19.020 Botschaft zur Änderung des Zivildienstgesetzes vom 20. Februar 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Zivildienstgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. Februar 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2018-3326

2459

BBl 2019

Übersicht Das Zivildienstgesetz wird geändert, um drei problematischen Phänomenen entgegenzuwirken, die zur Gefährdung der Armeebestände beitragen: demjenigen der hohen Zahl der Zulassungen an sich, demjenigen der hohen Zahl von Armeeangehörigen, die nach bestandener Rekrutenschule aus Formationen der Armee zum Zivildienst abgehen, und demjenigen des Wechsels von Fachspezialistinnen und Fachspezialisten sowie Kadern der Armee zum Zivildienst. Dem Grundsatz, dass keine freie Wahl zwischen Militärdienst und zivilem Ersatzdienst besteht, ist Nachachtung zu verschaffen. Wer schon viele Ausbildungsdiensttage in der Armee geleistet hat, soll höheren Anforderungen an den Tatbeweis genügen.

Ausgangslage Aufgrund der Entwicklung der Zulassungszahlen beim Zivildienst und der Alimentierungssituation der Armee kann eine Gefährdung des mit der Weiterentwicklung der Armee (WEA) vorgesehenen Sollbestandes von 100 000 mittelfristig nicht ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die demografische Entwicklung sind rechtzeitig Massnahmen zur nachhaltigen Sicherung der Alimentierung der Armee und damit zur Sicherstellung der sicherheitspolitisch geforderten Leistungen zu ergreifen. Im Zivildienstrecht geht es dabei um Massnahmen zur substanziellen Senkung der Anzahl Zulassungen zum Zivildienst, insbesondere der Zulassung zum Zivildienst nach der Rekrutenschule (RS) von bereits in die Armee eingeteilten Personen. In den Jahren 2013­2018 waren dies zwischen 36 und 40 Prozent aller Zulassungen, was zwischen 2000 und 2700 Abgängen nach der RS entspricht.

Inhalt der Vorlage Die Vorlage beinhaltet die Umsetzung der folgenden acht Massnahmen: ­

Massnahme 1: Mindestanzahl von 150 Diensttagen;

­

Massnahme 2: Wartefrist von 12 Monaten;

­

Massnahme 3: Faktor 1,5 auch für Unteroffiziere und Offiziere;

­

Massnahme 4: keine Einsätze, die ein Human-, Zahn- oder Veterinärmedizinstudium erfordern;

­

Massnahme 5: keine Zulassung von Angehörigen der Armee mit 0 Restdiensttagen;

­

Massnahme 6: jährliche Einsatzpflicht ab Zulassung;

­

Massnahme 7: Pflicht, den langen Einsatz spätestens im Kalenderjahr nach der rechtskräftigen Zulassung abzuschliessen, wenn das Gesuch während der RS gestellt wird;

­

Massnahme 8: keine Einsätze im Ausland.

2460

BBl 2019

Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Der Anlass zur Änderung: drei problematische Phänomene beim Zivildienst

Drei problematische Phänomene beim Zivildienst tragen zur Gefährdung der Armeebestände bei: ­

die hohe Zahl der Zulassungen an sich (siehe nachfolgend Ziff. 1.1.1);

­

die hohe Zahl von Armeeangehörigen, die nach bestandener RS aus Formationen der Armee zum Zivildienst abgehen (siehe nachfolgend Ziff. 1.1.2);

­

der Wechsel von Fachspezialistinnen und Fachspezialisten sowie von Kadern der Armee zum Zivildienst (siehe nachfolgend Ziff. 1.1.3).

1.1.1

Zunahme der Zulassungen

Entwicklungen beim Zivildienst Der Zivildienst ist 1996 eingeführt worden und seither gewachsen.

Februar 2011 Verordnungsrevision

April 2009 Tatbeweis

4000

6205 5269

6169

5836

5757

5423

6785 4670

5000

5139

6000

6826

6720

7000

1632

1463

1441

1518

1382

1967

1651

1394

1619 96

1000

1034

960

2000

1175

3000

0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Nach Abschaffung der Gewissensprüfung stieg die Anzahl Zulassungen von 1632 (2008) auf 6720 (2009). In seiner Botschaft vom 27. Februar 2008 1 zur Änderung der Bundesgesetze über den zivilen Ersatzdienst und über die Wehrpflichtersatzabgabe ging der Bundesrat von maximal 2500 Zulassungen jährlich aus. Seit der per 1

BBl 2008 2707, hier 2754

2461

BBl 2019

1. Februar 2011 in Kraft getretenen Änderung vom 10. Dezember 20102 der Zivildienstverordnung vom 11. September 19963 (ZDV) ­ in Reaktion auf die starke Zunahme der Zulassungszahlen nach Einführung der Tatbeweislösung im Jahr 2009 ­ haben sich die Zulassungszahlen jedoch wie folgt entwickelt: Jahr

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

Zulassungen

4 670

5 139

5 423

5 757

5 836

6 169

6 785

6 205

2018 zeigt einen leichten Rückgang der Zulassungszahlen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt, und der Beobachtungszeitraum ist zu kurz, um daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung zu ziehen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der per 1. Januar 2018 vollzogene Wechsel im Ausbildungssystem von drei auf zwei RS pro Jahr zu einer momentanen Unschärfe bzw. zu einer Verschiebung von Gesuchszeitpunkten führt. Die Zulassungszahl Ende 2018 lag auf jeden Fall deutlich über 6000. Abgänge in dieser Grössenordnung können den Sollbestand der Armee gefährden.

Die Anzahl Zulassungen im Januar 2019 stieg gegenüber dem Januar 2018 um 10,7 Prozent.

Im Zeitraum 2011­2018 ist die Anzahl zivildienstpflichtiger Personen von knapp unter 27 000 auf knapp unter 50 000 und die Zahl der jährlich geleisteten Zivildiensttage von knapp unter 1,1 Millionen auf knapp unter 1,7 Millionen gestiegen.

Die Zunahme der geleisteten Diensttage fällt proportional geringer aus als die Zunahme der Anzahl Zivildienstpflichtiger. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Anzahl der zivildienstpflichtigen Personen mit Restdiensttagen zwischen 2011 und 2018 lediglich von gut 21 000 auf knapp 27 000 steigen wird. Die Zivildienstpflichtigen leisten ihre Diensttage immer rascher ab und verbleiben mit Blick auf möglichen Assistenz- oder Aktivdienst bis zur ordentlichen Entlassung zivildienstpflichtig, ohne weitere Diensttage zu generieren.

Gefährdung der Armeebestände In den Jahren 2014­2016 lag die Zahl der vorzeitig ausgeschiedenen eingeteilten Armeeangehörigen (infolge Dienstuntauglichkeit, Abgang in den Zivildienst, Wegzug ins Ausland, Tod etc.) jeweils deutlich über dem mit der Weiterentwicklung der Armee (WEA) vorgesehenen Planwert von 1,5 Prozent.

Jahr

2014/2015

2015/2016

2016/2017

2017*

Anteil der vorzeitig ausgeschiedenen eingeteilten Armeeangehörigen

2,7 %

2,87 %

2,82 %

3,11 %

* Die Werte für 2018 stehen erst mit der Armeeauszählung Ende April 2019 zur Verfügung.

2 3

AS 2011 151 SR 824.01

2462

BBl 2019

2014/15 und 2015/16 wurde zudem der Planwert WEA von jährlich 18 000 Ersteinteilungen in die Armee nicht erreicht. 2016/17 und 2017/18 wurde der Planwert knapp erreicht.

Jahr

2014/2015

2015/2016

2016/2017

2017/2018

2018/2019

Anzahl Ersteinteilungen in die Armee

17 561

17 499

18 276

18 512

17 100*

* Bei Redaktionsschluss der vorliegenden Botschaft lagen die definitiven Zahlen für 2018/19 noch nicht vor. Dies, weil die Daten aller Rekruten- und Kaderschulen erst seit Sommer 2018 nach dem neuen Ausbildungssystem erhoben werden. Eine vollständige Auswertung wird erst im Frühjahr 2019 vorliegen. Die Zahl 17 100 dürfte sich noch leicht nach oben korrigieren.

In seiner Antwort vom 24. Mai 2017 auf die Interpellation Fricker vom 17. März 2017 (17.3238 «Gefährdung der Bestände der Armee durch den Zivildienst») schliesst der Bundesrat mittelfristig (Zeitraum von fünf Jahren nach Umsetzung WEA) eine Gefährdung des Sollbestandes der WEA von 100 000 nicht aus, sollte die tatsächliche jährliche Alimentierungssituation von den vorgenannten Planwerten wesentlich abweichen.

Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) haben je in ihrem Kompetenzbereich bereits Verbesserungsmassnahmen ergriffen, indem sie einzelne Empfehlungen der Studiengruppe Dienstpflichtsystem umsetzen. In der Regel dauert es mehrere Jahre, bis sich Massnahmen auf den Personalkörper der Milizarmee auswirken.

Vor diesem Hintergrund, mit Blick auf die demografische Entwicklung und wegen der Entwicklung der Zulassungen zum Zivildienst will der Bundesrat weitere Massnahmen einleiten, um die Alimentierung der Armee nachhaltig zu sichern, damit die sicherheitspolitisch geforderten Leistungen erbracht werden können.

1.1.2

Hohe Zahl an Zulassungen von Eingeteilten

Von den 2017 total 6785 zum Zivildienst Zugelassenen hatten 45,7 Prozent ihr Zulassungsgesuch vor der Rekrutenschule (RS) eingereicht, 14 Prozent, nachdem sie die RS begonnen hatten, und 40,4 Prozent, nachdem sie die RS bestanden hatten und damit in die Armee eingeteilt worden waren. Die Verteilung per Ende 2018 zeigt eine leichte Verschiebung der Prozentanteile: 49 Prozent hatten das Gesuch vor der RS eingereicht, 15 Prozent nach Beginn der RS und 36 Prozent, nachdem sie die RS bestanden hatten. Die Gründe dieser leichten Verschiebung sind nicht bekannt. Es ist nicht auszuschliessen, dass auch diese Verschiebung mit dem oben beschriebenen Wechsel des Ausbildungssystems in Verbindung steht. Eine gesicherte Prognose der weiteren Entwicklung vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung ist jedoch nicht möglich.

