19.063 Botschaft zur Änderung von Artikel 1 des Rechtshilfegesetzes vom 6. November 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung von Artikel 1 des Rechtshilfegesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

6. November 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2019-2238

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Übersicht Eine Überprüfung des geltenden Landesrechts hinsichtlich der Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen hat ergeben, dass das geltende Recht eine Lücke aufweist, da eine dauerhafte gesetzliche Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen den Schweizer Behörden und internationalen Strafinstitutionen fehlt. Mit der vorgeschlagenen Änderung von Artikel 1 des Rechtshilfegesetzes soll die Lücke geschlossen werden. Aufgrund dieser Änderung kann das bis Ende 2023 befristete Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts vorzeitig aufgehoben werden.

Ausgangslage Das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz) ist seit dem 1. Januar 1983 in Kraft. Es regelt, soweit andere Gesetze oder internationale Vereinbarungen nichts anderes bestimmen, alle Verfahren der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Es wurde für die Zusammenarbeit zwischen Staaten eingeführt.

Ab den 1990er-Jahren sind verschiedene internationale Straftribunale geschaffen worden. Aufgrund der Einrichtung der internationalen Straftribunale für Ex-Jugoslawien und für Ruanda wurde ein dringlicher Bundesbeschluss verabschiedet, der mittlerweile in ein bis Ende 2023 befristetes Bundesgesetz überführt worden ist (BG vom 21. Dez. 1995 über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts). Das Gesetz regelt die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und diesen Institutionen.

Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof wurde im Bundesgesetz vom 22. Juni 2001 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof geregelt. Seither wurden noch weitere internationale Strafinstitutionen errichtet. Der hier vorgelegte Entwurf enthält eine dauerhafte Regelung, gestützt auf welche die Schweiz mit diesen neuen Institutionen zusammenarbeiten kann.

Inhalt der Vorlage Der Bundesrat schlägt vor, Artikel 1 des Rechtshilfegesetzes zu ändern, um die Zusammenarbeit auf internationale Strafinstitutionen auszudehnen. Die Änderung ermöglicht die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten oder anderen internationalen, zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen mit strafbehördlichen Funktionen
(im Folgenden «internationale Strafinstitutionen»), wenn das Verfahren Delikte nach dem Zwölften Titelbis, dem Zwölften Titelter oder dem Zwölften Titelquater des Strafgesetzbuchs betrifft, d. h. schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts. Wenn die Verfahren Straftaten im Bereich des übrigen Strafrechts betreffen, kann eine Zusammenarbeit vorgesehen werden, sofern das Gericht oder die Einrichtung auf einer Resolution der Vereinten Nationen beruht, die für die Schweiz verbindlich ist oder die von der Schweiz unterstützt wird. Gemäss der Änderung soll der Bundesrat die Zusammenarbeit ferner unter gewissen Voraussetzungen per Verordnung auf weitere internationale Strafinstitutionen ausdehnen

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können: Die Errichtung der Institution muss auf einer Rechtsgrundlage beruhen, die ihre Kompetenzen in strafrechtlicher und strafprozessualer Hinsicht eindeutig festlegt, das Verfahren vor dem Gericht oder der Einrichtung muss die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien garantieren, und die Zusammenarbeit muss der Wahrung der Interessen der Schweiz dienen. Überdies ist zu bemerken, dass die vorgeschlagene Regelung auch die Zusammenarbeit mit gemischt national-internationalen Institutionen umfasst. Die Zusammenarbeit erfolgt ausschliesslich auf freiwilliger Basis. Der Bundesrat schlägt zudem vor, das befristete Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts vorzeitig aufzuheben, da dessen Geltungsbereich durch die vorgeschlagene Änderung abgedeckt wird.

Das Bundesgesetz vom 22. Juni 2001 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof bleibt hingegen in Kraft, da dieses eine verpflichtende Form der Zusammenarbeit vorsieht.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Das Bundesgesetz vom 20. März 19811 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) ist seit dem 1. Januar 1983 in Kraft. Es regelt, soweit andere Gesetze oder internationale Vereinbarungen nichts anderes bestimmen, alle Verfahren der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Es wurde für die Zusammenarbeit zwischen Staaten eingeführt.

Ab den 1990er-Jahren hat die Schweiz die Errichtung verschiedener internationaler Straftribunale unterstützt. Aufgrund der Schaffung der internationalen Straftribunale für Ex-Jugoslawien (ICTY) und für Ruanda (ICTR) wurde ein dringlicher Bundesbeschluss verabschiedet, der mittlerweile in ein bis Ende 2023 befristetes Bundesgesetz überführt worden ist (BG vom 21. Dezember 19952 über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts [im Folgenden «Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten»]). Das Gesetz regelt die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und diesen Institutionen. Als im Jahr 2002 der ständige Internationale Strafgerichtshof (IStGH) seine Arbeit aufnahm, herrschte die Hoffnung vor, dieser würde weitere internationale Strafinstitutionen fortan überflüssig machen. Die Zusammenarbeit mit dem IStGH wird im Bundesgesetz vom 22. Juni 20013 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ZISG) geregelt.

