18.086 Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Kosovo über soziale Sicherheit vom 30. November 2018

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Kosovo über soziale Sicherheit.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. November 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2018-2730

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Übersicht Mit dem vorliegenden Abkommen über soziale Sicherheit zwischen der Schweiz und Kosovo wird wieder eine völkerrechtliche Grundlage für die Koordinierung der Sozialversicherungen beider Staaten geschaffen und damit ein seit April 2010 dauernder vertragsloser Zustand beendet.

Ausgangslage Kosovo ist der einzige Nachfolgestaat des ehemaligen Jugoslawien, mit dem die Schweiz keine sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen mehr pflegt. Der Bundesrat hatte beschlossen, das Sozialversicherungsabkommen mit dem ehemaligen Jugoslawien aus dem Jahr 1962 im Verhältnis zu Kosovo ab dem 1. April 2010 nicht weiterzuführen. In der Schweiz leben ungefähr 200 000 Menschen mit kosovarischem Hintergrund.

Kosovo hat seit 2010 seine Gesetzgebung auf dem Gebiet der Sozialversicherungen massgeblich entwickelt und eine neue Infrastruktur aufgebaut. Zusammen mit den Ergebnissen eines Pilotprojektes führte dies zur Einschätzung, dass sich die Situation im Kosovo verglichen mit 2009 entscheidend verbessert hat und es deshalb angezeigt ist, ein neues Abkommen abzuschliessen.

Inhalt der Vorlage Das Abkommen folgt dem Muster der von der Schweiz bislang abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen und richtet sich nach den im internationalen Sozialversicherungsrecht allgemein geltenden Grundsätzen. Dazu gehören insbesondere Bestimmungen über die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten, die Auszahlung der Renten im Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten sowie die Unterstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Ausserdem enthält das Abkommen eine Grundlage für die Bekämpfung von Missbrauch.

Im ersten Teil befasst sich die Botschaft mit der Entstehung des Abkommens; sie beschreibt dann das Sozialversicherungssystem von Kosovo und enthält schliesslich einen Kommentar zu den einzelnen Bestimmungen des Abkommens.

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Botschaft 1

Grundzüge des Abkommens

1.1

Ausgangslage

Kosovo ist ein Nachfolgestaat der ehemaligen Volksrepublik Jugoslawien. Die Schweiz anerkannte den neuen Staat kurz nach dessen Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar 2008.

Nach der Unabhängigkeitserklärung wurde in den Beziehungen Schweiz­Kosovo zunächst stillschweigend das Abkommen vom 8. Juni 19621 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung (nachfolgend das Abkommen mit Jugoslawien) weiter angewendet. Der Bundesrat beschloss jedoch im Dezember 2009, dieses Abkommen ab dem 1. April 2010 im Verhältnis zu Kosovo nicht weiterzuführen. Ausschlaggebend waren die mangelhaft funktionierende Verwaltung in Kosovo, die schwierige Zusammenarbeit sowie das Fehlen eines Sozialversicherungssystems, das mit dem schweizerischen System hätte koordiniert werden können. Überdies hatte sich die Durchführung von Betrugsbekämpfungsmassnahmen in Kosovo als problematisch erwiesen.

Seit der Nichtweiterführung des Abkommens mit Jugoslawien im Verhältnis zu Kosovo werden kosovarische Staatsangehörige gleich behandelt wie Staatsangehörige von Staaten, mit denen die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen betreffend den Rentenexport abgeschlossen hat: Renten von Staatsangehörigen Kosovos werden nicht mehr ins Ausland ausbezahlt; anstelle des Rentenexports werden die Beiträge rückvergütet; aufgrund der im Abkommen mit Jugoslawien vorgesehenen Besitzstandsgarantie werden laufende Leistungen weiterhin exportiert; Leistungen der beruflichen Vorsorge können auch ohne Abkommen bei Wohnsitz im Ausland bezogen werden.

In der Schweiz leben ungefähr 200 000 Personen kosovarischer Herkunft. Viele waren während Jahrzehnten hier erwerbstätig. Mit dem vertragslosen Zustand wird ihnen die Rückkehr in ihr Heimatland nach dem Eintritt des Rentenalters in finanzieller Hinsicht erschwert, weil sie die Altersrenten der schweizerischen AHV nicht im Kosovo beziehen können.

Sowohl die grosse kosovarische Diaspora in der Schweiz als auch die Regierung Kosovos sind sehr an einem neuen Abkommen interessiert. Die Regierung wandte sich mit diesem Anliegen mehrmals an die Schweiz. In der Schweiz setzten sich die Gewerkschaften und verschiedene Parlamentarier ebenfalls stark für ein neues Abkommen ein.

Die Unterzeichnung des Abkommens wurde von diesen Kreisen ausdrücklich
begrüsst. Kosovo hat seit 2010 seine Gesetzgebung auf dem Gebiet der Sozialversicherungen massgeblich entwickelt und eine neue Infrastruktur aufgebaut. Die schweize1

SR 0.831.109.818.1

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rischen Behörden verfolgten diese Entwicklung genau und führten einen intensiven Informationsaustausch mit den kosovarischen Behörden. Ein bilaterales Pilotprojekt erlaubte es, das tatsächliche Funktionieren der Zusammenarbeit anhand von konkreten Fällen zu testen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten führten zur Einschätzung, dass sich die Situation im Kosovo verglichen mit 2009 entscheidend verbessert hatte und die Voraussetzungen für die Aufnahme von Vertragsverhandlungen erfüllt waren.