Berücksichtigt man von den 40,4 Prozent (2738) der Armeeangehörigen, welche ihr Zulassungsgesuch 2017 nach bestandener RS eingereicht hatten, nur die Grade 2463

BBl 2019

Soldat und Gefreiter sowie die aktuellen WK-Modelle, ergibt sich folgendes Bild: Rund 75 Prozent der Armeeangehörigen wurden im Zeitraum zwischen Abschluss der RS und nach Abschluss des zweiten WK zugelassen, rund 50 Prozent zwischen dem Abschluss des ersten WK und nach Abschluss des zweiten WK.

Geht man anstelle der absolvierten WK von der Anzahl Militärdiensttage aus (unter Berücksichtigung aller militärischen Grade und Dienstmodelle), dann zeigt sich folgendes Bild: Zum Zeitpunkt der Zulassung hatten im Jahr 2017 6 Prozent der Armeeangehörigen weniger als 124 Armeediensttage geleistet, 56 Prozent zwischen 124 und 164 Diensttage und 38 Prozent mehr als 164 Diensttage.

Zwar ist das oben genannte Verhältnis der Verteilung der Zulassungen zum Zivildienst nach Zeitpunkt der Gesuchseinreichung seit Jahren relativ stabil. In absoluten Zahlen ist die Zunahme jedoch deutlich.

Jahr

vor RS

Anzahl eingereichter Zulassungsgesuche

während RS

nach RS

Total Zulassungsgesuche

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2 488

2 789

2 669

2 872

3 098

3 037

46 %

48 %

46 %

47 %

46 %

49 %

874

808

903

926

949

904

16 %

14 %

15 %

15 %

14 %

15 %

2 061

2 160

2 264

2 371

2 738

2 264

38 %

38 %

39 %

38 %

40 %

36 %

5 423

5 757

5 836

6 169

6 785

6 205

Diese Entwicklung, insbesondere die Zulassungen nach bestandener RS und erfolgter Einteilung in die Armee, beeinflusst den geordneten Ausbildungsbetrieb der Armee. Sie können aber vor allem die Alimentierung und damit die Sollbestände der Armee gefährden. Zeit- und kostenintensiv ausgebildete Soldaten stehen den Formationen und damit der Erfüllung des politisch geforderten Leistungsprofils der Armee nicht mehr zur Verfügung. Die Zahlen für 2018 zeigen zwar einen deutlichen Rückgang der Gesuche nach bestandener RS. Der Beobachtungszeitraum ist aber zu kurz, als dass von einer Trendwende gesprochen werden könnte.

1.1.3

Wechsel von Fachspezialistinnen und Fachspezialisten sowie von Kadern der Armee in den Zivildienst

2017 wurden 401 Unteroffiziere und 88 Offiziere zum Zivildienst zugelassen, 2018 waren es bis Oktober 306 Unteroffiziere und 44 Offiziere.

2464

BBl 2019

Die Verteilung auf die einzelnen Dienstgrade sieht folgendermassen aus: Anzahl Zulassungen zum Zivildienst

Dienstgrad

Jahr 2017

Jahr 2018*

Korporal

34

14

Wachtmeister

305

236

Oberwachtmeister

0

2

Feldweibel

26

5

Fourier

36

33

Hauptfeldweibel

0

16

Leutnant

37

18

Oberleutnant

43

21

Hauptmann

7

4

Major

1

1

Total

489

350

* Zahlen bis Oktober.

Grundsätzlich problematisch ist, dass aufgrund solcher Wechsel den Armeeformationen zeit- und kostenintensiv vermitteltes Führungs- oder Fachwissen und -können verloren geht. Solches kann im Zivildiensteinsatz bestenfalls indirekt und insgesamt wohl nur ausnahmsweise einen Mehrwert für die Gesellschaft generieren, weil Zivildienstpflichtige in ihren Einsätzen nur ausnahmsweise Führungsaufgaben wahrnehmen oder militärisch erworbenes Fachwissen anwenden.

Gemäss Angaben des Oberfeldarztes fehlten der Armee 2017 insbesondere über 270 Ärzte in der Truppe, in den Stäben und in den Rekrutierungszentren.

Bei den Kadern der Armee spitzt sich die Alimentierungssituation weiter zu. Die Sollbestände der Offiziere werden gesamthaft noch zu 100 Prozent erreicht, diejenigen der Unteroffiziere zu 102 Prozent. Bei den Offizieren fehlen jedoch Hauptleute und Stabsoffiziere; ihre Alimentierung beträgt nur noch 84 Prozent.4

4

Armeeauszählung 2016 ­ Kurzfassung, August 2016, Personelles der Armee, FST A, S. 7; abrufbar unter: www.vtg.admin.ch > Media > Publikationen > Kurzfassung der Armeeauszählung 2016.

2465

BBl 2019

1.1.4

Zu erwägende neue Unsicherheiten und daraus resultierender Handlungsbedarf

Mit Blick auf die Entwicklung der Alimentierungssituation der Armee seit 2014 (Gutheissung durch den Bundesrat des dritten Berichts5 zu den Auswirkungen der Tatbeweislösung) und die Unsicherheit, in welche Richtung sich der Trend bezüglich der Erreichung der Planwerte der WEA bewegen wird, schliesst heute der Bundesrat mittelfristig eine Gefährdung des Sollbestandes der WEA nicht aus. Dass die sicherheitspolitisch geforderte Leistungsfähigkeit der Armee durch rechtzeitige und zweckmässige Massnahmen nachhaltig sichergestellt wird, liegt im öffentlichen Interesse.

Der Zivildienst ist einer der Faktoren, die Auswirkungen auf den Armeebestand haben. Vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse zur Alimentierungssituation der Armee sind daher auch die seit 2014 erfolgten und die erwarteten weiteren Entwicklungen beim Zivildienst in neuem Lichte zu betrachten und dem vorerwähnten öffentlichen Interesse dienende zweckmässige Massnahmen beim Zivildienst zu treffen. Eine Änderung des Zivildienstgesetzes vom 6. Oktober 19956 (ZDG) drängt sich daher auf.

1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

In der Diskussion zur Entwicklung der Zulassungen zum Zivildienst, inklusive im Verhältnis zur Alimentierungssituation der Armee, wurden in der Vergangenheit ­ teilweise wiederholt ­ auch andere Massnahmen zur Reduktion der Attraktivität des Zivildienstes politisch gefordert und diskutiert. Im zweiten Bericht7 zu den Auswirkungen der Tatbeweislösung hat der Bundesrat vier alternative Vorgehensweisen geprüft und ­ teilweise auch mit Blick auf das Erfordernis einer genügenden Anzahl Einsatzbetriebe und Einsatzplätze ­ als untauglich verworfen: Erschwernisse im Vollzug, um die Attraktivität des Zivildienstes weiter zu senken (beispielsweise: Verbot des Übernachtens zuhause; Verlängerung der Arbeitszeit pro Tag; zusätzliche Verlängerung der minimalen Einsatzdauer; Streichen der Pflicht der Zivildienstpflichtigen, selbst Einsatzplätze vorzuschlagen; Verbot von Auslandeinsätzen; Verpflichtung zu harter körperlicher Arbeit); generelle Erhöhung des Faktors zur Berechnung der Dauer des Zivildienstes; vollständige oder teilweise Umsetzung der parlamentarischen Initiative Engelberger vom 16. Dezember 2010 (10.528 «Stopp dem Jekami im Zivildienst»); Wiedereinführung der «Gewissensprüfung». In seinem Bericht zuhanden der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates vom 20. Januar 20158 zu Varianten zu Artikel 16 Absatz 2 ZDG und deren Bewertung kam das WBF zum Schluss, dass bei allen Varianten der Einschränkung des Rechts 5 6 7 8

Der Bericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > 25.06.2014 («Zivildienst: Keine Gefährdung der Armeebestände»).

SR 824.0 Der Bericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > 27.06.2012 («Zulassungen zum Zivildienst: Vorläufig keine zusätzlichen Massnahmen»).

Der Bericht ist abrufbar unter: www.zivi.admin.ch > Infothek > Publikationen > Studien und Berichte («Bericht über mögliche Zeitpunkte der Gesuchseinreichung»).

2466

BBl 2019

von Militärdienstpflichtigen, jederzeit ein Gesuch um Zulassung zum Zivildienst einreichen zu können, die Nachteile einer Einschränkung deutlich überwiegen.

Mit Ausnahme des Verbots von Auslandeinsätzen erweisen sich auch zum jetzigen Zeitpunkt die oben genannten alternativen Massnahmen weiterhin nicht als zielführend, sodass der Bundesrat bewusst darauf verzichtet, sie in diese Vorlage aufzunehmen. Dies gilt namentlich für die Wiedereinführung der Gewissensprüfung, die Zuweisung der Zivildienstpflichtigen zu bezeichneten Einsatzplätzen durch die Verwaltung und die Einschränkung des jederzeitigen Rechts zur Einreichung eines Gesuchs um Zulassung zum Zivildienst.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 27. Januar 20169 zur Legislaturplanung 2015­2019 noch im Bundesbeschluss vom 14. Juni 201610 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt.

Eine mittelbar nicht auszuschliessende Gefährdung der Alimentierung der Armee nach den Planwerten der WEA auch aufgrund der anhaltenden Abgänge von Angehörigen der Armee in den Zivildienst führt jedoch zu dringendem Handlungsbedarf.

Mit den vorgeschlagenen acht Massnahmen wird seitens des Zivildiensts ein wesentlicher und unerlässlicher Beitrag zur nachhaltigen Sicherung des Armeebestandes geleistet.