Allerdings sind die Hoffnungen auf einen einzigen Strafgerichtshof enttäuscht worden. Inzwischen sind weitere internationale Strafinstitutionen entstanden, und die Schweiz wurde vermehrt mit Rechtshilfeersuchen solcher Strafinstitutionen konfrontiert. Beispielsweise musste sie mangels Rechtsgrundlage ein Rechtshilfeersuchen des Sondertribunals für Libanon (STL) ablehnen, das den Mord am ehemaligen libanesischen Präsidenten Rafik Hariri untersucht, obwohl die Gewährung der Rechtshilfe ihren Interessen entsprochen hätte. Grund war, dass Mord ein gemeinrechtliches Delikt ist, was eine Anwendung des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten ausschloss. Auch eine Anwendung des IRSG war nicht möglich, da das STL kein libanesisches, d. h. staatliches Gericht ist, sondern auf einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen beruht. In den letzten Jahren sind weitere internationale
Strafinstitutionen geschaffen worden wie etwa der «International, Impartial and Independent Mechanism» (SyrienMechanismus, mit Sitz in Genf), das «Investigative Team to Promote Accountability for Crimes Committed by Da'esh/ISIL» oder der «Ongoing Independent Mechanism» (Myanmar-Mechanismus, mit Sitz in Genf). Angesichts des internationalen Engagements der Schweiz für den Kampf gegen die Straflosigkeit bei schwerwiegenden Verletzungen des Völkerrechts ist die Zusammenarbeit mit internationalen 1 2 3

SR 351.1 SR 351.20 SR 351.6

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Strafinstitutionen von besonderer Bedeutung und entspricht ihren rechtsstaatlichen Grundsätzen und den Zielen ihrer Aussenpolitik.

Mit der vorgeschlagenen Änderung soll die bestehende Lücke bei der Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen auf dem Gebiet der Rechtshilfe in Strafsachen geschlossen werden.

1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Es wurden verschiedene Lösungen geprüft, namentlich die Änderung des IRSG, die Erweiterung des Geltungsbereichs des ZISG oder die Revision des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten.

Eine Erweiterung des Geltungsbereichs des ZISG wurde verworfen, da das ZISG spezifisch auf die Zusammenarbeit mit dem IStGH zugeschnitten ist, dessen Statut von den Mitgliedstaaten aufgrund der erfolgten Souveränitätsdelegation an den Gerichtshof eine «uneingeschränkte» Zusammenarbeit mit diesem verlangt.4 Damit passen die Regelungen des ZISG nicht für die Rechtshilfe an weitere Strafinstitutionen. Sie würden der Schweiz zu starre Verpflichtungen auferlegen, da die Zusammenarbeit mit dem IStGH zwingend ist.

Eine zweite Möglichkeit wäre die Revision des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten gewesen. Dieses Gesetz wurde als Übergangslösung zur Regelung der Zusammenarbeit mit dem ICTY und dem ICTR verabschiedet, weshalb es zeitlich befristet ist. Sein Geltungsbereich ist relativ beschränkt, da es auf den ICTY und den ICTR zugeschnitten ist. Es kann zwar mittels Verordnung ausgedehnt werden, jedoch ausschliesslich auf internationale Gerichte, «die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Verfolgung von Personen schafft, die mutmasslich für schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich sind, sofern diese Gerichte ein Statut und ähnliche Kompetenzen haben, [wie der ICTY und ICTR]»5. Das Gesetz liesse sich folglich nicht auf alle aktuellen Situationen anwenden. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Strafinstitutionen wie Untersuchungskommissionen oder dem Syrien-Mechanismus lassen sich kaum in dieses Schema pressen. Zudem hat die Anwendung des Gesetzes gezeigt, dass gewisse Bestimmungen für eine moderne Zusammenarbeit nicht mehr geeignet sind. Das Gesetz müsste komplett revidiert werden, um den heutigen Herausforderungen gerecht zu werden.

Die beste Lösung erscheint daher die Änderung des IRSG. Sie bietet die nötige Flexibilität zur Schliessung der identifizierten Lücke. Der Zweck der vorgeschlagenen Änderung besteht darin, die Zusammenarbeit mit allen internationalen Strafinstitutionen zu ermöglichen. Ausserdem wird die Rechtsprechung zum IRSG auch auf die Zusammenarbeit mit diesen internationalen Strafinstitutionen anwendbar sein. Das führt zu mehr Rechtssicherheit, da die entwickelte Rechtsprechung bereits

4 5

Art. 86 des Römer Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 17. Juli 1998, SR 0.312.1.

Art. 1 des BG über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten.

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zahlreiche Anwendungsfragen klärt. Die Lösung ist auch deshalb am besten geeignet, weil sie für den Bund am wenigsten Kosten nach sich zieht.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 27. Januar 20166 zur Legislaturplanung 2015­2019 noch im Bundesbeschluss vom 14. Juni 20167 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt.

