19.037 Botschaft zur Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Kartellgesetzes) vom 29. Mai 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, als indirekten Gegenvorschlag eine Änderung des Kartellgesetzes.

Wir beantragen Ihnen zudem, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2016

P

15.4159

Weshalb ist die Schweiz eine Hochpreisinsel? Und was kann dagegen unternommen werden? (S 10.3.16, Fournier)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Mai 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2019-0612

4877

Übersicht Die Fair-Preis-Initiative will die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in der Schweiz stärken und die «Hochpreisinsel Schweiz» bekämpfen.

Dies soll unter anderem durch eine Absenkung der Schwelle der Marktbeherrschung im Kartellgesetz und insbesondere eine damit verbundene Lieferpflicht für gewisse Unternehmen bewerkstelligt werden. Weiter soll durch ein grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings der diskriminierungsfreie Online-Handel gewährleistet werden. Der Bundesrat erachtet die vorgeschlagenen Massnahmen als ungeeignet und will deshalb die Abschottung der Schweiz durch Unternehmen mit einem indirekten Gegenvorschlag zielgerichtet und ohne volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen bekämpfen.

Inhalt der Vorlage Die am 12. Dezember 2017 vom Verein «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise» eingereichte eidgenössische Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» fordert die Gewährleistung der diskriminierungsfreien Beschaffung von Waren und Dienstleistungen im Ausland sowie die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen, die durch einseitiges Verhalten von marktmächtigen Unternehmen verursacht werden. Zu diesem Zweck verlangt die Initiative eine Ergänzung von Artikel 96 Absatz 1 der Bundesverfassung und die Aufnahme einer neuen Ziffer in den Übergangsbestimmungen.

Hiermit wäre insbesondere eine Anpassung des Kartellgesetzes verbunden. Neben marktbeherrschenden Unternehmen sollen neu auch sogenannte relativ marktmächtige Unternehmen von der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle erfasst werden.

Relativ marktmächtige Unternehmen könnten unter anderem verpflichtet werden, die von ihnen abhängigen Unternehmen zu spezifischen Bedingungen zu beliefern oder von ihnen Waren und Dienstleistungen abzunehmen.

Diese Regelung würde sowohl für Unternehmen mit Sitz im In- als auch im Ausland gelten, jedoch wäre es gemäss Initiativtext relativ marktmächtigen und neu auch marktbeherrschenden Unternehmen erlaubt, Re-Importe ihrer Waren in das Produktionsland zu verhindern. Damit wären in der Praxis vor allem Schweizer Unternehmen im Gegensatz zu ausländischen Unternehmen nicht verpflichtet, Unternehmen aus der Schweiz über Lieferkanäle im Ausland zu beliefern. In Bezug auf marktbeherrschende Unternehmen ginge mit einer solcher Regelung
darüber hinaus eine Schwächung des geltenden Kartellgesetzes einher.

Überdies verlangt die Initiative die grundsätzliche Gewährleistung des diskriminierungsfreien Einkaufs im Online-Handel, insbesondere durch eine entsprechende Ergänzung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Initiative fordert somit ein grundsätzliches Verbot der regionalen Sperrung von Internetinhalten durch den Anbieter, des sogenannten privaten Geoblockings.

4878

Vorzüge und Mängel der Initiative Der Schweizer Markt wird gemäss den Initiantinnen und Initianten durch international tätige Unternehmen oft vom Ausland abgeschottet, um hohe Preise durchsetzen und somit die teilweise hohe Schweizer Zahlungsbereitschaft abschöpfen zu können.

Die von der Initiative vorgesehenen Massnahmen zur Stärkung der Beschaffungsfreiheit im Ausland für von relativ marktmächtigen Unternehmen abhängige nachfragende Unternehmen können dies möglicherweise in gewissen Fällen verhindern.

Jedoch würde die generelle Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht ­ womit insbesondere auch rein inländische Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Unternehmen betroffen wären ­ vorwiegend Bereiche neu regeln, die nicht von Markt-abschottung betroffen sind. Somit müssten beispielsweise die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-)Gerichte unter gewissen Umständen auch die Preispolitik zwischen zwei Schweizer Unternehmen im Inland untersuchen und darüber urteilen, selbst wenn keines von diesen marktbeherrschend ist. Dies geht nach Ansicht des Bundesrates zu weit, denn neben den zusätzlichen administrativen Kosten für Bund, Kantone und Unternehmen würden zudem die Rechtssicherheit, die Wirtschaftsfreiheit und letztendlich Arbeitsplätze gefährdet.

Die Initiative sieht weiter eine Klausel vor, die es relativ marktmächtigen und neu auch marktbeherrschenden Unternehmen erlaubt, durch einseitiges Verhalten ReImporte ins Produktionsland zu verhindern. Diese Regelung würde zum einen in vielen Fällen tiefere Beschaffungspreise für Unternehmen in der Schweiz gerade verhindern. Zum anderen käme dies einer faktischen Ungleichbehandlung von inund ausländischen Unternehmen gleich und völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz würden allenfalls verletzt.

Das von der Initiative vorgesehene grundsätzliche Verbot des privaten Geoblockings, das im Grunde gegen Anbieter gerichtet ist, die Waren und Dienstleistungen im Internet anbieten und ihre Geschäftstätigkeit im Ausland ausüben, wäre ohne entsprechende staatsvertragliche Regelungen mit anderen Ländern mit grossen Durchsetzungsschwierigkeiten im Ausland behaftet und somit nach Ansicht des Bundesrates wohl wirkungslos. Im Ergebnis wären daher durch ein unilaterales Verbot vor allem Schweizer Unternehmen betroffen.

Antrag des Bundesrates Aufgrund
dieser Erwägungen beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Er stellt der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber.

Der indirekte Gegenvorschlag beinhaltet eine Anpassung des geltenden Kartellgesetzes und nimmt das von der Initiative vorgeschlagene Konzept der relativen Marktmacht auf. (Im Unterschied zum Deutschen und zum Italienischen werden im Französischen im indirekten Gegenvorschlag und im Initiativtext zwei unterschiedliche Begriffe hierfür verwendet ­ «pouvoir de marché relatif» und «position dominante relative».) Dessen Anwendungsbereich wird jedoch auf Abschottungen des Schweizer Marktes begrenzt. Damit sind rein innerschweizerische Sachverhalte nicht von der Regelung betroffen. Von relativ marktmächtigen Unternehmen abhängige Unternehmen sollen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen grundsätz-

4879

lich Waren und Dienstleistungen im Ausland zu den dort praktizierten Preisen und sonstigen Geschäftsbedingungen beziehen können. Damit wird die Kernforderung der Initiative erfüllt: die Stärkung der Beschaffungsfreiheit von Schweizer Unternehmen im Ausland zur Erleichterung von Parallelimporten und damit zur Korrektur von Wettbewerbsnachteilen gegenüber ausländischen Konkurrenten. Zugleich werden die dem Initiativtext innewohnenden negativen Konsequenzen für binnenwirtschaftliche Geschäftsbeziehungen vermieden, da diese nicht von Marktabschottungen betroffen oder durch das geltende Kartellgesetz hinreichend vor Wettbewerbsverzerrungen geschützt sind. Ein grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings sieht der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrates insbesondere aufgrund der grossen Durchsetzungsschwierigkeiten hingegen nicht vor.

4880

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

4878

1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

4884 4884 4885 4885

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 «Hochpreisinsel Schweiz» 2.1.1 Ausgangslage 2.1.2 Erfüllung Postulat Fournier (15.4159) 2.1.3 Ursachen von höheren Preisen 2.1.3.1 Einleitende Bemerkungen 2.1.3.2 Kaufkraft 2.1.3.3 Handelshemmnisse 2.1.3.4 Produktionskosten 2.1.3.5 Wettbewerb und Kartellrecht 2.1.4 Massnahmen gegen die «Hochpreisinsel Schweiz» 2.2 Geltendes Recht 2.2.1 Kartellrecht 2.2.1.1 Wettbewerbsabreden 2.2.1.2 Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung 2.2.1.3 Rechtsfolgen einer marktbeherrschenden Stellung 2.2.1.4 Allgemeines Privatrecht 2.2.1.5 Privates Geoblocking 2.3 Parlamentarische Vorstösse

4886 4886 4886 4890 4890 4890 4890 4891 4892 4892 4894 4896 4896 4896 4897

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes 3.3.1 Einleitende Bemerkungen 3.3.2 Artikel 96 Absatz 1 E-BV 3.3.3 Frist zum Erlass der gesetzlichen Bestimmungen (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 1 E-BV) 3.3.3.1 Einleitende Bemerkungen 3.3.3.2 Relative Marktmacht im deutschen Recht 3.3.3.3 Konzept der relativen Marktmacht (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. a E-BV) 3.3.3.4 Regelbeispiel für Auslandssachverhalte (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b E-BV) 3.3.3.5 Re-Import-Klausel (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. c E-BV)

4901 4901 4902 4903 4903 4903

3

4897 4898 4899 4899

4904 4904 4904 4907 4909 4912 4881

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3.3.3.6 3.3.3.7

4

Verzicht auf direkte Sanktionierung (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. d E-BV) Grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. e E-BV)

4913 4913

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.1.1 Einleitende Bemerkungen 4.1.2 Konzept der relativen Marktmacht (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. a E-BV) 4.1.2.1 Materielle Aspekte 4.1.2.2 Grenzüberschreitende Durchsetzung 4.1.2.3 Vorgeschlagenes Regelbeispiel (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b E-BV) 4.1.2.4 Verzicht auf direkte Sanktionierung (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. d E-BV) 4.1.2.5 Re-Import-Klausel (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. c E-BV) 4.1.3 Grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. e E-BV) 4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 4.2.1 Auswirkungen auf den Bund 4.2.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 4.2.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 4.3 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4916 4916 4916

5

Schlussfolgerungen

4934

6

Indirekter Gegenvorschlag 6.1 Grundzüge der Vorlage 6.2 Vernehmlassungsverfahren 6.2.1 Vernehmlassungsvorlage 6.2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 6.3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht 6.4 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 6.5 Auswirkungen 6.5.1 Auswirkungen auf den Bund 6.5.2 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden 6.5.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

4934 4934 4937 4937

4882

4916 4916 4919 4921 4922 4922 4923 4925 4925 4926 4926 4930 4932

4938 4938 4940 4944 4944 4944 4944

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6.6

Rechtliche Aspekte 6.6.1 Verfassungsmässigkeit 6.6.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.6.3 Unterstellung unter die Ausgabenbremse

4947 4947 4949 4950

Glossar

4951

Anhang: Gegenüberstellung geltendes Rechts und Änderungsvorschläge

4954

Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG) (Entwurf)

4957

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» (Entwurf)

4959

4883

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 96 Abs. 1 Der Bund erlässt Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen. Er trifft insbesondere Massnahmen zur Gewährleistung der diskriminierungsfreien Beschaffung von Waren und Dienstleistungen im Ausland sowie zur Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen, die durch einseitiges Verhalten von marktmächtigen Unternehmen verursacht werden.

1

Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmung zu Art. 96 Abs. 1 Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen erlässt der Bundesrat innerhalb zweier Jahre nach Annahme der Änderungen von Artikel 96 Absatz 1 durch Volk und Stände die erforderlichen Ausführungsbestimmungen.

1

Die Ausführungsbestimmungen von Bundesversammlung und Bundesrat folgen den nachstehenden Grundsätzen: 2

1 2

a.

Die Verhaltensweisen, die für marktbeherrschende Unternehmen unzulässig sind, sind auch für Unternehmen unzulässig, von denen andere Unternehmen in einer Weise abhängig sind, dass keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Unternehmen auszuweichen (relativ marktmächtige Unternehmen).

b.

Marktbeherrschende und relativ marktmächtige Unternehmen verhalten sich vorbehältlich einer Rechtfertigung aus sachlichen Gründen unzulässig, wenn sie die Möglichkeit für Nachfrager einschränken, Waren oder Dienstleistungen, die in der Schweiz und im Ausland angeboten werden, im Staat ihrer Wahl zu den dort von den Unternehmen praktizierten Preisen zu beziehen; Preisdifferenzierungen bleiben zulässig, solange Unternehmen nicht wettbewerbswidrige Ziele verfolgen und keine Wettbewerbsverzerrungen verursachen.

SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

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c.

Unternehmen dürfen durch einseitiges Verhalten die Beschaffung der von ihnen exportierten Waren im Ausland einschränken, wenn diese Waren ins Produktionsland reimportiert und dort ohne weitere Bearbeitung weiterverkauft werden sollen.

d.

Relativ marktmächtige Unternehmen sind bei unzulässigem missbräuchlichem Verhalten von direkten kartellrechtlichen Sanktionen ausgenommen.

e.

Der diskriminierungsfreie Einkauf im Online-Handel ist grundsätzlich zu gewährleisten, insbesondere durch eine Bestimmung gegen unlauteren Wettbewerb.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel ­ für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)» wurde am 6. September 2016 von der Bundeskanzlei vorgeprüft 3 und am 12. Dezember 2017 mit den nötigen Unterschriften eingereicht. Mit Verfügung vom 17. Januar 20184 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 107 889 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.

Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu einen indirekten Gegenvorschlag. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 12. Juni 2019 die Entwürfe für einen Bundesbeschluss und einen Erlass sowie eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung muss nach Artikel 100 ParlG bis zum 12. Juni 2020 über die Abstimmungsempfehlung beschliessen. Sie kann die Behandlungsfrist um ein Jahr verlängern, wenn die Voraussetzungen gemäss Artikel 105 ParlG erfüllt sind.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV):

3 4 5

a)

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b)

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c)

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

BBl 2016 7093 BBl 2018 217 SR 171.10

4885

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2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

«Hochpreisinsel Schweiz»

2.1.1

Ausgangslage

Konsumentinnen und Konsumenten sowie Unternehmen bezahlen in der Schweiz in der Regel höhere Preise als Nachfragerinnen und Nachfrager im Ausland. So lag beispielsweise 2017 der Preisniveauindex der Konsumausgaben der privaten Haushalte um 56 Prozent über dem Durchschnitt der 15 Länder, die vor April 2004 der EU beigetreten sind (EU-15-Länder). Die Preise unserer Nachbarländer entsprechen dagegen etwa dem europäischen Mittel. Abbildung 1 zeigt die Preisunterschiede innerhalb Europas. Auffallend ist, dass sich die Preisniveaus innerhalb des europäischen Binnenmarktes trotz zunehmender ökonomischer Integration und teilweise gemeinsamer Währung weiterhin stark unterscheiden.

Abbildung 1 Preisniveauindizes privater Konsum

Indexiert (EU-15=100), dargestellt ist die Abweichung von 100, Preisniveauindex als Quotient aus Kaufkraftparität und aktuellem nominalen Wechselkurs. Quelle: Eurostat, Zahlen für 2017.

Abbildung 2 zeigt die Preisunterschiede Schweiz­EU für ausgewählte Bereiche.

Während die Preise für Güter in der Schweiz um 31 Prozent höher liegen als der EU-Durchschnitt, beträgt die Differenz bei den Dienstleistungen rund 68 Prozent.

Insofern tragen die nicht oder kaum handelbaren Dienstleistungen, beispielsweise in den Bereichen Gesundheit oder Wohnen und Energie, in erheblichem Masse zur «Hochpreisinsel Schweiz» bei.

4886

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Relatives Preisniveau in der Schweiz

Abbildung 2

Indexiert (EU-15=100). Preisniveauindex als Quotient aus Kaufkraftparität und aktuellem nominalen Wechselkurs. Quelle: Eurostat, Zahlen für 2017.

Ein hohes Preisniveau ist in der Regel auch ein Zeichen für hohen Wohlstand und geht in diesem Falle mit einem hohen Lohnniveau einher. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist deshalb die Kaufkraft, also die Menge an Gütern und Dienstleistungen, die mit dem bestehenden Lohnniveau erworben werden könnte, der ausschlaggebende Indikator. Die Schweiz schneidet im internationalen Vergleich bezüglich Kaufkraft ausgezeichnet ab. Gemäss einer Erhebung der UBS ist beispielsweise Zürich ­ hinter Los Angeles ­ weltweit die Stadt mit der zweithöchsten Kaufkraft im Jahr 2018, Genf folgt auf dem vierten Platz.6 Das gleiche Ergebnis zeigen auch die Zahlen zu den kaufkraftbereinigten Haushaltseinkommen von Eurostat.7 Die Haushalte in der Schweiz können sich im Mittel mehr Güter und Dienstleistungen leisten als solche im Ausland. Anhand der erwähnten Studie der UBS kann die relativ hohe Kaufkraft in der Schweiz anschaulich illustriert werden: Die Abbildung 3 zeigt die Arbeitszeit, die erforderlich ist, um eine der aufgeführten Waren zu erwerben. Im Jahr 2018 waren in Zürich 13 Minuten erforderlich, um einen Big Mac zu kaufen, während man hierfür in Berlin oder Wien 18 Minuten, in Paris 23 Minuten und in Rom 24 Minuten arbeiten musste. Noch deutlicher ist der Unterschied in Bezug auf ein iPhone X, wofür man in der Schweiz 38 Stunden Arbeit benötigte, während dies in den Nachbarländern mehr als doppelt so lange dauerte (84 Stunden in Wien, 89 Stunden in Berlin, 102 Stunden in Paris und 107 Stunden in Rom).

6 7

Vgl. UBS, «Cost of living in cities around the world. Prices and Earnings 2018», auf Englisch abrufbar unter: www.ubs.com/microsites/prices-earnings/en/.

Eurostat, «Verfügbares Pro-Kopf-Einkommen der Haushalte (Verbrauchskonzept)», abrufbar unter: https://ec.europa.eu/eurostat/tgm/ table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=tec00113&plugin=1.

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Big Mac ­ Mittlere Arbeitszeit in Minuten

Abbildung 3

Basis: Mittlere Netto-Stundenlöhne. Quelle: UBS ­ prices and earnings 2018, eigene Darstellung des Bundesrates, Zahlen für 2018.

Empirisch lässt sich feststellen, dass Länder mit einem hohen Wohlstand gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) in der Tendenz auch ein hohes Preisniveau haben (vgl. Abbildung 4).8 Derselbe Zusammenhang gilt auch für Preise und Löhne (vgl. Abbildung 5), was angesichts des Kostenfaktors Lohn beziehungsweise der Bedeutung der Inflation bei Lohnverhandlungen nicht weiter verwundert. Hohe Löhne widerspiegeln zum einen eine höhere Produktivität der eingesetzten Arbeit.

Anderseits legt die ökonomische Theorie nahe, dass eine hohe Produktivität des Exportsektors in einer offenen Volkswirtschaft auch in den restlichen Sektoren zu höheren Löhnen und damit zu einem insgesamt höheren Preisniveau führt (sog.

Balassa-Samuelson-Effekt).9 Insofern sind hohe Preise für eine Volkswirtschaft nicht a priori schädlich. Sie sind auch Ausdruck einer erfolgreichen Volkswirtschaft beziehungsweise eines hohen Wohlstandes.

8 9

Vgl. beispielsweise OECD, New international Comparisons of GDP and consumption based on purchasing power parities for the year 2011, Paris, 18. Dezember 2013.

Vgl. etwa Paul Krugman / Maurice Obstfeld / Marc Melitz, Internationale Wirtschaft: Theorie und Politik der Aussenwirtschaft, 10. Aufl. 2015, Prentice Hall, Pearson Education, S. 558 f.

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Zusammenhang zwischen Preisen und BIP pro Kopf

Abbildung 4

Preisniveauindex als Quotient aus Kaufkraftparität und aktuellem nominalen Wechselkurs.

Quelle: OECD, Zahlen für 2017.

Zusammenhang zwischen Preisen und Löhnen

Abbildung 5

Indexiert (New York City = 100). Lohnniveau ohne Sozialabgaben und Steuern, bereinigt um jährliche Arbeitsstunden. Basis: 77 Städte weltweit. Quelle: UBS, «Cost of living in cities around the world. Prices and earnings 2018», eigene Darstellung des Bundesrates, Zahlen für 2018.

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2.1.2

Erfüllung Postulat Fournier (15.4159)

Der Hintergrund der Fair-Preis-Initiative ist die Thematik der «Hochpreisinsel Schweiz». Mit der im Rahmen der vorliegenden Botschaft vorgenommenen Darlegung der Ursachen der «Hochpreisinsel Schweiz» soll zugleich das Postulat Fournier vom 17. Dezember 2015 (15.4159 «Weshalb ist die Schweiz eine Hochpreisinsel? Und was kann dagegen unternommen werden?») erfüllt werden. Es beauftragt den Bundesrat, die Gründe für das hohe Kosten- und Preisniveau in der Schweiz zu analysieren und darzulegen sowie Massnahmen vorzuschlagen, mit denen dieses bekämpft werden kann. Dabei soll der Fokus insbesondere auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen und die Stärkung des Wettbewerbs gerichtet werden. Der Ständerat hat das Postulat am 10. März 2016 angenommen.

2.1.3

Ursachen von höheren Preisen

2.1.3.1

Einleitende Bemerkungen

Der Bundesrat hat die Ursachen der «Hochpreisinsel Schweiz» im Bericht in Erfüllung des Postulates David vom 14. Dezember 2005 (05.3816 «Preisinsel Schweiz») eingehend analysiert und verschiedene Massnahmen vorgeschlagen.10 Des Weiteren hat der Bundesrat 2016 in Erfüllung des Postulats der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 24. Februar 2014 (14.3014 «Erleichterung der Zollabfertigung und Förderung von Parallelimporten dank Anerkennung weiterer Dokumente zur Erbringung des Ursprungsnachweises») einen Bericht über die Erleichterung von Parallelimporten vorgelegt.11 Der Bericht behandelt ebenfalls die Thematik der «Hochpreisinsel Schweiz» und zeigt auf, dass verschiedene Faktoren für das hohe Preisniveau verantwortlich sind. Die den beiden erwähnten Berichten zugrundeliegende Analyse trifft grundsätzlich auch heute noch zu. Nachfolgend werden die wichtigsten Ursachen und mögliche Massnahmen noch einmal kurz aufgerollt.

2.1.3.2

Kaufkraft

Unternehmen tendieren dazu, Preise wenn möglich nach geografischen oder anderen Kriterien zu segmentieren und damit bei den Nachfragerinnen und Nachfragern jeweils einen möglichst grossen Teil der Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen. Aufgrund der im internationalen Vergleich äusserst hohen Kaufkraft in der Schweiz (vgl. Abbildung 3) sind viele Unternehmen versucht, ihre Produkte in der Schweiz

10

11

Vgl. «Preisinsel Schweiz, Berichte in Erfüllung des Postulates David (05.3816)», Grundlagen der Wirtschaftspolitik Nr. 16, 2008, abrufbar unter: www.seco.admin.ch> Publikationen und Dienstleistungen > Publikationen > Konsum und Preise > Preisunterschiede > Preisinsel Schweiz.

Abrufbar unter: www.parlament.ch > 14.3014 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

4890

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teurer zu verkaufen. In Ländern mit tiefem Lohnniveau werden entsprechend tiefere Preise verlangt.

2.1.3.3

Handelshemmnisse

Das Setzen höherer Preise in der Schweiz ist nur unter gewissen Bedingungen möglich und erfolgreich: Je besser handelbar ein Gut ist, desto schwieriger sind höhere Preise in der Schweiz durchzusetzen. So erschweren unter anderem auch tiefe Transportkosten und eine gute Lagerfähigkeit das Setzen höherer Preise in der Schweiz. In dieser Hinsicht begünstigen Zölle (insbesondere im Agrarbereich), Zollformalitäten, unterschiedliche Produktvorschriften oder Zulassungs- und Bewilligungsverfahren die erwähnte internationale Segmentierung von Märkten. Heute gibt es in der Schweiz nach wie vor zahlreiche solche Handelshemmnisse,12 welche die Handelbarkeit von Waren und Dienstleistungen erschweren, den Schweizer Markt abschotten und somit zu den hohen Preisen beitragen; eine solche Segmentierung kann aber beispielsweise auch durch private Handelsbeschränkungen wie etwa Gebietsschutzabreden* erreicht werden (vgl. dazu Ziff. 2.1.3.5). Daneben verursachen Handelshemmnisse in der Regel auch direkte Kosten, etwa Zollgebühren oder anfallende Kosten für ein Bewilligungsverfahren.

Im Jahr 2010 wurde das Cassis-de-Dijon-Prinzip durch die Schweiz autonom eingeführt. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip wurde ursprünglich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelt.13 Produkte, die den technischen Vorschriften der EU oder eines Mitgliedstaates der EU oder des EWR entsprechen und dort rechtmässig in Verkehr sind, dürfen nach Artikel 16a des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 199514 über die technischen Handelshemmnisse grundsätzlich auch in der Schweiz ohne vorgängige Kontrollen frei zirkulieren. Ausnahmen sind nur zum Schutz überwiegender öffentlicher Interessen möglich. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip hat die Handelbarkeit verschiedener Güter zwar erhöht. Dessen Wirkung wurde jedoch durch etliche Ausnahmen (z. B. abweichende Deklarationsvorschriften im Lebensmittelbereich), durch die Bewilligungspflicht bei Lebensmitteln sowie durch weiterhin bestehende Zulassungsverfahren für diverse Güterkategorien (z. B. Arzneimittel, Futtermittel, Pflanzenschutzmittel, Biozidprodukte) geschwächt.

12 13 14

Vgl. dazu auch Stefan Bühler (2015), Kartellrechtsreform auf der Hochpreisinsel ­ ein ambitioniertes Unterfangen, in: Die Volkswirtschaft, 8­9/2015, S. 52 f.

EuGH, Urteil v. 20.2.1979, Rewe-Zentral AG gegen Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, 120/78, abgedruckt in GRUR Int. 1979, 468 ff.

SR 946.51

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2.1.3.4

Produktionskosten

Ein weiterer Faktor, der zu höheren Preisen auf dem Schweizer Markt führt, besteht in den hohen allgemeinen Produktionskosten in der Schweiz. Dazu gehören Löhne (vgl. Ziff. 2.1.1), Mieten, Baukosten, Energiekosten, Transportkosten, Rohstoffe, Zwischengüter oder andere Vorleistungen, welche die inländische Herstellung von Gütern und Dienstleistungen im Vergleich zum Ausland verteuern. Die Bedeutung der einzelnen Kosten variieren je nach Produkt und entsprechender Marktstruktur, wie etwa Fallstudien zu Agrargütern gezeigt haben.15 Auch höhere Einstandspreise beim Wareneinkauf können beispielsweise eine Ursache für die relativ hohen Preise im Detailhandel sein.16 Ein weiterer Faktor der relativ hohen Produktionskosten in der Schweiz ist der mangelnde Wettbewerb in verschiedenen Bereichen des Binnenmarktes.17 Dazu gehören etwa Netzwerkindustrien wie Postwesen, Energie oder die freien Berufe (z. B. Notarinnen und Notare). Hier könnten weitere Liberalisierungsschritte zu tieferen Preisen für die inländischen Unternehmen beitragen.

2.1.3.5

Wettbewerb und Kartellrecht

Neben Kaufkraft- und Kostenüberlegungen stützen sich Anbieter bei der Preisfestsetzung auch auf die Konkurrenzsituation in den jeweiligen Märkten. 18 Tendenziell sinkt die Marktmacht und der Preissetzungsspielraum eines Unternehmens, je mehr

15

16

17

18

Bokusheva Raushan; Fischer Silvan; Grass Michael (2019). Eine Analyse von FoodWertschöpfungsketten auf Basis internationaler Vergleichsdaten und Fallstudien, BAK Economics und ZHAW, Studie im Auftrag des SECO; Cerca Mariana, Mann Stefan, Kohler Andreas, Wunderlich Anne, Logatcheva Katja, van Galen Michiel, Helming John, van Berkum Siemen, Rau Marie Luise, Baltussen Willy (2019); Concentrate Animal Feed as an Input Good in Swiss Agricultural Production, Wageningen Economic Research, Studie im Auftrag des SECO; Gentile Enrica, Gentile Mario, Loi Albercio et al. (2019).

