19.048 Botschaft zur Änderung der Strafprozessordnung (Umsetzung der Motion 14.3383, Kommission für Rechtsfragen des Ständerats, Anpassung der Strafprozessordnung) vom 28. August 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zur Änderung der Strafprozessordnung (Umsetzung der Motion 14.3383, Kommission für Rechtsfragen des Ständerats, Anpassung der Strafprozessordnung).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2014

M 11.3911

Gefährliche Straftäter bleiben in Untersuchungshaft (N 23.9.13, Amherd; S 19.3.14)

2013

M 12.4077

Definition der Untersuchungshaft. Aufhebung der Voraussetzung eines effektiv erfolgten Rückfalls (N 22.3.13, FDP-Liberale Fraktion; S 11.9.13)

2015

M 14.3383

Anpassung der Strafprozessordnung (S 22.9.14, Kommission für Rechtsfragen SR; N 11.3.15)

2017

P

15.3447

Beschleunigung der Strafverfahren.

Umgesetzte Massnahmen (N 03.5.17, FDP-Liberale Fraktion)

2015

P

15.3502

Recht auf Teilnahme am Beweisverfahren. Überprüfung bei der Anpassung der Strafprozessordnung (N 10.12.15, Kommission für Rechtsfragen NR)

2019

P

18.4063

Wiedergutmachungsjustiz in unsere Rechtsordnung integrieren. Es muss mehr getan werden (N 21.6.19, Mazzone)

2019-1641

6697

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. August 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

6698

Übersicht Die seit Anfang 2011 in Kraft stehende Strafprozessordnung lässt sich weitgehend ohne grössere Schwierigkeiten anwenden. Allerdings erweist sich die Tauglichkeit einzelner Regelungen in der Praxis als nicht optimal. Das will die Vorlage korrigieren. Zudem soll aus Gründen der Transparenz die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu gewissen Streitfragen ins Gesetz überführt werden. Die Vorlage beschränkt sich auf punktuelle Änderungen, ohne an den seinerzeit getroffenen Grundsätzen zu rütteln, auf denen die Strafprozessordnung beruht.

Ausgangslage Die Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO) ist seit dem 1. Januar 2011 in Kraft. Sie ersetzte damals die 26 kantonalen Strafprozessordnungen und das Bundesgesetz vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege.

Bereits kurz nach Inkrafttreten der StPO wurden im Zuge ihrer Anwendung kritische Stimmen in der Praxis laut, die auf problematische Aspekte hinwiesen. Dementsprechend wurden in den Räten schon früh parlamentarische Vorstösse eingereicht und überwiesen, die ­ mitunter aufgrund von einzelnen Gerichtsentscheiden ­ punktuelle Änderungen der StPO verlangen. Seither folgten zahlreiche weitere Vorstösse.

Die eidgenössischen Räte haben sich mit Überweisung der Motion 14.3383 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (Anpassung der Strafprozessordnung) dafür entschieden, die allfälligen Revisionen der StPO nicht einzeln, sondern im Rahmen einer Gesamtschau anzugehen. Der Bundesrat wurde damit beauftragt, nach einer Prüfung der Praxistauglichkeit dem Parlament bis Ende 2018 eine entsprechende Vorlage mit den erforderlichen Gesetzesanpassungen zu unterbreiten.

Inhalt der Vorlage Der Entwurf beschränkt sich ­ aufgrund des Vernehmlassungsergebnisses ­ zum einen möglichst auf jene Punkte, die in der Praxis tatsächlich Schwierigkeiten bereiten. Zum andern soll die Revision möglichst keinen zusätzlichen Aufwand für die rechtsanwendenden Behörden und keine Verlängerung von Verfahren zur Folge haben. Daher präsentiert sich der Entwurf schlanker als der Vorentwurf.

Die wesentlichen Änderungsvorschläge sind folgende: ­

Das heutige Teilnahmerecht wird so weit eingeschränkt, dass es einerseits die Wahrheitsfindung nicht verunmöglicht, andererseits aber nicht seines Gehaltes völlig entleert wird.

­

Das Prinzip der «double instance» wird konsequent umgesetzt. Es können somit keine Entscheide mehr direkt an das Bundesgericht weitergezogen werden, vielmehr muss in jedem Fall eine obere kantonale Instanz entscheiden.

6699

­

Die Staatsanwaltschaft kann gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts Beschwerde führen. Heute ist das gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts möglich, neu werden die Legitimation der Staatsanwaltschaft und das Verfahren im Gesetz verankert.

­

Die Staatsanwaltschaft wird verpflichtet, eine beschuldigte Person einzuvernehmen, wenn mittels Strafbefehls eine zu vollziehende Freiheitsstrafe ausgesprochen werden soll. Zudem kann die Staatsanwaltschaft neu über Zivilforderungen entscheiden.

­

Die Verfahrensrechte von Opfern erfahren Verbesserungen; dies im Bereich der unentgeltlichen Rechtspflege, der Informationsrechte und der Schutzmassnahmen für Kinder.

­

Das Gesetz verankert explizit die Praxis des Bundesgerichts, gemäss welcher DNA-Profile nicht nur zur Aufklärung jener Straftaten erstellt und gespeichert werden dürfen, um derentwillen das Verfahren geführt wird, sondern auch zur Aufklärung anderer (früherer oder künftiger) Straftaten.

Zudem legt das Gesetz die entsprechenden Voraussetzungen fest.

6700

BBl 2019

Inhaltsverzeichnis Übersicht

6699

1

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.1.1 Die Schweizerische Strafprozessordnung 1.1.2 Motion Kommission für Rechtsfragen des Ständerates «Anpassung der Strafprozessordnung» 1.2 Verhältnis zur Legislaturplanung 1.3 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

6703 6703 6703

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Die Ermittlung der Praxistauglichkeit der StPO 2.2 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

6708 6708 6709

3

Grundzüge der Vorlage 3.1 Die beantragte Neuregelung 3.1.1 Keine Ausnahmen vom Grundsatz der «doppelten Instanz» 3.1.2 Ausweitung der Aufzeichnung von Einvernahmen mit technischen Hilfsmitteln 3.1.3 Vorverschiebung des Zeitpunktes zur Bezifferung und Begründung der Zivilklage 3.1.4 Teilnahmerechte 3.1.5 Präzisierung der Voraussetzungen für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr 3.1.6 Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts 3.1.7 Voraussetzungen zur Erstellung von DNA-Profilen 3.1.8 Strafbefehlsverfahren 3.1.9 Sicherheitshaft im Zusammenhang mit dem Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden 3.2 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 3.3 Regelungsverzichte 3.3.1 Vorschläge Vorentwurf 3.3.2 Forderungen aus der Vernehmlassung

6710 6710

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 4.1 Änderung der Strafprozessordnung 4.2 Änderung anderer Erlasse

6724 6724 6772

5

Auswirkungen 5.1 Auswirkungen auf den Bund 5.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

6780 6780 6781

6706 6706 6706

6711 6711 6712 6713 6715 6715 6716 6716 6717 6718 6718 6718 6721

6701

BBl 2019

6

Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.1.1 Gesetzgebungskompetenz 6.1.2 Grundrechtskonformität 6.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.3 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

6781 6781 6781 6782 6782 6783

Literaturverzeichnis

6784

Schweizerische Strafprozessordnung (Strafprozessordnung, StPO) (Entwurf)

6789

6702

BBl 2019

Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1

Die Schweizerische Strafprozessordnung

Die Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 20071 (StPO) ist seit dem 1. Januar 2011 in Kraft. Sie ersetzte die 26 kantonalen Strafprozessordnungen und das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934.

Bereits kurz nach Inkrafttreten der StPO wurden im Zuge der Anwendung der neuen Bestimmungen kritische Stimmen in der Praxis laut, die auf problematische Aspekte der neuen StPO hinwiesen. Dementsprechend wurden in den Räten schon früh parlamentarische Vorstösse eingereicht und überwiesen, die ­ mitunter aufgrund von einzelnen Gerichtsentscheiden ­ punktuelle Änderungen der StPO verlangen. Seither folgten zahlreiche weitere Vorstösse.

Von 2011 bis 2019 wurden im Zusammenhang mit der StPO folgende Motionen, Postulate und parlamentarischen sowie kantonalen Initiativen eingereicht:2 Motionen und Postulate

1 2

­

11.3911 Mo. Amherd, Gefährliche Straftäter bleiben in Untersuchungshaft (angenommen);

­

11.3596 Mo. Geissbühler, Strafprozessrecht, Polizeigewahrsam auf 72 Stunden ausdehnen (erledigt);

­

11.3945 Mo. Tschümperlin, Opfer von Straftaten. Beschwerdemöglichkeit gegen Haftrichterentscheide (erledigt);

­

12.3424 Mo. Feri Yvonne, Anpassung der Strafprozessordnung Art. 352 und 354 StPO (erledigt);

­

12.4068 Mo. Regazzi, Melde- und Zeugnispflicht bei Kindsmissbrauch (erledigt);

­

12.4076 Po. FDP-Liberale Fraktion, Besonderes gerichtliches Verfahren zur Bekämpfung der Kleinkriminalität (erledigt);

­

12.4077 Mo. FDP-Liberale Fraktion, Definition der Untersuchungshaft.

Aufhebung der Voraussetzung eines effektiv erfolgten Rückfalls (angenommen);

­

12.4096 Mo. Janiak, Gegenstand der Überwachung erweitern (erledigt);

­

13.3037 Mo. Ribaux, Strafverfahren. Angemessenere Untersuchung und wirksamere Verfolgung (erledigt); SR 312.0 Nicht erwähnt sind die Interpellationen, weil diese lediglich Fragen an den Bundesrat beinhalten.

6703

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­

13.3210 Mo. Joder, Untersuchungs- und Sicherheitshaft auch bei Drohungen (erledigt);

­

13.3428 Po. Chopard-Acklin Max, Internetfandung, Schweizweit Rechtssicherheit für die Polizei und die Bürger schaffen (erledigt);

­

13.3447 Mo. Ribaux, Keine SMS und Tweets aus Gerichtssälen (erledigt);

­

13.3587 Mo. Glanzmann, Internetfahndung vereinfachen (erledigt);

­

13.3671 Mo. Geissbühler, Schweizerisches Strafprozessrecht, Polizeigewahrsam auf 72 Stunden ausdehnen (erledigt);

­

13.3897 Mo. Glanzmann, 72 Stunden Polizeigewahrsam (erledigt);

­

13.4296 Mo. Amherd, Vereinheitlichung des Verfahrensrechtes bei der Vollstreckung der Strafurteile (erledigt);

­

14.3383 Mo. RK-S, Anpassung der Strafprozessordnung (angenommen);

­

15.3039 Po. Portmann Hans-Peter, Schutz bei Falschanschuldigungen (erledigt);

­

15.3055 Mo. Kuprecht, Dringender Handlungsbedarf der Teilnahmerechte bei Strafprozessen (erledigt);

­

15.3447 Po. FDP-Liberale Fraktion, Beschleunigung der Strafverfahren.

Umgesetzte Massnahmen (angenommen);

­

15.3502 Po. RK-N, Recht auf Teilnahme am Beweisverfahren, Überprüfung bei der Anpassung der Strafprozessordnung (angenommen);

­

15.3933 Mo. Geissbühler, Zwingende Probenahme und DNA-Analyse bei schweren Delikten (erledigt);

­

15.4000 Mo. Amherd, Eine Sistierung des Verfahrens wegen häuslicher Gewalt darf nur bei Ersttätern möglich sein (erledigt);

­

16.3735 Mo. Janiak, Einführung einer Kronzeugenregelung (erledigt);

­

16.3747 Mo. Geissbühler, Wechsel der amtlichen Verteidigung einschränken (erledigt);

­

16.4080 Mo. Schwaab, Den Strafverfolgungsbehörden den Zugang zu Daten von sozialen Netzwerken erleichtern (im Rat noch nicht behandelt);

­

16.4082 Mo. Levrat, Den Strafverfolgungsbehörden den Zugang zu Daten von sozialen Netzwerken erleichtern (im Rat noch nicht behandelt);

­

17.4032 Mo. Addor, Im Falle einer Berufung keine Verurteilung einer ode reines von der ersten Instanz freigesprochenen Angeklagten ohne erneute Beweiswürdigung (im Rat noch nicht behandelt);

­

17.4175 Mo. Geissbühler, Immer höhere Kosten durch unentgeltliche Rechtspflege (im Rat noch nicht behandelt);

­

17.4257 Mo. Addor, Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung eines Beweisantrages während der Strafuntersuchung (im Rat noch nicht behandelt);

6704

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­

18.3004 Mo. RK-N, Keine unnötigen Verletzungen der Privatsphäre von Beschuldigten (erledigt);

­

18.4052 Mo. Moser, Effiziente Vertretung von Tierschutzanliegen in Strafverfahren ermöglichen (im Rat noch nicht behandelt);

­

18.4063 Po. Mazzone, Wiedergutmachungsjustiz in unsere Rechtsordnung integrieren. Es muss mehr getan werden (angenommen);

­

19.3356 Mo. Addor, Entschädigung der amtlichen Verteidigung und des unentgeltlichen Rechtsbeistands in lang dauernden Verfahren (im Rat noch nicht behandelt);

­

19.3433 Mo. Addor, Schaffung von Schnellgerichten in der Schweiz (im Rat noch nicht behandelt);



19.3739 Mo. Abate, Überprüfung von Artikel 74 der Strafprozessordnung.

Lockerung der Voraussetzungen für die Orientierung der Öffentlichkeit (im Rat noch nicht behandelt).

Parlamentarische und kantonale Initiativen ­

12.440 Pa.Iv. Amaudruz, Übernahme der Verfahrenskosten und Beteiligung an den Haftkosten durch Personen, die in der Schweiz keine Steuern zahlen (erledigt);

­

12.463 Pa.lv. Poggia, Privatklägerschaft im Strafprozess, Schliessung einer Gesetzeslücke (Folge gegeben);

­

12.465 Pa.lv. Poggia, Strafverfahren, Entlastung des Zwangsmassnahmengerichtes (erledigt);

­

12.492 Pa.lv. Poggia, Zulassung zum Bundesgericht, Beseitigung der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Opfern (Folge gegeben);

­

12.494 Pa.Iv. Jositsch, Stärkung unmittelbarer Beweisabnahme im Strafprozess (erledigt);

­

12.495 Pa.lv. Jositsch, Untersuchungshaft bei qualifizierter Wiederholungsgefahr (Folge gegeben);

­

12.497 Pa.lv. Jositsch, Beschwerdeberechtigung bei Haftentscheiden (Folge gegeben);

­

12.498 Pa.Iv. Sommaruga Carlo, Strafuntersuchungen gegen Personen, die selbst Mitglied einer Strafverfolgungsbehörde sind, Gewährleistung der Unabhängigkeit (erledigt);

­

13.427 Pa.Iv. Schneider Schüttel, StPO, Vereinfachung des Abwesenheitsverfahrens (erledigt);

­

13.466 Pa.Iv. RK-N, Verrechnung der Gerichtskosten mit den Genugtuungsansprüchen aufgrund rechtswidriger Zwangsmassnahmen (behandelt vom Nationalrat);

­

14.462 Pa.Iv. Reimann Lukas, StPO, Teilnahmerechte, Aufklärung und Wahrheitsfindung nicht behindern (erledigt); 6705

BBl 2019

­

15.324 Kt.lv. BL, Dringliche Nachbesserungen der Schweizerischen StPO (erledigt);

­

17.437 Pa.Iv. Addor, Für eine Öffentlichkeit von Gerichtsurteilen, die den Persönlichkeitsrechten und der Privatsphäre der Parteien besser Rechnung trägt (erledigt).

1.1.2

Motion Kommission für Rechtsfragen des Ständerates «Anpassung der Strafprozessordnung»

Um zu verhindern, dass ständig neue Vorstösse zu einzelnen Punkten eingereicht werden, und um stattdessen eine Gesamtüberprüfung und Gesamtrevision der StPO zu ermöglichen, hat die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates die Motion 14.3383 (Anpassung der Strafprozessordnung) eingereicht. Mit der Überweisung dieser Motion haben sich die eidgenössischen Räte am 22. September 2014 und am 11. März 2015 dafür entschieden, die allfälligen Revisionen der StPO nicht einzeln, sondern im Rahmen einer Gesamtschau anzugehen. Der Bundesrat wurde damit beauftragt, nach einer Prüfung der Praxistauglichkeit, dem Parlament bis Ende 2018 eine entsprechende Vorlage mit den erforderlichen Gesetzesanpassungen zu unterbreiten.

1.2

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 27. Januar 20163 zur Legislaturplanung 2015­ 2019 und im zugehörigen Bundesbeschluss vom 14. Juni 20164 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt.

1.3

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Der Bundesrat beantragt die Abschreibung der folgenden, noch hängigen Vorstösse: Die Motion 11.3911 Amherd «Gefährliche Straftäter bleiben in Untersuchungshaft» beauftragt den Bundesrat, die Voraussetzungen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr (Art. 221 Abs. 1 Bst. c StPO) dahingehend zu ändern, dass auch Ersttäter in Haft gesetzt werden können, wenn von ihnen Wiederholungsgefahr ausgeht.

Der Bundesrat hat diesem Anliegen mit der Einführung des Haftgrundes wegen qualifizierter Wiederholungsgefahr (Art. 221 Abs. 1bis) Rechnung getragen; dieser Haftgrund verzichtet auf das Vortatenerfordernis. Die Motion kann deshalb abgeschrieben werden.

Ebenfalls abgeschrieben werden kann aus den oben genannten Gründen die Motion 12.4077 der FDP-Liberalen Fraktion «Definition der Untersuchungshaft. Aufhebung der Voraussetzung eines effektiv erfolgten Rückfalls». Diese Motion verfolgt sinn3 4

BBl 2016 1105, 1226 BBl 2016 5183

6706

BBl 2019

gemäss das gleiche Anliegen wie die Motion 11.3911 Amherd «Gefährliche Straftäter bleiben in Untersuchungshaft».

Die Motion 14.3383 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats «Anpassung der Strafprozessordnung» kann abgeschrieben werden; diese verlangt vom Bundesrat, dem Parlament bis Ende 2018 die vorliegende Botschaft zu unterbreiten.

Des Weiteren soll das Postulat 15.3447 FDP-Liberale Fraktion «Beschleunigung der Strafverfahren. Umgesetzte Massnahmen» abgeschrieben werden. Das Postulat beauftragt den Bundesrat in Zusammenarbeit mit den Kantonen im Wesentlichen damit darzulegen, welche Massnahmen zur Beschleunigung der Strafverfahren umgesetzt wurden. Wie der Bundesrat bereits verschiedentlich in seinen Stellungnahmen zum Thema «Schnellgerichte» respektive «Schnellverfahren» ausgeführt hat, 5 zeigt die Praxis in diversen Kantonen, dass die Strafverfolgungsbehörden insbesondere mit dem Strafbefehlsverfahren über das nötige Instrument verfügen, um beispielsweise Gewalttaten bei Sportveranstaltungen, Betäubungsmitteldelikte oder Diebstähle rasch und effizient beurteilen zu können. Weder im Rahmen der Arbeitsgruppe noch im Rahmen der Vernehmlassung wurden von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten daher zusätzliche Massnahmen zur Verfahrensbeschleunigung geltend gemacht. Der Bundesrat erachtet das Postulat aufgrund des Vernehmlassungsergebnisses als überholt. Zudem würde die Beantwortung der Fragen bei den Kantonen einen erheblichen Mehraufwand generieren. Auch die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) steht der Erstellung dieses Berichts kritisch gegenüber.

Sodann kann das Postulat 15.3502 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats «Recht auf Teilnahme am Beweisverfahren. Überprüfung bei der Anpassung der Strafprozessordnung» abgeschrieben werden. Dieses beauftragt den Bundesrat, im Rahmen der Anpassung der Strafprozessordnung das Teilnahmerecht am Beweisverfahren zu überprüfen. Diese Prüfung wurde im Rahmen des vorliegenden Projektes vorgenommen. Das Resultat wurde in der Revision des Artikels 147 berücksichtigt.

Schliesslich beantragt der Bundesrat die Abschreibung des Postulats 18.4063 Mazzone «Wiedergutmachungsjustiz in unsere Rechtsordnung integrieren. Es muss mehr getan werden». Entsprechend dem Auftrag des Postulats hat der Bundesrat
im Rahmen des vorliegenden Projektes geprüft, ob und wie die sogenannte «justice restaurative» im Erwachsenenstrafrecht eingeführt werden könnte. Die entsprechenden Überlegungen finden sich hinter unter Ziffer 3.3.2.

5

Ip. 16.3447, Addor, Schnellgerichte in der Schweiz; Ip. 12.4117, Sommaruga Carlo, Effizienteres Strafprozessrecht für Delikte, bei denen die beschuldigte auf frischer Tat ertappt wurde; Po. 12.4076, FDP-Liberale Fraktion, Besonderes gerichtliches Verfahren zur Bekämpfung der Kleinkriminalität; Mo. 12.3018, Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats, Bekämpfung der Gewalt bei Sportanlässen; Mo. 11.3645, Buttet, Sofortige Vorführung von Hooligans und straffälligen Personen vor eine Richterin oder einen Richter; Mo. 09.3311, Stamm, Schnellgerichte bei geständigen und bei auf frischer Tat ertappten Tätern.

6707

BBl 2019

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Die Ermittlung der Praxistauglichkeit der StPO

Die Motion verlangt keine wissenschaftliche Evaluation der geltenden Regelungen, sondern die Prüfung, inwieweit sich die StPO in der Praxis bewährt. Zur Klärung dieser Frage hat das Bundesamt für Justiz (BJ) eine Arbeitsgruppe mit rund 30 Personen gebildet.6 Neben Vertreterinnen und Vertretern aus der Praxis (Polizei, Staatsanwaltschaft, Anwaltschaft, Gerichte aller Instanzen, Zwangsmassnahmengerichte, Vollzug und Jugendanwaltschaft) waren auch Personen aus der Wissenschaft Mitglieder der Arbeitsgruppe. Die Mitglieder wurden aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in die Arbeitsgruppe eingeladen, und nicht aufgrund der Tatsache, dass sie (auch) einer fachlichen oder politischen Organisation oder einer bestimmten Institution angehören.

Das BJ wollte im Rahmen einer Diskussion mit der Arbeitsgruppe in erster Linie Erkenntnisse darüber erlangen, welche Regelungen der StPO in der Praxis Schwierigkeiten bereiten oder als untauglich oder nicht sinnvoll erachtet werden. Anlässlich von vier ganztägigen Sitzungen der Arbeitsgruppe liess sich diese Frage klären.

Darüber hinaus boten die Sitzungen auch Gelegenheit, in der Arbeitsgruppe mögliche Lösungen für festgestellte Unzulänglichkeiten zu besprechen und zu skizzieren.

In einem Bereich erfolgte hingegen eine wissenschaftliche Evaluation. Die vom BJ in Auftrag gegebene Evaluation des Opferhilfegesetzes vom 23. März 2007 7 (OHG) untersucht in einem Modul, inwieweit sich die Einführung der StPO auf die Situation der Opfer auswirkt. Im Rahmen dieser Evaluation wurden verschiedene Gruppen Interessierter (Polizei, Staatsanwaltschaft, Strafgerichte, Opferberatungsstellen, Opferanwältinnen und -anwälte, Strafverteidigerinnen und -verteidiger) schriftlich 6

7

Beeler Ruedi, Präsident des Zwangsmassnahmengerichts des Kt. SZ; Cottier Eric, Generalstaatsanwalt des Kt. VD; Fingerhuth Thomas, Rechtsanwalt, Zürich; Forster Marc, wissenschaftlicher Berater am Bundesgericht, Professor Universität St. Gallen; Gafner Julien, Rechtsanwalt Lausanne; Garré Roy, Bundesstrafrichter, Bellinzona; Gless Sabine, Professorin Universität Basel; Godenzi Gunhild, Rechtsanwältin Zürich und Privatdozentin Universität Zürich; Guidon Patrick, Kantonsrichter, St. Gallen; Gut Beat, Oberrichter, Zürich; Hansjakob Thomas, Erster Staatsanwalt des Kt. SG; Jeanneret Yvan, Rechtsanwalt, Genf und Professor Universitäten Genf und Neuenburg; Jeker Konrad, Rechtsanwalt, Solothurn; Keel Joe, Leiter des Amtes für Justizvollzug des Kt. SG; Kerner Roland, Staatsanwalt, Bern; Maeder Walter, Staatsanwalt des Bundes, Bundesanwaltschaft; Mazzuchelli Goran, Rechtsanwalt, Lugano und Lehrbeauftragter Universität Como; Medici Reto, Jugendrichter Kt. TI; Melliger Hans, Leitender Staatsanwalt, Jugendanwaltschaft Kt. AG; Meuli Peter, Präsident Zwangsmassnahmengericht Luzern; Montanari Ruedi, stv. Bundesanwalt, Bundesanwaltschaft; Moreillon Laurent, Rechtsanwalt, Lausanne und Professor Universität Lausanne; Oberholzer Niklaus, Bundesrichter, Lausanne; Perler Thomas, Staatsanwalt, Bern; Perugini Antonio, stv. Generalstaatsanwalt Kt. TI; Rohner Christoph, Chef Abteilung Recht und Datenschutz, fedpol; Ruckstuhl Niklaus, Rechtsanwalt, Allschwil und Professor Universität Basel; Schaer Christine, Gerichtspräsidentin Regionalgericht Bern-Mittelland; Schläppi Sarah, Rechtsanwältin, Bern; Sträuli Bernhard, Professor Universität Genf; Thormann Olivier, Leitender Staatsanwalt, Bundesanwaltschaft; Zuber Thomas, Kommandant Kantonspolizei Solothurn. Die Bezeichnung der Funktionen der aufgeführten Personen bezieht sich auf die Zeit der Tätigkeit der Arbeitsgruppe.

SR 312.5

6708

BBl 2019

und in Interviews befragt. Der Schlussbericht der Universität Bern, Institut für Strafrecht und Kriminologie (ISK),8 enthält sechs Empfehlungen zu Gesetzesänderungen, durch welche die Position von Opfern in Strafverfahren verbessert werden könnte. Der Bundesrat hat am 23. November 2016 entsprechende Aufträge erteilt. 9

2.2

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Am 1. Dezember 2017 beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), ein Vernehmlassungsverfahren über den Vorentwurf zur Änderung der Strafprozessordnung durchzuführen. Die Vernehmlassung dauerte bis am 14. März 2018.10 Im Rahmen der Vernehmlassung gingen 66 Stellungnahmen ein.

27 Vernehmlassungsteilnehmende befürworteten eine Revision der StPO, äusserten sich aber kritisch zum Inhalt der Vernehmlassungsvorlage. 11 Das Ziel, die Praxistauglichkeit der StPO zu verbessern, werde nicht erreicht. Denn die Vorlage beschränke sich nicht auf diejenigen Bestimmungen, die der Praxis Probleme bereiteten, sondern führe viele neue formelle Vorschriften ein, welche der Praxistauglichkeit abträglich seien. Viele Bestimmungen seien kompliziert, verursachten Mehraufwand, verlängerten die Verfahren und behinderten so eine wirksame Strafverfolgung. Durch die Revision nehme der formalistische Aufwand zu.

Die Vorlage bringe zwar punktuelle Verbesserungen, in der Summe jedoch eine deutliche Verschlechterung. Die Kantone würden die hauptsächlichen finanziellen Lasten tragen, welche durch die Umsetzung der Aufgabe der Strafverfolgung entstehen. Dies habe der Gesetzgeber zu berücksichtigen. Man stehe denjenigen Änderungsanliegen kritisch gegenüber (resp. lehne sie ab), die ­ ohne bedeutende Vorteile für das rechtsstaatliche Verfahren zu haben ­ markanten personellen und/oder finanziellen Mehraufwand generierten.

4 Vernehmlassungsteilnehmende lehnten die Vorlage insgesamt ab. Dies insbesondere mit der Begründung, die Revision schwäche die Waffengleichheit zusätzlich.

Die Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden würden zulasten der Verteidigungsrechte und der Justiz erweitert. Notwendige Reformen seien unterlassen worden, so zum Beispiel im Bereich des Präventionsstrafrechts, des Strafbefehlsverfahrens und des abgekürzten Verfahrens. Schliesslich würden ständige Revisionen die Rechtsbeständigkeit gesetzgeberischer Erlasse untergraben; dies sei der Rechtssicherheit nicht dienlich.12 Darüber hinaus wurden diverse Änderungsvorschläge von der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden im Grundsatz begrüsst. So namentlich die Neuerungen 8 9 10

11 12

Schlussbericht 2015.

Medienmitteilung 2016.

Die Vernehmlassungsunterlagen (insbes. Vorentwurf und erläuternder Bericht) sowie der Vernehmlassungsbericht sind zu finden unter www.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2017 > EJPD.

Vernehmlassungsbericht, S. 1.

Vernehmlassungsbericht, S. 2.