Die Änderung des IRSG entspricht jedoch den aussenpolitischen Zielen der Schweiz, wonach sich die Schweiz für die Einhaltung des Völkerrechts und die Aufarbeitung von Gewaltkonflikten einsetzt.8 Sie passt das bestehende System an die aktuellen Bedürfnisse an und schliesst so eine Gesetzeslücke, die in der Vergangenheit bereits zur Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens einer internationalen Strafinstitution geführt hat.

2

Vernehmlassungsverfahren

Das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf wurde vom 28. September 2018 bis 15. Januar 2019 durchgeführt. Zur Stellungnahme eingeladen wurden die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft, das Bundesgericht, das Bundesstrafgericht sowie die weiteren interessierten Organisationen.9 Es haben 22 Kantone, vier politische Parteien und zwei interessierte Organisationen Stellung genommen. Folglich sind 28 Stellungnahmen eingegangen.

Die Vernehmlassungsteilnehmenden haben dem Vorentwurf grossmehrheitlich zugestimmt. Viele von ihnen anerkennen dessen Relevanz und Notwendigkeit im Kampf gegen die Straflosigkeit auf transnationaler Ebene. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüssen es, dass die vorgeschlagene Regelung als Kann-Bestimmung formuliert ist und die Schweiz zu keiner Zusammenarbeit verpflichtet, aber eine solche ermöglicht. In der Vernehmlassung gab es nur zu einzelnen Punkten Kritik oder Anmerkungen. Diese sind geprüft und bei der Ausarbeitung der Botschaft soweit möglich berücksichtigt worden. Für weitere Einzelheiten wird auf die Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen verwiesen.

6 7 8

9

BBl 2016 1105 BBl 2016 5183 Vgl. Aussenpolitische Strategie 2016­2019, Bericht des Bundesrates über die Schwerpunkte der Legislatur, S. 22; www.eda.admin.ch > Das EDA > Strategie und Umsetzung der Aussenpolitik.

Die Vernehmlassungsunterlagen und der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind zu finden unter www.bundesrecht.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > EJPD.

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3

Rechtsvergleich

Im Rahmen der Rechtsvergleichung wurden die bewährten Ansätze anderer Staaten im Bereich der Zusammenarbeit mit internationalen Strafmechanismen evaluiert.

In Deutschland wurde die Zusammenarbeit mit den internationalen Strafinstitutionen in § 67a des Rechtshilfegesetzes (IRG)10 geregelt, wonach für Ersuchen eines internationalen Strafgerichtshofes und anderer zwischen- und überstaatlicher Einrichtungen um sonstige Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten die Vorschriften des Fünften Teils11 entsprechend gelten, soweit nicht spezialgesetzliche Vorschriften eine abschliessende Regelung treffen.12 Deutschland hat folglich in seinem Rechtshilfegesetz eine Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen vorgesehen, allerdings beschränkt auf die (andere) Rechtshilfe im Sinne des Dritten Teils des IRSG.

Belgien hat einen anderen Ansatz verfolgt als Deutschland. Es hat ein Spezialgesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH und weiteren internationalen Strafinstitutionen verabschiedet.13 Wird ein neues internationales Tribunal errichtet, so wird das Gesetz angepasst, um die Zusammenarbeit auf dieses Tribunal auszudehnen. Die verschiedenen Gerichte werden alle einzeln benannt.

Österreich hat ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten verabschiedet,14 das die Zusammenarbeit mit dem ICTY und dem ICTR regelt, sowie ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH15.

Frankreich hat die Zusammenarbeit mit dem IStGH in Artikel 627 seiner Strafprozessordnung (Code de procédure pénale) geregelt. Die Zusammenarbeit mit dem ICTY und dem ICTR ist in spezifischen Gesetzen geregelt.16 10

11 12

13 14 15 16

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. I S. 1537), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 5. Jan. 2017 geändert wurde (BGBl. I S. 31).

Der Fünfte Teil des IRG regelt die «sonstige Rechtshilfe» und entspricht damit in der Funktion dem Dritten Teil des IRSG zur «anderen Rechtshilfe».

Art. 74a IRG bestimmt ausserdem, dass hinsichtlich der Bewilligung der Rechtshilfe an internationale Strafgerichtshöfe und andere zwischen- und überstaatliche Einrichtungen die gleichen Regelungen gelten, wie in sonstigen strafrechtlichen Angelegenheiten (gemäss Art. 74 IRG).

Loi concernant la coopération avec la Cour pénale internationale et les tribunaux pénaux internationaux vom 29. März 2004, Moniteur Belge Ed. 2 vom 1. April 2004, S. 18510 ff.

Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten, BGBl. I Nr. 263/1996.

Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, BGBl. I Nr. 135/2002.