Fertilizers and pesticides: Price differences between Switzerland and neighbouring countries, Studie im Auftrag des SECO; Logatcheva Katja, van Galen Michiel, Janssens Bas, Rau Marie Luise, Baltussen Willy, van Berkum Siemen, Mann Stefan, Ferjani Ali, Cerca Mariana (2019). Factors Driving Up Prices Along the Food Value Chain in Switzerland ­ Case Studies on Bread, Yoghurt, and Cured Ham, Wageningen Economic Research, Studie im Auftrag des SECO. Alle Studien sind abrufbar unter www.seco.admin.ch> Publikationen & Dienstleistungen > Strukturwandel und Wachstum > Branchenanalysen.

BAK Basel Economics (2017), Die Kosten des Schweizer Detailhandels im internationalen Vergleich. Eine Studie im Auftrag der Swiss Retail Federation. Die Studie ist abrufbar unter www.bak-economics.com> Publikationen > (im Suchfeld «Die Kosten des Schweizer Detailhandels im internationalen Vergleich» eingeben; auf das erste Suchergebnis «Die Kosten des Schweizer Detailhandels im internationalen Vergleich» klicken).

Bericht des WBF vom 21. Jan. 2015 «Grundlagen für die Neue Wachstumspolitik.

Analyse der bisherigen und Ausblick auf die zukünftige Strategie. Bericht in Erfüllung des Postulates 13.3907 Leutenegger Oberholzer, S. 100 ff. Der Bericht ist abrufbar unter www.parlament.ch> 13.3907 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

Vgl. Mathias Zurlinden (2007), Preissetzungsverhalten von Unternehmen: Auswertung einer Umfrage der Delegierten für regionale Wirtschaftskontakte, Schweizerische Nationalbank SNB, Quartalsheft 1/2007.

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Anbieter auf einem Markt tätig sind.19 Marktmacht beziehungsweise Preissetzungsspielraum führt in der Regel zu erhöhten Margen und kann ­ vom (ausländischen oder inländischen) Hersteller über den Importeur/Grosshandel bis hin zum Detailhändler ­ grundsätzlich auf verschiedenen Stufen der Lieferkette vorhanden sein.

Die Wettbewerbssituation auf den betroffenen Märkten muss deshalb bei der Erklärung der hohen Preise in der Schweiz mitberücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ob mögliche Preisvorteile schliesslich an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben werden. Wichtig in dem Zusammenhang ist die Wechselwirkung mit den Handelshemmnissen (vgl. Ziff. 2.1.3.3): Durch den weiteren Abbau von Handelshemmnissen kann der Wettbewerbsdruck im Inland weiter erhöht werden und damit der Druck auf die Preise entstehen.

Eine Marktsegmentierung kann aber nicht nur durch Handelshemmnisse, sondern auch durch private Handelsbeschränkungen wie etwa die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung oder Gebietsschutzabreden erreicht werden (vgl. hierzu Ziff. 2.2). Deshalb ist die strikte Anwendung des geltenden Kartellrechts zentral. Die Wettbewerbskommission (WEKO) und die Eidgenössischen Gerichte haben in den letzten Jahren in dem Zusammenhang mehrere Verfahren gegen Unternehmen, die Gebietsschutzabreden angewendet hatten, abgeschlossen und die betroffenen Unternehmen sanktioniert.20 Bereits an dieser Stelle ist zudem festzuhalten, dass das Bundesgericht in einem Leitentscheid in Sachen «Gaba» jüngst die Hürden für den Nachweis von unzulässigen Gebietsschutzabreden sowie auch anderen harten Wettbewerbsabreden gesenkt hat.21 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die «Hochpreisinsel Schweiz» verschiedene Ursachen hat, die wiederum miteinander verknüpft sind. Bei der Analyse von Preisunterschieden sollten alle genannten Ursachen berücksichtigt werden.

Diese können je nach Produkt in ganz unterschiedlichem Ausmass zu den höheren Preisen in der Schweiz beitragen. Die Ursachen für die relativ hohen Preise in der Schweiz sind in nachfolgender Abbildung noch einmal schematisch zusammengefasst.

19 20 21

Vgl. hierzu etwa Massimo Motta (2004), Competition Policy in Theory and Practice, Cambridge University Press, S. 39 ff. und 231 ff.

Vgl. etwa BGE 143 II 297, Gaba; BGE 144 II 194, BMW; BGE 144 II 246, Altimum SA; BVGer B-581/2012 vom 16. Sept. 2016, Nikon.

BGE 143 II 297, Gaba.

4893

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Ursachen «Hochpreisinsel Schweiz»

Abbildung 6

Quelle: SECO, stilisiertes Beispiel anhand eines Importgutes aus der EU. Die Höhe der Balken ist fiktiv.

2.1.4

Massnahmen gegen die «Hochpreisinsel Schweiz»

Zu den Handlungsmöglichkeiten gegen die «Hochpreisinsel Schweiz» gehören unter anderem der Abbau von tarifären sowie technischen Handelshemmnissen, die Stärkung des Wettbewerbs im Binnenmarkt sowie ein griffiges Wettbewerbsrecht, um den Wettbewerb zu schützen. Die möglichen Massnahmen gegen die «Hochpreisinsel Schweiz» sind seit vielen Jahren bekannt, politisch jedoch teilweise stark umstritten.

Auf Basis der in Ziffer 2.1.3 erwähnten Arbeiten hat der Bundesrat 2017 umfassende Massnahmen gegen die «Hochpreisinsel Schweiz» beschlossen (vgl. Abbildung 7).22 Die Massnahmen zielen auf den Abbau von Importhindernissen und erschweren damit die Marktsegmentierung und Preisdifferenzierung durch ausländische Hersteller. So will er die Zölle auf Importen von Industriegütern unilateral aufheben. Des Weiteren sollen Zölle auf ausgewählte Agrargüter sinken, welche nicht in der Schweiz hergestellt werden. Zudem möchte er das Cassis-de-DijonPrinzip stärken, indem die Anzahl der Ausnahmen (vgl. Ziff. 2.1.3.3) verringert wird. Zudem hat der Bundesrat eine Vernehmlassung zur Vereinfachung des Bewilligungsverfahrens für Lebensmittel gemäss Cassis-de-Dijons-Prinzip durchgeführt und berät zurzeit das weitere Vorgehen.23 Insgesamt werden mit diesen Massnah-

22

23

Vgl. Medienmitteilung des SECO vom 20. Dez. 2017, abrufbar unter www.seco.admin.ch > Das SECO > Medienmitteilungen > Medienmitteilungen 2017 ­ SECO > Bundesrat beschliesst Massnahmen gegen Hochpreisinsel.

Die Vernehmlassungsunterlagen sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2017 > WBF.

4894

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men substanzielle Kosteneinsparungen von rund 900 Millionen Franken angestrebt, welche bei Unternehmen sowie beim Privatkonsum anfallen sollten.

Abbildung 7 Übersicht über beschlossene Massnahmen gegen die «Hochpreisinsel Schweiz»

Quelle: eigene Darstellung des Bundesrates

Um den Wettbewerb noch besser zu schützen, wird schliesslich eine Modernisierung der wettbewerbsrechtlichen Fusionskontrolle angestrebt. Die Einführung des auch von der EU angewandten «Significant Impediment to Effective Competition»-Tests (SIEC) würde es der WEKO erlauben, in Einzelfällen auch dann zu intervenieren, wenn eine erhebliche Behinderung des Wettbewerbs vorliegt, ohne dass eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des in der Schweiz aktuell geltenden qualifizierten Marktbeherrschungstests besteht; nach Artikel 10 Absatz 2 des Kartellgesetzes vom 6. Oktober 199524 (KG) kann die WEKO einen Zusammenschluss nur untersagen oder ihn mit Bedingungen und Auflagen zulassen, wenn der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung, durch die wirksamer Wettbewerb beseitigt werden kann, begründet oder verstärkt und keine Verbesserung der Wettbewerbsverhältnisse in einem anderen Markt bewirkt, welche die Nachteile der marktbeherrschenden Stellung überwiegt. Die Revision der Fusionskontrolle könnte die Entstehung markt24

SR 251

4895

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mächtiger Unternehmen erschweren, was sich wiederum positiv auf das Wettbewerbsumfeld in der Schweiz auswirken dürfte.

In Bezug auf den Wettbewerb in den Netzwerkindustrien kann erwähnt werden, dass der Bundesrat derzeit ein Gasversorgungsgesetz vorbereitet 25 sowie Ende 2018 für eine Änderung des Stromversorgungsgesetzes vom 23. März 200726 (StromVG), mit dem Ziel der vollständigen Öffnung des Strommarktes, die Vernehmlassung eröffnet hat.27 Schliesslich muss beachtet werden, dass gewisse Preisunterschiede im Vergleich mit dem umliegenden Ausland aufgrund von Kostenunterschieden und einer anderen Wettbewerbs- und Nachfragesituation bestehen bleiben dürften. Dies belegt auch die Situation in der EU, wo trotz gemeinsamem Binnenmarkt teilweise grosse Unterschiede im Preisniveau zwischen den Mitgliedstaaten bestehen (vgl. Abbildung 1).

2.2

Geltendes Recht

2.2.1

Kartellrecht

2.2.1.1

Wettbewerbsabreden

Vereinbaren miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen die Abschottung des Schweizer Marktes etwa durch die Aufteilung nach Gebieten oder Geschäftspartnern, kann dies eine Wettbewerbsabrede*28 nach Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe c KG darstellen, die gemäss Artikel 49a KG auch direkt sanktionierbar ist, sofern die Vermutung der Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs nach Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe c KG nicht widerlegt werden kann oder keine Rechtfertigung aus Gründen der ökonomischen Effizienz gegeben ist. Weiter beinhaltet Artikel 5 Absatz 4 KG eine Vermutung der Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs bei Wettbewerbsabreden zwischen Unternehmen verschiedener Marktstufen über Mindest- oder Festpreise sowie über ein passives Verkaufsverbot* (entspricht der Vereinbarung eines absoluten Gebietsschutzes*). Auch wenn diese Vermutung in der Praxis in der Regel widerlegt wird, sind solche Abreden grundsätzlich erheblich und ­ vorbehaltlich einer Effizienzrechtfertigung ­ unzulässig. Solche Wettbewerbsabreden sind nach Artikel 49a KG auch direkt sanktionierbar. Die Behinderung von Parallel- und Direktimporten stellt seit Jahren einen Fokus der Wettbewerbsbehörden dar. Dies zeigt auch die Fallpraxis in diesem Zusammenhang. Zu nennen sind hier insbesondere die Fälle «Gaba»29, «BMW»30 und «Nikon»31.

25 26 27 28 29 30 31

Weitere Informationen sind abrufbar unter www.bfe.admin.ch > Versorgung > Fossile Energien > Erdgas > Gasversorgungsgesetz.

SR 734.7 Die Vernehmlassungsunterlagen sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > UVEK.

Die mit einem Sternchen versehenen Begriffe werden im Glossar erklärt.

BGE 143 II 297, Gaba.

BGE 144 II 194, BMW.

BVGer B-581/2012 vom 16. Sept. 2016, Nikon.

4896

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2.2.1.2

Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung

Das geltende Recht beinhaltet darüber hinaus in Artikel 7 KG das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung*. Gemäss Artikel 4 Absatz 2 KG gelten «als marktbeherrschende Unternehmen (...) einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten». Im Rahmen der Revision des KG vom 20. Juni 200332 wurde die Klammer «(Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern)» in Artikel 4 Absatz 2 KG eingefügt. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft vom 7. November 200133 über die Änderung des Kartellgesetzes ausgeführt, dass bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens nicht allein auf Marktstrukturdaten abzustellen ist, sondern die konkreten Abhängigkeitsverhältnisse auf dem Markt zu prüfen sind.34 Marktbeherrschung könne insbesondere auch bei einem Unternehmen vorliegen, «das im Verhältnis zu Mitbewerbern über eine überragende Marktstellung verfügt, oder bei einem Unternehmen, von welchem andere Unternehmen als Nachfrager oder Anbieter abhängig sind».35 Gemäss einem Teil der Literatur wurde mit der Anpassung von Artikel 4 Absatz 2 KG das Konzept der relativen Marktmacht* bereits 2004 in das KG eingeführt.36 Eine ausdrückliche Aufnahme in das KG fand allerdings nicht statt. In der Praxis blieb diese Auslegung daher von untergeordneter Bedeutung. Die WEKO hat (nach der KG-Revision vom 20. Juni 2003) die Anwendbarkeit von Artikel 7 KG auf Fälle der relativen Marktmacht lediglich im Rahmen der Prüfung von Zusammenschlüssen berücksichtigt.37 Es existiert kein rechtskräftiger Entscheid der WEKO, in dem Artikel 7 KG auf bloss relativ marktmächtige Unternehmen angewandt wurde. So wurde im Fall «CoopForte» die Frage aufgrund einer einvernehmlichen Regelung ausdrücklich offengelassen.38 Ein tabellarischer Vergleich des geltenden Rechts mit den Forderungen der parlamentarischen Initiative Altherr vom 25. September 2014 (14.449 «Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland»; vgl.

Ziff. 2.3), der Fair-Preis-Initiative und dem Entwurf für den indirekten Gegenvorschlag findet sich im Anhang.

2.2.1.3

Rechtsfolgen einer marktbeherrschenden Stellung

Mit einer marktbeherrschenden Stellung eines oder mehrerer Unternehmen gehen gemäss Artikel 7 KG gewisse Verhaltenspflichten einher, die für Unternehmen, die 32 33 34 35 36

37 38

AS 2004 1385 BBl 2002 2022 BBl 2002 2022, hier 2045; siehe hierzu auch BGE 139 I 72 E. 9.3.1, Publigroupe.

BBl 2002 2022, hier 2045 Vgl. etwa Luca Stäuble/Felix Schraner, DIKE-KG, Art. 4 Abs. 2 N 119; Roger Zäch, Schweizerisches Kartellrecht, 2. Aufl., Bern 2005, Rz. 574 ff.; a.A. etwa BSK KG-Reinert/Bloch, Art. 4 Abs. 2 N 23 ff.; Marc Amstutz/Mani Reinert, sic! 2005, S.537 ff. und S. 631 ff.

Vgl. etwa RPW 2008/4, S. 166, Rz. 476, Coop/Carrefour; RPW 2008/2, 290, Rz. 87 ff., fenaco/Steffen-Ris Holding AG.

RPW 2005/1, 146 Rz. 163.

4897

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nicht marktbeherrschend sind, nicht gelten. Das KG verbietet nicht eine marktbeherrschende Stellung an sich, sondern nur deren Missbrauch. Was unter dem Begriff des Missbrauchs zu verstehen ist, kann nicht abschliessend definiert werden. Gemeinhin unterscheidet man zwischen Behinderungsmissbrauch* und Ausbeutungsmissbrauch*.

Artikel 7 Absatz 2 KG listet sechs Beispieltatbestände (im Folgenden: Regelbeispiele*) auf, deren Verwirklichung jeweils einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen kann. Insbesondere kann es marktbeherrschenden Unternehmen je nach den Umständen des Einzelfalls verboten sein, Geschäftsbeziehungen zu verweigern (Art. 7 Abs. 2 Bst. a KG) oder Handelspartner bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen zu diskriminieren (Art. 7 Abs. 2 Bst. b KG).

Allerdings stellt die Verwirklichung eines der Regelbeispiele nicht automatisch einen Missbrauch dar. Vorausgesetzt wird zudem, dass durch die Verhaltensweise des marktbeherrschenden Unternehmens ein anderes Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert oder die Marktgegenseite benachteiligt wird. Schliesslich darf keine sachliche Rechtfertigung (auch «Legitimate Business Reasons» genannt) für das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens existieren.

2.2.1.4

Allgemeines Privatrecht

Neben der Kartellrechtsordnung ist hinsichtlich der Frage eines allfälligen Diskriminierungsverbots beziehungsweise einer Kontrahierungspflicht auch die Privatrechtsordnung zu berücksichtigen. Diese beruht auf dem Institut der Privatautonomie und somit auf der Vertragsfreiheit. Letztere wiederum besteht aus verschiedenen Elementen, wie der Abschlussfreiheit, der Partnerwahlfreiheit, der Inhaltsfreiheit, der Formfreiheit und der Aufhebungsfreiheit.39 Dabei können insbesondere die Abschluss- und die Partnerwahlfreiheit ausnahmsweise durch Kontrahierungspflichten eingeschränkt werden, die neben einem vertraglichen vor allem auch einen gesetzlichen Ursprung haben können.40 Eine Kontrahierungspflicht kann sich entweder ausdrücklich aus einer gesetzlichen Vorschrift (z. B. Art. 12 Personenbeförderungsgesetz vom 20. März 200941) oder aus allgemeinen Prinzipien des Privatrechts wie dem Verbot sittenwidrigen Verhaltens ergeben. Eine auf das Verbot sittenwidrigen Verhaltens gestützte Kontrahierungspflicht soll gemäss Bundesgericht aufgrund des ausserordentlich hohen Stellenwerts der Privatautonomie in der Privatrechtsordnung allerdings nur für Fälle gelten, in denen die folgenden vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:42 Erstens muss ein Unternehmen seine Waren oder Dienstleistungen allgemein und öffentlich anbieten. Zweitens muss es sich um Waren und Dienstleistungen handeln, die zum Normalbedarf gehören, wozu solche zählen, die heute praktisch allen zur Verfügung stehen und im Alltag in Anspruch genommen werden, wobei keine Beschränkung auf lebenswichtige Waren und Dienstleistungen vorge39 40 41 42

BGE 129 III 35 E. 6.1.

BGE 129 III 35 E. 6.1.

SR 745.1 BGE 129 III 35 E. 6.3.

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nommen wird. Drittens müssen dem Interessenten aufgrund der starken Machtstellung des Anbieters zumutbare Ausweichmöglichkeiten zur Befriedigung seines Normalbedarfs fehlen, wobei von einer solchen Machtkonstellation dann auszugehen ist, wenn entweder nur ein einziger Anbieter zureichend erreichbar ist, oder wenn sich alle in Frage kommenden Anbieter gegenüber dem Interessenten gleichermassen ablehnend verhalten. Viertens darf schliesslich keine sachliche Rechtfertigung für die Verweigerung des Vertragsabschlusses existieren. Allerdings hat die gerichtliche Durchsetzung von Belieferungsansprüchen aufgrund der hier skizzierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung in der Praxis, soweit ersichtlich, keine nennenswerte Bedeutung.

2.2.1.5

Privates Geoblocking

Dem Schweizer Recht ist ein Verbot des privaten Geoblockings* fremd. Das europäische Recht versteht unter dem Begriff des privaten Geoblockings Massnahmen von Unternehmen, die darauf abzielen, den Zugang zu ihren Online-Benutzeroberflächen für Kundinnen und Kunden aus anderen Mitgliedstaaten zu beschränken. Online-Benutzerflächen können dabei beispielsweise Internetseiten, aber auch andere Anwendungen sein. Das Adjektiv «privat» dient der Abgrenzung gegenüber staatlich angeordneten Geoblocking-Massnahmen, wie sie beispielsweise in Artikel 86 Geldspielgesetz vom 29. September 201743 ausdrücklich vorgesehen sind.

Insbesondere das Bundesgesetz vom 19. Dezember 198644 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) kennt keine mit dem EU-Recht vergleichbare Regelung. Ob der Einsatz von Geoblocking durch Unternehmen allenfalls gemäss der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel (Art. 2 UWG) unlauter und damit unzulässig sein könnte, ist sehr fraglich, da insbesondere rein auf die quantitativen Aspekte des Wettbewerbs ausgerichtete Verhaltensweisen vom UWG ­ und damit auch von der Generalklausel ­ nicht erfasst werden. Allerdings können die Vorschriften des KG die Anwendung von privaten Geoblocking-Massnahmen in bestimmten Konstellationen verbieten.

Vereinbaren zwei Unternehmen dessen Einsatz zulasten des Schweizer Marktes, kann dies eine unzulässige, allenfalls sogar direkt sanktionierbare Wettbewerbsabrede nach Artikel 5 KG darstellen. Darüber hinaus kann der Einsatz von Geoblocking durch marktbeherrschende Unternehmen den Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 7 KG erfüllen. Massgeblich sind im Rahmen einer kartellrechtlichen Betrachtung allerdings stets die Umstände des Einzelfalls.

2.3

Parlamentarische Vorstösse

Neben dem in Ziffer 2.1.2 angesprochenen Postulat Fournier 15.4159 ist die Thematik der «Hochpreisinsel Schweiz» in den vergangenen Jahren in der politischen Diskussion insbesondere mit Änderungsvorschlägen der kartellrechtlichen Bestim43 44

SR 935.51 SR 241

4899

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mungen verknüpft worden. In diesem Rahmen wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse und parlamentarische Initiativen eingereicht:

45 46

­

Am 25. September 2014 wurde als Reaktion auf das Nichteintreten des Nationalrats am 17. September 201445 auf die Kartellgesetzrevision vom 22. Februar 2012 (Botschaft vom 22. Februar 201246 zur Änderung des Kartellgesetzes und zum Bundesgesetz über die Organisation der Wettbewerbsbehörde) die parlamentarische Initiative Altherr 14.449 «Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland» eingereicht. Sie fordert die umfassende und ausdrückliche Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht im Schweizer Kartellrecht (siehe zum Vergleich der parlamentarischen Initiative Altherr mit dem geltenden Recht, der Fair-PreisInitiative und dem Entwurf für den indirekten Gegenvorschlag die Tabelle im Anhang). Der parlamentarischen Initiative Altherr wurde am 26. Januar 2015 durch die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) Folge gegeben. Am 29. Juni 2015 stimmte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) dem Beschluss ihrer Schwesterkommission zu. Am 27. September 2017 hat der Ständerat entschieden, die Frist für die Ausarbeitung eines Entwurfs um zwei Jahre zu verlängern, das heisst bis zur Herbstsession 2019.

­

Am 22. Dezember 2015 wurde die Standesinitiative des Kantons Schaffhausen 16.301 «Bekämpfung der Hochpreisinsel Schweiz» eingereicht, die sicherstellen wollte, beispielsweise durch eine Revision des KG, dass ausländische Lieferanten bei Lieferungen in die Schweiz keine ungerechtfertigten Importpreiszuschläge (sog. «Schweiz-Zuschläge») erheben können. Weder der Ständerat noch der Nationalrat gaben der Standesinitiative Folge.

­

Am 14. März 2018 wurde die Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt 18.304 «Hochkosten- und Hochpreisinsel Schweiz. Für faire Beschaffungspreise» eingereicht, die den Bundesrat ersucht ­ z. B. durch eine Revision des KG oder andere Massnahmen ­ sicherzustellen, dass Nachfrager aus der Schweiz Produkte, auf die sie mangels Ausweichmöglichkeiten angewiesen sind, gegebenenfalls im Ausland zu den dort geltenden Preisen und Bedingungen beschaffen können. Die Standesinitiative wurde weder im Ständerat noch im Nationalrat behandelt.

­

Neben Vorschlägen zur allgemeinen Erleichterung des Imports von Waren und Dienstleistungen zu tieferen Preisen wurde für den Markt für Zeitschriften eine sektorspezifische Regulierung gefordert. Die parlamentarische Initiative de Buman 16.420 «Für angemessene Zeitschriftenpreise in der Schweiz» forderte eine Änderung des Kartellgesetzes, um die Preise von ausländischen Zeitungen und Zeitschriften in der Schweiz zu senken. Der Nationalrat gab dem Vorstoss am 11. September 2017 keine Folge. Kurz zuvor, am 14. August 2017, reichte die WAK-N die Motion 17.3629 «Schaffung eines wirkungsvollen Instruments gegen unangemessene Zeitschriftenpreise» ein, die, anstatt eine ausdrückliche Änderung des KG zu fordern, den AB 2014 N 1563 BBl 2012 3905

4900

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Bundesrat beauftragte wollte, zusammen mit der WEKO und dem Preisüberwacher eine Lösung für die unangemessen hohen Differenzen zwischen in- und ausländischen Zeitschriftenpreisen zu finden, wobei eine möglichst effiziente und unbürokratische Lösung gesucht werden sollte, die nachhaltig die Preise von Zeitschriften aus dem Ausland senkt. Der Nationalrat nahm die Motion am 5. März 2018 an. Der Ständerat lehnte die Motion am 11. März 2019 ab.

Darüber hinaus wurde auch die Thematik des privaten Geoblockings verschiedentlich im Parlament diskutiert. Insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der EU wurden folgende parlamentarische Vorstösse zu dieser Frage eingereicht: ­

Das Postulat Nantermod 16.3375 «Den Parallelimport von Online-Inhalten zulassen» wollte den Bundesrat beauftragen zu prüfen, welche Massnahmen ergriffen werden können, um den Parallelimport von Online-Inhalten zu fördern und somit das private Geoblocking einzuschränken, damit Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten Online-Dienste, die im Ausland angeboten werden, nutzen können und im Ausland Zugang zu Schweizer OnlineDiensten haben. Der Nationalrat lehnte das Postulat am 28. Februar 2018 ab.

­

Die Motion Schneider-Schneiter 16.3499 «Task-Force digitaler Freihandel.

Stopp dem Geoblocking» wollte den Bundesrat auffordern, eine Task-Force digitaler Freihandel einzusetzen, um die Handelshemmnisse wie das private Geoblocking in rascher Frist beseitigen oder dämpfen zu können. Der Nationalrat lehnte die Motion am 28. Februar 2018 ab.

­

Die Motion Schneider-Schneiter 17.4227 «Geoblocking. Verpasst die Schweiz wieder den Anschluss? Task-Force zum digitalen Freihandel jetzt!» fordert den Bundesrat erneut auf, eine Task-Force digitaler Freihandel einzusetzen, um die Handelshemmnisse wie Geoblocking-Massnahmen durch Unternehmen in rascher Frist beseitigen zu können. Der Vorstoss wurde im Parlament noch nicht behandelt.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Die Fair-Preis-Initiative will die Beschaffungskosten für hiesige Unternehmen und öffentliche Institutionen verringern sowie die Einkaufspreise für Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz senken. Im Fokus der Initiantinnen und Initianten stehen importierte Produkte und Dienstleistungen, deren Preise in der Schweiz weit über denjenigen im Ausland liegen. Durch die Verhinderung von spezifischen Preisaufschlägen für die Schweiz sollen Nachteile der Unternehmen gegenüber der ausländischen Konkurrenz verringert und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit im Inland und in der Exportwirtschaft gesteigert werden. Zum anderen sollen auch im Inland Unternehmen vor anderen Unternehmen geschützt werden, die nicht marktbeherrschend sind. Die Konsumentinnen und Konsumenten sollen auch von den tieferen

4901

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Beschaffungskosten insbesondere des Detailhandels profitieren und der Einkaufstourismus soll damit eingedämmt werden.47

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Um die Beschaffungskosten für Unternehmen zu verringern, sieht die Initiative in den Übergangsbestimmungen eine Änderung des Kartellrechts und der Regelungen über den unlauteren Wettbewerb vor. In Bezug auf das erste Regelungsgebiet sollen die Verhaltensweisen, die für marktbeherrschende Unternehmen unzulässig sind, darüber hinaus auch für Unternehmen unzulässig sein, von denen andere Unternehmen in einer Weise abhängig sind, dass für letztere keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Unternehmen auszuweichen (relativ marktmächtige Unternehmen). Erfasst werden sollen durch diese Herabsetzung der Eingriffsschwelle im Bereich des Missbrauchs einer marktmächtigen Stellung insbesondere grenzüberschreitende Konzernsachverhalte. Bei diesen sind die Vorschriften über Wettbewerbsabreden nach Artikel 5 KG und somit insbesondere die Vermutung der Beseitigung wirksamen Wettbewerbs bei Vereinbarung eines passiven Verkaufsverbots nach Artikel 5 Absatz 4 KG (vgl. Ziff. 2.2.1.1) aufgrund des sogenannten Konzernprivilegs grundsätzlich nicht anwendbar. Vereinbarungen zwischen verschiedenen Konzerngesellschaften stellen grundsätzlich keine Wettbewerbsabreden im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 KG dar. Der Hintergrund dieser Regelung besteht darin, dass es sich bei Konzerngesellschaften im wirtschaftlichen Sinne in der Regel nicht um voneinander unabhängige Unternehmen handelt. Auf diese Konstellationen ist Artikel 5 KG somit nicht anwendbar (sog. Konzernprivileg). Die Initiative will den Wettbewerbsbehörden mittels verwaltungsrechtlichem Verfahren und den betroffenen Unternehmen mittels Zivilklage die Möglichkeit eröffnen, gegen die Preisdiskriminierung von relativ marktmächtigen Unternehmen zulasten von nachfragenden Unternehmen aus der Schweiz vorzugehen, selbst wenn diese im Wettbewerb stehen.

