder Case-Managements), andere werden diese aufbauen müssen, soweit sie die Massnahmen des vorliegenden Entwurfs nutzen wollen. Je nach Grösse der bereits etablierten Strukturen ist mit unterschiedlichen Kosten zu rechnen.

Heisst fedpol den Antrag gut, hat der antragstellende Kanton den Vollzug der Massnahme zu gewährleisten. Beim Vollzug können insbesondere folgende Kosten anfallen: ­

107

Kosten für die Anordnung einer elektronischen Überwachung und Mobilfunklokalisierung: Die Umsetzung der Anordnung einer elektronischen Überwachung erfolgt durch die Kantone. Die Kantone haben dabei mit eiSiehe dazu die Ausführungen im Bericht des Bundesrates vom 2. März 2012 in Erfüllung des Postulats Malama 10.3045 vom 3. März 2010 Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen, BBl 2012 4459, 4483; vgl. auch die Botschaft des Bundesrates vom 7. März 1994 zum Bundesgesetz über die Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und zur Volksinitiative «S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei», BBl 1994 II 1127, 1192.

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nem gewissen personellen und finanziellen Mehraufwand zu rechnen. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Kantone dafür neue Stellen schaffen müssen.

­

Kosten für die regelmässige Kontrolle des Aufenthaltsorts einer terroristischen Gefährderin oder eines terroristischen Gefährders bzw. Durchsuchung von Räumen, Gegenständen und Fahrzeugen: Je gefährlicher eine Person ist, desto häufigere Kontrollen werden nötig sein. Die Kosten für die regelmässige Kontrolle des Aufenthaltsorts der betroffenen Person sind deshalb unterschiedlich hoch und können nicht präzise beziffert werden.

­

Kosten aufgrund der Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht: Die Meldeund Gesprächsteilnahmepflicht erfolgt in bestimmten, festgelegten Zeitabständen. Die zeitlichen Abstände sind umso kürzer, je höher die Gefahr ist, dass die Gefährderin oder der Gefährder eine terroristische Aktivität ausführt. Für die Umsetzung dieser Massnahme ist pro Fall mit einem personellen Aufwand zu rechnen. Dies dürfte in einzelnen Kantonen zu einem personellen Mehraufwand führen.

­

Kosten aufgrund der Eingrenzung auf eine Liegenschaft: Die terroristische Gefährderin oder der terroristische Gefährder soll soweit möglich in der eigenen Wohnung eingegrenzt werden. Wird sie oder er extern untergebracht, so ist dies mit entsprechenden Kosten verbunden. In beiden Fällen können Kosten für die Verwendung von elektronischen Vorrichtungen zur Aufenthaltsüberwachung oder für eine Mobilfunklokalisierung anfallen.

­

Kosten aufgrund der ausländerrechtlichen Administrativhaft und der getrennten Unterbringung sowie Kosten der Einzelhaft bzw. getrennten Unterbringung im Straf- und Massnahmenvollzug: Ein Haftplatz pro Insasse und Tag kostet in der Untersuchungshaft 234 Franken und im Vollzug 390 Franken (Stand 2010).108 Diese Kosten sind vergleichbar mit jenen für einen Haftplatz in der Ausschaffungshaft.

Zuverlässigkeitsüberprüfung Flughafenpersonal (Art. 108b LFG) In der Schweiz sind etwa 37 000 Personen im Sicherheitsbereich eines Flughafens tätig. All diese Personen brauchen für ihre Tätigkeit bereits heute eine Zugangsberechtigung der Flughafenhalter und werden einer Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen. Der Flughafen Genf lässt sämtliche Personen, die Zugang zum Sicherheitsbereich erhalten sollen, durch die Kantonspolizei überprüfen. Der Flughafen Zürich erledigt demgegenüber etwa 80 Prozent aller Überprüfungen selber: Nur in den sensibelsten Fällen wird die Kantonspolizei miteinbezogen. Für die Luftverkehrsunternehmen, die bisher diese Prüfungen selber durchgeführt haben, besteht neu die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei. Ob und inwiefern sie auf dieses neue Mittel zurückgreifen, ist ihnen überlassen. Bei der Swiss International Air Lines unterliegen beispielsweise etwa 5800 Angestellte (4500 108