Loi no 95­1 du 2 janvier 1995 portant adaptation de la législation française aux dispositions de la résolution 827 du Conseil de sécurité des Nations Unies instituant un tribunal international en vue de juger les personnes présumées responsables de violations graves du droit international humanitaire commises sur le territoire de l'ex-Yougoslavie depuis 1991; Loi no 96­432 du 22 mai 1996 portant adaptation de la législation française aux dispositions de la résolution 955 du Conseil de sécurité des Nations unies instituant un tribunal international en vue de juger les personnes présumées responsables d'actes de génocide ou d'autres violations graves du droit international humanitaire commis en 1994 sur le territoire du Rwanda et, s'agissant des citoyens rwandais, sur le territoire d'États voisins.

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Diese Beispiele zeigen auf, dass verschiedene Varianten zur Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen bestehen.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Änderung von Art. 1 IRSG

Wie bereits dargelegt wurde, erscheint in der Schweiz eine vom deutschen Modell inspirierte Öffnung des IRSG für die Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen als beste Lösung.17 Dazu muss Artikel 1 IRSG revidiert werden, da das geltende Gesetz gemäss diesem Artikel nur die zwischenstaatliche Zusammenarbeit abdeckt. Die Änderung ermöglicht die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten oder anderen internationalen, zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen mit strafbehördlichen Funktionen (im Folgenden «internationale Strafinstitutionen»).

Die Öffnung von Artikel 1 IRSG hat im Unterschied zur deutschen Regelung zur Folge, dass nicht nur die andere Rechtshilfe flexibilisiert wird, sondern auch die Zusammenarbeit im Bereich der «Auslieferung» sowie der stellvertretenden Strafverfolgung und -vollstreckung. Bei der vorgeschlagenen Regelung handelt es sich um eine Kann-Bestimmung, welche die Schweiz zu keiner Zusammenarbeit verpflichtet, ihr diese aber ermöglicht.

Überdies ist zu bemerken, dass die vorgeschlagene Regelung auch die Zusammenarbeit mit gemischten Institutionen umfasst. Da das geltende IRSG die Zusammenarbeit mit nationalen (staatlichen) Institutionen bereits erlaubt und mit dieser Vorlage eine Öffnung des Gesetzes auf internationale Strafinstitutionen bezweckt wird, würde auch die Zusammenarbeit mit gemischten, national-internationalen Institutionen in Zukunft ermöglicht. Eine Beschränkung auf rein internationale Institutionen wäre aufgrund der gemischten Natur vieler Institutionen (gemischte Gerichtshöfe wie die Tribunale für Sierra Leone oder Kambodscha) auch nicht wünschenswert.

Die vorgeschlagene Regelung ermöglicht auch die Zusammenarbeit mit Strafinstitutionen, die von internationalen oder überstaatlichen Organisationen geschaffen wurden, deren Mitglied die Schweiz nicht ist, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

4.1.2

Aufhebung des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten

Das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten regelt die Zusammenarbeit mit dem ICTY und dem ICTR und ermächtigt den Bundesrat, dessen Geltungsbereich auf andere internationale Gerichte auszudehnen, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts schafft, sofern diese Gerichte ein Statut und 17

Siehe Ziff. 1.2.

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ähnliche Kompetenzen wie der ICTY und ICTR haben. Das Gesetz ist bis Ende 2023 befristet. Gemäss dem Entwurf soll die Rechtshilfe für alle internationalen Strafinstitutionen geöffnet werden, die schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts verfolgen. Die vom Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten erfassten Fälle sind folglich durch den Geltungsbereich des neuen Artikels 1 IRSG abgedeckt. Durch den Entwurf wird das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten obsolet. Es ist daher angezeigt, das Gesetz bei Inkrafttreten der Änderung von Artikel 1 IRSG vorzeitig aufzuheben, damit nicht zwei Erlasse auf dieselbe Problematik Anwendung finden. Das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichtshof bleibt hingegen in Kraft. Dieses sieht eine Verpflichtung zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem IStGH vor, wohingegen das IRSG gerade keine solche Verpflichtung enthält.

4.2

Angemessenheit der erforderlichen Mittel

Die vorgeschlagene Änderung erzielt mit minimalem gesetzgeberischem Aufwand die erwünschte Wirkung, denn es wird nur ein Artikel geändert. Die Rechtshilfe an internationale Strafinstitutionen soll für die Schweiz inskünftig lückenlos möglich sein. Gleichzeitig soll die neue Regelung keine zusätzlichen Verpflichtungen schaffen. Auch für die Zusammenarbeit mit diesen Institutionen sollen ­ sinngemäss ­ die Bestimmungen des IRSG massgeblich sein. Das ist bereits im Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten vorgesehen. Damit werden die bewährten Standards, gewachsen durch Praxis, Rechtsprechung und Lehre, auch auf die Rechtshilfe an internationale Strafinstitutionen übertragen. Diese haben sich auch im Kontext der Rechtshilfe an internationale Strafinstitutionen bewährt, namentlich im Verkehr mit dem Ex-Jugoslawien-, dem Ruanda- und dem SierraLeone-Tribunal, wo diese durch Verweisung im Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten bereits bisher zur Anwendung kamen. Der vorliegende Vorschlag zielt demnach darauf ab, die aussenpolitischen Bedürfnisse der Schweiz besser mit den rechtshilferechtlichen Möglichkeiten in Einklang zu bringen. Er soll gesetzgeberische Lücken, wie jene, die zur Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens des STL geführt hat, verhindern. Der Vorschlag entspricht den Bedürfnissen der schweizerischen Aussenpolitik und wird dazu beitragen, die Straflosigkeit bei Völkerrechtsverbrechen zu beenden.

