17.030 Botschaft zur Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» vom 26. April 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2014

P

14.3200

Neuer Verfassungsartikel 121a. Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz (N 20.3.14, Tornare)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. April 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-0914

3341

Übersicht Die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» wurde am 27. Oktober 2015 eingereicht. Sie verlangt die Aufhebung der von Volk und Ständen am 9. Februar 2014 angenommenen Artikel 121a und 197 Ziffer 11 der Bundesverfassung (BV).

Der Bundesrat erachtet eine Aufhebung von Artikel 121a BV als nicht zielführend. Er lehnt die Initiative ab und verzichtet aufgrund der Rückmeldungen aus der Vernehmlassung darauf, der Bundesversammlung einen direkten Gegenentwurf zur Initiative zu unterbreiten.

Ausgangslage Am 9. Februar 2014 (Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung») wurden die Artikel 121a und 197 Ziffer 11 BV angenommen. Daraus ergaben sich für die Umsetzung zwei Aufträge: die Anpassung des Ausländergesetzes (AuG) und Verhandlungen zur Anpassung von völkerrechtlichen Verträgen, die den neuen Verfassungsbestimmungen nicht entsprechen.

Am 4. März 2016 hat der Bundesrat die Botschaft zur Umsetzung von Artikel 121a BV verabschiedet. Gemäss diesem Gesetzesentwurf sollten bei Personen aus Drittstaaten in Ergänzung zur geltenden Regelung insbesondere Höchstzahlen und Kontingente für den Familiennachzug, für Personen ohne Erwerbstätigkeit sowie für den Asylbereich eingeführt werden. Bei der Zuwanderung von Personen, für die das Freizügigkeitsabkommen mit der EU (FZA) oder das EFTA-Übereinkommen gilt, strebte der Bundesrat eine einvernehmliche Lösung an. Für den Fall, dass mit der EU nicht rechtzeitig eine Einigung erzielt werden konnte, schlug er eine einseitige Schutzklausel für Personen aus den EU-/EFTA-Staaten vor. Bei hoher Zuwanderung aus diesen Staaten sollten Höchstzahlen und Kontingente eingeführt werden. Dieser Gesetzesentwurf des Bundesrates ist mit Artikel 121a BV vereinbar. Spätestens bei einer Anwendung der Schutzklausel hätte sich jedoch ein Konflikt mit dem FZA ergeben.

Die eidgenössischen Räte haben am 16. Dezember 2016 eine Umsetzung von Artikel 121a BV beschlossen, die nicht dem Antrag des Bundesrats entspricht. Demnach legt der Bundesrat Massnahmen zur Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials fest. Zudem sind bei einer über dem Durchschnitt liegenden Arbeitslosenquote in bestimmten Berufsgruppen, Tätigkeitsbereichen oder Wirtschaftsregionen offene Stellen durch die Arbeitgeber der öffentlichen
Arbeitsvermittlung zu melden.

Erzielen diese Massnahmen nicht die gewünschte Wirkung oder ergeben sich neue Probleme, sind zusätzliche Massnahmen zu ergreifen (Art. 21a AuG). Die von den eidgenössischen Räten beschlossene Regelung soll FZA-konform umgesetzt werden.

Sie verzichtet aber bei Angehörigen von EU- und EFTA-Staaten generell auf Höchstzahlen und Kontingente und setzt damit Artikel 121a BV nicht vollständig um.

3342

Inhalt der Initiative Die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» wurde am 27. Oktober 2015 eingereicht. Sie verlangt, dass die seit dem 9. Februar 2014 geltenden Verfassungsbestimmungen zur Steuerung der Zuwanderung (Art. 121a und 197 Ziff. 11 BV) ersatzlos aufgehoben werden.

Gemäss den Initiantinnen und Initianten dient die Volksinitiative insbesondere dem Erhalt der bilateralen Verträge mit der EU, falls diese durch die Umsetzung von Artikel 121a BV gefährdet würden. Für diesen Fall soll das Stimmvolk über den Fortbestand des FZA und damit der bilateralen Verträge mit der EU entscheiden können. Neben wirtschaftlichen Gründen sprechen nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten auch der Erhalt des Forschungsstandorts Schweiz, die Sicherung der Gesundheitsversorgung sowie kulturelle Gründe für den Beibehalt der bilateralen Beziehungen mit der EU.

Vorzüge und Mängel der Initiative Mit der von den Initiantinnen und Initianten verlangten Streichung der Artikel 121a und 197 Ziffer 11 BV soll die Situation wiederhergestellt werden, die vor der Abstimmung vom 9. Februar 2014 über die Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» bestand. Damit wären die mit den EU-/EFTA-Staaten abgeschlossenen Abkommen, die eine Personenfreizügigkeit vorsehen, wieder mit der Bundesverfassung im Einklang.

