Administrativhaft im Asylbereich: Kurzbericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 2. Juli 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 30. Oktober 2019

Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Kurzbericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 2. Juli 20191 betreffend Administrativhaft im Asylbereich nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. Oktober 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beauftragten die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) am 28. Januar 2016, eine Evaluation der Administrativhaft im Asylbereich durchzuführen. Die PVK fasste die Ergebnisse der Evaluation in ihrem Bericht vom 1. November 2017 zusammen. Auf Grundlage dieser Evaluation hat die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) am 26. Juni 2018 einen Bericht zuhanden des Bundesrates verabschiedet. Die GPK-N formulierte dabei insgesamt sieben Empfehlungen.

Der Bundesrat hat am 28. September 2018 zu den verschiedenen Empfehlungen Stellung genommen.2 Die GPK-N hat diese Stellungnahme am 2. Juli 2019 beraten.

Dabei hat sie es begrüsst, dass der Bundesrat die Empfehlungen mehrheitlich gut aufgenommen und manche bereits umgesetzt hat. Trotzdem hat die GPK-N im Kurzbericht vom 2. Juli 2019 zu verschiedenen Aspekten in der Stellungnahme des Bundesrates erneut Position bezogen und diesen auf den eruierten Handlungsbedarf aufmerksam gemacht. Mit Schreiben vom 2. Juli 2019 ersuchte die GPK-N den Bundesrat deshalb erneut um eine Stellungnahme.

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Stellungnahme des Bundesrates zu den Empfehlungen der GPK-N Empfehlung 1:

Untergetauchte Personen erfassen

Die GPK-N bittet den Bundesrat, ihr die Ergebnisse dieser Überprüfung nach deren Abschluss mitzuteilen.

Die GPK-N fordert den Bundesrat erneut auf, die Bezeichnung der «unkontrollierten Abreise» zu hinterfragen und bei den rund neun Prozent der Fälle, die in der Nothilfestatistik wiederauftauchen, die Daten im ZEMIS nach dem Abgleich mit den Daten der Nothilfe zu korrigieren.

Mit der am 1. März 2019 in Kraft getretenen Asylgesetzrevision zur Beschleunigung der Asylverfahren (Neustrukturierung des Asylbereichs) wurden die Abläufe bei der Erfassung der unkontrollierten Abreisen im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) teilweise angepasst. Wie es der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 28. September 2018 festgehalten hat, beginnt das Staatssekretariat für Migration (SEM) gemäss angepasstem Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung vom 11. August 19993 über den Vollzug der Weg- und Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen (VVWAL) im beschleunigten Verfahren nach Arti2 3

Administrativhaft im Asylbereich. Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Juni. Stellungnahme des Bundesrates (BBl 2018 7601).

SR 142.281

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kel 26c des Asylgesetzes vom 26. Juni 19984 (AsylG) ohne das Gesuch der für den Vollzug der Wegweisung zuständigen kantonalen Behörde mit der Beschaffung der Reisepapiere bzw. der Vollzugsunterstützung. Dadurch werden im beschleunigten Verfahren unkontrollierte Abreisen nach Vorliegen der Rechtskraftmitteilung systematisch im ZEMIS erfasst.

Bei den Fällen aus dem Dublin-Verfahren nach Artikel 26b AsylG hat das SEM in der Zwischenzeit im zuständigen paritätischen Fachausschuss Rückkehr und Wegweisungsvollzug gemeinsam mit den Kantonen Anpassungen in den Prozessen geprüft. Dabei wurde festgestellt, dass auch bei Fällen aus dem Dublin-Verfahren seit der Umsetzung der Asylgesetzrevision kein Handlungsbedarf mehr besteht.