Der Bundesrat stimmte in der Folge mit Beschluss vom 16. November 2016 der Aufnahme von Verhandlungen betreffend ein Abkommen über soziale Sicherheit zwischen der Schweiz und Kosovo zu. Das Mandat sieht vor, dass ein Abkommen ausgehandelt werden soll, das insbesondere die Gleichbehandlung, den Leistungsexport sowie die Betrugsbekämpfung regelt und sich an den zuletzt mit anderen Ländern abgeschlossenen, umfassenden Sozialversicherungsabkommen orientiert.

Kosovo ist der einzige Nachfolgestaat Jugoslawiens, mit dem die Schweiz keine vertraglichen Beziehungen im Sozialversicherungsbereich unterhält. Im Verhältnis zu den übrigen Nachfolgestaaten wurde das Abkommen mit Jugoslawien bis zum Abschluss neuer Abkommen weitergeführt. Die Schweiz verfügt über neue Vertragswerke mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien, wobei auf Slowenien und Kroatien inzwischen das Freizügigkeitsabkommen2 zwischen der Schweiz und der EU beziehungsweise die EU-Verordnungen (EG) Nr. 883/20043 und Nr. 987/20094 für die Koordinierung der sozialen Sicherheit Anwendung finden. Die neuen Abkommen mit Serbien und mit Montenegro wurden von den Parlamenten der beteiligten Staaten genehmigt und könnten am 1. 1. 2019 in Kraft treten. Das neue Abkommen mit Bosnien und Herzegowina wurde am 1. Oktober 2018 unterzeichnet und wird voraussichtlich 2019 dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet.

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Kosovo sind eng. Die Schweiz engagiert sich in vielfältiger Weise z. B. in der Friedensförderung und im Rahmen der Migrationspartnerschaft sowie durch Beteiligungen an Missionen der internationalen Gemeinschaft wie KFOR oder EULEX.

1.2

Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Die Verhandlungen zum neuen Abkommen wurden im Januar 2017 aufgenommen.

Sie verliefen sehr speditiv und konnten nach drei Verhandlungsrunden am 1. Juni 2017 abgeschlossen werden. In den folgenden Monaten wurden die wenigen noch offenen Fragen auf dem Korrespondenzweg geregelt. Die Vertragsparteien einigten 2

3

4

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Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681.

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, SR 0.831.109.268.1.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, SR 0.831.109.268.11.

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sich auf die Entwürfe für den Abkommenstext, ein Schlussprotokoll und eine Durchführungsvereinbarung. Das Abkommen wurde am 8. Juni 2018 in Pristina unterzeichnet. Das parlamentarische Genehmigungsverfahren in Kosovo ist noch im Gange.

Der Inhalt des Abkommens entspricht anderen in letzter Zeit abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen. Die neuen Regelungen enthalten insbesondere die aus schweizerischer Sicht wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Missbräuchen und Betrug. Überdies sind die weitgehende Gleichbehandlung der Vertragsstaatsangehörigen sowie der Leistungsexport gewährleistet.

1.3

Vernehmlassungsverfahren

Die Bestimmungen über die Vernehmlassung finden vorliegend keine Anwendung, weil das Abkommen nicht dem fakultativen Referendum unterliegt und nicht von grosser Tragweite ist. Es betrifft auch keine zentralen Interessen der Kantone.

1.4

Überblick über den Inhalt des Abkommens und Würdigung

Aufbau und Inhalt des Abkommens mit Kosovo entsprechen den bilateralen Abkommen, welche die Schweiz in letzter Zeit ­ auch mit anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens ­ abgeschlossen hat, sowie den internationalen Standards der Koordinationsregeln für soziale Sicherheit. Es bezweckt die Koordination der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherungen der Vertragsstaaten, um mögliche Nachteile oder Diskriminierungen von Angehörigen des anderen Staates zu vermeiden. Das Abkommen bezieht sich in sachlicher Hinsicht auf die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie auf die entsprechenden Versicherungszweige in Kosovo. Der sachliche Geltungsbereich erstreckt sich hingegen nicht auf die Familienzulagen. Die Gesetzgebung in Kosovo sieht keine Familienzulagen vor.

Das Abkommen richtet sich nach folgenden Grundsätzen: möglichst umfassende Gleichbehandlung der Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten; Unterstellung am Erwerbsort; Regeln für die Ermittlung des zuständigen Staates, wenn die Erwerbstätigkeit beide Vertragsstaaten betrifft; erleichterter Zugang zu den Leistungen der Vertragsstaaten, insbesondere durch die Anrechnung der im anderen Staat zurückgelegten Versicherungszeiten für Eröffnung der Ansprüche; ungekürzte Auszahlung der Leistungen ins Ausland; Zusammenarbeit der Behörden der Vertragsstaaten. Es sieht zudem eine umfassende Klausel zur Missbrauchsbekämpfung vor, und es regelt die Wiedererlangung von zu Unrecht gezahlten Leistungen sowie die Einforderung von nicht bezahlten Beiträgen.

Im Schlussprotokoll ist eine Übergangsregelung betreffend die kosovarischen Grundrenten im Alter vorgesehen.

Der Abschluss eines Sozialversicherungsabkommens stellt ein wichtiges Element für die weitere Festigung der schweizerisch-kosovarischen Beziehungen dar und

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erleichtert insbesondere den kosovarischen Staatsangehörigen beim Bezug von schweizerischen Leistungen die Rückkehr in ihre Heimat.

1.5

Sprachfassungen des Abkommens

Das Abkommen wurde in deutscher und in albanischer Sprache abgeschlossen.

Beide Versionen sind in gleicher Weise verbindlich.