Zugleich würde jedoch auch der von Volk und Ständen am 9. Februar 2014 erteilte Auftrag zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung sowie für einen Inländervorrang wegfallen.

Mit dem Entscheid der eidgenössischen Räte für eine FZA-konforme Umsetzung von Artikel 121a BV erachtet der Bundesrat das Hauptanliegen der Initiantinnen und Initianten der Volksinitiative als erfüllt.

Verzicht auf einen direkten Gegenentwurf Am 21. Dezember 2016 hat der Bundesrat beschlossen, zwei Varianten für einen direkten Gegenentwurf zur Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» in die Vernehmlassung zu geben. Dies mit dem Ziel, den Entscheid des Parlaments zur Umsetzung von Artikel 121a BV auch in der Verfassung abzubilden. Das verkürzte Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 1. Februar bis zum 1. März 2017.

Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Varianten wurden von den Vernehmlassungsteilnehmenden mit wenigen
Ausnahmen abgelehnt. Teilweise wurden neue Varianten vorgeschlagen, allerdings gehen die Vorstellungen über deren Inhalt in unterschiedliche Richtungen. Aufgrund dieses Ergebnisses verzichtet der Bundesrat auf einen direkten Gegenentwurf.

3343

Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt deshalb den eidgenössischen Räten, die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» ohne Gegenentwurf Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

3344

BBl 2017

Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 121a und 197 Ziff. 11 Aufgehoben

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die eidgenössische Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» wurde am 18. November 2014 von der Bundeskanzlei vorgeprüft2 und am 27. Oktober 2015 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 11. November 2015 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 108 640 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.3 Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat hatte sich am 26. Oktober 2016 in der damals aktuellen Ausgangslage für einen Gegenentwurf zur Initiative ausgesprochen und am 21. Dezember 2016 über die Eckwerte von zwei Varianten eines Gegenentwurfs entschieden. Das abgekürzte Vernehmlassungsverfahren zu diesen zwei Varianten fand im Februar 2017 statt. Dieses zeitliche Vorgehen erfolgte gestützt auf Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 (ParlG). Gemäss dieser Bestimmung unterbreitet der Bundesrat der Bundesversammlung den Entwurf eines Bundesbeschlusses über einen Gegenentwurf und die dazugehörige Botschaft innert 18 Monaten nach Einreichen einer zu Stande gekommenen Volksinitiative, das heisst im vorliegenden Fall bis spätestens am 27. April 2017. Aufgrund des Ergebnisses des Vernehmlassungsverfahrens hat der Bundesrat eine Neubeurteilung vorgenommen und beschlossen, auf einen Gegenentwurf zu verzichten (vgl. zu den Gründen unten Ziff. 5.1). Daher konnte die für den Entwurf eines Bundesbeschlusses und einer Botschaft ohne Gegenentwurf vorgesehene kürzere Frist bis zum 27. Oktober 2016 nicht eingehalten werden (Art.

97 Abs. 1 Bst. a ParlG).

1 2 3 4

SR 101 BBl 2014 9009 BBl 2015 8337 SR 171.10

3345

BBl 2017

Die Bundesversammlung hat bis zum 27. April 2018 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen; sie kann diese Frist um ein Jahr verlängern, wenn mindestens ein Rat über einen Gegenentwurf oder einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf Beschluss gefasst hat (Art. 100 und 105 Abs. 1 ParlG).

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV): a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf (Aufhebung zweier Verfassungsbestimmungen) formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative (Aufhebung sowohl von Art. 121a BV als auch der dazugehörigen Übergangsbestimmung) besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Annahme der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung»

Am 9. Februar 2014 haben Volk und Stände die Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» angenommen.5 Damit wurde die Bundesverfassung durch die Bestimmungen in den Artikeln 121a und 197 Ziffer 11 ergänzt. Diese Verfassungsbestimmungen verlangen eine grundsätzliche Neuausrichtung der schweizerischen Zuwanderungspolitik und eine Anpassung von völkerrechtlichen Verträgen, die Artikel 121a BV widersprechen.

2.1.1

Wortlaut der Verfassungsbestimmungen

Die mit Annahme der Masseneinwanderungsinitiative neu in der Verfassung verankerten Bestimmungen haben folgenden Wortlaut: Art. 121a Steuerung der Zuwanderung 1 Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.

2 Die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz wird durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt. Die 5

BBl 2014 4117

3346

BBl 2017

Höchstzahlen gelten für sämtliche Bewilligungen des Ausländerrechts unter Einbezug des Asylwesens. Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann beschränkt werden.

3 Die jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer sind auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten; die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind einzubeziehen. Massgebende Kriterien für die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen sind insbesondere das Gesuch eines Arbeitgebers, die Integrationsfähigkeit und eine ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage.