Bericht des Bundesrates zum Postulat 10.3693 Rickli vom 27. September 2010; Kosten des Strafvollzugs in der Schweiz, S. 9, abrufbar unter: www.ejpd.admin.ch > Publikationen & Service > Berichte, Gutachten und Verfügungen > Berichte und Gutachten (Stand: 11.3.2019).

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Kabinenpersonal und 1300 Cockpitpersonal) der Zuverlässigkeitsüberprüfung. Die Luftverkehrsunternehmen und die Flughafenhalter tragen bereits heute die Kosten dieser Prüfungen. Die vorgeschlagene Regelung hat somit grundsätzlich keine neuen Kosten zur Folge.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, Gesellschaft und Umwelt

Die vorgeschlagenen Bestimmungen bezwecken eine Erhöhung der Sicherheit in der Schweiz. Indirekt werden durch ein sicheres gesellschaftliches Umfeld die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert, was den Standort Schweiz weiter stärkt. Erhält die Polizei angemessene Instrumente zum Umgang mit terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern, dürfte dies das Sicherheitsgefühl der Gesellschaft positiv beeinflussen. Auf die Umwelt dürften die neuen präventiv-polizeilichen Massnahmen keine nennenswerten Auswirkungen haben.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

4.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 27. Januar 2016109 zur Legislaturplanung 2015­2019 noch im Bundesbeschluss vom 14. Juni 2016110 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt. Zum Zeitpunkt der Legislaturplanung war noch nicht erkennbar, dass neben den strafrechtlichen Anpassungen gemäss der Botschaft zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarates vom 16. Mai 2005 111 zur Verhütung des Terrorismus polizeiliche Massnahmen zur umfassenden Bekämpfung von Terrorismus erforderlich sein werden.

4.2

Verhältnis zu Strategien des Bundesrates

Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung Aufgrund der erhöhten terroristischen Bedrohung in Europa hat der Bundesrat im Jahr 2015 die Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet. Die Schweiz bekämpft den Terrorismus mit den ihr zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln und in Koordination mit ihren in- und ausländischen Sicherheitspartnern. Der Bundesrat hat sich u. a. folgende zwei Ziele gesetzt: die Verhinderung

109 110 111

BBl 2016 1105 BBl 2016 5183 Ziel 61 des Bundesbeschlusses über die Legislaturplanung 2015­2019, BBl 2016 5183, hier 5189

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von Terrorismus auf dem Territorium der Schweiz und die Verhinderung des Exports und der Unterstützung von Terrorismus von ihrem Territorium aus. 112 Diese Strategieziele erreicht die Schweiz mit dem Einsatz der Instrumente des Strafrechts, aber auch mit dem Einsatz von präventiv-polizeilichen Massnahmen: Zur Erreichung des ersten Ziels (Schutz vor Terrorismus im Inland) sind einzelne präventive Instrumente bereits vorhanden (etwa Einreiseverbote, Entzug von Aufenthaltsrechten) und wurden mit Inkrafttreten des NDG insbesondere im Bereich der Informationsbeschaffung ergänzt. Mit dieser Vorlage werden die gesetzlichen Grundlagen vervollständigt, insbesondere um terroristische Gefährderinnen und Gefährder mit polizeilichen Massnahmen auch vor oder nach einem Strafverfahren an der Ausübung terroristischer Aktivitäten zu hindern.

Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken Die Möglichkeit zur Schaffung einer Zentralstelle Cyberkriminalität als nationales Kompetenzzentrum für Bund und Kantone gemäss Artikel 1 Absatz 2 E-ZentG ist zudem im Sinne der Nationalen Strategie zum Schutz der Schweiz vor CyberRisiken (NCS).113 Die Entwicklung im Internet führt zu neuen Formen der Cyberkriminalität, welche nur im Verbund mit den zuständigen Stellen von Bund und Kantonen nachhaltig und ganzheitlich bekämpft werden können. Im Einklang mit dem von der KKJPD und dem Bundesrat verabschiedeten «Konzept zur Massnahme 6 NCS» vom 18. Februar 2016 wird die gesetzliche Grundlage für eine Zentralstelle Cyberkriminalität als nationales Kompetenzzentrum für Bund und Kantone geschaffen.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Bei den zuständigkeitsbegründenden Verfassungsbestimmungen handelt es sich zunächst um die inhärente Verfassungskompetenz des Bundes zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz: Im Bereich der inneren und äusseren Sicherheit ist für die Frage, ob die Bundesverfassung dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zuweist, nicht allein der Verfassungstext massgebend. Vielmehr fallen Kompetenzen, die sich aus der staatlichen Existenz der Eidgenossenschaft ergeben, auch dann in die Zuständigkeit des Bundes, wenn sie in der Bundesverfassung nicht ausdrücklich genannt werden.114 Für solche Bundeszuständigkeiten, für die eine explizite Zuweisung einer Kompetenz an den Bund in der Verfassung fehlt, wird nach neuerer Praxis Artikel 173 Absatz 2 BV herangezogen.

Als inhärente Kompetenz des Bundes gilt es, im Innern und Äussern die notwendigen Massnahmen zu seinem eigenen Schutz bzw. zum Schutz seiner Institutionen 112

Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung vom 18. September 2015, BBl 2015 7487, 7488 f.

113 Vgl. Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken (NCS) 2018­2022, S. 23, abrufbar unter: www.isb.admin.ch > Dokumentation > Berichte (Stand: 11.3.2019).

114 BGE 117 Ia 202 E. 4a S. 211 f.

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und Organe zu treffen. Der Bund hat den Bestand des schweizerischen Gemeinwesens zu gewährleisten und für die Abwehr von Gefahren zu sorgen, die dieses existenziell bedrohen. Die von terroristischen Aktivitäten ausgehenden Gefahren sind zweifelsohne geeignet, den Staat in seinen Grundstrukturen und seiner Existenz ernsthaft zu bedrohen. Terroristisches Handeln zielt ­ wie in der Präambel zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus festgehalten wird ­ darauf ab, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, eine Regierung oder internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. Terroristische Aktivitäten mögen zwar unmittelbar nur gewisse Personen an Leib und Leben gefährden, sollen aber über Kantonsund Landesgrenzen hinausstrahlen und eine Veränderungen und Destabilisierung der Gesamtgesellschaft und der grundlegenden Strukturen einer freiheitlichen Demokratie an sich bewirken. Auch wenn lokal ausgeführt, sind die Auswirkungen terroristischer Handlungen räumlich nicht beschränkt, sondern erstrecken sich auf die gesamte schweizerische Bevölkerung. Sie gefährden letztlich die innere Sicherheit der Schweiz als Ganzes.

Die inhärente Kompetenz des Bundes im Bereich der inneren und äusseren Sicherheit schliesst auch Gesetzgebungskompetenzen mit ein. Die Stärkung des präventivpolizeilichen Instrumentariums im Rahmen des BWIS ist durch die inhärente Kompetenz gedeckt. Mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5a und 43a BV) hat der Bund von dieser Kompetenz jedoch schonend Gebrauch zu machen, zumal die Gewährleistung der inneren Sicherheit keine ausschliessliche Bundesaufgabe darstellt.

Im Bereich der äusseren Sicherheit verfügt der Bund zudem über eine allgemeine Kompetenz, die umfassende Rechtsetzungsbefugnisse beinhaltet (Art. 54 Abs. 1 BV). Soweit ­ wie vorliegend ­ ein enger Bezug zu auswärtigen Angelegenheiten besteht, gilt Artikel 54 Absatz 1 BV auch für innerstaatliche Akte.