Neben dem Schutz von Unternehmen aus der Schweiz, die im Ausland Waren und Dienstleistungen beziehen möchten, erfasst die von der Initiative vorgeschlagene Regelung auch im Inland tätige Unternehmen sowohl als Anbieter als auch als Nachfrager. Damit sollen diese letztgenannten Unternehmen vor Wettbewerbsverzerrungen im Inland geschützt werden. Zugleich sollen von ihnen im Inland ausgehende Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. In jedem Fall sollen direkte Sanktionen ausgeschlossen werden. Nach
geltendem Recht können die Wettbewerbsbehörden nur in das Marktgeschehen eingreifen, wenn ein Unternehmen marktbeherrschend ist und sich missbräuchlich verhält oder an einer unzulässigen Wettbewerbsabrede beteiligt ist.

In Bezug auf das Lauterkeitsrecht sieht die Initiative über die Übergangsbestimmungen die Schaffung einer Regelung zur grundsätzlichen Gewährleistung des diskriminierungsfreien Einkaufs im Online-Handel (grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings) vor, damit Konsumentinnen und Konsumenten sowie Unternehmen 47

Vgl. Langargumentarium, abrufbar auf der Website des Initiativkomitees: www.fair-preis-initiative.ch > Argumentarium (Stand: 13. Mai 2019).

4902

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im grenzüberschreitenden Online-Einkauf keinen Aufpreis gegenüber den jeweiligen lokalen Nachfragerinnen und Nachfrager im Ausland bezahlen. Damit weist die Initiative diesbezüglich einen sehr weiten Anwendungsbereich auf, gibt jedoch keine Hinweise hinsichtlich der grenzüberschreitenden Durchsetzung einer solchen Regelung.

Ein tabellarischer Vergleich der Fair-Preis-Initiative mit dem Entwurf für den indirekten Gegenvorschlag und der parlamentarischen Initiative Altherr (14.449 «Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland») sowie dem geltenden Recht findet sich im Anhang.

3.3

Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

3.3.1

Einleitende Bemerkungen

Der geltende Artikel 96 Absatz 1 BV verpflichtet den Bund, Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen zu erlassen. Die Initiative fordert dessen Erweiterung um einen weiteren Satz (Art. 96 Abs. 1 des Entwurfs zur Änderung der BV gemäss der Initiative [E-BV]). Demnach hat der Bund insbesondere Massnahmen zur Gewährleistung der diskriminierungsfreien Beschaffung von Waren und Dienstleistungen im Ausland sowie zur Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen, die durch einseitiges Verhalten* von marktmächtigen Unternehmen verursacht werden, zu treffen.

Zur Auslegung dieser Ergänzung in Artikel 96 Absatz 1 E-BV legt die Initiative Übergangsbestimmungen in Artikel 197 Ziffer 12 Absatz 1 E-BV fest. Hiernach hat der Bundesrat bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen innerhalb zweier Jahre nach Annahme der Initiative durch Volk und Stände die erforderlichen Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

Artikel 197 Ziffer 12 Absatz 2 E-BV sieht sodann vor, dass die Ausführungsbestimmungen von Bundesversammlung und Bundesrat den dort aufgeführten Grundsätzen zu folgen haben.

3.3.2

Artikel 96 Absatz 1 E-BV

Die erste Verpflichtung der vorgeschlagenen Ergänzung von Artikel 96 Absatz 1 BV durch einen zweiten Satz ­ die Gewährleistung der diskriminierungsfreien Beschaffung von Waren und Dienstleistungen im Ausland ­ bedeutet, dass die kartellrechtlichen Vorschriften des Bundes, soweit dies völkerrechtlich möglich ist, dafür sorgen müssen, dass Nachfrager aus der Schweiz bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen im Ausland nicht diskriminiert werden. Damit werden sowohl die Bestimmungen über Wettbewerbsabreden als auch diejenigen über den Missbrauch einer marktbeherrschenden oder relativ marktmächtigen Stellung erfasst. Eine Einschränkung auf Unternehmen findet hier nicht statt, sodass entsprechende Regelungen entweder auch Konsumentinnen und Konsumenten ebenfalls erfassen müssen 4903

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oder letztere aufgrund anderer gesetzlicher Regelungen Waren und Dienstleistungen diskriminierungsfrei gegenüber den jeweils ortsansässigen Personen beschaffen können sollen.

Die zweite Verpflichtung im zweiten Satz von Artikel 96 Absatz 1 E-BV ­ die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen durch einseitiges Verhalten von marktmächtigen Unternehmen ­ bezieht sich nicht ausdrücklich auf Auslandssachverhalte, schliesst solche aber auch nicht aus. Welche Massnahmen der Bund zur Gewährleistung der diskriminierungsfreien Beschaffung im Ausland über das geltende Kartellrecht hinaus im Einzelnen zu treffen hat, ist in den Übergangsbestimmungen der Initiative festgelegt.

3.3.3

Frist zum Erlass der gesetzlichen Bestimmungen (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 1 E-BV)

3.3.3.1

Einleitende Bemerkungen

Die vorgeschlagene Kernbestimmung der Übergangsbestimmungen der Initiative lehnt sich zumindest in Hinblick auf ihren persönlichen Anwendungsbereich konzeptionell an § 20 Absatz 1 Satz 1 des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)48 an.

3.3.3.2

Relative Marktmacht im deutschen Recht

Einleitende Bemerkungen Nach § 20 Absatz 1 Satz 1 GWB gilt das an marktbeherrschende Unternehmen gerichtete Behinderungs- und Diskriminierungsverbot nach § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 GWB auch für nicht marktbeherrschende Unternehmen, «soweit von ihnen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen (relative Marktmacht)». Dieser Regelung liegt die Auffassung zugrunde, dass ein Unternehmen, auch wenn es nicht marktbeherrschend ist, eine so starke Stellung auf dem Markt einnehmen kann, dass von ihm Störungen des Marktgeschehens ausgehen können.49 Erfasst werden im deutschen Recht mit dem Konzept der relativen Marktmacht nur Tatbestände des Behinderungs- und nicht des Ausbeutungsmissbrauchs. In der geltenden Fassung sind zudem nur kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Schutzsubjekt der deutschen Regelung. Diese galt ursprünglich gegenüber sämtlichen Marktteilnehmern.

Die Einschränkung auf KMU fand im Rahmen der 5. GWB-Novelle 1989 statt. Der deutsche Gesetzgeber begründete die Einschränkung auf KMU damit, dass eine Belieferungspflicht in Bezug auf Grossunternehmen, insbesondere vor dem Hinter48 49

Abrufbar unter: www.gesetze-im-internet.de > Gesetze / Verordnung > G > GWB..

BGH, Urteil v. 20.11.1975, KZR 1/75, Rz. I. 2. b) aa), Rossignol abgedruckt in NJW 1976, 801 ff.

4904

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grund der Einfuhrmöglichkeiten aufgrund der zunehmenden europäischen Integration und des verbesserten Zugangs zu den Weltmärkten nicht (mehr) erforderlich sei.

Hingegen gelte dies nicht für KMU. Daher sei deren Schutz weiterhin gerechtfertigt.50 Abhängigkeit Eine Abhängigkeit im Sinne der relativen Marktmacht im deutschen Recht besteht stets nur für eine bestimmte Art von Waren oder Dienstleistungen und somit auch nur auf einem bestimmten Markt. Für diese konkreten Waren oder Dienstleistungen dürfen für das betroffene Unternehmen sodann keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Unternehmen auszuweichen. Die Frage, inwieweit etwaige Ausweichmöglichkeiten ausreichend und zumutbar sind, ist stets eine Frage des Einzelfalls und kann nicht generell-abstrakt beantwortet werden. Ausweichmöglichkeiten sind jedenfalls grundsätzlich nur dann ausreichend und zumutbar, wenn sie im Wesentlichen zu den gleichen Konditionen in Anspruch genommen werden können, die den Wettbewerbern zustehen.51 Trotz jahrzehntelangen Fallpraxis ist die Feststellung, ob eine relativ marktmächtige Stellung vorliegt oder nicht, mit grosser Unsicherheit behaftet. Der kürzlich ergangene Entscheid des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) in Sachen «Rimowa» zeigt dies eindrücklich. Während das Landgericht München einen Lieferanspruch eines Detailhändlers gegenüber einem bekannten Kofferhersteller verneint hatte,52 sah das Oberlandesgericht (OLG) München einen solchen gestützt auf das Institut der relativen Marktmacht als gegeben an.53 Im Rahmen des Revisionsverfahrens vor dem BGH stellte dieser fest, dass aufgrund der vorliegenden Sachverhaltsermittlung unklar sei, ob eine Abhängigkeit und darauf aufbauend ein Lieferanspruch besteht, und wies das Verfahren zurück an das OLG München.54 Rechtsfolgen bei einer Abhängigkeit Liegt eine Abhängigkeit vor, so unterliegt das relativ marktmächtige Unternehmen dem Behinderungs- und Diskriminierungsverbot nach § 19 Absatz 2 Nummer 1 GWB. In Bezug auf das Diskriminierungsverbot ist insbesondere festzuhalten, dass das Konzept der relativen Marktmacht in Deutschland keine allgemeine Meistbegünstigungsklausel darstellt, wonach jedem Geschäftspartner die gleichen Bedingungen einzuräumen sind.55 Auch relativ marktmächtigen Unternehmen soll es nicht verwehrt sein, auf unterschiedliche Marktbedingungen differenziert zu reagieren.56 50 51 52 53 54 55

56

Vgl. die deutsche Gesetzesbegründung zur 5. GWB-Novelle 1989, Bundestagsdrucksache 11/4610, S. 21 f.

BGH, Urteil v. 26.6.1978, KZR 7/78, Rz. III. b), Revel Plastics, abgedruckt in NJW 1979, 2154 f.

LG München I, Urteil v. 9.9.2014, 1 HK O 7249/13, abgedruckt in BeckRS 2014, 123228 ff.

OLG München, Urteil v. 17.9.2015, U 3886/14 Kart, abgedruckt in NZKart 2015, 490 ff.

BGH, Urteil v. 12.12.2017, KZR 50/15, abgedruckt in NZKart 2018, 441 ff.

BGH, Urteil v. 19.3.1996, KZR 1/95, Rz. II. 4. d) bb), Pay-TV-Durchleitung, abgedruckt in GRUR 1996, 808 ff.; BGH, Urteil v. 12.4.2016, KZR 30/14, Rz. 48, NetCologne, abgedruckt in NZKart 2016, 374 ff.

BGH, Urteil v. 12.4.2016, KZR 30/14, Rz. 48, NetCologne, abgedruckt in NZKart 2016, 374 ff.

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Eine als Ungleichbehandlung beanstandete Bevorzugung muss sich nachteilig auf die Wettbewerbsposition des abhängigen Unternehmens auswirken.57 Nicht bereits jeder Unterschied in den Konditionen kann als Ausdruck einer missbräuchlichen Ausnutzung einer relativ marktmächtigen Stellung anzusehen sein. Vielmehr muss diese Differenzierung mehr als nur unerheblich sein, um einen entsprechenden Missbrauch zu bejahen.58 So ergibt sich beispielsweise nicht bereits aufgrund der preislichen Diskriminierung eines für den Betrieb des abhängigen Unternehmens notwendigen Kostenfaktors eine Wettbewerbsbeeinträchtigung auf dem nachgelagerten Markt, die eine Anwendbarkeit der Bestimmungen hinsichtlich des Missbrauchs einer marktbeherrschenden oder relativ marktmächtigen Stellung begründet.59 Sachliche Rechtfertigung Die Frage der sachlichen Rechtfertigung einer Diskriminierung ist aufgrund einer umfassenden Abwägung der beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB zu beantworten.60 Auch relativ marktmächtigen Unternehmen ist es grundsätzlich erlaubt, ihre berechtigten geschäftlichen Interessen durch angemessene und verhältnismässige Massnahmen zu wahren.61 Dabei ist im Rahmen der Interessensabwägung auch die Geschäftsstrategie des relativ marktmächtigen Unternehmens zu berücksichtigen, womit in einem gewissen Masse auch subjektive Faktoren eine Rolle spielen.62 So führt beispielsweise ein bestehendes Abhängigkeitsverhältnis, insbesondere gegenüber relativ marktmächtigen Nachfragern, nicht dazu, dass ein Verhandeln über Konditionen nicht mehr möglich ist. Im deutschen Recht ist spätestens seit dem Entscheid des BGH in Sachen «Hochzeitsrabatte» anerkannt, dass hartes Verhandeln zum Wesen des Wettbewerbs gehört und ein wesentliches Element seiner Funktionsfähigkeit darstellt, das auch relativ marktmächtigen Unternehmen in wettbewerbskonformer Weise zur Verfügung stehen muss. 63 57 58

59 60 61

62 63

BGH, Urteil v. 24.10.2011, KZR 7/10, Rz. 32, Grossistenkündigung, abgedruckt GRUR 2012, 84 ff.

BGH, Urteil v. 12.4.2016, KZR 30/14, Rz. 48, NetCologne, abgedruckt in NZKart 2016, 374 ff.; OLG München, Urteil v. 23.11.2017, 29 U 142/17 Kart, Rz. 38, Academic Conditions, abgedruckt in GRUR-RR 2018, 265 ff. Siehe hinsichtlich zulässiger Preisdiskriminierungen durch marktbeherrschende Unternehmen gemäss EU-Recht den kürzlich ergangenen Entscheid des EuGH in Sachen MEO, vgl. Urteil v. 19.4.2018, C-525/16, Rz. 26 ff., abgedruckt in EuZW 2018, 541 ff.

OLG München, Urteil v. 23.11.2017, 29 U 142/17 Kart, Rz. 38, Academic Conditions, abgedruckt in GRUR-RR 2018, 265 ff.

BGH, Urteil v. 12.4.2016, KZR 30/14, Rz. 48, NetCologne, abgedruckt in NZKart 2016, 374 ff.

OLG München, Urteil v. 23.11.2017, 29 U 142/17 Kart, Rz. 42, Academic Conditions, abgedruckt in GRUR-RR 2018, 265 ff. mit Verweis auf das europäische Recht hinsichtlich des Verbots des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gemäss Art. 102 AEUV, EuGH, Urteil v. 19.4.2012, C-549/10 P, Rz. 19, Tomra, abgedruckt in EuZW 2012, 741 ff.

OLG München, Urteil v. 23.11.2017, 29 U 142/17 Kart, Rz. 42, Academic Conditions, abgedruckt in GRUR-RR 2018, 265 ff.

BGH, Beschluss v. 23.1.2018, KVR 3/17, Rz. 66, abgedruckt in NZKart 2018, 136 ff. mit ausdrücklichen Verweis u.a. auf Franz Jürgen Säcker/Jochen Mohr, WRP 2010, 1, 5; Alexander Eufinger/Andreas Maschemer, ZLR 2015, 37, 49.

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Durchsetzung In Hinblick auf die Durchsetzung in Deutschland fällt auf, dass das Konzept der relativen Marktmacht zum überwiegenden Teil auf dem zivilrechtlichen Weg Anwendung findet. Verwaltungsrechtliche Entscheide des Bundeskartellamts sind die Ausnahme. Die deutsche Regelung findet in der Praxis soweit ersichtlich lediglich Anwendung auf Inlandssachverhalte, wenngleich ihre Konstruktion eine grenzüberschreitende Anwendung nicht ausschliesst, sofern gewisse Auswirkungen auf dem deutschen Markt gegeben sind (vgl. § 130 Abs. 2 GWB). Aus diesem Grund kann zumindest in Bezug auf die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen im Ausland auch nur unter Vorbehalten auf die deutsche Rechtspraxis zurückgegriffen werden. Ein Rechtsgutachten, das vom «KMU-Komitees für faire Importpreise» in Auftrag gegeben wurde, kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass die deutschen Vorschriften zur relativen Marktmacht durchaus als Leitlinien für eine allfällige zukünftige Schweizer Praxis dienen können.64

3.3.3.3

Konzept der relativen Marktmacht (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. a E-BV)

Die Fair-Preis-Initiative sieht vor, dass der Geltungsbereich bezüglich wettbewerbswidriger Verhaltensweisen von marktbeherrschenden Unternehmen auf relativ marktmächtige Unternehmen ausgeweitet wird. Ein Unternehmen soll als relativ marktmächtig betrachtet werden, wenn andere Unternehmen in einer Weise von ihm abhängig sind, dass für sie keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, bei der Beschaffung oder beim Absatz auf andere Unternehmen auszuweichen. Die Regelung erfasst somit nur Unternehmen, da nur solche abhängig im Sinne des Regelungsvorschlags sein können. Nicht erfasst werden demnach Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand, sofern diese nicht im Einzelfall als Unternehmen gilt (z. B. ein Spital).

Im Gegensatz zum deutschen Recht beschränkt der Initiativtext die Abhängigkeit nicht auf bestimmte Waren und Dienstleistungen. Aufgrund der Konzeption der relativen Marktmacht, die stets nur bilaterale Beziehungen zwischen zwei Unternehmen und dort stets jeden einzelnen betroffenen Markt betrachtet, rechtfertigt sich auch vorliegend das Verständnis, dass eine Abhängigkeit auch bei der Umsetzung der Initiative jeweils in jedem Einzelfall bei jedem einzelnen Produkt beziehungsweise bei jeder einzelnen Dienstleistung zu untersuchen ist und nicht stets ohne Darlegung der konkreten Abhängigkeit eine Belieferung mit dem gesamten Sortiment verlangt werden kann.

Inhaltlich sieht die Initiative vor, dass die Regelungen nach Artikel 7 KG auch für relativ marktmächtige Unternehmen gelten sollen. Gemäss Artikel 7 Absatz 1 KG verhalten sich marktbeherrschende Unternehmen unzulässig, wenn sie durch den Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt andere Unternehmen in der Aufnahme 64

Jörg Nothdurft, Relative Marktmacht ­ Gutachten zu Grundlagen, Bedeutung, Wirkung und Praxis der deutschen Missbrauchsverbote gegenüber relativ marktmächtigen Unternehmen vom 17. Jan. 2015.

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oder Ausübung des Wettbewerbs behindern oder die Marktgegenseite benachteiligen. Aufgrund dieser beiden alternativen Tatbestandselemente unterscheidet man gemeinhin zwischen Behinderungs- und Ausbeutungsmissbrauch.

Einerseits soll es zukünftig auch relativ marktmächtigen Unternehmen verboten sein, durch den Missbrauch ihrer relativ marktmächtigen Stellung andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs zu behindern. Eine solche Konstellation ist durchaus auch unter der der relativen Marktmacht zugrundeliegenden Konzeption der bilateralen Abhängigkeit zwischen zwei Unternehmen vorstellbar. Ist ein Unternehmen relativ marktmächtig, wäre es ihm nach der vorgeschlagenen Regelung beispielsweise verboten, andere Unternehmen durch unterschiedliche Preise oder Geschäftsbedingungen zu diskriminieren, sofern damit Wettbewerbsverzerrungen einhergehen.

Andererseits ist die Möglichkeit der Anwendbarkeit des Konzepts der relativen Marktmacht auf Fälle der zweiten Fallgruppe, der Benachteiligung der Marktgegenseite, unklar. Einerseits fallen unter den Begriff der Marktgegenseite sämtliche Markteilnehmer und zwar unabhängig von ihrer Unternehmenseigenschaft. Andererseits kann eine relativ marktmächtige Stellung im Sinn der Initiative nur zwischen zwei Unternehmen bestehen (vgl. den ersten Absatz der vorliegenden Ziffer). Eine Konsumentin oder ein Konsument beispielsweise kann insofern nicht abhängig von einem Unternehmen im Sinne der relativen Marktmacht sein. Daher ist konzeptionell fraglich, ob und inwieweit die Fallgruppe des Ausbeutungsmissbrauchs überhaupt Fälle relativer Marktmacht erfassen kann. Auch das deutsche Recht beschränkt die Anwendung des Konzepts der relativen Marktmacht auf Fälle des Behinderungsmissbrauchs. Da eine Abhängigkeit in diesem Sinne nur zwischen zwei Unternehmen bestehen kann, wäre Artikel 7 Absatz 1 KG in Hinblick auf den Ausbeutungsmissbrauch so zu verstehen, dass insoweit nur Unternehmen als Schutzsubjekt in Frage kommen.

Darüber hinaus stellt sich bei der Anwendung der sechs Regelbeispiele nach Artikel 7 Absatz 2 KG, deren Verwirklichung jeweils einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen kann, die Frage nach deren Bedeutung für relativ marktmächtige Unternehmen. Zudem kann sich ein solcher Missbrauch auch aus der Generalklausel nach Artikel
7 Absatz 1 KG ergeben. Die Regelbeispiele sind aufgrund der Konzeption des KG auf Fälle einer marktbeherrschenden Stellung zugeschnitten. Zwar können einzelne von diesen theoretisch tel quel auf Fälle relativer Marktmacht übertragen werden, wie die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen (Art. 7 Abs. 2 Bst. a KG). Andere Tatbestände sind jedoch bereits in theoretischer Hinsicht ungeeignet, um ausserhalb des Bereichs der Marktbeherrschung zur Anwendung zu gelangen, wie beispielsweise die sogenannte Kampfpreisunterbietung (auch Predatory Pricing genannt, vgl. Art. 7 Abs. 2 Bst. d KG). Einzelne dieser Tatbestände könnten aufgrund ihres Sinns und Zwecks nicht auf Fälle relativer Marktmacht anwendbar sein. Da der Initiativtext aber ausdrücklich alle Verhaltensweisen nennt, könnten diese Regelbeispiele aber auch für relativ marktmächtige Unternehmen Anwendung finden.

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3.3.3.4

Regelbeispiel für Auslandssachverhalte (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b E-BV)

Neben der Ausweitung des Anwendungsbereichs von Artikel 7 KG auf relativ marktmächtige Unternehmen sieht die Initiative eine Erweiterung des Katalogs der Regelbeispiele von Artikel 7 Absatz 2 KG vor, der die in der Praxis wichtigsten Fälle des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aufzählt. Demnach soll sich ein grenzüberschreitend tätiges marktbeherrschendes oder relativ marktmächtiges Unternehmen vorbehältlich einer Rechtfertigung aus sachlichen Gründen unzulässig verhalten, wenn es die Möglichkeit für Nachfrager einschränkt, Waren oder Dienstleistungen, die in der Schweiz und im Ausland angeboten werden, im Staat ihrer Wahl zu den dort von ihm praktizierten Preisen zu beziehen. Preisdifferenzierungen sollen dabei zulässig bleiben, solange Unternehmen nicht wettbewerbswidrige Ziele verfolgen und keine Wettbewerbsverzerrungen verursachen. Das vorgeschlagene Regelbeispiel wirft eine Reihe von Auslegungsfragen auf, insbesondere da es eine Vielzahl von unbestimmten Tatbestandselementen beinhaltet.

1. Bezugsversuch im Ausland Es wird ein Versuch des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen eines Nachfragers im Ausland vorausgesetzt. Dem Wortlaut nach werden von dieser Regelung sämtliche Nachfrager erfasst, unabhängig von ihrer Unternehmenseigenschaft. In Fällen einer marktbeherrschenden Stellung gehen mit diesem Verständnis keine konzeptionellen Probleme einher. Hingegen bestehen solche bei der Anwendung der Vorschrift auf relativ marktmächtige Unternehmen. Eine relativ marktmächtige Stellung im Sinn der Initiative (vgl. vorne Ziff. 3.3.3.3) kann nur zwischen zwei Unternehmen bestehen. Eine Konsumentin oder ein Konsument kann insofern beispielsweise nicht im Sinne der relativen Marktmacht abhängig von einem Unternehmen sein.

Deshalb ist fraglich, ob und inwieweit der Begriff der Nachfrager vorliegend überhaupt Nachfrager erfassen kann, die nicht als Unternehmen gelten. Daher ist der Begriff des Nachfragers vorliegend für Fälle der relativen Marktmacht teleologisch insoweit zu reduzieren, dass das vorgeschlagene Regelbeispiel nur Nachfrager erfasst, die auch Unternehmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1bis KG sind. Unter dem Begriff «Ausland» ist dem Wortlaut nach grundsätzlich jedes Land ausser der Schweiz erfasst. Die konkrete Anwendbarkeit des Regelbeispiels hängt diesbezüglich allerdings
von der Anwendbarkeit des KG als solches ab. Dieses ist gemäss Artikel 2 Absatz 2 KG nur auf Sachverhalte anwendbar, die sich in der Schweiz auswirken. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff des Auslands im Rahmen des Auswirkungsprinzips von Artikel 2 Absatz 2 KG im Einzelfall zu konkretisieren, wodurch die Anwendbarkeit und die räumliche Reichweite der vorliegenden Regelung in jedem Einzelfall geprüft werden muss.

2. Angebot in der Schweiz und im Ausland Die Waren oder Dienstleistungen müssen sowohl in der Schweiz als auch im Ausland angeboten werden. Wird eine Ware nur im Ausland und nicht in der Schweiz angeboten, sollen gestützt auf das Institut der relativen Marktmacht keine Ansprüche geltend gemacht werden können. Die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals setzt zudem dem Wortlaut nach eine gewisse Identität der jeweiligen Ware oder Dienst4909

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leistung im In- und Ausland voraus. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ab welchem Grad der Übereinstimmung eine Ware oder Dienstleistung als hinreichend identisch gilt und von welchem Anknüpfungspunkt man ausgeht (Inhaltsstoffe, Verpackungsart usw.).

3. Beschränkung der Bezugsmöglichkeit Ein grenzüberschreitend tätiges marktbeherrschendes oder relativ marktmächtiges Unternehmen muss die Möglichkeit für die abhängigen Nachfrager einschränken, die betroffenen Waren oder Dienstleistungen im ausländischen Staat ihrer Wahl zu den dort von ihm praktizierten Preisen zu beziehen. Erfahrungsgemäss bieten Unternehmen im unternehmerischen Geschäftsverkehr ihre Waren und Dienstleistungen in der Regel nicht zu einem Einheitspreis an. Für die Preissetzung relevant sind eine Vielzahl von Faktoren, beispielsweise die jeweiligen Kundenspezifikationen, die abgenommene Menge, die Häufigkeit der Abnahme, die Dauer der Geschäftsbeziehung, die Zahlungsbereitschaft, die sonstigen Konditionen (z. B. Zahlungsmodalitäten), das Verhandlungsergebnis und -geschick, Rabatte, Werbekostenzuschüsse und eine Vielzahl weiterer Elemente. Somit kann in der Regel nicht generellabstrakt von dem lokalen Preis für eine bestimmte Ware oder Dienstleistung gesprochen werden. Vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der vorgeschlagenen Regelung ist dieses Tatbestandselement daher so zu verstehen, dass grundsätzlich die gleichen Preise wie für vergleichbare Nachfrager gewährt werden sollten. Der Nachweis obliegt im Zivilverfahren jedoch gemäss Artikel 8 des Zivilgesetzbuches65 stets demjenigen, der die Diskriminierung geltend macht.