4 Es dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diesen Artikel verstossen.

5 Das Gesetz regelt die Einzelheiten.

Art. 197 Ziff. 11

Übergangsbestimmung zu Art. 121a (Steuerung der Zuwanderung) 1 Völkerrechtliche Verträge, die Artikel 121a widersprechen, sind innerhalb von drei Jahren nach dessen Annahme durch Volk und Stände neu zu verhandeln und anzupassen.

2 Ist die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 121a drei Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände noch nicht in Kraft getreten, so erlässt der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg.

2.1.2

Inhalt der Verfassungsbestimmungen

Die Artikel 121a und 197 Ziffer 11 BV verlangen im Wesentlichen, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig steuert und die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt.

Aus diesen Artikeln ergeben sich die folgenden zwei Aufträge: 1. Gesetzgebung: a.

Es ist ein neues Zulassungssystem für alle in die Schweiz zuwandernden Ausländerinnen und Ausländer einzuführen, das insbesondere jährliche Höchstzahlen und Kontingente vorsieht. Die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente für die Zulassung von erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländern erfolgt unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Interessen sowie eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer; die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind einzubeziehen. Massgebende Kriterien für die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen sind insbesondere das Gesuch eines Arbeitgebers, die Integrationsfähigkeit und eine ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage (Art. 121a Abs. 1­3 BV).

b.

Ist die Ausführungsgesetzgebung bis am 9. Februar 2017 (d. h. drei Jahre nach Annahme der Initiative) noch nicht in Kraft, so erlässt der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg (Art. 121a Abs. 5 und 197 Ziff. 11 Abs. 2 BV).

3347

BBl 2017

2. Völkerrechtliche Verträge: a.

Es dürfen ab dem Zeitpunkt der Annahme der neuen Verfassungsbestimmungen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diese Bestimmungen verstossen (Art. 121a Abs. 4 BV).

b.

Völkerrechtliche Verträge, die den neuen Verfassungsbestimmungen widersprechen, sind ebenfalls bis zum 9. Februar 2017 neu zu verhandeln und anzupassen (Art. 197 Ziff. 11 Abs. 1 BV). Betroffen davon sind die Freizügigkeitsabkommen mit der EU6 und mit der EFTA7 sowie der Rahmenvertrag Schweiz­Liechtenstein8.

2.2

Umsetzung von Artikel 121a BV

2.2.1

Anpassung der Freizügigkeitsabkommen

Die Bundesverfassung sieht vor, dass völkerrechtliche Verträge, die Artikel 121a BV widersprechen, innerhalb von drei Jahren nach Annahme dieser Verfassungsbestimmung, also bis zum 9. Februar 2017, neu zu verhandeln und anzupassen sind (Art. 197 Ziff. 11 Abs. 1 BV). Die Verfassungsbestimmung äussert sich indes nicht zur Frage, was geschehen soll, wenn eine Anpassung der völkerrechtlichen Verträge innert der vorgesehenen Frist nicht gelingt. Insbesondere fordert sie keine Kündigung widersprechender Verträge.

Im Hinblick auf eine mögliche Anpassung des FZA hat der Bundesrat am 20. Juni 2014 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) bei der EU ein entsprechendes Begehren einzureichen. Mit Schreiben des Staatssekretariats für Migration (SEM) vom 4. Juli 2014 an den Leiter der EU-Delegation im Gemischten Ausschuss zum FZA wurde dieses Begehren eingereicht. Die damalige Aussenbeauftragte der EU hat der Schweiz am 24. Juli 2014 in ihrer mit den EU-Mitgliedstaaten konsolidierten Antwort an den damaligen Bundespräsidenten mitgeteilt, dass Verhandlungen mit dem Ziel der Einführung von Kontingenten und Höchstzahlen sowie eines Inländervorrangs dem Prinzip der Freizügigkeit zuwiderlaufen. Der Bundesrat hat am 11. Februar 2015 das Verhandlungsmandat zur Anpassung des FZA dennoch verabschiedet mit dem Ziel, Artikel 121a BV umzusetzen und den bilateralen Weg weiterzuführen.

6

7

8

Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681).

Anhang K des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation, konsolidierte Fassung des Vaduzer Abkommens vom 21. Juni 2001 (EFTA-Übereinkommen; SR 0.632.31).

Rahmenvertrag vom 3. Dezember 2008 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die Zusammenarbeit im Bereich des Visumverfahrens, der Einreise und des Aufenthalts sowie über die polizeiliche Zusammenarbeit im Grenzraum (SR 0.360.514.2).