2

Überblick über die soziale Sicherheit in Kosovo

2.1

Allgemeines

Von 1974 bis 1989 führte die autonome Provinz Kosovo ihr eigenes Sozialversicherungssystem nach dem Umlageverfahren, wobei die Gesetzgebung mit denjenigen der jugoslawischen Föderation sowie der Republik Serbien abgestimmt war. Mit dem Verlust des Status einer autonomen serbischen Provinz 1989 ging die Integration des kosovarischen Systems in das serbische Sozialschutzsystem einher. Während den folgenden Jahren mit Unruhen und Krieg wurden die Renten nicht mehr regelmässig bezahlt, und Beiträge konnten auch nicht mehr ohne Weiteres entrichtet werden. Die Informationen über die im alten System geleisteten Beiträge der Versicherten gingen teilweise verloren. Unter der UNMIK-Übergangsverwaltung und mit der Bildung einer kosovarischen Regierung im Jahr 2002 wurden erste Schritte in Richtung Aufbau eines neuen Sozialschutzsystems getan. Dies führte letztlich zum Erlass der entsprechenden Gesetzgebung im Jahr 2014, die im Folgenden kurz umrissen wird.

Das System beruht auf drei Säulen. Die erste Säule umfasst ein ausschliesslich staatlich finanziertes Rentensystem, das im Gesetz Nr. 04/L-131 geregelt ist. Dessen Verwaltung ist beim Ministerium für Arbeit und soziale Wohlfahrt angesiedelt. Aus der ersten Säule werden auch Personen entschädigt, die im früheren System vor 1999 Beiträge gezahlt hatten. In der zweiten Säule erfolgt ein individuelles, obligatorisches Rentensparen beim kosovarischen Rentensparfonds (Kosovo Pension and Savings Trust). Diese Säule ist obligatorisch für Erwerbstätige ab 18 Jahren, wenn sie nach 1946 geboren sind. Sie funktioniert nach dem Beitragsprimat und ist im Gesetz Nr. 04/L-101 geregelt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen je mindestens 5 Prozent der Lohnsumme zwecks Finanzierung der zweiten Säule. Sie können ihren Anteil freiwillig bis auf je 15 Prozent aufstocken. Diese beiden Säulen fallen in den sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens. Die freiwillige dritte Säule besteht in steuergefördertem, privatem Sparen auf individueller Basis oder auf Betriebsbasis. Die entsprechenden Pensionsfonds stehen unter der Kontrolle der kosovarischen Zentralbank.

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2.2

Alter

In der ersten Säule ist eine Altersgrundrente für sämtliche Personen über 65 Jahren vorgesehen. Die Leistung ist beitragsunabhängig und setzt grundsätzlich die kosovarische Staatsangehörigkeit sowie ständigen Wohnsitz in Kosovo voraus. Der monatliche Rentenbetrag beläuft sich derzeit auf 75 Euro. Er orientiert sich an den Lebenshaltungskosten, der Inflation und dem Staatshaushalt und wird jeweils im Dezember für das Folgejahr durch die Regierung festgelegt.

Ebenfalls im Rahmen der ersten Säule werden die sogenannten «Altersrenten der Beitragszahler» gezahlt. Es handelt sich um Renten für Personen, die im früheren System Beiträge entrichtet hatten. Sie müssen entweder schon vor dem 1. 1. 1999 einen Rentenanspruch gehabt haben oder mindestens 15 Beitragsjahre vor dem erwähnten Datum vorweisen können, wenn sie das 65. Altersjahr erst später erreichen. Die monatliche Rente beträgt 140 Euro.

In der zweiten Säule ist die Höhe der Altersrenten abhängig von den einbezahlten Beiträgen sowie vom Gewinn, der auf dem eingezahlten Kapital erzielt wurde.

Beträgt das angesparte Kapital weniger als 2 000 Euro, wird die Altersleistung in Form einer einmaligen Zahlung ausgerichtet. Ist der Betrag höher, wird damit eine jährliche Leibrente bei einem privaten Versicherer erworben.

2.3

Tod

Hinterlassenenrenten aus der ersten Säule werden an Witwen und Witwer unter 65 Jahren sowie an Kinder bis zur Beendigung der Schule/Ausbildung, längstens jedoch bis zum 26. Altersjahr, bezahlt. Diese Leistungen werden ausgerichtet, wenn bereits vor dem 1. 1. 1999 ein Anspruch bestand, oder bei neu entstehenden Ansprüchen, wenn die verstorbene Person mindestens 15 Beitragsjahre im alten System zurückgelegt hatte. Hinterlassene von Versicherten, die während der Arbeit oder aufgrund einer berufsbedingten Krankheit sterben, erhalten ebenfalls Leistungen aus der ersten Säule. Die Höhe entspricht der Altersgrundrente und erhöht sich um 20 Prozent pro Kind. Erwerbstätige haben keinen Anspruch auf Hinterlassenenleistungen der ersten Säule.

In der zweiten Säule gehen die Leistungen beim Tod der versicherten Person an die Hinterbliebenen über.

2.4

Invalidität

In der ersten Säule werden einerseits Behindertenrenten von 75 Euro pro Monat ausgerichtet. Anspruch auf diese rein steuerfinanzierten Renten haben Staatsangehörige des Kosovo zwischen 18 und 64 Jahren, wenn sie ständigen Wohnsitz in Kosovo haben. Vorausgesetzt wird eine vollumfängliche Arbeitsunfähigkeit für jegliche Tätigkeit. Renten für Teilinvalidität sind nicht vorgesehen. Eine medizinische Kommission beurteilt die Arbeitsunfähigkeit, wobei je nach Fall Neubeurteilungen nach einem, drei oder fünf Jahren vorgesehen sind.