4.3

Umsetzungsfragen

Das Bundesamt für Justiz (BJ) ist die Behörde, die die Rechtshilfeersuchen entgegennimmt und sie ans Ausland weiterleitet (Art. 17 Abs. 2 IRSG). Der Vollzug der Rechtshilfeersuchen erfolgt mit Unterstützung der Kantons- oder Bundesbehörden (Art. 17 Abs. 2 IRSG). Das BJ übt zudem die Aufsicht über die Ersuchen um zwischenstaatliche Zusammenarbeit an die Schweiz oder der Schweiz aus.

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Die Verfolgung schwerer Völkerrechtsverletzungen ist Sache des Bundes (Art. 23 Bst. g der Strafprozessordnung [StPO]18). Rechtshilfeersuchen der internationalen Institutionen zu derartigen Delikten werden folglich von der Bundesanwaltschaft vollzogen (Art. 17 Abs. 2 IRSG). Es wird somit hauptsächlich den Bundesbehörden obliegen, die vorgeschlagene Änderung umzusetzen. Die Prüfung von Ersuchen um Rechtshilfe nach Artikel 1 Absätze 3bis Buchstabe b und 3ter E-IRSG kann ausnahmsweise in die Kompetenz von kantonalen Behörden fallen.

Es werden relativ wenig Fälle erwartet. Die Mehrbelastung für die Bundes- und die Kantonsbehörden dürfte daher eher gering sein.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Ingress Als verfassungsrechtliche Grundlage für das Rechtshilfegesetz wird die Zuständigkeit des Bundes für auswärtige Angelegenheiten sowie die subsidiäre Gesetzgebungskompetenz der Bundesversammlung (Art. 54 Abs. 1 und Art. 173 Abs. 2 der Bundesverfassung [BV]19) ausgewiesen. Regelungsgegenstand des IRSG ist bekanntlich die internationale Rechtshilfe in Strafsachen; diese bezweckt in erster Linie, ausländische Staaten, internationale Gerichte und andere Einrichtungen mit gleicher oder ähnlicher Funktion bei der Strafverfolgung und Strafvollstreckung zu unterstützen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht erscheint es daher als angebracht, das IRSG auch auf die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts abzustützen. Entsprechend ist der Ingress des Rechtshilfegesetzes durch die Nennung von Artikel 123 Absatz 1 BV zu ergänzen.

Art. 1 Abs. 3bis Die Regelung in Artikel 1 Absatz 3bis E-IRSG ist eine Auffangnorm. Sie kommt immer dann zur Anwendung, wenn die Zusammenarbeit mit einer internationalen Strafinstitution nicht spezialgesetzlich oder mittels völkerrechtlichem Vertrag geregelt ist. Die Anwendung des IRSG erfolgt dabei bloss sinngemäss. Wo das IRSG am Begriff des Staates («zwischenstaatlich», «ersuchender Staat», «ersuchter Staat», «Tatortstaat» usw.) anknüpft, sollen den internationalen Strafinstitutionen mutatis mutandis die gleichen Rechte und Pflichten wie einem Staat zukommen.

Neben der Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten umfasst Absatz 3bis E-IRSG auch jene mit anderen zwischenstaatlichen, gemischten oder überstaatlichen Einrichtungen. Darunter fallen zunächst Untersuchungskommissionen der UNO.20 Der Begriff soll aber auch die Zusammenarbeit mit nicht rein nationalstaatlichen

18 19 20

SR 312.0 SR 101 Zum Beispiel der «International, Impartial and Independent Mechanism» (Syrien-Mechanismus) mit Sitz in Genf zur Untersuchung der Verbrechen in Syrien.

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Institutionen wie gemischten, national-internationalen Tribunalen ermöglichen.21 Ausserdem müssen diesen Gerichten oder Einrichtungen strafbehördliche Funktionen zukommen. Mit strafbehördlichen Funktionen sind Funktionen analog zu denjenigen der Strafbehörden gemäss dem Zweiten Titel der StPO gemeint. Das Gericht oder die Einrichtung kann folglich Ermittlungs-, Untersuchungs-, Verfolgungs- oder Straffunktion haben ­ oder eine Kombination aus diesen Elementen.