Gemäss Artikel 24 Absatz 3 Buchstabe b AsylG werden die Asylsuchenden im Dublin-Verfahren grundsätzlich bis zur Ausreise in den Zentren des Bundes untergebracht. Zudem kann das SEM gestützt auf Artikel 5 Absatz 4 der Verordnung des EJPD vom 4. Dezember 20185 über den Betrieb von Zentren des Bundes und Unterkünften an den Flughäfen für Personen, die sich nach einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid und angesetzter Ausreisefrist in einem Zentrum des Bundes aufhalten, eine verstärkte Anwesenheitskontrolle vorsehen. Diese verstärkten Kontrollen und der Verzicht auf einen Transfer der betroffenen Personen in den Kanton führen dazu, dass unkontrollierte Abreisen bei den Fällen aus dem Dublin-Verfahren umgehend bemerkt und im ZEMIS erfasst werden sollten. Im Übrigen hat der Fachausschuss Rückkehr und Wegweisungsvollzug festgestellt, dass die Datenqualität bei der Erfassung der unkontrollierten Abreisen im Dublin-Bereich bereits seit dem an 1. Oktober 2016 erfolgten Inkrafttreten von Artikel 89b AsylG massgeblich verbessert werden konnte und die Situation seither nicht mehr vergleichbar war mit der Situation in dem von der PVK untersuchten Zeitraum zwischen 2011 und 2014.

Gemäss dieser Bestimmung hat der Bund die Möglichkeit, bereits ausgerichtete Pauschalabgeltungen von den Kantonen zurückzufordern oder auf deren Ausrichtung zu verzichten, wenn der Kanton seine Vollzugsaufgaben nicht oder nur mangelhaft erfüllt hat und keine entschuldbaren Gründe vorliegen. Damit besteht für die Kantone ein noch grösseres Interesse daran, dem SEM unkontrollierte Abreisen zu melden, um nicht zu einem
späteren Zeitpunkt allfällige finanzielle Konsequenzen tragen zu müssen, wenn aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist im DublinVerfahren ein nationales Asylverfahren in der Schweiz durchgeführt werden muss.

Bezüglich der Fälle aus dem erweiterten Verfahren nach Artikel 26d AsylG beabsichtigt der Fachausschuss Rückkehr und Wegweisungsvollzug, die Prozesse dahingehend anzupassen, dass das SEM im ZEMIS unmittelbar nach der Rechtskraftmitteilung ebenfalls automatisch den Prozess der «Vollzugsunterstützung» erfasst.

Anschliessend soll das SEM den zuständigen Kanton mittels Standardschreiben über die Erfassung informieren und eine entsprechende Mitteilung verlangen, falls auf die Vollzugsunterstützung durch das SEM verzichtet wird. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die betroffene Person in der Zwischenzeit bereits unkontrolliert abgereist ist. Beim Eingang einer solchen Meldung soll das SEM im ZEMIS die unkontrollierte Abreise erfassen und den Prozess der «Vollzugsunterstützung» abschliessen. Das SEM prüft zurzeit, ob dazu Anpassungen an den Rechtsgrund4 5

SR 142.31 SR 142.311.23

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lagen notwendig sind oder ob Anpassungen auf Weisungsstufe und in den Prozessbeschreibungen ausreichend sind.

Was den Abgleich der Daten zum Nothilfebezug aus dem diesbezüglichen Monitoring Sozialhilfestopp mit den ZEMIS-Daten zu den unkontrollierten Abreisen betrifft, beabsichtigt das SEM, entsprechende Namenslisten an die kantonalen Migrationsbehörden zu versenden. Die kantonalen Migrationsbehörden sind anschliessend angehalten, in diesen Fällen die Vollzugsbemühungen wiederaufzunehmen und dem SEM das Formular betreffend Wiederaufnahme des Aufenthaltes zu übermitteln.

Beim Erhalt des Formulars wird das SEM die entsprechenden Codes im ZEMIS erfassen.

Der Bundesrat hat die Bezeichnung «unkontrollierte Abreise» erneut überprüft.

Auch wenn es keine Hinweise darauf gibt, dass die betroffenen Personen mehrheitlich in der Schweiz verbleiben, hat das SEM für die entsprechende Personenkategorie zum damaligen Zeitpunkt bewusst den Begriff der Abreise ­ anstelle des Begriffs der Ausreise (aus der Schweiz) ­ gewählt, um keine unzutreffenden oder irreführenden Aussagen zu machen. Naturgemäss haben die Behörden in der Regel keine präzisen Angaben zum genauen Verbleib von Asylsuchenden nach deren unkontrollierter Abreise. Falls die Bezeichnung «unkontrollierte Abreise» aus Sicht der GPKN dennoch weiterhin nicht zufriedenstellend sein sollte, schlägt der Bundesrat vor, die Bezeichnung in «unkontrollierter Weggang» zu ändern, um den Bedenken der Kommission Rechnung zu tragen. Der Bundesrat ersucht die GPK-N deshalb um eine entsprechende Information, welche Bezeichnung sie vorzieht.