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Andererseits werden in der ersten Säule Personen unter 65 Jahren sogenannte Arbeitsinvalidenrenten gewährt. Diese Personen müssen entweder bereits einen analogen Rentenanspruch vor dem 1. Januar 1999 gehabt haben oder aktuell während der Arbeit vollumfänglich und dauernd arbeitsunfähig geworden sein oder eine berufsbedingte Krankheit erlitten haben. Auch in dieser Kategorie sind keine Teilrenten vorgesehen. Der Entscheid über die Arbeitsunfähigkeit obliegt einer medizinischen Kommission sowie spezialisierten Organisationen für Arbeitsmedizin. Die monatliche Rente beläuft sich auf 75 Euro.

3

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Abkommens

Allgemeine Bestimmungen (Titel I) Art. 2

Sachlicher Geltungsbereich

Der sachliche Geltungsbereich umfasst auf schweizerischer Seite die Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie die Invalidenversicherung. In Bezug auf Kosovo erstreckt sich der Geltungsbereich auf das Gesetz für das staatlich finanzierte Pensionssystem, welches alle vom Staat finanzierten Rentensysteme umfasst, das heisst auch die von früheren Beitragszeiten abhängigen Alters-, Hinterlassenen- und Berufsinvalidenrenten. Der Geltungsbereich des Abkommens bezieht sich zudem auf das Gesetz zum kosovarischen Rentensparfonds. Die Familienzulagen sind im sachlichen Geltungsbereich nicht enthalten. Diese Lösung entspricht der grundsätzlich zurückhaltenden Politik der Schweiz im Bereich des Exports von Familienzulagen.

Art. 3

Persönlicher Geltungsbereich

Das Abkommen ist anwendbar auf die Angehörigen der Vertragsstaaten und auf deren Familienangehörige und Hinterlassene, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, sowie auf Flüchtlinge und Staatenlose, die im Gebiet eines der Vertragsstaaten wohnen. Die Bestimmungen zu den anwendbaren Rechtsvorschriften (Art. 6­9 und 11­13) gelten auch für Angehörige von Drittstaaten.

Art. 4

Gleichbehandlung

Das Abkommen garantiert, in Übereinstimmung mit den allgemeinen internationalen Grundsätzen, die weitgehende Gleichbehandlung der Vertragsstaatsangehörigen im Rahmen der vom sachlichen Geltungsbereich erfassten Versicherungsbereiche. Die Schweiz behält sich aufgrund der Besonderheiten in ihrer Gesetzgebung allerdings gewisse Einschränkungen bei der Gleichbehandlung vor. Dies betrifft insbesondere die freiwillige Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung von schweizerischen Staatsangehörigen, die im Ausland im Dienste der Eidgenossenschaft oder gewisser Institutionen (s. Art. 1a Abs. 1 Bst. c Ziff. 2 und 3 AHVG) tätig sind.

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Art. 5

Auszahlung der Leistungen im Ausland

Die Gewährleistung der Leistungszahlung an die Staatsangehörigen, die im Gebiet des anderen Vertragsstaats wohnen, ist ein wesentlicher Aspekt der internationalen Koordination der sozialen Sicherheit (Abs. 1).

Schweizerischerseits werden wie in anderen Abkommen die IV-Viertelsrenten, die ausserordentlichen Renten sowie die Hilflosenentschädigung der AHV/IV vom Export ausgenommen.

Kosovo sieht eine Einschränkung vor betreffend die Auslandszahlung der kosovarischen Behindertenrente. Es handelt sich um eine rein steuerfinanzierte Rente (mtl.

ca. 75 ), die von der Art her den ausserordentlichen schweizerischen Invalidenrenten entspricht, welche ebenfalls vom Export ausgenommen sind.

Die Rentenzahlung in Drittstaaten wird nach dem Gleichbehandlungsgebot geregelt: Sieht ein Vertragsstaat die Leistungszahlung an seine eigenen Staatsangehörigen in einen Drittstaat vor, so gilt für die Angehörigen des anderen Vertragsstaats dasselbe (Abs. 4).

Bestimmungen über die anwendbaren Rechtsvorschriften (Titel II) Art. 6

Allgemeiner Grundsatz

Ein wesentlicher Aspekt eines Abkommens betrifft die Regelung der anwendbaren Rechtsvorschriften für Personen, die im Gebiet des anderen Vertragsstaats eine Erwerbstätigkeit ausüben. Mit dieser Bestimmung sollen Doppelunterstellungen und Versicherungslücken vermieden werden. Im vorliegenden Abkommen gilt, wie in allen anderen vergleichbaren Verträgen, der Grundsatz der Unterstellung am Ort der Erwerbstätigkeit. Dies bedeutet, dass Personen, die in beiden Staaten erwerbstätig sind, in jedem Staat nur für die dort ausgeübte Tätigkeit unterstellt sind.

Die folgenden Artikel enthalten für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besondere Regelungen, die vom Grundsatz der Unterstellung am Ort der Erwerbstätigkeit abweichen.

Art. 7

Entsendung

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt werden, unterstehen während fünf Jahren den Rechtsvorschriften des entsendenden Vertragsstaats. Damit werden die Doppelunterstellung oder ein Unterbruch der Versicherungskarriere vermieden und der administrative Aufwand der Arbeitgeber verringert.

Art. 8

Personal von international tätigen Luftverkehrsunternehmen

Personen, die im Gebiet beider Vertragsstaaten als Mitglied der Besatzung von international tätigen Luftverkehrsunternehmen beschäftigt werden, unterstehen den Rechtsvorschriften des Landes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, es sei denn, sie sind im anderen Staat bei einer Zweigniederlassung oder ständigen Vertretung

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beschäftigt. Diese Bestimmung entspricht den von der Schweiz jüngst abgeschlossenen Abkommen und widerspiegelt die internationale Praxis.