2

Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Mit Bundesratsbeschluss vom 15. November 2017 wurde das WBF beauftragt, eine Vernehmlassungsvorlage zur Änderung des ZDG auszuarbeiten mit dem Ziel, die Zulassungszahlen beim Zivildienst mit sieben Massnahmen substanziell zu senken.

Die dem Bundesrat unterbreitete Vernehmlassungsvorlage beinhaltete die Umsetzung der sieben Massnahmen wie folgt:

9 10

­

Massnahme 1: Alle zum Zivildienst zugelassenen Personen, die gemäss Faktor 1,5 weniger als 150 Zivildiensttage leisten müssten und ihre Ausbildungsdienstpflicht in der Armee nicht vollständig erfüllt haben, leisten 150 Tage.

­

Massnahme 2: Für eingeteilte Angehörige der Armee (RS bestanden) gilt eine Wartefrist von 12 Monaten zwischen Gesuchseinreichung und Zulassung mit Pflicht, weiter Militärdienst zu leisten.

­

Massnahme 3: Der Faktor von 1,5 gilt auch für zivildienstpflichtige Personen, die in der Armee höhere Unteroffiziere oder Offiziere (aktuell Faktor BBl 2016 1105 BBl 2016 5183

2467

BBl 2019

1,1) waren, und für Spezialfälle (insb. frühere Fachoffiziere und Kader, die den praktischen Dienst noch nicht geleistet haben; aktuell Faktor 1,1­1,5).

­

Massnahme 4: Mediziner dürfen ihre Zivildiensttage nicht mehr auf Pflichtenheften für Mediziner leisten.

­

Massnahme 5: Angehörige der Armee, die bereits alle Ausbildungsdiensttage geleistet haben, werden nicht zum Zivildienst zugelassen. Damit wird verhindert, dass sie sich einen raschen Vorteil verschaffen können, indem sie sich der Schiesspflicht entziehen, die im Hinblick auf Assistenz- und Aktivdiensteinsätze bis zum Ende des Jahres vor der Entlassung aus der Militärdienstpflicht gilt.

­

Massnahme 6: Zum Zivildienst zugelassene Personen müssen ab dem Kalenderjahr nach der Zulassung jährlich einen Einsatz leisten.

­

Massnahme 7: Wer sein Gesuch aus der RS gestellt hat, schliesst den langen Einsatz von sechs Monaten (180 Tage) spätestens im Kalenderjahr, das der rechtskräftigen Zulassung folgt, ab (heute: drei Jahre).

Mit Beschluss vom 20. Juni 2018 schickte der Bundesrat diese Vorlage in die Vernehmlassung. Das Vernehmlassungsverfahren dauerte bis zum 11. Oktober 2018.

Es gingen 205 Stellungnahmen ein: ­

24 von den Kantonen;

­

9 von politischen Parteien;

­

2 von Dachverbänden der Wirtschaft;

­

2 von Dachverbänden der Gemeinden, Städte und Berggebiete;

­

24 von individuell eingeladenen interessierten Organisationen;

­

18 von nicht individuell eingeladenen interessierten Organisationen;

­

122 von Einsatzbetrieben;

­

4 von Privatpersonen.

2.2

Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Auch wenn divergierende Meinungen geäussert wurden und das Revisionsvorhaben polarisiert, wurde doch im wichtigsten Punkt eine klare Stossrichtung, insbesondere bei 24 Kantonen, erkennbar: Es besteht Handlungsbedarf im Zivildienstrecht und der eingeschlagene Weg (Umsetzung der sieben Massnahmen) soll fortgesetzt werden.

Unter Berücksichtigung des Gewichts der einzelnen Vernehmlassungsteilnehmenden sollen im Folgenden die wesentlichen Kernaussagen und Positionen11 bewertet und die Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen gezogen werden:

11

Der Ergebnisbericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > WBF.

2468

BBl 2019

Nebst den Kantonen bejahen auch vier Parteien (FDP, CVP, SVP, EDU), die Regierungskonferenz Militär, Bevölkerungsschutz und Feuerwehr (RK MZF) sowie einzelne Verbände (u. a. Gewerbeverband, Schweizerische Offiziersgesellschaft [SOG], Landeskonferenz der militärischen Dachverbände) den Handlungsbedarf beim Zivildienst klar.

Alle sieben Massnahmen werden unterstützt durch FDP, CVP, SVP, EDU sowie 19 Kantone.

Allerdings gehen die vorgeschlagenen Massnahmen vielen der erwähnten Vernehmlassungsteilnehmenden, die einen Handlungsbedarf bestätigt haben, nicht genügend weit (so FDP, CVP, SVP, 18 Kantone, RK MZF, SOG). Teilweise stellen sie auch die Wirksamkeit der Massnahmen in Frage.

Demgegenüber lehnen SPS, GPS, BDP, glp, EVP, drei Kantone (GR, ZG, NW) sowie verschiedene Verbände (inkl. Städteverband, Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände, H+ Dachverband Spitäler, Evangelischer Kirchenbund, Insieme) und grossmehrheitlich die Einsatzbetriebe die Vorlage ab. Ausser diesen drei Kantonen sehen sie ­ aus unterschiedlichen Gründen ­ keinen Handlungsbedarf beim Zivildienst. Im Wesentlichen wird gegen die Vorlage bzw. einzelne Massnahmen wie folgt argumentiert: Völkerrechts- und Verfassungswidrigkeit (wegen Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots, Willkürverbots und Verhältnismässigkeitsprinzips, insbesondere in Bezug auf die Massnahmen 1 und 2), fehlendes öffentliches Interesse und Widerspruch zu bisherigen Berichten des Bundesrats, keine Gefährdung der Alimentierung der Armee, Handlungsbedarf einzig bei der Armee, fehlende Gesamtsicht auf das Dienstpflichtsystem, «blauer Weg» solle nicht gefördert werden, gesellschaftlicher Bedarf an Zivildienstleistungen, finanzieller Mehraufwand bei Kantonen und Gemeinden durch Rückgang der Anzahl Zivildienstpflichtiger.

Während Massnahme 1 einigen Vernehmlassungsteilnehmenden als besonders gerechtfertigt erscheint, wird als Gegenargument insbesondere der zu hohe Faktor geltend gemacht, der mit der Massnahme einhergehe und dieser ­ nach Ansicht der SPS ­ Strafcharakter verleihe. Die vorgebrachte Kritik setzt sich allerdings in keiner Weise damit auseinander, dass Militärdienstpflichtige, die einen Gewissenskonflikt geltend machen, nachdem sie einen wesentlichen Teil der Militärdienstpflicht bereits geleistet haben, inskünftig akzeptieren sollen, dass höhere Anforderungen
­ in Form einer Mindestanzahl von zu leistenden Zivildiensttagen ­ an die Erbringungen des Tatbeweises gestellt werden.

Die mit Massnahme 2 vorgeschlagene Wartefrist von zwölf Monaten bis zur Behandlung des Gesuchs ermöglicht es der Armee, mit der gesuchstellenden Person das Gespräch zu suchen und eine für beide Seiten geeignete Lösung innerhalb der Armee anzustreben. Denn der Abgang von bereits in die Armee Eingeteilten trifft den Steuerzahler und den Ausbildungsbetrieb der Armee besonders empfindlich, wenn zuvor kosten- und zeitintensive Fach- und Kaderausbildung geleistet wurde.

Auch in Bezug auf dieses Phänomen enthält die von den Vernehmlassungsteilnehmenden zu Massnahme 2 vorgebrachte Kritik keine Darlegungen. Die Massnahmen 1 und 2 zielen darauf ab, die Anzahl Abgänge von eingeteilten Angehörigen der Armee in den Zivildienst zu verringern. Eine Ungleichbehandlung nach Zeitpunkt der Zulassung zum Zivildienst ist bei beiden Massnahmen gewollt (vgl. Ziff. 7.1.2) 2469

BBl 2019

und erscheint dem Bundesrat gerade gemessen am Verhältnismässigkeitsprinzip (Verhältnismässigkeit im engeren Sinne, inklusive Verbot, den Zivildienst als Bestrafung auszugestalten) als vertretbar. Er erachtet die vorgebrachte Kritik nicht als stichhaltig und hält an den Massnahmen 1 und 2 fest, auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der diese Massnahmen befürwortenden Vernehmlassungsteilnehmenden (u. a. überwiegende Mehrheit der Kantone, RK MZF, CVP, FDP, SVP, EDU).

Die Kritik an den übrigen Massnahmen und die damit verbundene Einschätzung, dass kein Handlungsbedarf für eine Revision des ZDG bestehe, lässt ausser Acht, dass die vorgeschlagenen Massnahmen sich am seit je im ZDG verankerten Grundsatz orientieren, dass es keine Wahlfreiheit zwischen Militär- und Zivildienst gibt.

Der Zivildienst ist ein ziviler Ersatzdienst für Militärdienstpflichtige mit einem Gewissenskonflikt. Die vorgeschlagenen Massnahmen ändern daran nichts, bleibt doch bei allen sieben Massnahmen das verfassungsmässige Recht, Zivildienst zu leisten, vollumfänglich bestehen. Dass der Zivildienst damit das Problem der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen löst, soll allerdings nicht durch überschiessende Massnahmen gefährdet werden. Die sieben Massnahmen setzen bei den erkannten Problemen beim Übertritt in den Zivildienst an und sind wirkungsorientiert.

Aufgrund der Forderungen der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden nach weiteren Massnahmen wird zwar mit dem von der SVP, acht Kantonen (BE, SZ, NW, GL, FR, AI, GR, TI), der RK MZF, dem Schweizerischen Unteroffiziersverband, der Gruppe GIARDINO und der Arbeitsgemeinschaft für eine wirksame und friedenssichernde Milizarmee verlangten Verbot der Auslandeinsätze eine achte Massnahme in die Vorlage aufgenommen.