3348

BBl 2017

Am 2. Februar 2015 verständigten sich der EU-Kommissionspräsident und die damalige Bundespräsidentin auf Konsultationen, in denen ausgelotet werden sollte, ob es einen für beide Seiten gangbaren Weg gibt, den neuen Verfassungsauftrag bei gleichzeitiger Wahrung des bilateralen Wegs umzusetzen. In diesen Konsultationen konnte man sich darauf einigen, dass eine einvernehmliche Lösung über eine gemeinsame Auslegung der bestehenden Schutzklausel (Art. 14 Abs. 2 FZA) angestrebt werden sollte. Diese Lösung sollte die Anforderungen des FZA und der Bundesverfassung in Einklang bringen.

Von Februar 2015 bis September 2016 fanden zwischen der EU und der Schweiz 15 Konsultationsrunden statt. Insbesondere nach der Abstimmung in Grossbritannien vom 23. Juni 2016 über den Austritt aus der EU (Brexit) hat es sich jedoch herausgestellt, dass die angestrebte Lösung nicht erreicht werden kann.

2.2.2

Anpassung des Ausländergesetzes

Vom 11. Februar bis zum 28. Mai 2015 fand das Vernehmlassungsverfahren zur Umsetzung von Artikel 121a BV im Ausländergesetz (AuG) statt.9 Der Vernehmlassungsentwurf sah insbesondere auch für Personen aus dem EU-/EFTA-Raum die Einführung von Höchstzahlen und Kontingenten vor. Viele Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer äusserten sich nicht klar für oder gegen den Vernehmlassungsentwurf, wünschten aber wesentliche Änderungen. Einzelne Parteien und Sozialpartner lehnten ihn hingegen grundsätzlich ab. Eine sehr grosse Mehrheit sprach sich für die Beibehaltung des FZA und damit für den bilateralen Weg aus.

Am 4. März 2016 hat der Bundesrat die Botschaft zur Umsetzung von Artikel 121a BV verabschiedet.10 Für den Fall, dass mit der EU nicht rechtzeitig eine Einigung über eine Anpassung des FZA erzielt werden könnte, sah der Gesetzesentwurf neu eine einseitige Schutzklausel für Personen aus den EU-/EFTA-Mitgliedstaaten vor, die bei der Auslösung die Einführung von Höchstzahlen und Kontingenten vorsah.

Für Personen aus dem EU-/EFTA-Raum hätten das FZA bzw. das EFTAÜbereinkommen weiterhin gegolten. Bei einer hohen Zuwanderung aus diesen Staaten wären jedoch durch Aktivierung der Schutzklausel vorübergehende und gezielte Beschränkungen der Bewilligungserteilung durch Höchstzahlen und Kontingente möglich gewesen. Die einseitige Schutzklausel entspricht zwar den Vorgaben von Artikel 121a BV. Spätestens bei ihrer Auslösung hätten aber die entsprechenden Massnahmen den Zulassungsbedingungen des FZA bzw. des EFTAÜbereinkommens nicht mehr entsprochen und es wäre mit Rechtsunsicherheiten zu rechnen gewesen.

Bei Personen aus Drittstaaten sollten nach dem Gesetzesentwurf des Bundesrats in Ergänzung zur geltenden Regelung insbesondere Höchstzahlen und Kontingente für den Familiennachzug, für Personen ohne Erwerbstätigkeit sowie für den Asylbereich eingeführt werden.

9

10

Vgl. dazu den Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung, zu finden unter: www.bundesrecht.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2015 > EJPD.

BBl 2016 3007

3349

BBl 2017

Noch vor der Verabschiedung der Botschaft zur Umsetzung von Artikel 121a BV durch den Bundesrat hat sich das Bundesgericht in einem Urteil vom 26. November 201511 zum Verhältnis zwischen Artikel 121a BV und dem FZA geäussert. Bei einem tatsächlichen Normenkonflikt zwischen innerstaatlichen Rechtsänderungen zur Umsetzung von Artikel 121a BV (Anpassung des AuG) und dem FZA ginge demnach in der Rechtsanwendung das FZA vor.

Die eidgenössischen Räte haben am 16. Dezember 2016 eine Umsetzung von Artikel 121a BV beschlossen, die vom Antrag des Bundesrats abweicht.12 Die Referendumsfrist ist am 7. April 2017 ungenutzt abgelaufen. Der Bundesrat wird die nötigen Ausführungsbestimmungen im Verordnungsrecht voraussichtlich bis im Januar 2018 verabschieden und sie danach, zusammen mit den zugrundeliegenden Gesetzesänderungen, möglichst rasch in Kraft setzen.