Art. 9

Angestellte von Seefahrtsunternehmen

Mitglieder der Besatzung eines Seeschiffs, das die Flagge eines Vertragsstaats führt, unterstehen den Rechtsvorschriften des Flaggenstaats. Dabei wird eine Tätigkeit an Bord eines Seeschiffes einer Tätigkeit auf dem Gebiet des Flaggenstaats gleichgestellt. Personen, die von einem Arbeitgeber mit Sitz auf dem Gebiet des anderen Vertragsstaats beschäftigt werden, sind hingegen den Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaats unterstellt.

Art. 10

Mitglieder von diplomatischen oder konsularischen Vertretungen

In Übereinstimmung mit dem Wiener Übereinkommen vom 18. April 19615 über diplomatische Beziehungen und dem Wiener Übereinkommen vom 24. April 19636 über konsularische Beziehungen sieht Absatz 1 vor, dass Staatsangehörige eines Vertragsstaats, die als Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung dieses Staates in das Gebiet des anderen Vertragsstaats entsandt werden, den Rechtsvorschriften des ersten Vertragsstaats unterstehen (Abs. 2).

Personal (ohne diplomatischen oder konsularischen Status) aus einem Vertragsstaat, das bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung dieses Staates im anderen Vertragsstaat angestellt ist (Lokalpersonal), ist grundsätzlich am Erwerbsort unterstellt. Es steht ihm allerdings die Möglichkeit offen, für die Unterstellung unter die Gesetzgebung des Staates der diplomatischen oder konsularischen Vertretung zu optieren (Abs. 3).

Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Vertragsstaaten werden in ihrer Funktion als Arbeitgeber verpflichtet, ihr Lokalpersonal gemäss den Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetzgebung des Vertragsstaats, in dem sich die Vertretung befindet, zu versichern (Abs. 5).

Staatsangehörige des einen Vertragsstaats, die als technisches oder Dienstpersonal bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung eines Drittstaats im anderen Vertragsstaat angestellt sind, werden der Gesetzgebung des zweiten Vertragsstaats unterstellt, wenn sie weder im Heimatstaat noch im Staat des Arbeitgebers versichert sind (Abs. 7). Mit dieser Bestimmung sollen Versicherungslücken vermieden werden.

Art. 11

Beamtinnen und Beamte

Im Herkunftsland unterstellt bleiben auch Beamtinnen oder Beamte sowie ihnen gleichgestellte Personen der öffentlichen Verwaltung, die in den andern Staat entsandt werden.

5 6

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SR 0.191.01 SR 0.191.02

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Art. 12

Ausnahmen

Die Bestimmungen über die anwendbare Gesetzgebung werden durch eine sogenannte Ausweichklausel ergänzt, die es den zuständigen Behörden der beiden Vertragsparteien erlaubt, in besonderen Fällen abweichende Regelungen zu vereinbaren.

Art. 13

Familienangehörige

Bei Artikel 13 handelt es sich um eine Standardbestimmung über die Versicherung von Familienangehörigen, welche eine erwerbstätige Person begleiten, die nach den Artikeln 7­12 den Rechtsvorschriften des Herkunftsstaats unterstellt bleiben. Sie ermöglicht es der nicht erwerbstätigen Ehegattin oder dem nicht erwerbstätigen Ehegatten sowie den Kindern, zusammen mit der erwerbstätigen Person im Herkunftsstaat versichert zu bleiben.

Bestimmungen zu den Leistungen (Titel III) A. Bestimmungen zu den schweizerischen Leistungen Art. 14

Eingliederungsmassnahmen

Beitragspflichtige kosovarische Staatsangehörige, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben oder ihren Wohnsitz haben, haben gleichermassen Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen wie Schweizer, solange sie in der Schweiz wohnen.

Nichterwerbstätige Staatsangehörige von Kosovo, die aus Altersgründen zwar in der AHV/IV versichert, aber nicht beitragspflichtig sind (nichterwerbstätige Personen zwischen 18 und 20 Jahren und minderjährige Kinder) haben erst Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, wenn sie mindestens ein Jahr in der Schweiz gewohnt haben. Für invalide Minderjährige gelten erleichterte Anspruchsbedingungen (Abs. 4).

Art. 15

Zusammenrechnung von Versicherungszeiten

Reichen die in der Schweiz zurückgelegten Versicherungszeiten nicht aus, um die dreijährige Mindestversicherungszeit für einen Anspruch auf eine ordentliche Invalidenrente zu erfüllen, so werden Versicherungszeiten, die im Kosovo zurückgelegt wurden, angerechnet (Abs. 1). Nötigenfalls können auch Versicherungszeiten aus einem anderen Vertragsstaat angerechnet werden (Abs. 2). Eine Anrechnung ausländischer Zeiten erfolgt jedoch nur, wenn die nach den schweizerischen Rechtsvorschriften zurückgelegte Versicherungszeit mindestens ein Jahr beträgt (Abs. 3).

Eine Anrechnung von ausländischen Zeiten erfolgt ­ im Gegensatz zur Berechnung der kosovarischen Renten (vgl. Art. 18) ­ lediglich für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung. Für die Berechnung der schweizerischen Invalidenrente werden jedoch ausschliesslich schweizerische Versicherungszeiten berücksichtigt (Abs. 4).