Empfehlung 2:

Harmonisierung bei der Anordnung und beim Vollzug der Administrativhaft

Aus vorgenannten Gründen fordert die GPK-N den Bundesrat auf, eine Änderung der Kompetenzordnung zugunsten des Bundes in diesem Bereich zu prüfen und ihr darüber Bericht zu erstatten.

Zudem lädt die Kommission den Bundesrat ein, künftig periodisch wiederkehrend eine öffentliche Statistik zu erstellen, welche über die unterschiedliche kantonale Anwendungspraxis der Administrativhaft Auskunft gibt.

Der Bundesrat weist darauf hin, dass das SEM im Rahmen der Neustrukturierung des Asylbereichs auch die Frage der Zuständigkeiten und Abläufe im Bereich des Wegweisungsvollzugs gemeinsam mit den Kantonen, Städten und Gemeinden eingehend geprüft hat. Dabei sind alle Beteiligten zum Schluss gekommen, dass auch die Ausschaffungshaft ab den Zentren des Bundes ­ wie die ausländerrechtliche Administrativhaft generell ­ durch die Kantone angeordnet werden soll.6 Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Bund nicht über die dafür notwendigen polizeilichen Kompetenzen und Mittel verfügt. Zudem haben sich die Kantone anlässlich der beiden Nationalen Asylkonferenzen vom 21. Januar 2013 und vom 28. März 2014 verpflichtet, die notwendigen Administrativplätze für die Umsetzung 6

Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes (Neustrukturierung des Asylbereichs) vom 3. September 2014 (BBl 2014 7991, S. 8041).

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der Neustrukturierung zu schaffen und ihren Standort auf die festgelegten Asylregionen auszurichten. Die entsprechende Gesamtplanung und Koordination wurde der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) übertragen. Aus Sicht des Bundesrates ist es zum heutigen Zeitpunkt ­ ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes ­ verfrüht, gesetzgeberische Anpassungen vorzunehmen.

Auch bei systemischer Betrachtung sieht der Bundesrat keine Vorteile in einer Zuständigkeit des Bundes bei der Anordnung und dem Vollzug der Administrativhaft im Asylbereich. So würden die Kantone weiterhin für den (polizeilichen) Vollzug der Wegweisungen zuständig bleiben, zumal der Bund über keine für den Wegweisungsvollzug einsetzbaren Polizeikräfte verfügt. Die zu prüfende Änderung der Kompetenzordnung würde somit nur zu einer Zersplitterung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen im Vollzugsbereich führen, welche den Wegweisungsvollzug voraussichtlich erschweren und ineffizienter machen würde. Zudem sind die Kantone gemäss Artikel 2a VVWAL grundsätzlich auch zuständig für die Durchführung der Ausreisegespräche.7 Das Ausreisegespräch dient u.a. dazu, die Ausreisewilligkeit der von einer Wegweisungsverfügung betroffenen Person abzuklären und zu dokumentieren, auf die Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung gültiger Reisepapiere hinzuweisen sowie wenn nötig Zwangsmassnahmen nach den Artikeln 73­78 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 20058 (AIG) anzudrohen. Somit verfügt die zuständige Behörde des Kantons über detailliertere Kenntnisse des jeweiligen Einzelfalls als das SEM und kann damit besser einschätzen, ob die Anordnung einer Haft erforderlich, zumutbar und verhältnismässig ist.