Die vom Parlament beschlossene Regelung sieht vor, dass der Bundesrat Massnahmen zur Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials festlegt. Zudem sind bei einer über dem Durchschnitt liegenden Arbeitslosenquote in bestimmten Berufsgruppen, Tätigkeitsbereichen oder Wirtschaftsregionen offene Stellen durch die Arbeitgeber der öffentlichen Arbeitsvermittlung zu melden. Erzielen diese Massnahmen nicht die gewünschte Wirkung oder ergeben sich neue Probleme, sind zusätzliche Massnahmen zu ergreifen (Art. 21a AuG).

Neben diesen Massnahmen zur Förderung von stellensuchenden Personen wurden Vollzugsverbesserungen beim FZA und beim EFTA-Übereinkommen beschlossen.

Sie betreffen insbesondere den Ausschluss von der Sozialhilfe bei der Stellensuche in der Schweiz (Art. 29a AuG) sowie die Erlöschung des Aufenthaltsrechts bei einer unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 61a AuG). Bei Personen aus Drittstaaten wurde ­ abweichend vom Gesetzesentwurf des Bundesrats ­ auf neue Höchstzahlen und Kontingente für den Familiennachzug, für Personen ohne Erwerbstätigkeit sowie für den Asylbereich verzichtet.

Die beschlossene Regelung kann FZA-konform umgesetzt werden. Sie verzichtet aber bei Angehörigen von EU- und EFTA-Staaten generell auf Höchstzahlen und Kontingente und setzt damit Artikel 121a BV nicht vollständig um.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

Die wesentlichen Ziele der Initiantinnen und Initianten und der Inhalt der Initiative lassen sich wie folgt zusammenfassen13: Artikel 121a BV lasse sich kaum umsetzen, ohne die bilateralen Verträge mit der EU ernsthaft zu gefährden. Die Stimmbevölkerung habe sich mehrmals auch für die 11

12 13

BGE 142 II 35, insb. E. 3.3. Vgl. dazu Botschaft vom 4. März 2016 zur Änderung des Ausländergesetzes (Steuerung der Zuwanderung und Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen), Ziff. 1.2.3; BBl 2016 3007, hier 3023.

BBl 2016 8917 Argumente der Initiantinnen und Initianten, abrufbar unter: www.initiative-rasa.ch > Ziele > Unsere Argumente > RASA Broschüre Oktober 2016 «Erfolgreich bleiben. Warum die Masseneinwanderungsinitiative die Schweiz in eine Sackgasse führt, und wie wir aus ihr herauskommen».

3350

BBl 2017

bilateralen Verträge mit der EU ausgesprochen. Es brauche nun eine klare Entscheidung der Stimmbevölkerung zwischen der Fortführung der bilateralen Verträge und der Umsetzung von Artikel 121a BV.

Während der Abstimmungskampagne zur Masseneinwanderungsinitiative sei damit argumentiert worden, dass sich Artikel 121a BV mit den bilateralen Verträgen vereinbaren lasse. Dies habe sich jedoch als falsch herausgestellt. Da die sieben Verträge der Bilateralen I miteinander verknüpft seien, würde die Verletzung der Personenfreizügigkeit zur Kündigung des FZA und damit automatisch zum Dahinfallen auch der anderen sechs Verträge führen (sog. Guillotine-Klausel in Art. 25 Abs. 4 FZA).

Zusätzlich würde die Schweiz bei einer vollständigen Umsetzung von Artikel 121a BV aus verschiedenen europäischen Kooperationen ausgeschlossen, wie z. B. aus Horizon2020 und Erasmus+, zwei wichtigen Projekten für Forschung und Bildung, sowie aus Media, einem für die audio-visuelle Branche zentralen Programm.

Wirtschaftlich sei die Schweiz stark mit der EU verflochten. Würden die Bilateralen I wegfallen, sei die Schweiz im EU-Binnenmarkt benachteiligt. Eine Benachteiligung würde sich auch bei der Forschung, der Lehre und der Kultur ergeben, da die länderübergreifende Vernetzung stark an Bedeutung gewonnen habe.

In der Schweiz fehle es beispielsweise an Pflegepersonal sowie an ärztlichem Personal, was sich künftig noch verschärfen dürfte. Auch bei verstärkter eigener Ausbildung sei die Schweiz auf Fachleute aus dem Ausland angewiesen. Sie seien nur dann bereit, in der Schweiz zu arbeiten, wenn sie hier auch willkommen seien und gestützt auf das FZA weitgehend die gleichen sozialen Rechte haben wie die Schweizerinnen und Schweizer. Aber auch viele Schweizerinnen und Schweizer profitierten vom freien Personenverkehr mit den EU- und EFTA-Mitgliedstaaten. In den Ländern der EU würden heute rund 500 000 Schweizerinnen und Schweizer leben. Davon hätten rund 150 000 Personen nur die Schweizer Staatsbürgerschaft und seien deshalb auf die Personenfreizügigkeit angewiesen, um weiterhin in ihrem Gastland leben zu können und nicht in die Schweiz ausgewiesen zu werden.