Im Übrigen gilt es nach Ansicht des Bundesrats jedoch Augenmass zu bewahren, auch zur Vermeidung von Abgängen auf dem «blauen Weg». Zusätzliche Verschärfungen sind nach Ansicht des Bundesrats zum heutigen Zeitpunkt auch nicht erforderlich und erscheinen mit Blick auf die erwähnte, nicht zu vernachlässigende Kritik der Vernehmlassungsteilnehmenden nicht als angebracht.

Soweit von einigen Vernehmlassungsteilnehmenden der gesellschaftliche Bedarf an Zivildienstleistungen betont bzw. auf einen finanziellen Mehraufwand bei den Kantonen und Gemeinden durch
einen Rückgang der Anzahl Zivildienstleistender hingewiesen wurde, hält der Bundesrat mit aller Klarheit fest: Der Zivildienst hat ­ im Gegensatz zu Armee und Zivilschutz, die als Ersteinsatzorganisationen ihre Aufträge jederzeit und vollständig erfüllen müssen ­ keinen definierten Bestand. Der gesellschaftliche Bedarf an Zivildienstleistungen ist denn auch kein Kriterium für den Zulassungsentscheid und damit für die Anzahl zivildienstpflichtiger Personen.

Mit anderen Worten: Mit wie vielen Zivildienstpflichtigen der Zivildienst seinen Grundauftrag erfüllt, zivile Arbeitsleistungen im öffentlichen Interesse zu erbringen, ergibt sich allein daraus, wie viele gesuchstellende Personen die Zulassungskriterien erfüllen. Zugelassen wird, wer im Gesuch einen Gewissenskonflikt geltend macht und bereit ist, einen gegenüber dem Militärdienst deutlich länger dauernden Zivildienst nach den gesetzlichen Regeln zu leisten (Tatbeweislösung).

2470

BBl 2019

Zur von einigen Vernehmlassungsteilnehmenden bemängelten fehlenden Gesamtsicht auf das Dienstpflichtsystem ist festzuhalten, dass der Bundesrat eine Studiengruppe Dienstpflichtsystem eingesetzt und deren Bericht mit einer aktuellen Gesamtsicht im Sommer 201612 zur Kenntnis genommen hat. Mit Beschluss vom 28. Juni 2017 ordnete der Bundesrat an, bis Ende 2020 eine Analyse der Alimentierungssituation von Armee und Zivilschutz zu erstellen. Aufgrund dieser Analyse wird der Bundesrat entscheiden können, ob über die vorliegende ZDG-Revision hinausgehende Anpassungen am Dienstpflichtsystem notwendig werden und vorgeschlagen werden sollen. Die Arbeiten dazu laufen unter der Federführung des VBS.

Im Weiteren ist eine Revision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes vom 4. Oktober 200213 (BZG) im Gang; die Vernehmlassung wurde 2018 abgeschlossen und der Entwurf zur Beratung an das Parlament überwiesen. Angesichts dieses strukturierten und etappierten Vorgehens kann keine Rede von einer fehlenden Gesamtsicht sein und an der raschen Umsetzung der Teilrevision des ZDG ist nach Ansicht des Bundesrats festzuhalten. Sie steht den Überlegungen zu einer möglichen Weiterentwicklung eines neuen Dienstpflichtsystems nicht im Wege.

Der Bundesrat hält somit trotz der erwähnten Kritik an den vorgeschlagenen sieben Massnahmen fest und nimmt im Sinne der Forderungen nach zusätzlichen Massnahmen eine achte Massnahme (vgl. Ziff. 4.1) in die Vorlage auf. Dem Grundsatz, dass keine freie Wahl zwischen Militärdienst und zivilem Ersatzdienst besteht, ist mit Blick auf die Realität des Zivildienstvollzugs entschieden Nachachtung zu verschaffen. Der Bundesrat stuft das öffentliche Interesse an einer bedarfsgerechten Alimentierung der Armee zur Sicherstellung ihres Auftrags als hoch ein ­ höher als das Interesse von Militärdienstpflichtigen an möglichst attraktiven Modalitäten beim Wechsel vom Militär- in den Zivildienst. Damit berücksichtigt er auch die Anliegen der erwähnten Vernehmlassungsteilnehmenden, insbesondere der Kantone, die einen Handlungsbedarf bestätigt haben.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Von den grösseren Nachbarn der Schweiz kennt einzig noch Österreich die Wehrpflicht und verfügt über einen Zivildienst, der als Vergleich herbeigezogen werden kann. Deutschland, Frankreich und Italien haben die allgemeine Wehrpflicht in den 2000er Jahren ausgesetzt oder abgeschafft.

In Österreich kann nur Zivildienst leisten, wer für den Militärdienst tauglich befunden wurde. Voraussetzung für die Zulassung zum Zivildienst ist zudem eine Erklärung, in der in allgemeiner Form Gewissensgründe gegen das Leisten von Militärdienst geltend gemacht werden. Diesbezüglich ist das System in Österreich demjenigen in der Schweiz ähnlich. Der Zivildienst dauert in Österreich 9 Monate und ist an einem Stück zu leisten (zum Vergleich: Der Militärdienst dauert 6 Mona12

13

Der Bericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > 06.07.2016 («Die Zukunft der Dienstpflicht: Bundesrat nimmt den Bericht der Studiengruppe zur Kenntnis»).

SR 520.1; E-BZG: BBl 2019 521 und 601

2471

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te, der daraus resultierende Faktor 1,5 im Verhältnis zur Militärdienstdauer entspricht demjenigen in der Schweiz.). Unterschiede zwischen den beiden Ländern bestehen insbesondere beim Vollzug des Zivildienstes. Die Tätigkeitsbereiche für Zivildienstleistende in Österreich sind mit denjenigen in der Schweiz vergleichbar.

Eine Ausnahme stellt das Rettungswesen (Begleitung von Ambulanzen etc.) dar, das in der Schweiz kein eigener Tätigkeitsbereich für Zivildienstleistende ist. In Österreich wurden im Jahr 2016 im Rettungswesen gut 40 Prozent aller Einsätze geleistet.

Es ist damit der grösste Tätigkeitsbereich des österreichischen Zivildienstes. Unterschiede zwischen den beiden Ländern gibt es auch bei der Anzahl Zulassungen zum Zivildienst. Im Jahr 2016 gab es rund 15 000 «Feststellungen der Zivildienstpflicht» in Österreich (entspricht den Zulassungen zum Zivildienst), in der Schweiz waren es im selben Jahr 6169.

Anders als in der Schweiz werden in Österreich sinkende Zahlen bei den Zulassungen von Zivildienstleistenden beklagt. Begründet werden die niedrigeren Zahlen mit geburtenschwachen Jahrgängen.

Die Bedingungen und Regelungen in den umliegenden europäischen Ländern zum Zivildienst unterscheiden sich damit stark von denjenigen in der Schweiz. Insbesondere gibt es keine Regelungen, die auf die Senkung der Attraktivität eines Zivildienstes abzielen würden, wie sie in dieser Vorlage vorgeschlagen werden. Deshalb können aus den besprochenen Beispielen keine Schlussfolgerungen für die Schweiz gezogen werden.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

Die Vorlage beinhaltet die mit Bundesratsbeschluss vom 15. November 2017 angeordnete Umsetzung der sieben Massnahmen (vgl. Ziff. 2.1). Zusätzlich enthält sie eine aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse aufgenommene achte Massnahme (keine Einsätze im Ausland) wie folgt: ­

Das «Auslandverbot» beinhaltet auch die Begleitung durch Zivildienstleistende von Lagern und Exkursionen ins Ausland von betreuungsbedürftigen Personen in Schweizer Sozial- und Pflegeinstitutionen.

­

Der Tätigkeitsbereich «Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe» (Art. 4 Abs. 1 Bst. g ZDG) wird in diesem Zusammenhang nicht gestrichen, denn Zivildienstpflichtige werden weiterhin in der Schweiz in diesbezüglichen Projekten eingesetzt.

­

Im Tätigkeitsbereich «Katastrophen und Notlagen» (Art. 4 Abs. 1 Bst. h ZDG) könnten Zivildienstleistende im Bewältigungsszenario und allenfalls auch im Regenerationsszenario weiterhin in unmittelbarer Grenznähe im Ausland eingesetzt werden (z. B. Einsätze beidseitig des Rheins bei Hochwasserkatastrophen), sofern dies von den zuständigen Behörden und Einsatzorganisationen angefordert wird und mit diesen koordiniert ist (vgl.

Art. 7a Abs. 2 ZDG).

2472

BBl 2019

4.1.1

Massnahmen 1 und 2

Diese beiden Massnahmen sind geeignet, die Abgänge ausgebildeter Angehöriger der Armee aus den Formationen substanziell zu reduzieren.

Massnahme 1: Mindestanzahl von 150 Diensttagen Die mit Massnahme 1 vorgesehene Belastung durch die insgesamt zu leistenden Diensttage (in Armee und anschliessend im Zivildienst) steigt in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Wechsels zum Zivildienst an. Der einzelne Dienstpflichtige wird mit fortschreitender Leistung der Militärdienstpflicht seine Beweggründe und seinen Entscheid zum Wechsel umso sorgfältiger erwägen, auch vor dem Hintergrund von dessen Auswirkungen auf sein privates und berufliches Umfeld. Die Mindestanzahl von 150 Zivildiensttagen ist erforderlich, damit eine Wirkung bereits ab dem ersten WK eintritt. Der Faktor 1,5 (Dauer des Zivildienstes im Vergleich zum Militärdienst) steigt in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Wechsels zum Zivildienst auf maximal 37,5 an.

Massnahme 2: Wartefrist von 12 Monaten Die mit Massnahme 2 vorgesehene Wartefrist von 12 Monaten ist erforderlich, um armeeseitig individuelle Massnahmen zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen, die es dem betroffenen Armeeangehörigen ermöglichen sollen, weiterhin Militärdienst zu leisten.