Darüber hinaus erfasst die Regelung dem Wortlaut nach nur Preise und keine sonstigen Geschäftsbedingungen. Allerdings sind letztere nicht in jedem Fall von ersten zu trennen und sollten, soweit sie preisrelevant sind, vorliegend ebenfalls erfasst werden. Im Hinblick auf das Tatbestandselement der Unternehmen, die im jeweiligen Ausland die angesprochenen Preise praktizieren, ist davon auszugehen, dass vorliegend nur die Normadressaten selbst und keine unabhängigen Dritten (z. B. Vertragshändler) erfasst werden. Schliesslich stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Elements der Einschränkung der Bezugsmöglichkeit. Vor dem Hintergrund der Integration des vorgeschlagenen Regelbeispiels in die Bestimmungen
betreffend den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist davon auszugehen, dass nur unilaterale Massnahmen der Normadressaten erfasst werden. Schränken sie durch vertragliche Regelung mit unabhängigen Dritten den grenzüberschreitenden Bezug ein, liegt in der Regel eine Wettbewerbsabrede vor, die nach den entsprechenden Regelungen in Artikel 5 KG zu prüfen ist.

4. Sachliche Rechtfertigung Die Möglichkeit einer sachlichen Rechtfertigung ist bei allen Regelbeispielen und sonstigen Tatbeständen von Artikel 7 KG gegeben, auch wenn dies dem Wortlaut von Artikel 7 KG nicht entnommen werden kann. Dem Tatbestandselement «Missbrauch» ist das Nicht-Vorhandensein von Rechtfertigungsgründen (auch «Legitimate Business Reasons» genannt) immanent. Dies würde somit auch für das vorliegende Regelbeispiel bei Aufnahme in den Beispielkatalog von Artikel 7 Absatz 2 65

SR 210

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KG gelten. Sachliche Gründe liegen insbesondere vor, wenn sich ein marktbeherrschender oder relativ marktmächtiger Anbieter auf kaufmännische Grundsätze stützen kann, wie dies der Bundesrat bereits in seiner Botschaft vom 23. November 199466 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen festgehalten hat. Beispielsweise kann eine Diskriminierung von Abnehmern in der Regel durch lineare Mengenrabatte oder durch eine (nach Art. 5 KG) zulässige Ausgestaltung des Vertriebssystems gerechtfertigt sein. Entschliesst sich etwa ein Hersteller, seine Produkte in verschiedenen Ländern jeweils nur über ein Unternehmen zu verkaufen (Alleinvertrieb), so kann er Anfragen von Endkunden ­ Private oder Unternehmen ­ ablehnen, ohne dadurch gegen die Vorschriften des KG zu verstossen. Unzulässig wäre in diesem Beispiel grundsätzlich indes, wenn er seinen Händlern vertraglich verbietet, passiv (vgl. zum Begriff Ziff. 2.2.1.1) an gebietsfremde Endkunden zu verkaufen. Auch die kartellrechtliche Würdigung selektiver Vertriebssysteme wird durch die neue Bestimmung nicht tangiert. Eine Rechtfertigung kann auch gelingen, wenn die Durchschnittskosten der Produktionsanlage in der Schweiz durch eine höhere Auslastung infolge der Erschliessung von Exportmärkten gesenkt werden können und der Absatz im Ausland nur zu tieferen Preisen möglich ist.

5. Weiterhin zulässige Preisdifferenzierungen Preisdifferenzierungen blieben zulässig, solange Unternehmen nicht wettbewerbswidrige Ziele verfolgen und keine Wettbewerbsverzerrungen auf der nachgelagerten Marktstufe verursachen. Dieses letzte Tatbestandsmerkmal des vorgeschlagenen Regelbeispiels soll nicht generell für Massnahmen relativ marktmächtiger Unternehmen gelten, sondern nur hinsichtlich des grenzüberschreitenden Bezugs von Waren und Dienstleistungen. Dem Wortlaut nach dürfen marktbeherrschende und relativ marktmächtige Unternehmen Nachfrager aus der Schweiz im Ausland preislich diskriminieren, solange erstere keine wettbewerbswidrigen Ziele verfolgen und keine Wettbewerbsverzerrungen verursachen. Der Begriff der wettbewerbswidrigen Ziele ist dem Schweizer Kartellrecht fremd und wird im Initiativtext nicht weiter konkretisiert. Die Verwendung des Terminus «Wettbewerbsverzerrungen», die auf der Stufe des abhängigen Nachfragers auftreten müssen, spricht
für eine ausschliessliche Anwendung des Regelbeispiels auf Tatbestände des Behinderungsmissbrauchs.

Allerdings möchte die Initiative auch relativ marktmächtige Unternehmen der Regelung von Artikel 7 KG vollständig unterwerfen, womit sowohl Tatbestände des Behinderungs- als auch des Ausbeutungsmissbrauchs erfasst werden. Vor diesem Hintergrund könnte dieses Tatbestandselement so zu verstehen sein, dass es Unternehmen zwar erlaubt ist, unterschiedliche Preise in verschiedenen Ländern zu setzen, Nachfrager aus der Schweiz bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen allerdings die Wahl haben sollen, in welchem Land sie konkret ihre Waren oder Dienstleistungen von relativ marktmächtigen Unternehmen beziehen möchten.

6. Unterschied zum bestehenden Beispielkatalog von Artikel 7 Absatz 2 KG Nach Skizzierung des Inhalts des vorgeschlagenen Regelungsbeispiels stellt sich die Frage nach dem Unterschied zum bestehenden Beispielkatalog in Artikel 7 Ab66

Vgl. BBl 1995 I 468, hier 570

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satz 2 KG. Das Regelungsziel, die diskriminierungsfreie Beschaffung im Ausland zu den dortigen Preisen, kann bereits über die bestehenden Regelbeispiele nach Artikel 7 Absatz 2 KG erfasst werden. Liegt ein grenzüberschreitender Markt vor, so kann die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen (Art. 7 Abs. 2 Bst. a KG) gegenüber Nachfragern im In- und Ausland oder deren Diskriminierung bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen (Art. 7 Abs. 2 Bst. b KG) den Tatbestand des Missbrauchs einer markbeherrschenden Stellung erfüllen. Dies würde bei Erweiterung von Artikel 7 KG auf relativ marktmächtige Unternehmen gleichermassen für diese gelten. Mit dem vorgeschlagenen Regelbeispiel würden Sachverhalte betreffend den grenzüberschreitenden Bezug von Waren und Dienstleistungen insbesondere diesem unterliegen und jedenfalls entsprechende Sachverhalte unter den gesteigerten Anforderungen ­ im Gegensatz zu den weiter gefassten Regelbeispielen nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstaben a und b KG ­ erfasst werden. So müssen die betroffenen Waren und Dienstleistungen insbesondere sowohl in der Schweiz als auch im Ausland angeboten werden. Eine Lieferverweigerung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a KG setzt dies hingegen nicht in jedem Fall zwingend voraus. Liegt ein über das Gebiet der Schweiz hinausgehender Markt vor, so kann es durchaus Situationen geben, in denen gemäss Artikel 7 KG ein Lieferanspruch auch für Waren und Dienstleistungen bestehen kann, die nicht in der Schweiz angeboten werden.

3.3.3.5

Re-Import-Klausel (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. c E-BV)

Marktbeherrschenden und relativ marktmächtigen Unternehmen soll es erlaubt werden, durch einseitiges Verhalten die Beschaffung der von ihnen exportierten Waren einzuschränken, wenn diese Waren ins Produktionsland reimportiert und dort ohne weitere Bearbeitung weiterverkauft werden. Dienstleistungen werden von dieser Bestimmung nicht erfasst. Mit der Regelung wird faktisch inländischen relativ marktmächtigen Unternehmen die Abschottung des Schweizer Marktes weiterhin erlaubt bleiben beziehungsweise für marktbeherrschende Unternehmen neu erlaubt werden. Schweizer Unternehmen werden insofern gegenüber ihren Konkurrenten im Ausland privilegiert. Diese Regelung wird im Rahmen der vorliegenden Botschaft als «Re-Import-Klausel»* bezeichnet.

Massgeblich ist hier die Einseitigkeit der Massnahmen. Vereinbarungen zur Einschränkung der Beschaffung der von ihnen exportierten Waren im Ausland, wenn diese Waren ins Produktionsland reimportiert und dort ohne weitere Bearbeitung weiterverkauft werden sollen, erfasst die vorgeschlagene Privilegierung nicht. Somit besteht kein Widerspruch zu der Regelung und Wertung von Artikel 5 KG und insbesondere zu dessen Absatz 4, der die Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs vermutet bei vertikalen Abreden über Mindest- oder Festpreise sowie bei solchen über die Zuweisung von Gebieten im Sinne des absoluten Gebietsschutzes.

Die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals «der von ihnen exportierten Waren» ist unklar. Fraglich ist hier insbesondere, ob nur durch das relativ marktmächtige oder marktbeherrschende Unternehmen (beziehungsweise seine Konzerngesellschaften) exportierte Waren betroffen sind oder auch solche, die durch unabhängige Dritte 4912

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exportiert werden. Aufgrund des Wortlauts der Bestimmungen dürften vorliegend nur Waren erfasst werden, die durch das relativ marktmächtige oder marktbeherrschende Unternehmen selbst exportiert werden. Exporte unabhängiger Dritter sollten demnach nicht erfasst werden.

Schliesslich stellt sich bei dem vorliegenden Tatbestand die Frage, wie das Tatbestandsmerkmal ohne weitere Bearbeitung zu verstehen ist. Der Wortlaut legt nahe, dass eine Bearbeitung der Ware selbst erfolgen muss und beispielsweise ein blosses Umpacken der Ware die Anwendbarkeit der Regelung nicht ausschliesst.

3.3.3.6

Verzicht auf direkte Sanktionierung (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. d E-BV)

Relativ marktmächtige Unternehmen sollen im Falle eines Missbrauchs ihrer Stellung von direkten kartellrechtlichen Sanktionen (mithin bei Erstverstoss) ausgenommen werden. Dies könnte je nach Umsetzung der Initiative eine Anpassung von Artikel 49a Absatz 1 KG erfordern, wonach insbesondere Verstösse durch marktbeherrschende Unternehmen gemäss Artikel 7 KG zu sanktionieren sind. Hingegen könnte ein relativ marktmächtiges Unternehmen gemäss Artikel 50 KG sanktioniert werden, wenn dieses gegen eine einvernehmliche Regelung, eine rechtskräftige Verfügung der Wettbewerbsbehörden oder einen Entscheid der Rechtsmittelinstanzen verstösst (mithin bei einem wiederholten Verstoss).

Einerseits stellt sich durch die fehlende Möglichkeit der direkten Sanktionierung nicht die Frage der Vereinbarkeit des Konzepts der relativen Marktmacht mit dem Legalitätsprinzip. Andererseits wird hiermit auch der in der Regel fehlenden volkswirtschaftlichen Bedeutung entsprechender Sachverhalte Ausdruck verliehen. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der verhältnismässig einfacheren Durchsetzung sind Fälle des Missbrauchs relativer Marktmacht in der Regel in erster Linie auf dem Zivilrechtsweg durch die Betroffenen selbst und nicht auf dem Verwaltungsrechtsweg durch ein Verfahren der Wettbewerbsbehörden zu führen. Die materiellen Bestimmungen sind für beide Verfahrensarten identisch. Vor diesem Hintergrund hat auch das Bundesgericht festgehalten, dass der öffentlich-rechtliche Weg primär auf das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb ausgerichtet ist und im Falle einer vorwiegend private Interessen betreffende Streitigkeit der zivilrechtliche Weg durch den Betroffenen zu beschreiten ist.67

3.3.3.7

Grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. e E-BV)

Die Initiative sieht vor, eine Bestimmung in der Gesetzgebung zum unlauteren Wettbewerb aufzunehmen, um den diskriminierungsfreien Einkauf im Online-Handel grundsätzlich zu gewährleisten. Dieser Regelung könnte dem Wortlaut nach sehr 67

BGE 130 II 149 E. 2.4, Sellita Watch Co SA/ETA SA Manufacture Horlogère Suisse, Weko und Reko.

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weit verstanden werden, wonach sämtliche Geoblocking-Massnahmen ­ ob staatlichem oder privatem Ursprung ­ grundsätzlich unzulässig sein sollen. Nach Verständnis des Bundesrates sieht die Initiative mit dieser Forderung allerdings die Einführung des grundsätzlichen Verbots des privaten Geoblockings nach Vorbild der Regelungen in der EU vor. Dem Schweizer Recht ist hingegen bis anhin ein grundsätzliches Verbot privater Geoblocking-Massnahmen fremd (vgl. Ziff. 2.2.1.5).

Die Verordnung (EU) 2018/30268 (im Folgenden: Geoblocking-Verordnung), die am 23. März 2018 in allen EU-Mitgliedstaaten in Kraft gesetzt wurde und seit dem 3. Dezember 2018 Anwendung findet, versteht unter privatem Geoblocking private Massnahmen von Unternehmen, die darauf abzielen, den Zugang zu ihren OnlineBenutzeroberflächen für Kundinnen und Kunden aus anderen Mitgliedstaaten zu beschränken (Erwägungsgrund 1 der Geoblocking-Verordnung). Als eine OnlineBenutzerfläche gilt nach Artikel 1 Ziffer 16 der Geoblocking-Verordnung «eine Software, einschliesslich Internetseiten oder Teile davon und Anwendungen, einschliesslich mobiler Anwendungen, die von einem Anbieter oder in dessen Namen betrieben werden und dazu dienen, den Kunden Zugang zu den Waren oder Dienstleistungen des Anbieters zu gewähren mit dem Ziel, ein Geschäft über diese Waren oder Dienstleistungen zu tätigen». Gemäss Artikel 4 Absatz 1 der GeoblockingVerordnung dürfen Konsumentinnen und Konsumenten sowie Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen in einem anderen EU-Land als jenem ihrer Niederlassung oder ihres Wohnsitzes zum Endverbrauch erwerben wollen, dort nicht bezüglich der Nettopreise oder Zahlungskonditionen diskriminiert werden (indem beispielsweise der Zugang zu einem Online-Portal verwehrt wird, sie automatisch und ohne ihre ausdrückliche Einwilligung zu einer anderen, möglicherweise teureren Internetseite in ihrem Herkunftsstaat umgeleitet werden oder andere Zahlungskonditionen zur Anwendung kommen). Diese Regelungen gelten sowohl für den Onlineals auch für den Offline-Vertrieb von Waren (Art. 4 Abs. 1 und Erwägungsgrund 1 der Geoblocking-Verordnung). Die Geoblocking-Verordnung sieht keine Lieferverpflichtung ausserhalb dem Gebiet vor, in dem der Anbieter tätig ist. Auch ist keine Harmonisierung der Preise angedacht, das heisst Preisdifferenzierung bleibt
weiterhin grundsätzlich erlaubt (Art. 4 Abs. 2 Geoblocking-Verordnung). Zudem dürfen auch verschiedene länderspezifische Online-Shops beibehalten werden. Die Verordnung gilt auch nicht für Preise und Bedingungen, die zwischen Anbieter und Abnehmer individuell ausgehandelt werden. Verboten werden soll jedoch die zwangsweise Weiterleitung beziehungsweise jene ohne ausdrückliche Zustimmung des Nutzers. Damit soll die Diskriminierung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen beseitigt werden, sofern diese nicht objektiv gerechtfertigt ist, beispielsweise aufgrund von Mehrwertsteuer-Verpflichtungen oder unterschiedliche gesetzliche Anforderungen (vgl. insb. Erwägungsrund 22 der Geoblocking-Verordnung).

Allerdings enthält die Geoblocking-Verordnung eine Vielzahl von Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich. Erstens setzt sie einen grenzüberschreitenden Sachver68

Verordnung (EU) 2018/302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Februar 2018 über Massnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. L 60 I vom 2.3.2018, S. 1.

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halt voraus. Rein inländische Sachverhalte werden nicht erfasst (Art. 1 Abs. 2 Geoblocking-Verordnung). Zweitens beschränkt sich die Regulierung auf Waren und Dienstleistungen zum Endverbrauch. Drittens beinhaltet sie eine grosse Zahl von Dienstleistungskategorien, die von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sind. Dies gilt insbesondere für Finanzdienstleistungen ­ vorbehaltlich der Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung bei Online-Zahlungen ­ sowie für Gesundheits, elektronische Kommunikations- und Verkehrsdienstleistungen. Auch werden nichtaudiovisuelle Güter, die durch das Urheberrecht geschützt sind (z. B. Software, E-Books, Musikstreaming, Online-Spiele), nicht von der Regulierung erfasst.

Betreffend die Thematik der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten hat die EU mit der Verordnung (EU) 2017/112869 (im Folgenden: Portabilitäts-Verordnung) eine eigenständige Regulierung erlassen, die sicherstellen soll, dass Anbieter von Online-Inhaltediensten, die gegen Zahlung eines Geldbetrags bereitgestellt werden, es einem Abonnenten ermöglichen, der sich vorübergehend in einem Mitgliedstaat aufhält, in derselben Form wie in seinem Wohnsitzmitgliedstaat auf den jeweiligen Online-Inhaltedienst zuzugreifen und ihn zu nutzen, indem unter anderem der Zugriff auf dieselben Inhalte, für dieselben Arten und dieselbe Zahl von Geräten, für dieselbe Zahl von Nutzern und mit demselben Funktionsumfang gewährt wird (Art. 3 Abs. 1 Portabilitäts-Verordnung). Dabei dürfen für die vorübergehende Nutzung keine Zusatzkosten verrechnet werden (Art. 3 Abs. 2 Portabilitäts-Verordnung).

Die Durchsetzung der Regelungen der Geoblocking-Verordnung liegt nach deren Artikel 7 im alleinigen Verantwortungsbereich der Mitgliedsstaaten. Die Geoblocking-Verordnung enthält auch keine Verpflichtung der Ermöglichung der zivilrechtlichen Durchsetzung. Beispielsweise hat Deutschland die behördliche Durchsetzung der Bundesnetzagentur gemäss § 106 Telekommunikationsgesetz übertragen. Private können lediglich gestützt auf das deutsche Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb oder auf das GWB Ansprüche aufgrund unzulässigem privatem Geoblocking geltend machen. Vor diesem Hintergrund haben Konsumentinnen und Konsumenten im deutschen Recht grundsätzlich keine Möglichkeit, gegen unzulässige Geoblocking-Massnahmen von
Unternehmen zivilrechtlich vorzugehen.

Allerdings ist die jeweilige konkrete Ausgestaltung dieses Durchsetzungsregimes gegenwärtig noch nicht in allen Mitgliedsstaaten bekannt.70

69

70

Verordnung (EU) 2017/1128 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt, ABl. L 168, 30.6.2017, S. 1.

Vgl. dazu die Aufstellung der EU-Kommission über den jeweiligen Umsetzungsstand in den Mitgliedstaaten, auf Englisch abrufbar unter: www.ec.europa.eu > European Commission > Strategy > Digital Single Market > Policies > Geo-blocking.

4915

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4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

4.1.1

Einleitende Bemerkungen

Die BV garantiert für privatwirtschaftliche Tätigkeiten in der Schweiz die Wirtschaftsfreiheit. Staatliche Eingriffe sind nur dann gerechtfertigt, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht und die Eingriffe zudem das geringstmögliche, erforderliche Ausmass aufweisen. Dies kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn der Wettbewerb zwischen den Unternehmen beschränkt ist und dadurch die Wohlfahrt negativ beeinflusst wird.

4.1.2

Konzept der relativen Marktmacht (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. a E-BV)

4.1.2.1

Materielle Aspekte

Konzept der relativen Marktmacht Hinsichtlich der Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht lehnt sich die Initiative konzeptionell an das deutsche Kartellrecht an. Dieses erfasst seit der 5. GWB-Novelle 1989 nur noch KMU als Schutzsubjekte (vgl. Ziff. 3.3.3.2). Diese Einschränkung sollte nach Ansicht des Bundesrates im Schweizer Recht nicht übernommen werden. Existieren für ein Grossunternehmen alternative Beschaffungskanäle ist in der Regel keine Abhängigkeit gegeben und die Regelungen der relativen Marktmacht wären nicht anwendbar. Darüber hinaus gelten die kartellrechtlichen Regelungen für alle Unternehmen grundsätzlich gleichermassen und knüpfen nicht an der Grösse eines Unternehmens an.

Die Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht soll insbesondere dazu führen, dass Unternehmen aus der Schweiz eine Senkung ihrer Beschaffungskosten mittels einer Lieferpflicht gegenüber relativ marktmächtigen Anbietern durchsetzen können. Diese Regelung würde sowohl im In- als auch im Ausland gelten. Relativ marktmächtigen Anbietern soll es untersagt werden, Nachfrager zu diskriminieren und höhere Preise durchzusetzen, als sie für andere Abnehmer verlangen. Die Initiative will in Ergänzung der seitens des Bundesrates verabschiedeten Massnahmen zur Reduzierung technischer und tarifärer Handelshemmnisse (vgl. Ziff. 2.1.4) gegen allfällige Wettbewerbsbeschränkungen privater Akteure vorgehen. Damit sollen die Beschaffungskosten weiter reduziert und der Wettbewerb gestärkt werden. Soweit die Initiative Abschottungen des Schweizer Marktes verhindern will, die auf nachgelagerten Märkten zu Wettbewerbsverzerrungen führen, ist dieses Anliegen zu unterstützen.

Tatbestandsmerkmal der Abhängigkeit Allerdings fordert die Initiative eine umfassende Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht für Anbieter und Nachfrager mit einer Anwendung für in- und ausländische Fälle. Mit einer umfassenden Einführung wären potenziell alle Unternehmen in der Schweiz sowohl als potenziell relativ marktmächtige Unternehmen 4916

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als auch als potenziell abhängige Unternehmen betroffen. Im Gegensatz zu einem marktbeherrschenden Unternehmen, dem in der Regel seine starke Marktposition bewusst ist und dessen Marktmacht auf dem betreffenden Markt allgemeine Gültigkeit hat, besteht eine relativ marktmächtige Stellung im Sinn der Initiative allerdings nur im bilateralen Verhältnis zum abhängigen Unternehmen. Ein Unternehmen dürfte deshalb häufig kaum abschätzen können, ob und gegenüber welchen Handelspartnern es relativ marktmächtig ist. Es wären stets Einzelfallentscheide durch die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-)Gerichte erforderlich um festzustellen, ob eine relative Marktmacht vorliegt und sich beispielsweise ein in einer bilateralen Geschäftsbeziehung verlangter Preis einschliesslich allfälliger Rabatte und Zuschüsse durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt. Auch ein Blick auf das deutsche Recht illustriert die Schwierigkeiten der praktischen Anwendung des Konzepts der relativen Marktmacht (vgl. Ziff. 3.3.3.2). Obschon die entsprechenden Bestimmungen in Deutschland seit Jahrzehnten (vorwiegend durch die Zivilgerichte) angewendet werden, sind die Kriterien, ab wann ein Unternehmen abhängig ist, weiterhin unscharf. Daher ist das Konzept der relativen Marktmacht für die Unternehmen mit zusätzlicher Bürokratie und Kosten verbunden. Potenziell kann jeder Geschäftspartner eines Unternehmens, sowohl als Anbieter oder als Nachfrager, abhängig sein. Dadurch besteht die Gefahr, dass Unternehmen im Zweifel lieber auf ineffizienten Strukturen und Lieferketten beharren, als ein kartellrechtliches Verfahren mit ungewissem Ausgang in Kauf zu nehmen.

Rechtsfolgen Durch die Erfassung sowohl des Behinderungs- als auch des Ausbeutungsmissbrauchs würden die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-)Gerichte zudem faktisch zu «Preiskontrollstellen», selbst im Falle wirksamen Wettbewerbs. Das gesamte Wettbewerbsrecht der Schweiz überlässt die Preissetzung, nicht zuletzt auch aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. Ziff. 6.5.1), dem freien Wettbewerb. Die Wettbewerbsbehörden können erst in die Preispolitik von Unternehmen eingreifen, wenn diese das Ergebnis von unzulässigen Wettbewerbsabreden oder einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist. Auch das Preisüberwachungsgesetz vom 20. Dezember 198571 (PüG)
gestattet dem Preisüberwacher erst dann zu intervenieren, wenn die Preise auf dem betreffenden Markt nicht das Ergebnis wirksamen Wettbewerbs sind (Art. 12 PüG). Die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-)Gerichte müssten bei Fällen des Behinderungsmissbrauchs relativ marktmächtiger Unternehmen beispielsweise entscheiden, ob eine Preisdifferenzierung zwischen zwei Wettbewerbern gerechtfertigt ist. Bei Sachverhalten des Ausbeutungsmissbrauchs müssten sie bewerten, ob der konkret geforderte Preis für eine Ware oder Dienstleistung im Einzelfall unangemessen ist. Dies würde somit einen wesentlichen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit der Unternehmen bedeuten.

Senkung des Preisniveaus Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob bei Anwendbarkeit der Bestimmung im Einzelfall günstigere Einkaufspreise auch an die nächste Handelsstufe beziehungs71

SR 942.20

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weise an die Abnehmer weitergegeben würden. Dies hängt von der Wettbewerbsund Nachfragesituation auf dem jeweiligen Markt ab und ist nicht a priori garantiert.

Es sind überdies auch Konstellationen denkbar, die sogar gegenteilige Effekte auf die Preise in der Schweiz haben könnten. Führt beispielsweise die Abhängigkeit eines Lieferanten von einem marktmächtigen Abnehmer dazu, dass der Abnehmer den Lieferanten nicht wechseln kann, könnte dies die Belieferung durch einen neuen, effizienteren Lieferanten verhindern. Dies hätte zugleich zur Folge, dass potenzielle Preissenkungen verhindert würden. Erfahrungen aus dem Ausland und empirische Studien72 zeigen, dass solche Bestimmungen in der Summe sogar kontraproduktiv wirken und letztendlich den Wettbewerb schwächen können. So ist beispielsweise in den USA seit über 80 Jahren der «Robinson-Patman Act» in Kraft.

Dieser sieht mittels Preisdiskriminierungsverbot den Schutz von kleinen Detailhändlern vor. Die Antitrust Modernization Commission (AMC) kommt zum Ergebnis, dass die Regulierung zahlreiche negative Auswirkungen zur Folge hat, die den Wettbewerb schwächen und zu höheren Preisen für die Konsumentinnen und Konsumenten führen. So werde beispielsweise dem Hersteller verunmöglicht, Marketing-Aktivitäten oder die hohe Qualität des Abnehmers mittels Preisrabatten zu fördern. Auch in oligopolistischen Märkten könnten undifferenzierte Preise den Wettbewerb schwächen, denn falls die Preise zwischen den Abnehmern nicht variieren, werde die Koordination zwischen den Herstellern einfacher, was einen verringerten Preiswettbewerb zur Folge haben könne. Weiter würden Unternehmen auch zusätzliche Kosten in Kauf nehmen, indem beispielsweise die Produkte differenziert werden, um die Regelung zu umgehen. Ebenso werden die Kosten für Compliance als verteuerndes Element aufgeführt.73 Insbesondere kann der Verzicht auf die Gewährung von Rabatten aus Angst vor einer entsprechenden Geltendmachung durch andere Abnehmer sowie die Entstehung von Regulierungskosten (speziell für Compliance) insgesamt zu höheren Preisen führen.

Vorbildfunktion des deutschen Rechts Auch wenn die deutsche Regelung der relativen Marktmacht (vgl. Ziff. 3.3.3.2) für die Fair-Preis-Initiative als Vorbild dient, ist aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtungen der beiden Regelungen fraglich,
inwiefern bei der Anwendung einer allfälligen zukünftigen Schweizer Regelung der relativen Marktmacht auf die Erfahrungen aus Deutschland zurückgegriffen werden kann. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die deutsche Praxis in der Regel nicht Fälle von Preisdiskriminierungen, sondern vielmehr solche bezüglich Lieferverweigerung und Beendigung der Geschäftsbeziehungen betrifft.