Die flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping würden einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Lohnniveaus in der Schweiz leisten. Diese Massnahmen seien rechtlich an die
bilateralen Verträge gebunden und würden daher bei einem Verzicht auf deren Weiterführung dahinfallen.

Falls die Umsetzung von Artikel 121a BV ohne Gefährdung der Bilateralen erfolgt und damit eine dauerhafte Rechtssicherheit sichergestellt ist, könnte die Initiative nach der Auffassung der Initiantinnen und Initianten zurückgezogen werden. Das Parlament kann Volk und Ständen auch einen direkten Gegenentwurf zur Abstimmung unterbreiten. Auch in diesem Fall könnte die Initiative zurückgezogen werden, sofern ein solcher direkter Gegenentwurf die bilateralen Abkommen mit der EU sichert.

3351

BBl 2017

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Der Bundesrat teilt das Anliegen der Initiantinnen und Initianten, das FZA und die bilateralen Verträge mit der EU zu erhalten. Diese Vertragswerke sind von grosser Bedeutung für die Schweiz.

Der bilaterale Weg wurde von der schweizerischen Bevölkerung wiederholt bestätigt, insbesondere anlässlich folgender Abstimmungen: ­

21. Mai 2000: Annahme des Bundesbeschlusses vom 8. Oktober 1999 über die Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft sowie gegebenenfalls ihren Mitgliedstaaten oder der Europäischen Atomgemeinschaft andererseits14;

­

5. Juni 2005: Annahme des Bundesbeschlusses vom 17. Dezember 2004 über die Genehmigung und die Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und Dublin15;

­

25. September 2005: Annahme des Bundesbeschlusses vom 17. Dezember 2004 über die Genehmigung und Umsetzung des Protokolls über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf die neuen EG-Mitgliedstaaten zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits sowie über die Genehmigung der Revision der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit16;

­

26. November 2006: Annahme des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas17;

­

8. Februar 2009: Annahme des Bundesbeschlusses vom 13. Juni 2008 über die Genehmigung der Weiterführung des Freizügigkeitsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten sowie über die Genehmigung und die Umsetzung des Protokolls über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf Bulgarien und Rumänien18.

Durch die sogenannte Guillotine-Klausel (Art. 25 Abs. 4 FZA) treten bei einer Kündigung des FZA sechs Monate nach der Notifikation alle von dieser Klausel betroffenen Abkommen der Bilateralen I automatisch ausser Kraft. So würden mit dem FZA auch die Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, den Abbau technischer Handelshemmnisse, den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie den Land- und Luftverkehr hinfällig. Zudem würde das im Jahr 2014 abge-

14 15 16 17 18

BBl 2000 1587 BBl 2005 2741 BBl 2005 4337 BBl 2006 7197 BBl 2008 8897

3352

BBl 2017

schlossene Forschungsabkommen zur Assoziierung der Schweiz an Horizon2020 bei einem Wegfall des FZA ebenfalls hinfällig.

Zusätzlich zu den direkt durch die Guillotine-Klausel betroffenen Abkommen besteht die Möglichkeit, dass die EU andere Abkommen mit der Schweiz, die sie als mit dem FZA verbunden erachtet, ebenfalls in Frage stellen würde: Betroffen wären insbesondere das Schengen- und das Dublin-Assoziierungsabkommen (SAA19 und DAA20). Das SAA und das DAA sind formell nicht mit dem FZA verknüpft (keine Guillotine-Klausel). Trotzdem könnten die beiden Abkommen von der EU in Frage gestellt werden. Denn das Bestehen eines Abkommens über die Freizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU stellte für letztere eine Voraussetzung für die Assoziierung der Schweiz an den Schengen-Besitzstand dar. Aufgrund der gegenseitigen Verknüpfung kann das DAA nur angewendet werden, solange auch das SAA angewendet wird (Art. 14 Abs. 2 DAA).

Auch wenn die genaue Bedeutung einer Kündigung des FZA und des damit verbundenen automatischen Wegfalls der Bilateralen I sowie der Kündigung allfälliger anderer Abkommen zwischen der Schweiz und der EU derzeit schwierig abzuschätzen ist, sind gravierende Konsequenzen für die Volkswirtschaft zu befürchten. Für eine kleine, offene Volkswirtschaft wie die Schweiz ist der Zugang zu ausländischen Märkten lebenswichtig. Rund 60 Prozent der Schweizer Warenexporte gehen in die EU, und die Schweiz bezieht rund 80 Prozent ihrer Importe aus der EU. Dank der bilateralen Verträge erhält die Schweiz einen weitgehenden Zugang zum EUBinnenmarkt mit seinen 500 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten. Die EU und ihre 28 Mitgliedstaaten sind die mit Abstand wichtigsten Handelspartner der Schweiz.21 Wird die Initiative in einer Abstimmung durch Volk und Stände abgelehnt, besteht nach wie vor kein expliziter Auftrag zur Kündigung des FZA. Weder der in diesem Fall weiterhin geltende Artikel 121a BV noch die entsprechenden Übergangsbestimmungen in Artikel 197 Ziffer 11 BV enthalten ­ im Gegensatz zur abgelehnten Ecopop-Initiative22 ­ eine entsprechende Verpflichtung.