4.1.2

Massnahmen 3 und 4

Bei diesen beiden Massnahmen steht der Zweck, Abgänge von Qualifizierten zu reduzieren, im Vordergrund. Diese Massnahmen sollen die Abgänge von Kadern sowie von Fachspezialistinnen und Fachspezialisten aus der Armee zum Zivildienst reduzieren.

Massnahme 3: Faktor 1,5 auch für Unteroffiziere und Offiziere Mit Massnahme 3 tritt an die Stelle des bisherigen, auf das Individuum gerichteten Fokus, wonach bei Offizieren und Unteroffizieren die höhere Zahl bereits geleisteter und noch zu leistender Militärdiensttage berücksichtigt wird, eine Neuregelung zugunsten des Bedarfs der Armee (nämlich aus dem erbrachten Ausbildungsaufwand einen tatsächlichen Mehrwert im Ausbildungsbetrieb und gegebenenfalls im Einsatz zu erzielen). Die geltende Differenzierung des Faktors zugunsten der Kader hat sich vor dem Hintergrund des Verlusts der Armee an Dienstleistenden in Funktionen mit erhöhten Anforderungen nicht bewährt und kann nur durch ein entsprechend gewichtigeres Eingriffsmittel korrigiert werden.

Massnahme 4: keine Einsätze, die ein begonnenes oder abgeschlossenes Human-, Zahn- oder Veterinärstudium erfordern Schon nach bisherigem ZDG sind Einsätze, die primär privaten Zwecken der zivildienstpflichtigen Person, insbesondere der Aus- oder Weiterbildung, dienen, nicht 2473

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erlaubt (Art. 4a Bst. d ZDG). Selbst bei Anwendung dieser Bestimmung ist es möglich, dass die Weiterbildung und Erfahrung von Personen, die ein Human-, Zahn- oder Veterinärstudium begonnen oder abgeschlossen haben und in ihrem angestammten Berufsfeld einen Einsatz leisten, de facto positiv beeinflusst wird.

Um dies zu unterbinden, leisten die betreffenden Personen auf anderen Pflichtenheften Zivildienst. Darauf zielt Massnahme 4 ab.

4.1.3

Massnahmen 5, 6, 7 und 8

Diese vier Massnahmen bezwecken die verstärkte Beachtung des Grundsatzes der Gleichwertigkeit von Militärdienst und Zivildienst. Sie sind geeignet, die Attraktivität des Zivildienstes gezielt zu senken und der Gleichwertigkeit der Diensterfüllung in Armee und Zivildienst besser Nachachtung zu verschaffen.

Massnahme 5: keine Zulassung von Angehörigen der Armee mit 0 Restdiensttagen Angehörige der Armee, die nach bisherigem Recht mit 0 Restdiensttagen in der Armee zum Zivildienst zugelassen werden, stehen der Armee für Assistenz- und Aktivdienst nicht mehr zur Verfügung, erbringen jedoch im Zivildienst in der ordentlichen Lage de facto keinen Tatbeweis. Im Vergleich zu anderen Armeeangehörigen mit 0 Restausbildungsdiensttagen, die zu Assistenz- und Aktivdienst aufgeboten werden können, erzielen sie einen nicht gewünschten, raschen und konkreten Vorteil dadurch, dass sie nicht mehr schiesspflichtig sind. Ein Ausschluss der Zulassung ist mit den aktuellen Zulassungsvoraussetzungen des Zivildienstes (insbesondere Deklaration eines Gewissenskonflikts und Bereitschaft, den Zivildienst nach Gesetz zu leisten) vereinbar und zur Verhinderung einer unerwünschten Besserstellung gegenüber anderen Militärdienstpflichtigen mit Schiesspflicht erforderlich. Im Falle von Assistenz- oder Aktivdienst der Armee muss das verfassungsmässige Recht, zivilen Ersatzdienst zu leisten, jedoch unangetastet bleiben, was mit einer Präzisierung des Grundsatzartikels (Art. 1 ZDG) sichergestellt wird.

Massnahme 6: jährliche Einsatzpflicht ab Zulassung Mit der jährlichen Einsatzpflicht ab dem Kalenderjahr nach der Zulassung erfolgt eine Angleichung an den Dienstleistungsrhythmus der Militärdienstpflichtigen in der Armee und damit eine Reduktion der Attraktivität des Zivildienstes. Die Gleichwertigkeit der Dienstleistungen wird dadurch gestärkt, dass diese grundsätzlich in der gleichen Lebensphase erbracht werden (der Hauptteil der Dienstleistung wird in der Regel im Alter zwischen 20 und 25 Jahren erbracht).

Massnahme 7: Pflicht, den langen Einsatz spätestens im Kalenderjahr nach der rechtskräftigen Zulassung abzuschliessen, wenn das Gesuch während der RS gestellt wird Eine Angleichung zwischen Dienstleistung in der Armee und im Zivildienst erfolgt auch insofern, als berücksichtigt werden soll, dass Rekruten, die aus der RS
vorzeitig entlassen werden, in der Regel in die nächstfolgende RS, jedenfalls aber in eine RS in naher Zukunft, aufgeboten werden. Die bisherige Regelung beim Zivildienst, 2474

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wonach eine zugelassene Person ohne bestandene RS den langen Dienst innerhalb von drei Jahren nach der Zulassung leisten muss, verschafft dieser im Vergleich zum Rekruten eine unerwünschte Besserstellung. Erforderlich ist eine Massnahme, die im Sinne der Regelung der Leistung der RS korrigierend eingreift.

Massnahme 8: keine Einsätze im Ausland Mit dieser Massnahme soll inskünftig vermieden werden, dass Zivildienstpflichtige gegenüber Militärdienstpflichtigen privilegiert werden, sind doch in der Armee auch keine Auslandeinsätze möglich, die selbstständig organisiert werden könnten. Insofern dient diese Massnahme der gezielten Senkung der Attraktivität des Zivildienstes.

4.2

Erwartete Effekte der acht Massnahmen

Eine verbindliche quantitative Aussage zum Umfang der Senkung der Anzahl Zulassungen zum Zivildienst ist nicht möglich. Aufgrund der Stossrichtung der Massnahmen 1 und 2 erhofft sich der Bundesrat einen substanziellen Rückgang bei den Wechseln von ausgebildeten Soldaten nach bestandener RS und erfolgter Einteilung in die Armee. Eine teilweise Verlagerung zu Zulassungen von nicht ausgebildeten Rekruten vor oder während der RS kann nicht ausgeschlossen werden. Zu beachten bleibt zudem, dass der Zivildienst einer der Faktoren ist, die Auswirkungen auf den Armeebestand haben. Es kann daher nicht erwartet werden, dass die Abgänge aus der Armee linear zur Senkung der Anzahl der Zulassungen zum Zivildienst abnehmen.

4.3

Umsetzungsfragen

Die Umsetzung der geplanten Gesetzesänderung ist ab Mai 2020 vorgesehen. Die Phase bis zum Inkrafttreten soll so kurz wie möglich gehalten werden, ist doch im Vorfeld der Umsetzung mit einer markanten Zunahme der Anzahl Zulassungen zu rechnen.

Verantwortlich für die Umsetzung bleibt der Bund mit dem Bundesamt für Zivildienst im WBF.

Das ZDG ist als Rahmengesetz konzipiert, in dem Grundsätze und Delegationsnormen stehen. Die Ausführungsbestimmungen werden in der ZDV geregelt. Zu erwartende Anpassungen der ZDV zur Umsetzung der neuen Normen im ZDG sind in den Erläuterungen zu einzelnen Artikeln unter Ziffer 5 sowie unter Ziffer 7.5 aufgeführt.

Die Umsetzung der Gesetzesänderung wird laufend im Rahmen des Controllings und des Qualitätsmanagements sowie im Austausch mit dem VBS evaluiert.

2475

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5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 1

Grundsatz

Mit der Differenzierung des bisherigen Grundsatzes im Absatz 1 sollen nur noch Militärdienstpflichtige zum Zivildienst zugelassen werden, die im Zeitpunkt der Zulassung noch nicht die Gesamtdauer der Ausbildungsdienste nach der Militärgesetzgebung (vgl. Art. 41­61 des Militärgesetzes vom 3. Februar 199514 [MG]) geleistet haben. Diese Differenzierung steht im Zusammenhang mit Massnahme 5 und erfordert im Übrigen auch Anpassungen bei den Regeln zur Zulassung zum Zivildienst im zweiten Kapitel (Zeitpunkt der Gesuchseinreichung, Art. 16 ZDG; Zulassung, Art. 18 ZDG).

Absatz 2 stellt sicher, dass Militärdienstpflichtige, die alle Militärdiensttage geleistet haben, im Falle eines Aufgebots zu einem Assistenz- oder Aktivdienst ihr verfassungsmässiges Recht, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten, wahrnehmen können.

Art. 4a Bst. e Dieser neue Ausschlussgrund steht im Zusammenhang mit Massnahme 4 und geht weiter als der bisherige Artikel 4a Buchstabe d ZDG, der lediglich Einsätze, die primär privaten Zwecken dienen, nicht erlaubt. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein Zivildiensteinsatz von Personen mit einem begonnenen oder abgeschlossenen Medizinstudium keinen übermässig positiven Einfluss auf deren Weiterbildung und Erfahrung hat, selbst wenn dieser nicht primär privaten Zwecken dient. Mit den vom Ausschlussgrund betroffenen Personen sind angehende oder ausgebildete Ärztinnen und Ärzte (zu denen auch Psychiaterinnen und Psychiater zählen), Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Tierärztinnen und Tierärzte gemeint und nicht etwa sämtliche universitären Medizinalberufe gemäss Artikel 2 des Medizinalberufegesetzes vom 23. Juni 200615. Das verfassungsmässige Recht, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten, bleibt im Kern unangetastet; es besteht jedoch kein Anspruch, den Zivildienst in einem bestimmten, bevorzugten Bereich leisten zu können.

