zu 15.451 Parlamentarische Initiative Stärkung der Geschäftsprüfungskommissionen Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 2. Juli 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 27. September 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 2. Juli 2019 1 betreffend die parlamentarische Initiative 15.451 «Stärkung der Geschäftsprüfungskommissionen» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. September 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Nach Artikel 169 der Bundesverfassung2 (BV) übt das Parlament die Oberaufsicht über den Bundesrat und die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und die anderen Träger von Aufgaben des Bundes aus. Auf Gesetzesstufe wird die Oberaufsicht in Artikel 26 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20023 (ParlG) umgesetzt. Die Oberaufsicht über die Geschäftsführung nach Artikel 26 Absatz 1 ParlG üben die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) aus (Art. 52 Abs. 1 ParlG).

Zudem wählen die GPK aus ihrer Mitte die Mitglieder der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), die die Tätigkeit im Bereich des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste überwacht und das staatliche Handeln im geheim gehaltenen Bereich überprüft (Art. 53 ParlG). Die Oberaufsicht im Bereich der Haushaltsführung nehmen die Finanzkommissionen (FK) wahr (Art. 50 ParlG). Aus ihrer Mitte wählen die FK die Mitglieder der Finanzdelegation (FinDel). Der FinDel obliegt die nähere Prüfung und Überwachung des gesamten Finanzhaushaltes (Art. 51 Abs. 2 ParlG). Darüber hinaus wurde 1999 die NEAT-Aufsichtsdelegation (NAD) geschaffen, die nach Artikel 20 Absätze 3 und 4 des Alpentransit-Gesetzes vom 4. Oktober 19914 (AtraG) die begleitende Oberaufsicht über die Neue Eisenbahn-Alpentransversale wahrnimmt. Die NAD wird per 1. Dezember 2019 aufgelöst. 5 Schliesslich kann das Parlament nach Artikel 163 ParlG im Rahmen der Oberaufsicht eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einsetzen, wenn Vorkommnisse von grosser Tragweite der Klärung bedürfen. Die Einsetzung erfolgt nach Anhörung des Bundesrates durch einfachen Bundesbeschluss.

Die Aufsichtskommissionen und -delegationen sowie die PUK verfügen über Informationsrechte, die kaskadenartig aufgebaut sind. Die Informationsrechte der Aufsichtsdelegationen und der PUK gehen dabei weiter als jene der Aufsichtskommissionen. Diese wiederum verfügen über weiter ausgebaute Informationsrechte als die Sachbereichskommissionen und die Ratsmitglieder. Die Informationsrechte der GPK und der FK sind in Artikel 153 ParlG verankert. Die Artikel 154 und 155 ParlG regeln die Informationsrechte der GPDel und der FinDel. Die Informationsrechte der PUK finden sich in Artikel 166 ParlG.

Die Informationsrechte der Aufsichtskommissionen wurden letztmals im Jahre 2011 einer Revision unterzogen.6 Dabei wurden Unklarheiten
beseitigt. Gleichzeitig wurden die Informationsrechte ausgebaut (insbesondere die Art. 153 und 154 ParlG). Im Übrigen blieben die Bestimmungen zu den Organen der Oberaufsicht seit Inkrafttreten des ParlG am 1. Dezember 2003 im Wesentlichen unverändert.

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SR 101 SR 171.10 SR 742.104 Änderung des AtraG vom 22. März 2019 (AS 2019 2341).

Änderung des ParlG vom 17. Juni 2011 (AS 2011 4537).

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Am 18. Juni 2015 reichte Nationalrat Rudolf Joder die parlamentarische Initiative (pa. Iv) 15.451 «Stärkung der Geschäftsprüfungskommissionen» ein, welche mit einer Anpassung der Rechtsgrundlagen den GPK ermöglichen möchte, die Oberaufsicht wirkungsvoller, schneller, effizienter und in bestmöglicher Koordination mit den übrigen Aufsichtsorganen wahrzunehmen. Nationalrat Joder nahm dabei Bezug auf verschiedene Vorkommnisse in der Bundesverwaltung, die seiner Ansicht nach den Nachweis erbringen, dass die GPK zur Erfüllung ihrer Aufgaben gestärkt werden müssen.