Art. 16

Einmalige Abfindung

Diese Bestimmung bezweckt die Vereinfachung der administrativen Abläufe bei kleinen Renten. Die Verwaltungskosten und die Kosten für die monatlichen Über113

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weisungen ins Ausland sind bei Renten von geringer Höhe proportional gesehen zu hoch. Deshalb wird die Auszahlung einer ordentlichen Altersrente an kosovarische Staatsangehörige im Ausland, die höchstens 10 Prozent der Vollrente ausmacht, durch eine einmalige Abfindung abgegolten; diese entspricht dem Barwert der geschuldeten Rente (Abs. 2). Beträgt der Anspruch auf die schweizerische Rente mehr als 10 Prozent, aber höchstens 20 Prozent der ordentlichen Vollrente, so kann die versicherte Person zwischen der Rente und der einmaligen Abfindung wählen (Abs. 3). Im Falle von Ehepaaren wird die Abfindung nur dann ausbezahlt, wenn der andere Ehegatte ebenfalls rentenberechtigt ist (Abs. 4).

Die gleichen Bedingungen sind auf ordentliche Renten der Invalidenversicherung anwendbar, sofern die rentenberechtigte Person das 55. Altersjahr überschritten hat und keine Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen mehr vorgesehen ist (Abs. 6).

Art. 17

Ausserordentliche Renten

Diese Bestimmung erleichtert den Zugang zu den ausserordentlichen Renten für Staatsangehörige des anderen Vertragsstaats. Für den Anspruch auf ausserordentliche Renten ist eine ununterbrochene Mindestwohndauer von fünf Jahren in der Schweiz erforderlich.

B. Bestimmungen zu den kosovarischen Leistungen Art. 18

Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und Berechnung der Leistungen für das beitragsfinanzierte Rentensystem vor 1999

Da das beitragsfinanzierte Rentensystem vor 1999 für den Anspruch auf eine Rente 15 Versicherungsjahre vorschreibt, sieht dieser Artikel des Abkommens vor, dass Schweizer Versicherungszeiten einerseits berücksichtigt werden, um diese 15 Jahre zu erfüllen. Andererseits werden die schweizerischen Zeiten auch für die anteilige Berechnung der kosovarischen Rente berücksichtigt.

Art. 19

Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften von Drittstaaten

Kosovo wird nicht nur die schweizerischen Versicherungszeiten berücksichtigen, sondern gegebenenfalls auch die Zeiten aus einem Drittland, mit dem Kosovo ein Abkommen über die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten abgeschlossen hat.

Verschiedene Bestimmungen (Titel IV) Art. 20­34 Wie alle bilateralen Sozialversicherungsabkommen der Schweiz enthält auch das vorliegende Abkommen einen Abschnitt über Durchführungsbestimmungen mit analogen Vorschriften, wie sie in zuletzt abgeschlossenen Abkommen zu finden sind.

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Das Abkommen sieht eine Grundlage für den Abschluss einer technisch-administrativen Durchführungsvereinbarung durch die zuständigen Behörden vor und delegiert die Kompetenz zum selbstständigen Abschluss dieser Vereinbarung an das Bundesamt für Sozialversicherungen.

Geregelt sind sodann die Bereitstellung der für die Anwendung des Abkommens erforderlichen Informationen (Art. 20) und die gegenseitige Verwaltungshilfe (Art. 21). Artikel 22 regelt den Informationsaustausch zwischen den für die Beurteilung der Invalidität zuständigen Stellen. Jeder Staat bestimmt die Invalidität nach seinen eigenen Rechtsvorschriften. Bestimmte ärztliche Gutachten werden gegenseitig kostenlos zur Verfügung gestellt, andere werden vom Wohnstaat oder vom ersuchenden Staat bezahlt.

Das Abkommen enthält eine umfangreiche Bestimmung zur Verhinderung von unrechtmässigem Leistungsbezug (Art. 23). Sie ermöglicht die Durchführung von zusätzlichen Kontrollen auf dem Gebiet des anderen Vertragsstaats. So kann die schweizerische Invalidenversicherung eine anerkannte Stelle (z. B. eine Schadenregulierungsfirma) im Kosovo damit beauftragen, weitergehende Ermittlungen und Überprüfungen vorzunehmen (Abs. 3). Umgekehrt hat die kosovarische Sozialversicherung auch die Möglichkeit, das schweizerische Dispositiv zur Betrugsbekämpfung in der Invalidenversicherung über die IV-Stelle für Versicherte im Ausland in Anspruch zu nehmen. Der Austausch von Angaben betreffend exportierte Renten zum Zwecke des Abgleichs mit den Sterbedaten im anderen Staat soll ebenfalls die unrechtmässige Zahlung von Leistungen verhindern (Abs. 4). Die Betrugsbekämpfungsklausel erlaubt zudem den zwischenstaatlichen Austausch von Informationen, um den ungerechtfertigten Bezug von schweizerischen Ergänzungsleistungen und kosovarischen Grundrenten zu verhindern (Abs. 5 und 6).

Der Schutz personenbezogener Daten ist in Artikel 24 detailliert geregelt. Insbesondere dürfen übermittelte Daten nur für die Zwecke des Abkommens verwendet werden, und sie müssen gegen unberechtigten Zugang und unberechtigte Verwendung geschützt werden. Auf die übermittelten Daten finden die Datenschutzbestimmungen des Empfängerstaates Anwendung.

Weitere Regelungen bestimmen, dass die Behörden der Vertragsstaaten Dokumente in den Amtssprachen der beiden Staaten gegenseitig anerkennen
(Art. 26). Zudem wird die Überweisung von Geldbeträgen im Zusammenhang mit der Durchführung der Abkommen auch im Falle von Einschränkungen des Devisenverkehrs seitens eines der Vertragsstaaten gewährleistet (Art. 29). In den Artikeln 30 und 31 ist ein Verfahren zur Wiedererlangung von zu Unrecht gezahlten Leistungen sowie zur Einforderung nicht gezahlter Beiträge vorgesehen. Ausserdem ist eine Regressbestimmung vorgesehen (Art. 32). Die Regelung von Streitigkeiten erfolgt durch die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten (Art. 33).