6709

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im Zusammenhang mit der technischen Aufzeichnung von Einvernahmen, 13 die Revision der Teilnahmerechte14 und des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr,15 die Einführung der Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts,16 die Möglichkeit bei Ehrverletzungsdelikten einen Kostenvorschuss verlangen17 und im Strafbefehlsverfahren über gewisse Zivilforderungen entscheiden zu können.18 Zusammenfassend ergab die Vernehmlassung eine überwiegende, grundsätzliche Zustimmung zur Revision. Gleichzeitig wurde aber verlangt, die Revision solle sich auf jene Punkte beschränken, die in der Praxis tatsächlich Schwierigkeiten bereiten.

Ein wichtiges Anliegen war zudem, dass die Änderungen möglichst keinen zusätzlichen Aufwand für die rechtsanwendenden Behörden und keine Verlängerung von Verfahren zur Folge haben.

3

Grundzüge der Vorlage

3.1

Die beantragte Neuregelung

Bei der Überarbeitung des Vorentwurfs galt das Augenmerk zwei generellen Kritikpunkten aus der Vernehmlassung: Zum einen sollte sich die Revision auf jene Punkte beschränken, die in der Praxis tatsächlich Schwierigkeiten bereiten. Zum andern sollten die Änderungen möglichst keinen zusätzlichen Aufwand für die rechtsanwendenden Behörden und keine Verlängerung von Verfahren zur Folge haben.

Die Beherzigung dieser beiden Prämissen führte zu einer Reduktion des Umfangs der Revision.

Die gewichtigsten Änderungen werden nachfolgend kurz dargestellt. Darüber hinaus wird auf die Kommentierung der entsprechenden Artikel verwiesen (vgl. unten Ziff. 4).

13

14

15 16 17 18

AG, AI, AR, BE, BS, FR, GR, JU, LU, NW, OW, SG, SH, SO, SZ, TG, TI, VD, ZG, ZH, glp, SP, SVP, BA, BStrGer, DJS, FIZ, Juristinnen, KKJPD, KKPKS, SAV, SKG, SODK, SSV, Strafverteidiger, sgv, SVR, SVSP, UNIBE, UNIGE, UNINE, VSPB.

AG, AI, AR, BE, BL, BS, FR, GE, GL, GR, LU, JU, NE, NW, OW, SG, SH, SO, SZ, TG, TI, VD, VS,UR, ZG, ZH, SP, FDP, glp, SVP, BA, BGer, DJS, FIZ, Juristinnen, KKJPD, KKPSK, ODA, OG SH, SAV, sgv, SKG, SSK, SSV, Strafverteidiger, SVSP, VSPB, UNIBE, UNIGE, UNINE, Arbenz.

AG, AI, AR, BE, BL, FR, GE, GR, JU, NE, NW, OW, SG, SH, SZ, SO, TI, VD, ZH, glp, SP, BGer, KKJPD, KKPKS, ODA, SKG, SODK, SSK, SSV, SVSP, UNIGE.

AG, AI, AR, BS, FR, GR, NE, SG, SO, SZ, VD, BGer, KKJPD, KKPKS, SKG, SVSP, UNIGE, UNINE.

AI, AR, BL, BS, FR, GR, LU, NW, SG, SH, SZ, TG, TI, VD, ZG, ZH, glp, KKJPD, SKG, SSK, SVR.

AR, FR, GR, JU, SG, SO, SZ, VD, ZG, ZH, FIZ, KKJPD, KKPKS, Juristinnen, ODA, SODK, solidaritéS, SVSP, UNIBE, UNIGE, Arbenz.

6710

BBl 2019

3.1.1

Keine Ausnahmen vom Grundsatz der «doppelten Instanz»

Das Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 200519 (BGG) schreibt unter anderem für das Strafrecht im Grundsatz zwei kantonale gerichtliche Instanzen vor (Art. 80 Abs. 2 erster Satz BGG). Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen (vgl. z. B.

Art. 75 Abs. 2 Bst. b BGG). Mit Inkrafttreten der StPO am 1. Januar 2011 sind weitere Ausnahmen dazu gekommen (Art. 80 Abs. 2 dritter Satz BGG). Dies betrifft beispielsweise Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts oder des urteilenden Gerichts über die Entsiegelung, die stationäre Begutachtung oder die Zusicherung der Anonymität einer geschützten Person.

Diese von der StPO vorgesehenen Ausnahmen belasten das Bundesgericht zusätzlich und übertragen diesem Aufgaben einer ersten Rechtsmittelinstanz. Dies widerspricht der primären Aufgabe des Bundesgerichts als höchstem Gericht, letztinstanzlich Rechtsfragen zu beantworten und die einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten.20 Der Bundesrat hat deshalb schon im Entwurf für die Änderung des Bundesgerichtsgesetzes und der dazugehörigen Botschaft vom 15. Juni 201821 vorgeschlagen, die Ausnahmen in der StPO aufzuheben.

Von diesem erst vor kurzem gefällten Entscheid soll nicht abgewichen werden. Der Entwurf zur Revision der Strafprozessordnung enthält deshalb die gleichen Änderungen wie der Entwurf zur Revision des Bundesgerichtsgesetzes. Damit lässt sich sicherstellen, dass der Grundsatz der «double instance» im Bereich des Strafprozesses verwirklicht wird, unabhängig davon, welche der beiden Revisionsvorlagen zuerst verabschiedet wird oder in Kraft tritt.

Die Umsetzung des Anliegens führt zu Anpassungen in den Artikeln 40 Absatz 1, 59 Absatz 1, 125 Absatz 2, 150 Absatz 2 zweiter Satz, 186 Absatz 2 zweiter Satz und Absatz 3, 248 Absatz 3, 393 Absatz 1 Buchstabe c und 440 Absatz 3 (s. unten, Ziff. 4).

3.1.2

Ausweitung der Aufzeichnung von Einvernahmen mit technischen Hilfsmitteln

Das geltende Recht verlangt, dass Einvernahmen sinngemäss und laufend protokolliert werden; das Protokoll muss also während der Einvernahme erstellt werden.

Daran änderte auch eine Revision von Artikel 78 nichts.

Zwar kann seit dem Jahre 2013 darauf verzichtet werden, der einvernommenen Person das Protokoll vorzulesen oder zum Lesen vorzulegen und von ihr unterschreiben zu lassen, wenn die Einvernahme aufgezeichnet wurde. Allerdings beschränkt sich diese Möglichkeit auf das Hauptverfahren und entbindet nicht von der laufenden Protokollierung während der Einvernahme.

19 20 21

SR 173.110 Erläuternder Bericht 2015, Ziff. 2.4.

BBl 2018 4605

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Die heutige Regelung erscheint mindestens in zweierlei Hinsicht zu restriktiv: Zum einen beschränken sich die Erleichterungen auf die Hauptverhandlung, obschon Protokolle aus dem Vorverfahren regelmässig den grösseren Teil ausmachen dürften. Zum andern vermag nicht recht zu überzeugen, weshalb die Erstellung eines schriftlichen Protokolls nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt, gestützt auf die Aufzeichnungen, zulässig sein sollte.

Deshalb schlägt der Entwurf vor, die Verpflichtung zur laufenden Protokollierung während der aufgezeichneten Einvernahme aufzuheben: Wird eine Einvernahme aufgezeichnet, so kann ein Protokoll auch nachträglich erstellt werden. Dieses hat ­ soweit es nicht um entscheidende Fragen oder Antworten geht (vgl. Art. 78 Abs. 3) ­ bloss sinngemäss zu sein; eine wörtliche Transkription der Aufzeichnung ist also nicht gefordert. Diese Regelung soll neu auch im Vorverfahren gelten.

Verzichtet wird hingegen darauf, die Aufzeichnung aller Einvernahmen obligatorisch zu erklären. Mit einer solchen Regelung liesse sich zwar eine schweizweit einheitliche Praxis sicherstellen, allerdings mit Kostenfolgen für die Kantone, müssten sie doch für die Beschaffung der für die Aufzeichnungen nötigen Infrastruktur sorgen. Zudem könnte ein Obligatorium insofern über das Ziel hinausschiessen, als sich in einfachen, kleinen Fällen die heutige Regelung mit der laufenden, sinngemässen Protokollierung ohne Aufzeichnung durchaus als angemessen erweisen kann.

Der Entwurf verzichtet aber auch darauf, die blosse Aufzeichnung ohne nachträgliche Verschriftlichung zuzulassen. Auf den ersten Blick könnte dies zwar zu einer Kostenminderung für die Kantone führen, der Gewinn wäre aber bloss ein scheinbarer: Denn statt des Studiums der Akten müssten die Mitglieder des urteilenden Gerichts, das Zwangsmassnahmengericht, die Verteidigung und die Vertreter der anderen Parteien mit grossem Zeitaufwand Aufzeichnungen abhören und sich dazu persönliche Notizen machen. Insgesamt könnten diese Aufwendungen durchaus zu höheren Kosten führen als sie sich durch den Verzicht auf Verschriftlichung der Aufzeichnungen einsparen liessen.

3.1.3

Vorverschiebung des Zeitpunktes zur Bezifferung und Begründung der Zivilklage

Die Diskussionen in der Arbeitsgruppe haben eine Problematik aufgezeigt, mit der sich vor allem die erstinstanzlichen Gerichte und die Verteidigung häufig konfrontiert sehen: Die heutige Regelung erlaubt es der Privatklägerschaft, ihre Zivilansprüche erst in einem späten Stadium des Verfahrens zu beziffern und zu begründen, nämlich im Parteivortrag in der Hauptverhandlung (Art. 123 Abs. 2 StPO). Dies führt dazu, dass sich das Gericht und die Verteidigung erst in der Hauptverhandlung mit unter Umständen umfangreichen Dokumenten konfrontiert sehen, welche die geltend gemachten Zivilansprüche belegen sollen. Namentlich für die Verteidigung ist es in solchen Situationen oftmals unmöglich, sich mit den Ansprüchen und den Belegen mit der erforderlichen Sorgfalt auseinanderzusetzen und sie zu prüfen. Als einziges bleibt die pauschale Bestreitung der geltend gemachten Ansprüche. Das urteilende Gericht befindet sich in der gleichen Situation und kann die Zivilklage 6712

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höchstens dem Grundsatz nach beurteilen und muss sie im Übrigen auf den Zivilweg verweisen. Ein solches Vorgehen liegt weder im Interesse der Parteien, welche sich erneut einem Gerichtsverfahren zu stellen haben, noch in jenem der Prozessökonomie.

Deshalb schlägt der Entwurf vor, dass die Privatklägerschaft ihre Zivilforderung zu einem früheren Zeitpunkt als nach geltendem Recht zu beziffern und zu begründen hat.

Der Vorentwurf legte diesen Zeitpunkt noch mit dem Abschluss der Untersuchung fest. In der Vernehmlassung erwuchs dieser Regelung allerdings Kritik; sie wurde für nicht anwaltlich vertretene Geschädigte als zu streng beurteilt. Deshalb schlägt der Bundesrat nunmehr vor, dass die Privatklägerschaft ihre Zivilklage innerhalb der Frist zu beziffern und zu begründen hat, welche die Verfahrensleitung im Hauptverfahren für das Stellen von Beweisanträgen ansetzt.

Dieser Zeitpunkt für die Begründung und Bezifferung der Zivilklage ist zwar immer noch relativ spät, ermöglicht aber dennoch, dass sich die Gegenpartei und das Gericht fundiert mit den Zivilansprüchen auseinandersetzen können.

3.1.4

Teilnahmerechte

Die Regelung der Teilnahmerechte ist der wohl am häufigsten kritisierte Punkt des geltenden Rechts. Denn heute haben die Parteien das Recht, an allen Beweiserhebungen teilzunehmen, insbesondere auch an Einvernahmen von Zeugen und im gleichen Verfahren mitbeschuldigten Personen (Art. 147 StPO). Gerade die Teilnahme an der Einvernahme Letzterer führt in der Praxis zu Problemen, indem die an der Einvernahme teilnehmende mitbeschuldigte Person von Aussagen der anderen einvernommenen mitbeschuldigten Person Kenntnis erhält, unter Umständen bevor sie selber zum fraglichen Sachverhalt befragt wurde. Dadurch kann die teilnehmende Person ihre späteren Aussagen auf jene der bereits einvernommenen abstimmen.

Ausserdem privilegiert das Teilnahmerecht jene beschuldigte Person, die zuerst einvernommen wird. Denn nur sie kann ein spontanes Geständnis ablegen und bei der Strafzumessung vom sogenannten Geständnisrabatt profitieren. Dagegen wird sich die später einvernommene Person dem Einwand ausgesetzt sehen, sie habe ihr Geständnis bloss deshalb abgelegt, weil sie durch die Teilnahme an der Einvernahme vom Geständnis der früher einvernommenen Person Kenntnis erhalten habe.

Die Praxis behilft sich teilweise damit, dass sie ein Verfahren gegen mehrere Mitbeschuldigte auftrennt (Art. 30 StPO) und somit den mitbeschuldigten Personen die Parteistellung und somit das Teilnahmerecht an Beweiserhebungen im Verfahren gegen die anderen mitbeschuldigten Personen entzieht. Ein solches Vorgehen erscheint vor dem Grundsatz der Verfahrenseinheit bei Mittäterschaft oder Teilnahme (Art. 29 StPO) allerdings problematisch. Auch die andere, mitunter praktizierte Vorgehensweise, die Reihenfolge der Einvernahmen nach den mutmasslichen Kenntnissen der einzuvernehmenden Personen zum fraglichen Sachverhalt festzulegen, bietet keine befriedigende Lösung. Denn vor der Einvernahme ist nicht bekannt, was die einzuvernehmende Person weiss und sagen wird.

6713

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Trotz dieser Kritik aus der Praxis ist die besondere Bedeutung des Teilnahmerechts in Erinnerung zu rufen. Der Entscheid für ein weitgehendes Teilnahmerecht war beim Erlass der Strafprozessordnung ein ganz bewusster: Wie auch das Bundesgericht festgehalten hat, bilden die gegenüber der früheren Rechtslage gestärkten Partei- und Teilnahmerechte einen «vom Gesetzgeber angestrebten Ausgleich zu der in der neuen StPO (ebenfalls bewusst) ausgebauten starken Stellung der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren».22 Dieses durch den Gesetzgeber angestrebte Gleichgewicht zwischen den Parteien ist zu wahren. Überdies tragen ausgebaute Teilnahmerechte dem Umstand Rechnung, dass im Hauptverfahren bloss eingeschränkte Unmittelbarkeit herrscht (vgl. Art. 343 Abs. 3 StPO), die nochmalige Erhebung von im Vorverfahren bereits erhobenen Beweisen also eingeschränkt ist.

Diese beiden Aspekte ­ die Anliegen der Praxis und der Sinn des weitgehenden Teilnahmerechts ­ führen zwar zu einer Einschränkung des Teilnahmerechts, die jedoch massvoll sein soll. Der mitunter erhobenen Forderung, das Teilnahmerecht auf das von der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 195023 (EMRK) verlangte Minimum zu beschränken, wird deshalb eine Absage erteilt.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist dem Anspruch der beschuldigten Person, Belastungszeugen (wozu auch Mitbeschuldigte gehören) zu konfrontieren (Art. 6 Abs. 3 Bst. d EMRK) Genüge getan, wenn die beschuldigte Person oder ihre Verteidigung im Laufe des Verfahrens ein Mal eine angemessene und geeignete Gelegenheit erhalten hat, von ihrem Konfrontationsrecht Gebrauch zu machen. Eine Beschränkung auf das EMRKMinimum würde der ­ aufgrund der Struktur der StPO ­ besonderen Bedeutung der Teilnahmerechte nicht gerecht und wäre mit dem Grundkonzept, das hinter der StPO steht, nicht vereinbar. Es ist denn auch nicht etwa so, dass das Teilnahmerecht unter der Geltung kantonaler Prozessordnungen auf das EMRK-Minimum beschränkt gewesen wäre. Vielmehr war die Rechtslage in den meisten Kantonen so, dass eine mitbeschuldigte Person von der Einvernahme einer anderen mitbeschuldigten Person ausgeschlossen werden durfte, wenn die Befragung sich auf Sacherhalte bezog, zu denen der noch nicht einvernommenen mitbeschuldigten Person noch kein Vorhalt
gemacht werden konnte.24 Eine Einschränkung der Teilnahmerechte über das nunmehr Vorgeschlagene hinaus würde nach Ansicht des Bundesrates zu einer Störung der erwähnten Balance zwischen der strukturell starken Stellung der Staatsanwaltschaft und den Rechten der Parteien führen, die durch besondere Massnahmen auszugleichen wäre (bspw. durch eine Verstärkung der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung, eine Einschränkung des Strafbefehlsverfahrens25 oder einen Ausbau der Möglichkeit der Beschwerde gegen abgewiesene Beweisanträge).

Der Entwurf knüpft deshalb an die erwähnte frühere Rechtslage in den Kantonen an und sieht konkret vor, dass das Teilnahmerecht der beschuldigten Person so lange eingeschränkt werden kann, wie sie sich zum Thema der Einvernahme noch nicht

22 23 24 25

BGE 139 IV 25 E. 5.3.

SR 0.101 BGE 139 IV 25 E. 5.5.4.1.

So die Vorschläge von Weder, forumpoenale 2016, S. 282.

6714

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selber geäussert hat. Diese Einschränkungsmöglichkeit gilt nicht nur bei Einvernahmen mitbeschuldigter, sondern aller Personen (z. B. Zeugen).

3.1.5

Präzisierung der Voraussetzungen für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr

Zwar hat die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden den Vorschlag des Vorentwurfs begrüsst, wonach das Vortatenerfordernis auf eine einzige Straftat beschränkt werden soll. Da es sich beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr in erster Linie um Präventivhaft handelt und diese einen schweren Eingriff in die persönlichen Rechte der betroffenen Person bedeutet, hat der Bundesrat aus rechtsstaatlichen Gründen entschieden, am Erfordernis mehrerer Vortaten gemäss geltendem Recht festzuhalten.

Hingegen soll auf der Basis der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Haftgrund wegen qualifizierter Wiederholungsgefahr eingeführt werden, so wie dies in der Vernehmlassung gefordert wurde. Dieser Haftgrund verzichtet zwar in gewissen Fällen gänzlich auf das Erfordernis einer Vortat, ist jedoch an restriktive Voraussetzungen gebunden.

3.1.6

Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts

Da es ­ wie oben in Ziffer 3.1.1 erwähnt ­ keine Ausnahmen vom Grundsatz der doppelten Instanz mehr geben soll, sollen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts nicht nur von der beschuldigten Person, sondern auch von der Staatsanwaltschaft angefochten werden können.

Damit wird auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts in die StPO überführt.

Dieses hatte bereits kurz nach Inkrafttreten der StPO in einem Grundsatzentscheid festgehalten, dass das Recht, Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts über die Untersuchungs- und Sicherheitshaft mit Beschwerde anzufechten, nicht nur der beschuldigten Person, sondern auch der Staatanwaltschaft zustehe; dies entgegen dem Wortlaut der StPO.26 Für die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen erstmalige Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts soll jedoch nicht das ordentliche, sondern ein beschleunigtes Beschwerdeverfahren gelten (Art. 226a). Dies um insbesondere den Fristvorgaben des übergeordneten Rechts sowie dem Beschleunigungsgebot (Art. 5 Abs. 2 StPO) Rechnung zu tragen.

26

BGE 137 IV 22

6715

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3.1.7

Voraussetzungen zur Erstellung von DNA-Profilen

Artikel 255 Absatz 1 StPO bestimmt, dass zur Aufklärung eines Verbrechens oder Vergehens [...] eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden kann.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf ein DNA-Profil nicht nur erstellt werden, um jene Tat aufzuklären, um derentwillen das Verfahren geführt wird (sog.

Anlasstat), sondern auch, um mögliche zukünftige und eventuell bereits begangene, aber bislang noch nicht bekannte Straftaten der beschuldigten Person aufzuklären.

Unzulässig ist es gemäss Bundesgericht allerdings, von beschuldigten Personen routinemässig ein DNA-Profil zu erstellen, einzig, weil diese in ein Strafverfahren verwickelt sind.

In der Vernehmlassung wurden zu dieser Bestimmung divergierende Änderungsanliegen vorgebracht: Einzelne Vernehmlassungsteilnehmende verlangten im Gesetz festzuschreiben, dass DNA-Proben ausschliesslich zur Aufklärung der Anlasstat abgenommen werden dürften. Andere forderten, die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts zu kodifizieren, wonach eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügte, dass eine beschuldigte Person in andere Delikte einer gewissen Schwere verwickelt sein könnte.27 Der Entwurf legt nun ausdrücklich die Voraussetzungen fest, unter denen ein DNAProfil erstellt werden darf, wenn es zur Aufklärung der Anlasstat zwar nicht erforderlich ist, aber zur Aufklärung anderer begangener oder zukünftiger Straftaten gebraucht werden könnte (Art. 255 und 257).

3.1.8

Strafbefehlsverfahren

Der Entwurf hält ­ trotz der Kritik in der Vernehmlassung ­ in bestimmten Fällen an einer Einvernahmepflicht vor Erlass eines Strafbefehls fest (Art. 352a).

Dieser Einvernahmepflicht liegt insbesondere folgender Aspekt zugrunde: Es geht darum, der beschuldigten Person dann das rechtliche Gehör (Ausfluss des Grundsatzes des fairen Verfahrens) zu gewähren, wenn es um eine relativ einschneidende Sanktion, eine zu verbüssende Freiheitsstrafe, geht. Im Rahmen der Einvernahme kann die beschuldigte Person nicht nur angehört, sondern es kann ihr auch der Inhalt des Strafbefehls (z. B. die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes) sowie seine Tragweite (z. B. Schuldspruch mit Eintrag in Strafregister) erklärt werden.28 Dies könnte zur Folge haben, dass die beschuldigte Person den Strafbefehl eher akzeptiert und deshalb auf eine Einsprache verzichtet.

Zwar könnte sich die beschuldigte Person ihr rechtliches Gehör an sich auch so verschaffen, dass sie gegen den Strafbefehl Einsprache erhebt. Dadurch wird die Staatsanwaltschaft zur Einvernahme der beschuldigten Person verpflichtet. 29 Allerdings ist dieser Weg zu einer Einvernahme nicht gleichwertig zu einer gesetzlich vorgesehenen Einvernahmepflicht. Zum einen dient die Möglichkeit der Einsprache 27 28 29

Vernehmlassungsbericht, S. 29.

Schwarzenegger in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 352 N. 5.

Daphinoff, Strafbefehlsverfahren, S. 343 f.; Thommen, Prozess, S. 80 f.

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nicht dazu, nachträglich Verfahrensgrundrechte wie zum Beispiel das rechtliche Gehör einzufordern, sondern sich gegen einen im Schuld- oder Bestrafungspunkt unangebrachten Strafbefehl zu wehren. Ausserdem müssen Verfahrensrechte von Amtes wegen gewährt werden; es obliegt nicht der betroffenen Person, diese über den Weg der Einsprache zu erstreiten. Überdies setzt sich die beschuldigte Person mit Anhebung des Einspracheverfahrens zusätzlichen Kostenrisiken und sogar der Gefahr der schwereren Bestrafung aus.30 Einzelne Kantone (z. B. ZH, SZ und SG) erachten eine Einvernahme in bestimmten Fällen als notwendig und haben entsprechende Weisungen erlassen. Das belegt, dass sich eine Einvernahmepflicht in der Praxis durchaus handhaben lässt. Vor dem Hintergrund, dass die Schweizerische Strafprozessordnung die Vereinheitlichung des Rechts und seiner Anwendung bezweckt, erscheint es angezeigt, eine schweizweit einheitliche Regelung einzuführen.

Im Vergleich zum Vorentwurf wurde die Pflicht zur Einvernahme jedoch eingeschränkt. Die Staatsanwaltschaft soll die beschuldigte Person nur noch dann zwingend einvernehmen müssen, wenn der beabsichtige Strafbefehl eine zu verbüssende Freiheitsstrafe zur Folge hat (unbedingte, teilbedingte oder widerrufene bedingte Freiheitsstrafe).

Des Weiteren soll es der Staatsanwaltschaft künftig möglich sein, gewisse Zivilforderungen im Strafbefehl zu beurteilen, so wie dies im Jugendstrafprozess bereits der Fall ist (Art. 353 Abs. 2).

Schliesslich schlägt der Entwurf die Überführung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Einsprachelegitimation der Privatklägerschaft ins Gesetz vor. Das Bundesgericht räumt der Privatklägerschaft die Einsprachelegitimation ein, wenn sie in einer analogen Situation gemäss Artikel 382 Absatz 1 StPO legitimiert wäre, ein Rechtsmittel zu ergreifen (Art. 354 Abs. 1 Bst. bbis und Abs. 1ter).

3.1.9

Sicherheitshaft im Zusammenhang mit dem Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden

In der geltenden StPO ist die vollzugsrechtliche Sicherheitshaft im Zusammenhang mit einem Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden nicht explizit geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist diese zulässig; dies in analoger Anwendung der Bestimmungen zur Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Art. 229­233 i.V.m. 221 und 220 Abs. 2 StPO).31 Aus rechtstaatlichen Gründen soll jedoch eine explizite Regelung ­ ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichts ­ in der StPO geschaffen werden (Art. 365b).

30 31

Thommen, Prozess, S. 79 f.

BGE 137 IV 333 E. 2; Urteile des Bundesgerichts vom 27. Jan. 2012 1B_6/2012; vom 3. Mai 2013 1B_146/2013; vom 11. Nov. 2016 1B_371/2016.

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Im Jahre 2010 wurde die Motion 09.3443 (Sommaruga Carlo, Rückversetzung von verurteilten Personen) an den Bundesrat überwiesen. Er wurde im Wesentlichen damit beauftragt, im Hinblick auf die Rückversetzung von verurteilten Personen in den Straf- und Massnahmenvollzug zu prüfen, ob die StPO dahingehend geändert werden soll, dass in dringenden Fällen ­ und insbesondere zum Schutz der Öffentlichkeit ­ die Administrativbehörden einen provisorischen Entscheid betreffend Rückversetzungsmassnahmen (Haft) fällen können.

Der Bundesrat schlägt in Umsetzung dieser Motion eine Regelung vor, wonach die Behörde, die für die Einleitung des Verfahrens auf Erlass eines nachträglichen gerichtlichen Entscheides zuständig ist, vollzugsrechtliche Sicherheitshaft anordnen können soll, und zwar unter den weitestgehend gleichen Voraussetzungen wie das für den Entscheid zuständige Gericht (Art. 365a).

3.2

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Die vorgeschlagenen Änderungen beschränken sich weitestgehend auf jene Bereiche, bei denen das geltende Recht in der Anwendung zu Schwierigkeiten oder ungewollten Ergebnissen führt. Hingegen wird darauf verzichtet, Regelungen oder Institute zu ändern oder abzuschaffen, die zwar in der Kritik stehen (beispielsweise das abgekürzte Verfahren), sich in der täglichen Strafrechtspraxis jedoch bewähren.

Somit wird auch die Grundstruktur der StPO beibehalten und bewusst getroffene, frühere Entscheide des Gesetzgebers werden nicht zur Disposition gestellt.

3.3

Regelungsverzichte

3.3.1

Vorschläge Vorentwurf

Der Entwurf verzichtet auf diverse Bestimmungen, die im Vorentwurf vorgeschlagen wurden. Nachfolgend werden insbesondere diejenigen kurz dargestellt, welche in der Vernehmlassung die stärkste Kritik erfahren haben.

Publikation unzustellbarer Strafbefehle im Amtsblatt (Art. 88 Abs. 4 VE-StPO) Der Vorschlag, wonach bei unzustellbaren Strafbefehlen die gleichen Regeln der Veröffentlichung wie für Urteile oder andere Entscheide gelten sollen, wurde von der überwiegenden Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich dazu geäussert haben, kritisiert. Es wird insbesondere vorgebracht, dass die unzustellbaren Strafbefehle ­ selbst bei einer Publikation im Amtsblatt ­ trotzdem nicht zur Kenntnis genommen würden. Die Publikationspflicht generiere daher keinen Mehrwert für die verurteilte Person, sondern nur einen hohen finanziellen und personellen Mehraufwand für die Strafverfolgungsbehörden.32 Diese Einwände sind nachvollziehbar, weshalb der Entwurf auf die Einführung einer Publikationspflicht bei unzustellbaren Strafbefehlen verzichtet.

32

Vernehmlassungsbericht, S. 5 f.

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Notwendige Verteidigung bei Auftritt der Staatsanwaltschaft vor dem Zwangsmassnahmengericht (Art. 130 Bst. d VE-StPO) Der Entwurf verzichtet aufgrund der überzeugenden Kritik der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden des Weiteren auf die im Vorentwurf vorgeschlagene Regelung, den Auftritt der Staatsanwaltschaft vor dem Zwangsmassnahmengericht als Fall einer notwendigen Verteidigung vorzusehen. In der Vernehmlassung wurde geltend gemacht, dass solche Fälle selten seien, weil bereits aus anderen Gründen eine notwendige Verteidigung bestellt werden müsse. Würden diese Gründe nach dem Auftritt der Staatsanwalt vor dem Zwangsmassnahmengericht nicht mehr vorliegen, müsse die notwendige Verteidigung sogleich wieder abbestellt werden.