Zusammenfassung Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass mit der Initiative in Einzelfällen die Beschaffungskosten von Schweizer Unternehmen gesenkt werden können.

72

73

Vgl. Hagit Bulmash, An Empirical Analysis of Secondary Line Price Discrimination Motivations, Journal of Competition Law & Economics, Volume 8, Issue 2, 1.Juni 2012, S. 361­397.

Vgl. AMC, Report and Recommendations, 2007, abrufbar unter: https://govinfo.library.unt.edu/amc > Commission Documents > Antitrust Modernization Commission Report and Recommendations.

4918

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Für Konsumentinnen und Konsumenten ist mit dem Konzept der relativen Marktmacht kein unmittelbarer Vorteil verbunden, da sich nur Unternehmen hierauf berufen können. Hingegen würden sie allenfalls von einem grundsätzlichen Verbot des privaten Geoblockings profitieren, dessen Durchsetzung im Ausland allerdings fraglich ist. Demgegenüber geht mit der Initiative eine starke Einschränkung der Handlungsfreiheit von Unternehmen im Sinne der freien Preisgestaltung und der freien Wahl der Geschäftspartner einher, was sich in der Summe volkswirtschaftlich nachteilig für die Schweiz auswirken kann.

4.1.2.2

Grenzüberschreitende Durchsetzung

Materiell-rechtlicher Geltungsbereich Die geltenden Regelungen des KG sind entsprechend dem Auswirkungsprinzip gemäss Artikel 2 Absatz 2 KG grundsätzlich auf Sachverhalte anwendbar, die sich in der Schweiz auswirken, auch wenn sie im Ausland veranlasst werden. Somit kann auf Sachverhalte, die im Ausland veranlasst werden, neben dem jeweiligen lokalen Kartellrecht, auch das Schweizer Kartellrecht Anwendung finden. Das Auswirkungsprinzip findet gemäss Bundesgericht seine teleologische Begründung im Schutz der nationalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die das Regelungsziel des KG darstellt.74 Demnach sollen Handlungen unterbunden werden können, sofern sie negative Wirkungen auf den nationalen Markt haben und daher ist zum Schutz des nationalen Marktes auf die Auswirkungen und nicht auf den Handlungs- beziehungsweise Unternehmensstandort abzustellen.75 Für die Beurteilung der Auswirkungen ist der relevante Markte abzugrenzen,76 der auch das Gebiet der Schweiz teilweise umfassen muss. Gemäss dem Auswirkungsprinzip ist eine Geltung der von der Initiative vorgeschlagenen Regelungen grundsätzlich auch auf Unternehmen im Ausland möglich.

Einleitende Bemerkungen zur Durchsetzung Ohne Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen sind einer verwaltungsrechtlichen Durchsetzung ­ sowohl der Verfahrensführung als auch der Vollstreckung ­ im Ausland (und ohne Konzerngesellschaft in der Schweiz) allerdings aufgrund des Territorialprinzips Grenzen gesetzt. Schweizerische Behörden können im Ausland keinen hoheitlichen Zwang ausüben. Dies zeigt sich bereits bei der autoritativen Zustellung von Dokumenten ins Ausland, wofür in der Regel der diplomatische Weg eingeschlagen werden muss. Für die Durchsetzung ausländischer hoheitlicher Ansprüche bieten Staaten in der Regel nicht Hand.

Hingegen bestehen grössere Chancen einer Durchsetzung allfälliger Ansprüche auf dem zivilrechtlichen Weg. Diesbezüglich sind zwei Ebenen zu unterscheiden, die internationale Zuständigkeit (in welchem Land kann geklagt werden?) und das anwendbare Recht (wessen nationales Recht findet in der Sache Anwendung?).

74 75 76

BGE 143 II 297 E. 3.2.3, Gaba.

BGE 143 II 297 E. 3.2.3, Gaba.

BGE 143 II 297 E. 3.2.3, Gaba.

4919

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Internationale Zuständigkeit (Gerichtsstand) für die zivilrechtliche Durchsetzung Hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit für eine zivilrechtliche Klage ist für die Schweiz im Verhältnis zu Beklagten mit Sitz in einem EU/EWR-Mitgliedsstaat (mit Ausnahme Liechtensteins) grundsätzlich das Lugano-Übereinkommen vom 30. Oktober 200777 (LugÜ) einschlägig. Demnach gilt der Grundsatz, dass Klagen im Staat des Wohnsitzes des Beklagten erhoben werden können (Art. 2 LugÜ). Bei juristischen Personen kann es mehrere solche Sitzstaaten geben, der satzungsmässige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung können alternativ als Sitzorte gelten (vgl. Art. 60 LugÜ). Zudem sind auch Klagen in weiteren Staaten nach den weiteren Bestimmungen des LugÜ möglich. Vorliegend könnten Artikel 5 Nummer 3 LugÜ (Deliktsgerichtsstand: alternativ am Handlungs- oder Erfolgsort) oder Artikel 5 Nummer 5 LugÜ (Niederlassungsort: Staat, in dem die Niederlassung des Beklagten, mit dem die Streitigkeit besteht, sich befindet) einschlägig sein.

Der Vertragsgerichtsstand (Art. 5 Nr. 1 LugÜ) und die Verbrauchergerichtsstände (Art. 15­17 LugÜ) dürften vorliegend in der Regel nicht einschlägig sein, da es an einem Vertrag fehlt oder die Voraussetzungen nach Artikel 15 Nummer 1 LugÜ nicht erfüllt sein dürften. Im Ergebnis ist ein Gerichtsstand im Sitzstaat bzw. Wohnsitzstaat des Beklagten somit immer gegeben, unabhängig ob in der Schweiz oder im europäischen Ausland. Alternativ besteht die Möglichkeit einer Klage am betroffenen Niederlassungsort (Art. 5 Nr. 5 LugÜ) oder am Handlungs- oder Erfolgsort (Art. 5 Nr. 3 LugÜ). Während der Niederlassungsgerichtsstand in der Regel im europäischen Ausland liegen dürfte (weil die die Lieferung am ausländischen Lieferort verweigernde Niederlassung sich in der Regel nicht in der Schweiz, sondern im Ausland befinden dürfte), wird der Erfolgsort bei (klassischen) Kartellrechtsverletzungen häufig übereinstimmend mit dem Auswirkungsprinzip ausgelegt, was bei einem Geschädigten mit Sitz in der Schweiz zu einem Gerichtsstand in der Schweiz führen dürfte. Wenn der Beklagte Wohnsitz in einem Nichtvertragsstaat des LugÜ hat, richtet sich die Zuständigkeit nach dem Bundesgesetz vom 18. Dezember 198778 über das Internationale Privatrecht (IPRG). Gemäss Artikel 129 IPRG ist eine Klage z. B. am schweizerischen
Handlungs- oder Erfolgsort oder unter Umständen auch am Niederlassungsort des Beklagten in der Schweiz möglich.

Anwendbares Recht Hinsichtlich der Frage des anwendbaren Rechts ist bei einer zivilrechtlichen Klage in der Schweiz das IPRG massgeblich. Gemäss Artikel 137 IPRG findet das Recht des Staates Anwendung, auf dessen Markt der Geschädigte von der Behinderung unmittelbar betroffen ist. Der Schweizer Markt ist allerdings nicht unmittelbar betroffen, da in der Regel keine Lieferung direkt in die Schweiz behindert wird. Vielmehr ist der Schweizer Markt mittelbar durch die Behinderung einer Lieferung im bzw. aus dem Ausland betroffen. Allerdings geht diese Lieferverweigerung ausschliesslich zulasten des Nachfragers aus der Schweiz, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Schweizer Markt im Sinne von Artikel 137 IPRG betroffen ist. Bei einer Klage in einem EU-Mitgliedsstaat ist die Verordnung (EG)

77 78

SR 0.275.12 SR 291

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Nr. 864/200779 (im Folgenden: Rom-II-Verordnung) für die Bestimmung des anwendbaren Rechts massgeblich, wobei deren Regelungen gemäss Artikel 3 Rom II-Verordnung auch in Fällen zur Anwendung gelangen, in denen das Recht eines Drittstaats (z. B. der Schweiz) anzuwenden ist. Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a Rom II-Verordnung sieht ebenfalls die Anwendung des Auswirkungsprinzips vor, wonach auf ein ausservertragliches Schuldverhältnis aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten das Recht des Staates anzuwenden ist, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Entsprechend kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Somit käme auch in diesem Fall im Ergebnis in der Regel Schweizer Recht zur Anwendung. Zwar könnte einer Anwendung der Schweizer Bestimmungen aufgrund des Ordre-public-Vorbehalts gemäss Artikel 26 Rom II-Verordnung verweigert werden. Dieser Einwand wird allerdings nur in sehr spezifischen Ausnahmefällen angerufen. Er setzt voraus, dass die Anwendung einer ausländischen Vorschrift mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. Dies dürfte zumindest in Bezug auf die Mitgliedsstaaten des LugÜ vorliegend in der Regel bei Fällen relativer Marktmacht nicht zutreffen.

Zusammenfassung Zusammenfassend besteht für die zivilrechtliche Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wegen eines allfälligen Missbrauchs einer relativ marktmächtigen Stellung durch einen Beklagten mit Sitz innerhalb des LugÜ-Anwendungsbereichs zumindest eine internationale Zuständigkeit innerhalb der EU/EWR (ohne Liechtenstein) und allenfalls auch innerhalb der Schweiz. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts dürfte sowohl in der Schweiz als auch in einem EU-Mitgliedsstaat im vorliegenden Kontext schweizerisches Recht zur Anwendung gelangen. Liegt ein Urteil aus einem durch das LugÜ gebundenen Staat (Schweiz/EU/EWR ohne Liechtenstein) vor, ist dieses in anderen LugÜ-Staaten grundsätzlich vollstreckbar. In Drittstaaten richtet sich die Urteilsanerkennung nach den dort geltenden Vorschriften.

Allerdings ist fraglich, inwiefern entsprechende zivilrechtliche Verfahren aufgrund der mit dem Konzept der relativen Marktmacht verbundenen Rechtsunsicherheit und dem Verfahrensrisiko tatsächlich durchgeführt würden.

4.1.2.3

Vorgeschlagenes Regelbeispiel (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b E-BV)

Das vorgeschlagene Regelbeispiel gemäss Artikel 197 Ziffer 12 Absatz 2 Buchstabe b E-BV ist problematisch. Es erweitert den Kreis der unbestimmten Rechtsbegriffe des Instituts der relativen Marktmacht erheblich, wie die in Ziffer 3.3.3.4 vorgenommene Auslegung der einzelnen Tatbestandselemente verdeutlicht.

79

Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht («Rom II»), ABl. L 199, 31.7.2007, S. 40.

4921

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4.1.2.4

Verzicht auf direkte Sanktionierung (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. d E-BV)

Die Initiative sieht ausdrücklich vor, dass relativ marktmächtige Unternehmen bei unzulässigem missbräuchlichem Verhalten von direkten kartellrechtlichen Sanktionen ausgenommen werden. Der Verzicht auf eine direkte Sanktionierung ist nach Ansicht des Bundesrates zu begrüssen. Eine direkte Sanktionierung wäre in diesen Fällen überschiessend. Erstens geht es grundsätzlich um Streitigkeiten zwischen nur zwei Unternehmen, ohne dass eine volkswirtschaftliche Bedeutung gegeben wäre.

Zweitens kann ein nicht marktbeherrschendes Unternehmen weniger gut als ein marktbeherrschendes Unternehmen abschätzen, ob ein anderes Unternehmen von ihm abhängig ist. Mit andern Worten dürfte es ausreichen, ein relativ marktmächtiges Unternehmen zur diskriminierungsfreien Lieferung zu verpflichten und zwar grundsätzlich mittels einem zivilrechtlichen Entscheid. Ein Verwaltungsverfahren vor der WEKO sollte bei den vorliegenden Konstellationen ohnehin die Ausnahme darstellen. Neben einer Verfügung betreffend die diskriminierungsfreie Belieferung auch noch eine Sanktion auszusprechen, ginge zu weit. Zudem wird durch die fehlende Möglichkeit der direkten Sanktionierung auch ein Konflikt mit dem aus dem Legalitätsprinzip fliessenden Bestimmtheitsgebot vermieden. Zu beachten ist jedoch, dass im Widerholungsfall Artikel 50 KG zur Anwendung gelangen würde. Hiernach ist ein Verstoss gegen eine einvernehmliche Regelung, eine rechtskräftige Verfügung der Wettbewerbsbehörden oder einen Entscheid der Rechtsmittelinstanzen im gleichen Masse wie im Rahmen von Artikel 49a KG zu sanktionieren.

4.1.2.5

Re-Import-Klausel (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. c E-BV)

Neben der Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht enthält die Initiative auch eine Privilegierung der Verhinderung von Re-Importen (auch Re-ImportKlausel genannt). Hiernach soll inländischen relativ marktmächtigen Unternehmen die Abschottung des Schweizer Marktes weiterhin erlaubt bleiben und für marktbeherrschende Unternehmen neu erlaubt werden. Auch wenn die Vorschrift grundsätzlich unterschiedslos für in- und ausländische Unternehmen anwendbar ist, dürfte sie in der Praxis aufgrund der höheren Preise in der Schweiz im Vergleich zum europäischen Ausland lediglich Schweizer Unternehmen zugutekommen. Damit würden Schweizer Unternehmen sowie Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten in vielen Fällen gerade nicht von günstigeren Preisen für Schweizer Produkte profitieren, da der Re-Import solcher Produkte durch die Hersteller einseitig und rechtlich zulässig behindert werden könnte. Hinzu kommt, dass neu auch marktbeherrschende Unternehmen den Re-Import ihrer Produkte mit einseitigem Verhalten verhindern dürften. Damit entsteht ein Widerspruch zwischen dieser Privilegierung von Schweizer Exporteuren und dem Ziel der Initiative einer Senkung der Preise in der Schweiz. Diese Privilegierung weist auf industriepolitische Ziele hin, wie den Erhalt des Unternehmenssitzes international tätiger Unternehmen in der Schweiz auf Kosten abhängiger Nachfrager. Eine solche Regelung ist insbesondere aus wettbewerbspolitischen Gründen und aus Gründen der Fairness abzulehnen.

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Für die privilegierten Unternehmen ist bei der Berufung auf die Re-Import-Klausel allerdings auch das im jeweilig betroffenen Land geltende lokale Kartellrecht zu beachten. Die vorgeschlagene Privilegierung, insbesondere von marktbeherrschenden Unternehmen, könnte daher einen Verstoss gegen das jeweilige lokale Kartellrecht darstellen.

Darüber hinaus könnte diese Klausel unter Umständen die internationalen Verpflichtungen der Schweiz verletzten und damit Gegenmassnahmen ausländischer Staaten provozieren (vgl. Ziff. 4.4). Schliesslich würde sich das Schweizer Kartellrecht mit einer solche Regelung vom europäischen Kartellrecht entfernen. Zwar sind Regelungen betreffend das Verbot oder die Ahndung missbräuchlicher Verhaltensweisen gegenüber wirtschaftlich abhängigen Unternehmen gemäss EU-Recht grundsätzlich zulässig, eine faktische einseitige Privilegierung einheimischer Unternehmen wäre mit dem europäischen Kartellrecht hingegen nicht vereinbar (vgl. auch Ziff. 6.3).

Der Bundesrat spricht sich daher gegen eine solche sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Marktteilnehmer aus.

4.1.3

Grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. e E-BV)

Einleitende Bemerkungen Die Initiative fordert neben der Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht ein grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings. Der Bundesrat steht dieser Forderung kritisch gegenüber: Erstens befürchtet der Bundesrat durch ein grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings einen Anstieg von Bürokratie und Kosten für die betroffenen Unternehmen. Zweitens kann mit einer solchen Regulierung Rechtsunsicherheit einhergehen, beispielsweise wenn unklar ist, welches Konsumentenschutz- und Gewährleistungsrecht von welchem Land (z. B. Land des Wohnsitzes des Verbrauchers oder des Sitzes des Unternehmens) im konkreten Fall Anwendung findet. Drittens und schwerpunktmässig stellt sich bei einem grundsätzlichen Verbot des privaten Geoblockings die Frage nach dessen Durchsetzung im Ausland, da es sich vorliegend grundsätzlich um ein grenzüberschreitendes Phänomen handelt.

Binnenmarktrecht Das grundsätzliche Verbot des privaten Geoblockings im EU-Recht wird auf das Binnenmarkt- und nicht auf das Kartellrecht gestützt. Zwar kennt die Schweiz ein entsprechendes Pendant, das Binnenmarktgesetz vom 6. Oktober 199580 (BGBM).

Dieses weist allerdings eine reine Binnenmarktperspektive innerhalb der Schweiz auf und bezweckt, dass Personen mit Niederlassung oder Sitz in der Schweiz für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz freien und gleichberechtigten Zugang zum Markt haben. Zudem richtet es sich grundsätzlich nur an Bund, Kantone und Gemeinden und nicht an Unternehmen. Eine grenzüberschreitende Komponente weist das BGBM damit nicht auf. Es könnte lediglich für 80

SR 943.02

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Fälle von privaten Geoblocking innerhalb der Schweiz nutzbar gemacht werden, die soweit ersichtlich in der Praxis nicht existieren.

Lauterkeitsrecht Die Initiative fordert die Aufnahme einer Geoblocking-Regulierung, wohl in das UWG. Zweck des UWG besteht gemäss Artikel 1 darin, «den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten». Dabei ist nach Artikel 2 UWG «jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst», unlauter und widerrechtlich. Geoblocking-Massnahmen werden durch Unternehmen grundsätzlich aber nicht dazu eingesetzt, um Kundinnen und Kunden zu täuschen. Vielmehr dient es häufig der geografischen Marktabschottung zur Preisdifferenzierung und somit sind in erster Linie nicht die qualitativen Aspekte des Wettbewerbs betroffen, die das UWG regelt.

Gemäss Artikel 136 IPRG kann das UWG auch bei im Ausland veranlassten Sachverhalten grundsätzlich zur Anwendung gelangen, sofern die unlauteren Handlungen ihre Wirkungen in der Schweiz entfalten. Unlautere Verhaltensweisen können gemäss UWG je nach der materiell einschlägigen Bestimmung auf zivil- oder strafrechtlichem Wege verfolgt werden. Eine Zivilklage kann je nach Sachverhalt in der Schweiz oder im Ausland eingereicht werden (vgl. die Ausführungen zur grenzüberschreitenden Durchsetzung unter Ziff. 4.1.2.2). Bei einer Strafklage könnten die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden allerdings kaum erfolgreich gegen den Einsatz von Geoblocking durch ausländische Unternehmen vorgehen, da es in den meisten Fällen an einer physischen Präsenz des Unternehmens in der Schweiz fehlen dürfte. Die ausländischen Strafverfolgungsbehörden könnten keine Amts- und Rechtshilfe leisten, da der Einsatz von Geoblocking durch Unternehmen nach ausländischem Recht soweit ersichtlich keinen Straftatbestand darstellt. Zudem erstreckt sich das entsprechende grundsätzliche Verbot des privaten Geoblockings in der EU nur auf den europäischen Binnenmarkt, an dem die Schweiz bekanntlich nicht teilnimmt.

Kartellrecht Die Aufnahme einer entsprechenden Regulierung nicht in das UWG, sondern in das KG wäre systemfremd, da dieses ausschliesslich an Wettbewerbsabreden,
Marktmacht oder Unternehmenszusammenschlüsse anknüpft. Sind Geoblocking-Massznahmen Gegenstand einer Wettbewerbsabrede oder werden diese durch marktbeherrschende Unternehmen eingesetzt, so kann dies bereits heute durch die entsprechenden kartellrechtlichen Bestimmungen erfasst werden (vgl. Ziff. 2.2). Bei Einführung der relativen Marktmacht in das KG könnten auch GeoblockingMassnahmen von relativ marktmächtigen Unternehmen im bilateralen Verhältnis erfasst werden. Setzten Unternehmen jedoch Geoblocking ein, ohne dass sie zugleich marktbeherrschend sind, was in der Praxis die Regel sein dürfte, ist ein solches Verhalten gemäss den geltenden kartellrechtlichen Regelungen nicht zu beanstanden. Die Aufnahme eines grundsätzlichen Verbots des privaten Geoblockings im KG ohne Anknüpfung an eine Wettbewerbsabrede oder Marktmacht würde dem

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Sinn eines modernen Kartellrechts zuwiderlaufen, das in erster Linie dem wirksamen Wettbewerb verpflichtet ist.

Verstösse gegen kartellrechtliche Vorschriften können sowohl verwaltungs- als auch zivilrechtlich durchgesetzt werden. Dabei ist das Kartellrecht gemäss dem Auswirkungsprinzip nach Artikel 2 Absatz 2 KG auf Sachverhalte anwendbar, die sich in der Schweiz auswirken (zu den Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Durchsetzung in Bezug auf die Verfahrensführung und die Vollstreckung kartellrechtlicher Ansprüche vgl. Ziff. 4.1.2.2). Verwaltungsrechtlich wäre eine Durchsetzung im Ausland aufgrund des Territorialprinzips sehr schwierig. Sie wäre nur ausnahmsweise möglich, namentlich, wenn in der Schweiz eine physische Präsenz des Unternehmens bestehen würde. In der Praxis dürfte diese jedoch häufig fehlen. Zivilrechtlich wäre eine Anwendbarkeit gemäss Artikel 137 IPRG zwar grundsätzlich möglich, in der Praxis aber weder erprobt noch aufgrund des vorliegend in der Regel geringen Streitwerts wahrscheinlich. Dies gilt umso mehr aufgrund der Tatsache, dass die europäischen Kartellrechtsordnungen kein entsprechendes Pendant kennen.

Zusammenfassung Es kann festgehalten werden, dass die Einführung eines unilateralen grundsätzlichen Verbots des privaten Geoblockings zwar möglich wäre, in der Praxis aufgrund der Durchsetzungsschwierigkeiten aber keine wirksame Anwendung finden könnte und vor allem Schweizer Unternehmen negativ betroffen wären. Dies könnte zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen in- und ausländischen Unternehmen zu Ungunsten der Unternehmen in der Schweiz führen. Um griffige Massnahmen für einen diskriminierungsfreien Einkauf im grenzüberschreitenden Online-Handel zu gewährleisten, müsste die Durchsetzung auch im Ausland sichergestellt werden können. Eine wirksame Umsetzung wäre beispielsweise im Rahmen eines allfälligen Abkommens zur gegenseitigen Anerkennung der Regelung mit der EU möglich. Hierzu wäre jedoch eine vorgängige Prüfung über das Interesse und die inhaltliche Ausgestaltung eines solchen möglichen Abkommens zwischen der Schweiz und der EU notwendig.

Das weitere Vorgehen wäre im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU zu prüfen und müsste im Einklang mit der europapolitischen Strategie des Bundesrats stehen. In der Zwischenzeit werden
diesbezüglich sowohl die nationalstaatlichen Umsetzungsmassnahmen wie die effektiven Auswirkungen des seit dem 3. Dezember 2018 angewendeten grundsätzlichen Verbots des privaten Geoblockings innerhalb der EU beobachtet (vgl. Ziff. 3.3.3.7).

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.2.1

Auswirkungen auf den Bund

Bei einer Annahme der Initiative wäre zu erwarten, dass einzelne Unternehmen einzelne Vorleistungen günstiger beziehen können, was durch die daraus resultierenden tieferen Endverkaufspreise einerseits die Einnahmen des Bundes aus der Mehrwertsteuer schmälern könnte. Diese Mindereinnahmen könnten jedoch wieder kompensiert werden, wenn die Endverbrauchenden das eingesparte Geld für den Kauf von Gütern und Dienstleistungen im Inland verwenden. Tiefere Beschaffungs4925

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kosten könnten bei betroffenen Unternehmen unter Umständen steigende Gewinne ermöglichen, womit Mehreinnahmen bei der Gewinnsteuer verbunden sein könnten.

Bei relativ marktmächtigen Unternehmen, bei denen ein entsprechender Missbrauchstatbestand festgestellt wird, wären entgegengesetzte Effekte zu erwarten.

Dies könnte zu Steuerausfällen und durch einen allfälligen Abbau von Arbeitsplätzen zu Mehrausgaben für die Sozialversicherungen (vgl. Ziff. 4.3.2) führen. Insgesamt ist es nicht möglich, das aggregierte Ausmass aller Effekte abzuschätzen.

Aufgrund des sehr weiten Anwendungsbereichs der Initiative durch die potenzielle Erfassung sämtlicher Geschäftsbeziehungen im In- und mit dem Ausland könnten die Wettbewerbsbehörden voraussichtlich weniger «klassische» Fälle aufgreifen.

Personelle Auswirkungen auf den Bund hat die Initiative nicht. Insbesondere wären keine zusätzlichen Ausgaben und Personalaufwendungen für die Wettbewerbsbehörden (WEKO und ihr Sekretariat) und die Eidgenössischen Gerichte (Bundesgericht und Bundesverwaltungsgericht) zu erwarten. Aufgrund der nicht vorgesehenen direkten Sanktionierung und der allenfalls beschränkten volkswirtschaftlichen Bedeutung von Fällen relativer Marktmacht würden gewisse Sachverhalte möglicherweise auf dem Zivilrechtsweg einer Klärung zugeführt werden. Entsprechend wäre für die Wettbewerbsbehörden nach einigen allfälligen Leitentscheiden nach Einführung der neuen Regelung kein wesentlich grösserer Aufwand zu erwarten.

4.2.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Im Falle einer möglicherweise vermehrten Nutzung des Zivilrechtswegs könnte die Initiative einen gewissen Mehraufwand für die kantonalen Zivilgerichte bedeuten.

Den Unternehmen, die von der neuen Regelung profitieren und unter Umständen höhere Gewinnsteuereinnahmen generieren würden, stünden allfällige Steuerausfälle der negativ betroffenen Unternehmen gegenüber (vgl. Ziff. 4.3.2).

4.2.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Auswirkungen auf die Unternehmen Das Konzept der relativen Marktmacht soll sowohl auf Angebots- (relativ marktmächtiger Anbieter) als auch auf Nachfragesituationen (relativ marktmächtige Abnehmer) angewendet werden. Die Auswirkungen unterscheiden sich jeweils für beide Situationen. Wie ausgeführt, wäre die Durchsetzung der neuen Regelung im Ausland mit Unsicherheiten verbunden (vgl. dazu Ziff. 4.1.2.2). Dieser Vorbehalt bezüglich der in Folge beschriebenen Auswirkungen wird in der vorliegenden Ziffer nicht mehr wiederholt.

Die Auswirkungen auf die Unternehmen sind von verschiedenen Faktoren abhängig.

Grundsätzlich wären alle Unternehmen in der Schweiz betroffen sowie diejenigen im Ausland, die mit Unternehmen in der Schweiz Geschäftsbeziehungen unterhalten. In der Situation abhängiger Nachfrager könnte die neue Regelung die Beschaffungskosten für Unternehmen in Einzelfällen senken. Auf Basis des Tatbestands «Behinderungsmissbrauch» (Verzerrung des Wettbewerbs unter den Anbietern) 4926

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könnten Lieferungen gerichtlich «verordnet» oder einmal zugestandene Preise auf andere Abnehmer ausgeweitet werden. Soweit der Tatbestand Ausbeutungsmissbrauch überhaupt relevant ist, würde er zudem erlauben, dass über den Rechtsweg Preise überprüft werden. Die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-) Gerichte würden in Folge die Preise entweder gemäss den geltend gemachten Beschaffungsbedingungen anderer Unternehmen oder bei fehlenden Referenzunternehmen anhand anderer Hinweise festlegen müssen. Bei den abhängigen Unternehmen könnten tiefere Einkaufspreise für einzelne Produkte und Vorleistungen zu tieferen Produktionskosten und einem grösseren Preissetzungsspielraum führen.