Überdies wären die Kantone weiterhin für die Anordnung und den Vollzug der Administrativhaft bei Personen aus dem Ausländerbereich zuständig. Damit würden im Bereich der Administrativhaft doppelspurige Zuständigkeiten und Abläufe ­ sowie allenfalls auch Infrastrukturen (Haftplätze) ­ geschaffen, welche unterschiedlich ausgestaltet wären, je nachdem, ob es sich um eine Person aus dem Asyl- oder Ausländerbereich handelt. Der Bundesrat sieht darin keinen Mehrwert. Es käme hinzu, dass auch die Haftüberprüfung auf zwei unterschiedlichen Rechtsmittelwegen erfolgen würde, weil bei
einer Haftanordnung durch den Bund (Asylbereich) das Bundesverwaltungsgericht dafür zuständig wäre, während die Zuständigkeit bei Haftanordnungen durch die Kantone (Ausländerbereich) weiterhin bei den kantonalen Gerichten (Zwangsmassnahmengerichte) und letztinstanzlich beim Bundesgericht verbleiben würde. Dadurch besteht aus Sicht des Bundesrates die Gefahr, dass sich im Asyl- und im Ausländerbereich jeweils eine unterschiedliche Anwendungspraxis bei der Administrativhaft entwickelt, was dem Interesse einer Harmonisierung im Bereich der Zwangsmassnahmen entgegenstehen würde. Der Bundesrat ist grundsätzlich auch der Ansicht, dass die Zwangsmassnahmengerichte der Kantone in fachlicher Hinsicht besser geeignet sind für die Haftüberprüfungen als das Bun7

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Ausnahme ist das beschleunigte Verfahren nach Artikel 26c AsylG, in dem das SEM nach Eröffnung der Wegweisungsverfügung ein Ausreisegespräch mit der betroffenen Person führt. Mit Zustimmung des SEM kann aber auch im beschleunigten Verfahren die zuständige kantonale Behörde das Ausreisegespräch führen (vgl. Art. 2a Abs. 2 VVWAL).

SR 142.20

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desverwaltungsgericht. Diese Gerichtsinstanzen sind spezialisiert auf die Beurteilung von Fragen nach der Verhältnismässigkeit von Zwangsmassnahmen.

Nebst den in der Stellungnahme vom 28. September 2018 aufgeführten Massnahmen, die einen Beitrag zur Harmonisierung der Anwendungspraxis leisten, verweist der Bundesrat insbesondere auch auf die Möglichkeit der Behördenbeschwerde: Gemäss Artikel 14 Absatz 2 der Organisationsverordnung vom 17. November 19999 für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (OV-EJPD) ist das SEM in den Bereichen des Ausländerrechts berechtigt, gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide beim Bundesgericht Beschwerde zu führen. Die Behördenbeschwerde bezweckt, die richtige und rechtsgleiche Anwendung des Bundesrechts sicherzustellen. Auf diesem Weg kann das SEM auch kantonale Entscheide im Bereich der ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen bundesgerichtlich überprüfen lassen. In Fällen, in denen im Hinblick auf zukünftige, ähnlich gelagerte Fälle ein grosses Interesse an der Klärung der sich ergebenden Rechtsfragen besteht, führt das SEM beim Bundesgericht Beschwerde gegen diese letztinstanzlichen kantonalen Entscheide.

Aus diesen Gründen ist der Bundesrat zum Schluss gelangt, dass eine Änderung der Kompetenzordnung bei der Anordnung und beim Vollzug der Administrativhaft im Asylbereich abzulehnen ist. Hingegen ist der Bundesrat ebenfalls der Auffassung, dass im Sinne der Transparenz künftig eine öffentlich zugängliche Statistik zur kantonalen Anwendung der ausländerrechtlichen Administrativhaft erstellt werden soll. Das SEM wird deshalb zukünftig eine entsprechende Statistik in das Monitoring des Wegweisungsvollzugs im Asylbereich aufnehmen, welches gestützt auf Artikel 46 Absatz 3 AsylG erstellt wird.

Empfehlung 3:

Prüfung der gesetzlich vorgesehenen Haftüberprüfung

Vor diesem Hintergrund fordert die GPK-N den Bundesrat zu einer erneuten Überprüfung der Einführung einer automatischen Haftüberprüfung auf.

Einleitend weist der Bundesrat darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Übernahme und Umsetzung der Dublin III-Verordnung10 bekannt war, dass teilweise Unterschiede in der kantonalen Anwendungspraxis der Administrativhaft bestehen. So hat die GPKN in ihrem Bericht vom 24. August 200511 über die Anwendung und Wirkung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht festgehalten, dass die Zwangsmassnahmen in den Kantonen unterschiedlich angewendet werden. Auch der Bundesrat hat mehrmals eingeräumt, dass Unterschiede in der Vollzugspraxis der einzelnen Kantone nicht ausgeschlossen werden können, weil es sich bei den ausländerrechtlichen 9 10

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SR 172.213.1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31.