Dies sei ein unnötiger Kostentreiber, der keinen Mehrwert für die beschuldigte Person generiere.33 Honorar der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 1 zweiter Satz VE-StPO) Aufgrund der überwiegend ablehnenden Stimmen in der Vernehmlassung verzichtet der Bundesrat auf die Regelung, wonach die amtliche Verteidigung im Fall eines Freispruchs oder der Verfahrenseinstellung Anspruch auf ein höheres Honorar haben soll. Begründet wird die Ablehnung vor allem damit, dass die amtliche Verteidigung kein Inkassorisiko trage. Auch können zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmende nicht nachvollziehen, warum das Honorar vom Verfahrensausgang abhängig gemacht und damit eine Art Erfolgshonorar geschaffen werden solle.34 Zuständigkeitsordnung aufgrund Befangenheit bei Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Art. 230 Abs. 3 und 4, Art. 231 Abs. 2, Art. 223, Art. 233 VE-StPO) Die im Vorentwurf vorgeschlagene Trennung der Haft- und Sachrichterfunktion wurde in der Vernehmlassung von der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden kritisiert.35 Da auch das Bundesgericht die Personalunion von Haft- und Sachrichterfunktion nie beanstandet hat und die Praxistauglichkeit des geltenden Rechts nicht in Frage steht, sieht der Entwurf von einer Änderung der entsprechenden Bestimmungen ab.

Strafbefehlsverfahren (Art. 352 Abs. 1 Einleitungssatz, 1bis und 3, Art. 353 Abs. 2, Art. 354 Abs. 1ter VE-StPO) Die im Vorentwurf vorgeschlagenen Anpassungen im Bereich des Strafbefehlsverfahrens wurden in der Vernehmlassung sehr stark kritisiert. Der Bundesrat verzichtet daher auf die Änderung der nachfolgenden Bestimmungen:
Der basierend auf dem Evaluationsbericht zum OHG gemachte Vorschlag, die Strafbefehlskompetenz bei Opferbeteiligung einzuschränken (vgl. Art. 352 Abs. 1, 1bis und 3 VE-StPO), wurde von einer sehr deutlichen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden nicht unterstützt. Es wurde insbesondere geltend gemacht, die Gründe für die Einschränkung divergierten mit den Erfahrungen in der Praxis. Es gebe ausserdem nicht nur Opfer beispielsweise häuslicher oder sexueller Gewalt, 33 34 35

Vernehmlassungsbericht, S. 7.

Vernehmlassungsbericht, S. 8.

Vernehmlassungsbericht, S. 14 f.

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sondern eine Vielzahl anderer Opfer, deren Interessen es auch zu berücksichtigen gelte. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, warum Opfer anders zu behandeln seien als Geschädigte. Schliesslich bestünde die Gefahr, dass tiefere Strafen verhängt würden, nur um ­ aus Kosten- und Effizienzgründen ­ ein ordentliches Verfahren zu vermeiden.36 Stark kritisiert wurde zudem der Vorschlag, eine verlängerte respektive differenzierte Einsprachefrist vorzusehen (vgl. Art. 354 Abs. 1ter VE-StPO). Eine verlängerte Einsprachefrist wäre ­ wie dies in der Vernehmlassung zu Recht geltend gemacht wurde ­ im Vergleich zu den anderen Rechtsmittelfristen systemwidrig. Differenzierte Einsprachefristen würden zudem zu Rechtsunsicherheiten und ­ aufgrund der erschwerten Rechtskraftkontrolle ­ zu unnötigem Mehraufwand führen.37 Rückzugsfiktion (Art. 355 Abs. 2 und Art. 356 Abs. 4 VE-StPO) Die Rückzugsfiktion wird aufgrund der überwiegend ablehnenden Stimmen in der Vernehmlassung nicht gestrichen. Dies weil sich die Rückzugsfiktion ­ gemäss Ergebnis der Vernehmlassung ­ in der Praxis bewähre und die restriktive Praxis des Bundesgerichts den rechtsstaatlichen Bedenken genügend Rechnung trage. 38 Verschlechterungsverbot (Art. 391 Abs. 2 erster Satz VE-StPO) Der Bundesrat verzichtet auf die im Vorentwurf vorgeschlagene Präzisierung des Verschlechterungsverbots. Der Vorschlag wurde von der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden abgelehnt; dies insbesondere mit der Begründung, dass der Vorschlag zu neuen Ungereimtheiten führe. Zudem wird die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Verschlechterungsverbot als angemessen erachtet.39 Verrechnung von Verfahrenskosten mit Genugtuungsansprüchen (Art. 442 Abs. 4 VE-StPO) Der aus der parlamentarischen Initiative 13.466 (Verrechnung der Gerichtskosten mit den Genugtuungsansprüchen aufgrund rechtswidrig angewandter Zwangsmassnahmen) der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates stammende Vorschlag, wonach die Strafbehörden die Verfahrenskosten mit den Genugtuungsansprüchen der zahlungspflichtigen Person verrechnen können sollen, wird von der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden abgelehnt. Dies mit der Begründung, dass die Genugtuung ein Zeichen der Wiedergutmachung für erlittene Unbill darstelle. Der Staat solle seine diesbezügliche Verantwortung wahrnehmen.40 Der Bundesrat ist der Meinung, dass diese Auffassung sachgerecht ist; er verzichtet daher auf eine Anpassung des geltenden Rechts.

36 37 38 39 40

Vernehmlassungsbericht, S. 19.

Vernehmlassungsbericht, S. 21.

Vernehmlassungsbericht, S. 21.

Vernehmlassungsbericht, S. 23.

Vernehmlassungsbericht, S. 24 f.

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3.3.2

Forderungen aus der Vernehmlassung

In der Vernehmlassung wurden zu zahlreichen Bestimmungen der StPO Änderungsanliegen vorgebracht.41 Nachfolgend wird der Verzicht auf die wichtigsten dieser Anliegen begründet.

Gesetzliche Grundlage für Internetfahndung (Art. 211 StPO) Diverse Vernehmlassungsteilnehmende fordern, in der StPO eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, Fahndungen durch Publikation auf dem Internet durchzuführen (sog. Internetfahndung.) Dabei soll die Regelung in der Sache der Empfehlung der Schweizerischen Staatsanwältekonferenz (SSK)42 für die Öffentlichkeitsfahndung folgen.43 Der Bundesrat sieht jedoch aus folgenden Überlegungen nach wie vor davon ab, eine solche Grundlage in der StPO zu verankern: Das geltende Recht enthält eine gesetzliche Grundlage für die Fahndung, welche auch für die Internetfahndung gilt (Art. 211 i.V.m. Art. 197 und 74 StPO).44 Angesichts des raschen technologischen Fortschritts ist es nicht sinnvoll, eine detaillierte Regelung explizit für die Internetfahndung im Gesetz zu erlassen. Die Empfehlung der SSK erscheint dem Bundesrat hierfür besser geeignet; mit einer solchen kann auch rasch auf technische Entwicklungen reagiert werden.

«Justice restaurative» In der Vernehmlassung regten fünfzehn Teilnehmende die Einführung der sogenannten «justice restaurative» im Erwachsenenstrafverfahren an. Begründet wird dies mit positiven Erfahrungen im Ausland, in einigen Kantonen und im Jugendstrafverfahren.45 Nach der Vorstellung der Vernehmlassungsteilnehmenden soll die «justice restaurative» als Alternative zur Konfliktbewältigung im Rahmen der bekannten Strafjustiz vorgesehen werden. Sie solle deshalb für alle Delikte ungeachtet ihrer Schwere möglich sein. Neben dieser Weite des Anwendungsbereichs sollen auch die Rechtsfolgen eines gelungenen Prozesses der «justice restaurative» nicht näher umschrieben werden, sondern der Rechtsanwendung überlassen bleiben.

Dem Schweizerischen Strafrecht ist die Idee der «justice restaurative» keineswegs fremd. Denn Artikel 53 StGB («Wiedergutmachung») will die «Aussöhnung straffälliger Menschen mit dem Geschädigten»46 erreichen und erlaubt im Falle erfolgreicher Aussöhnung den Verzicht auf die Weiterführung eines Strafverfahrens oder auf eine Bestrafung.

Allerdings beschränkt sich die Möglichkeit der Wiedergutmachung auf Straftaten, für welche eine bedingt vollziehbare Strafe in Betracht kommt. Vor kurzem haben 41 42 43 44

45 46

Vernehmlassungsbericht, S. 28 ff.

Abrufbar unter: www.ssk-cps.ch > Empfehlungen > Empfehlung Öffentlichkeitsfahndung.

Vernehmlassungsbericht, S. 30.

Vgl. die Stellungnahmen des Bundesrates vom 21.08.2013 auf das Postulat 13.3428 Chopard-Acklin Max (Internetfahndung. Schweizweit Rechtssicherheit für die Polizei und Bürger schaffen) und vom 28.08.2013 auf die Motion 13.3587 Glanzmann-Hunkeler Ida (Internetfahndung vereinfachen).

Vernehmlassungsbericht, S. 31.

BSK-StGB Riklin, Art. 53 N 5.

6721

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die eidgenössischen Räte den Anwendungsbereich der Wiedergutmachung nach Artikel 53 StGB sogar eingeschränkt: Nunmehr setzt die Wiedergutmachung ein Geständnis und eine Schuldigerklärung der Täterin oder des Täters voraus und ist nur noch möglich, wenn keine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr in Betracht kommt.47 Die Einführung einer umfassenden «justice restaurative», wie sie in der Vernehmlassung verlangt wird, stünde zumindest in einem Spannungsverhältnis zu dieser jüngsten Entwicklung. Eine weite Regelung könnte aber generell zu Ungereimtheiten mit der Bestimmung zur Wiedergutmachung führen und deren Voraussetzungen unter Umständen leerlaufen lassen.

Deshalb kommt für den Bundesrat die Einführung einer umfassenden «justice restaurative» entsprechend den Forderungen aus der Vernehmlassung nicht in Betracht.

Denkbar wären allenfalls Bestimmungen, welche das Verfahren regeln, das zu einer Wiedergutmachung im Sinne von Artikel 53 StGB führen kann. Allerdings ergab sich weder aus den Diskussionen in der seinerzeitigen Arbeitsgruppe (dazu oben Ziff. 1.1.3) noch aus der Vernehmlassung oder anderer Quellen, dass das Fehlen solcher Regeln in der Praxis der Verfolgung und Beurteilung von Straftaten ein Problem darstellen würde. Im Gegenteil spricht die Tatsache, dass bloss zwei Kantone (Genf48 und Freiburg49) Regelungen der Mediation im Erwachsenenstrafverfahren vorsehen, dafür, dass kaum ein praktisches Bedürfnis nach einer einlässlicheren Regelung im Bundesrecht besteht.

Hingegen lässt sich beobachten, dass der Aussöhnung zwischen Opfern und Verursachern von Straftaten während des Strafvollzugs, also nach Abschluss des Verfahrens, erfreulicherweise zunehmende Bedeutung zukommt. In diesem Rahmen ist «justice restaurative» ohne neue bundesrechtliche Bestimmungen möglich.

«Aufgeschobene Anklageerhebung» In ihrer Vernehmlassungseingabe regte die Bundesanwaltschaft (BA) die Einführung eines neuen Instituts, der sogenannten aufgeschobenen Anklageerhebung, an.

Der Vorschlag präsentiert sich in seinen Grundzügen wie folgt: In Verfahren gegen ein Unternehmen soll die Staatsanwaltschaft nach dem Abschluss der Untersuchung mit dem Unternehmen eine Vereinbarung schliessen können anstatt Anklage beim Gericht zu erheben. In der Vereinbarung anerkennt das Unternehmen den Sachverhalt, der ihm zur Last gelegt
wird. Zudem einigt es sich mit der Staatsanwaltschaft über die Höhe einer zu bezahlenden Busse, die Einziehung und Beschlagnahme von Vermögenswerten sowie über Vorkehrungen, die es treffen muss, um den Organisationsmangel zu beheben, der der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zugrunde liegt, und um künftige Straftaten zu verhindern. Die 47

48 49

Bundesgesetz über die Änderung der Wiedergutmachungsregelung (Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendstrafgesetzes und des Militärstrafgesetzes) vom 14. Dezember 2018, Referendumsvorlage BBl 2018 7857 (Inkrafttreten per 1. Juli 2019).

www.ge.ch/justice > Comprendre la justice > Médiation > Médiation pénale.

www.fr.ch > Institutionen und politische Rechte > Justiz > Mediation im Gerichtsverfahren.

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Vereinbarung regelt zudem die zivilrechtlichen Ansprüche der Privatklägerschaft und legt einen Mechanismus fest, wie die Einhaltung der Vorkehrungen geprüft wird, die den Organisationsmangel beheben und künftige Straftaten verhindern sollen. Die Vereinbarung legt sodann eine Probezeit fest, innerhalb der das Unternehmen die Vereinbarung nicht verletzen darf. Erfüllt das Unternehmen die Vereinbarung, so wird das Strafverfahren eingestellt; verletzt es sie, so erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage beim Gericht.

Gemäss BA hat die Verurteilung eines Unternehmens nach geltendem Recht oftmals unerwünschte, volkswirtschaftlich schädliche Folgen, etwa indem dem Unternehmen wegen der Verurteilung die Geschäftstätigkeit im Ausland nicht mehr möglich ist.

Dagegen wäre mit der Aufklärung der Straftat, der Zahlung der vereinbarten Busse und der Erledigung der Nebenfolgen das begangene Unrecht ausgeglichen, ohne dass es noch eines Schuldspruchs bedürfte.

Der Bundesrat verkennt nicht, dass es aus Sicht der Staatsanwaltschaft wünschenswert erscheint, in komplexen Verfahren gegen Unternehmen Mittel zur raschen Erledigung zur Verfügung zu haben. Die von der BA vorgeschlagene Regelung würde jedoch zu Ungereimtheiten führen und wirft Fragen auf: Die vorgeschlagene Regelung würde die schon starke Stellung der Staatsanwaltschaft weiter ausbauen, ohne dass Gegengewichte oder auch nur Kontrollmechanismen (bspw. Erfordernis gerichtlicher Genehmigung, Rechtsmittel-Möglichkeiten) vorgesehen wären.

Das System des Strafrechts basiert darauf, dass sich Personen gerade deshalb regelkonform verhalten, weil ihnen das Strafrecht im Falle eines Regelverstosses Sanktionen androht. Dieses System würde einen Einbruch erleiden, wenn im Falle eines Regelverstosses von einer Strafverfolgung abgesehen würde und die beschuldigte Person dies durch Leistung einer Busse und das Versprechens künftigen Wohlverhaltens «erkaufen» könnte. Besonders problematisch wäre dies bei einer vorsätzlich begangenen Widerhandlung.

Nach geltendem Recht basiert jede Sanktion auf einem Schuldspruch; nach dem Vorschlag der BA könnte sich die beschuldigte Person zur Leistung einer Busse verpflichten, ohne dass auch ein Schuldspruch ergeht.

Der Vorschlag eröffnet die Möglichkeit von Absprachen über Sanktionen, Nebenfolgen, Zivilforderungen etc. zwischen
beschuldigter Person und Staatsanwaltschaft, ohne dass ein Gericht die Angemessenheit der getroffenen Vereinbarung überprüfen würde. Damit ginge die Regelung weiter als jene über das abgekürzte Verfahren.

Gemäss dem Vorschlag könnten sich die Staatsanwaltschaft und das beschuldigte Unternehmen über Zivilforderungen einigen; dies allerdings, ohne dass die Zivilpartei in die Vereinbarung eingebunden ist.

Eine Regelung der Angelegenheit durch Vereinbarung setzt gemäss Vorschlag der BA voraus, dass das beschuldigte Unternehmen vollumfänglich an der Ermittlung des Sachverhalts mitwirkt. Es ist unklar, was mit den so gewonnenen Erkenntnissen geschieht, wenn dennoch Anklage erhoben wird.

Vor diesem Hintergrund verzichtet der Bundesrat auf die Einführung der «aufgeschobenen Anklageerhebung».

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4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4.1

Änderung der Strafprozessordnung

Art. 19 Abs. 2 Bst. b Das geltende Recht schliesst eine Beurteilung durch ein Einzelgericht aus, sobald die Staatsanwaltschaft eine Behandlung nach Artikel 59 Absatz 3 StGB, also eine stationäre therapeutische Massnahme in einer geschlossenen Einrichtung, beantragt.

Diese Regelung lässt unberücksichtigt, dass die Staatsanwaltschaft in der Praxis nicht eine Behandlung nach Absatz 3 von Artikel 59 StGB beantragt, sondern generell eine stationäre Behandlung nach Artikel 59 StGB. Gibt das Gericht diesem Antrag statt, so obliegt es später der Vollzugsbehörde festzulegen, ob die Behandlung nach Artikel 59 Absatz 2 StGB in einer psychiatrischen Einrichtung oder einer Massnahmenvollzugseinrichtung oder nach Absatz 3 in einer geschlossenen Einrichtung zu erfolgen hat.

Damit erweist sich das Kriterium der Behandlung nach Artikel 59 Absatz 3 StGB für die Festlegung der Kompetenz eines Einzelgerichts als nicht tauglich. Deshalb ist die einzelrichterliche Kompetenz immer dann auszuschliessen, wenn eine Behandlung nach Artikel 59 StGB beantragt wird. Einer solchen Massnahme wohnt die Möglichkeit inne, dass sie in einer geschlossenen Einrichtung vollzogen wird, so dass angesichts der Eingriffsschwere die Anordnung durch ein Kollegialgericht sachlich richtig ist.

Die gleiche Problematik ergibt sich bei Artikel 82 Absatz 1 Buchstabe b: Der Verzicht auf eine schriftliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils ist dann auszuschliessen, wenn eine Behandlung nach Artikel 59 StGB angeordnet wird.

Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsste diese Anpassungen.50 Art. 40 Abs. 1 Siehe dazu auch die Ausführungen unter Ziffer 3.1.1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts51 können selbstständig eröffnete Zwischenentscheide der Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft über die innerkantonale Zuständigkeit direkt beim Bundesgericht angefochten werden.

Diese Möglichkeit steht im Widerspruch zum Grundsatz der doppelten Instanz («double instance»), wie ihn Artikel 80 Absatz 2 BGG festlegt.

Indem die Entscheide der Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft in Artikel 40 Absatz 1 nicht mehr als «endgültig» bezeichnet werden, unterliegen sie der Beschwerde nach Artikel 393 StPO.

In der Vernehmlassung begrüssten fünf Teilnehmende die vorgeschlagene Änderung; sechs lehnten sie ab.52 Wie oben (Ziff. 3.1.1) ausgeführt, hat der Bundesrat am 50 51 52

Vernehmlassungsbericht, S. 4 f.

BGE 138 IV 214 Vernehmlassungsbericht, S. 4.

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15. Juni 2018 mit der Verabschiedung der Botschaft zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes entschieden, dem Grundsatz der doppelten Instanz ausnahmslos zum Durchbruch zu verhelfen. An diesem erst vor kurzem getroffenen Entscheid ist trotz der knappen Ablehnung der vorgeschlagenen Änderung in der Vernehmlassung festzuhalten.

Art. 55 Sachüberschrift und 55a In der Praxis der internationalen Rechtshilfe ergibt sich nicht selten die Situation, dass das Recht des ersuchten Staates für eine Zwangsmassnahme eine richterliche Anordnung verlangt, nach schweizerischem Recht dagegen allein die Staatsanwaltschaft für die Anordnung zuständig ist. Diese Situation tritt vor allem im Verkehr mit Staaten aus dem Bereich des Common Law auf und der häufigste Fall betrifft die Beschlagnahme von Vermögenswerten. Der ersuchte Staat ist in solchen Fällen zur Gewährung von Rechtshilfe regelmässig nur bereit, wenn eine richterliche Anordnung vorliegt; aus dem schweizerischen Recht ergibt sich dagegen nicht, welches Gericht hierfür zuständig wäre, weil nach hiesigem Recht eben kein gerichtlicher Entscheid erforderlich ist.

Deshalb legt die neue Bestimmung von Artikel 55a fest, dass das Zwangsmassnahmengericht in diesem Fall zuständig ist. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln. Beim Entscheid hat das Zwangsmassnahmengericht die Genehmigungsfähigkeit der Massnahme materiell zu prüfen; es darf sich also nicht etwa damit begnügen festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft nach schweizerischem Recht zur Anordnung der ersuchten Massnahme zuständig ist.

Im Zusammenhang mit dieser neuen Regelung ist die in Artikel 30 des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 198153 (IRSG) vorgeschlagene Änderung zu beachten: Das BJ stellt zunächst das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung aufgrund der innerstaatlichen Rechtsordnung des ersuchten Staates fest. Dabei bedarf es keines entsprechenden Begehrens des ersuchten Staates im konkreten Fall. Es genügt vielmehr, wenn das BJ Kenntnis davon hat, dass der ersuchte Staat eine gerichtliche Anordnung aufgrund seiner innerstaatlichen Rechtsordnung verlangt. Danach ersucht das BJ die schweizerische Strafverfolgungsbehörde, eine Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts einzuholen. Erledigt die Staatsanwaltschaft ein Ersuchen dagegen im direkten Verkehr, so muss sie
die Notwendigkeit einer entsprechenden Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht selbst erkennen; das BJ kann sie höchstens im Rahmen der allgemeinen Informationspflichten darauf aufmerksam machen.

In der Vernehmlassung begrüsste eine knappe Mehrheit die vorgeschlagene Regelung, regte aber eine Überarbeitung an.54 Diese ist erfolgt; es wird auf den tatsächlich etwas unklaren Buchstaben a von Artikel 55a verzichtet.

53 54

SR 351.1 Vernehmlassungsbericht, S. 4.

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Art. 59 Abs. 1 Das geltende Recht bezeichnet den Entscheid über ein Ausstandsgesuch als «endgültig». Nach Artikel 380 StPO bedeutet dies, dass gegen den Entscheid kein Rechtsmittel der StPO zulässig ist. Als endgültig bezeichnete Entscheide unterliegen somit direkt der Beschwerde an das Bundesgericht, was nicht der Rolle des höchsten Gerichts entspricht. Zudem widerspricht dies dem Grundsatz der doppelten Instanz («double instance»), wie ihn Artikel 80 Absatz 2 BGG festlegt.

Soweit dagegen die Beschwerde- oder die Berufungsinstanz als erste Instanz über einen Ausstand befinden, stellt dies im Lichte des Grundsatzes der doppelten Instanz kein Problem dar, weil in diesem Fall ein oberes Gericht als (erste und) letzte kantonale Instanz entschieden hat.

Die vorgeschlagene Regelung wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst.55 Art. 60 Abs. 1 Die Anpassung betrifft nur den französischen Gesetzestext.

Die Wendung «du motif» wird auf Anregung in der Vernehmlassung56 ersetzt durch «de la décision», welche den Sinn der Bestimmung korrekter ausdrückt. Zudem erfolgt durch diese Änderung auch eine Angleichung an die deutsche und italienische Fassung der Bestimmung.

Art. 78 Sachüberschrift und Abs. 5bis und 78a Wird eine Einvernahme mit technischen Hilfsmitteln (Video und Ton oder Ton allein) aufgezeichnet, so ist nach geltendem Recht zwar auch dann ein sinngemässes Protokoll zu erstellen, dieses braucht der einvernommenen Person allerdings nicht vorgelesen und zur Unterschrift oder Kenntnisnahme vorgelegt zu werden (Art. 78 Abs. 5bis). Diese Erleichterung gilt nach dem Wortlaut der Bestimmung nur für das Hauptverfahren.

Die geltende Regelung erweist sich als zu eng und zu wenig klar: Zu eng ist sie insofern, als sie die Erleichterungen auf das Hauptverfahren beschränkt. Die wesentlichen Einvernahmen finden jedoch regelmässig im Stadium der Untersuchung statt.

Einer der Vorteile einer mit audiovisueller Aufzeichnung unterstützten Einvernahme besteht darin, dass der Fluss einer Einvernahme nicht durch Nachführung des Protokolls ständig unterbrochen wird. Überdies lassen sich mit audiovisuellen Aufzeichnungen auch Vorgänge nonverbaler Kommunikation erfassen, die ein reines Schriftprotokoll nur schwer darstellen kann. Deshalb soll die Möglichkeit der Aufzeichnung mit technischen Hilfsmitteln unter
gleichzeitiger Befreiung von der Pflicht fortlaufender Protokollierung nicht mehr auf das Hauptverfahren beschränkt werden, sondern für alle Verfahrensstadien gelten. Zu beachten ist jedoch, dass damit keine Pflicht zu einer solchen Aufzeichnung eingeführt wird.57 Ein Obligatorium dürfte 55 56 57

Vernehmlassungsbericht, S. 4.

Vernehmlassungsbericht, S. 28.

Eine solche postuliert hingegen: Melunovic, AJP 2016, S. 596 ff.

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zum einen vor allem bei den Kantonen zu Mehraufwand führen; zum anderen sind auch Fälle denkbar, in denen eine Aufzeichnung unnötig erscheint.

Zu wenig klar ist die heutige Regelung, weil nach dem Wortlaut die Pflicht zur laufenden Protokollierung (Art. 78 Abs. 1) auch dann besteht, wenn eine Einvernahme aufgezeichnet wird. Dies trägt dem Umstand nicht Rechnung, dass sich ein sinngemässes Protokoll auch nach der Einvernahme gestützt auf die Aufzeichnungen erstellen lässt.

An Stelle einer Erweiterung von Artikel 78 StPO regelt der neue Artikel 78a die Besonderheiten der Protokollierung bei aufgezeichneten Einvernahmen. Buchstabe a entbindet von der Pflicht zur laufenden Protokollierung, nicht aber von der Erstellung eines schriftlichen Protokolls überhaupt. Auch das nachträglich erstellte Protokoll muss kein Wortprotokoll sein; vielmehr soll es die Einvernahme sinngemäss wiedergeben, soweit es nicht um entscheidende Fragen oder Antworten geht (vgl. Art. 78 Abs. 3). Die Buchstaben b und c entsprechen dem heutigen Absatz 5bis von Artikel 78, welcher aufgehoben wird.

Die Erweiterung und Erleichterung der Möglichkeit, Einvernahmen aufzuzeichnen und gestützt darauf ein schriftliches Protokoll zu erstellen, erfuhr in der Vernehmlassung mehrheitlich Zustimmung.58 Vereinzelt wurde eine Pflicht zur Aufzeichnung aller Einvernahmen oder jedenfalls solcher von Opfern gefordert; teilweise wurde verlangt, die Protokolle müssten wörtlich transkribiert werden und seien immer zu unterzeichnen. Die nunmehr vorgeschlagene Regelung verzichtet auf solche Verpflichtungen, damit die Behörden den Bedürfnissen der sehr unterschiedlichen Konstellationen Rechnung tragen können.

Art. 80 Abs. 1 erster und zweiter Satz Gemäss geltendem Recht ergehen Entscheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell befunden wird, in Form eines Urteils. Der Entwurf hält ­ mit Blick auf das zulässige Rechtsmittel ­ neu explizit fest, dass auch selbstständige nachträgliche Entscheide und selbstständige Einziehungsentscheide in dieser Form ergehen sollen.

Damit wird insbesondere bei den selbstständigen nachträglichen Entscheiden die umstrittene Frage geklärt, in welcher Form der Entscheid ergehen und welches das zulässige Rechtsmittel dagegen sein soll (vgl. nachfolgend die Kommentierung bei Art. 365).

Bei den selbstständigen
Einziehungsentscheiden sieht das geltende Recht zwar bislang vor, dass ein allfälliger Entscheid des Gerichts in Form eines Beschlusses oder einer Verfügung ergeht (Art. 377 Abs. 4 StPO). Eine Abkehr davon erscheint jedoch aus Kohärenzgründen gerechtfertigt; denn ein akzessorischer Einziehungsentscheid wird ebenfalls im Rahmen eines Urteils gefällt, gegen das die Berufung ergriffen werden kann (vgl. nachfolgend die Kommentierung bei Art. 377).

Der unzutreffende Begriff der «Kollektivbehörde» wird durch jenen der «Kollegialbehörde» ersetzt, so wie er sich im französischen («autorité collégiale») und im italienischen Gesetzestext («autorità collegiale») findet.

58

Vernehmlassungsbericht, S. 5.

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Art. 82 Abs. 1 Bst. b Wie oben zu Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe b dargelegt, ordnet das Gericht nicht eine stationäre Massnahme nach Artikel 59 Absatz 3 StGB an, sondern bloss eine solche nach Artikel 59. Ob die Behandlung danach nach Absatz 3 in einer geschlossenen Einrichtung erfolgt oder nach Absatz 2 in einer psychiatrischen Einrichtung oder in einer Massnahmenvollzugseinrichtung, legt die Vollzugsbehörde fest.