Von Bedeutung ist sodann die Bestimmung von Artikel 123 Absatz 1 BV, welche dem Bund auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts Gesetzgebungskompetenzen
zuweist. Diese Bestimmung stellt zunächst die Verfassungsgrundlage für die beabsichtigten Anpassungen im StGB (Einzelhaft im Straf- und Massnahmenvollzug) dar, ist aber auch in anderer Hinsicht relevant: Artikel 123 Absatz 1 BV ist nicht nur kompetenzbegründend für polizeiliche Aufgaben des Bundes im Rahmen von Strafverfahren, sondern auch für polizeiliches Tätigwerden im Vorfeld von Strafverfahren, das der Verhinderung, Erkennung und Aufklärung von Straftaten dient. Der Bund ist gestützt auf Artikel 123 Absatz 1 BV befugt, auch Bestimmungen zur Erfüllung dieser polizeilichen Aufgaben zu erlassen, soweit sie mit der Strafverfolgung von Delikten eng verknüpft sind, die in seiner Strafverfolgungskompetenz liegen. Die der Strafverfolgung des Bundes unterstellten strafbaren Handlungen umfassen u. a. das Gebiet des organisierten Verbrechens und der Terrorismusbekämpfung.

Die Vorlage enthält als Mantelerlass eine Reihe von Regelungen, die das geltende Polizeirecht des Bundes punktuell ergänzen. Es handelt sich dabei um Instrumente für die Erfüllung von kriminalpolizeilichen Aufgaben im Bereich des Terrorismus 4846

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und des organisierten und international tätigen Verbrechens (z. B. neue Ermittlungsformen wie die verdeckte Fahndung im Internet und in elektronischen Medien, die Ausschreibung zur verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle) einschliesslich der koordinierenden, analytischen und ermittlungstechnischen Informationsbearbeitung. Soweit diese Bestimmungen auch koordinierenden Charakter aufweisen, kann nebst Artikel 123 Absatz 1 BV zusätzlich Artikel 57 Absatz 2 BV als Verfassungsgrundlage herangezogen werden.

Im Weiteren sind im Ausländer- und Asylrecht zu verankernde Massnahmen zur Sicherstellung des Vollzugs der Weg- und Ausweisung sowie verschiedene weitere Anpassungen vorgesehen. Für den Bereich des Ausländerrechts verfügt der Bund mit Artikel 121 Absatz 1 BV über eine umfassende Rechtsetzungskompetenz, die es ihm erlaubt, sämtliche Rechtsfragen im betreffenden Bereich zu regeln.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren wichtige Schritte zur Umsetzung und Ratifikation einer Reihe internationaler Verträge unternommen, deren gemeinsames Ziel die Bekämpfung und Prävention von Terrorismus ist. Als Vertragsstaat dieser Übereinkommen trägt die Schweiz zur internationalen Bekämpfung des Terrorismus bei.

Mit der vorliegenden Gesetzesvorlage werden Massnahmen rein präventiven Charakters geschaffen, denen kein konkreter Tatverdacht zugrunde liegt. Damit verbunden sind teils erhebliche Einschränkungen von in der Bundesverfassung aber auch im Völkerrecht ­ namentlich in der EMRK und im UNO-Pakt I ­ garantierten Grund- und Menschenrechten. Dem Verhältnismässigkeits- und dem Legalitätsprinzip werden deshalb besondere Beachtung geschenkt.

5.3

Erlassform

Die neuen polizeilichen Massnahmen sollen in bestehende, gleichrangige Erlasse integriert werden. Die Vorlage ist deshalb als Mantelerlass ausgestaltet. Die neuen verwaltungspolizeilichen Massnahmen gegen terroristische Gefährderinnen und Gefährder werden im BWIS verankert. Dort sind bereits heute vergleichbare präventive Massnahmen von fedpol gegen Gefährderinnen und Gefährder bei Sportveranstaltungen geregelt. Die anderen Massnahmen erfordern punktuelle Anpassungen in den jeweils betroffenen Spezialgesetzen.