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Übergangs- und Schlussbestimmungen (Titel V) Art. 35­37 Die Übergangs- und Schlussbestimmungen sehen insbesondere vor, dass das Abkommen auch auf Versicherungsereignisse Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten eingetreten sind (Art. 35 Abs. 3). Die vor Inkrafttreten zurückgelegten Zeiten werden berücksichtigt, die sich daraus ergebenden Leistungen werden jedoch frühestens ab Inkrafttreten des Abkommens ausgerichtet (Art. 35 Abs. 1). Für Zeiten, während denen im Verhältnis zu Kosovo kein Sozialversicherungsabkommen in Kraft stand, werden rückwirkend keine Leistungen ausgerichtet. Die Neubeurteilung von Ansprüchen aufgrund des Abkommens erfolgt grundsätzlich auf Antrag (Art. 35 Abs. 5).

Der letzte Absatz von Artikel 35 stellt zudem klar, dass das Abkommen nicht für Ansprüche gilt, die durch Beitragsrückvergütung abgegolten worden sind. Kosovarische Staatsangehörige, die während der vertragslosen Zeit zahlreich von der Möglichkeit der Rückvergütung der AHV-Beiträge Gebrauch gemacht haben, können aus den Beiträgen und den entsprechenden Beitragszeiten keine Rechte gegenüber der AHV und der IV mehr geltend machen. Eine Wiedereinzahlung ist ausgeschlossen. Diese Grundsätze gelten bereits aufgrund von Artikel 6 der Verordnung vom 29. November 1995 über die Rückvergütung der von Ausländern an die Alters- und Hinterlassenenversicherung bezahlten Beiträge7.

Der Vertrag wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann indessen unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden (Art. 36 Abs. 1 und 3). Ansprüche, welche Personen in Anwendung des Abkommens erworben haben, werden durch die Beendigung nicht tangiert (Besitzstandsgarantie; Art. 36 Abs. 4). Das Abkommen tritt erst in Kraft, wenn die innerstaatliche Genehmigung in beiden Staaten abgeschlossen ist, und zwar am ersten Tag des dritten Monats, der auf den Empfang der letzten Notifikation betreffend den Abschluss des Verfahrens folgt (Art. 37 Abs. 3).

Schlussprotokoll In Kosovo hat die Regierung, welche zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen an der Macht war, eine Änderung des Gesetzes Nr. 04/L-131 für das staatlich finanzierte Pensionssystem betreffend die Einführung eines «Rententests» vorgeschlagen.

Der Gesetzesentwurf setzt für den Anspruch auf die beitragsunabhängige Grundrente (mtl. ca. 75 )
neu fünf Wohnjahre im Kosovo vor Erreichen des Rentenalters voraus. Bei der Feststellung des Anspruchs auf die beitragsunabhängige Grundrente sollen in Zukunft auch Renteneinkommen angerechnet werden, das heisst es besteht kein Anspruch auf eine Grundrente, wenn Anspruch auf andere höhere Renten, auch aus dem Ausland, besteht. Auch die derzeitige Regierung will den Rententest im Rahmen einer grösseren Rentenreform, welche 2018 lanciert werden sollte, einführen.

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SR 831.131.12

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Um den Abschluss des Abkommens angesichts dieser ausstehenden Änderung im nationalen Recht von Kosovo nicht zu verzögern, wird im Schlussprotokoll zum Abkommen in Bezug auf die kosovarische Grundrente festgehalten, dass ein zwischenstaatlicher Informationsaustausch betreffend den Rententest sowie ein Export gemäss Abkommen erst dann möglich ist, wenn die innerstaatliche Gesetzesänderung in Kraft tritt. Konkret heisst das, dass die Grundrenten im Kosovo bis zur Gesetzesänderung weiterhin ohne Rententest gewährt werden und nur die Renten aus dem Rentensparfonds exportiert werden.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Mit dem vorliegenden Sozialversicherungsabkommen wird die Rechtslage wiederhergestellt, die vor dem 1. April 2010 bestand. Im Wesentlichen wird der Rentenexport wieder ermöglicht, der auch massgebend ist für die finanziellen Auswirkungen eines Abkommens. Da seit 2010 Neurenten nicht mehr in den Kosovo exportiert werden, haben über 6 000 Versicherte die Rückvergütung ihrer Beiträge beantragt, welche in der Regel weniger hoch ausfallen als Renten. Mit der Beitragsrückvergütung erlöschen alle Ansprüche gegenüber der AHV. Die betroffenen Personen werden nach dem Inkrafttreten eines neuen Abkommens also keinen Rentenexport verlangen können.

Der grösste Teil der Kosten des Abkommens betrifft die Zahlung von Renten für Kosovarinnen und Kosovaren, die nicht in der Schweiz wohnhaft sind. Da ab Inkrafttreten des Abkommens die Beitragsrückerstattung für kosovarische Staatsangehörige, die die Schweiz verlassen, nicht mehr möglich ist, werden sich die AHVAusgaben zunächst verringern. Die Kosten werden dann wieder zunehmen, wenn Kosovarinnen und Kosovaren, die die Schweiz verlassen haben und keine Beitragsrückvergütung verlangt haben, eine Schweizer Rente beantragen.

Die insgesamt anfallenden Kosten werden auf jährlich 16 Millionen Franken geschätzt. Davon entfallen 15 Millionen Franken auf die AHV, wovon der Bund 3 Millionen Franken trägt, und 1 Million Franken auf die IV.