Somit gibt es bloss Urteile, in denen eine Behandlung nach Artikel 59 StGB ausgesprochen wird. Solche sollen immer schriftlich zu begründen sein.

Art. 101 Abs. 1bis Der neue Absatz 1bis steht im Zusammenhang mit der neu geschaffenen Möglichkeit nach Artikel 147a, eine beschuldigte Person von einer Einvernahme auszuschliessen, damit sie ihrerseits einvernommen werden kann, bevor sie von den Aussagen der einvernommenen Person Kenntnis hat. Damit kann sie ihre Aussagen nicht an jene der einvernommenen Person anpassen. Die neu geschaffene Einschränkung des Teilnahmerechts würde ihres Sinnes entleert, wenn die beschuldigte Person zwar nicht an der Einvernahme teilnehmen könnte, aber gleich im Anschluss an die Einvernahme deren Protokoll erhielte, also noch bevor sie selber mit den Aussagen hat konfrontiert werden können. Der neue Absatz 1bis schliesst dies aus und stellt sicher, dass die beschuldigte Person einmal mit den Aussagen der einvernommenen Person konfrontiert werden kann, ohne dass sie den Inhalt der Aussage kennt.

Art. 117 Abs. 1 Bst. g Bis zum Inkrafttreten der StPO konnten Opfer verlangen, dass ihnen Entscheide und Urteile unentgeltlich mitgeteilt werden (Art. 37 Abs. 2 aOHG). Die StPO übernahm dieses Recht nicht vollständig: Beteiligen sich Opfer als Privatkläger am Verfahren, so werden ihnen Entscheide aufgrund ihrer Parteistellung eröffnet (Art. 84 Abs. 2 und 4 StPO). Hat ein Opfer eine Straftat angezeigt, so kann es verlangen, über die Erledigung des Verfahrens informiert zu werden (Art. 301 Abs. 2 StPO). Kein Anspruch auf Informationen über die Beendigung eines Verfahrens steht dagegen einem Opfer zu, das sich weder als Privatkläger am Verfahren beteiligt noch die Straftat zur Anzeige gebracht hat.

Der Schlussbericht zur Evaluation des OHG59 empfiehlt die Einführung einer Bestimmung, wonach dem Opfer ­ auch wenn es im Verfahren keine Parteistellung hat ­ das Dispositiv
des Entscheides sowie jene Teile der Begründung des Entscheides zugestellt werden, in denen die zu seinem Nachteil begangenen Straftaten behandelt werden.

Anders als in der Empfehlung vorgeschlagen, wird dieses Anliegen jedoch nicht in Artikel 84 StPO umgesetzt. Dies weil Artikel 84 StPO die Eröffnung von Entscheiden regelt, es sich bei der Kenntnisgabe des Entscheides und dessen Begründung gegenüber dem Opfer aber um eine blosse Mitteilung handelt. Dieses Recht ist folglich in Artikel 117 StPO zu verankern.

59

Schlussbericht 2015, S. 107.

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Die Regelung stiess in der Vernehmlassung überwiegend auf Zustimmung. Diverse Vernehmlassungsteilnehmende machten jedoch geltend, dass dieses Recht nicht nur für Urteile, sondern auch für Strafbefehle gelten solle. 60 Dieser Forderung trägt der Entwurf durch einen entsprechend präzisierten Wortlaut Rechnung.

Art. 119 Abs. 2 und 120 Abs. 2 Die Anpassung betrifft nur den französischen Gesetzestext.

Der Begriff «plainte pénale» wird durch «action pénale» ersetzt. Damit soll unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden, dass es in diesen Bestimmungen um die Strafklage und nicht um den Strafantrag geht (vgl. dazu auch die deutschen und italienischen Fassungen).

Art. 123 Abs. 2 Nach geltendem Recht kann eine Zivilklage auch erst im Parteivortrag begründet und beziffert werden. Im Gerichtsalltag ergibt sich deshalb nicht selten die Situation, dass eine Zivilklage erst unmittelbar vor oder gar während der Hauptverhandlung beziffert und mit zahlreichen Belegen und umfangreichen Unterlagen begründet wird. Das kann sowohl die beklagte Partei als auch das urteilende Gericht vor Schwierigkeiten stellen, weil sie sich mit einer grossen Zahl von Belegen und komplexen zivilrechtlichen Fragen konfrontiert sehen, deren Prüfung einer gewissen Zeit bedarf.

Die geltende Regelung will die Geltendmachung von Zivilforderungen möglichst einfach gestalten und damit die Stellung der geschädigten Person verbessern. Diese Grundidee erscheint an sich richtig, allerdings erweist es sich als problematisch, wenn der beklagten Partei, also der beschuldigten Person, kaum die Möglichkeit bleibt, auf die Zivilforderung zu reagieren, weil diese erst zu einem späten Zeitpunkt des Verfahrens substantiiert und belegt wird.

Diese Schwierigkeiten liessen sich auf zwei Arten beheben: Entweder durch Ausweitung der Gründe, aus denen eine Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen werden darf (vgl. Art. 126 StPO), oder durch Festlegung, dass die Zivilansprüche früher als heute beziffert und begründet werden müssen.

Die erste Möglichkeit vermag nicht zu überzeugen, weil sie die Stellung der geschädigten Person schwächen würde. Die Vorverlegung der Begründung und Bezifferung der Zivilklage dagegen vermag den berechtigten Interessen der Gerichte und der Verteidigung (als beklagter Partei) gerecht zu werden, ohne der Privatklägerschaft unerfüllbare
Pflichten aufzuerlegen.

Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden, welche einer Vorverlegung zustimmten, erachtet den im Vorentwurf vorgeschlagenen Zeitpunkt des Abschlusses der Untersuchung auch mit Blick auf nicht anwaltlich vertretene Geschädigte als zu früh.61 Deshalb soll die Bezifferung und Begründung erst nach Anklageerhebung erfolgen müssen. Damit ist der letzte Zeitpunkt zur Begründung und Bezifferung 60 61

Vernehmlassungsbericht, S. 6.

Vernehmlassungsbericht, S. 6.

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zwar relativ spät, aber dennoch früh genug, damit sich das Gericht und die beschuldigte Person hinreichend mit der Zivilklage auseinandersetzen können. Konkret wird eine Änderung von Artikel 331 Absatz 2 StPO vorgeschlagen, wonach die Verfahrensleitung der Privatklägerin die gleiche Frist zur Bezifferung und Begründung ihrer Zivilklage ansetzt, die auch für das Stellen von Beweisanträgen gilt.

Auf einen Vorbehalt der Aktualisierung der Zivilklage zu einem späteren Zeitpunkt wird dagegen verzichtet, weil die Rechtsfolge der ungenügenden Begründung oder Bezifferung nicht der Rechtsverlust ist, sondern die Verweisung auf den Zivilweg.

Angesichts dieser milden Folge lässt sich eine gewisse Strenge bei der Frist rechtfertigen.

Art. 125 Abs. 2 erster Satz Es geht hier um die gleiche Problematik wie bei Artikel 59 Absatz 1: Der Entscheid der Verfahrensleitung über die Leistung einer Sicherheit soll nicht mehr als «endgültig» bezeichnet werden, sodass sich das Bundesgericht nicht als erste Instanz mit einer allfälligen Beschwerde befassen muss.

In der Vernehmlassung begrüssten drei Teilnehmende die vorgeschlagene Änderung; sechs lehnten sie ab, unter anderem wegen der Befürchtung von Verfahrensverzögerungen und Zweifeln am praktischen Bedürfnis einer Änderung.62 Wie oben ausgeführt (Ziff. 3.1.1), hat der Bundesrat am 15. Juni 2018 mit der Verabschiedung der Botschaft zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes entschieden, dem Grundsatz der doppelten Instanz ausnahmslos zum Durchbruch zu verhelfen. An diesem erst vor kurzem getroffenen Entscheid ist trotz der knappen Ablehnung der vorgeschlagenen Änderung in der Vernehmlassung festzuhalten.

Art. 126 Abs. 2 Bst. a und abis Gemäss geltendem Recht kann im Erwachsenenstrafprozess ­ anders als im Jugendstrafprozess63 ­ im Strafbefehlsverfahren nicht über Zivilforderungen entschieden werden (Art. 353 Abs. 2 StPO). Diese werden deshalb auf den Zivilweg verwiesen.

Der Bundesrat schlägt vor, dass im Strafbefehlsverfahren unter gewissen Voraussetzungen neu über Zivilforderungen entschieden werden kann (vgl. nachfolgend die Kommentierung zu Art. 353). Aus diesem Grund wird Absatz 2 dahingehend angepasst, dass die Zivilklagen nur noch auf den Zivilweg verwiesen werden, wenn darüber nicht im Strafbefehlsverfahren entschieden werden kann (Bst. abis).

Art. 131 Abs. 2
und 3 Der geltende Wortlaut von Absatz 2 ist widersprüchlich: Er verlangt die Sicherstellung einer notwendigen Verteidigung «nach der ersten Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft, jedenfalls aber vor Eröffnung der Untersuchung». Eine Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft erfolgt aber immer erst nach Eröffnung der Untersuchung.

62 63

Vernehmlassungsbericht, S. 6.

Vgl. Art. 32 Abs. 3 JStPO.

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Der heutige Wortlaut dürfte daher rühren, dass der Entwurf zur StPO64 noch ein Vorabklärungsverfahren kannte, das informelle Einvernahmen der Staatsanwaltschaft zuliess (Art. 309 StPO). Es hätte somit einen Sinn ergeben, die notwendige Verteidigung erst nach bzw. spätestens nach der ersten solchen informellen Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft sicherzustellen, aber immer vor der Eröffnung der Untersuchung. Nachdem das Vorabklärungsverfahren in den parlamentarischen Beratungen gestrichen worden war, wurde der Wortlaut des jetzigen Artikels 131 Absatz 2 nicht angepasst, was zum heutigen Widerspruch führte.65 Das würde nahelegen, den Zeitpunkt der Sicherstellung der notwendigen Verteidigung auf die Eröffnung der Untersuchung festzulegen, wie dies der Vorentwurf vorschlug. Dieser Vorschlag würde aber bei Verfahren mit geheimen Überwachungsmassnahmen zu Problemen führen: Zwar wäre diesfalls die Untersuchung eröffnet (vgl. Art. 309 Abs. 1 Bst. b StPO), die Einsetzung einer amtlichen Verteidigung liesse die geheime Zwangsmassnahme aber gleichzeitig ins Leere laufen.

Dieser Einwand gilt auch für den in der Vernehmlassung von verschiedener Seite vorgebrachten Vorschlag, die notwendige Verteidigung sei beim Vorliegen der Voraussetzungen umgehend sicherzustellen.66 Deshalb schlägt der Entwurf vor, den Zeitpunkt der Sicherstellung vor die Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft oder ­ im Falle einer delegierten Einvernahme nach Artikel 312 Absatz 1 StPO ­ durch die Polizei festzulegen.

Bei Absatz 3 besteht eine Diskrepanz zwischen den deutschen und italienischen Gesetzestexten einerseits und dem französischen Gesetzestext andererseits: Gemäss ersteren sind Beweiserhebungen, die vor der Einsetzung einer erkennbar notwendigen Verteidigung erfolgt sind, nur «gültig» beziehungsweise «valide», wenn die beschuldigte Person auf die Wiederholung der Beweiserhebung verzichtet. Nach dem französischen Text sind die Beweiserhebungen nur unter dieser Bedingung «exploitables», was andernorts als «verwertbar» beziehungsweise «le prove possono essere utilizzate» übersetzt wird (vgl. Art. 141 StPO).

Nach dem deutschen und dem italienischen Gesetzestext ist die rechtszeitige Einsetzung einer notwendigen Verteidigung somit eine blosse Gültigkeitsvorschrift, bei deren Verletzung erhobene Beweise dennoch verwertet werden
dürfen, wenn sie zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich sind (Art. 141 Abs. 2 StPO). Stellt man dagegen allein auf den französischen Wortlaut ab, so dürfen die erhobenen Beweise nur dann verwertet werden, wenn die beschuldigte Person auf eine Wiederholung der Erhebung verzichtet.

Die Lehre versteht die Bestimmung mehrheitlich im Sinne des französischen Textes67 und auch die kantonale Praxis scheint überwiegend von der Unverwertbarkeit

64 65 66 67

BBl 2006 1085 Näher Bommer, notwendige Verteidigung, S. 93, 105 ff.

Vernehmlassungsbericht, S. 7.

Lieber, ZH-Kommentar StPO, N 8 zu Art. 131; Riklin, StPO-Kommentar, Art. 131 N 3; BSK StPO-Ruckstuhl, Art. 131 N 6b («Im Sinne von Art. 131 Abs. 3 unverwertbare Beweise»).

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auszugehen.68 In der Vernehmlassung verlangte zwar eine Mehrheit die Anpassung des französischen Wortlauts.69 In der Sache vermag dies aber nicht zu überzeugen: Ginge man von der blossen Ungültigkeit einer Beweiserhebung aus, könnten bei schweren Straftaten die vor der Beiordnung einer Verteidigung erhobenen Beweise sogar dann verwertet werden, wenn die beschuldigte Person ausdrücklich eine Wiederholung der Beweiserhebung verlangen würde. Auch wäre es widersprüchlich, wenn das Gesetz gerade in bestimmten Fällen von schweren Tatvorwürfen die Verteidigung als notwendig erklärt, es aber gleichzeitig zuliesse, dass Beweise für die Aufklärung solcher Straftaten selbst dann verwertet werden dürfen, wenn die Verteidigung trotz erkennbarer Notwendigkeit nicht eingesetzt wird. Sodann würde die Annahme blosser Ungültigkeit zu einem Widerspruch zur Regelung von Artikel 158 StPO führen: Nach dieser Bestimmung ist eine Einvernahme unverwertbar, wenn die beschuldigte Person über ihr Recht, eine amtliche Verteidigung zu verlangen, nicht belehrt wurde. Unverwertbarkeit muss umso mehr greifen, wenn trotz erkennbarer Notwendigkeit keine amtliche Verteidigung bestellt wird. Dieser Mangel dürfte sogar schwerer wiegen als das Unterbleiben der Belehrung.

Deshalb sind der deutsche und der italienische Wortlaut an den französischen anzupassen.

Art. 133 Abs. 1bis und Abs. 2 Nach geltendem Recht wählt die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung aus und setzt sie ein. Gerade im Vorverfahren kann dies den Anschein erwecken, die Staatsanwaltschaft setze eine ihr möglichst genehme Verteidigung ein. Einzelne Kantone kennen Vorschriften, mit denen dieser Gefahr begegnet werden soll.

So trifft etwa im Kanton Zürich das bei der Oberstaatsanwaltschaft angegliederte Büro für amtliche Mandate die Auswahl der amtlichen Verteidigung. In der Regel erfolgt diese in der Reihenfolge einer alphabetisch geordneten Liste von Verteidigerinnen und Verteidigern; in dringenden Fällen greift das Büro auf die PikettVerteidigung zurück. In den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft organisiert der Verein Anwaltspikett einen Pikettdienst. Der Verein führt auf einer InternetSeite die am jeweiligen Tag eingeteilten Pikett-Verteidigerinnen und -Verteidiger auf. Dabei enthält die Liste keine Namen, sondern nur die Nummer des MobilTelefons. Ähnlich
verhält es sich im Kanton St. Gallen, allerdings mit dem Unterschied, dass die Liste nicht anonymisiert ist.

Diese Regelungen zeigen, dass in den Kantonen durchaus eine Sensibilität für das Problem besteht. Allerdings erscheint fraglich, wie weit die von den Kantonen geschaffenen Lösungen den Vorgaben der geltenden StPO entsprechen.

Der Vorentwurf sah deshalb vor, die Auswahl und die Einsetzung der amtlichen Verteidigung zu trennen. Die Auswahl sollte durch eine von der Verfahrensleitung unabhängigen Stelle erfolgen, währendem die Verfahrensleitung für die Einsetzung 68

69

Nachweise im Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 5. Sept. 2007 (460 16 67), auszugsweise publiziert mit Besprechung von Franz Riklin in: forumpoenale 2018, 476 ff.

Vernehmlassungsbericht, S. 7.

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der ausgewählten amtlichen Verteidigung zuständig sein sollte. In der Vernehmlassung stiess dieser Vorschlag auf grosse Kritik.70 Deshalb sieht der Entwurf in Absatz 1bis nur noch vor, dass der Bund und die Kantone die Auswahl der amtlichen Verteidigung an eine andere Stelle delegieren dürfen («kann-Vorschrift»). Die Einsetzung der amtlichen Verteidigung erfolgt dann ­ wie im geltenden Recht ­ durch die Verfahrensleitung mittels Verfügung. Mit dieser Regelung sollen die oben erwähnten bestehenden kantonalen Lösungen bundesrechtskonform werden.

Der Begriff «Auswahl» in den Absätzen 1bis und 2 soll ausschliessen, dass die Verteidigung allein nach dem Zufall bestimmt wird. Eine solche Bestimmung wäre in der Tat problematisch, denn gewisse Mandate ­ zu denken ist an solche in Wirtschaftsstrafsachen ­ lassen sich kaum von einer Verteidigung führen, die auf dem fraglichen Gebiet nicht besondere Kenntnisse aufweist. Aber auch die Zuweisung amtlicher Mandate allein nach einer Reihenfolge könnte dazu führen, dass die beschuldigte Person nicht hinreichend verteidigt wird, weil der Verteidigung notwendige, besondere Fachkenntnisse fehlen. Deshalb verpflichtet Absatz 2 alle mit der Auswahl der Verteidigung befassten Behörden oder Stellen dazu, eine für den bestimmten Fall geeignete Verteidigung auszuwählen.

Art. 135 Abs. 3 und 4 Absatz 3: Die geltende Regelung der Rechtsmittel gegen den Entscheid über die Entschädigung für die amtliche Verteidigung ist in verschiedener Hinsicht unbefriedigend: Die Regelung von Buchstabe a führt zu einem uneinheitlichen Rechtsmittelweg. Nach der Praxis des Bundesgerichts kann auch die Staatsanwaltschaft das Honorar der amtlichen Verteidigung anfechten, und zwar mit Berufung. 71 Ficht die amtliche Verteidigung das Honorar ebenfalls an, so kommt es zu einer Teilung des Rechtsmittelwegs, was zu Schwierigkeiten führen kann. Deshalb ist nunmehr vorgesehen, dass das amtliche Honorar mit dem für die Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten ist.

Zudem kann heute gegen den Entscheid der Beschwerdeinstanz oder des Berufungsgerichts eines Kantons über die Entschädigung der amtlichen Verteidigung beim Bundesstrafgericht Beschwerde geführt werden (Bst. b). Dieser Rechtsmittelweg von einem kantonalen Strafgericht zum Bundesstrafgericht ausserhalb der Kompetenz- und Rechtshilfekonflikte
ist atypisch und führt zu einem unangemessen langen Instanzenzug, soweit der Entscheid des Bundesstrafgerichts noch beim Bundesgericht angefochten werden kann. Deshalb soll für die Anfechtung von Entschädigungsentscheiden der kantonalen Beschwerde- und Berufungsinstanzen das BGG gelten. Buchstabe b ist deshalb zu streichen.

Nach dem geltenden Absatz 4 Buchstabe b ist die beschuldigte Person verpflichtet, der amtlichen Verteidigung die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu bezahlen, wenn sie zu den Verfahrenskosten verurteilt wird und sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben.

70 71

Vernehmlassungsbericht, S. 7 f.

BGE 139 IV 199 E. 5.5.

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Diese Regelung basiert auf der Vorstellung, dass das Honorar der amtlichen Verteidigung immer als Bruchteil jenes Honorars festgelegt wird, das einer privaten Verteidigung im Falle eines Freispruchs zugesprochen würde. Das trifft jedoch nicht in allen Kantonen zu. Da die Statuierung des Anwaltstarifs den Kantonen obliegt (vgl. Abs. 1), können diese auch festlegen, dass die amtliche Verteidigung beispielsweise nach einem festen Stundenansatz oder unabhängig vom Verfahrensausgang entschädigt wird. In diesen Fällen lässt sich die Differenz zum vollen Honorar kaum bestimmen und Absatz 4 Buchstabe b erweist sich als nicht anwendbar. Zudem erscheint die Tatsache, dass die amtliche Verteidigung bei der beschuldigten Person unter bestimmten Voraussetzungen einen Anteil des Honorars einfordern kann, auch aus einem anderen Grund als ungereimt: Die amtliche Verteidigung begründet ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen Verteidigung und Staat, der sie einsetzt. Deshalb soll Buchstabe b von Absatz 4 aufgehoben werden.

Art. 136 Abs. 1, Abs. 2 Bst. c und Abs. 3 Nach dem Wortlaut des geltenden Rechts wird der Privatklägerschaft die unentgeltliche Rechtspflege ausschliesslich zur Durchsetzung ihrer Zivilansprüche gewährt (Art. 136 StPO). Das Bundesgericht dagegen hat einem Opfer die unentgeltliche Rechtspflege auch allein zur Durchsetzung der Strafklage gewährt.72 Dem Urteil des Bundesgerichts lag der Sachverhalt zugrunde, dass eine geschädigte Person gegen drei Polizeibeamte Strafanzeige unter anderem wegen Körperverletzung erstattete und sich als Privatklägerin im Strafpunkt konstituierte. Die Geltendmachung von Zivilansprüchen, und damit eine Konstituierung im Zivilpunkt, war dagegen nicht möglich, weil die geschädigte Person hinsichtlich ihres Haftungsanspruchs auf das kantonale öffentliche Recht verwiesen war. Das Bundesgericht befand, die unentgeltliche Rechtspflege sei einer geschädigten Person, die nicht adhäsionsweise zivilrechtliche Ansprüche geltend machen könne oder wolle, ausnahmsweise unmittelbar gestützt auf Artikel 29 Absatz 3 der Bundesverfassung73 (BV; Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege) zu gewähren. Andernfalls würde ihr der unmittelbar von der Verfassung garantierte Zugang zum Gerichtsverfahren bzw. die effektive Wahrung ihrer Rechte verweigert.74 Der Vorentwurf schlug ­ ausgehend
von dieser Rechtsprechung ­ eine Regelung vor, wonach dem Opfer die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren ist, wenn dies zur Durchsetzung seiner Strafklage notwendig ist (Art. 136 Abs. 1 bis VE-StPO). In der Vernehmlassung begrüsste die überwiegende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden diesen Vorschlag.75 Aufgrund von Anregungen aus der Vernehmlassung wurde die Regelung hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen präzisiert.

Absatz 1 wird aus Gründen der Lesbarkeit umstrukturiert. Neu explizit erwähnt wird, dass die unentgeltliche Rechtspflege nur auf Gesuch hin gewährt wird. Der Anspruch der Privatklägerschaft auf unentgeltliche Rechtspflege zur Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ist in Buchstabe a enthalten, derjenige des Opfers auf Gewäh72 73 74 75

Urteil des Bundesgerichts 1B_355/2012 vom 12. Okt. 2012.

SR 101 Urteile des Bundesgerichts 1B_355/2012 vom 12. Okt. 2012 E. 5.1 f.; 1B_341/2013 vom 14. Feb. 2014 E. 2.

Vernehmlassungsbericht, S. 9.

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rung der unentgeltlichen Rechtpflege für die Durchsetzung seiner Strafklage ist in Buchstabe b enthalten. Erforderlich ist, dass sich das Opfer als Privatklägerschaft konstituiert hat. Dies ergibt sich aus der Wendung «zur Durchsetzung seiner Strafklage». Zudem muss das Opfer bedürftig sein und die Strafklage darf nicht aussichtslos erscheinen. Es ist in Erinnerung zu rufen, dass gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts76 nur solche Prozessbegehren als aussichtslos erscheinen, «bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde». 77 Diese Voraussetzungen gelten sinngemäss auch im Zusammenhang mit der Strafklage. 78 Absatz 2 wird aufgrund der Anpassung von Absatz 1 ergänzt. Ein Rechtsbeistand ist zu bestellen, wenn dies für die Wahrung der Rechte des Opfers notwendig ist. Notwendig heisst, dass besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur vorliegen, denen der oder die Betroffene, auf sich selbst gestellt, nicht gewachsen ist, so dass eine sachgerechte und hinreichend wirksame Interessenwahrung nicht möglich ist. Die Frage der Notwendigkeit ist aufgrund der Gesamtheit der konkreten Umstände zu entscheiden. Dazu zählen namentlich die Schwere der Betroffenheit, die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Falles sowie die Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden, dies namentlich mit Blick auf die physische und psychische Verfassung.79 An die Notwendigkeit sollten ­ wie dies in der Vernehmlassung80 gefordert wurde ­ mit Blick auf den wirksamen Opferschutz nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden.81 Opfer seien oftmals verängstigt und eingeschüchtert, wenn sie amtlich verteidigten Beschuldigten ohne anwaltliche Unterstützung gegenübertreten müssten. Dies könne eine sekundäre Viktimisierung zur Folge haben und dazu führen, dass Opfer Aussagen nicht oder nur abschwächend machen würden, was auch der materiellen Wahrheitsfindung abträglich sei. Wenn der beschuldigten Person in
den Fällen, in denen die Privatklägerschaft anwaltlich vertreten ist ­ im Sinne einer Waffengleichheit zwischen den Parteien eine amtliche Verteidigung beigeordnet werden sollte,82 so muss dies im Gegenzug auch für die Privatklägerschaft, die Opfer ist, gelten. Eine Ablehnung des Gesuchs mit der Begründung, dass die Rechte des Opfers bereits durch die Staatsanwaltschaft wahrgenommen würden, weil ihr die Durchsetzung des Strafanspruches obliege und deshalb die Bestellung eines Rechtsbeistandes nicht notwendig sei, dürfte ebenfalls nicht sachgerecht sein. Denn dies hätte zur Folge, dass die Bestimmung ins Leere laufen würde.

76 77 78 79 80 81 82

BGE 138 III 218 E. 2.2.4.

BSK BV-Zehntner, Art. 29 N 78.

Urteil des Bundesgerichts 1B_355/2012 vom 12. Okt. 2012 E. 5.4.

Urteil des Bundesgerichts 1B_355/2012 vom 12. Okt. 2012 E. 5.5; Lieber, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 136 N 10 f.

Vernehmlassungsbericht, S. 9.

Vgl. auch BSK StPO-Mazzuchelli/Postizzi, Art. 136 N 17 f.

Urteil des Bundesgerichts 1B_224/2013 vom 27. Aug. 2013 E. 2.3; Schmid/Jositsch, StPO Praxiskommentar, Art. 132 N 7; Lieber, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 132 N 15; BSK StPO-Ruckstuhl, Art. 132 N 36.

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In der Vernehmlassung wurde kritisiert, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für Opfer zwecks Durchsetzung ihrer Strafklage führe zu Mehrkosten.83 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Kantone den Opfern namentlich in solchen Konstellationen bereits im Rahmen der längerfristigen Hilfe im Sinne von Artikel 13 f. OHG (subsidiär) die unentgeltliche Rechtspflege gewähren.84 Aus diesem Grund dürfte die neue Bestimmung keine Mehrkosten zur Folge haben.

Mit dem neuen Absatz 3 erfolgt eine Klarstellung und eine Angleichung an die zivilprozessuale Bestimmung von Artikel 119 Absatz 5 der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200885 (ZPO).

Art. 138 Abs. 1bis In der Vernehmlassung wurde das Anliegen geäussert, betreffend die Rückerstattungspflicht des Opfers und seiner Angehörigen für die unentgeltliche Rechtspflege bei verbesserten wirtschaftlichen Verhältnissen die StPO an die Rechtsprechung des Bundesgerichts anzupassen.86 Diese besagt, dass Artikel 30 Absatz 3 OHG im Vorverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren im Verhältnis zu Artikel 135 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 StPO als «lex specialis» vorgeht.

Das Opfer und seine Angehörigen dürfen in solchen Fällen nicht zur Rückerstattung der unentgeltlichen Rechtspflege an den Staat verpflichtet werden. 87 Diesem Anliegen wird im neuen Absatz 1bis Rechnung getragen.

Im Rechtsmittelverfahren soll die Befreiung von der Rückerstattungspflicht ­ wie in der Vernehmlassung gefordert88 ­ ebenfalls gelten; dies entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichts.89 Art. 141 Abs. 4 Absatz 4 verankert nur die Fernwirkung für Beweisverwertungsverbote nach Artikel 141 Absatz 2 StPO ausdrücklich. Nach herrschender Ansicht in der Lehre90 gilt die Fernwirkung umso mehr auch für das absolute Beweisverwertungsverbot nach Absatz 1.

Um der Klarheit willen ist Absatz 4 entsprechend zu ergänzen.

Art. 144 Abs. 2 Die französische Fassung erfährt eine rein redaktionelle Änderung, indem der Begriff «support préservant le son et l'image» durch «support audiovisuel» ersetzt wird.

83 84 85 86 87 88 89 90

Vernehmlassungsbericht, S. 9.

BSK StPO-Mazzuchelli/Postizzi, Art. 136 N 19; Zehnter, Opferhilfegesetz, Art. 14 N 31.