Art. 7 Diese Bestimmung wird aufgehoben, da Auslandeinsätze nicht mehr möglich sind (Massnahme 8). Dieses Verbot erstreckt sich auch auf die Begleitung von Zivildienstleistenden in Lagern sowie auf Exkursionen betreuungsbedürftiger Personen in Schweizer Sozial- und Pflegeinstitutionen. Das verfassungsmässige Recht, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten, bleibt dadurch unangetastet; es besteht jedoch kein Anspruch, den Zivildienst im Ausland leisten zu können.

Art. 7a
Abs. 4 Im Zusammenhang mit Katastrophen und Notlagen sollen zivildienstpflichtige Personen weiterhin im grenznahen Ausland eingesetzt werden können, so beispiels14 15

SR 510.10 SR 811.11

2476

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weise im Rahmen einer Hochwasserkatastrophe beidseits des Rheins, wenn eine solche Unterstützung von den zuständigen Behörden und Einsatzorganisationen angefordert wird.

Art. 8

Dauer der ordentlichen Zivildienstleistungen

Die Anpassung von Absatz 1 setzt Massnahme 1 um und dient der substanziellen Reduktion der Abgänge von ausgebildeten Angehörigen der Armee. Nach geltendem Recht nehmen die Anforderungen an die Erbringung des Tatbeweises ab, je länger ein Gesuchsteller in der Armee verblieben ist. Dies hängt damit zusammen, dass der Faktor zur Berechnung der Dauer des Zivildienstes (in der Regel 1,5) immer weniger Wirkung zeigt, je weniger Armeediensttage verbleiben. Der Faktor 1,5 kommt daher nur dann zum Tragen, wenn die gesuchstellende Person noch mindestens 100 Armeediensttage zu leisten hätte. Verbleiben ihr weniger Armeediensttage, so hat sie mindestens 150 Zivildiensttage zu leisten, unabhängig davon, wie viele Armeediensttage insgesamt noch zu leisten gewesen wären.

Die neue Bestimmung setzt zudem Massnahme 3 um, die den Abgang von Kadern sowie von ausgebildeten Fachspezialistinnen und Fachspezialisten aus der Armee zum Zivildienst reduzieren soll: Der Faktor 1,5 gilt neu auch für militärische Kader, für die nach geltendem Recht je nach Grad und Anzahl geleisteter Militärdiensttage im Sinne einer Privilegierung ein tieferer Faktor (bis 1,1; vgl. die bisherigen Art. 8 Abs. 1 ZDG und Art. 27 Abs. 4 und 5 ZDV) vorgesehen ist.

Absatz 2 wird aufgehoben, da es keine Auslandeinsätze mehr gibt.

Art. 11 Abs. 2bis und 2ter Absatz 2bis wird angepasst, da es keine Auslandeinsätze mehr gibt.

Absatz 2ter: Gemäss Artikel 21 beginnt die Einsatzpflicht erst in dem Jahr, das der rechtskräftigen Zulassung folgt. Somit würden Personen, die erst im Jahr der ordentlichen Entlassung rechtskräftig zugelassen werden, gar nicht verpflichtet, ihre Einsatzpflicht vor ihrer Entlassung aus der Zivildienstpflicht zu erfüllen. Mit der Erhöhung des Entlassungsalters wird sichergestellt, dass auch diese zivildienstpflichtigen Personen sämtliche verfügten Diensttage tatsächlich leisten müssen.

Art. 13 Abs. 1 Die Bestimmung wird hinsichtlich des Verweises auf das MG redaktionell angepasst.

Art. 16

Zeitpunkt der Gesuchseinreichung

Absatz 1: Diese Änderung steht im Zusammenhang mit Massnahme 5 und ergänzt ­ wie auch Artikel 18 ­ den Grundsatz von Artikel 1.

Die in Absatz 2 vorgesehene Ausnahme von Absatz 1 für den Fall des Assistenzoder Aktivdienstes stellt sicher, dass das verfassungsmässige Recht, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten, im Kern unangetastet bleibt. Aufgrund von Massnahme 1

2477

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(vgl. neuen Art. 8 Abs. 1) haben diese Personen zur Erbringung des Tatbeweises 150 Zivildiensttage zu leisten.

Art. 17

Wirkung der Gesuchseinreichung

Absatz 1 wird angepasst, weil die bisherige Regelung nur noch für gesuchstellende Personen, die im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung noch nicht in die Armee eingeteilt sind, gilt.

Absatz 2 dient der Umsetzung von Massnahme 2. Dabei soll aber nicht auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung, sondern der Bestätigung des Gesuchs abgestellt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass sämtliche eingeteilten Angehörigen der Armee von Massnahme 2 erfasst werden. Gesuchsteller, die aus der RS und vor ihrer Einteilung in die Armee ein Gesuch stellen, jedoch noch im Verlauf des Zulassungsverfahrens eingeteilt werden, würden ansonsten lediglich von Massnahme 6 erfasst. Der Zeitpunkt der Bestätigung wurde als massgebliche Grösse festgelegt, weil er objektiv bestimmbar ist und in der Regel unmittelbar vor dem Zulassungsentscheid steht. Ein Abstellen direkt auf den Zeitpunkt der Zulassung ist nicht praktikabel, da der konkrete Zeitpunkt der Zulassung weder hinlänglich beinfluss- noch voraussehbar ist. Die Wartefrist ist gerechtfertigt, solange die gesuchstellende Person nicht zu einem Assistenz- oder Aktivdienst aufgeboten ist.

Absatz 3: Zur Wahrung des Kerngehalts des verfassungsmässigen Rechts, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten, wird auf die Wartefrist im Falle eines Assistenz- oder Aktivdienstes verzichtet.

Absatz 4: Für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die zum Aktivdienst aufgeboten werden, für Personen, deren Gesuch um waffenlosen Militärdienst weniger als drei Monate vor der nächsten Militärdienstleistung rechtskräftig abgelehnt wurde, sowie für Personen, die erst kurz vor der RS rekrutiert werden (vgl.

Art. 24 Abs. 2 und 3 ZDV), wird weiterhin eine Rechtsetzungsdelegation an den Bundesrat vorgesehen. Hingegen wird der Bundesrat keine Ausnahmen hinsichtlich der Schiesspflicht mehr vorsehen, da in die Armee Eingeteilte bis zur Zulassung weiterhin Militärdienst leisten müssen und folglich auch nicht von der Schiesspflicht entbunden werden sollen (vgl. Art. 24 Abs. 1 ZDV).

Art. 17a Abs. 1 und 1bis Die bisherige Regel von Absatz 1 wird hinsichtlich des Zeitpunktes des Besuchs des Einführungstages präzisiert. Für gesuchstellende Personen, die im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung nicht in die Armee eingeteilt oder die in die Armee eingeteilt und zu einem Assistenz- oder Aktivdienst aufgeboten
sind, gilt die bisherige Frist (Abs. 1). Die Differenzierung nach einem Aufgebot zum Assistenz- oder Aktivdienst ist bei den nicht eingeteilten Personen nicht relevant, da die Rechtsfolge die gleiche ist. Für Personen, die im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung in die Armee eingeteilt und nicht zu einem Assistenz- oder Aktivdienst aufgeboten sind ­ und für die die Wartefrist nach Artikel 17 Absatz 2 (Massnahme 2) gilt ­, wird der Besuch des obligatorischen Einführungstages neu innerhalb von drei Monaten vor Ablauf der Wartefrist vorgesehen (Abs. 1bis).

2478

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Art. 18

Zulassungsentscheid

Absätze 1 und 2: Diese Änderungen stehen im Zusammenhang mit Massnahme 5 und ergänzen ­ wie auch Artikel 16 ­ den Grundsatz von Artikel 1. Auch wenn eine gesuchstellende Person im Zeitpunkt ihrer Gesuchseinreichung die Gesamtdauer der Ausbildungsdienste noch nicht vollständig geleistet hatte und deshalb zur Gesuchseinreichung legitimiert war (vgl. Art. 16 Abs. 1), so sind doch Fälle denkbar, in denen die negative Zulassungsvoraussetzung nach Artikel 1 Absatz 1 erst im Zeitpunkt des Entscheids über das Gesuch erfüllt ist. Absatz 1 ist konsequenterweise um diese negative Zulassungsvoraussetzung zu ergänzen. Die in Absatz 2 vorgesehene Ausnahme im Fall von Assistenz- oder Aktivdienst dient der Wahrung des Kerngehalts des verfassungsmässigen Rechts, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten.

Absatz 3 enthält die bisher in Absatz 2 verankerte Regel und wird präzisiert, da im Zusammenhang mit Massnahme 2 neu zwei Fristen zum Besuch des Einführungstages vorgesehen sind (vgl. neuen Art. 17a Abs. 1 und 1bis), deren Nichteinhaltung zum Abschreibungsentscheid führen.

Absatz 4 entspricht dem bisherigen Absatz 3.

Art. 19 Abs. 3 Bst. c und Abs. 8 erster Satz Absatz 3 Buchstabe c wird aufgehoben und Absatz 8 angepasst, da es keine Auslandeinsätze mehr gibt.

Art. 20 zweiter Satz Die bestehende Delegationsnorm hinsichtlich der Mindestdauer und der zeitlichen Abfolge wird aufgehoben, da der Bundesrat bereits gestützt auf Artikel 79 Absatz 1 zum Erlass der Ausführungsbestimmungen ermächtigt ist (vgl. 6. Kapitel 3. Abschnitt ZDV).

Art. 21

Beginn, zeitliche Abfolge und Mindestdauer der Einsätze

Absatz 1: Bisher war der Ersteinsatz spätestens im Kalenderjahr nach der rechtskräftigen Zulassung zu beginnen, neu ist er innert dieser Frist zu leisten (Massnahme 6).

Absatz 2 dient der Umsetzung von Massnahme 6. Damit wird die Pflicht, nach Leistung des ersten Einsatzes jährliche Einsätze zu erbringen, neu im Gesetz verankert.