Fraglich ist, ob bei einem Fortbestehen von Artikel 121a BV weiterhin völkerrechtliche Verträge abgeschlossen werden dürfen, die weder Kontingente noch Höchstzahlen beinhalten. Damit müsste bei einer allfälligen zukünftigen Erweiterung der EU geprüft werden, ob die Schweiz das Erweiterungsprotokoll unterzeichnen darf.

19

20

21 22

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (SR 0.362.31).

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (SR 0.142.392.68).

Vgl. Botschaft vom 7. Dezember 2012 zur Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung», Ziff. 4.2.1, 4.2.2 und 4.3.1; BBl 2013 291.

Vgl. Botschaft vom 23. Oktober 2013 zur Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung ­ zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen»; BBl 2013 8693.

3353

BBl 2017

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Mit einer Aufhebung der Artikel 121a und 197 Ziffer 11 BV durch Volk und Stände wäre die Differenz zwischen der Bundesverfassung und dem FZA sowie dem EFTA-Übereinkommen beseitigt. Gleichzeitig würde jedoch auch der von der Stimmbevölkerung erteilte Auftrag zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung sowie für den Inländervorrang wegfallen. Zwar ist die Nettozuwanderung seit Annahme der Initiative «Gegen Masseneinwanderung» rückläufig. Der Bundesrat ist aber trotzdem der Ansicht, dass die Zuwanderung weiterhin mit geeigneten Massnahmen gesteuert und begrenzt werden soll, wie sie auch bei der von den eidgenössischen Räten am 16. Dezember 2016 beschlossenen Umsetzung von Artikel 121a BV vorgesehen sind. Eine vollständige Aufhebung von Artikel 121a BV würde diesem Ziel widersprechen. Ferner lehnt es der Bundesrat ­ trotz der jederzeitigen Revidierbarkeit der Bundesverfassung (Art. 192 Abs. 1 BV) ­ auch aus demokratiepolitischen Gründen ab, nach so kurzer Zeit den Entscheid von Volk und Ständen vom 9. Februar 2014 wieder rückgängig zu machen.

Der Bundesrat geht davon aus, dass bei einer Annahme der Initiative grundsätzlich weiterhin an dem von der Bundesversammlung erlassenen Ausführungsgesetz zu Artikel 121a BV festgehalten werden kann. Die mit der Umsetzungsgesetzgebung der Bundesversammlung entstehenden personellen und finanziellen Auswirkungen lassen sich erst abschätzen, wenn die Ausführungsbestimmungen dazu vorliegen.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Die von der Initiative verlangte Streichung der Artikel 121a und 197 Ziffer 11 BV führt dazu, dass die Differenz zwischen Bundesverfassung und FZA behoben wird.

In der von der Bundesversammlung am 16. Dezember 2016 beschlossenen Anpassung des AuG zur Umsetzung von Artikel 121a BV wird auf Höchstzahlen und Kontingente bei der Zulassung von Personen aus den EU-/EFTA-Staaten verzichtet (s. Ziff. 2.2.2).

Diese Regelung kann so umgesetzt werden, dass sie mit dem FZA vereinbar ist. Sie stellt damit die von den Initiantinnen und Initianten geforderte Rechtssicherheit im Verhältnis zur EU und zu den EFTA-Staaten wieder her und sichert den Erhalt der bilateralen Verträge. Insbesondere mit dem Verzicht auf Höchstzahlen und Kontingente bei Angehörigen von EU- und EFTA-Staaten setzt sie damit jedoch Artikel 121a BV nicht vollständig um.

Nicht zutreffend ist die Aussage der Initiantinnen und Initianten, wonach mit einem Wegfall der bilateralen Verträge vielen in der EU lebenden Schweizerinnen und Schweizern die Ausweisung drohen würde (s. Ziff. 3). Das FZA sieht vor, dass im Fall der Kündigung oder der Nichtverlängerung des Abkommens die bereits erworbenen Ansprüche der betroffenen Personen unberührt bleiben und die Vertragsparteien im gegenseitige Einvernehmen eine Regelung für die Anwartschaften treffen (Art. 23 FZA).

3354

BBl 2017

4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Initiative enthält keine Bestimmungen, die bestehende internationale Verpflichtungen der Schweiz beeinträchtigen könnten.