SR 272 Vernehmlassungsbericht, S. 28.

BGE 141 IV 262; BGE 143 IV 154 Vernehmlassungsbericht, S. 28.

BGE 143 IV 154 BSK StPO-Gless, Art. 141 N 89 f. m.w.H.

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Art. 147a Artikel 147 StPO gibt den Parteien das Recht, an Beweiserhebungen teilzunehmen.

Da die Bestimmung selbst keine Einschränkung dieses Rechts vorsieht, hat sich in der Praxis die Frage gestellt, ob und inwieweit das Teilnahmerecht dennoch beschränkt werden kann. Dabei hat sich die Diskussion vor allem an der Konstellation entzündet, dass eine beschuldigte Person an der Einvernahme einer mitbeschuldigten Person teilnehmen darf. Hier besteht nämlich die Gefahr, dass die beschuldigte Person ­ vor allem, wenn sie zum fraglichen Sachverhalt noch nicht einvernommen wurde ­ ihre Aussagen an diejenigen der mitbeschuldigten Person anpasst.

Die kantonale Praxis versuchte zunächst, sich auf unterschiedliche Weise zu helfen: Etwa durch die Trennung der Verfahren mehrerer beschuldigter Personen. Dadurch entfällt die Parteistellung einer beschuldigten Person im Verfahren gegen eine andere beschuldigte Person und der Anspruch auf Teilnahme an den Beweiserhebungen, insbesondere der Einvernahme, entfällt.91 Das Bundesgericht erklärt jedoch die Trennung von Verfahren bei Mittätern und Teilnehmern als äusserst problematisch.92 Den Versuch, einen Ausschluss von der Einvernahme einer mitbeschuldigten Person auf Artikel 146 StPO abzustützen, hat das Bundesgericht nicht geschützt.93 Hingegen sieht das Bundesgericht darin, dass nach Artikel 147 StPO die Teilnahmerechte nicht eingeschränkt werden können, eine Gesetzeslücke, die es in seiner Rechtsprechung geschlossen hat. Danach kann die Staatsanwaltschaft im Einzelfall prüfen, ob sachliche Gründe für eine vorläufige Beschränkung der Parteiöffentlichkeit bestehen. Solche Gründe liegen insbesondere vor, «wenn im Hinblick auf noch nicht erfolgte Vorhalte eine konkrete Kollusionsgefahr gegeben ist». Aus Sicht des Bundesgerichts entsprach dies in den meisten Kantonen «auch schon (vor Inkrafttreten von Art. 147 StPO) der grundsätzlichen Rechtslage nach altem Recht». 94 Die vorgeschlagene Regelung trägt diesen Überlegungen Rechnung. Anders als im Vorentwurf wird dabei nicht auf die Befürchtung abgestellt, die beschuldigte Person könnte ihre Aussagen an jene der einzuvernehmenden Person anpassen, sondern an den Umstand, dass die beschuldigte Person sich zum Thema der Einvernahme noch nicht selber geäussert hat. Denn das Kriterium der Befürchtung einer Anpassung ist
spekulativ und daher untauglich, da sich zum Voraus nicht sagen lässt, ob die beschuldigte Person ihre Aussagen später tatsächlich anpassen wird. Verlangt man tatsächlich konkrete Indizien für einen Anpassungswillen der beschuldigten Person, so lässt sich deren Teilnahme kaum je einschränken. Lässt man hingegen die allgemeine Lebenserfahrung genügen, dass beschuldigte Personen ihre Aussagen mitunter anpassen, so würde die Fassung des Vorentwurfs das Teilnahmerecht aushöhlen.

Deshalb soll entscheidend sein, ob die beschuldigte Person zum Thema der Einvernahme selber bereits Aussagen gemacht hat. Nach dieser Voraussetzung genügt es nicht, dass die beschuldigte Person befragt worden ist. Gefordert ist, dass sie sich einlässlich, das heisst substanziell, zur Sache geäussert hat. Das ist etwa dann nicht 91 92 93 94

BGE 140 IV 172 E. 1.2.3.

Urteil des Bundesgerichts 1B_124/2016 vom 12. Aug. 2016 E. 4.5.

BGE 139 IV 25 E. 4.1; 140 IV 220 E. 4.3.1.

BGE 139 IV 25 E. 5.5.4.1.

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der Fall, wenn sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Zwar besteht auch hier die Schwierigkeit darin, dass sich vor einer Einvernahme nicht sagen lässt, was genau deren Thema sein wird und sich somit nicht zum Voraus genau sagen lässt, ob sich die beschuldigte Person bereits zum fraglichen Thema geäussert hat. Immerhin knüpft die Einschränkung nicht an ein spekulatives, sondern an ein objektives (oder zumindest objektivierbares) Kriterium an.

Zudem stellt die Regelung klar, dass die Einschränkung des Teilnahmerechts die Ausnahme bleibt, darf sie doch nicht generell erfolgen, sondern nur solange, wie sich die beschuldigte Person noch nicht im dargelegten Sinn geäussert hat.

Im Übrigen führt die vorgeschlagene Regelung zur Entschärfung praktischer Probleme, die bei Verfahren mit zahlreichen beschuldigten Personen aufgetaucht sind. In solchen Fällen ist der organisatorische Aufwand zuweilen erheblich, wenn alle beschuldigten Personen die Möglichkeit haben sollen, von Beginn weg bei allen Einvernahmen dabei zu sein. Da die vorgeschlagene Regelung die Teilnahme erst eröffnet, wenn sich eine beschuldigte Person geäussert hat, können die geschilderten Schwierigkeiten zu Beginn des Verfahrens gemildert werden.

Zu erwähnen ist schliesslich, dass die neue Bestimmung an der geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichts nichts ändert, nach welcher eine Einschränkung des Teilnahmerechts als Ausfluss des rechtlichen Gehörs gestützt auf Artikel 108 StPO möglich ist, sofern konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Teilnahmerechts bestehen.95 Kein Missbrauch liegt vor, wenn die beschuldigte Person das Teilnahmerecht ausübt um zu erfahren, was die einzuvernehmende Person aussagt.

Ebenso wenig missbräuchlich ist die blosse Anpassung des eigenen Aussageverhaltens an jenes einer bereits einvernommenen Person.96 Dagegen würde ein Missbrauch des Teilnahmerechts wohl etwa dann vorliegen, wenn die beschuldigte Person es einzig deswegen ausübt, um die einzuvernehmende Person einzuschüchtern.

In der Vernehmlassung wurde mehrfach gefordert, das Teilnahmerecht sei auf das von der EMRK verlangte Minimum zu reduzieren, also auf das Recht, dass die beschuldigte Person oder ihre Verteidigung mit sog. Belastungszeugen (wozu auch mitbeschuldigte Personen zählen) einmal im gesamten Verfahren konfrontiert
werden und Gelegenheit zum Stellen von Fragen erhalten. Dieser Forderung kommt der Entwurf aus folgenden Überlegungen nicht nach: Bei der Diskussion der Teilnahmerechte ist immer das gesamte Verfahren (Vorverfahren und Hauptverfahren) im Auge zu behalten. Wie auch das Bundesgericht festgehalten hat, bilden die gegenüber der früheren Rechtslage gestärkten Partei- und Teilnahmerechte einen «vom Gesetzgeber angestrebten Ausgleich zu der in der neuen StPO (ebenfalls bewusst) ausgebauten starken Stellung der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren». 97 Dieses durch den Gesetzgeber angestrebte Gleichgewicht zwischen den Parteien ist zu wahren. Überdies tragen ausgebaute Teilnahmerechte dem Umstand Rechnung, dass im Hauptverfahren bloss eingeschränkte Unmittelbarkeit herrscht (vgl. Art. 343 Abs. 3 StPO), die nochmalige Erhebung von im Vorverfahren bereits erhobener 95 96 97

BGE 139 IV 25 E. 5.5.6.

Bommer, recht 2012, S. 147.

BGE 139 IV 25 E. 5.3.

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Beweise also eingeschränkt ist. Gerade auch deshalb ist auf eine übermässige Beschränkung der Teilnahmerechte ­ etwa auf das von der EMRK geforderte Minimum ­ zu verzichten. Eine solche wäre mit dem Grundkonzept, das hinter der StPO steht, nicht vereinbar, oder würde zumindest nach ausgleichenden Massnahmen rufen, wie etwa dem Ausbau der Unmittelbarkeit, der Einschränkung des Strafbefehlsverfahrens98 oder der generellen Anfechtbarkeit von Beweisanträgen, welche die Staatsanwaltschaft abgelehnt hat.99 Solche Änderungen würden allerdings grundlegende Eingriffe in das grundsätzlich bewährte System bedeuten. Dafür besteht weder Anlass noch verlangt der Auftrag des Parlaments derartige Paradigmenwechsel.

Die aufgezeigten Besonderheiten der schweizerischen Rechtsordnung schränken die Aussagekraft von Vergleichen mit den Rechtsordnungen anderer Länder ein. Die nur beschränkte Gewährung von Teilnahmerechten wird dort regelmässig kompensiert durch eine ausgebaute Unmittelbarkeit des Hauptverfahrens. Dies bedeutet, dass sich die Beweisaufnahme im Hauptverfahren «von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken [hat], die für die Entscheidung von Bedeutung sind». 100 Der schweizerische Gesetzgeber hat sich aber bewusst gegen eine solche ausgebaute und aufwendige Unmittelbarkeit im Hauptverfahren ausgesprochen.

In der Vernehmlassung begrüssten acht Teilnehmende die Einschränkungsmöglichkeit explizit; deren sieben lehnten die Formulierung dagegen ab. 101 In materieller Hinsicht wurde namentlich vorgebracht, die Befürchtung einer Anpassung der Aussage bestehe grundsätzlich immer, da vor der Einvernahme deren Inhalt ja nicht bekannt sei. Das gelte vor allem in der Anfangsphase der Untersuchung. Wenn die Befürchtung einer Anpassung aber grundsätzlich immer bestehe, dann führe die vorgeschlagene Regelung zu einem grundsätzlichen Ausschluss der Teilnahme. 102 Dass der Ausschluss der beschuldigten Person immer auch für die Verteidigung gelte, befürworteten acht Vernehmlassungsteilnehmende; fünf lehnten dies ab. Die Pflicht zur Aufzeichnung der Einvernahme, wie sie im Vorentwurf in Absatz 3 vorgeschlagen wurde, lehnten 15 Vernehmlassungsteilnehmende ab; deren sieben begrüssten den Vorschlag.103 Art. 150 Abs. 2 zweiter Satz Das geltende Recht bezeichnet den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts über
die Zusicherung der Anonymität als «endgültig». Da es in der StPO keine Ausnahmen vom Grundsatz der doppelten Instanz mehr geben soll, wird dieser Satz gestrichen.

98 99 100 101 102 103

So Weder, forumpoenale 2016, S. 282.

Nach geltendem Recht sind abgelehnte Beweisanträge nur unter besonderen Voraussetzungen anfechtbar (vgl. Art. 318 Abs. 2 und 3 sowie Art. 394 Bst. b StPO).

Art. 244 Abs. 2 StPO-BRD.

Vernehmlassungsbericht, S. 10 f.

Vernehmlassungsbericht, S. 9 f.

Vernehmlassungsbericht, S. 9 f.

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In der Vernehmlassung begrüssten drei Teilnehmende die vorgeschlagene Änderung; fünf lehnten sie ab.104 Wie oben (Ziff. 3.1.1) ausgeführt, hat der Bundesrat am 15. Juni 2018 mit der Verabschiedung der Botschaft zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes entschieden, dem Grundsatz der doppelten Instanz ausnahmslos zum Durchbruch zu verhelfen. An diesem erst vor kurzem getroffenen Entscheid ist trotz der knappen Ablehnung der vorgeschlagenen Änderung in der Vernehmlassung festzuhalten.

Art. 154 Abs. 4 Bst. d, 5 Die französische Fassung von Absatz 4 Buchstabe d erfährt eine rein redaktionelle Änderung, indem der Begriff «support préservant le son et l'image» durch «support audiovisuel» ersetzt wird.

Das geltende Recht kennt verschiedene Möglichkeiten, um den Kontakt zwischen dem Opfer und der beschuldigten Person zu vermeiden. So haben die Strafbehörden gemäss Artikel 152 Absatz 3 StPO eine «Begegnung» des Opfers mit der beschuldigten Person zu vermeiden, womit jede Form eines persönlichen Aufeinandertreffens gemeint ist.105 Sodann darf eine «Gegenüberstellung» eines Kindes als Opfer mit der beschuldigten Person nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen (Art. 154 Abs. 4 Bst. a StPO). Mit «Gegenüberstellung» ist eine von der Strafbehörde angeordnete Konfrontation zwischen dem Opfer und der beschuldigten Person zwecks Erhebung von Beweisen gemeint. Mit diesen beiden Massnahmen lässt sich ein unmittelbares, physisches Aufeinandertreffen von Opfer und beschuldigter Person vermeiden. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass diese Massnahmen bei Kindern als Opfer mitunter nicht ausreichen. So äussern sich Opfer in einer Einvernahme mitunter auch dann nicht unbefangen und offen, wenn die beschuldigte Person zwar nicht direkt im Raum anwesend ist, die Einvernahme aber in ein Nebenzimmer übertragen wird, wo die beschuldigte Person davon Kenntnis nehmen kann. Allein das Wissen, dass die beschuldigte Person die Aussagen des Kindes in Echtzeit mithört, vermag bei Kindern zu einer so schweren psychischen Belastung zu führen, dass ihr Aussageverhalten beeinflusst wird. Deshalb soll der neue Absatz 5 ermöglichen, die beschuldigte Person gänzlich von einer Einvernahme auszuschliessen, also auch dann, wenn zur Vermeidung einer Begegnung in Anwendung von Artikel 152 Absatz 3 StPO Schutzmassnahmen nach Artikel 149
Absatz 2 Buchstabe d StPO getroffen werden könnten. Der Ausschluss schränkt das rechtliche Gehör der beschuldigten Person trotz der Anwesenheit ihrer Verteidigung bei der Einvernahme ein, weshalb dem Anspruch auf rechtliches Gehör in anderer Weise Rechnung zu tragen ist, etwa durch die Möglichkeit, nach Kenntnis des Einvernahmeprotokolls Ergänzungsfragen zu stellen.

104 105

Vernehmlassungsbericht, S. 11.

BSK StPO-Wehrenberg, Art. 152 N 17.

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Art. 170 Abs. 2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts benötigen Amtsgeheimnisträgerinnen und -träger keine Ermächtigung ihrer vorgesetzten Behörde, wenn sie einer Anzeigepflicht unterliegen.106 Diese Rechtsprechung soll im Normtext abgebildet und damit eine Parallele zu Artikel 171 Absatz 2 Buchstabe a geschaffen werden; dies wurde von der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst.107 Art. 186 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 3 Das geltende Recht bezeichnet den Entscheid über eine stationäre Begutachtung als «endgültig». Dies widerspricht dem Grundsatz der doppelten Instanz («double instance»). Aus diesem Grund wird die Wendung «endgültig» in Absatz 2 zweiter Satz und Absatz 3 gestrichen.

In der Vernehmlassung begrüssten drei Teilnehmende die vorgeschlagene Änderung; fünf lehnten sie ab.108 Wie oben (Ziff. 3.1.1) ausgeführt, hat der Bundesrat am 15. Juni 2018 mit der Verabschiedung der Botschaft zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes entschieden, dem Grundsatz der doppelten Instanz ausnahmslos zum Durchbruch zu verhelfen. An diesem erst vor kurzem getroffenen Entscheid ist trotz der knappen Ablehnung der vorgeschlagenen Änderung in der Vernehmlassung festzuhalten.

Art. 210 Abs. 2 und 4 Im Bereich der internationalen Rechtshilfe führt es immer wieder zu Problemen, dass die StPO den Begriff «Haftbefehl» nicht verwendet, obschon Absatz 2 mit der Ausschreibung zwecks Verhaftung genau das meint. Deshalb soll die Bestimmung um den Begriff «Haftbefehl» ergänzt werden. Mit der Einfügung dieses Begriffs wird keine neue Aktenführungspflicht statuiert, wie dies in der Vernehmlassung befürchtet wurde.109 Ziel ist einzig, das «Ausschreiben zur Verhaftung und Zuführung» mit einem Begriff zu umschreiben, der in der internationalen Rechtshilfe gebräuchlich ist.

Diverse Vernehmlassungsteilnehmende regten an, dass der Polizei die Kompetenz zur Veranlassung der Fahndung nach Deliktsgut zukommen solle, so wie dies bereits praktiziert werde.110 Die geltende Regelung, wonach es in solchen Fällen einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung bedürfe, sei untauglich. Diesem Anliegen trägt der Entwurf mit der Anpassung von Absatz 4 Rechnung.

106 107 108 109 110

BGE 140 IV 177 Vernehmlassungsbericht, S. 11.

Vernehmlassungsbericht, S. 11.

Vernehmlassungsbericht, S. 12.

Vernehmlassungsbericht, S. 30.

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Art. 221 Abs. 1 Bst. c, Abs. 1bis und Abs. 2 Nach dem Wortlaut des geltenden Rechts setzen Untersuchungs- und Sicherheitshaft wegen Wiederholungsgefahr neben einer erheblichen Gefährdung der Sicherheit anderer durch schwere Verbrechen oder Vergehen voraus, dass die beschuldigte Person früher bereits «gleichartige Straftaten» verübt hat.

Das Bundesgericht dagegen lässt Haft wegen Wiederholungsgefahr ausnahmsweise auch ohne frühere gleichartige Straftaten zu mit der Begründung, nur so lasse sich der ernsthaften und konkreten Gefahr eines schweren Verbrechens begegnen. 111 Während ein Teil der Lehre diese Rechtsprechung als unzulässige Abweichung vom Gesetzeswortlaut scharf kritisiert112, wird sie von anderen als «sachlich und kriminalpolitisch dringend geboten» beurteilt.113 Die Rechtsprechung des Bundesgerichts führte zu zwei parlamentarischen Vorstössen: Die Motion 12.4077 (FDP-Liberale Fraktion, Definition der Untersuchungshaft, Aufhebung der Voraussetzung eines effektiv erfolgten Rückfalls) verlangt, auf das Erfordernis früher begangener Straftaten gänzlich zu verzichten und stattdessen Haft bereits beim Bestehen des blossen Risikos der Begehung einer weiteren Straftat zuzulassen.114 Die parlamentarische Initiative 12.495 (Jositsch, Untersuchungshaft bei qualifizierter Wiederholungsgefahr)115 dagegen will Artikel 221 Absatz 1 Buchstabe c so ändern, dass Untersuchungshaft bei sogenannter qualifizierter Wiederholungsgefahr angeordnet werden kann. Dieser Haftgrund war etwa der zürcherischen Strafprozessordnung bekannt und setzte dort die ernsthafte Befürchtung voraus, die beschuldigte Person werde, nachdem sie bereits zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt hat, erneut solche Straftaten begehen.116 Der Vorentwurf schlug eine Änderung vor, wonach eine einzige gleichartige Vortat genügen sollte. Dies wurde in der Vernehmlassung von der deutlichen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden grundsätzlich begrüsst. Es wurde jedoch geltend gemacht, die Regelung gehe zu wenig weit. Man solle analog der Rechtsprechung des Bundesgerichts in gewissen Fällen ganz auf das Erfordernis von Vortaten verzichten.117 Beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr handelt es sich in erster Linie um Präventivhaft.118 Präventivhaft ist eine sichernde, polizeiliche Zwangsmassnahme und stellt somit einen Fremdkörper
innerhalb des Strafprozessrechts dar. 119 Sie lässt sich nur schwer mit der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV) vereinbaren und hat einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit der betroffenen Person zur Folge.120 Bei der Anwendung dieses Haftgrundes ist deshalb Zurückhaltung geboten; er darf 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120

BGE 137 IV 13 Bommer/ Kaufmann, ZBJV 2015, 909 f. m.w.H.

BSK StPO-Forster, Art. 221 N 15.

Beide Räte haben die Motion angenommen.

Die Kommissionen für Rechtsfragen beider Räte haben der parlamentarischen Initiative zugestimmt.

§ 58 Ziff. 3 StPO-ZH.

Vernehmlassungsbericht, S. 12.

BGE 137 IV 84 E. 3.

Weder, ZStrR 2014, S. 367; Albrecht, AJP 3011, S. 981; Bommer, ZBJV 2015, S. 910; Conte, Präventivhaft, S. 97.

Conte, Präventivhaft, S. 95 ff.

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nur im Rahmen einer restriktiven Auslegung der spezifischen Voraussetzungen zur Anwendung kommen.121 Der Entwurf schlägt aufgrund des oben Gesagten eine differenzierte Regelung vor: In Buchstabe c von Absatz 1 soll der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäss geltendem Recht grundsätzlich beibehalten werden. Das heisst, es werden insbesondere nach wie vor mindestens zwei früher verübte gleichartige Straftaten als sogenannte «Vortaten» vorausgesetzt.122 Der Begriff «verübt» setzt voraus, dass diese Straftaten rechtskräftig beurteilt sein müssen.123 Denn diese Vortaten sind der einzige gesicherte Anhaltspunkt im Hinblick auf die zu erstellende Legalprognose.124 Mit der neu eingefügten Formulierung «unmittelbar» soll verdeutlicht werden (vgl.

auch Abs. 1bis und Abs. 2), dass die von der beschuldigten Person ausgehende Bedrohung akut sein muss, die schweren Straftaten in naher Zukunft drohen und deshalb die Haft mit grosser Dringlichkeit angeordnet werden muss;125 denn nur dann erscheint Präventivhaft auch gerechtfertigt. 126 Zudem soll der deutsche und italienische Wortlaut der Bestimmung an den französischen Wortlaut anpasst und damit der Rechtsprechung des Bundesgerichts gefolgt werden.127 Der Wortlaut muss heissen: «durch Verbrechen oder schwere Vergehen» beziehungsweise «crimini o delitti gravi».

Neu schlägt der Entwurf in Absatz 1bis ­ ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichts ­ einen Haftgrund wegen qualifizierter Wiederholungsgefahr vor.

Indem dieser Haftgrund in einem separaten Absatz geregelt wird, soll sein Ausnahmecharakter und seine systematische Nähe zum Haftgrund der Ausführungsgefahr (Art. 221 Abs. 2 StPO) ausgedrückt werden.

Der Haftgrund verzichtet zwar gänzlich auf das Erfordernis der Vortaten, er soll aber nur unter folgenden restriktiven Voraussetzungen zur Anwendung gelangen: Der Haftgrund der qualifizierten Wiederholungsgefahr setzt zum einen voraus, dass die beschuldigte Person dringend verdächtig ist, durch ein Verbrechen oder ein schweres Vergehen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer Person schwer beeinträchtigt zu haben (Bst. a). Zum anderen setzt er voraus, dass die ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, die beschuldigte Person werde ein gleichartiges, schweres Verbrechen verüben (Bst. b).

Weil auf jegliche Vortaten (als einziger
gesicherter Anhaltspunkt im Hinblick auf die Rückfallprognose) verzichtet wird, erscheint es gerechtfertigt, die in Verdacht stehenden Straftaten auf Verbrechen und schwere Vergehen gegen hochwertige Rechtsgüter (z. B. Leib und Leben oder sexuelle Integrität) einzuschränken. Das zusätzliche Erfordernis der «schweren Beeinträchtigung» soll sicherstellen, dass nicht nur der abstrakte Strafrahmen der Straftaten, sondern auch die Umstände des 121 122 123 124 125 126 127

Conte, Präventivhaft, S. 97.

BBl 2006 1085, 1229 Albrecht, AJP 2011, S. 982.

Manfrin, Ersatzmassnahmenrecht, S. 152.

Conte, Präventivhaft, S. 296.

Dumitrescu, AJP 2015, S. 452.

BGE 137 IV 84

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Einzelfalles bei der Haftprüfung berücksichtigt werden (Bst. a). Diese Beschränkungen sind ausserdem erforderlich mit Blick auf die drohenden gleichartigen schweren Verbrechen. Denn nur wenn von der beschuldigten Person eine schwere Gefahr für die Rechtsgüter potentieller Opfer ausgeht, erscheint die Präventivhaft (wie auch beim Haftgrund der Ausführungsgefahr) gerechtfertigt. 128 Schliesslich soll mit der Beschränkung ausgeschlossen werden, dass dieser Haftgrund bei rein materiellen Schädigungen oder sozialschädlichen Verhaltensweisen zur Anwendung gelangt.

Zum zeitlichen Aspekt der drohenden Wiederholungstat siehe die Kommentierung zu Buchstabe c von Absatz 1.

Der Haftgrund der qualifizierten Wiederholungsgefahr kann für ein kantonales Bedrohungsmanagement von Bedeutung sein.129 Die in Absatz 1 Buchstabe c und Absatz 1bis vorgenommene Präzisierung der drohenden Gefahr ist auch beim Haftgrund der Ausführungsgefahr gemäss Absatz 2 angezeigt. Dies nicht zuletzt, weil es sich bei diesem Haftgrund um reine Präventivhaft handelt.

Art. 222 Abs. 2 Nach dem Wortlaut des geltenden Rechts kann einzig die verhaftete Person gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts über die Untersuchungs- und Sicherheitshaft Beschwerde führen (Art. 222 i.V.m. Art. 393 Abs. 1 Bst. c StPO).

Das Bundesgericht hat indessen in einem Grundsatzentscheid130 festgehalten, dass das Recht, Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts über die Untersuchungs- und Sicherheitshaft mit Beschwerde anzufechten, nicht nur der beschuldigten Person, sondern auch der Staatsanwaltschaft zustehe. Zur Begründung der Beschwerdelegitimation brachte das Bundesgericht vor, dass das Schweigen des Gesetzes bezüglich des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft auf einem Versehen des Gesetzgebers beruhe. Die Einräumung der Beschwerdelegitimation sei zudem aufgrund der allgemeinen Garantie des doppelten Instanzenzuges geboten und schliesslich aufgrund des öffentlichen Interesses einer funktionierenden Strafjustiz erforderlich.

In diversen, dem Grundsatzentscheid nachfolgenden Entscheiden gab das Bundesgericht Anleitungen für das konkrete Vorgehen, insbesondere um dem Problem der in Artikel 226 Absatz 5 StPO vorgesehenen unverzüglichen Haftentlassung zu begegnen.131 Die Rechtsprechung des Bundesgerichts ist als gefestigt anzusehen.132 128 129

Coninx, ZSR 2016, S. 394; Conte, Präventivhaft, S. 295, Weder, ZStrR 2014, S. 375 ff.

S. dazu den Bericht «Bedrohungsmanagement, insbesondere bei häuslicher Gewalt» in Erfüllung des Postulates 13.3441 Feri vom 13.06.2013, zu finden unter www.parlament.ch > 13.3441 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

130 BGE 137 IV 22 131 BGE 137 IV 230; BGE 137 IV 237, Urteil des Bundesgerichts vom 4. Jan. 2012 1B_442/2011.

132 Vgl. z. B. BGE 137 IV 78; BGE 137 IV; BGE 137 IV 237; BGE 139 IV 314; Urteile des Bundesgerichts vom 22. Febr. 2011 1B_65/2011; vom 4. Jan. 2012 1B_442/2011; vom 7. Juni 2016 1B_31/2016; vom 28. Juli 2016 1B_253/2016; BSK StPO-Forster, Art. 222 N 6.

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Der wohl überwiegende Teil der Lehre kritisiert die vom Bundesgericht eingeräumte Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft,133 während eine Minderheit der Lehre diese begrüsst.134 Diese Rechtsprechung ins Gesetz zu überführen verlangt denn auch die parlamentarische Initiative 12.497 (Jositsch, Beschwerdeberechtigung bei Haftentscheiden), der Folge gegeben wurde.

Insbesondere weil der Bundesrat die vollständige Berücksichtigung des Grundsatzes des doppelten Instanzenzuges in der StPO vorschlägt (Ziff. 3.1.1), räumt Absatz 2 der Staatsanwaltschaft deshalb explizit ein Beschwerderecht gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts ein (zum Verfahren vgl. nachfolgend Art. 226a).

Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsste die gesetzliche Verankerung der Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft.135 Art. 225 Abs. 3 und 5 In Absatz 3 erfolgt im italienischen Text eine rein redaktionelle Anpassung.

Das geltende Recht sieht vor, dass das Zwangsmassnahmengericht in der Regel eine mündliche Haftverhandlung durchführt (Art. 225 Abs. 1 StPO). Dies weil die beschuldigte Person einen grundrechtlichen Anspruch auf persönliche Anhörung durch das haftanordnende Gericht hat (Art. 31 Abs. 3 BV). Verzichtet die beschuldigte Person explizit auf eine mündliche Verhandlung, so führt das Zwangsmassnahmengericht hingegen ein schriftliches Verfahren durch (Art. 225 Abs. 5 StPO).