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-NR) hat am 19. November 2015 der pa. Iv. 15.451 Folge gegeben. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-SR) hat am 26. Februar 2016 dem Beschluss ihrer Schwesterkommission zugestimmt. In der Folge hat die GPK-NR beschlossen, eine Vorlage zur Revision der Bestimmungen zur PUK auszuarbeiten.

Ohne vorgängiges Vernehmlassungsverfahren verabschiedete die GPK-NR am 2. Juli 2019 den Entwurf einer Änderung des ParlG (E-ParlG). Eine Kommissionsminderheit beantragt Nichteintreten, da die Vorlage aus ihrer Sicht nicht nötig sei.

Die Vorlage sieht als wesentliche Neuerung die Einführung einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation vor, die bei Vorkommnissen von grosser Tragweite durch die vier Aufsichtskommissionen (GPK-NR, GPK-SR, FK-NR und FK-SR) mit einem Einsetzungsbeschluss eingesetzt werden kann. Die ausserordentliche Aufsichtsdelegation soll über dieselben Rechte wie die weiterhin bestehende PUK verfügen, jedoch soll sie einfacher und schneller eingesetzt werden können.

Weiter werden im Bereich der Oberaufsicht die Organisations- und Verfahrensbestimmungen und die Informationsrechte entflochten. Die Bestimmungen zu den Informationsrechten der Delegationen und der PUK werden zusammengefasst (Art. 154 E-ParlG); gleichzeitig werden die Bestimmungen zu Organisation und Verfahren bei Untersuchungen der Organe der Oberaufsicht einschliesslich der PUK in einem neuen gemeinsamen Kapitel (Art. 163­171f E-ParlG) geregelt. Schliesslich werden die Bestimmungen zur PUK in das Kapitel der Kommissionen überführt (Art. 53b E-ParlG).

Ferner werden folgende wesentliche Änderungen vorgeschlagen: ­

Neu sollen die FinDel und die GPDel neben den Beschlüssen des Bundesrates sowie den Anträgen und Mitberichten auch die Informationsnotizen des Bundesrates laufend erhalten (Art. 154 Abs. 3 E-ParlG).

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Neu wird verankert, dass die Behörden des Bundes den Aufsichtsorganen Amts- und Rechtshilfe zu leisten haben (Art. 165 E-ParlG).

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Neu soll gegenüber den Delegationen und der PUK neben der Pflicht der Herausgabe von Unterlagen auch die Pflicht zur Herausgabe von Aufzeichnungen in Artikel 170 E-ParlG aufgenommen werden.

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Neu bedarf es einer Ermächtigung durch die betreffende Kommission, wenn gegen eine angehörte Person im Dienst des Bundes wegen ihrer Aussagen gegenüber einem Aufsichtsorgan ein Straf- oder Disziplinarverfahren eröffnet werden soll (Art. 171 Abs. 2 E-ParlG).

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Die bisherigen speziellen Beteiligungsrechte des Bundesrates und betroffener Personen im Verfahren vor der PUK und durch Verweis im Verfahren vor den Delegationen sollen neu nur noch für die PUK gelten (Art. 171a und 171b Abs. 2 E-ParlG).

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeines

Es liegt in der Kompetenz des Parlaments festzulegen, wie es die Oberaufsicht über Bundesrat und Bundesverwaltung organisieren will. Aus der Sicht des Bundesrates funktionieren die Wahrnehmung der Oberaufsicht durch das Parlament und das Zusammenspiel mit Bundesrat und Bundesverwaltung gut. Für ihn sind keine Gründe ersichtlich, die die Einführung der neuen ausserordentlichen Aufsichtsdelegation erforderlich machen. Allein die Tatsache, dass eine PUK nur sehr selten eingesetzt wird, kann nicht als Mangel des Instruments interpretiert werden. Aus Sicht des Bundesrates besteht eher Handlungsbedarf bei der Koordination zwischen den Sachbereichskommissionen sowie den Aufsichtskommissionen und -delegationen.

Es ist in der Vergangenheit regelmässig vorgekommen, dass bei Geschäften sowohl die zuständigen Aufsichtskommissionen wie auch die Sachbereichskommissionen aktiv wurden, so zum Beispiel im Fall Daniel M. und im Fall Postauto. Durch eine bessere Koordination wäre sicherzustellen, dass nicht parallel in einer Aufsichtskommission oder -delegation und in einer Sachbereichskommission gearbeitet wird.