Anwendung und Wirkung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 24. August 2005 (BBl 2006 2579).

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Zwangsmassnahmen durchwegs um Ermessensbestimmungen handelt, über deren Eignung für den kantonalen Vollzugsauftrag der zuständige Kanton jeweils einzelfallweise zu befinden hat.12 Betreffend die von der GPK-N erwähnte Haftüberprüfung im Rahmen des DublinVerfahrens (Art. 80a Abs. 3 AIG), verweist der Bundesrat ­ ergänzend zu seinen Ausführungen in der Stellungnahme vom 28. September 2018 ­ auf BGE 142 I 135, in dem das Bundesgericht Grundsätze zu dieser Haftart festgelegt hat. Dabei hat es u.a. festgehalten, dass an die Begründung von erstmaligen Beschwerden gegen die Anordnung von Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens (Art. 76a AIG) keine hohen formellen Anforderungen zu stellen sind. Dies folgt insbesondere auch aus dem Umstand, dass die Anordnung der Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens, im Gegensatz zu anderen Haftarten der ausländerrechtlichen Administrativhaft wie z.B.

die Ausschaffungshaft nach Artikel 76 AIG, nicht von Amtes wegen, sondern auf Antrag der betroffenen Person einer richterlichen Überprüfung unterzogen wird.

Im Weiteren werden die asylsuchenden Personen mit der Umsetzung der beschleunigten Asylverfahren per 1. März 2019 und dem damit einhergehenden Anspruch auf unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung (Art. 102f ff. AsylG) im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren umfassender informiert und in ihren rechtlichen Möglichkeiten unterstützt. Aus Sicht des Bundesrates entstehen für die im Rahmen des Dublin-Verfahrens inhaftierten Personen deshalb aufgrund der heutigen Gesetzgebung keine Nachteile, zumal Artikel 80a Absatz 3 AIG ausdrücklich vorsieht, dass eine Überprüfung der Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft jederzeit beantragt werden kann. Der Bundesrat ist deshalb auch nach erneuter Überprüfung der betreffenden Rechtsgrundlagen der Auffassung, dass diese zweckmässig sind und einen genügenden Grundrechtsschutz gewährleisten.

Auch die Einführung des Artikels 89b AsylG (siehe Stellungnahme zu Empfehlung 1) hat entgegen der Annahme der GPK-N erfahrungsgemäss nicht dazu geführt, dass seither vermehrt Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens angeordnet wurde.

Die Anordnung einer Administrativhaft ist stets als letzte Massnahme vorgesehen und kommt nur dann zum Zug, wenn weniger einschneidende Massnahmen (bspw.

eine Eingrenzung nach Artikel 74 AIG) nicht wirksam sind. Die
Einführung des Artikels 89b AsylG sollte die Kantone vielmehr dazu anregen, rechtzeitig Vollzugsbemühungen ­ wie etwa eine Flugbuchung oder allenfalls notwendige medizinische Untersuchungen ­ in die Wege zu leiten. Im Übrigen waren die Kantone gemäss Artikel 46 Absatz 1 AsylG auch bereits vor der Einführung dieser Gesetzesbestimmung dazu verpflichtet, rechtskräftige Wegweisungsverfügungen zu vollziehen.

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Vgl. bspw. Stellungnahme des Bundesrates vom 30. November 2012 zur Ip. 12.3830; Vgl. ferner auch: Kindesschutz im Rahmen der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht.

Bericht vom 7. November 2006 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N). Stellungnahme des Bundesrates vom 16. März 2007 (BBl 2007 2539).

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Empfehlung 5:

Haftplätze für minderjährige Personen

Aufgrund dieser Erkenntnisse bittet die GPK-N den Bundesrat, hierzu Stellung zu nehmen und aufzuzeigen, welche Massnahmen der Bundesrat im Rahmen seiner Kompetenzen und in Zusammenarbeit mit den betroffenen Kantonen ergreifen wird.