Neu soll es gemäss Absatz 5 im Ermessen des Zwangsmassnahmengerichts liegen, ob es auch in solchen Fällen anstelle einer schriftlichen eine mündliche Verhandlung durchführen will. Diese Änderung erfolgt mit Blick auf den Ablauf des weiteren Verfahrens, wenn die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen den Haftentscheid des Zwangsmassnahmengerichts erheben will (vgl. Art. 226a).

Art. 226a Wie oben dargelegt, sieht der Entwurf aufgrund des Vernehmlassungsergebnisses die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts explizit vor (Art. 222 Abs. 2).

In Bezug auf das Haftverfahren gilt es aufgrund des übergeordneten Rechts diverse Vorgaben zu beachten: So muss nach Artikel 5 Absatz 3 EMRK (Art. 31 Abs. 3 BV) die von der Festnahme oder vom Freiheitsentzug betroffene Person unverzüglich einem Richter vorgeführt werden, der die Rechtmässigkeit der Haftgründe zu prüfen hat. Was unverzüglich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es handelt sich jedoch um eine 133

Oberholzer, forumpoenale 2012, S. 156 ff.; Hansjakob, forumpoenale 2012, S. 148 ff.; Niggli, ContraLegem 2018, S. 47 f.; Fricker/Büttiker, Jusletter 2012, Rz 18; Donatsch/Hiestand, ZStrR 2014, S. 1 ff.; Tokay-Sahin, AJP 2018, S. 1212 ff.; Hohl-Chirazi, La privation de liberté, S. 350 ff.; Schmid, Handbuch, Rz 1041; Beeler, Praktische Aspekte, S. 160 ff. (m.w.Verw. auf die Lehrmeinungen in Fn 206).

134 BSK StPO-Forster, Art. 222 N 6; Hug/Scheidegger, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 222 N 8.

135 Vernehmlassungsbericht, S. 12.

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kürzere Frist, als die in Artikel 5 Absatz 4 EMRK (Art. 31 Abs. 4 BV) vorgesehene Prüfung innert kurzer Zeit.136 Gemäss Rechtsprechung des EGMR muss die festgenommene Person grundsätzlich spätestens innert vier Tagen dem Haftrichter vorgeführt werden. Dabei handelt es sich um eine maximale Frist.137 Das Gericht muss die festgenommene Person persönlich anhören und alle Tatsachen und Umstände, die für oder gegen eine Haft sprechen, vom Amtes wegen prüfen. 138 Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Artikel 5 Absatz 3 EMRK muss das Gericht schliesslich die Kompetenz haben, die Haftentlassung verbindlich anzuordnen (sog. «power of release»; vgl. auch Art. 31. Abs. 3 BV), falls die Haftgründe nicht oder nicht mehr erfüllt sind.139 Der EGMR anerkennt zwar, dass bis zur Entlassung eine gewisse Zeit erforderlich sein kann; diese muss aber auf das absolut erforderliche Minimum beschränkt sein.140 Zweck von Artikel 5 Absatz 3 EMRK ist die prompte, automatische, justizförmige Kontrolle der angeordneten Haft. 141 Artikel 224 Absatz 2 StPO sieht in Anlehnung an die Vorgaben der EMRK und BV deshalb vor, dass die Staatsanwaltschaft spätestens innert 48 Stunden seit der Festnahme der beschuldigten Person dem Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft zu beantragen hat. Das Zwangsmassnahmengericht fällt seinen Entscheid wiederum innert 48 Stunden seit Eingang des Antrages (Art. 226 Abs. 1 StPO) im Rahmen einer ­ in der Regel ­ mündlichen Haftverhandlung (Art. 225 StPO). Ordnet es die Untersuchungshaft nicht an, so wird die beschuldigte Person unverzüglich freigelassen (Art. 226 Abs. 5 StPO).

Aufgrund der im Völker- und Verfassungsrecht enthaltenen Vorgaben, schlug der Vorentwurf in einem neuen Artikel 228a ein beschleunigtes Beschwerdeverfahren vor, das jedoch nur bei Beschwerden der Staatsanwaltschaft zur Anwendung kommen sollte. Dieses Verfahren orientierte sich nur teilweise am beschleunigten Beschwerdeverfahren, welches die Rechtsprechung des Bundesgerichts vorgibt. Der Vorschlag wurde in der Vernehmlassung jedoch stark kritisiert. Zahlreiche kritische Stimmen verlangten, dass das vom Bundesgericht vorgegebene Lösungsmodell in die StPO zu überführen sei.142 Unter Berücksichtigung des Vernehmlassungsergebnisses schlägt der Entwurf nun weitgehend das vom Bundesgericht vorgegebene Lösungsmodell vor.143 Ausserdem
soll das beschleunigte Verfahren aufgrund der Kritik in der Vernehmlassung nur noch für Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts bezüglich erstmaliger Haftanordnung gelten (Art. 225 f. StPO). Dies weil Entscheide der Beschwer136 137 138 139

140 141 142 143

Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 5 N 75.

EGMR, Rs 1209/84, Ziff. 59, 62 (Brogan/UK).

Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 5 N 41.

EGMR, Rs 25642/94, Ziff. 47 (Aquilina/Malta), EGMR Rs 7710/76, Ziff. 31 (Schiesser/Schweiz), EGMR Rs 24760/94, Ziff. 146 (Assenov und andere/Bulgarien); EGMR Guide on Article 5 of the European Convention on Human Rights, Right to liberty and security, §176; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 5 N 78.

Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 5 N 41.

Frowein/ Peukert, EMRK, Art. 5 N 101.

Vernehmlassungsbericht, S. 13 f.

Zum Lösungsmodell vgl. Forster, ZStrR 2012, S. 345 ff.

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deinstanz bezüglich Haftverlängerung (Art. 227 StPO) oder Haftentlassung aufgrund eines Gesuches (Art. 228 StPO) namentlich nicht derselben Dringlichkeit wie der Entscheid bei der erstmaligen Haftüberprüfung unterstehen. Allerdings müssen die Entscheide bezüglich Haftentlassung gemäss den Vorgaben von Artikel 5 Absatz 4 EMRK (Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Abs. 2 StPO) innerhalb kurzer Zeit ergehen.

Diese Fristvorgabe gilt auch für ein allfälliges Rechtsmittel.144 Entscheide bezüglich Haftverlängerung unterstehen einzig dem Beschleunigungsgebot (Art. 5 Abs. 2 StPO).

Aus systematischen Gründen wird deshalb das beschleunigte Beschwerdeverfahren gegen Entscheide bezüglich erstmaliger Haftanordnung in einem neuen Artikel 226a geregelt. Gegen Entscheide bezüglich Haftentlassung und Haftverlängerung kommt das Beschwerdeverfahren gemäss Artikel 379 ff. StPO zur Anwendung.

Das Bundesgericht hat sich ­ soweit ersichtlich ­ bislang noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob das von ihm skizzierte Verfahren mit dem übergeordneten Recht vereinbar ist. Der Bundesrat kann diese Frage ­ um es vorweg zu nehmen ­ nicht abschliessend beantworten (zu den Details vgl. die nachfolgende Kommentierung bei den einzelnen Absätzen).

Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde gemäss Absatz 1 unverzüglich nach der Eröffnung des Entscheides dem Zwangsmassnahmengericht anzukündigen; dies schriftlich oder mündlich zu Protokoll.145 Dabei dürfte es ­ mit Blick auf die Fristvorgabe in Absatz 2 ­ sinnvoll sein, dass das Zwangsmassnahmengericht in den Fällen, in denen es eine Haftentlassung entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft in Erwägung zieht, eine mündliche Verhandlung ansetzt und die Staatsanwaltschaft zur Teilnahme verpflichtet; dies selbst dann wenn die beschuldigte Person explizit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. In einem solchen Fall kann die Staatsanwaltschaft die Beschwerde im Anschluss an die Eröffnung sogleich mündlich zu Protokoll geben. Findet keine mündliche Verhandlung statt oder nimmt die Staatsanwaltschaft nicht teil, so ist sicherzustellen, dass der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts der Staatsanwaltschaft schnellstmöglich eröffnet wird (z. B. per Vorab-Fax oder telefonisch), so dass diese die Beschwerde ebenfalls unverzüglich beim Zwangsmassnahmengericht ankündigen kann.146 Die Staatsanwaltschaft
hat im Gegenzug ihre Erreichbarkeit sicherzustellen. Unverzüglich dürfte in diesem Zusammenhang bedeuten, dass die Ankündigung der Staatsanwaltschaft innerhalb von 15­20 Minuten seit Eröffnung des Entscheides erfolgen muss. 147 Erfolgt die Ankündigung nicht unverzüglich, so ist die beschuldigte Person freizulassen. Idealerweise sollte die Ankündigung der Beschwerde auch der Beschwerdeinstanz schnellstmöglich mitgeteilt werden. Die Ankündigung der Beschwerde hat zur Folge, dass das Zwangsmassnahmengericht vorerst keine Haftentlassung anordnen kann. Diese (provisorisch) verlängerte Haftdauer sei gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts 144

BSK BV-Schürmann, Art. 31 N 44 ff.; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 5 N 102 ff.

145 BGE 139 IV 314 E. 2.2.1.

146 BGE 138 IV 92 E. 3.3.

147 15 Min. gem. den Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft für das Vorverfahren (WOSTA) des Kantons Zürich, Ziff. 11.6.3.2; 20 Min. gem. der Weisung Nr. 1.8 der Oberstaatsanwaltschaft zum Haft- und Haftbeschwerdeverfahren, Ziff. 5.

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im Interesse der Erreichung des Untersuchungszwecks und der Gewährleistung eines wirkungsvollen Beschwerderechts erforderlich.148 Erhebt die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen den haftaufhebenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts, so fragt sich, ob ­ aufgrund des devolutiven Effektes der Beschwerde ­ die Fristvorgabe der EMRK noch eingehalten wird.

Nach Ansicht des Bundesrates ist nicht eindeutig geklärt, ob die Fristvorgabe der EMRK bereits mit der physischen Vorführung der betroffenen Person als eingehalten gilt oder erst dann, wenn das Zwangsmassnahmengericht beziehungsweise die Beschwerdeinstanz ihren Entscheid fällt.

Denn weder aus der Lehre noch aus der Rechtsprechung zur EMRK ergibt sich eine eindeutige Antwort auf diese Frage. Ausdrücklich thematisiert wird lediglich die Frist bis zur physischen Vorführung. Ob hiermit die Dauer bis zum endgültigen Entscheid eingeschlossen ist, wird nicht präzisiert.149 Im Fall McKay gegen Vereinigtes Königreich vergingen zwischen der Festnahme und dem Entscheid des High Courts nur drei Tage; die maximale Frist von vier Tagen war also noch unterschritten.150 Das Urteil ist daher nur beschränkt aussagekräftig.

Nach dem Gesagten kann Artikel 5 Absatz 3 EMRK aber auch so verstanden werden, dass für die Wahrung der Fristvorgabe der EMRK die physische Vorführung der beschuldigten Person vor das Gericht entscheidend ist.

Mit Blick auf das Erfordernis der «power of release» fragt sich zudem, ob der Umstand, dass das Zwangsmassnahmengericht die beschuldigte Person aufgrund einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht verbindlich aus der Haft entlassen kann, nicht einen Verstoss gegen die Vorgaben der EMRK respektive die Rechtsprechung des EGMR zur Folge hat. Bislang fehlen auch zu dieser Frage eindeutige Präjudizien des EGMR. Im oben erwähnten Fall McKay gegen Vereinigtes Königreich hat der EGMR nicht beanstandet, dass der «magistrate» (Haftrichter) im konkreten Fall keine verbindliche Kompetenz hatte, die beschuldigte Person aus der Haft zu entlassen; darüber konnte nur der «High Court» (Rechtsmittelinstanz) entscheiden. Allerdings waren in diesem Fall bis zum Entscheid des High Courts ­ wie erwähnt ­ nur 3 Tage seit der Festnahme vergangen; die 4-Tages-Frist war also noch unterschritten. Der Bundesrat kann demzufolge diese Frage ebenfalls nicht
abschliessend beurteilen.

Absatz 2 sieht vor, dass die Staatsanwaltschaft innert sechs Stunden seit der Ankündigung eine schriftlich begründete Beschwerde beim Zwangsmassnahmengericht zuhanden der Beschwerdeinstanz einzureichen hat. Die Frist wurde aufgrund des Vernehmlassungsergebnisses um drei Stunden verlängert. Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmende monierten die Frist von drei Stunden als zu kurz; denn eine solche kurze Frist verunmögliche es der Staatsanwaltschaft faktisch, das Beschwerderecht wirksam auszuüben.151 Die Beschwerde hat gemäss Lösungsmodell des

148 149 150 151

BGE 137 IV 237 E. 2.5; BGE 138 IV 92 E. 3.4.

Frowein/ Peukert, EMRK, Art. 5 N 72; Trechsel, Human Rights, S. 512.

EGMR, Rs 543/03, Ziff. 48­51 (McKay/UK).

Vernehmlassungsbericht, S. 13.

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Bundesgerichts insbesondere den Antrag auf Aufrechterhaltung der Haft sowie ein Gesuch um aufschiebende Wirkung zu enthalten.152 Reicht die Staatsanwaltschaft die Beschwerde nicht fristgerecht ein, so entlässt das Zwangsmassnahmengericht die beschuldigte Person unverzüglich aus der Haft.

Damit wird deutlich gemacht, dass es sich bei dieser Frist um ein Gültigkeitserfordernis handelt.

Das Zwangsmassnahmengericht übermittelt gemäss Absatz 3 die Beschwerde sowie die summarische oder ­ sofern bereits vorliegend ­ die definitive Begründung des Entscheides (Art. 226 Abs. 2 zweiter Satz StPO) zusammen mit den Haftakten (inkl.

Verhandlungsprotokoll, Dispositiv, ggf. eine kurze Stellungnahme zur Beschwerde) unverzüglich der Beschwerdeinstanz.

Absatz 4 verpflichtet die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz, innert sechs Stunden seit Eingang der Beschwerde einen Entscheid betreffend Fortführung der Haft zu fällen. Dieser Entscheid dürfte in aller Regel ­ aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit ­ ohne vorgängige Gewährung des rechtlichen Gehörs, d. h. superprovisorisch geschehen. Fällt der Haftentscheid der Verfahrensleitung negativ aus, so ist die betroffene Person unverzüglich aus der Haft zu entlassen (Art. 226a Abs. 6 i.V.m. Art. 226 Abs. 5 StPO). Der Entscheid der Verfahrensleitung kann gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht beim Bundesgericht angefochten werden.153 Die Verlängerung der Frist in Absatz 2 dürfte zur Folge haben, dass ein Pikettdienst für die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz kaum zu vermeiden ist.

Der Umstand, dass der Haftentscheid der Verfahrensleitung in aller Regel ohne vorgängige Gewähr des rechtlichen Gehörs gefällt wird und sich nur auf rudimentäre Akten stützt, wird in der Lehre kritisiert. Ein solches Verfahren entspreche nicht den Anforderungen von Artikel 5 Absatz 3 EMRK (Art. 31 Abs. 3 BV).154 Die Beschwerdeinstanz fällt den definitiven Haftentscheid gemäss Absatz 5 innert 72 Stunden seit Eingang der Beschwerde. Diese Regelung weicht vom Lösungsmodell des Bundesgerichts ab, das keine spezielle Fristvorgabe macht, sondern die Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots (Art. 5 Abs. 2 StPO) genügen lässt.

Für den Bundesrat ist der Verzicht auf eine Fristvorgabe ­ mit Blick auf die Vorgaben des übergeordneten Rechts ­ kein gangbarer Weg. Er trägt jedoch mit der
Verlängerung der Frist von 48 auf 72 Stunden insbesondere der Kritik Rechnung, dass die im Vorentwurf vorgesehene Frist von 48 Stunden zu kurz sei, um einen fundierten Entscheid zu fällen (Gefahr von Qualitätseinbussen).

Das Verfahren vor der Beschwerdeinstanz richtet sich gemäss Absatz 6 sinngemäss nach den Artikeln 225 und 226 Absätze 2­5 StPO. Der Verweis bedeutet insbesondere, dass grundsätzlich ein mündliches Beschwerdeverfahren durchgeführt werden muss (Art. 225 Abs. 1 StPO). Der Bundesrat hält aufgrund der Vorgaben des höherrangigen Rechts (s. oben) an diesem Grundsatz fest, auch wenn dies in der Ver152

Forster, ZStrR 2012, S. 347; vgl. dazu auch die Weisung Nr. 1.8 in der Fassung vom 1. Nov. 2018 der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz zu Haft- und Beschwerdeverfahren, Ziff. 6.

153 BGE 138 IV 92 E. 2.

154 Beeler, Untersuchungshaft, S. 167.

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nehmlassung insbesondere mit der Begründung abgelehnt wurde, die beschuldigte Person sei schon vom Zwangsmassnahmengericht persönlich angehört worden.155 Im Übrigen gelten die allgemeinen Vorschriften zu den Rechtsmitteln (Art. 379 ff.

StPO) sowie zur Beschwerde (Art. 393 ff. StPO).

Art. 236 Abs. 1 und 4 Die Änderung von Absatz 4 stellt klar, dass der vorzeitige Straf- oder Massnahmenvollzug nur bewilligt werden kann, wenn er auch im Vollzugsregime vollzogen werden kann. Dies weil die Vollzugseinrichtungen nicht verschiedene Vollzugsregimes nebeneinander führen können.

Deshalb knüpft Absatz 1 die Gewährung des vorzeitigen Straf- oder Massnahmenvollzugs neu an die zusätzliche Voraussetzung, dass ihm der Zweck, um derentwillen die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft angeordnet wurde, nicht entgegensteht.

Dabei ist etwa an die Kollusionsgefahr zu denken, der sich im Vollzugsregime nicht gleich gut begegnen lässt, wie im Regime der Untersuchungshaft.

In der Vernehmlassung wurde die vorgeschlagene Änderung überwiegend begrüsst.156 Art. 248 Abs. 1, 2 und 3 Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts können nicht nur der Inhaber oder die Inhaberin von Unterlagen ein Siegelungsbegehren stellen, sondern vielmehr alle Personen, die unabhängig von den Besitzverhältnissen ein rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts von Unterlagen haben.157 Diese Rechtsprechung soll im Text von Absatz 1 Niederschlag finden; die Legitimation zur Siegelung ist deshalb ­ gleich wie bei Artikel 264 Absatz 3 StPO ­ auf die «berechtigte Person» auszuweiten.

Im Gesetzestext ist sodann klarzustellen, dass ein Gesuch um Siegelung rasch gestellt werden muss. Das entspricht der in der Lehre unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung vertretenen Ansicht, der Antrag müsse «in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang» mit der Sicherstellung erfolgen.158 Deshalb wird Absatz 1 zum einen um das Wort «unverzüglich» ergänzt. Die Auslegung von «unverzüglich» kann sich an der Rechtsprechung zur Regelung über den Ausstand (Art. 58 Abs. 1 StPO) orientieren, wonach «unverzüglich» innert sechs bis sieben Tagen bedeutet. Zum andern statuiert Absatz 1 eine Frist von 10 Tagen. Dieser Höchstfrist bedarf es für jene Fälle, in denen eine berechtigte Person erst nach längerer Zeit von der Sicherstellung erfährt,
die Strafbehörde die sichergestellten Aufzeichnungen oder Gegenstände aber schon ausgewertet hat.

In der Vernehmlassung wurde gefordert, die Voraussetzungen für die Siegelung so zu verschärfen, dass ein spezifisches Beschlagnahmeverbot geltend gemacht werden

155 156 157 158

Vernehmlassungsbericht, S. 14.

Vernehmlassungsbericht, S. 15.

BGE 140 IV 28 E. 4.3.4.

BSK StPO-Thormann/Brechbühl, Art. 248 N 11.

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müsste.159 Eine solche Einschränkung ginge indes zu weit, denn die Siegelung soll auch verhindern, dass die Strafverfolgungsbehörde oder andere Parteien im Verfahren von schützenswerten Geheimnissen (insbesondere Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse) Kenntnis erhalten.160 Entsprechende Aufzeichnungen oder Gegenstände dürfen nach geltendem Recht auch «aus anderen Gründen» nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden. In der Praxis scheinen Inhaberinnen und Inhaber oftmals mit pauschaler Berufung auf «andere Gründe» die Siegelung zu verlangen; dies wohl auch deshalb, weil die damit gemeinten Konstellationen sich nicht ohne weiteres allein aus dem Gesetzeswortlaut ergeben. Aus diesem Grund soll der Wortlaut präzisiert werden. Konkret soll die Person, welche die Siegelung verlangt, glaubhaft machen müssen, dass eine Durchsuchung oder Beschlagnahme wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts nicht vorgenommen werden darf oder weil die Aufzeichnungen oder Gegenstände Fabrikations-, Geschäfts- oder Privatgeheimnisse enthalten. Aus Gründen der Kohärenz ist auch der Wortlaut von Artikel 264 Absatz 3 anzupassen.

Absatz 3: Die Siegelung soll verhindern, dass die mit der Strafsache befasste Behörde von Geheimnissen erfährt, von denen sie keine Kenntnis haben dürfte. Deshalb erscheint die heutige Regelung unbefriedigend, wonach das mit der Strafsache selbst befasste Gericht auch über die Entsiegelung entscheidet.161 Es wird vorgeschlagen, dass das Zwangsmassnahmengericht nicht nur wie heute im Vorverfahren über die Entsiegelung entscheidet, sondern auch im erstinstanzlichen Verfahren (Bst. a). Im Rechtsmittelverfahren dagegen soll diese Kompetenz der Verfahrensleitung des Gerichts zukommen, bei dem der Fall hängig ist. Zwar entscheidet damit ein Mitglied des später in der Sache urteilenden Gerichts über die Entsiegelung. Diese Unstimmigkeit gründet aber darin, dass sich das Zwangsmassnahmengericht hier nicht als Entsiegelungsbehörde vorsehen lässt, weil es hierarchisch regelmässig unterhalb der Rechtsmittelinstanz angesiedelt ist. Überdies ist auch zu bedenken, dass Entsiegelungsverfahren vor der Rechtsmittelinstanz eher selten vorkommen dürften und mit der Verfahrensleitung zudem nur ein einziges Mitglied des Gerichts in das Entsiegelungsverfahren involviert ist.

Zu ändern ist schliesslich auch
der Rechtsmittelweg gegen Entsiegelungsentscheide des Zwangsmassnahmengerichts: Heute sind dessen Entscheide «endgültig» (Abs. 3 Einleitungssatz) mit der Folge, dass das Bundesgericht als einzige Rechtsmittelinstanz über Entsiegelungen entscheidet. Zum einen entspricht dies nicht der Aufgabe und Rolle des höchsten Gerichts, zum andern stellen Entsiegelungsverfahren ­ namentlich wenn es um Datenträger geht ­ das Bundesgericht auch vor grosse praktische Herausforderungen. Deshalb behält sich das Bundesgericht vor, «in ausserordentlich umfangreichen bzw. komplexen Fällen die Beschwerde nicht gleich selbst zu behandeln, sondern an die Beschwerdeinstanz gemäss Art. 20 und 393 ff.

StPO zu überweisen und darauf (vorerst) nicht einzutreten».162 Ob diese Praxis mit dem Gesetz vereinbar ist, kann offenbleiben, jedenfalls manifestiert sie das Bedürfnis nach einer Regelung, welche dem Prinzip der «double instance» Rechnung trägt.

159 160 161 162

Vernehmlassungsbericht, S. 16.

Vgl. auch Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1239.

Kritisch auch BSK StPO-Thormann/Brechbühl, Art. 248 N 30.

Urteil des Bundesgerichts 1B_595/2011 vom 21. März 2012 E. 5.3.

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Deshalb soll der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts nicht mehr als endgültig bezeichnet werden, was ­ verbunden mit der vorgeschlagenen Änderung von Artikel 393 Absatz 1 Buchstabe c ­ dazu führt, dass Entsiegelungsentscheide des Zwangsmassnahmengerichts mit Beschwerde gemäss StPO angefochten werden können.

Aus der Vernehmlassung ergibt sich weder eine klare Zustimmung zur vorgeschlagenen Regelung noch deren klare Ablehnung. Vielmehr bilden einzelne Details Gegenstand von Vorbehalten oder Alternativvorschlägen.163 Art. 251a Das Bundesrecht schreibt in Artikel 12 Absatz 1 und 12a der Strassenverkehrskontrollverordnung vom 28. März 2007164 (SKV) und in Artikel 40d der Binnenschifffahrtsverordnung vom 8. November 1978165 (BSV) vor, in welchen Fällen zur Kontrolle der Fahrfähigkeit zwingend eine Blutuntersuchung anzuordnen ist. Nach geltendem Recht kann die Polizei auch in diesen Fällen die Blutuntersuchung jedoch nicht selbstständig anordnen, sondern muss die Staatsanwaltschaft um die Durchführung ersuchen. Das ergibt offenkundig keinen Sinn, denn der Staatsanwaltschaft steht aufgrund der bundesrechtlichen Vorgaben kein Ermessen zu. Deshalb soll die Kompetenz zur Anordnung der Blutabnahme und der Analyse in diesen Fällen der Polizei zukommen (Bst. b). Gleiches gilt für die Sicherstellung von Urin zur späteren Untersuchung der Fahrfähigkeit. Zwar bestehen hier keine bundesrechtlichen Vorgaben, es handelt sich jedoch nicht um eine eingreifende Massnahme (Bst. c).

Anders liegen die Dinge bei Blutuntersuchungen, für deren Anordnung ein Ermessensspielraum besteht: Weil es hier um Entscheide über eine relativ eingreifende Massnahme geht, soll weiterhin die Staatsanwaltschaft zur Anordnung zuständig sein.

Die vorgeschlagene Regelung wurde in der Vernehmlassung überwiegend begrüsst.

Der im Vorentwurf vorgeschlagene Absatz 2, wonach die Polizei die Staatsanwaltschaft informieren muss, wenn sich jemand der Blutprobe widersetzt, sei überflüssig. Die Polizei informiere die Staatsanwaltschaft ohnehin, weil nur diese für die Anordnung von Zwangsmassnahmen zuständig sei. 166 Weil diese Argumentation überzeugt, wird auf den seinerzeit vorgeschlagenen Absatz 2 verzichtet.

Im Vorentwurf noch keine Erwähnung fand die Atemalkoholprobe (Bst. a). Zur Klarstellung drängt sich auch hier eine ausdrückliche Regelung
auf. Gemäss Artikel 55 Absatz 1 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958167 (SVG) können Fahrzeugführer und an Unfällen beteiligte Strassenbenützer einer Atemalkoholprobe unterzogen werden. Diese Massnahme setzt nicht zwingend einen Tatverdacht voraus, sondern kann auch bei voraussetzungslosen Routinekontrollen erfolgen. Soweit die Atemalkoholprobe ohne besonderen Anlass erfolgt, handelt es sich um eine polizeiliche Massnahme, zu deren Anordnung aufgrund der Zuständigkeitsvorschriften des kantonalen Rechts regelmässig die Polizei zuständig ist. Soweit die 163 164 165 166 167

Vernehmlassungsbericht, S. 15 f.

SR 741.013 SR 747.201.1 Vernehmlassungsbericht, S. 16.

SR 741.01

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Atemalkoholprobe jedoch aufgrund eines Tatverdachts anzuordnen ist, geht es in der Sache um eine strafprozessuale Massnahme, konkret um eine Untersuchung im Sinne von Artikel 251 StPO, für deren Anordnung die Staatsanwaltschaft zuständig ist (Art. 198 StPO). Das ist nicht sinnvoll und ungereimt: 168 Die Polizei kann zwar voraussetzungslose Atemalkoholproben anordnen, soll aber nicht (mehr) zuständig sein, wenn bereits ein Tatverdacht besteht. Die Rechtsprechung erachtet es zum Teil als selbstverständlich, dass die Polizei auch für die Anordnung einer Atemalkoholprobe aufgrund eines konkreten Anfangsverdachts zuständig ist.169 Um alle Zweifel zu beseitigen und Kohärenz mit den Zuständigkeitsregeln der StPO zu schaffen, schlägt der Entwurf vor, die Zuständigkeit der Polizei zur Durchführung einer Alkoholprobe aufgrund eines konkreten Tatverdachts ausdrücklich festzuschreiben.