Gemäss Buchstabe a soll die Zusammenarbeit mit solchen Institutionen fortan gestützt auf das IRSG möglich sein, soweit diese Institutionen klassische Völkerrechtsverbrechen gemäss dem Zwölften Titelbis, dem Zwölften Titelter und dem Zwölften Titelquater des Strafgesetzbuchs (StGB)22 verfolgen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen) oder dazu ermitteln. Würde dereinst das im Römer Statut enthaltene Verbrechen der Aggression im StGB umgesetzt, so würde sich die Rechtshilfe auch auf diesen Tatbestand erstrecken.23 Buchstabe b soll es der Schweiz ermöglichen, Rechtshilfe an eine internationale Strafinstitution zu leisten, die gemeinrechtliche Straftatbestände (also nicht klassische Völkerrechtsverbrechen) verfolgt, wenn ihre Errichtung auf einer für die Schweiz verbindlichen oder von der Schweiz unterstützten Resolution der Vereinten Nationen beruht. Als «Unterstützung» ist eine befürwortende Stimme der Schweiz in denjenigen Gremien zu verstehen, in denen sie sich äussern kann. In denjenigen Gremien, in denen sich die Schweiz nicht offiziell äussern kann, zählen ihre offiziellen Stellungnahmen als Grundlage für eine allfällige Unterstützung. Die Privilegierung der UNO ist dadurch gerechtfertigt, dass sie die wichtigste Urheberin solcher Institutionen ist, als universelle internationale Organisation eine besondere Glaubwürdigkeit und Legitimität besitzt und die Schweiz Mitglied ist. Buchstabe b würde der Schweiz beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem STL erlauben.

Art. 1 Abs. 3ter Artikel 1 Absatz 3ter E-IRSG orientiert sich an der bisherigen Regelung in Artikel 1 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten und erteilt dem Bundesrat die Kompetenz, den Geltungsbereich des IRSG per Verordnung auf zwischenstaatliche, gemischte oder überstaatliche Strafinstitutionen auszudehnen. Wie
von verschiedenen Vernehmlassungsteilnehmenden hervorgehoben, handelt es sich um eine nicht unerhebliche Kompetenzdelegation. Sie wird jedoch klar begrenzt und umschrieben, einerseits durch die Voraussetzungen nach den Buchstaben a­c (d. h. das Gericht oder die Einrichtung muss auf einer eindeuti21

22 23

Zum Beispiel das auf einem Vertrag zwischen der EU und dem Kosovo beruhende Kosovo-Kriegsverbrechertribunal, das auf einem Vertrag zwischen der UNO und Kambodscha basierende Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha oder die Ausserordentlichen Afrikanischen Kammern, deren Grundlage ein Vertrag zwischen der Afrikanischen Union und Senegal ist.

SR 311.0 Der Bundesrat hat einstweilen auf die Aufnahme des Verbrechens der Aggression ins Schweizer Strafrecht verzichtet. Trotzdem kann die Schweiz auf der Basis der aktuellen Gesetzgebung in Bezug auf das Verbrechen der Aggression vollständig mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten; sie erfüllt damit die Anforderungen des um das Verbrechen der Aggression erweiterten Römer Statuts bereits heute, siehe BBl 2014 2047.

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gen Rechtsgrundlage beruhen, das Verfahren vor dem Gericht oder der Einrichtung muss die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze garantieren, und die Zusammenarbeit muss der Wahrung der Interessen der Schweiz dienen), andererseits durch Absatz 4 (es kann kein Anspruch auf Zusammenarbeit abgeleitet werden). Die beiden ablehnenden Stellungnahmen, die in der Vernehmlassung eingegangen sind, haben im Übrigen nicht kritisiert, dass die Kompetenzdelegation zu weit gefasst sei.24 Da der Geltungsbereich des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten durch das IRSG abgedeckt sein wird, ist es sachgerecht, die Kompetenzdelegation nach Artikel 1 Absatz 2 des genannten Gesetzes in das IRSG zu übertragen. Die Änderung des IRSG geht zwar weiter als das genannte Gesetz, sie ist jedoch insofern gerechtfertigt, als immer wieder solche internationale Strafinstitutionen entstehen. Die in der vorliegenden Revision vorgesehene Kompetenzdelegation ermöglicht eine rasche und flexible Anpassung des Schweizer Rechts an die künftigen internationalen Entwicklungen auf diesem Gebiet.

Das Kriterium der eindeutigen Rechtsgrundlage ist sowohl materiell wie formell zu verstehen. Die Rechtgrundlage muss die strafrechtlichen Kompetenzen sowohl in materiell-strafrechtlicher wie in strafprozessualer Hinsicht eindeutig umreissen.

Ausserdem muss die Rechtsgrundlage in einem transparenten, rechtsstaatlichen Kriterien genügenden Prozess entstanden sein. Dies natürlich unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine zwischenstaatliche Legislative fehlt. Es dürfen also nicht die gleichen Standards angelegt werden wie im innerstaatlichen Recht. Das Verfahren vor dem Gericht oder der Einrichtung muss ausserdem die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards garantieren. Das bedeutet, dass die Verfahrensgarantien der EMRK25, die für die Schweiz auch im Rahmen der Rechtshilfe verbindlich sind, gewahrt sein müssen.26 Die Zusammenarbeit muss sodann der Wahrung der Interessen der Schweiz dienen.