Damit könnten entweder die Margen erhöht oder die Absatzpreise gesenkt werden (Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit). Je nach Abnehmer würden in diesem Fall nachgelagerte Unternehmen in der Schweiz (sowie im Ausland) beziehungsweise die Konsumentinnen und Konsumenten profitieren. Während die betroffenen Abnehmer mit den erwähnten positiven Effekten rechnen dürften, wäre bei den in- und ausländischen Anbietern von tieferen Margen auszugehen.

In der Situation abhängiger Anbieter geht es grundsätzlich darum, dass die Abnahme eines spezifischen Produkts zu spezifischem Preis gerichtlich durchgesetzt werden könnte. Auch in diesem Fall würden sowohl der Behinderungsmissbrauch als auch der Ausbeutungsmissbrauch erfasst. Die Auslegung der Missbrauchstatbestände in dieser Situation bedürfte jedoch einer zusätzlichen ­ heute weitgehend noch nicht geklärten ­ Differenzierung, da es nicht erwünscht sein kann, dass ein relativ marktmächtiger Abnehmer zum Kauf nicht erwünschter Produkte gezwungen werden kann (vgl. Ziff. 3.3.3). Wenn einem relativ marktmächtigen Abnehmer die Abnahme eines spezifischen Produkts zu spezifischem Preis angeordnet wird, bestünde jedoch das Risiko, dass die Fortführung ineffizienter Geschäftsbeziehungen auferlegt wird. Dies würde zudem bei Aufnahme neuer Geschäftsbeziehungen einen zusätzlichen Aufwand erfordern, da Absicherungen gegen solche Risiken notwendig würden.

Im Unterschied zu einem marktbeherrschenden Unternehmen, dessen Marktmacht auf dem betreffenden Markt allgemeine Gültigkeit hat, besteht eine relativ marktmächtige Stellung jeweils nur im bilateralen Verhältnis zwischen zwei spezifischen
Unternehmen. Demnach muss die konkrete Abhängigkeitssituation immer bezüglich eines bestimmten Produktes nachgewiesen werden. Für die Unternehmen würden sich dabei Kosten in dreierlei Beziehungen ergeben: ­

Erstens müsste damit gerechnet werden, dass die neue Regelung zu einer generell erhöhten Unsicherheit bei den Unternehmen führt. Insbesondere die Berücksichtigung der Situation abhängiger Anbieter könnte dazu führen, dass die Dynamik im Markt abnimmt und bestehende Strukturen länger als ökonomisch sinnvoll bestehen bleiben.

­

Zweitens würde ein neues unternehmerisches Risiko entstehen, falls sich herausstellt, dass mit der Aufnahme oder Aufrechterhaltung einer Geschäftsbeziehung eine relativ marktmächtige Stellung verbunden ist und somit ein Missbrauchstatbestand verwirklicht werden kann. Da jeweils nur das bilaterale Verhältnis ausschlaggebend ist, müssten die Unternehmen dieses Risiko stets selbst verfolgen und einschätzen (Compliance-Kosten).

4927

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­

Drittens würden die Kosten für zivilrechtliche Verfahren anfallen, sei es für die Durchsetzung eigener mutmasslicher Ansprüche oder der Abwehr von Ansprüchen, die von aktuellen oder potenziellen Geschäftspartnern geltend gemacht werden. Grössere Unternehmen mögen mit eigenen Rechtsabteilungen besser dafür aufgestellt sein als kleinere Unternehmen, die in diesen Fällen in der Praxis in der Regel auf externe Fachleute zurückgreifen müssten.

Die Ermöglichung der Verhinderung von Re-Importen für marktbeherrschende und relativ marktmächtige Unternehmen ins Produktionsland könnte in gewissen Fällen tiefere Beschaffungspreise für inländische Unternehmen gerade verhindern und steht damit im Widerspruch zum Ziel der Initiative zur Senkung der Preise in der Schweiz. Gerade marktbeherrschende Unternehmen könnten durch die Bestimmung erst motiviert werden, den Schweizer Markt durch unilaterale Massnahmen abzuschotten und Preise zuungunsten der Schweizer Nachfrager zu erhöhen. Marktbeherrschende sowie relativ marktmächtige, international tätige Unternehmen mit Sitz oder Produktionsstandort in der Schweiz würden gegenüber ausländischen Unternehmen privilegiert, indem sie vom Diskriminierungsverbot ausgenommen wären.

Dadurch wären unvorteilhafte Gegenmassnahmen ausländischer Staaten nicht auszuschliessen, was sich wiederum volkswirtschaftlich nachteilig auswirken würde.

Aufgrund der grossen Durchsetzungsschwierigkeiten im Ausland hätte ein unilaterales grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings kaum Auswirkungen auf Online-Shops im Ausland. Aus diesem Grund befürchtet der Bundesrat, dass vor allem Online-Shops und somit Unternehmen in der Schweiz von einer solchen Bestimmung betroffen wären, die grenzüberschreitend tätig sind. Dies könnte zu Nachteilen im Wettbewerb für Schweizer Unternehmen gegenüber jenen im Ausland führen (Verlust der Wettbewerbsfähigkeit). Schliesslich würde eine Regulierung gegen das private Geoblocking zu zusätzlichen administrativen Kosten für die Unternehmen (z. B. Compliance, Umsetzung, allenfalls Kosten für Rechtsfälle im Zusammenhang mit einer allfälligen Lieferverpflichtung) und somit höheren Produktions- und Vertriebskosten führen, wenngleich diese in quantitativer Hinsicht häufig nicht in einem erheblichen Masse auftreten dürften. Im Falle einer potenziellen Einführung einer Regelung des privaten Geoblockings in der Schweiz, angelehnt an die Geoblocking-Verordnung der EU, und unter Annahme erfolgreicher Durchsetzung im Ausland, würden die Auswirkungen auf das Preisniveau in der Schweiz wohl marginal bleiben.

Auswirkungen auf die Konsumentinnen und Konsumenten Für die Konsumentinnen und Konsumenten selbst ist das Konzept der relativen Marktmacht nicht direkt anwendbar. Inwieweit diese jedoch in Form der
Weitergabe allfälliger Einsparungen durch die Unternehmen profitieren können, hängt wesentlich von der Wettbewerbsintensität und Nachfragesituation auf den jeweiligen Märkten ab. In der Tendenz gilt: Je mehr Wettbewerb auf einem Markt, desto eher werden günstigere Einkaufspreise an die Endabnehmer weitergegeben.

Vorausgesetzt, dass das grundsätzliche Verbot des privaten Geoblockings im Ausland nicht durchgesetzt werden könnte, würden die Auswirkungen auf die Konsumentinnen und Konsumenten stark vom Verhalten der hiesigen Unternehmen 4928

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abhängen, die grenzüberschreitend tätig sind. Falls grenzüberschreitend tätig Unternehmen heute Technologien zum Geoblocking nutzen, so wäre es beispielsweise denkbar, dass gewisse Unternehmen bei einem Verbot ihre Preis- und Angebotspolitik anpassen. Dies könnte in einigen Bereichen zu Preissenkungen und in anderen zu Preissteigerungen führen. Oder es wäre damit zu rechnen, dass gewisse Produkte nicht mehr grenzüberschreitend angeboten werden, indem die Webseiten nur noch spezifisch auf Schweizer Nachfrager ausgerichtet werden. Schliesslich wäre damit zu rechnen, dass entsprechende Unternehmen versuchen werden, die gestiegenen Kosten auf die Konsumentinnen und Konsumenten abzuwälzen. Sofern die betroffenen Unternehmen derzeit keine Geoblocking-Massnahmen durchführen, wären entsprechend keine Auswirkungen zu erwarten.

Betroffene Produkte, Auswirkungen auf das Preisniveau und die Preissetzung Es stellt sich zudem die Frage nach den möglicherweise betroffenen Produkten. Das Konzept der relativen Marktmacht bedingt, dass keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen auf andere Unternehmen auszuweichen. Dies bedeutet, dass der Markt eher begrenzt sein muss, beziehungsweise dass sich das betroffene Produkt deutlich von anderen Varianten, zumindest aus Sicht der nachgelagerten Marktstufe, unterscheiden muss. Für die Situation abhängiger Nachfrager wäre zu erwarten, dass die Wirkung auf mehrheitlich standardisierte (Marken-)Produkte beschränkt bliebe. Eine unrechtmässige (preisliche) Diskriminierung für einzeln angefertigte Produkte, beispielsweise Maschinen für spezifische Bedürfnisse der Abnehmer, dürfte in der Praxis mit erheblichen Beweisschwierigkeiten verbunden sein. In der Situation abhängiger Anbieter hingegen könnte eine Abhängigkeit gegenüber einem Abnehmer entweder bei einem sehr kleinen Markt oder bei äusserst spezialisierten Produkten bestehen. Im ersten Fall könnte die Landwirtschaft als Beispiel dienen, die aufgrund des Grenzschutzes und dadurch erhöhter Preise auf die nur wenigen Abnehmer innerhalb der Schweiz angewiesen ist. Hierbei spielt auch eine Rolle, dass der bestehende Grenzschutz die Möglichkeiten der Abnehmer, volkswirtschaftliche Renten abzuschöpfen, begünstigt und dies den Konzentrationsprozess in den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Branchen erleichtert.81
Insgesamt ­ und sowohl in der Situation abhängiger Nachfrager als auch abhängiger Anbieter ­ wäre jedoch zu erwarten, dass vorwiegend hochpreisige Produkte, solche mit einem übermässigen Preisaufschlag und Produkte mit hohen Handelsvolumina betroffen wären, da ansonsten die Einsparungen im Vergleich zu den aufzuwendenden Verfahrenskosten und dem administrativen Aufwand in der Regel zu klein wären, als dass sich ein kartellrechtliches Verfahren lohnen würde. Bezüglich Preisniveau von Gütern und Dienstleistungen ist die Breitenwirkung der Initiative demnach deutlich begrenzt.

Zudem würde die Einführung der relativen Marktmacht ­ wie von der Initiative gefordert ­ potenziell alle Unternehmen in der Schweiz betreffen und die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-)Gerichte würden faktisch zu «Preiskontrollstellen», selbst im Falle funktionierenden Wettbewerbs und in Fällen von nicht 81

Siehe hierzu etwa Loi Albericio, Esposti Roberto, Gentile Mario et al. (2016), Policy evaluation of tariff rate quotas. Report mandated by the Swiss Federal Office for Agriculture. Areté srl, Bologna.

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marktbeherrschenden Unternehmen. Dies wäre ein erheblicher Eingriff des Staates in die freie Preissetzung, die zentral für eine Marktwirtschaft ist. 82 Solche staatlichen Eingriffe bergen grundsätzlich die Gefahr Preise und damit Anreizstrukturen zu verzerren und letztlich die Produktivität beziehungsweise die Wohlfahrt zu schmälern.

Auswirkungen auf den Wettbewerb Grundsätzlich ist bei einer Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht nicht von direkten Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität auszugehen, da das Konzept nur die Regelung bilateraler und produktspezifischer Geschäftsbeziehungen erlaubt. Damit handelt es sich um einen verteilungspolitisch und nicht wettbewerbspolitisch begründeten Eingriff. Im Fall eines festgestellten Missbrauchstatbestands würde die Durchsetzung der Regelung daher in erster Linie zu einer Umverteilung der Renten führen. In der Situation abhängiger Nachfrager würde dieser Transfer vom marktmächtigen Anbieter zum abhängigen Nachfrager stattfinden. Davon kann nicht direkt auf eine Auswirkung auf den Wettbewerb geschlossen werden. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist denkbar, dass Renten vom Ausland in die Schweiz transferiert würden. Im Gegensatz dazu wären insbesondere in der Situation abhängiger Anbieter negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität möglich.

Beispielsweise könnte die Abhängigkeit eines Lieferanten von einem relativ marktmächtigen Abnehmer dazu führen, dass der Abnehmer den Lieferanten nicht wechseln kann. Dadurch könnte die Belieferung durch einen neuen, effizienteren Lieferanten verhindert werden. Dies hätte zugleich zur Folge, dass potenzielle Preissenkungen verhindert würden. Schliesslich ist festzuhalten, dass ein staatliches Eingreifen in die Preissetzung grundsätzlich den zentralen Mechanismus eines funktionierenden Wettbewerbs hemmt und das Risiko von Wettbewerbsverzerrungen, Ineffizienzen und damit verbundenen ökonomischen Verlusten (Wohlfahrt, Arbeitsplätze) mit sich bringt.

Fazit zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass den im Einzelfall tieferen Preisen bei der Beschaffung von Waren verschiedene ökonomische Nachteile ­ insgesamt eher negative Auswirkungen auf den Wettbewerb sowie Kosten für Unternehmen ­ gegenüberstehen würden. Da insbesondere die Compliance-Kosten,
die Unsicherheit und Ineffizienzen für Unternehmen auch anfallen, ohne dass diese von Fällen relativer Marktmacht in der Praxis betroffen wären, dürften die negativen volkswirtschaftlichen Effekte bei einer Umsetzung der Initiative überwiegen.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Der Bundesrat räumt der Ausgestaltung optimaler Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Schweiz einen hohen Stellenwert ein. So hat er beispielsweise Massnahmen zur Reduzierung technischer und tarifärer Handelshemmnisse verabschiedet, um die Möglichkeit für Parallelimporte zu stärken. Dadurch soll der Wett82

Vgl. beispielsweise Aymo Brunetti (2006), Volkswirtschaftslehre, S. 55 ff.

4930

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bewerb gestärkt und die Möglichkeit für private Unternehmen, den schweizerischen Markt abzuschotten, eingeschränkt werden. Davon profitieren sowohl Unternehmen, die auf Importe angewiesen sind, wie auch Konsumentinnen und Konsumenten, die durch einen gesteigerten Wettbewerb zwischen den Unternehmen weniger für Importe bezahlen. Diesen Massnahmen ist gemein, dass sie keine konkreten Eingriffe in die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Unternehmen vorsehen, sondern lediglich die Rahmenbedingungen für einen optimalen Wettbewerb sicherstellen. Die damit verbundene freie Preisbildung auf dem Markt ist dabei zentral für eine möglichst effizient funktionierende Volkswirtschaft. Es gibt jedoch Fälle, in denen diese freie Preisbildung auf dem Markt nicht zu effizienten Ergebnissen führt. Daher unterstehen marktbeherrschende Unternehmen strengeren gesetzlichen Vorschriften, die deren Handlungsspielraum einschränken. Im Allgemeinen werden solche starken Eingriffe jedoch äusserst vorsichtig eingesetzt, denn um über staatlich administrierte Lieferpflichten, Preise und dergleichen mit positiven Effekten auf die Volkswirtschaft zu verfügen, wird von den zuständigen Stellen ein ausgeprägtes Wissen über die Unternehmen und Marktbedingungen benötigt.

Den Initiantinnen und Initianten gehen die bisherigen Bestimmungen zu wenig weit.

Die teilweise erhöhten Preise für Nachfrager aus der Schweiz rechtfertigen aus ihrer Sicht ein weitergehendes staatliches Eingreifen. Darum sollen zukünftig auch Unternehmen der Missbrauchskontrolle unterliegen, die nicht marktbeherrschend sind.

Wettbewerbsnachteile durch hohe Beschaffungskosten für Unternehmen sollen bekämpft und die Einkaufspreise für die Konsumentinnen und Konsumenten gesenkt werden, um den Wirtschaftsstandort Schweiz zu stärken und die Kaufkraft zu erhöhen.

Die Initiative will die hohen Preise von Waren und Dienstleistungen mittels der Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht, einer Privilegierung der Verhinderung von Re-Importen und einem grundsätzlichen Verbot des privaten Geoblockings erreichen. Die obigen Ausführungen zeigen die Herausforderungen bezüglich Anwendungsbereich des Konzepts der relativen Marktmacht. Tiefere Preise könnten zwar punktuell erwartet werden; diesen Auswirkungen wären jedoch die dabei entstehenden Kosten für praktisch alle
Unternehmen in der Schweiz sowie die dennoch limitierte Breitenwirkung gegenüberzustellen. Die grenzüberschreitende Durchsetzung des Konzepts der relativen Marktmacht wäre auf zivilem Weg zu erreichen.

Die Re-Import-Klausel widerspricht den mit der Initiative verfolgten übergeordneten Zielen einer Preissenkung sowie einer Stärkung des Wettbewerbs. Die Regelung gewichtet somit die Interessen grösserer exportorientierter Konzerne in der Schweiz höher als die zu erreichenden Preiseffekte, insbesondere auf Stufe der Konsumentinnen und Konsumenten. In der Summe könnte die Bestimmung sogar zu zusätzlicher Abschottung des Schweizer Marktes und zu höheren Preisen führen.

Das grundsätzliche Verbot des privaten Geoblockings wirft Fragen bezüglich der grenzüberschreitenden Durchsetzung auf. Es ist zu befürchten, dass die Regelung insbesondere gegenüber Unternehmen in der Schweiz zur Anwendung käme, damit Kosten generieren würde, aber kaum Auswirkungen auf die Preisdifferenz zwischen der Schweiz und dem umliegenden Ausland hätte.

4931

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4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Konzept der relativen Marktmacht Das Konzept der relativen Marktmacht bezweckt die Förderung des Wettbewerbs, indem insbesondere missbräuchliche Preisdiskriminierungen im In- und Ausland sowie die Abschottung des Schweizer Markts verhindert werden sollen. Dieser Zweck ist auch im Sinne der Wettbewerbsregeln in den Freihandelsabkommen, die die Schweiz abgeschlossen hat. Die meisten dieser Freihandelsabkommen sehen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen vor, wonach der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, der die Handelsbeziehungen beeinträchtigt oder die beabsichtigte Marktöffnung unterläuft, nicht vereinbar mit diesen Abkommen ist. Artikel 23 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 22. Juli 197283 (FHA Schweiz-EU) hält fest, dass die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gesamten Gebiet der Vertragsparteien oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen nicht mit dem Abkommen vereinbar ist, insoweit eine solche geeignet ist, den bilateralen Warenverkehr zu beeinträchtigen.

Auch wenn das Konzept der relativen Marktmacht nicht ausdrücklich von diesen wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen erfasst wird, ist von dessen Vereinbarkeit mit diesen auszugehen.

Gemäss Artikel III des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 199484 (GATT 1994), Artikel XVII des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen85 (GATS) sowie entsprechende Bestimmungen in einer Vielzahl der Freihandelsabkommen der Schweiz dürfen ausländische Waren, Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringer nicht weniger günstig als inländische behandelt werden. Zudem sind mengenmässige Beschränkungen von Importen (Art. XI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens vom 30. Oktober 194786 [GATT]) sowie Massnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen (z. B. Art. 13 Abs. 1 FHA Schweiz-EU) untersagt.

Gemäss dem Konzept der relativen Marktmacht werden ausländische Waren oder Dienstleistungen nicht weniger günstig als inländische behandelt. Es liegt also keine unmittelbare Diskriminierung vor. Ausserdem gelten die Regelungen der relativen Marktmacht für in- und ausländische Dienstleistungserbringer gleichermassen, wenn sie Dienstleistungen im In- und Ausland anbieten und wenn die weiteren
Tatbestandsvoraussetzungen der vorgeschlagenen Regelung erfüllt sind. Hierbei spielen weder der Sitz der Unternehmen noch beispielsweise der Produktionsstandort eine Rolle. Zudem bleiben unter der vorgesehenen Regelung Preisdiskriminierungen weiterhin zulässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind.

83 84 85 86

SR 0.632.401 SR 0.632.20, Anhang 1A.1 des Abkommens vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation.

SR 0.632.20, Anhang 1.B des Abkommens vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation.

SR 0.632.21

4932

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Auch wenn das Abkommen vom 17. Mai 201387 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihrer Wettbewerbsrechte (Wettbewerbsabkommen Schweiz-EU) keine materiellen Bestimmungen enthält, ist nicht davon auszugehen, dass das Konzept der relativen Marktmacht dem Wettbewerbsabkommen Schweiz-EU in politischer Hinsicht entgegenstehen könnte. Das Wettbewerbsabkommen Schweiz-EU beruht auf der Annahme, dass die Systeme der Schweiz und der EU für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auf denselben Grundsätzen beruhen und vergleichbare Vorschriften enthalten.

Soweit in- und ausländische Waren, Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer auch in der Praxis durch die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-) Gerichte gleichermassen ins Recht gefasst werden, ist davon auszugehen, dass das Konzept der relativen Marktmacht mit der Pflicht zur Inländerbehandlung unter den erwähnten Abkommen vereinbar ist.

Re-Import-Klausel Neben der Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht enthält die Initiative eine Ausnahmeregelung für Re-Importe (Re-Import-Klausel). Mit der Regelung soll relativ marktmächtigen Unternehmen die Abschottung des Schweizer Marktes weiterhin erlaubt bleiben beziehungsweise für marktbeherrschende Unternehmen neu erlaubt werden. Gemäss dem von der Initiative vorgeschlagene Text soll es einem Schweizer Unternehmen, das Produkte ins Ausland exportiert hat, erlaubt sein, durch einseitige Massnahmen zu verhindern, dass ein in- oder ausländisches Unternehmen diese Produkte in die Schweiz reimportiert. Die Re-Import-Klausel dürfte gegen das Verbot von mengenmässigen Beschränkungen und Massnahmen gleicher Wirkung in Freihandelsabkommen der Schweiz (z. B. Art. 13 Abs. 1 FHA Schweiz-EU) verstossen. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die ReImport-Klausel die Verpflichtung der Nichtdiskriminierung nach WTO-Recht (Art. III Abs. 4 GATT und Art. XVII GATS) verletzten könnte. Ein Rechtsgutachten, das vom Schweizerischen Markenartikelverband Promarca in Auftrag gegeben wurde, geht davon aus, dass die Fair-Preis-Initiative insbesondere aufgrund der ReImport-Klausel einen solchen Verstoss darstellt.88 Darüber hinaus könnte eine faktische einseitige Privilegierung von Schweizer Unternehmen dem Prinzip der Inländerbehandlung
(gemäss den entsprechenden WTOund FHA-Bestimmungen entgegenstehen und zugleich ein negatives Signal an die Nachbarländer und die EU senden.

Geoblocking Die Forderung der Initiative nach einem grundsätzlichen Verbot des privaten Geoblockings dürfte bei einer diskriminierungsfreien Ausgestaltung nicht gegen die internationalen Verpflichtungen der Schweiz verstossen.

87 88

SR 0.251.268.1 Kurz-Gutachten zur Vereinbarkeit der «Fair-Preis-Initiative» mit den Verpflichtungen der Schweiz als WTO-Mitglied vom 31. Mai 2018. Rechtsgutachten im Auftrag des Schweizerischen Markenartikelverbands Promarca, erstattet von Prof. Dr. iur. Michael Hahn, LL.M. (Michigan).

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5

Schlussfolgerungen

Der Bundesrat hat bereits zielgerichtete Massnahmen gegen die Abschottung des Schweizer Marktes veranlasst. Aus diesem Grund hat er im Dezember 2017 eine Reihe von Massnahmen, etwa die unilaterale Aufhebung von Industriezöllen, die Senkung von Agrarzöllen auf ausgewählte Güter und die Reduzierung der Ausnahmen vom Cassis-de-Dijon-Prinzip, verabschiedet (vgl. Ziff. 2.1.4).

Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, da er der Ansicht ist, dass bei einer generellen Einführung der relativen Marktmacht und bei deren vorwiegenden Anwendung auf rein innerschweizerische Sachverhalte die negativen volkswirtschaftlichen Auswirkungen überwiegen würden. Im Binnenmarkt Schweiz ist eine regionale Abschottung von Märkten nicht ohne Weiteres möglich. Es ist deshalb auch nicht angezeigt, Massnahmen gegen potenzielle Preisdiskriminierungen innerhalb des Schweizer Binnenmarktes zu ergreifen. Entsprechende Bestimmungen würden vielmehr zu Rechtsunsicherheit und einem Ausbau der Bürokratie für die Unternehmen führen.

Gleichzeitig würde die Initiative das Ziel, spürbare Preissenkungen für Unternehmen sowie für Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz, nicht erreichen. Sind jedoch Schweizer Unternehmen im internationalen Wettbewerb durch Lieferverweigerungen im Ausland benachteiligt, erachtet der Bundesrat eine zielgerichtete Regelung im Sinne der Initiative als angemessen.

Die von den Initiantinnen und Initianten ebenfalls aufgegriffene Problematik des privaten Geoblockings ist dem Bundesrat bekannt. Jedoch lehnt er ein Vorgehen, das nicht auf internationaler Ebene koordiniert ist, und damit ein unilaterales grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings ab. Da die Durchsetzung eines grundsätzlichen Verbots des privaten Geoblockings gegenüber Unternehmen im Ausland nicht gesichert wäre, befürchtet der Bundesrat, dass einseitig Unternehmen in der Schweiz von einer solchen Bestimmung betroffen wären. Dies könnte zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen in- und ausländischen Unternehmen führen. Entsprechend könnten hiermit Nachteile für die Schweizer Volkswirtschaft verbunden sein.

6

Indirekter Gegenvorschlag

6.1

Grundzüge der Vorlage

Begrenzte Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht Stehen Schweizer Unternehmen mit ausländischen Konkurrenten im Wettbewerb, so kann eine Preisdiskriminierung bei der Beschaffung von Vorleistungen negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der benachteiligten Unternehmen haben. Mit dem indirekten Gegenvorschlag will der Bundesrat diesem Anliegen Rechnung tragen. Dementsprechend soll das Kartellrecht für klar definierte missbräuchliche Verhaltensweisen von Unternehmen auch unter der Schwelle der Marktbeherrschung Anwendung finden, sofern ein Nachfrager in der Ausübung des Wettbewerbs aufgrund dieser Verhaltensweise benachteiligt wird. Insbesondere soll verhindert werden, dass inländische Nachfrager ausschliesslich über inländische Vertriebskanäle beliefert und so im Wettbewerb auf nachgelagerten Marktstufen 4934

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benachteiligt werden. Die Kernforderung der Initiative, der Abschottung des Schweizer Marktes entgegenzuwirken, findet somit Eingang in den indirekten Gegenvorschlag. Zugleich sollen die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-) Gerichte allerdings nicht generell für die Beurteilung von bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Unternehmen zuständig sein.

Bestehen einer Abhängigkeit Ein Anspruch gemäss dem indirekten Gegenvorschlag soll nur bestehen können, wenn Unternehmen als Nachfrager aus der Schweiz keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stehen, sie somit abhängig sind, und die Verweigerung der Lieferung im Ausland zu den dort praktizierten Preisen zu spürbaren und nachteiligen Wettbewerbsverzerrungen führt. Welche Waren und Dienstleistungen als Ausweichmöglichkeiten dienen können und ob diese zumutbar sowie im ausreichenden Masse vorhanden sind, ist stets eine Frage des konkreten Einzelfalls. Eine zumutbare Ausweichmöglichkeit kann beispielsweise darin bestehen, vergleichbare Waren oder Dienstleistungen von einem anderen Anbieter im gleichen Preissegment zu beziehen. Eine Abhängigkeit kann jedenfalls dann gegeben sein, wenn spezifische, auf ein Unternehmen ausgerichtete Investitionen getätigt worden sind und bei Beendigung der Geschäftsbeziehung die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit gefährdet würde.89 Allerdings können solche spezifischen Investitionen zwischen den Geschäftspartnern vertraglich abgesichert werden, um eine Amortisation zu gewährleisten. Demzufolge kann eine Abhängigkeit nur in den Fällen vorliegen, in denen sich ein Unternehmen nicht selbst in diese Situation hineinmanövriert hat, wie dies der Bundesrat bereits in seiner Botschaft vom 23. November 199490 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen festgehalten hat.