5

Schlussfolgerungen

5.1

Verzicht auf einen direkten Gegenentwurf

In einem Grundsatzentscheid hat der Bundesrat am 26. Oktober 2016 beschlossen, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen und ihr einen direkten Gegenentwurf gegenüberzustellen. Er hat dabei festgehalten, dass er über den Inhalt des Gegenentwurfs befinden wird, sobald das Parlament seinen Entscheid zur Umsetzung des Zuwanderungsartikels (Art. 121a BV) gefällt hat (s. Ziff. 2.2.2). Dies mit dem Ziel, diesen gesetzgeberischen Entscheid auch in der Verfassung abzubilden. Um eine breite Diskussion zu ermöglichen, hat der Bundesrat nach dem Parlamentsbeschluss vom 16. Dezember 2016 am 21. Dezember 2016 die Eckwerte von zwei Varianten für einen direkten Gegenentwurf beschlossen. Das im Hinblick auf die gesetzlichen Behandlungsfristen verkürzte Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 1. Februar bis 1. März 2017 (s. Ziff. 1.2).

Mit der ersten Variante sollte Artikel 121a Absatz 4 BV durch eine Bestimmung ersetzt werden, wonach bei der Steuerung der Zuwanderung völkerrechtliche Verträge berücksichtigt werden sollen, die von grosser Tragweite für die Stellung der Schweiz in Europa sind. Diese Variante berücksichtigte nicht nur den Entscheid des Parlaments, Artikel 121a BV FZA-konform umzusetzen, sondern auch die Tatsache, dass die Bevölkerung den bilateralen Weg mehrmals an der Urne bestätigt hat.

Zudem würden mit dieser Variante auch Artikel 121a Absatz 5 BV und die Übergangsbestimmung zu Artikel 121a BV (Art. 197 Ziff. 11 BV) gestrichen.

Die zweite Variante sah vor, lediglich die Übergangsbestimmung in Artikel 197 Ziffer 11 BV aufzuheben. Artikel 121a BV würde demgegenüber gleich bleiben.

Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Varianten wurden von den Vernehmlassungsteilnehmenden mit wenigen Ausnahmen abgelehnt, wobei die erste Variante etwas stärker unterstützt wurde. Bei der ersten Variante wurde insbesondere kritisiert, dass der verwendete Begriff «völkerrechtliche Verträge von grosser Tragweite für die Stellung der Schweiz in Europa» unklar sei und damit zu Rechtsunsicherheit führen würde. Zudem sei das Verhältnis zu Artikel 5 Absatz 4 BV problematisch. Es werde für diese Verträge lediglich der dort bereits enthaltene Grundsatz wiederholt, wonach das Völkerrecht zu beachten ist. Zudem wurde auch eine offenere Umschreibung der für die Steuerung der Zuwanderung notwendigen Instrumente gefordert.

Bei der
zweiten Variante wurde insbesondere die Meinung vertreten, dass die vorgeschlagene Lösung keine Wirkung mehr habe, da die Umsetzungsfrist sowieso schon abgelaufen sei. Es wurde auch ausgeführt, dass mit dieser Variante die vom Parlament beschlossene Umsetzung in Frage gestellt werde und ein unbefristeter Auftrag zur Umsetzung von Artikel 121a BV geschaffen werde, allenfalls auch ohne die 3355

BBl 2017

dafür notwendige Anpassung des FZA und des EFTA-Übereinkommens. Einige Vernehmlassende kritisierten demgegenüber den Umstand, dass damit die Umsetzung von Artikel 121a BV lediglich auf unbestimmte Zeit verschoben werde.

Einige Vernehmlassungsteilnehmende sprachen sich für andere Varianten eines direkten Gegenentwurfs aus, mit denen die Weiterführung der bilateralen Verträge sichergestellt werden kann. Teilweise wurden dazu Formulierungsvorschläge gemacht. Über den Inhalt einer neuen Variante bestanden jedoch keine einheitlichen Vorstellungen.

Aufgrund dieses Vernehmlassungsergebnisses und aufgrund der Tatsache, dass das Referendum gegen die Änderung des Ausländergesetzes zur Umsetzung von Artikel 121a BV nicht zustande gekommen ist, verzichtet der Bundesrat auf einen direkten Gegenentwurf. Das Vernehmlassungsverfahren hat mit wenigen Ausnahmen erneut gezeigt, dass der bilaterale Weg mit der EU eine breite Unterstützung findet. Die Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer unterstützen auch mehrheitlich die von den eidgenössischen Räten beschlossene Umsetzung von Artikel 121a BV.

5.2

Ablehnung der Initiative

Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten» ab und beantragt den eidgenössischen Räten, die Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

3356