Der Bundesrat verweist erneut auf die Haftplatzfinanzierung (Art. 82 Abs. 1 AIG), mit welcher der Bund auf die Errichtung entsprechender, für Minderjährige und ihre Begleitpersonen geeigneter Haftplätze hinwirkt. Gemäss Artikel 15j Buchstabe d VVWAL beteiligt sich der Bund nur dann an den Kosten für den Bau und die Einrichtung kantonaler Haftanstalten, wenn die räumlich getrennte Unterbringung von verletzlichen Personen, insbesondere von unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Kindern, von den übrigen Insassinnen und Insassen gewährleistet ist. Auch die von der KKJPD eingesetzte Fachgruppe Kapazitätsmonitoring Freiheitsentzug setzt sich damit auseinander, ob die Haftplätze für die ausländerrechtliche Administrativhaft in den Kantonen die entsprechenden Vorgaben erfüllen, und eruiert allfälligen Handlungsbedarf.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass zurzeit keine weiteren Massnahmen erforderlich sind. Schweizweit bestehen grundsätzlich genügend Haftplätze, die den Bedürfnissen von Minderjährigen entsprechen. Dies insbesondere auch, weil die Anzahl der Haftanordnungen gegenüber Minderjährigen weiterhin abnehmend ist. Im Jahr 2018 wurde insgesamt gegenüber acht minderjährigen Personen über 15 Jahren Administrativhaft angeordnet (ohne kurzfristige Festhaltungen nach Artikel 73 AIG).13 Aus Sicht des Bundesrates ist es nicht notwendig, dass jeder einzelne Kanton über spezielle Haftplätze für minderjährige Personen verfügt. Kantone, welche selbst über keine solchen Haftplätze verfügen, haben die Möglichkeit, andere Kantone nach entsprechenden Haftplätzen für die Unterbringung anzufragen, falls sie eine Haftanordnung gegenüber einer minderjährigen Person beabsichtigen. Überdies gibt es Kantone, die gänzlich darauf verzichten, Administrativhaft gegenüber Minderjährigen anzuordnen.

Die überregionale Nutzung der Kapazitäten für die ausländerrechtliche Administrativhaft ist auch eines der wichtigsten Ziele der Haftplatzfinanzierung. So ist es gemäss Artikel 15j Buchstabe b VVWAL grundsätzlich eine Voraussetzung für eine finanzielle Beteiligung des Bundes, dass eine bestimmte
Haftanstalt mehreren Kantonen und dem Bund zur Sicherstellung des Vollzugs der Weg- oder Ausweisung oder der Landesverweisung offensteht.14 Mit dieser Vorgabe soll die interkantonale Zusammenarbeit im Bereich des Administrativhaftvollzugs gefördert werden. Es soll erreicht werden, dass die Kantone einander Haftplätze zur Verfügung stellen und idealerweise, zum Beispiel im Rahmen kantonaler Konkordate, gemeinsame Haftanstalten errichten. Zudem wird mit der Regelung auch beabsichtigt, dass die entsprechenden Haftanstalten eine gewisse Grösse erreichen (vgl. dazu auch Art. 15k VVWAL, wonach der Bundesbeitrag bei grösseren Haftanstalten höher ist). Aus 13 14

Darin enthalten sind auch AIG-Fälle und nicht nur Personen aus dem Asylbereich.

Ausnahmen sind möglich aufgrund der geografischen Lage der Kantone.

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Sicht des Bundesrates sollte davon abgekommen werden, in jedem Kanton Kleinsteinheiten zu betreiben, die für den Vollzug der Administrativhaft genutzt werden.

Stattdessen sollen vermehrt spezialisierte Haftanstalten errichtet werden, die ausschliesslich dem Vollzug der ausländerrechtlichen Administrativhaft dienen. Dadurch ist sichergestellt, dass das Trennungsgebot von Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug (Art. 81 Abs. 2 AIG) vollumfänglich eingehalten wird.

Zudem kann damit die Qualität der Administrativhaftplätze weiter verbessert werden. Diese stärkere Regionalisierung im Bereich des Wegweisungsvollzugs entspricht im Übrigen auch dem Gedanken der Asylgesetzrevision zur Beschleunigung der Asylverfahren, mit der per 1. März 2019 sechs Asylregionen für die Durchführung der Asylverfahren ­ und damit auch des Wegweisungsvollzugs ­ geschaffen wurden.

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