Art. 255 und 257 Wie bereits unter Ziffer 3.1.7 erwähnt, darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein DNA-Profil nicht nur erstellt werden, um jene Tat aufzuklären, um derentwillen das Verfahren geführt wird (sog. Anlasstat). Vielmehr bildet Artikel 255 Absatz 1 Buchstabe a auch die gesetzliche Grundlage für die Erstellung eines DNAProfils im Hinblick auf allfällige künftige Delikte.170 Unzulässig ist es gemäss Bundesgericht allerdings, von beschuldigten Personen routinemässig ein DNAProfil zu erstellen, einzig, weil diese in ein Strafverfahren verwickelt sind. Damit die Erstellung eines DNA-Profils als Zwangsmassnahme verhältnismässig ist, müssen «erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschuldigte Person in andere ­ bereits begangene oder künftige ­ Delikte von gewisser Schwere verwickelt sein könnte».171 Konkret gestattete das Bundesgericht die Erstellung eines DNA-Profils gegenüber einer wegen eines geringfügigen Ladendiebstahls, Urkundenfälschung und Fälschung von Ausweisen beschuldigten Person, über die noch andere Delikte aktenkundig waren.172 Ebenfalls als zulässig beurteilte das Bundesgericht die Erstellung eines DNA-Profils gegenüber einer wegen Sachbeschädigung durch Farbsprayereien an Zügen beschuldigten Person, die bereits mehrfach und zum Teil einschlägig vorbestraft war. 173 Unzulässig war dagegen die Anordnung einer DNA-Untersuchung gegenüber Personen, die nicht vorbestraft waren
und gegenüber denen höchstens ein vager Verdacht bestand, sie könnten leichte Delikte begangen haben.174 In der Vernehmlassung wurden zu dieser Bestimmung divergierende Änderungsanliegen vorgebracht: Einzelne Vernehmlassungsteilnehmende verlangten im Gesetz festzuschreiben, dass DNA-Proben ausschliesslich zur Aufklärung der Anlasstat abgenommen werden dürften. Andere forderten, die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts zu kodifizieren, wonach eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügte, 168 169 170 171 172 173 174

So auch BSK SVG-Riedo, Art. 91a N 100.

Obergericht des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, Entscheid vom 16. Jan. 2018, SST.2017,265, in: forumpoenale 2019, S. 32 ff.

Urteil des Bundesgerichts 1B_17/2019 vom 24. April 2019 E. 3.3.

Urteil des Bundesgerichts 1B_185/2017 vom 21. Aug. 2017 E. 3.

Urteil des Bundesgerichts 1B_185/2017 vom 21. Aug. 2017.

Urteil des Bundesgerichts 1B_244/2017 vom 7. Aug. 2017.

Urteil des Bundesgerichts 1B_274/2017 vom 6. März 2018.

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dass eine beschuldigte Person in andere Delikte einer gewissen Schwere verwickelt sein könnte.175 Der Entwurf legt nun ausdrücklich die Voraussetzungen fest, unter denen ein DNAProfil erstellt werden darf, wenn es zur Aufklärung der Anlasstat zwar nicht erforderlich ist, aber zur Aufklärung anderer begangener oder zukünftiger Straftaten gebraucht werden könnte.

Die vorgeschlagene Regelung erfordert «konkrete Anhaltspunkte» dafür, dass eine beschuldigte Person weitere Delikte begangen haben könnte. Damit verlangt sie zwar keinen auf die beschuldigte Person bezogenen Tatverdacht; soweit es aber um bereits begangene Delikte geht, bei denen die Täterschaft nicht bekannt ist, liegt ein tatbezogener Verdacht vor. Das Erfordernis der «konkreten Anhaltspunkte» verlangt auf den konkreten Fall bezogene Elemente, welche die Annahme zu begründen vermögen, die beschuldigte Person könnte weitere Straftaten begangen haben. Das wäre etwa dann zu bejahen, wenn eine Person bei einem Einbruchdiebstahl in flagranti erwischt wird, und dabei eine professionelle Ausrüstung an Einbruchswerkzeugen mitführt. Dagegen würde es nicht genügen, dass die Person aus einem bestimmten Land stammt.

Während die Erstellung eines DNA-Profils zur Aufklärung begangener Delikte (sei es die Anlasstat oder eine andere Straftat) eine repressive, strafprozessuale Massnahme darstellt, geht es bei der Erstellung eines DNA-Profils zwecks Aufklärung möglicher zukünftiger Taten um eine präventive Massnahme, die nicht an einen Verdacht anknüpft, sondern an eine Prognose. Das geltende Recht kennt mit Artikel 257 StPO die Möglichkeit, die Erstellung eines DNA-Profils anzuordnen, um mögliche künftige Straftaten besser aufklären zu können. Weil es um eine Prognose künftigen Verhaltens geht, soll nicht die Staatsanwaltschaft während der Untersuchung, sondern das urteilende Gericht (bzw. im Strafbefehlsverfahren die Staatsanwaltschaft) die Erstellung eines DNA-Profils anordnen können. Am Ende des Hauptverfahrens (bzw. der Untersuchung) liegen die zur Prognoseerstellung notwendigen Erkenntnisse vor; zu Beginn der Untersuchung wäre das hingegen kaum je der Fall.

Der Entwurf schlägt deshalb vor, Artikel 257 so zu ändern, dass das urteilende Gericht (bzw. im Strafbefehlsverfahren die Staatsanwaltschaft) die Erstellung eines DNA-Profils anordnen kann
gegenüber einer wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilten Person, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, die beschuldigte Person könnte weitere Verbrechen oder Vergehen begehen. Die Erstellung eines DNA-Profils gestützt auf Artikel 257 StPO dürfte inskünftig ­ gleich wie heute ­ eher ausnahmsweise nötig sein. Denn wenn die Staatsanwaltschaft gestützt auf Artikel 255 StPO ein DNA-Profil hat erstellen lassen (sei es zur Aufklärung der Anlasstat, sei es zur Abklärung weiterer Delikte), bleibt dieses Profil im Falle einer Verurteilung im Informationssystem (nach Massgabe der im Einzelfall anwendbaren Löschfrist nach Art. 16 f. des DNA-Profil-Gesetzes vom 20. Juni 2003176) und kann auch bei künftigen Delikten verwendet werden. Artikel 257 StPO greift also nur in den seltenen Fällen, in denen weder die Aufklärung der Anlasstat

175 176

Vernehmlassungsbericht, S. 29.

SR 363

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ein DNA-Profil verlangt noch irgendwelche Hinweise darauf bestehen, dass die beschuldigte Person andere Delikte begangen haben könnte.

Art. 263 Abs. 1 Bst. e In der geltenden StPO findet sich keine Regelung zur Ersatzforderungsbeschlagnahme. Diese ist in Artikel 71 Absatz 3 StGB geregelt, der nicht in die StPO überführt wurde.177 Zur Klarstellung wird der Inhalt von Artikel 71 Absatz 3 StGB nun in die StPO transferiert und in einem neuen Buchstaben e von Artikel 263 Absatz 1 untergebracht. Artikel 71 Absatz 3 StGB wird aufgehoben.

Der Vorentwurf sah noch vor, die Ersatzforderungsbeschlagnahme in Artikel 268 zu regeln. Davon wird aufgrund der Rückmeldungen aus der Vernehmlassung abgesehen, weil sonst die Beschlagnahme gegenüber Dritten nicht mehr möglich wäre. 178 Art. 264 Abs. 3 Siehe dazu die Ausführungen zu Artikel 248 Absatz 1.

Art. 266 Abs. 3 Hier wird der Begriff «Liegenschaften» durch «Grundstücke» ersetzt, denn es können alle Grundstücke im Sinne von Artikel 655 Absatz 2 Zivilgesetzbuch (ZGB) 179 beschlagnahmt werden, also auch ins Grundbuch aufgenommene selbstständige und dauernde Rechte, Bergwerke oder Miteigentumsanteile an Grundstücken.

Art. 269 Abs. 2 Bst. a Weil die Änderung des Kernenergiegesetzes vom 21. März 2003180 (KEG) und die Erarbeitung der StPO praktisch parallel liefen, fanden die beiden Tatbestände von Artikel 226bis StGB (Gefährdung durch Kernenergie, Radioaktivität und ionisierende Strahlen) sowie Artikel 226ter StGB (Strafbare Vorbereitungshandlungen) versehentlich keine Aufnahme in die Deliktskataloge für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269 Abs. 2) und für die verdeckte Ermittlung (Art. 286 Abs. 2). Dies wird nunmehr nachgeholt.

Die vorgeschlagene Änderung fand in der Vernehmlassung breite Zustimmung. 181 In der Vernehmlassung wurde die Aufnahme weiterer Tatbestände in den Deliktskatalog verlangt.182 Soweit es sich um blosse Antragsdelikte handelt, steht einer Aufnahme entgegen, dass geheime Überwachungsmassnahmen aus Gründen der Verhältnismässigkeit voraussetzen, dass Delikte von einer gewissen Schwere verfolgt werden. Das trifft bei blossen Antragsdelikten nicht zu. Weiter wurde auch die Aufnahme von Artikel 2 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen 177 178 179 180 181 182

Heimgartner in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 263 N 2.

Vernehmlassungsbericht, S. 17.

SR 210 SR 732.1 Vernehmlassungsbericht, S. 17.

Vernehmlassungsbericht, S. 17 und 29.

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«Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen183 verlangt.

Im Moment ist der «Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität»184 in den parlamentarischen Beratungen. Dieser Beschluss sieht unter anderem vor, dem Bundesrat durch eine Änderung des Nachrichtendienstgesetzes vom 25. September 2015185 (NDG) die Kompetenz zu erteilen, einzelne Organisationen oder Gruppierungen zu verbieten. Das NDG soll sodann um Bestimmungen ergänzt werden (Art. 74 Abs. 2, 4, 4bis, 6 und 7), welche die Beteiligung an solchen Organisationen oder Gruppierungen oder deren Unterstützung etc. unter Strafe stellt. Damit kann das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen aufgehoben werden, weil der Bundesrat gestützt auf das NDG auch die Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandte Organisationen verbieten wird. Der erwähnte Bundesbeschluss sieht auch vor, die Deliktskataloge nach den Artikeln 269 und 286 StPO um Artikel 74 Absatz 4 NDG zu ergänzen.

Art. 273 Abs. 1 und 3 Nach dem Wortlaut von Artikel 273 Absatz 1 StPO dürfen unter bestimmten Voraussetzungen die sogenannten Randdaten der «überwachten Person» erhoben werden.

Diese Regelung lässt sich nur schwer anwenden, wenn Randdaten von Drittpersonen erhoben werden sollen. Denn eine Drittperson darf gemäss Artikel 270 Buchstabe b StPO nur überwacht werden, wenn sie entweder als sogenannte Anschlussüberlasserin (Bst. b Ziff. 1) oder Nachrichtenmittlerin (Bst. b Ziff. 2) fungiert. Sollen jedoch beispielsweise die Randdaten (etwa die Standortdaten) geschädigter Personen, insbesondere eines Opfers, erhoben werden, so lassen sich diese weder als Anschlussüberlasser noch als Nachrichtenmittler betrachten, so dass die Randdatenerhebung ­ jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes186 ­ nicht möglich ist.

Deshalb sieht die neue Regelung die Möglichkeit der Erhebung von Randdaten geschädigter Personen ausdrücklich vor. Entgegen dem Vorschlag von Forster187 und einer Forderung aus der Vernehmlassung188 wird auf das Vorliegen einer untersuchungsrelevanten
Kommunikationsverbindung zu Personen oder Drittanschlüssen verzichtet, weil dies die Erhebung blosser Standortdaten ausschliessen würde. Solche Standortdaten können jedoch für die Aufklärung einer Straftat wichtig sein.

In der Vernehmlassung wurde die vorgeschlagene Regelung mehrheitlich begrüsst; allerdings wurden terminologische Anpassungen verlangt.189 Verlangt wurde so183 184 185 186

SR 122 Botschaft und Entwurf in: BBl 2018 6525 SR 121 Das Bundesgericht lässt die Randdatenerhebung jedoch über den strengen Wortlaut hinaus zu. Dazu: Foster in: FS-Donatsch, S. 362.

187 Forster in: FS-Donatsch, S. 366 f.

188 Vernehmlassungsbericht, S. 17.

189 Vernehmlassungsbericht, S. 17.

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dann, es sei festzulegen, dass Randdaten Dritter nur erhoben werden dürften, wenn dies tatsächlich nötig sei. Diese Voraussetzung ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismässigkeit; zudem erinnert auch Artikel 197 StPO an dieses Prinzip und verlangt zudem besondere Zurückhaltung bei Zwangsmassahmen gegenüber nicht beschuldigten Personen (Abs. 2).

Art. 286 Abs. 2 Bst. a Siehe dazu die Ausführungen zu Artikel 269 Absatz 2 Buchstabe a.

Art. 301 Abs. 1bis Gemäss der «Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz Opferhilfegesetz» (SVK-OHG) entspricht es einem Anliegen von Opfern, 190 auf Wunsch eine Kopie einer mündlich eingereichten Strafanzeige zu erhalten. Diesem Anliegen wird in einem neuen Absatz 1bis Rechnung getragen.

Aufgrund der in der Vernehmlassung geäusserten Kritik 191 wird die Formulierung im Entwurf jedoch dahingehend präzisiert, dass nur eine Bestätigung der Anzeige ausgehändigt werden soll, und nicht etwa zum Beispiel die Kopie des Einvernahmeprotokolls. Denn dies würde ­ wie in der Vernehmlassung zurecht geltend gemacht wurde ­ den Bestimmungen betreffend Akteneinsicht (Art. 101 f. StPO) zuwiderlaufen.

Art. 303a Einzelne kantonale Strafprozessordnungen kannten die Möglichkeit, die Durchführung eines Verfahrens von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen, wenn Antragsdelikte (insbesondere Ehrverletzungsdelikte und Tätlichkeiten) Gegenstand des Verfahrens bildeten.192 Der Bundesrat schlägt vor, für Ehrverletzungsdelikte die Möglichkeit einzuführen, von der antragstellenden Person eine Sicherheitsleistung für Kosten und Entschädigung zu verlangen. Dies aus der Überlegung, dass bei solchen Delikten der Antrieb für eine Anzeige oftmals eher im Wunsch nach persönlicher Vergeltung liegt als in der Tatsache einer Rechtsgutverletzung. Stehen solche Motive für eine Anzeige im Vordergrund, so rechtfertigt es sich, von der antragstellenden Person einen Vorschuss zu verlangen, bevor der Strafverfolgungsapparat in Gang gesetzt wird.

Die Bestimmung statuiert keine Pflicht zur Einforderung einer Sicherheit. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft sowohl bei der Frage, ob eine Sicherheit verlangt wird, als auch bei der der Festsetzung der Höhe ein Ermessen. Dabei hat sie unter anderem die Bedeutung der Sache und die finanzielle Situation der antragstellenden Person zu berücksichtigen.

190 191 192

Zum Begriff Opfer vgl. Art. 116 Abs. 1 StPO.

Vernehmlassungsbericht, S. 17 f.

Z. B. Art. 226 StrV-BE: Möglichkeit bei Ehrverletzungsdelikten sowie Tätlichkeiten und, «wenn besondere Umstände es rechtfertigen» auch bei anderen Antragsdelikten.

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Die Schaffung einer Möglichkeit zur Einforderung eines Kostenvorschusses wurde in der Vernehmlassung überwiegend begrüsst; einige Vernehmlassungsteilnehmende verlangten die Ausweitung auf weitere Delikte. 193 Art. 316 Abs. 1 Gemäss dem französischen Normtext sind Vergleichsverhandlungen nur möglich, wenn ausschliesslich Antragsdelikte Gegenstand des Verfahrens bilden. Demgegenüber ist nach dem deutschen und dem italienischen Gesetzestext ein Vergleich auch möglich, wenn neben Antragsdelikten auch Offizialdelikte Verfahrensgegenstand bilden. In der Sache erscheint dies richtig, weshalb der französische Wortlaut anzupassen ist.

Art. 318 Abs. 1bis und 3 Die Vernehmlassungsvorlage sah vor, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet werden sollte, den ihr bekannten Opfern den bevorstehenden Verfahrensabschluss mitzuteilen und ihnen unter Ansetzung einer Frist die Möglichkeit zu geben, sich als Privatkläger zu konstituieren, sofern sie nicht bereits ausdrücklich auf die Beteiligung als Privatklägerschaft verzichtet haben.

Die Mehrzahl der Vernehmlassungsteilnehmenden lehnten diesen Vorschlag ab; dies mit Hinweis auf die bereits bestehenden Mitteilungspflichten zu Beginn des Vorverfahrens. Eine Minderheit begrüsste den Vorschlag hingegen. 194 Der Entwurf hält jedoch aus den folgenden Gründen an einer Mitteilungspflicht fest, wenn auch unter eingeschränkten Voraussetzungen: Die geschädigte Person hat das Recht, sich bis zum Abschluss des Vorverfahrens als Privatklägerschaft zu konstituieren (Art. 118 Abs. 3 StPO). Dies bedingt jedoch, dass sie Kenntnis von diesem Recht hat. Das Gesetz sieht deshalb in verschiedenen Bestimmungen Informationspflichten der Strafbehörden vor (Art. 118 Abs. 4, Art. 143 Abs. 1 Bst. c und Art. 305 Abs. 1 StPO [für Opfer]). Vor Abschluss der Untersuchung statuiert das geltende Recht eine weitere Mitteilungspflicht. Diese Informationspflichten sind Ausfluss der strafbehördlichen Aufklärungs- und Fürsorgepflicht, die sich wiederum aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 3 Abs. 2 Bst. c StPO) ableiten lassen.

So hat die Staatsanwaltschaft den Parteien mit bekanntem Wohnsitz schriftlich den bevorstehenden Abschluss mitzuteilen und bekannt zu geben, ob sie Anklage erheben oder das Verfahren einstellen will; dies unter Ansetzung einer Frist, um Beweisanträge zu stellen. Erlässt
die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl, so besteht keine Mitteilungspflicht (Art. 318 Abs. 1 StPO). In der Lehre wird die Ansicht vertreten, dass Geschädigte, die sich bislang noch nicht als Privatkläger konstituiert haben, auf die entsprechende Frist hinzuweisen sind.195 193 194 195

Vernehmlassungsbericht, S. 18.

Vernehmlassungsbericht, S. 18.

Schmid/Jositsch, StPO Praxiskommentar, Art. 118 N 3a; Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 318 N 4a; BSK StPO-Steiner, Art. 318 N 3.

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Ausgehend vom Gesagten sieht der überarbeitete Absatz 1bis vor, dass nur noch gegenüber denjenigen geschädigten Personen, die bislang noch nicht über ihre Rechte (insb. das Recht sich als Privatklägerschaft zu konstituieren) informiert worden sind, eine zusätzliche Mitteilungspflicht vor Abschluss der Untersuchung besteht. Diese Pflicht gilt ­ anders als bei Absatz 1 ­ auch vor Erlass eines Strafbefehls. Denn gerade im Bereich des Strafbefehlsverfahren besteht die Gefahr, dass sich geschädigte Personen nicht rechtzeitig als Privatklägerschaft konstituieren können; dies insbesondere dann, wenn die Staatsanwaltschaft sofort einen Strafbefehl erlässt (Art. 309 Abs. 4 StPO).196 Die Mitteilungspflicht für diese Konstellationen drängt sich auch deshalb auf, weil die Staatsanwaltschaft im Strafbefehlsverfahren neu über Zivilforderungen entscheiden können soll (Art. 353 Abs. 2).

Zwar hat die geschädigte Person, die im Strafbefehlsverfahren nicht über ihr Recht informiert worden ist, sich als Privatklägerschaft am Verfahren beteiligen zu können, die Möglichkeit, dies mittels Einsprache oder Beschwerde nachzuholen. Es kann jedoch nicht sein, dass eine eigentliche Bringschuld der Staatsanwaltschaft zu einer Holschuld der betroffenen Person mutiert.197 Die Mitteilungspflicht gilt neu nicht nur für Opfer, sondern für alle geschädigten Personen; dies aus Gründen der Rechtsgleichheit.198 Wie bei Absatz 1 erfolgt die Mitteilung nur gegenüber von Geschädigten, deren Wohnsitz bekannt ist.

Hat die geschädigte Person bereits ausdrücklich auf die Beteiligung als Privatklägerschaft verzichtet, so besteht keine erneute Mitteilungspflicht.

Macht eine geschädigte Person von der Möglichkeit der Konstituierung Gebrauch, so lässt sich die Untersuchung nicht sogleich abschliessen. Vielmehr ist der neu als Privatklägerschaft beteiligten geschädigten Person Gelegenheit zu geben, Beweisanträge zu stellen, insbesondere betreffend eine allfällige Zivilforderung.

Die Änderung in Absatz 3 ergibt sich aufgrund der Einführung des neuen Absatzes 1bis.

Art. 322 Abs. 3 Die vorgeschlagene Änderung will eine Ungereimtheit beseitigen: Hat ausserhalb eines Strafverfahrens eine Einziehung zu erfolgen, so ordnet die Staatsanwaltschaft diese im sog. selbstständigen Einziehungsverfahren in Form eines Einziehungsbefehls an. Gegen die Einziehung
kann sich die betroffene Person mittels Einsprache nach den Bestimmungen über den Strafbefehl und schliesslich mittels Beschwerde zur Wehr setzen (Art. 377 Abs. 4 StPO). Erfolgt die Einziehung dagegen im Rahmen einer Einstellung, so ist dagegen nach geltendem Recht Beschwerde zu erheben. Angesichts des Umstands, dass die der Einziehung zugrundeliegenden Konstellationen (dort kein Strafverfahren oder Freispruch, hier Einstellung) sehr ähnlich 196

Galeazzi, Zivilkläger, S. 81 ff.; Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 318 N 2a.

197 Galeazzi, Zivilkläger, S. 82; Nydegger, ZStrR 2018, Ziff. 5.

198 Dies entspricht auch einer Forderung aus der Vernehmlassung (Vernehmlassungsbericht S. 18).

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sind, lässt sich die Ungleichheit beim Rechtsmittelweg nicht begründen. Überdies führt die heutige Regelung dazu, dass beim selbstständigen Einziehungsverfahren auf kantonaler Ebene zwei richterliche Instanzen über die Einziehung befinden, wogegen es bei einer Einziehung im Rahmen einer Einstellung bloss eine ist, nämlich die Beschwerdeinstanz.

Deshalb schlägt der Entwurf entsprechend der vom Bundesstrafgericht in der Vernehmlassung vorgebrachten Forderung199 eine Änderung vor, wonach gegen Einziehungsentscheide im Rahmen einer Einstellung der gleiche Rechtsweg gilt wie beim selbstständigen Einziehungsverfahren.

Art. 331 Abs. 2 zweiter Satz Siehe dazu die Ausführungen zu Artikel 123 Absatz 2.

Art. 342 Abs. 1 Einleitungssatz sowie Bst. a und b, Abs. 1bis und 1ter sowie 2 Nach geltendem Recht kann das Gericht auf Antrag der beschuldigten Person oder der Staatsanwaltschaft oder von Amtes wegen die Verhandlung in zwei Abschnitte mit Zwischenurteil teilen (Art. 342 Abs. 1 StPO).

Da der Entscheid über die Zweiteilung des Verfahrens beim Gericht und nicht bei der Verfahrensleitung liegt, kann erst im Rahmen der Hauptverhandlung darüber befunden werden. Dieser (späte) Zeitpunkt des Entscheids wird in der Lehre kritisiert. Es wird vorgebracht, dass es ineffizient und unpraktikabel sei, wenn sich die Zweiteilung bereits während der Vorbereitung der Hauptverhandlung aufdränge und entsprechende organisatorische Anordnungen für die Hauptverhandlung erforderlich sind.200 Der Zeitpunkt des Entscheides birgt unter Umständen auch die Gefahr, dass Anträge auf Zweiteilung mit der Begründung abgelehnt werden, dass organisatorisch bereits alles vorgekehrt wurde oder der Antrag zu kurzfristig erfolgte.

Zwar ist es möglich, dass die Verfahrensleitung die Hauptverhandlung in Form einer Zweiteilung plant und das Gericht zu Beginn der Hauptverhandlung darüber als Vorfrage formell entscheidet. Es wird ausserdem als zulässig erachtet, die mit einer Zweiteilung verbundenen organisatorischen Fragen bereits in einer Vorverhandlung (Art. 332 StPO) aufzuwerfen.201 Im Sinne einer effizienten Verfahrenserledigung schlägt der Bundesrat eine differenzierte Zuständigkeit in Bezug auf den Zeitpunkt des Entscheids der Zweiteilung vor.

Die Änderungen im Einleitungssatz von Absatz 1 sind ebenso rein redaktioneller Natur wie jene in
den Buschstaben a und b der französischen Fassung.

Wird der Antrag über die Zweiteilung in der Zeit zwischen der Rechtshängigkeit der Anklage und der Eröffnung der Hauptverhandlung gestellt, so ist gemäss Absatz 1bis Buchstabe a die Verfahrensleitung für den Entscheid zuständig. Dies gilt auch dann, wenn sich ein solcher Entscheid von Amtes wegen bereits während der Vorbereitung 199 200 201

Vernehmlassungsbericht, S. 29.

BSK StPO-Hauri/Venetz, Art. 342 N 10.

BSK StPO-Hauri/Venetz, Art. 342 N 10; Schmid, Handbuch, N 1291.

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der Hauptverhandlung aufdrängt. Wird der Antrag erst nach der Eröffnung der Hauptverhandlung gestellt, so ist ­ wie bereits nach geltendem Recht ­ das Gericht für den Entscheid zuständig (Abs. 1bis Bst. b).

Lehnt die Verfahrensleitung einen Antrag auf Zweiteilung ab, so kann dieser gemäss Absatz 1ter im Rahmen der Hauptverhandlung erneut vorgebracht werden.

Die französische Fassung erfährt in Absatz 2 eine rein redaktionelle Änderung, indem die Formulierung «de scinder les débats» durch «sur la scission des débats» ersetzt wird.

Art. 352a Anders als noch im Entwurf des Bundesrates zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vorgesehen,202 findet sich in der geltenden StPO keine Regelung mehr, welche die Staatsanwaltschaft explizit verpflichten würde, die beschuldigte Person vor Erlass eines Strafbefehls einzuvernehmen. Die im Entwurf vorgesehene Einvernahmepflicht wurde im Rahmen der parlamentarischen Beratungen gestrichen; dies um die Effizienz des Strafbefehlsverfahrens nicht zu gefährden.203 Die Staatsanwaltschaft ist allerdings dann gehalten, eine Einvernahme durchzuführen, wenn dies zur Klärung des Sachverhalts oder für einen verurteilenden Entscheid unumgänglich ist (Grundsätze der materiellen Wahrheit und der richterlichen Überzeugung).204 Darüber hinaus liegt die Durchführung einer Einvernahme in ihrem Ermessen. Das Fehlen einer expliziten Einvernahmepflicht wird in der Praxis und Lehre jedoch kritisiert.205 Der Vorentwurf sah deshalb in verschiedenen Situationen eine Einvernahmepflicht vor. Aufgrund von Kritik in der Vernehmlassung206 soll sie nun aber nur noch dann greifen, wenn sich eine zu verbüssende Freiheitsstrafe abzeichnet; dies unabhängig von der Höhe der Strafe im Einzelfall. Als zu verbüssende Freiheitsstrafe gilt nicht nur eine unbedingte oder teilbedingte Freiheitsstrafe, sondern auch der Widerruf eines bedingt gewährten Vollzugs einer Freiheitsstrafe. Damit begegnet der Entwurf insbesondere der Kritik, wonach zum einen das Strafmass kein taugliches Kriterium für eine Einvernahmepflicht sei und zum anderen ­ bei Umsetzung des Vorentwurfs ­ zumeist Routinefälle unter diese Pflicht fallen würden.

Einzelne Vernehmlassungsteilnehmende, welche die Einvernahmepflicht grundsätzlich begrüssten, schlugen vor, eine Verzichtsmöglichkeit der beschuldigten Person vorzusehen; dies zum
Beispiel wenn die beschuldigte Person bereits durch die Polizei einvernommen worden sei.207 Der Entwurf sieht jedoch aus folgenden Überlegungen davon ab: 202 203 204 205

Vgl. Art. 356 E-StPO.

AB S 2006, 984 und 1050; AB N 2007, 1024.

Daphinoff, Strafbefehlsverfahren, S. 343 f.

Thommen, Prozess, S. 78 ff.; Daphinoff, Strafbefehlsverfahren, S. 343 f.; BSK StPOFranz Riklin, Art. 352 N 2; Saluz, Anwaltsrevue 2012, S. 229; Thommen/Grädel, plädoyer 2016, S. 10; Schwarzenegger, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 352 N 5.

206 Vernehmlassungsbericht, S. 20.

207 Vernehmlassungsbericht, S. 20.

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Wie unter Ziffer 3.1.8 dargelegt, dient die Einvernahme dazu, dass die Staatsanwaltschaft der beschuldigten Person persönlich das rechtliche Gehör gewährt (Ausfluss des Grundsatzes des fairen Verfahrens), wenn sich eine zu verbüssende Freiheitsstrafe abzeichnet. Der beschuldigten Person sollen damit insbesondere der Inhalt und die Tragweite des Strafbefehls klargemacht werden. Zum Zeitpunkt einer polizeilichen Einvernahme dürfte indes noch gar nicht klar sein, was für eine Strafe sich abzeichnet. Deshalb vermag eine polizeiliche Einvernahme eine Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft nicht zu ersetzen.

Bei einer bedingten Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe soll es im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegen, ob sie die beschuldigte Person vor Erlass des Strafbefehls einvernehmen will. Den Kantonen bleibt es überdies unbenommen, Weisungen betreffend weitergehende Einvernahmepflichten vorzusehen.