Absatz 3: Mit der Regel, wonach Zivildienstleistende, die ihr Gesuch während der RS gestellt haben, ihren langen Einsatz bis zum Ende des Kalenderjahres abschliessen müssen, das der rechtskräftigen Zulassung folgt, wird eine weitere Angleichung zwischen der Dienstleistung in der Armee und dem Zivildienst erreicht. Eine unerwünschte Besserstellung der zivildienstpflichtigen Person im Vergleich zum Rekruten kann vermieden werden. Damit wird Massnahme 7 umgesetzt.

Absatz 4: Für die Ausnahmen von den Regeln betreffend die Abfolge der Einsätze zivildienstpflichtiger Personen, die aus dem Auslandurlaub zurückkehren (vgl.

Art. 39a Abs. 3 ZDV), deren Dienstbefreiung endet (vgl. Art. 39a Abs. 3 ZDV), denen ein Gesuch um Dienstverschiebung bewilligt wurde (vgl. Art. 39 Bst. b ZDV) 2479

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oder die nicht in einem geeigneten Einsatzbetrieb eingesetzt werden können (vgl.

Art. 39 Bst. c ZDV), wird weiterhin eine Rechtsetzungsdelegation an den Bundesrat vorgesehen. Der Bundesrat wird unverändert die Möglichkeit vorsehen, dass ein jährlicher Einsatz um ein Jahr vor- oder nachgeholt werden kann (vgl. Art. 39a Abs. 4 ZDV).

Art. 29 Abs. 1 Bst. f Die Bestimmung wird aufgehoben, da es keine Auslandeinsätze mehr gibt.

Art. 80b Abs. 1 Bst. d Die Bestimmung wird hinsichtlich des Verweises auf das MG redaktionell angepasst.

Übergangsbestimmungen: Art. 83f: Die militärdienstpflichtige Person, die sich im Zusammenhang mit der Einreichung des Gesuchs um Zulassung zum Zivildienst über das Verfahren und die Einsatzpflichten informiert, entsprechend geplant und gegebenenfalls Dispositionen getroffen hat und ihr Gesuch sodann noch unter altem Recht eingereicht hat, soll auch nach diesem Recht zugelassen werden (Abs. 1). Die Massnahmen hinsichtlich des Beginns, der Mindestdauer und der zeitlichen Abfolge der Einsätze erweisen sich für bereits zum Zivildienst zugelassene Zivildienstpflichtige je nach Phase als echte (unerlaubte) Rückwirkung, was den Grundsätzen des intertemporalen Rechts widerspricht. Ihre Einsatzpflicht richtet sich daher weiterhin nach altem Recht.

Einsatzvereinbarungen, die Artikel 4a Buchstabe e verletzen, werden hingegen ab Inkrafttreten des neuen Rechts nicht mehr bewilligt; hier liegt keine unerlaubte Rückwirkung vor (Abs. 2). Bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung bereits aufgebotene Auslandeinsätze werden noch durchgeführt. Andernfalls müssten Einsätze, für welche Zivildienstpflichtige, ihre Arbeitgeber und die Einsatzbetriebe bereits die nötigen Dispositionen getroffen haben, abgesagt werden, was sich als echte (unerlaubte) Rückwirkung erweisen könnte. Nach Inkrafttreten eingehende Einsatzvereinbarungen werden hingegen nach neuem Recht nicht mehr berücksichtigt. Dies ist zur raschen Durchsetzung des neuen Rechts geboten und ist zumutbar, da ohne Aufgebot auch noch keine Dispositionen zu treffen sind, die nicht mehr ohne Weiteres rückgängig gemacht werden könnten (Abs. 3).

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

6.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Davon ausgehend, dass nach Inkrafttreten der ZDG-Revision bis im Jahr 2030 noch jährlich rund 1,3 Millionen Zivildiensttage geleistet werden (2018: knapp 1,7 Mio.), ist mittel- bis längerfristig mit verminderten Einnahmen durch die Abgabe, die die Einsatzbetriebe an den Bund bezahlen müssen, zu rechnen. Es können 2030 nur 2480

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noch rund 26,6 Millionen Franken an Einnahmen erwartet werden, was im Vergleich mit dem Jahr 2017 einen Rückgang um rund 7 Millionen Franken bedeutet.

Im Ausbildungsbereich werden die geringeren Zulassungszahlen und damit der verminderte Bestand an Zivildienstpflichtigen bereits mittelfristig einen leichten Einsparungseffekt mit sich bringen. Längerfristig (das heisst bis ins Jahr 2030) ist mit einer Kostenreduktion von ca. 2 Millionen Franken jährlich im Vergleich zum Jahr 2017 zu rechnen.

Es ist insgesamt davon auszugehen, dass die Kosten pro Zivildiensttag steigen werden, da die Grundkosten (z. B. Informatikkosten), die unabhängig von der Anzahl Diensttage entstehen, auf weniger Diensttage verteilt werden können.

Die Reduktion der Anzahl an Diensttagen wird zu einer Entlastung der Erwerbsersatzordnung führen. Personen, die zukünftig in der Armee verbleiben, müssen nur die geforderte Anzahl an Militärdiensttagen leisten und nicht das 1,5-fache der noch zu leistenden Militärdiensttage. Personen, die anstelle der Zulassung zum Zivildienst untauglich erklärt oder dem Zivilschutz zugeteilt werden, leisten noch weniger Diensttage oder bezahlen eine Ersatzabgabe.

Im Weiteren ergeben sich aus der Umsetzung der acht Massnahmen zur Senkung der Zulassungszahlen keine finanziellen Auswirkungen.

6.1.2

Personelle Auswirkungen

Durch die Senkung der Zulassungen wird wie in Ziffer 6.1.1 beschrieben die Anzahl an geleisteten Diensttagen und damit auch die Anzahl der zu betreuenden Zivildienstpflichtigen und der geleisteten Einsätze sinken. Beim Bundesamt für Zivildienst sollen verhältnismässig zum Rückgang der geleisteten Diensttage Stellen abgebaut werden. Dieser Abbau über mehrere Jahre kann durch natürliche Fluktuation bzw. durch Befristung von Anstellungen sozialverträglich aufgefangen werden.

6.1.3

Auswirkungen auf die Bestände der Armee

Die Auswirkungen der Änderung des ZDG auf die Armeebestände in quantitativer Hinsicht sind nicht genau prognostizierbar. Die Gründe dafür sind in Ziffer 4.2 dargestellt.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Werden weniger Personen zum Zivildienst zugelassen, nimmt längerfristig die Zahl geleisteter Zivildiensttage ab. Dies wird in spezifischen Tätigkeitsbereichen mit einem Rückgang entsprechender Einsätze zugunsten von Kantonen und Gemeinden, urbanen Zentren, Agglomerationen und Berggebieten verbunden sein.

2481

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6.3

Auswirkungen auf Volkswirtschaft, Gesellschaft und Umwelt

Wer Zivildienst leistet, ist infolge des Faktors 1,5 länger von seinem Ausbildungsoder Arbeitsplatz abwesend als der Angehörige der Armee, der Militärdienst leistet, und belastet damit die Volkswirtschaft und auch die Erwerbsersatzordnung zusätzlich. Diese Mehrbelastung nimmt ab, wenn die Umsetzung der acht Massnahmen dazu führt, dass künftig erheblich weniger Personen Zivildienst leisten. Dies führt zu einer Entlastung der Arbeitgeber. Soweit die Regeln zur Abfolge der Einsätze an den Dienstleistungsrhythmus der Armee angeglichen werden, kann auf die Bedürfnisse der Arbeitgeber und die berufliche Ausbildung der Zivildienstpflichtigen künftig nicht mehr im selben Masse Rücksicht genommen werden. Dies ist jedoch im Sinne der Gleichwertigkeit von Militär- und Zivildienst zumutbar.

Soweit nach Inkrafttreten der Revision längerfristig weniger Zivildienstleistende zur Verfügung stehen werden, sind die Einsatzbetriebe insbesondere in denjenigen Tätigkeitsbereichen betroffen, wo Ressourcen für die Erfüllung von Aufgaben der Gesellschaft fehlen oder nicht ausreichen. Dies ist jedoch im Sinne des höher zu gewichtenden öffentlichen Interesses der Sicherung des Armeebestandes hinzunehmen.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

7.1.1

Rechtsgrundlage

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 59 Absatz 1 der Bundesverfassung16 (BV), der einen zivilen Ersatzdienst vorsieht. Die Zivildienstgesetzgebung ist Sache des Bundes. Der Bund kann daher in diesem Bereich die erforderlichen Bestimmungen erlassen.

7.1.2

Vereinbarkeit mit den Grundrechten

Die vorgeschlagenen Änderungen des ZDG werden aus verfassungsrechtlicher Sicht insgesamt als unproblematisch beurteilt. Bei den Massnahmen nach Artikel 4a Buchstabe e und Artikel 8 bestehen gewisse verfassungsrechtliche Bedenken (vgl.

unten). Das verfassungsmässige Recht, zivilen Ersatzdienst zu leisten, bleibt unangetastet, wobei zu berücksichtigen ist, dass keine Wahlfreiheit zwischen Militär- und Zivildienst besteht. Diesem Prinzip ist ­ auch unter der Tatbeweislösung ­ die nötige Nachachtung zu verschaffen.