5.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Gemäss Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV bedürfen Subventionsbestimmungen sowie Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr 4847

BBl 2019

als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder jedes der beiden Räte. Die Vorlage enthält keine entsprechende Bestimmung.

Sie untersteht damit nicht der Ausgabenbremse.

5.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Bei der Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten (Art. 5a BV). Gemäss Artikel 43a Absatz 1 BV übernimmt der Bund nur die Aufgaben, welche die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen. Mit Blick auf die kantons- und landesgrenzenübergreifende Bedrohung, die von terroristischen Aktivitäten ausgeht, und der Notwendigkeit internationaler Kooperation und eines einheitlichen und koordinierten Vorgehens zwecks einer effizienten Bekämpfung des Terrorismus, ist eine Regelung durch den Bund gerechtfertigt (vgl. dazu die Ausführungen unter Ziff. 1.3.1). Gleichzeitig hat der Bund von seinen Kompetenzen einen schonenden Gebrauch zu machen und den Kantonen ausreichend Raum für die Aufgabenerfüllung zu überlassen. Der Gesetzesentwurf weist die präventiv-polizeiliche Bekämpfung terroristischer Aktivitäten zur Wahrung der inneren Sicherheit nicht der alleinigen Zuständigkeit des Bundes zu. Der Bund verfügt zwar über die alleinige Kompetenz zur Anordnung von Massnahmen nach Artikel 23k ff. E-BWIS, doch reagiert er damit jeweils auf ein konkretes Bedürfnis der Kantone, denen es freisteht, einen Antrag auf Erlass präventiv-polizeilicher Massnahmen zu stellen oder darauf zu verzichten. Selbst in den Fällen, in denen der Antrag auf Erlass einer präven-tivpolizeilichen Massnahme nicht von einem Kanton sondern vom NDB stammt, hat fedpol vorgängig die betroffenen Kantone anzuhören (Art. 23j Abs. 1 Satz 3 E-BWIS); die Kantone verfügen zudem über ein Beschwerderecht (Art. 24g E-BWIS). Darüber hinaus überlässt der Bund den Vollzug und die konkrete Umsetzung der angeordneten Massnahmen den Kantonen. Der Bund beschränkt sich insofern auf eine unterstützende und koordinierende Rolle und trägt damit dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung.

Nach dem in Artikel 43a Absätze 2 und 3 BV statuierten Prinzip der fiskalischen Äquivalenz trägt das Gemeinwesen, in dem der Nutzen einer staatlichen Leistung anfällt, deren Kosten; das Gemeinwesen, das die Kosten einer staatlichen Leistung trägt, kann über die Leistungen bestimmen. Die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten entfaltet sowohl einen landesweiten Nutzen als auch einen konkreten Nutzen für den (antragstellenden) Kanton, auf dessen Gebiet sich die terroristische Gefährderin oder der
terroristische Gefährder befindet. Dies rechtfertigt es, die Kosten nicht schematisch entweder durch den Bund oder den betroffenen Kanton tragen zu lassen. Mit Blick auf die Kostentragung der Kantone ist zudem zu berücksichtigen, dass es den Kantonen ­ von einer Antragstellung durch den NDB abgesehen ­ selbst obliegt, beim Bund präventiv-polizeiliche Massnahmen zu beantragen. Die Kantone bestimmen damit selbst, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen wollen. Soweit der NDB bei fedpol um den Erlass einer präventiv-polizeilichen Massnahme ersucht, ist (wiederum) zu berücksichtigen, dass die betroffenen Kantone vorgängig anzuhö4848

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ren sind und über ein Beschwerderecht verfügen und dass im Falle einer Anordnung der Massnahme auch die Sicherheit im betroffenen Kanton selbst erhöht wird.