2.2

Vorladung und Vorführung (Art. 169 E-ParlG)

Der Bundesrat steht der polizeilichen Vorführung, die heute in Artikel 153 Absatz 3 ParlG vorgesehen ist und neu in Artikel 169 Absatz 2 E-ParlG verankert werden soll, nach wie vor sehr skeptisch gegenüber.7 Angesichts der bisher sehr zurückhaltenden Praxis der Organe der Oberaufsicht verzichtet er aber auf einen Antrag zur Streichung der Bestimmung.

2.3

Rechte des Bundesrates bei Beweiserhebungen durch parlamentarische Untersuchungskommissionen (Art. 171a E-ParlG)

Nach geltendem Recht verfügt der Bundesrat bei Beweiserhebungen der PUK (Art. 167 ParlG) und der Delegationen (Verweis in Art. 155 Abs. 6 ParlG) über besondere Rechte. Demnach hat er das Recht, den Befragungen von Auskunftspersonen und von Zeuginnen oder Zeugen beizuwohnen und dabei Ergänzungsfragen zu stellen sowie Einsicht zu nehmen in die Unterlagen, die an das untersuchende 7

Stellungnahme des Bundesrates vom 2. Februar 2011 zum Bericht vom 3. Dezember 2010 der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates zur pa. Iv. 10.404 «Präzisierung der Informationsrechte der Aufsichtskommissionen« (BBl 2011 1839 1844).

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Organ herausgegeben wurden, sowie in die Gutachten und Einvernahmeprotokolle.

Diese Rechte sollen neu auf Verfahren der PUK eingeschränkt werden. Begründet wird dies damit, dass der Bundesrat in der Vergangenheit von diesen Rechten keinen Gebrauch gemacht hat.

Der Bundesrat ist damit nicht einverstanden. Die einfach einsetzbare ausserordentliche Aufsichtsdelegation verfügt praktisch über die gleichen Befugnisse wie eine PUK; dieses neue Instrument wird die PUK wohl weitgehend überflüssig machen.

Für den Bundesrat ist es daher notwendig, dass er auch in Untersuchungen, die von einer Delegation oder einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation durchgeführt werden, über die Instrumente verfügt, die notwendig sind, um seine Interessen zu wahren. Im Übrigen rechtfertigt die Tatsache, dass der Bundesrat gewisse Rechte nur sehr selten ausgeübt hat, es nicht, ihm diese mit der Begründung zu entziehen, sie seien toter Buchstabe.

2.4

Rechte der betroffenen Personen im Verfahren vor den Aufsichtsdelegationen und vor parlamentarischen Untersuchungskommissionen (Art. 171b E-ParlG)

Auch den betroffenen Personen nach Artikel 171b E-ParlG sollen die besonderen Rechte, die ihnen nach geltendem Recht durch Verweis von Artikel 155 Absatz 6 auf die Artikel 167 Absatz 1 und 168 ParlG zustehen, bei Untersuchungen durch Aufsichtsdelegationen entzogen werden; sie sollen ihnen nur noch bei Untersuchungen der PUK zur Verfügung stehen. Die Begründung ist identisch mit dem Entzug der besonderen Rechte des Bundesrates in Artikel 171a E-ParlG.

Aus den gleichen Gründen wie oben (vgl. Ziff. 2.3) lehnt der Bundesrat den Entzug der Rechte betroffener Personen bei Untersuchungen der Delegationen bzw. der ausserordentlichen Aufsichtsdelegation ab.

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Anträge des Bundesrates

Art. 171a Sachüberschrift und Abs. 1 Rechte des Bundesrates bei Beweiserhebungen durch Aufsichtsdelegationen und parlamentarische Untersuchungskommissionen Der Bundesrat hat das Recht, den Befragungen von Auskunftspersonen und Zeuginnen oder Zeugen durch eine Aufsichtsdelegation oder eine parlamentarische Untersuchungskommission beizuwohnen und dabei Ergänzungsfragen zu stellen sowie in die Unterlagen, die an die Aufsichtsdelegation oder die Untersuchungskommission herausgegeben wurden, und in die Gutachten und Einvernahmeprotokolle Einsicht zu nehmen.

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Art. 171b Abs. 2 Den betroffenen Personen steht bei Untersuchungen von Aufsichtsdelegationen und parlamentarischen Untersuchungskommissionen das in Artikel 171a Absatz 1 genannte Recht zu.

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