Dabei stehen die aussenpolitischen Ziele gemäss Artikel 54 Absatz 2 BV und gemäss der aussenpolitischen Strategie im Vordergrund. Die Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen kann auch ausserhalb des UNO-Rahmens und der Verfolgung klassischer Völkerrechtsverbrechen erforderlich sein. Zu denken ist hierbei insbesondere
an die vermehrte Aktivität regionaler Akteure, deren Zielsetzungen die Schweiz in gewissen Fällen teilt. Artikel 1 Absatz 3ter E-IRSG könnte beispielsweise als Grundlage für eine Zusammenarbeit mit dem vorerwähnten RoteKhmer-Tribunal dienen, das neben klassischen Völkerrechtsverbrechen auch 24

25 26

Die beiden ablehnenden Stellungnahmen anerkennen zwar die Lücke im geltenden Recht, halten die Änderung des IRSG in der vorgeschlagenen Form jedoch nicht für die zu bevorzugende Lösung. Die eine Eingabe schlägt statt der Anpassung des IRSG die Anpassung und Verlängerung des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten vor. Die andere Eingabe macht hingegen geltend, die vorgeschlagene Anpassung des IRSG gehe zulasten des Legalitätsprinzips.

Konvention vom 4. Nov. 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101 Gemäss Art. 2 Bst. a IRSG ist die Rechtshilfe nur dann gestattet, wenn das Strafverfahren im Ausland den EMRK-Mindeststandards genügt. Gleiches muss auch im Anwendungsbereich des neuen Art. 1 Abs. 3ter E-IRSG gelten, selbstredend unabhängig davon, ob die unterstützte internationale Strafinstitution ihren Sitz im Inland oder im Ausland hat.

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gewisse Tatbestände nach kambodschanischem Recht verfolgt,27 oder mit der «Marty-Kommission»28, die im Auftrag des Europarats Vorwürfe bezüglich Organund Menschenhandel im Kosovo untersucht hat, oder allenfalls mit der künftigen Europäischen Staatsanwaltschaft.

In all diesen Fällen ist eine auf Absatz 3ter E-IRSG gestützte Zusammenarbeit nicht automatisch möglich, sondern nur in den Fällen, in denen der Bundesrat eine solche auf Verordnungsebene eingerichtet hat. Ihm obliegt gemäss Artikel 184 Absatz 2 BV im Grundsatz die Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten und die Vertretung der Schweiz gegen aussen; er soll die Möglichkeit erhalten, diese Interessen mit den Möglichkeiten im Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen in Einklang zu bringen und bei Bedarf auch internationale Strafinstitutionen rechtshilfeweise zu unterstützen.

In der Praxis ist denkbar, dass der Bundesrat jeweils pro in Frage stehender Institution eine Verordnung erlässt oder dass er alle Institutionen, denen die Schweiz fortan Rechtshilfe leisten kann, in einer einzigen Verordnung aufzählt.

Art. 1 Abs. 4 Auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen können aus dem IRSG keine Ansprüche abgeleitet werden. Das IRSG ist und bleibt ein «Kann-Gesetz»: Es erlaubt der Schweiz die Rechtshilfe, sofern die Voraussetzungen ihres innerstaatlichen Rechts erfüllt sind. In den internationalen Übereinkommen ist in der Regel vorgesehen, dass die Rechtshilfe gewährt werden muss, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Das IRSG ist hier restriktiver. Es verpflichtet die Schweiz nicht zur Zusammenarbeit.

Was sich für die Rechtshilfe zwischen Staaten bewährt hat, muss bei der Zusammenarbeit mit internationalen Akteuren im Grundsatz umso mehr gelten. Neue Verpflichtungen zur Zusammenarbeit können für die Schweiz jedoch natürlich dann ­ ausserhalb des IRSG ­ entstehen, wenn ein für die Schweiz völkerrechtlich verbindlicher Akt, meist wohl eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats, solches verlangt. Die Schweiz könnte somit zur Zusammenarbeit gezwungen sein. Die Pflicht zur Zusammenarbeit ergäbe sich jedoch aus der Resolution des UNO-Sicherheitsrats und nicht direkt aus dem IRSG. Die vorgeschlagene Änderung hat keinen Einfluss auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz in Verbindung mit den Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats.

27

28

Vgl. Art. 3 des Law on the Establishment of Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia for the Prosecution of Crimes Committed During the Period of Democratic Kampuchea, abrufbar im Internet unter www.eccc.gov.kh/en > Legal Documents > Law on ECCC.

Vgl. den Bericht «Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo», vom 7. Jan. 2011, Doc. 12462.