Sozialversicherungsabkommen führen indirekt auch zu Einsparungen. Die Auszahlung einer Rente an einen Vertragsstaatsangehörigen kann die Rückkehr in den Heimatstaat erleichtern und andere Sozialwerke entlasten. So besteht bei Verlassen der Schweiz kein Anspruch auf Hilflosenentschädigungen, Ergänzungsleistungen, Sozialhilfe- und Gesundheitsleistungen.

Die Schweizerische Ausgleichskasse, die für die Auszahlung der Renten ins Ausland und für bestimmte administrative Aufgaben im Zusammenhang mit der Anwendung des Abkommens zuständig ist, rechnet mit circa 10°000 neuen Rentenfällen von kosovarischen Staatsangehörigen im Ausland. Zwar werden gewisse Ressourcen infolge des Wegfalls der Beitragsrückvergütung frei. Zur Bewältigung der mit dem Abkommen einhergehenden neuen Arbeitslast (Bearbeitung der Rentenanträge, Kontrollen der laufenden Renten etc.) benötigt die Schweizerische Ausgleichskasse jedoch zusätzliches Personal in der Höhe von zwei
Vollzeitäquivalenten. Dadurch ergeben sich Mehrkosten von rund 300 000 Franken. Die Kosten werden dem Bund von der AHV rückvergütet und sind somit haushaltsneutral.

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Legislaturplanung

Das vorliegende Abkommen ist weder in der Botschaft zur Legislaturplanung 2015­ 20198 noch im Bundesbeschluss über die Legislaturplanung 2015­20199 angekündigt, da es sich im Hinblick auf die anderen von der Schweiz abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen um ein Geschäft mit Wiederholungscharakter handelt.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200210; Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199711).

Da keine Kompetenzdelegation vorliegt, ist die Bundesversammlung im vorliegenden Fall für die Genehmigung zuständig.

6.2

Erlassform

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstehen die Staatsverträge dem fakultativen Referendum, die «wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert». Gemäss Praxis des Parlaments werden aber Sozialversicherungsabkommen, die keine weitergehenden Verpflichtungen schaffen als zahlreiche ähnliche Verträge, die die Schweiz bereits abgeschlossen hat, als sogenannte «Standardabkommen» behandelt und nicht dem Referendum unterstellt. Die von der Schweiz abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen beruhen alle auf derselben Vorlage, die auf internationaler Ebene einheitlich zur Anwendung kommt und vom Parlament mehrfach genehmigt wurde (vgl. z. B. Botschaft vom 12. Februar 201412 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Uruguay über soziale Sicherheit, Botschaft vom 5. November 201413 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Brasilien über soziale Sicherheit, Botschaft vom 14. Februar 201814 8 9 10 11 12 13 14

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BBl 2016 5183 BBl 2016 1105 SR 171.10 SR 172.010 BBl 2014 1733 BBl 2014 8833 BBl 2018 1153

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zur Genehmigung der Abkommen zwischen der Schweiz und Serbien sowie zwischen der Schweiz und Montenegro über soziale Sicherheit). Sozialversicherungsabkommen enthalten Koordinationsgrundsätze, mit denen vermieden werden soll, dass Angehörige des einen Vertragsstaats benachteiligt werden, wenn sie in den anderen Staat umziehen. Deren Bestimmungen können nicht als grundlegend eingestuft werden, auch wenn sie rechtsetzende Bestimmungen enthalten. Diese Abkommen richten sich nach der gängigen Verwaltungspraxis der Schweiz und treffen keine Grundsatzentscheide für die innerstaatliche Gesetzgebung.

Die Verpflichtungen des vorliegenden Abkommens bewegen sich im Rahmen von anderen, bereits früher von der Schweiz abgeschlossenen internationalen Abkommen über soziale Sicherheit.

Im Auftrag des Bundesrates hat das Bundesamt für Justiz einen Bericht zu dieser Praxis erstellt. Der Bundesrat entschied am 22. Juni 2016 aufgrund dieses Berichts, dass die Tatsache, dass ein internationales Abkommen keine umfangreicheren Verpflichtungen schaffe als bereits von der Schweiz ratifizierte Abkommen ähnlichen Inhalts, bei der Beurteilung, ob ein Abkommen dem fakultativen Referendum zu unterstellen sei, nicht mehr ausschlaggebend ist. Deshalb hat er die Departemente damit beauftragt, bis spätestens Ende 2018 sektorielle Delegationsnormen zu erarbeiten, im Hinblick darauf, internationale Abkommen, die dies erfordern, im eigenen Zuständigkeitsbereich mit einfachem Bundesbeschluss genehmigen zu können.

Im Rahmen der laufenden Revision15 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200016 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ist vorgesehen, in den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen eine neue Bestimmung einzuführen, wonach die Bundesversammlung über die Kompetenz verfügt, Sozialversicherungsabkommen mit einfachem Bundesbeschluss zu genehmigen. Diese Kompetenzdelegation an die Bundesversammlung würde die Praxis für «Standardabkommen» gewissermassen kodifizieren und die dazu notwendige juristische Grundlage schaffen.

Der Bundesrat schlägt vor, den Ergebnissen der parlamentarischen Debatte zur ATSG-Vorlage nicht vorzugreifen, und beantragt deshalb, den vorliegenden Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Kosovo über soziale Sicherheit gemäss der bisherigen Praxis für
Standardabkommen nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen. Sollte die Bundesversammlung die vorgeschlagene Kompetenzdelegation im Rahmen der ATSG-Revision nicht genehmigen, wird der Bundesrat bei künftigen Abkommen die Unterstellung unter das fakultative Referendum empfehlen.

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BBl 2018 1607 SR 830.1

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