16

SR 101

2482

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Wer Militär- oder Zivildienst leistet, befindet sich in einem besonderen Rechtsverhältnis17. Dieses zeichnet sich durch eine dreifache Eingliederung aus (personal, räumlich und bürokratisch-hierarchisch)18. In Bezug auf die personale Eingliederung ist der Aspekt der gesteigerten Inpflichtnahme der Betroffenen für einen konkreten öffentlichen bzw. staatlichen Zweck19 hervorzuheben. So führt die staatliche Gewaltausübung für eine betroffene Person sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht zu einschneidender und nachhaltiger Veränderung ihrer Gesamtbefindlichkeit20. Eine solch gesteigerte Inpflichtnahme dürfte sich typischerweise im Militärdienst verwirklichen21. Auch der moderne Sozialstaat kommt nicht ohne staatlichen Zwang aus22. Dies gilt insbesondere für die Militärdienstpflicht. Erst der Einsatz von Zwangsmitteln ermöglicht dem Staat unter gewissen Umständen, öffentliche Konflikte beizulegen und staats- bzw. sozialschädlichen Tendenzen frühzeitig wirksam entgegenzutreten23. Das Verhalten des in ein besonderes Rechtsverhältnis eingegliederten modernen Menschen ist in erster Linie an eigenen Interessen orientiert. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der eingegliederte Mensch verantwortungsbewusst, (intrinsisch) eigenmotiviert und -verantwortlich handelt24. Autoritative Instrumente zur Steuerung und Kontrolle sind umso unentbehrlicher, je weniger bei eingegliederten Personen eine konfliktfreie Übereinstimmung und Identifikation mit den Organisationszielen vorausgesetzt werden kann25. Dies gilt in besonderem Masse für Personen, die in den Militärdienst eingegliedert sind und aus anderen als Gewissensgründen in den Zivildienst wechseln wollen. Die in dieser Vorlage vorgesehenen acht Massnahmen liefern seitens des Zivildiensts Instrumente zur Beeinflussung der Zugänge zum Zivildienst im Sinne einer konsequenteren Durchsetzung der Tatbeweislösung.

Durch den Eintritt in ein besonderes Rechtsverhältnis und damit in die Eingliederungslage verändert sich der grundrechtliche Status der betroffenen Person markant.

Sie hat, bedingt durch erhöhte Duldungs- und Leistungspflichten, mehr oder weniger intensive Einschränkungen ihrer freien Grundrechtsausübung hinzunehmen, was insbesondere für das Leisten von Militärdienst gilt26. Für die Zulässigkeit von Grundrechtseinschränkungen gilt
generell die in Artikel 36 BV explizit statuierte Schrankentrias (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit), wobei beim besonderen Rechtsverhältnis der Organisationszweck Anknüpfungspunkt bildet27.

Vorliegend geht es um die Frage des öffentlichen Interesses an der Erfüllung der Leistungspflicht der Armee auf der einen und der individuellen Grundrechtsinteressen (Verhältnismässigkeit, Rechtsgleichheit, Konformität mit Grund- und Men17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. zum besonderen Rechtsverhältnis eingehend Markus Müller, Das besondere Rechtsverhältnis ­ ein altes Rechtsinstitut neu gedacht, Bern 2003, hier S. 174.

Markus Müller, a. a. O., S. 134 ff.

Markus Müller, a. a. O., S. 143 f.

Markus Müller, a. a. O., S. 138.

Markus Müller, a. a. O., S. 138.

Markus Müller, a. a. O., S. 140.

Markus Müller, a. a. O., S. 140.

Markus Müller, a. a. O., S. 191 f.

Markus Müller, a. a. O., S. 192.

Markus Müller, a. a. O., S. 239.

Markus Müller, a. a. O., S. 261.

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schenrechten, Gewissensfreiheit) auf der anderen Seite. Mit Blick auf den in Artikel 58 Absatz 2 BV definierten Zweck der Armee ist das öffentliche Interesse an einer bedarfsgerechten Alimentierung der Armee zur nachhaltigen Sicherstellung der sicherheitspolitisch geforderten Leistungen grundsätzlich gegeben. Das Interesse an einem störungsfrei funktionierenden Verwaltungsapparat akzentuiert sich in Bezug auf die Institution Armee je nach Zeitpunkt, in welchem um einen Wechsel von der Armee zum Zivildienst ersucht wird. So besteht bereits nach heutigem ZDG kein Anspruch auf sofortige Beendigung der Militärdienstpflicht. Je nach Zeitpunkt der Einreichung eines Zulassungsgesuchs bestehen schon heute gewisse Wartefristen bis zur Zulassung¸ allerdings ohne genügenden Effekt. Mit den vorgeschlagenen Massnahmen wird verhindert, dass das Funktionieren der Institution Armee empfindlich beeinträchtigt wird.

Die Eingliederung in Armee und Zivildienst führt bei Umsetzung der acht Massnahmen grundsätzlich nicht zu einer Unterdrückung sämtlicher (Freiheits-)Bedürfnisse. Die mit der Eingliederung verbundene Beschränkung der individuellen grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre geht grundsätzlich nicht über das hinaus, was der konkrete Eingliederungszweck erfordert28.

Für die Massnahmen nach Artikel 4a Buchstabe e und Artikel 8 stellt sich die Frage der Verfassungsmässigkeit mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV) und bezüglich des Rechtsgleichheitsgebotes (Art. 8 BV). Die Massnahme nach Artikel 8 kann nämlich bewirken, dass der Faktor 1,5 (Dauer des Zivildienstes im Vergleich zum Militärdienst) in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Wechsels zum Zivildienst auf maximal 37,5 ansteigt. Im vorparlamentarischen Verfahren wurden daher teilweise Zweifel laut, ob die erwähnten Massnahmen geeignet und insbesondere erforderlich sind, um die Armeebestände nachhaltig zu sichern und die Anzahl der Zulassungen zum Zivildienst substanziell zu senken.

Dies unter anderem deshalb, weil der Zivildienst nur einer der Faktoren ist, die Auswirkungen auf den Armeebestand haben (vgl. dazu oben, Ziff. 4.2) und die Massnahmen nur präventiv mit Blick auf eine mögliche Gefährdung des Sollbestandes umgesetzt werden, die mittelfristig nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. dazu oben, Ausgangslage).
Das verfassungsmässige Recht, zivilen Ersatzdienst zu leisten, bleibt bei der Massnahme 3 unangetastet; an die Erbringung des Tatbeweises werden aber durch einen länger dauernden Zivildienst erhöhte Anforderungen gestellt.

In einer Situation von Unsicherheit zur Entwicklung bei zentralen Planwerten der WEA (vgl. Ziff. 1) sowie aufgrund der demografischen Entwicklung ist das Bestehen eines konkreten öffentlichen Interesses an rechtzeitigen Massnahmen zur bedarfsgerechten Alimentierung der Armee und damit zur nachhaltigen Sicherstellung der sicherheitspolitisch geforderten Leistungen klar erkennbar.

Massnahmen beim Zivildienst sind ein Mittel zur Verfolgung dieses öffentlichen Interesses. Trotz oder gerade als Folge der zahlreichen engen Abhängigkeiten zwischen Militär- und Zivildienstpflicht ist jedoch die Kausalität von Massnahmen bei Armee und Zivildienst und von deren Wirkungen in Armee und Zivildienst, inklusi28

Markus Müller, a. a. O., S. 242.

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ve durch Rückkoppelungen, nicht einfach zu bestimmen und darzulegen. Dies erschwert die ­ mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit entscheidende ­ Beurteilung, ob und welche Massnahmen beim Zivildienst zur Verfolgung des genannten öffentlichen Interesses gerechtfertigt sind.

Wegen dieser Erschwerung bei der Darlegung der Kausalitäten können bei der Begründung der Verhältnismässigkeit der Massnahmen nur reduzierte Anforderungen an die Argumentationstiefe und -dichte gestellt werden.

Der Bundesrat hat die rechtlichen Erwägungen zu den Massnahmen zur Reduktion der Zulassungen einer sicherheitspolitischen Abwägung des Risikos gegenübergestellt, das mit Blick auf den Armeebestand aus dem Nicht- oder nicht rechtzeitigen Handeln auch beim Zivildienst entsteht.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die vorgeschlagene Massnahme 1 ermöglicht Zivildienstleistungen, die in Einzelfällen insgesamt weit mehr als doppelt so lange wie der Militärdienst dauern. Der UNO-Menschenrechtsausschuss hat wiederholt eine Verletzung der Artikel 18 und 26 des UNO-Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte29 (Diskriminierungsverbot) festgestellt in Fällen, in denen der zivile Ersatzdienst das Doppelte des Militärdienstes betrug30. Insofern stellt sich die Frage der Vereinbarkeit von Massnahme 1 mit den Anforderungen des Paktes. Bis heute hat jedoch kein Gericht darüber befunden, ob im konkreten Beschwerdefall die Erhöhung auf einen Faktor von maximal 37,5 dem Diskriminierungsverbot standhalten würde. Der Bundesrat erachtet es daher als vertretbar, dass mit Massnahme 1 ab einem gewissen Zeitpunkt (nämlich nach Absolvierung der RS) höhere Anforderungen an den Tatbeweis gestellt werden.

7.3

Erlassform

Der Entwurf enthält wichtige rechtsetzende Normen im Sinne von Artikel 164 BV, die in Form eines Bundesgesetzes zu erlassen sind.

29 30

SR 0.103.2 Young-Kwan Kim et consorts c. République de Corée, communication n° 2179/2012, constatations du 15.10.2014, § 7.3; Vernier et Nicolas c. France, communication n° 690 et 691/1996, constatations du 11.07.2000, § 10.4, http://juris.ohchr.org/; weitere Beispiele bei Manfred Nowak, CCPR Commentary, 2nd ed. 2008, N 29 ad Art. 8 und N 29 ad Art. 26. Vgl. auch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 7. Juli 2011 in Sachen Bayatyan gegen Armenien (Grosse Kammer), http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-105610.

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7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen geschaffen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen für einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken beschlossen.

7.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Es sind keine neuen Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat vorgesehen. Die in den Artikeln 17 Absatz 4 und 21 Absatz 4 vorgesehenen Rechtsetzungsdelegationen entsprechen den bisherigen Rechtsetzungsbefugnissen (vgl. Art. 17 Abs. 2, Art. 20, 21 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 1 ZDG). Die bestehende Rechtsetzungsdelegation in Artikel 7 Absatz 3 wird aufgehoben.

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