Grenzüberschreitendes Wettbewerbsverhältnis Mit der gezielten Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht soll die grenzüberschreitende Beschaffungsfreiheit der in der Schweiz tätigen Unternehmen sichergestellt werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Unternehmen auf dem Schweizer Markt, die im Gegensatz zu Konkurrenten aus dem In- oder Ausland ungerechtfertigterweise nur über konzerninterne Vertriebskanäle in der Schweiz zu ungünstigeren Preisen oder Geschäftsbedingungen
beliefert werden, sollen sich unter bestimmten Bedingungen mittels der Berufung auf die relative Marktmacht dagegen zur Wehr setzen können. Die vorgeschlagene Bestimmung findet somit nicht auf reine Inlandssachverhalte Anwendung.

Keine Berücksichtigung der Abhängigkeit von relativ marktmächtigen Nachfragern Im Gegensatz zur Initiative werden relativ marktmächtige Nachfrager nicht einer gesteigerten Missbrauchskontrolle unterstellt. Einerseits stehen solche Sachverhalte grundsätzlich nicht im Zusammenhang mit der Problematik der Abschottung des Schweizer Marktes und andererseits werden Anbieter von Waren und Dienstleistun89 90

Vgl. RPW 2005/1, 146 Rz. 96, CoopForte.

BBl 1995 I 468, hier 573; in diesem Sinne zudem bereits RPW 2005/1, 146 Rz. 99, CoopForte.

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gen im Ausland grundsätzlich durch die dort geltenden Kartellgesetzordnungen geschützt. Ist ein schweizerischer Anbieter auf einem ausländischen Markt tätig, sind zudem grundsätzlich die dortigen kartellrechtlichen Regelungen anwendbar.

Auch dürften relativ marktmächtige Nachfrager nicht an ineffiziente Lieferanten gebunden werden (da diese im Zweifel lieber auf ineffizienten Strukturen beharren, als ein kartellrechtliches Verfahren mit ungewissem Ausgang in Kauf zu nehmen), wodurch das dem Wettbewerb innewohnende stete Streben nach Effizienzsteigerungen nicht übermässig beeinträchtigt wird.

Berücksichtigung des Behinderungsmissbrauchs Massgeblich für die Anwendbarkeit des indirekten Gegenvorschlags ist eine Behinderung im Wettbewerb. Liegt eine Abhängigkeit vor, so ist für die Beurteilung der Frage, inwiefern ein Missbrauch einer relativ marktmächtigen Stellung besteht, relevant, ob eine durch ungerechtfertigte Diskriminierung bedingte Wettbewerbsverzerrung vorliegt und ob diese den Umfang einer Bagatelle in quantitativer Hinsicht überschreitet. Entsprechend erfasst der indirekte Gegenvorschlag ausschliesslich Fälle des Behinderungsmissbrauchs im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 KG durch relativ marktmächtige Anbieter, sofern grenzüberschreitende Wettbewerbsverzerrungen vorliegen.

Keine Berücksichtigung des Ausbeutungsmissbrauchs Fälle des Ausbeutungsmissbrauchs durch relativ marktmächtige Unternehmen werden nicht erfasst. Durch diese Konzeption wird verhindert, dass die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-)Gerichte Preise auf ihre Angemessenheit hin überprüfen müssen.

Räumliche Marktabgrenzung Für die Anwendbarkeit des indirekten Gegenvorschlags ist die räumliche Marktabgrenzung von entscheidender Bedeutung. Die Marktabgrenzung im KG erfolgt stets nach ökomischen Kriterien. Der räumliche Markt umfasst das Gebiet, in dem die Marktgegenseite, die den sachlichen Markt umfassenden Waren oder Leistungen nachfragt oder anbietet (vgl. Art. 11 Abs. 3 Bst. b der Verordnung vom 17. Juni 199691 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen). Der sachliche Markt wiederum umfasst alle Waren oder Leistungen, die von der Marktgegenseite hinsichtlich ihrer Eigenschaften und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als substituierbar angesehen werden (vgl. Art. 11 Abs. 3 Bst. a der Verordnung über
die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen).

Rechtssicherheit Für Unternehmen, die durch den engeren Geltungsbereich des indirekten Gegenvorschlags erfasst werden, dürfte es ­ im Gegensatz zu den vorgeschlagenen Regelungen der Initiative ­ zudem einfacher abzuschätzen sein, ob sie relativ marktmächtig sind. Falls separate, konzernzugehörige Vertriebskanäle für die Schweiz errichtet und hohe Preisaufschläge durchgesetzt werden können, dürfte einem Unternehmen in vielen Fällen die Möglichkeit der Einordnung als relativ marktmächtig bewusst 91

SR 251.4

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sein. Allerdings will die vorgeschlagene Regelung nicht die Vertriebssysteme von marktmächtigen Unternehmen an sich in Frage stellen. Auch einem marktmächtigen Unternehmen steht die Ausgestaltung seines Vertriebssystems grundsätzlich frei, sofern hiermit kein Verstoss gegen Artikel 5 KG einhergeht.

Keine direkte Sanktionierung Festzuhalten bleibt zudem, dass Fälle relativer Marktmacht ­ ebenso wie dies die Initiative fordert ­ von den direkten Sanktionen gemäss Artikel 49a Absatz 1 KG ausgenommen werden sollen. Insofern kann auch für den indirekten Gegenvorschlag auf die entsprechenden Ausführungen in Ziffer 4.1.2.4 verwiesen werden.

Durchsetzung Aufgrund der nicht vorgesehenen direkten Sanktionierung sowie der in der Regel mangelnden volkswirtschaftlichen Bedeutung von Fällen relativer Marktmacht, sollen solche Sachverhalte vor allem auf dem Zivilrechtsweg einer Klärung zugeführt werden. Entsprechend ist für die Wettbewerbsbehörden nach einigen allfälligen Leitentscheiden nach Einführung der neuen Regelung kein wesentlich grösserer Aufwand zu erwarten (für Fragen zur grenzüberschreitenden Durchsetzung vgl.

Ziff. 4.1.2.2).

Vergleich zum geltenden Recht, der Fair-Preis-Initiative und der parlamentarischen Initiative Altherr Ein tabellarischer Vergleich des Entwurfs für den indirekten Gegenvorschlag mit der Fair-Preis-Initiative, der parlamentarischen Initiative Altherr (14.449 «Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland») und dem geltenden Recht findet sich im Anhang.

6.2

Vernehmlassungsverfahren

Um den interessierten Kreisen Gelegenheit zu geben, sich zum Entwurf des indirekten Gegenvorschlags zu äussern, hat der Bundesrat vom 22. August 2018 bis zum 22. November 2018 ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. Neben den Regierungen der 26 Kantone wurden die Konferenz der Kantonsregierungen, 13 politische Parteien, drei Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, acht Dachverbände der Wirtschaft und fünf weitere interessierte Kreise und Organisationen zur Vernehmlassung begrüsst.92

6.2.1

Vernehmlassungsvorlage

Zur Diskussion gestellt wurden folgende Themen: Das Konzept der relativen Marktmacht im Allgemeinen, der Fokus auf grenzüberschreitende Sachverhalte, die Einschränkung des Konzepts der relativen Marktmacht auf Nachfragesachverhalte, 92

Die Vernehmlassungsunterlagen sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > WBF.

4937

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die Ausklammerung des Ausbeutungsmissbrauchs, die Nichtberücksichtigung einer Privilegierung der Verhinderung von Re-Importen (Re-Import-Klausel), der Verzicht auf ein grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings sowie die Abschreibung der Motion Bischof 16.3902 «Verbot von Knebelverträgen der OnlineBuchungsplattformen gegen die Hotellerie».

6.2.2

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Insgesamt sind 107 Antworten eingegangen. Eine Stellungnahme haben eingereicht: 26 Kantone und die Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren, sieben politische Parteien, drei Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, sechs gesamtschweizerische Dachverbände, 48 Verbände der Wirtschaft und Konsumentenschutzorganisationen sowie 16 weitere interessierte Kreise und Organisationen. Zu den Kernanliegen des Entwurfs für einen indirekten Gegenvorschlag waren die Stellungnahmen insgesamt ausgewogen, sowohl in Bezug auf die Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht wie auch in Bezug auf die einzelnen Einschränkungen im Vergleich mit der Initiative. Für die einzelnen Argumente sei auf den entsprechenden Ergebnisbericht93 verwiesen. Bezüglich der Re-ImportKlausel haben das Initiativkomitee sowie der Kanton AR deren Aufnahme in den indirekten Gegenvorschlag angeregt. Hinsichtlich der Frage eines grundsätzlichen Verbots des privaten Geoblockings waren die Stellungnahmen ebenfalls insgesamt ausgewogen. Lediglich einzelne Vernehmlassungsteilnehmer äusserten sich zu einer möglichen Abschreibung der Motion Bischof 16.3902 im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags und argumentierten gegen ein solches Vorgehen.

Aufgrund des Ergebnisses des Vernehmlassungsverfahrens wurde der Entwurf für einen indirekten Gegenvorschlag nicht angepasst. Allerdings verzichtet der Bundesrat darauf, die Motion Bischof 16.3902 im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags dem Parlament zur Abschreibung zu beantragen.

6.3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Das Konzept der relativen Marktmacht ist nach herrschender Praxis und Lehre 94 nicht Bestandteil des Kartellrechts auf europäischer Ebene. Neben dem europäischen Kartellrecht haben allerdings auch die Mitgliedsstaaten eigene Kartellrechtsordnungen. Die Vorgaben der EU sehen in Bezug auf die Behandlung von Wettbewerbsabreden durch die nationalen Kartellrechtsordnungen gemäss Artikel 3 Absatz 1 erster 93 94

Der Ergebnisbericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > WBF.

Vgl. etwa die kurze Darstellung auch unter Berücksichtigung der einschlägigen europäischen Rechtsprechung bei Andreas Fuchs/Wernhard Möschel, in: Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Band 1 EU/Teil 1, 5. Aufl. 2012, Art. 102 AEUV Rz. 82.

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Satz und Absatz 2 erster Satz der Verordnung (EG) 1/200395 faktisch eine Vollharmonisierung vor. Hingegen geht das europäische Recht nach Artikel 3 Absatz 2 zweiter Satz der Verordnung (EG) 1/2003 in Bezug auf Regelungen in den nationalen Kartellrechtsordnungen betreffend einseitigem Verhalten von Unternehmen nur von einer Mindestharmonisierung aus.

Erwägungsgrund 8 der der Verordnung (EG) 1/2003 nennt diesbezüglich auch ausdrücklich die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Einführung von Bestimmungen im nationalen Recht zum Verbot oder zur Ahndung missbräuchlicher Verhaltensweisen gegenüber wirtschaftlich abhängigen Unternehmen. Von dieser Möglichkeit haben einige Mitgliedsstaaten der EU Gebrauch gemacht und Regelungen im Sinne der relativen Marktmacht erlassen. Dies gilt soweit ersichtlich für das deutsche Kartellrecht (vgl. Ziff. 3.3.3.2), das sowohl für die Initiative als auch für den indirekten Gegenvorschlag konzeptionell als Vorbild dient, sowie für Frankreich96, Österreich97 und Italien.98 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Konzept der relativen Marktmacht Teil der Kartellrechtsordnungen der meisten Nachbarstaaten der Schweiz ist. Zumindest im Falle von Deutschland ist zudem nicht ausgeschlossen, dass dieses auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte angewandt werden kann.

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Verordnung (EG) 1/2003 des Rates vom 16. Dez. 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1, 4.1.2003, S. 1.

Art. L.420­2 des französischen Handelsgesetzbuchs («Code de Commerce») lautet: «Est prohibée, dans les conditions prévues à l'article L. 420­1, l'exploitation abusive par une entreprise ou un groupe d'entreprises d'une position dominante sur le marché intérieur ou une partie substantielle de celui-ci.

Ces abus peuvent notamment consister en refus de vente, en ventes liées ou en conditions de vente discriminatoires ainsi que dans la rupture de relations commerciales établies, au seul motif que le partenaire refuse de se soumettre à des conditions commerciales injustifiées.

Est en outre prohibée, dès lors qu'elle est susceptible d'affecter le fonctionnement ou la structure de la concurrence, l'exploitation abusive par une entreprise ou un groupe d'entreprises de l'état de dépendance économique dans lequel se trouve à son égard une entreprise cliente ou fournisseur. Ces abus peuvent notamment consister en refus de vente, en ventes liées ou pratiques discriminatoires visées à l'article L. 442­6.

Ces abus peuvent notamment consister en refus de vente, en ventes liées ou pratiques discriminatoires visées à l'article L. 442­6».

§ 4 Abs. 3 des österreichischen Kartellgesetzes (KartG) lautet: «Als marktbeherrschend gilt auch ein Unternehmer, der eine im Verhältnis zu seinen Abnehmern oder Lieferanten überragende Marktstellung hat; eine solche liegt insbesondere vor, wenn diese zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angewiesen sind».

Art. 9 der italienischen Legge sulla subfornitura: disciplina della subfornitura nelle attività produttive, Legge 18 giugno 1998, n. 192 lautet: «1 È vietato l'abuso da parte di una o più imprese dello stato di dipendenza economica nel quale si trova, nei suoi o nei loro riguardi, una impresa cliente o fornitrice. Si considera dipendenza economica la situazione in cui un'impresa sia in grado di determinare, nei rapporti commerciali con un'altra impresa, un eccessivo squilibrio di diritti e di obblighi.

La dipendenza economica è valutata tenendo conto anche della reale possibilità per la parte che abbia subito l'abuso di reperire
sul mercato alternative soddisfacenti.

2 L'abuso può anche consistere nel rifiuto di vendere o nel rifiuto di comprare, nella imposizione di condizioni contrattuali ingiustificatamente gravose o discriminatorie, nella interruzione arbitraria delle relazioni commerciali in atto».

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Eine spezifische Anwendung des Konzepts der relativen Marktmacht auf Fragen der Marktabschottung in verwandten nationalen Gesetzgebungen ist allerdings nicht bekannt.

6.4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 4 Abs. 2bis In Artikel 4 Absatz 2bis E-KG findet sich die Begriffsdefinition für relativ marktmächtige Unternehmen. Die Formulierung lehnt sich an eine Regelung der Übergangsbestimmungen der Initiative an (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. a E-BV), die sich wiederum an § 20 Absatz 1 des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anlehnt. Gemäss dem indirekten Gegenvorschlag ist ein in- oder ausländisches Unternehmen relativ marktmächtig, soweit andere Unternehmen als Nachfrager einer Ware oder Dienstleistung in der Weise von diesem abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen (Der indirekte Gegenvorschlag verwendet in der deutschen Version die beiden Begriffe «Ware» und «Leistung». Diese sind einerseits synonym zu den im Rahmen der vorliegenden Botschaft verwendeten Ausdrücken «Waren» und «Dienstleistungen» sowie andererseits zu den Begriffen «Gütern» und «Dienstleistungen» nach Artikel 2 Absatz 1bis KG zu verstehen. Eine inhaltliche Differenz besteht insofern nicht.) Zu beachten ist in Bezug auf die französische Sprachfassung des indirekten Gegenvorschlags, dass sowohl der vom indirekten Gegenvorschlag verwendete Begriff «ayant un pouvoir de marché relatif» als auch der von der Initiative verwendete Begriff «ayant une position dominante relative» mit dem Terminus «relativ marktmächtig» in der deutschen Sprachfassung übereinstimmen. Sowohl «relativ marktmächtig» als auch «abhängig» im Sinne des indirekten Gegenvorschlags können nur Unternehmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1bis KG sein.

Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand, sofern letztere nicht im Einzelfall als Unternehmen gilt (z. B. Spitäler, Verkehrsbetriebe), werden nicht erfasst. Eine weitere Voraussetzung besteht in der Abhängigkeit von einer bestimmten Ware oder Dienstleistung, sodass eine Abhängigkeit in jedem Einzelfall bei jedem einzelnen Produkt oder bei jeder einzelnen Dienstleistung zu untersuchen ist und nicht stets eine Belieferung mit dem gesamten Sortiment verlangt werden kann.

Dies schliesst allerdings nicht aus, dass ein Unternehmen von mehreren Produkten oder Dienstleistungen im Sinne der vorgeschlagenen Vorschrift abhängig ist. Die letzte Frage betrifft das Tatbestandsmerkmal der ausreichenden und zumutbaren
Ausweichmöglichkeiten. Demnach müssen Unternehmen, die sich auf die vorgeschlagene Regelung berufen möchten, bereits andere zumutbare Möglichkeiten, das gewünschte Produkt beziehungsweise die Dienstleistung zu vergleichbaren (Referenz-)Preisen und Konditionen im In- und Ausland zu beziehen, erfolglos ausgeschöpft haben. Beispielsweise reicht die erfolglose Anfrage beim Hersteller des Referenzlandes nicht aus, um eine Abhängigkeit zu begründen. Je nach Einzelfall sind einige erfolglose Beschaffungsversuche in verschiedenen Ländern, in denen die Ware oder die Dienstleistung angeboten wird, vorzuweisen. Dabei hat der abhängige Nachfrager nachzuweisen, dass er erfolglos versucht hat, die Ware oder Dienstleis4940

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tung anderweitig zu vergleichbaren Preisen und Konditionen wie seine Konkurrenten zu beziehen.

Art. 7a Artikel 7a E-KG lehnt sich an einen Teil der Übergangsbestimmungen der Initiative (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b E-BV) an. Die Tatbestandsvoraussetzungen stellen sich im Einzelnen wie folgt dar: Relativ marktmächtiges Unternehmen Der vorgeschlagenen Regelung unterliegen nur Unternehmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1bis KG, die Waren oder Dienstleistungen anbieten. Dabei ist der Begriff des Anbieters weit zu verstehen, sodass etwa grundsätzlich auch Absatzmittler erfasst werden können. Anbieter sind vorliegend ­ abhängig vom gewählten Vertriebssystem ­ insbesondere der Hersteller oder konzernunabhängige (Gross-)Händler. Relativ marktmächtige Nachfrager werden somit nicht erfasst. Diese Bestimmung deckt in erster Linie die für die Initiantinnen und Initianten wichtigen grenzüberschreitenden Konzernsachverhalte ab (vgl. Ziff. 3.2).

Abhängige Unternehmen Geschützt werden von der Bestimmung abhängige Unternehmen im Sinne von Artikel 4 Absatz 2bis E-KG, die Waren oder Dienstleistungen nachfragen. Anbieter von Waren und Dienstleistungen werden nicht geschützt. Entsprechend der Systematik des Konzepts der relativen Marktmacht ­ im Sinne der Initiative ­ erstreckt sich der Anwendungsbereich der neuen Bestimmung zudem auch nicht auf Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand, sofern letztere nicht im Einzelfall als Unternehmen gilt (z. B. Spitäler, Verkehrsbetriebe).

Wettbewerbsbehinderung Nicht jede Einschränkung der Möglichkeit des Bezugs von Waren und Dienstleistungen im Ausland zu den dort praktizierten Preisen oder Geschäftsbedingungen durch ein marktmächtiges Unternehmen ist unzulässig. Vielmehr ist zusätzlich die damit verbundene Behinderung des Nachfragers in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs von Bedeutung. Damit hält sich der vorliegende Vorschlag an die Systematik von Artikel 7 KG, wonach nicht bereits die Verwirklichung eines Regelbeispiels von Artikel 7 Absatz 2 KG durch ein marktbeherrschendes Unternehmen unzulässig ist, sondern stets die Voraussetzungen von Artikel 7 Absatz 1 KG erfüllt sein müssen, wie dies der Bundesrat bereits in seiner Botschaft vom 23. November 199499 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen festgehalten
hat. Diskriminiert beispielsweise ein relativ marktmächtiger Anbieter zwischen verschiedenen Abnehmern die Preise für seine Waren oder Dienstleistungen, ist dies, unabhängig von der Frage einer allfälligen sachlichen Rechtfertigung, nur dann unzulässig, wenn diese Preisdiskriminierung zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Abnehmern führt, welche den Umfang einer Bagatelle in quantitativer Hinsicht überschreiten. Somit muss die Wettbewerbsfähigkeit des 99

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abhängigen Unternehmens betroffen sein. Beispielsweise reicht ein bloss geringfügiger preislicher Unterschied bei einem für den Betrieb unwesentlichen Kostenfaktor nicht aus. Tatbestände des Ausbeutungsmissbrauchs werden vorliegend entsprechend nicht erfasst.

Kausalität des Missbrauchs für die Wettbewerbsverzerrung Die missbräuchliche Ausnützung der relativ marktmächtigen Stellung des Anbieters muss für die allfällige Wettbewerbsverzerrung, die durch die Verweigerung des Belieferung im Ausland entsteht, kausal sein. Erfolgt eine Lieferverweigerung nicht aufgrund der relativ marktmächtigen Stellung, sondern auf der Basis anderer Gründe, liegt keine Kausalität vor.

Bezug einer Ware oder Leistung Gemäss der Systematik des Kartellrechts werden grundsätzlich sämtliche marktfähigen Waren und Dienstleistungen erfasst. Die Frage der Abhängigkeit muss demnach für jedes betroffene Produkt und jede betroffene Dienstleistung im Einzelfall geprüft werden. Ist eine Abhängigkeit von einem Produkt eines Lieferanten gegeben, bedeutet dies nicht sogleich, dass eine solche auch für andere Produkte oder Dienstleistungen des gleichen Lieferanten einschlägig ist. Zudem bringt der Wortlaut vorliegend und unabhängig von der Definition der relativen Marktmacht nach Artikel 4 Absatz 2bis KG zum Ausdruck, dass nur der Bezug einer Ware oder Dienstleistung von der vorgeschlagenen Regelung erfasst wird und nicht der Absatz von Waren und Dienstleistungen verlangt werden kann.

Verweigerung Der Begriff der Verweigerung ist weit zu verstehen. Hierunter fällt jedes unilaterale Verhalten eines relativ marktmächtigen Unternehmens, das zu einer tatsächlichen oder rechtlichen Beschränkung der Quantität oder der Qualität der betroffenen Waren oder Dienstleistungen führt. Als Beispiele seien etwa die Nichtbelieferung (ganz oder zum Teil), Lieferverzögerungen und Garantieverweigerungen genannt.

Vereinbart ein relativ marktmächtiger Anbieter mit einem anderen Unternehmen hingegen die Einschränkung der Bezugsmöglichkeit, so liegt in der Regel eine Wettbewerbsabrede und in den vorliegend relevanten Konstellationen sogar unter Umständen ein absoluter Gebietsschutz vor. Entsprechend ist in solchen Fällen grundsätzlich Artikel 5 KG anwendbar; eine Regelungslücke im Vergleich zum geltenden Recht besteht nicht. Deshalb sollen solche Konstellationen
durch die neue Bestimmung auch nicht erfasst werden.

Ausland Erfasst wird grundsätzlich jedes andere Land weltweit, soweit hinreichende Auswirkungen auf den Schweizer Markt im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 KG festgestellt werden können (vgl. Ziff. 4.1.2.2). Daher ist die räumliche Reichweite der vorliegenden Regelung in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen. Bei Dienstleistungen, die über das Internet bezogen werden, ist nicht der Serverstandort massgeblich, sondern die Tätigkeit eines grenzüberschreitenden Online-Anbieters im betreffenden Land.

Beispielsweise darf ein in der Schweiz tätiges Unternehmen, das von einer konkreten Online-Dienstleistung eines relativ marktmächtigen Online-Anbieters abhängig 4942

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ist, von diesem Online-Anbieter nicht gegenüber seinen Konkurrenten auf dem relevanten Markt diskriminiert werden, sofern die übrigen Voraussetzungen dieses Artikels 7a E-KG erfüllt sind.

Praktizierte Preise und sonstige Geschäftsbedingungen Für die Anwendbarkeit der vorgeschlagenen Regelungen sind als Referenz nur die Preise und Geschäftsbedingungen relevant, die das relativ marktmächtige Unternehmen im betroffenen Ausland selbst tatsächlich praktiziert. Die Preis- und Konditionengestaltung von dritten Unternehmen, die im Sinne des kartellrechtlichen Unternehmensbegriffs gemäss Artikel 2 Absatz 1bis KG nicht Teil des relativ marktmächtigen Unternehmens (als Mutter-, Tochter- oder Schwestergesellschaft) sind, wird vorliegend nicht erfasst.

Sachliche Rechtfertigung Auch wenn die Rechtfertigung entsprechender Verhaltensweisen aus sachlichen Gründen dem Wortlaut von Artikel 7 KG nicht entnommen werden kann, besteht bei Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen von Artikel 7 KG eine solche Rechtfertigungsmöglichkeit. Dem Tatbestandselement «Missbrauch» ist das NichtVorhandensein von Rechtfertigungsgründen (auch «Legitimate Business Reasons» genannt) immanent. Dies gilt für Artikel 7 KG wie auch für den neuen Artikel 7a KG. Demnach beanspruchen bei der Frage der sachlichen Rechtfertigung bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen nach Artikel 7a KG die entsprechenden Fallgruppen und Überlegungen, die im Rahmen von Artikel 7 KG zur Anwendung gelangen, ebenfalls Gültigkeit. Sachliche Gründe liegen insbesondere vor, wenn sich ein relativ marktmächtiger Anbieter auf kaufmännische Grundsätze stützen kann, wie dies der Bundesrat in seiner Botschaft vom 23. November 1994 100 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen festgehalten hat. Beispielsweise kann eine Diskriminierung von Abnehmern in der Regel durch lineare Mengenrabatte oder durch eine (nach Art. 5 KG) zulässige Ausgestaltung des Vertriebssystems gerechtfertigt sein. Entschliesst sich etwa ein Hersteller seine Produkte in verschiedenen Ländern jeweils nur über ein Unternehmen zu verkaufen (Alleinvertrieb), so kann der Hersteller Anfragen von Endkunden ablehnen, ohne gegen die Vorschriften des KG zu verstossen. Unzulässig wäre in diesem Beispiel hingegen in der Regel, wenn er seinen Händlern verbietet,
passiv (vgl. zum Begriff Ziff. 2.2.1.1) an gebietsfremde Endkunden in der Schweiz zu verkaufen. Auch die kartellrechtliche Würdigung selektiver Vertriebssysteme wird durch die neue Bestimmung nicht tangiert. Eine Rechtfertigung kann auch gelingen, wenn die Durchschnittskosten der Produktionsanlage in der Schweiz durch eine höhere Auslastung infolge der Erschliessung von Exportmärkten gesenkt werden können und der Absatz im Ausland nur zu tieferen Preisen möglich ist.

Zur Verbesserung der Rechtssicherheit rechtfertigt sich eine ausdrückliche Aufnahme ­ im Gegensatz zu Artikel 7 KG ­ der Rechtfertigungsmöglichkeit in der vorgeschlagenen Formulierung. Schliesslich soll ein von einem relativ marktmächtigen Anbieter abhängiger Nachfrager grundsätzlich nicht dauerhaft gestützt auf die relative Marktmacht geschützt werden. Diesem ist vielmehr eine angemessene Über100

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gangsfrist einzuräumen, innerhalb derer das abhängige Unternehmen eine Umstellung versuchen muss. Nach Ablauf dieser Frist soll ­ unabhängig von einer erfolgreichen Umstellung ­ ohne das Hinzutreten besonderer Umstände eine sachliche Rechtfertigung für die Beendigung der Geschäftsbeziehungen vorliegen können.

6.5

Auswirkungen

6.5.1

Auswirkungen auf den Bund

Grundsätzlich ist mit denselben Effekten zu rechnen wie bei der Initiative. Dies gilt für die möglichen Auswirkungen auf die Mehrwertsteuer- und Gewinnsteuereinnahmen wie auch für die Aufwendungen für Wettbewerbsbehörden und die Eidgenössischen Gerichte. Allerdings schränkt der indirekte Gegenvorschlag den Geltungsbereich der relativen Marktmacht in mehrfacher Hinsicht ein (Begrenzung auf Sachverhalte der Marktabschottung, auf Situationen abhängiger Nachfrager, auf Fälle des Behinderungsmissbrauchs und auf solche von grenzüberschreitenden Wettbewerbsverzerrungen). Entsprechend sind deutlich weniger Fälle und entsprechend geringere Auswirkungen zu erwarten als bei einer Annahme der Initiative.