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Ziff. II Da die vom Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten erfassten Fälle durch den Geltungsbereich des neuen Artikels 1 E-IRSG abgedeckt sind, wird dieses obsolet und ist bei Inkrafttreten der Änderung von Artikel 1 IRSG vorzeitig aufzuheben.29

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Bei den Rechtshilfe- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes könnte die Änderung zu einer geringfügigen Mehrbelastung führen. Dies weil die Zusammenarbeit nunmehr lückenlos mit allen internationalen Strafinstitutionen ermöglicht wird und damit in einzelnen Fällen zusätzlich Rechtshilfehandlungen vorgenommen werden müssen. Dies dürfte gemäss den bisherigen Zahlen und Erwartungen aber nur relativ wenige Fälle betreffen. Ausserdem sind Rechtshilfeersuchen internationaler Strafinstitutionen in jedem Fall bereits nach bisherigem Recht zu prüfen. Die Ablehnung von Rechtshilfeersuchen nach diesem Recht bereitet nicht zuletzt für die aussenpolitischen Akteure des Bundes ebenfalls einen erheblichen Aufwand, da sie diese Entscheide gegen aussen vermitteln müssen. Insgesamt ist damit zu erwarten, dass der Aufwand auf Bundesebene mehr oder weniger gleich bleibt.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Es sind keine nennenswerten finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden zu erwarten.

Die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen ist gemäss Artikel 23 Buchstabe g StPO Sache der Bundesbehörden. Von internationalen Strafinstitutionen geforderte Rechtshilfemassnahmen bei diesen Delikten (Art. 1 Abs. 3bis Bst. a E-IRSG) werden gemäss Artikel 17 Absatz 2 IRSG durch Bundesbehörden vorgenommen. Die Prüfung von Ersuchen um Rechtshilfe nach Artikel 1 Absätze 3bis Buchstabe b und 3ter E-IRSG kann ausnahmsweise in die Kompetenz von kantonalen Behörden fallen. Im Regelfall wird allerdings auch hier die Bundesanwaltschaft zuständig sein. Da die zu erwartenden Fallzahlen eher tief liegen, dürfte die Mehrbelastung für die Kantone jedenfalls vernachlässigbar sein.

Es ist offensichtlich, dass die Gesetzesänderung keine Auswirkungen auf die Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete hat; diese Frage wurde darum nicht vertieft geprüft.

29

Siehe Ziff. 4.1.2.

7426

BBl 2019

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt und andere Auswirkungen

Es ist offensichtlich, dass die Vorlage keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt noch andere Auswirkungen hat; diese Fragen wurden darum nicht vertieft geprüft. Die Vorlage fördert den guten aussenpolitischen Ruf der Schweiz, weil die Schweiz mit dieser Vorlage ihren Beitrag zur Verhinderung der Straflosigkeit verstärken kann.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die vorgeschlagene Änderung betrifft die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und dient der Unterstützung internationaler Strafinstitutionen. Sie stützt sich auf die Artikel 54 Absatz 1, 123 Absatz 130 und 173 Absatz 2 BV, welche dem Bund die Kompetenz geben, im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten, des Strafrechts und des Strafprozessrechts Bestimmungen zu erlassen.

Da die Zusammenarbeit nur mit denjenigen internationalen Strafinstitutionen erfolgt, welche die entsprechenden Menschenrechtsstandards beachten (Art. 2 IRSG), ist die Vereinbarkeit mit den Grundrechten gewahrt. Der Gesetzesentwurf trägt zudem dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV) Rechnung, indem er den erweiterten Anwendungsbereich anhand der materiellen Straftatbestände definiert (Art. 1 Abs. 3bis Bst. a), auf Strafinstitutionen bestimmter Herkunft beschränkt (Art. 1 Abs. 3bis Bst. b) beziehungsweise die Ermächtigung des Bundesrats, den Anwendungsbereich auf dem Verordnungsweg auf weitere Strafinstitutionen auszudehnen, nur unter Beachtung der im Gesetz klar umschriebenen Kriterien, die kumulativ erfüllt sein müssen, zulässt (Art. 1 Abs. 3ter). Somit ist für den Einzelnen hinreichend klar vorhersehbar, wann das IRSG anwendbar ist, und dessen rechtsgleiche Anwendung ist gewährleistet.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage ist mit dem für die Schweiz geltenden Völkerrecht vereinbar, insbesondere mit den Standards der EMRK und des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 196631 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II). Gemäss Artikel 2 IRSG sind diese Standards im Bereich der Menschenrechte bei der Rechtshilfe im Allgemein und bei der Rechtshilfe an internationale Strafinstitutionen zu beachten.

30 31

Zur Erweiterung des Ingresses des IRSG um Art. 123 Abs. 1 BV siehe Ziff. 5 «Ingress».

SR 0.103.2

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BBl 2019

7.3

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Die vorliegende Änderung erweitert den Geltungsbereich des IRSG, eines Bundesgesetzes, auf die Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen und hat in diesem Sinn Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten von Personen, die von einem Rechtshilfeersuchen einer dieser Institutionen betroffen sind. Die Änderung hat darum die Form eines Bundesgesetzes, das dem fakultativen Referendum unterliegt.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV bedürfen Subventionsbestimmungen sowie Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als zwanzig Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als zwei Millionen Franken nach sich ziehen, der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder jedes der beiden Räte. Mit der Vorlage werden keine solchen Bestimmungen geschaffen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse unterstellt.

7.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die in Artikel 1 Absatz 3ter E-IRSG enthaltene Verordnungskompetenz des Bundesrates wird unter Ziffer 5 «Art. 1 Abs. 3ter» begründet und erläutert.

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