5.6

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Die Kantone forderten in der Vernehmlassung mehrheitlich eine Abgeltung für den auf Anordnung des Bundes verursachten Aufwand (Vollzug der Massnahmen) und damit eine Abweichung vom Grundsatz, dass die Kantone die Kosten für den Vollzug von Bundesrecht selber tragen (vgl. Ziff. 3.2).

Der Gesetzgeber ist von diesem Grundsatz im NDG abgewichen. Artikel 85 NDG sieht vor, dass der Bund die Kantone im Rahmen der bewilligten Kredite für die Leistungen, die sie zum Vollzug des NDG erbringen, abgilt. Der Bundesrat legt die Abgeltung aufgrund der Zahl der überwiegend für Bundesaufgaben tätigen Personen pauschal fest. Beim vorliegenden Gesetzesentwurf besteht keine vergleichsweise besondere Vollzugssituation (vgl. Ziff. 3.2), weshalb der Bund die kantonalen Vollzugskosten nicht abgelten kann. In dieser Hinsicht sind keine Subventionen vorgesehen.

Hinzuweisen bleibt auf die Anpassungen in Artikel 87 Absatz 1 Buchstabe d E-AIG und Artikel 88 Absatz 3 E-AsylG. In diesen die Ausrichtung von Pauschalen an die Kantone betreffenden Bestimmungen werden neu auch Personen mit einer rechtskräftigen Ausweisung nach Artikel 68 AIG erwähnt.

Einzig mit der Schaffung des zusätzlichen Haftgrundes der Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz für die Vorbereitungshaft (Art. 75 AIG) und die Ausschaffungshaft (Art. 76 AIG) wird der heutige Subventionstatbestand für die Beiträge an den Bau und den Betrieb kantonaler Haftanstalten (Art. 82 Abs. 1 und 2 AIG) erweitert. Es müssen deshalb keine neuen Haftplätze geschaffen werden und der Bund dürfte durch die Ausrichtung von Tagespauschalen an die Betriebskosten der Kantone nur geringfügig belastet werden.

Zudem sollen neu die rechtskräftige, aber nicht vollziehbare Ausweisung der rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Landesverweisung gleichgestellt werden. Diese vorgeschlagene Gleichstellung von Personen mit einer Landesverweisung und einer Ausweisung bezüglich der vorläufigen Aufnahme ist angezeigt, da in beiden Fällen die weitere Anwesenheit in der Schweiz auf Grund des persönlichen Verhaltens und aus Sicherheitsgründen gelichermassen erwünscht ist. Der Bund wird neu auch für Flüchtlinge, welche mit einer rechtskräftigen, aber nicht vollziehbaren Ausweisung belegt wurden, eine Pauschale ausrichten. Die Pauschale ist zeitlich befristet und kann nur während fünf Jahren nach Gesuchseinreichung ausgerichtet werden.

5.7

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Vorlage enthält keine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen.

4849

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5.8

Datenschutz

Der Datenschutz ist insbesondere mit Blick auf den Erlass präventiv-polizeilicher Massnahmen und den Austausch von Daten unter den involvierten Behörden von zentraler Bedeutung. Für die Beurteilung eines Antrags auf Erlass einer präventivpolizeilichen Massnahme müssen verschiedene Informationen berücksichtigt werden (von der polizeilichen Handnotiz über Informationen aus den Informationssystemen des Bundes bis hin zu strafrechtlichen Verurteilungen). Diese Daten werden in den Geschäfts- und Aktenverwaltungssystemen von fedpol gespeichert (Art. 18 E-BPI).

Den datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Richtigkeit der Daten, das Auskunfts- und das Berichtigungsrecht, die Bekanntgabe von Personendaten und die Datensicherheit wird vollumfänglich Rechnung getragen. Zudem wurde Wert auf eine möglichst präzise Bestimmung der Datenbearbeitungszwecke gelegt, was sich insbesondere in der Bestimmung von Artikel 23h E-BWIS niederschlägt.

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