Aufgrund der Bedingung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts wären insbesondere die Anbieter, die grenzüberschreitend tätig sind, negativ betroffen, was zu tieferen Einnahmen bei den Unternehmenssteuern führen könnte.

6.5.2

Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden

Im Falle einer möglicherweise vermehrten Nutzung des Zivilrechtswegs könnte die Initiative einen gewissen Mehraufwand für die kantonalen Zivilgerichte bedeuten.

Der eingegrenzte Geltungsbereich dürfte im Vergleich zur Initiative zu weniger Fällen führen, wobei aufgrund der Bedingung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts insbesondere die Anbieter, die grenzüberschreitend tätig sind, von den negativen Auswirkungen betroffen wären. Da Preisdiskriminierungen insbesondere in grenznahen Regionen vermehrt unzulässig sein könnten, wären die zu erwartenden positiven Effekte entsprechend in grenznahen Kantonen und Gemeinden am grössten (vgl. Ziff. 4.2.2).

6.5.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Auswirkungen auf die Unternehmen Betreffend die Einführung des Konzepts der relativen Markmacht unterscheiden sich die Auswirkungen des indirekten Gegenvorschlags insbesondere in drei Punkten von denjenigen der Initiative. Wie bei den Auswirkungen zur Initiative in Ziffer 4.2.3 ausgeführt, ist auch bei dieser Regelung die Durchsetzung im Ausland mit Unsicherheit verbunden. Diese Unsicherheit wird nachfolgend nicht mehr erwähnt.

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­

Erstens wird die Situation abhängiger Anbieter nicht berücksichtigt, beziehungsweise soll das Konzept der relativen Marktmacht nur auf abhängige Nachfrager Anwendung finden. Dies grenzt zum einen den Geltungsbereich des Konzepts der relativen Marktmacht ein. Da insbesondere gegen die Abschottung des schweizerischen Markts vorgegangen werden soll und diese Praxis typischerweise zuungunsten der Nachfrager ausfällt, ist diese Eingrenzung sachgerechter. Zum anderen sind die Risiken negativer oder unerwünschter Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität und die Gefahr einer Erstarrung ineffizienter Lieferstrukturen geringer als bei der Initiative.

­

Zweitens fokussiert der indirekte Gegenvorschlag ausschliesslich auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Geschäftsbeziehungen innerhalb des schweizerischen Marktes sind demnach grundsätzlich nicht dem Konzept der relativen Marktmacht unterstellt. Trotz eingeschränktem Geltungsbereich werden mit diesem Ansatz die auffälligen Preisdiskriminierungen abgedeckt, weil damit gezielter gegen die Abschottung des Marktes Schweiz aus dem Ausland vorgegangen wird. Alle rein innerschweizerischen Geschäftsbeziehungen sind somit nicht von den Kosten der neuen Regelung ­ ComplianceKosten, Unsicherheit und Ineffizienzen, sowie Verfahrenskosten ­ betroffen.

­

Drittens ist gemäss indirektem Gegenvorschlag ausschliesslich der Behinderungsmissbrauch als Tatbestand ausschlaggebend. Der Ausbeutungsmissbrauch wird nicht dem Konzept der relativen Marktmacht unterstellt werden, weil dieser Tatbestand die Prüfung der Angemessenheit von Preisen durch die Wettbewerbsbehörden und vor allem die (Zivil-)Gerichte voraussetzt.

Damit werden im Vergleich zur Initiative die Preissetzungsfreiheit der (inländischen) Unternehmen weniger eingeschränkt und das Risiko verzerrender staatlicher Eingriffe deutlich reduziert.

In Hinblick auf die Auswirkungen auf die Unternehmen könnte der indirekte Gegenvorschlag die Beschaffungskosten für Unternehmen in gewissen Fällen senken.

Tiefere Produktionskosten und ein grösserer Preissetzungsspielraum für die abhängigen Unternehmen könnten höhere Margen und/oder tiefere Absatzpreise erlauben (Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit). Je nach Abnehmer würden in diesem Fall nachgelagerte Unternehmen und/oder die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz profitieren. Aufgrund der Bedingung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts wären insbesondere die Anbieter, die grenzüberschreitend tätig sind, von den negativen Auswirkungen (tiefere Margen) betroffen.

Durch den Verzicht auf die Re-Import-Klausel würde die neue Regelung auch für relativ marktmächtige, international tätige Unternehmen mit Sitz in der Schweiz gelten. Damit würde unter Umständen deren Möglichkeit zur internationalen Preisdiskriminierung verringert. Bieten diese ihre Waren und Dienstleistungen im Ausland günstiger an als in der Schweiz, so könnten abhängige Nachfrager aus der Schweiz eine Belieferung im Ausland zu den dort geltenden Konditionen einfordern.

Die abhängigen Nachfrager in der Schweiz könnten im Ergebnis von tieferen Preisen profitieren.

Die für die Unternehmen entstehenden Kosten würden aufgrund der erwähnten Einschränkungen des indirekten Gegenvorschlags im Vergleich zur Initiative tiefer 4945

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ausfallen. Die Compliance-Kosten würden sich auf Anbieter mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen beschränken. Die Kosten der zivilrechtlichen Verfahren würden in der Regel bei Nachfragern in der Schweiz anfallen, welche potenziell relativ marktmächtige Anbieter im Ausland rechtlich angehen. Die Rechtsunsicherheit bezüglich allfälliger Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber den Geschäftspartnern würde schliesslich für rein innerschweizerische Geschäftsbeziehungen grundsätzlich wegfallen. Dies gilt allerdings nicht für Anbieter im Ausland, die durch die neue Regulierung von Geschäftsbeziehungen mit nachfragenden Unternehmen in der Schweiz abgeschreckt werden könnten.

Auswirkung auf die Konsumentinnen und Konsumenten Inwieweit Konsumentinnen und Konsumenten in Form der Weitergabe allfälliger Einsparungen durch die Unternehmen profitieren können, hängt wesentlich von der Wettbewerbsintensität und der Nachfragesituation auf den jeweiligen Märkten ab.

Die Endpreise einzelner Produkte könnten durch die neue Regelung sinken. Gibt es wenig Wettbewerb auf einem Markt, ist es, analog zur Initiative, nicht a priori garantiert, dass günstigere Einkaufspreise weitergegeben und nicht lediglich die Margen dieser Unternehmen gesteigert werden.

Wie bereits einleitend diskutiert (vgl. Ziff. 2.1.3.3), spielen Handelshemmnisse bei den Konsumentenpreisen eine wichtige Rolle. Lebensmittel werden mehrheitlich durch Zölle geschützt und deren Preise dürften entsprechend kaum sinken. Zu beachten sind zudem die verschiedenen Ausnahmen des Cassis-de-Dijon-Prinzips, die zu den höheren Preisen in der Schweiz beitragen. Hinzu kommt, dass die Konsumausgaben grösstenteils in Bereichen liegen, die durch die neue Regelung nicht beeinflusst werden. So spielen beispielsweise lokal produzierte Dienstleistungen eine entscheidende Rolle für das hohe Preisniveau.101 Betroffene Produkte und Auswirkung auf das Preisniveau Die Auswirkungen des indirekten Gegenvorschlags dürften auf mehrheitlich standardisierte (Marken-)Produkte beschränkt bleiben, da der Nachweis einer unrechtmässigen (preislichen) Diskriminierung für Produkte, die gemäss spezifischen Bedürfnissen angefertigt werden, schwierig ist. Aufgrund der Verfahrenskosten und des administrativen Aufwands dürften insbesondere hochpreisige Produkte, Produkte mit einem übermässigen
Preisaufschlag und Produkte mit hohen Handelsvolumina von der neuen Regelung betroffen sein. Die Einschränkung auf grenzüberschreitende Sachverhalte dürfte insofern zielführend sein, als in diesen Fällen die bestehenden Preisunterschiede eher hoch genug sind, damit sich die Verfahrenskosten lohnen. Die Breitenwirkung des indirekten Gegenvorschlags bezüglich Preisniveau von Gütern und Dienstleistungen wäre analog zur Initiative relativ begrenzt.

101

Vgl. Bericht des Bundesrats vom 22. Juni 2016 in Erfüllung des Postulats 14.3014 «Erleichterung der Zollabfertigung und Förderung von Parallelimporten dank Anerkennung weiterer Dokumente zur Erbringung des Ursprungsnachweises», Behinderung von Parallelimporten. Abrufbar unter: www.parlament.ch > 14.3014 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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Auswirkungen auf den Wettbewerb Der Wettbewerb auf dem Schweizer Markt würde nicht direkt tangiert. Grundsätzlich ist nicht von direkten Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität auszugehen, da das Konzept der relativen Marktmacht nur die Regelung bilateraler und produktspezifischer Geschäftsbeziehungen erlaubt. In gewissen Fällen könnte jedoch die nachteilige Position von einzelnen abhängigen Unternehmen im Wettbewerb verbessert werden. Schliesslich besteht das Risiko von Wettbewerbsverzerrungen und Ineffizienzen, da staatliches Eingreifen in die Preissetzung grundsätzlich den zentralen Mechanismus eines funktionierenden Wettbewerbs hemmt. Dieses Risiko ist im Vergleich zur Initiative jedoch als geringer einzustufen, da rein inländische Sachverhalte vom indirekten Gegenvorschlag ausgenommen sind.

Fazit zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der indirekte Gegenvorschlag im Einzelfall leicht positive Effekte bezüglich Preissenkung haben dürfte. Die negativen ökonomischen Effekte sind gleichzeitig weniger ausgeprägt als bei der Initiative. Insgesamt dürften die volkswirtschaftlichen Auswirkungen jedoch gering bleiben.

6.6

Rechtliche Aspekte

6.6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsgrundlagen des KG finden sich in den Artikeln 27 Absatz 1, 96, 97 Absatz 2 und 122 BV. Der indirekte Gegenvorschlag kann dabei insbesondere auf Artikel 96 BV gestützt werden. Artikel 96 Absatz 1 BV sieht vor, dass der Bund Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen erlässt. Zur Verwirklichung dieser Zielsetzung ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beträchtlich (vgl. dazu die Botschaft vom 20. November 1996102 über eine neue Bundesverfassung). So schreibt die Verfassung dem Gesetzgeber vorliegend weder bestimmte Mittel vor, noch verbietet sie ihm solche (vgl. dazu die Botschaft vom 23. November 1994103 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen). Der indirekte Gegenvorschlag möchte grenzüberschreitende Wettbewerbsverzerrungen verhindern. Daher qualifiziert er die Verweigerung der diskriminierungsfreien Lieferung von Waren und Dienstleistungen im Ausland durch marktmächtige Anbieter in Fällen, in denen eine Verweigerung zu Wettbewerbsverzerrungen führt, als schädlich. Er setzt dabei allerdings ein Mass an Marktmacht voraus, das verlangt, dass ein Nachfrager nur dann abhängig sein kann, wenn ihm keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus dient der indirekte Gegenvorschlag auch der Verwirklichung des Grundrechts der Wirtschaftsfreiheit gemäss Artikel 27 BV. Das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit schützt alle in der Schweiz tätigen privaten Unternehmen gleich102 103

BBl 1997 I 1, hier 301 BBl 1995 I 468, hier 634

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ermassen und richtet sich in erster Linie gegen entsprechende staatliche Beeinträchtigungen. Zum einen ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Grundrechte in der gesamten Rechtsordnung zu verwirklichen. Zum anderen verpflichtet Artikel 35 Absatz 3 BV den Staat, die Grundrechte auch unter Privaten zu verwirklichen, «soweit sie sich dazu eignen». Somit können sie auch eine staatliche Schutzpflicht gegen Gefährdungen, die von privaten Dritten verursacht werden, entfalten. 104 Dabei ist jedoch stets eine Abwägung zwischen den beteiligten Interessen erforderlich, wobei die Festlegung der Grenze zwischen einer erlaubten und einer unerlaubten Gefährdung in erster Linie Sache der einschlägigen Gesetzgebung ist.105 Aus der Wirtschaftsfreiheit leitet sich zudem auch der für eine Wettbewerbsordnung wesentliche Grundsatz der Privatautonomie ab, wonach es jedem Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich freisteht, mit wem er einen Vertrag zu welchen Konditionen abschliesst.

Wie bereits in Ziffer 2.2.1.4 ausgeführt, können insbesondere die Abschluss- und die Partnerwahlfreiheit ausnahmsweise durch gesetzliche Kontrahierungspflichten eingeschränkt werden. Allerdings schliesst der ausserordentlich hohe Stellenwert der Privatautonomie beispielsweise einen generellen Anspruch auf Gleichbehandlung im privaten unternehmerischen Verkehr aus.106 Wird die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens hingegen durch ein anderes Unternehmen wegen einer Nichtbelieferung oder einer Belieferung zu wesentlichen höheren Preisen mehr als unwesentlich beeinträchtigt und bestehen für ersteres keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten, so besteht die Gefahr, dass diesem behinderten Unternehmen faktisch die Ausübung seines Grundrechts der Wirtschaftsfreiheit im Einzelfall verunmöglicht wird. Insbesondere in einer solchen Situation kann sich ein gesetzliches Verbot der Nichtbelieferung oder Diskriminierung für relativ marktmächtige Anbieter, die grundsätzlich ein Interesse am Absatz ihrer Waren und Dienstleistungen haben, rechtfertigen. Dies setzt allerdings das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung für die Nichtbelieferung oder Diskriminierung voraus. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es aus der Perspektive eines in einer solchen Form benachteiligten Unternehmens unerheblich ist, ob diese Benachteiligung durch ein
marktbeherrschendes oder ein relativ marktmächtiges Unternehmen erfolgt. Massgeblich sind insofern nur die fehlenden Ausweichmöglichkeiten und die aus einer Diskriminierung resultierenden Wettbewerbsnachteile für das betroffene Unternehmen. Zudem klammert der indirekte Gegenvorschlag Tatbestände des Ausbeutungsmissbrauchs aus und vermeidet somit die behördliche beziehungsweise gerichtliche Beurteilung des angemessenen Preises für eine Ware oder Dienstleistung. Er verbietet unter gewissen Umständen nur Preisdifferenzierungen. Die Höhe des Preises für eine konkrete Ware oder Dienstleistung legt in jedem Fall das relativ marktmächtige Unternehmen fest.

Mit dem indirekten Gegenvorschlag ist insbesondere auch kein Verstoss gegen das Rechtsgleichheitsgebot nach Artikel 8 BV verbunden. Der indirekte Gegenvorschlag gilt rechtlich und faktisch unterschiedslos für in- und ausländische Unternehmen.

104 105 106

BGE 126 II 300, E. 5a BGE 126 II 300 E. 5b Vgl. hierzu auch BGE 138 I 289 E. 2.8.1, in dem das Bundesgericht einen allgemeinen Anspruch auf Gleichbehandlung eines Unternehmens gegenüber der Tätigkeit der Switch im Wettbewerbsbereich verneint.

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Trotz der vorausgesetzten grenzüberschreitenden Komponente werden in- und ausländische Unternehmen nicht unterschiedlich behandelt. Besondere Kriterien für Auslandssachverhalte könnten zu einer Unvereinbarkeit mit dem Rechtsgleichheitsgebot führen.107 Anknüpfungspunkt ist die missbräuchliche Ausnutzung einer relativ marktmächtigen Stellung durch grenzüberschreitend tätige Unternehmen. Der Sitz der betroffenen Unternehmen oder auch der Produktionsstandort spielen weder für die Normadressaten noch für die geschützten Unternehmen hinsichtlich der Anwendung der vorgeschlagenen Regelung eine Rolle. So werden Unternehmen aus dem Ausland, unabhängig von der Frage, inwieweit für sie die Grundrechte ebenfalls Geltung erlangen, auch nicht weniger günstig behandelt als inländische Unternehmen. Überdies beinhaltet der indirekte Gegenvorschlag keine Privilegierung der Verhinderung von Re-Importen zugunsten marktbeherrschender oder relativ marktmächtiger Unternehmen. Eine solche Ungleichbehandlung der Marktteilnehmer wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch.

Schliesslich verzichtet der indirekte Gegenvorschlag in Analogie zur Initiative darauf, den Missbrauch einer relativ marktmächtigen Stellung bei Erstverstoss zu sanktionieren, wie dies Artikel 49a Absatz 1 KG beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorsieht. Ein relativ marktmächtiges Unternehmen kann in der Regel weniger gut als ein marktbeherrschendes Unternehmen abschätzen, ob ein anderes Unternehmen bezüglich einer bestimmten Ware oder einer bestimmten Dienstleistung abhängig ist. Relativ marktmächtige Unternehmen können daher nur sanktioniert werden, wenn sie gegen eine einvernehmliche Regelung, eine rechtskräftige Verfügung der Wettbewerbsbehörden oder einen Entscheid der Rechtsmittelinstanzen verstossen (vgl. Art. 50 KG). Durch den Verzicht auf die Möglichkeit der direkten Sanktionierung lässt sich auch ein Konflikt des Konzepts der relativen Marktmacht mit dem aus dem Legalitätsprinzip fliessenden Bestimmtheitsgebot vermeiden.

Im Ergebnis ist aufgrund der vorstehend dargelegten Gründe die punktuelle Einschränkung der individuellen Wirtschaftsfreiheit von relativ marktmächtigen und grenzüberschreitend tätigen Unternehmen auch verhältnismässig und die Verfassungsmässigkeit des indirekten Gegenvorschlags zu bejahen.

6.6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Zur Vereinbarkeit des Konzepts der relativen Marktmacht mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz kann grundsätzlich auf die entsprechenden Ausführungen zur Initiative in Ziffer 4.4 verwiesen werden.

Die Initiative sieht die Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht einerseits gleichermassen für Anbieter und Nachfrager sowie andererseits für Sachverhalte mit einem grenzüberschreitenden wie auch einem rein binnenwirtschaftlichen Bezug vor. Der indirekte Gegenvorschlag schlägt zwar ebenfalls die Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht vor, begrenzt dessen Anwendungsbereich jedoch auf 107

BGE 143 II 297 E. 3.3, Gaba.

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grenzüberschreitende Nachfragesachverhalte, um die missbräuchliche Abschottung des Schweizer Markts zu bekämpfen. Trotz der vorausgesetzten grenzüberschreitenden Komponente werden in- und ausländische Unternehmen nicht unterschiedlich behandelt (vgl. Ziff. 6.6.1). Der Sitz der betroffenen Unternehmen oder auch beispielsweise der Produktionsstandort spielen weder für die Normadressaten noch für die geschützten Unternehmen hinsichtlich der Anwendung der vorgeschlagenen Regelung eine Rolle. Schliesslich beinhaltet der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrates keine im vorliegenden Kontext problematische Privilegierung der Verhinderung von Re-Importen zugunsten marktbeherrschender oder relativ marktmächtiger Unternehmen (vgl. Ziff. 4.4).

Ob hingegen das Konzept der relativen Marktmacht, dass vor allem international tätige Unternehmen betrifft, seitens der Vertragspartner der Schweiz Fragen aufwerfen würde, kann nicht ausgeschlossen werden. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass der grenzüberschreitende Handel durch die vorgesehene und gegebenenfalls gerichtlich durchgeführte Preiskontrolle beeinflusst wird. Da die Intervention tiefere Preise zum Ziel hat, dürfte der grenzüberschreitende Handel aber eher gefördert als behindert werden. Deshalb ist davon auszugehen, dass das Konzept der relativen Marktmacht auch mit den Verboten quantitativer Beschränkungen und Massnahmen gleicher Wirkung in den in Ziffer 4.4 erwähnten Abkommen im Einklang steht.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die im indirekten Gegenvorschlag vorgesehene Regelung mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar ist.

6.6.3

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Vorlage untersteht nicht der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV, da sie weder Subventionsbestimmungen noch die Grundlage für die Schaffung eines Verpflichtungskredites oder Zahlungsrahmens enthält.

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Glossar Absoluter Gebietsschutz / Gebietsschutzabreden Absoluter Gebietsschutz liegt vor, wenn passive Verkäufe seitens gebietsfremder Vertriebspartner in ein zugewiesenes Gebiet direkt oder indirekt durch vertragliche Regelung untersagt sind. Siehe auch die Erläuterung zum Begriff «passives Verkaufsverbot».

Ausbeutungsmissbrauch Unter dem Begriff versteht man die missbräuchliche Ausnutzung der Marktgegenseite durch ein marktbeherrschendes Unternehmen in dem Sinn, dass Leistung und Gegenleistung in einem krassen Missverhältnis zueinanderstehen. Auswirkungen auf das Wettbewerbsverhältnis zwischen zwei Unternehmen sind daher nicht erforderlich. Die jeweilige Marktgegenseite kann sowohl aus Unternehmen als auch aus anderen Marktteilnehmern, beispielsweise Konsumentinnen und Konsumenten oder die öffentliche Hand bestehen.

Behinderungsmissbrauch Unter diesen Begriff fallen in erster Linie Massnahmen eines marktbeherrschenden Unternehmens, die gegen aktuelle oder potenzielle Konkurrenten gerichtet sind, die auf dem Markt, auf dem eine marktbeherrschende Stellung besteht, oder auf einem benachbarten Markt tätig sind. Zudem können hierunter auch Massnahmen des marktbeherrschenden Unternehmens fallen, durch die andere Unternehmen im Wettbewerb behindert werden.

Einseitiges Verhalten Unter diesem Begriff sind sämtliche Massnahmen von Unternehmen zu verstehen, die nicht in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen durchgeführt werden. Er dient der Abgrenzung zu Wettbewerbsabreden.

Marktbeherrschung Als marktbeherrschende Unternehmen gelten einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von andern Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten (Art. 4 Abs. 2 KG).

Passives Verkaufsverbot Unter dem Begriff versteht man gemäss Ziffer 3 der Vertikalbekanntmachung (VertBek) der WEKO vom 28. Juni 2010108 das (vertragliche) Verbot der Erledigung unaufgeforderter Bestellungen einzelner Kundinnen und Kunden, d. h. das Liefern von Waren und das Erbringen von Dienstleistungen. Allgemeine Werbe- oder Verkaufsförderungsmassnahmen, die Kundinnen und Kunden in Gebieten oder Kundengruppen, die anderen Händlern (ausschliesslich) zugewiesen sind, erreichen, die 108

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aber eine vernünftige Alternative zur Ansprache von Kundinnen und Kunden ausserhalb dieser Gebiete oder Kundengruppen, z. B. im eigenen Gebiet, darstellen, sind passive Verkäufe. In diesem Sinne gelten Internetverkäufe als passive Verkäufe, ausser wenn sich Verkaufsbemühungen gezielt an Kundinnen und Kunden ausserhalb des zugewiesenen Gebiets richten.

Privates Geoblocking Unter dem Begriff versteht man die regionale Sperrung von Internetinhalten durch private Unternehmen. Das Adjektiv «privat» dient der Abgrenzung gegenüber staatlich angeordneten Geoblocking-Massnahmen, wie sie beispielsweise in Artikel 86 des Geldspielgesetzes vom 29. September 2017109 ausdrücklich vorgesehen sind.

Regelbeispiel Hierunter versteht man im Rahmen der vorliegenden Botschaft die Beispieltatbestände von Artikel 7 Absatz 2 KG, deren Verwirklichung jeweils einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen kann.

Relative Marktmacht (gemäss Fair-Preis-Initiative) Ein Unternehmen gilt gemäss der Fair-Preis-Initiative als relativ marktmächtig, wenn von ihm ein oder mehrere andere Unternehmen in einer Weise abhängig sind, dass für letztere keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Unternehmen auszuweichen (Art. 197 Ziff. 12 Abst. 2 Bst. a E-BV). Demnach können sowohl Nachfrager als auch Anbieter von Waren und Dienstleistungen abhängig in diesem Sinn sein, sofern es sich bei diesen um Unternehmen handelt.

Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand, sofern letztere nicht im Einzelfall als Unternehmen gilt (z. B. Spitäler, Verkehrsbetriebe), werden nicht erfasst.

Relative Marktmacht (gemäss indirektem Gegenvorschlag) Ein Unternehmen gilt gemäss dem indirekten Gegenvorschlag als relativ marktmächtig, wenn von ihm ein oder mehrere Unternehmen bei der Nachfrage einer Ware oder Leistung in einer Weise abhängig sind, dass keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Unternehmen auszuweichen. Demnach können lediglich Nachfrager von Waren und Dienstleistungen in diesem Sinn abhängig sein, sofern es sich bei diesen um Unternehmen handelt. Konsumentinnen und Konsumenten sowie die öffentliche Hand, sofern letztere nicht im Einzelfall als nachfragendes Unternehmen gilt (z. B. Spitäler, Verkehrsbetriebe), werden nicht erfasst.

Re-Import-Klausel Die
Fair-Preis-Initiative sieht in ihren Übergangsbestimmungen eine Regelung vor, wonach marktbeherrschenden und relativ marktmächtigen Unternehmen erlaubt werden soll, durch einseitiges Verhalten die Beschaffung der von ihnen exportierten 109

SR 935.51

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Waren einzuschränken, wenn diese Waren ins Produktionsland reimportiert und dort ohne weitere Bearbeitung weiterverkauft werden (Art. 197 Ziff. 12 Abs. 2 Bst. c EBV). Dienstleistungen werden von dieser Bestimmung nicht erfasst. Hiernach soll inländischen relativ marktmächtigen Unternehmen die Abschottung des Schweizer Marktes weiterhin erlaubt bleiben und marktbeherrschenden Unternehmen neu erlaubt werden.

Wettbewerbsabreden Als Wettbewerbsabreden gelten rechtlich erzwingbare oder nicht erzwingbare Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen gleicher oder verschiedener Marktstufen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken (Art. 4 Abs. 1 KG).

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Anhang

Gegenüberstellung geltendes Rechts und Änderungsvorschläge Geltendes Recht

Kartellrecht (KG)

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Vorgeschlagene Änderungen des Kartellrechts Pa.Iv. Altherr 14.449

Fair-Preis-Initiative

Indirekter Gegenvorschlag

Räumlicher Anwendungsbereich

grenzüberschreitende und rein binnenwirtschaftliche Sachverhalte

grenzüberschreitende und rein binnenwirtschaftliche Sachverhalte

grenzüberschreitende und rein binnenwirtschaftliche Sachverhalte

grenzüberschreitende Sachverhalte

Normadressat (wer wird verpflichtet)

Unternehmen, wenn marktbeherrschend

Unternehmen, wenn relativ marktmächtig

Unternehmen, wenn relativ marktmächtig

Unternehmen, wenn relativ marktmächtig

Schutzsubjekt (wer wird geschützt)

Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten, öffentliche Hand

Unternehmen, wenn abhän- Unternehmen, wenn abhän- Unternehmen, wenn abhängig gig gig

Ausbeutungsmissbrauch erfasst

ja

ja

ja

nein

Behinderungsmissbrauch erfasst

ja

ja

ja

ja

Beeinträchtigung des Wettbewerbs erforderlich

teilweise

teilweise

teilweise

ja

Sachliche Rechtfertigung möglich

ja

ja

ja

ja

Privilegierung der Verhinderung von Re-Importen

nein

nein

ja (auch für marktbeherrschende Unternehmen)

nein

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Geltendes Recht

Vorgeschlagene Änderungen des Kartellrechts Pa.Iv. Altherr 14.449

Fair-Preis-Initiative

Indirekter Gegenvorschlag

Direkte Sanktionierung

ja

ja

nein

nein

Auswirkungen auf Art. 5 KG

nein

nein

nein

nein

Lauterkeits- Grundsätzliches Verbot des nein recht (UWG) privaten Geoblockings

nein

ja

nein

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