Art. 353 Abs. 2 Gemäss geltendem Recht kann im Erwachsenenstrafprozess ­ anders als im Jugendstrafprozess (vgl. Art. 32 Abs. 3 JStPO) ­ im Strafbefehl nicht über Zivilforderungen entschieden werden. Soweit die beschuldigte Person die Zivilforderung anerkennt, wird dies im Strafbefehl vermerkt. Nicht anerkannte Forderungen werden auf den Zivilweg verwiesen (Art. 352 Abs. 2 StPO). Diese Regelung wird in der Lehre als «geschädigten- und opferunfreundlich» sowie bei Gesamtbetrachtung der Rechtspflege als ineffizient kritisiert.208 Der Bundesrat schlägt daher eine Angleichung an den Jugendstrafprozess vor. Es ist in der Tat nicht sinnvoll, wenn die Staatsanwaltschaft eine an sich liquide, aber von der beschuldigten Person bestrittene Forderung auf den Zivilweg verweisen muss.

Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung von einer knappen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst.209 Im Strafbefehlsverfahren soll jedoch nicht über Forderungen in unbegrenzter Höhe entschieden werden können. Die Grenze soll auch nicht zu tief angesetzt werden; dies wäre nicht im Interesse der Geschädigten. Der Bundesrat schlägt daher vor, die Grenze bei 30 000 Franken anzusetzen. So liegt beispielsweise der Mindeststreitwert für Beschwerden in Zivilsachen vor dem Bundesgericht grundsätzlich bei 30 000 Franken (Art. 74 Abs. 1 BGG), und auch das vereinfachte Verfahren gemäss der Zivilprozessordnung gilt für vermögensrechtliche
Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 30 000 Franken (Art. 243 Abs. 1 ZPO).

Daher soll die Staatsanwaltschaft gemäss Absatz 2 künftig Zivilforderungen im Strafbefehl beurteilen können, sofern folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Zum einen muss gemäss Buchstabe a die Zivilforderung auf tatsächlich ausreichend geklärten Verhältnissen basieren, das heisst, ihre Beurteilung muss ohne besondere

208

BSK StPO-Riklin, Art. 353 N 6; Thommen, Prozess, S. 91 f.; Saluz, Anwaltsrevue 2012, S. 229; Schlussbericht 2015, S. 49.

209 Vernehmlassungsbericht, S. 20 f.

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Umstände möglich sein.210 Zum anderen darf der Streitwert gemäss Buchstabe b nicht höher als 30 000 Franken sein.

Art. 354 Abs. 1 Bst. abis und 1bis Die Privatklägerschaft ist nach geltendem Recht nicht explizit zur Einsprache legitimiert.

Gemäss Lehre kann die Einsprachelegitimation der Privatklägerschaft jedoch in gewissen Fällen unter die Generalklausel von Absatz 1 Buchstabe b subsumiert werden; dies wenn sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des Strafbefehls hat.211 Einigkeit herrscht in der Literatur darüber, dass die Privatklägerschaft mangels Rechtsschutzinteresse hinsichtlich der ausgesprochenen Strafe nicht zur Einsprache berechtigt ist, da die Bestrafung allein dem Staat zusteht.212 Das Bundesgericht räumt der Privatklägerschaft die Einsprachelegitimation ein, wenn sie in einer analogen Situation gemäss Artikel 382 Absatz 1 StPO legitimiert wäre, ein Rechtsmittel zu ergreifen. Würde man anders entscheiden, wäre diejenige Privatklägerschaft, die Geschädigte eines Delikts ist, das im Strafbefehlsverfahren beurteilt werden kann, benachteiligt gegenüber einem Straf- und/oder Zivilkläger, der an einem ordentlichen Verfahren beteiligt ist. Während Erstere sich mit dem Strafbefehl abfinden müsste, könnte Letztere zumindest an die zweite kantonale Instanz und allenfalls sogar an das Bundesgericht gelangen.213 Um diese nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu beseitigen, sieht Buchstabe abis von Absatz 1 vor, dass die Privatklägerschaft explizit zur Einsprache legitimiert ist. Dies muss umso mehr gelten, weil der Bundesrat vorschlägt, dass im Strafbefehlsverfahren über gewisse Zivilforderungen entschieden werden können soll (vgl.

oben die Ausführungen zu Art. 353).

Gemäss Absatz 1bis ist die Einsprache der Privatklägerschaft ­ analog Artikel 382 Absatz 2 StPO ­ hinsichtlich der ausgesprochenen Strafe jedoch ausgeschlossen.

Art. 364 Abs. 5 Das Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden ist im geltenden Recht nur sehr rudimentär geregelt. So ist beispielsweise unklar, ob bei Abwesenheit der betroffenen Person die Regeln des Abwesenheitsverfahrens (Art. 366 ff. StPO) gelten.

Aus diesem Grund schlägt der Bundesrat in Absatz 5 vor, dass die Bestimmungen über das erstinstanzliche Hauptverfahren sinngemäss anwendbar sein sollen, soweit den Artikeln
364 ff. StPO keine besonderen Vorschriften zu entnehmen sind.

In der Vernehmlassung wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass auch Staatsanwaltschaften selbstständige nachträgliche Entscheide fällen können; in diesen Fällen 210 211 212 213

BSK JStPO-Hebeisen, Art. 32 N 12.

BSK StPO-Riklin, Art. 354 N 9 ff.; Thommen, Prozess, S. 110 ff.

BGE 141 IV 231 E. 2.3 f. (m.w.H.).

BGE 141 IV 231 E. 2.6.

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könne sich das Verfahren nicht nach den Bestimmungen über das erstinstanzliche Verfahren richten.214 Der Entwurf wird deshalb dahingehend präzisiert, dass die Bestimmungen über das erstinstanzliche Hauptverfahren nur für die Gerichte gemäss Absatz 1 gelten sollen. Darüber hinaus wird festgehalten, dass sich das schriftliche Verfahren sinngemäss nach Artikel 390 StPO richten soll.215 Art. 364a Im Jahre 2010 wurde die Motion 09.3443 (Sommaruga Carlo, Rückversetzung von verurteilten Personen) an den Bundesrat überwiesen. Er wurde im Wesentlichen damit beauftragt zu prüfen, ob die StPO im Hinblick auf die Rückversetzung von verurteilten Personen in den Straf- und Massnahmenvollzug dahingehend geändert werden soll, dass die Administrativbehörden in dringenden Fällen ­ und insbesondere zum Schutz der Öffentlichkeit ­einen provisorischen Entscheid betreffend Rückversetzungsmassnahmen (Haft) fällen können.

Nach geltendem Recht sind die Gerichte auf Antrag der Vollzugsbehörden für Entscheide namentlich betreffend die Rückversetzung von verurteilten Personen in den Straf- oder Massnahmenvollzug zuständig (vgl. Art. 62a Abs. 3, 64a Abs. 3, Art. 95 Abs. 5 StGB).

Der tragische Fall von Lucie Trezzini hat gezeigt, dass eine Regelung erforderlich ist, die es erlaubt, der Gefahr für die Öffentlichkeit, die eine verurteilte Person darstellen kann, möglichst rasch zu begegnen. In etlichen Kantonen gibt es denn auch bereits solche Bestimmungen, welche es den Vollzugsbehörden in gewissen Fällen erlauben, die betroffene Person im Hinblick auf die Einleitung eines Verfahrens auf Erlass eines nachträglichen richterlichen Entscheides in Haft zu nehmen beziehungsweise darin zu belassen.216 Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung, dass in diesem Bereich ­ wie von der Motion gefordert ­ eine schweizweit einheitliche Regelung angezeigt ist. Diese soll basierend auf den bestehenden kantonalen Regelungen in einem neuen Artikel 364a verankert werden.

Absatz 1 sieht vor, dass die für die Einleitung eines Verfahrens auf Erlass eines nachträglichen richterlichen Entscheids zuständige Behörde (Art. 364 Abs. 1 StPO; i.d.R. die Vollzugsbehörde, subsidiär die Staatsanwaltschaft) im Hinblick auf ein solches Nachverfahren die verurteilte Person festnehmen lassen kann, wenn gewisse Voraussetzungen vorliegen.

Alternativ wurde die
Vorgabe geprüft, dass die für die Einleitung eines Nachverfahrens zuständige Behörde der Staatsanwaltschaft die Festnahme der verurteilten Person beantragen muss, woraufhin die Staatsanwaltschaft das Haftverfahren in die Wege leitet (vgl. § 44 EG-StPO Kt. AG). Dies wurde auch vereinzelt in der Vernehmlassung gefordert, weil die Vollzugsbehörde unter Umständen nicht die nötige 214 215 216

Vernehmlassungsbericht, S. 21 f.

BSK StPO-Heer, Art. 364 N 1 f, Schmid/Jositsch, StPO Praxiskommentar, Art. 364 N 9.

Z. B. § 44 EG-StPO Kt. AG, Art. 89 JG Kt. AR, Art. 38a SMVG Kt. BE, Art. 20 JVG Kt.

GR, Art. 6a EG-StPO Kt. UR, § 25 JVG Kt. LU, Art. 50 EG-StPO Kt. SG, Art. 95bis JG Kt. SH, § 22 StJVG Kt. ZH, Art. 19 LEPM Kt. JU.

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Erfahrung aufweise.217 Diese Variante wird jedoch nach wie vor verworfen, weil in einigen Kantonen spezielle Vollzugsgerichte zuständig sind. Hier ist eine Antragstellung an die Staatsanwaltschaft aus hierarchischen Gründen nicht angezeigt.

Zudem kann das Dazwischenschalten einer zusätzlichen Behörde zu unerwünschten Zeitverzögerungen führen. Schliesslich sieht auch Artikel 440 Absatz 1 StPO die Zuständigkeit der Vollzugsbehörde vor.

Damit die zuständige Behörde die verurteilte Person festnehmen lassen kann, muss gemäss Absatz 1 zeitliche Dringlichkeit für eine solche Massnahme bestehen. Dieses Erfordernis wird ­ anders als noch im Vorentwurf ­ nicht mehr explizit genannt; es ergibt sich jedoch aus der Formulierung «ernsthaft zu befürchten» sowie den Voraussetzungen gemäss Buchstabe b. Ansonsten ist das Verfahren auf Erlass eines nachträglichen richterlichen Entscheides einzuleiten und ein entsprechender Antrag dem hierfür zuständigen Gericht zu stellen (vgl. Art. 364b).

Des Weiteren verlangt Absatz 1, dass ernsthaft zu erwarten ist, dass zum einen gegen die verurteilte Person eine freiheitsentziehende Sanktion angeordnet wird, beispielsweise der unbedingte Vollzug der Restfreiheitsstrafe oder der Vollzug einer stationären therapeutischen anstelle einer ambulanten Massnahme 218. Zum anderen muss von der verurteilten Person gemäss Buchstabe a entweder Fluchtgefahr ausgehen (analog Art. 221 Abs. 1 Bst. a StPO), oder es muss gemäss Buchstabe b die Gefahr bestehen, dass sie erneut ein Verbrechen oder schweres Vergehen begeht (analog Art. 221 Abs. 1 Bst. c StPO). Mit dieser Präzisierung wird der Kritik aus der Vernehmlassung Rechnung getragen, der Begriff «schwere Straftat» sei zu unbestimmt.219 Die zuständige Behörde führt gemäss Absatz 2 ein Haftverfahren analog Artikel 224 StPO durch; insbesondere hat sie die verurteilte Person zu befragen und ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu äussern. Zudem hat die Behörde jene Beweise zu erheben, die zur Erhärtung oder Entkräftung der Haftgründe geeignet und ohne weiteres verfügbar sind (Art. 224 Abs. 1 StPO). Dem Zwangsmassnahmengericht ist innert 48 Stunden seit der Festnahme die Anordnung der Sicherheitshaft zu beantragen (Art. 224 Abs. 2 StPO). Das Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht richtet sich sinngemäss nach den Bestimmungen von Artikel 225
und 226 StPO.

Damit werden auch die völker- und verfassungsrechtlichen Vorgaben (Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 31 Abs. 3 BV) eingehalten.

Aufgrund des Beschleunigungsgebotes (Art. 5 Abs. 2 StPO) bestimmt Absatz 3, dass die zuständige Behörde dem für das Nachverfahren zuständigen Gericht so rasch als möglich die entsprechenden Akten sowie ihren Antrag einzureichen hat.

Art. 364b In der geltenden StPO ist die vollzugsrechtliche Sicherheitshaft im Zusammenhang mit einem Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden (Art. 363 ff.

StPO; sog. Nachverfahren) nicht explizit geregelt.

217 218 219

Vernehmlassungsbericht, S. 22.

Vgl. z. B. Urteil des Bundesgerichts vom 11. Nov. 2016 1B_371/2016 E. 6.3.

Vernehmlassungsbericht, S. 22.

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Nach der (gefestigten) Rechtsprechung des Bundesgerichts ist diese während der Dauer des Nachverfahrens, das heisst von dessen Einleitung bis zur Rechtskraft des neuen Urteils, zulässig; dies in analoger Anwendung der Bestimmungen zur Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Art. 229­233 i.V.m. 221 und 220 Abs. 2 StPO). Aus der Rechtsprechung ergibt sich auch die Frage der Zuständigkeit.220 Angesichts der Eingriffsschwere dieser Zwangsmassnahme ist eine fehlende explizite Regelung rechtsstaatlich bedenklich. Der Bundesrat sieht deshalb vor, die Sicherheitshaft während der Dauer des Verfahrens basierend auf der Rechtsprechung des Bundesgerichts gesetzlich in der StPO zu verankern.

Absatz 1 sieht vor, dass die Verfahrensleitung des für den nachträglichen Entscheid zuständigen Gerichts (analog Art. 229 Abs. 2 StPO) die verurteilte Person festnehmen lassen kann. Aus Gründen der Kohärenz sind hierfür die gleichen Gründe vorausgesetzt wie bei der Sicherheitshaft vor Einleitung des Nachverfahrens (vgl.

oben Art. 364a).

Die Verfahrensleitung des Gerichts führt nach Absatz 2 in sinngemässer Anwendung von Artikel 224 StPO ein Haftverfahren durch. Da Bund und Kantone gemäss Artikel 363 Absatz 1 StPO Abweichungen von der Zuständigkeit des Gerichts, welches das erstinstanzliche Urteil gefällt hat, vorsehen können (z. B. ein kantonales letztinstanzliches Gericht), ist die Sicherheitshaft entweder beim Zwangsmassnahmengericht (analog Art. 229 Abs. 2 StPO) oder bei der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts zu beantragen (analog Art. 232 StPO).

Bei vorbestehender Sicherheitshaft (vgl. Art. 364a) richtet sich das Verfahren bezüglich einer allfälligen Haftverlängerung sinngemäss nach Artikel 227 StPO (Abs. 3).

Im Übrigen sollen gemäss Absatz 4 die Artikel 230­233 StPO sinngemäss anwendbar sein.

Art. 365 Abs. 3 Die Frage, welches Rechtsmittel gegen selbstständige nachträgliche Entscheide des Gerichts zulässig ist, ist umstritten. Dies weil Artikel 365 StPO nicht ausdrücklich regelt, in welcher Rechtsform (Urteil oder Beschluss resp. Verfügung; vgl. Art. 80 Abs. 1 StPO) der Entscheid zu ergehen hat.

Der überwiegende Teil der Lehre spricht sich für die Beschwerde aus, denn der selbstständige nachträgliche Entscheid des Gerichts ergehe ­ insbesondere wegen des engen Urteilsbegriffs respektive mangels Vorliegen eines
neuen Sachurteils ­ in Form einer Verfügung beziehungsweise eines Beschlusses. 221 Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts ist gegen selbstständige nachträgliche Entscheide die

220

BGE 137 IV 333 E. 2; Urteile des Bundesgerichts vom 27. Jan. 2012 1B_6/2012; vom 3. Mai 2013 1B_146/2013; vom 11. Nov. 2016 1B_371/2016; vom 28. Jan. 2018 1B_569/2018.

221 BGE 141 IV 396 E. 3.6 f. (m.w.H.); BBI 2006 1085, 1298.

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Beschwerde möglich, nicht aber die Berufung.222 Die kantonale Praxis ist geteilter Meinung.223 Die Rechtsprechung des Bundesgerichts wird von der Lehre kritisiert. Als Begründung wird insbesondere vorgebracht, dass nicht einzusehen sei, weshalb gegen eine erstinstanzliche Massnahme ­ wie zum Beispiel die Verwahrung ­ eine Berufung möglich sein soll, während gegen die Anordnung der gleichen Massnahme im Rahmen eines selbstständigen nachträglichen Entscheids nur die Beschwerde zulässig sei. Ausserdem werde die Beschwerde der inhaltlichen Tragweite eines grossen Teils der nachträglichen Entscheide nicht gerecht und schränke die Verfahrensrechte der betroffenen Person in unerwünschter Weise ein.224 Um diesen (überzeugenden) Bedenken Rechnung zu tragen, hält der Entwurf in einem neuen Absatz 3 explizit fest, dass gegen nachträgliche Entscheide die Berufung eingelegt werden kann (vgl. auch Art. 80 Abs. 1). Dies wird von einer Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden ­ ungeachtet der Rechtsprechung des Bundesgerichts ­ als sachgerecht erachtet.225 Art. 366 Die Voraussetzungen für das Abwesenheitsverfahren sollen vereinfacht werden.

Das Gericht darf nach geltendem Recht ein Abwesenheitsurteil bei Ausbleiben der beschuldigten Person in der Regel nicht bereits in der ersten, sondern erst anlässlich einer neu angesetzten, zweiten Hauptverhandlung ausfällen (zur Ausnahme vgl.

Art. 366 Abs. 3 StPO). Diese Regelung wird in der Praxis und Lehre aus Gründen der Prozessökonomie kritisiert.226 Gestützt auf diese Kritik soll das Gericht nach Absatz 1 bei Ausbleiben der ordnungsgemäss vorgeladenen beschuldigten Person bereits anlässlich der ersten Hauptverhandlung ein Abwesenheitsverfahren durchführen können. Dies gilt aber nur dann, wenn die beschuldigte Person im bisherigen Verfahren ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu den ihr vorgeworfenen Straftaten zu äussern und die Beweislage ein Urteil ohne ihre Anwesenheit zulässt. Diese Voraussetzungen gelten auch für den Sonderfall, dass sich die beschuldigte Person selbst in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt hat (z. B. wenn sie komplett betrunken zur Verhandlung erscheint). Dieser Fall wird im geltenden Recht von Absatz 3 erfasst und neu in Absatz 1 integriert. Der Fall, bei dem sich die inhaftierte beschuldigte Person weigert, vorgeführt zu werden,
lässt sich unter Absatz 1 subsumieren; eine explizite Nennung erscheint deshalb obsolet.

Dem Gericht bleibt es gemäss Absatz 2 unbenommen, anstelle der Ausfällung eines Abwesenheitsurteils das Verfahren zu sistieren oder eine zweite Hauptverhandlung anzusetzen. Diesfalls nimmt es diejenigen Beweise ab, die keinen Aufschub dulden.

222 223 224 225 226

BGE 141 IV 396 E. 3.8 und 4.7.

BGE 141 IV 396 E. 3.6 f. (m.w.H.); BSK StPO-Heer, Art. 365 N 9 ff.

BGE 141 IV 396 E. 3.9 f. (m.w.H.); BSK StPO-Heer, Art. 365 N 10.

Vernehmlassungsbericht, S. 22.

BSK StPO-Maurer, Art. 366 N 15; Pa. Iv. 13.427 Schneider-Schüttel, Strafprozessordnung. Vereinfachung des Abwesenheitsverfahrens.

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Absatz 3 enthält neu die im geltenden Recht in Absatz 4 geregelten Voraussetzungen; Absatz 4 wird deshalb aufgehoben.

Art. 377 Abs. 4 zweiter und dritter Satz Gemäss geltendem Recht ergeht ein allfälliger Einspracheentscheid des Gerichts im Rahmen eines selbstständigen Einziehungsverfahrens in Form eines Beschlusses oder einer Verfügung (Art. 377 Abs. 4 StPO). Deshalb kann dieser Entscheid nur mit Beschwerde angefochten werden (Art. 393 Abs. 1 Bst. b StPO).

Da hingegen bei akzessorischen Einziehungsentscheiden, die im Rahmen eines Urteils ergehen, die Berufung das zulässige Rechtsmittel ist und gegen selbstständige nachträgliche Entscheide anstelle der Beschwerde neu ebenfalls die Berufung zulässig sein soll (vgl. oben die Ausführungen bei Art. 365), wird in Absatz 4 aus Kohärenzgründen ebenfalls die Berufung als zulässiges Rechtsmittel gegen einen Einspracheentscheid des Gerichts vorgeschlagen (vgl. auch Art. 80 Abs. 1).

Dem in der Vernehmlassung vorgebrachten Einwand, das schriftliche Beschwerdeverfahren sei sinnvoller,227 kann entgegengehalten werden, dass auch die Berufung im schriftlichen Verfahren behandelt werden kann. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn ausschliesslich Massnahmen im Sinne von Artikel 66­73 StGB angefochten werden, wozu auch die Einziehung gehört (Art. 406 Abs. 1 Bst. e StPO).

Art. 381 Abs. 4 und Art. 381a Nach dem geltenden Artikel 381 Absatz 4 StPO, der materiell dem Artikel 266 Buchstaben a und c des früheren Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934 entspricht, kann die Bundesanwaltschaft Rechtsmittel gegen kantonale Entscheide ergreifen. Diese Befugnis erscheint heute nicht mehr zeitgemäss. Es besteht für die Bundesanwaltschaft als Staatsanwaltschaft des Bundes regelmässig kein Anlass, in ein kantonales Verfahren einzugreifen und dadurch die mit dem Verfahren befasste kantonale Staatsanwaltschaft zu «übersteuern». Zudem fehlen der Bundesanwaltschaft oftmals die besonderen Fachkenntnisse in den fraglichen Verwaltungsstrafsachen, nicht zuletzt deshalb, weil ihr heute andere Schwerpunkte der Strafverfolgung zustehen als im Jahr 1934, als die Rechtsmittelkompetenz eingeführt wurde. Will die Bundesanwaltschaft deshalb ein Rechtsmittel ergreifen, so ist sie regelmässig auf die Unterstützung durch die Bundesverwaltung angewiesen, welche im
fraglichen Gebiet der Verwaltungsstrafsachen über das Fachwissen verfügt. Diese Unterstützung gestaltet sich regelmässig so, dass die Bundesanwaltschaft ein von der Bundesbehörde erarbeitetes Rechtsmittel unterzeichnet und einreicht.

Mit der Aufhebung von Artikel 381 Absatz 4 und der Änderung von Artikel 81 Absatz 2 BGG soll die bisherige Rechtsmittelkompetenz der Bundesanwaltschaft in Verfahren kantonaler Gerichtsbarkeit auf Stufe Kanton und Bund deshalb entfallen.

Der neue Artikel 381a und die Änderung von Artikel 81 Absatz 2 BGG sollen der sachkundigen Bundesbehörde die selbstständige Einreichung eines Rechtsmittels 227

Vernehmlassungsbericht, S. 22 f.

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gegen Entscheide in Verfahren kantonaler Gerichtsbarkeit ermöglichen. Dabei ist die Rechtsmittellegitimation daran geknüpft, dass der angefochtene Entscheid der Bundesbehörde gemäss Bundesrecht mitzuteilen ist. Eine solche Mitteilungspflicht kann sich aus einem Spezialgesetz oder aus der Verordnung vom 10. November 2004 über die Mitteilung kantonaler Strafentscheide228 ergeben.

Dieses Vorgehen erscheint effizienter als das heute praktizierte, oben dargelegte, nach welchem die Verwaltung die Begründung des Rechtsmittels beisteuert und die Bundesanwaltschaft dieses danach unterzeichnet und in ihrem Namen einreicht und vertritt.

Art. 388 Sachüberschrift und Abs. 2 Der bisherige Wortlaut von Artikel 388 StPO wird neu zu Absatz 1.

Der neue Absatz 2 sieht vor, die Zuständigkeit der Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz auf gewisse Nichteintretensentscheide (Bst. a­c) auszuweiten. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen das Rechtsmittelverfahren aus formellen Gründen nicht durchzuführen oder frühzeitig zu beenden ist. Eine materielle Auseinandersetzung mit der Sache findet nicht statt. Die Zuständigkeit bei einem (allfälligen) Kollegialgericht zu belassen, erscheint in diesen Fällen daher nicht verfahrensökonomisch.229 Eine analoge Regelung findet sich in Artikel 108 BGG.

Die Verfahrensleitung soll gemäss Buchstabe a einen Nichteintretensentscheid fällen können, wenn das Rechtsmittel offensichtlich unzulässig ist (vgl. Art. 390 Abs. 2 StPO). Dies ist dann der Fall, wenn eine Prozessvoraussetzung offensichtlich nicht erfüllt ist, so zum Beispiel, wenn die Rechtsmittelfrist klar nicht eingehalten wird, der Kostenvorschuss nicht (fristgerecht) geleistet wird oder es an der Rechtsmittellegitimation fehlt. Offensichtlichkeit ist dann gegeben, wenn sehr deutlich ist beziehungsweise ohne Zweifel feststeht, dass es an einer Prozessvoraussetzung fehlt.

Gemäss Buchstabe b soll die Verfahrensleitung zudem für den Nichteintretensentscheid zuständig sein, wenn das Rechtsmittel offensichtlich keine hinreichende Begründung enthält (Art. 385 Abs. 2 StPO). Das ist etwa dann der Fall, wenn lediglich erklärt wird, dass ein Rechtsmittel ergriffen wird, ohne dass in irgendeiner Form begründet würde, inwiefern der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt (zu den Anforderungen an die Begründung vgl. Art. 385
Abs. 1 StPO).

Schliesslich soll die Verfahrensleitung nach Buchstabe c auch einen Nichteintretensentscheid bei querulatorischen oder rechtsmissbräuchlichen Rechtsmitteln fällen können. Darunter sind gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts Begehren zu verstehen, «die jede vernünftige Grundlage vermissen lassen».230 Als Querulant gilt eine Person, die immer wieder aus geringfügigem oder ohne Anlass an Behörden gelangt. Sie fällt dadurch auf, dass sie oft offensichtlich unbegründete Anträge stellt oder Beschwerden führt, sich durch Belehrungen kaum

228 229 230

SR 312.3 BSK StPO-Guidon, Art. 396 N 8.

Urteil des Bundesgerichts vom 13. Febr. 2004, 2A.77/2004 E. 2.

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beeinflussen lässt und auch dann auf ihrem vermeintlichen Recht beharrt, wenn ihrem Anliegen wiederholt nicht stattgegeben wird.231 Rechtsmissbrauch liegt dann vor, wenn jemand bei der Ausübung von Rechten und Pflichten wider Treu und Glauben handelt. Als rechtsmissbräuchlich gelten zum Beispiel Rechtsmittel, die einzig den Zweck verfolgen, Zeit zu gewinnen, die Gegenpartei mit Verfahrenskosten zu belasten oder sich an ihr zu rächen. 232 Das Vorliegen querulatorischen oder rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sollte jedoch nur in extremen oder eindeutigen Fällen bejaht werden.233 Art. 393 Abs. 1 Bst. c Nach geltendem Recht kann ein Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts nur dann mit Beschwerde angefochten werden, wenn die StPO dies ausdrücklich vorsieht (vgl. z. B. Art. 222 StPO). Sofern kein ausdrückliches Beschwerderecht vorgesehen ist, verbleibt einzig die (direkte) Beschwerde an das Bundesgericht. Solche Fälle sind Ausnahmen vom Grundsatz der doppelten Instanz, wonach die Kantone grundsätzlich obere Gerichte als Rechtsmittelinstanzen vorsehen müssen (Art. 80 Abs. 2 BGG).

Wie oben (Ziff. 1.2.1) ausgeführt, hat der Bundesrat am 15. Juni 2018 mit der Verabschiedung der Botschaft zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes entschieden, dem Grundsatz der doppelten Instanz ausnahmslos zum Durchbruch zu verhelfen.

An diesem erst vor kurzem getroffenen Entscheid ist trotz der ablehnenden Stimmen in der Vernehmlassung234 festzuhalten.

Buchstabe c von Absatz 1 wird dementsprechend angepasst.

Art. 398 Abs. 1 Weil gegen selbstständige nachträgliche Entscheide (Art. 365 Abs. 2 StPO) sowie selbstständige Einziehungsentscheide (Art. 377 Abs. 4 StPO) neu die Berufung zulässig sein soll, wird Absatz 1 dementsprechend ergänzt (vgl. auch Art. 80 Abs. 1).

Art. 410 Abs. 1 Bst. a Die Anpassung betrifft nur den französischen Gesetzestext.

In Buchstabe a von Absatz 1 soll der Ausdruck «l'autorité inférieure» gestrichen werden; denn dieser ist weder im deutschen noch im italienischen Gesetzestext enthalten. Der Ausdruck ist zudem unklar, weil auch gegen ein Urteil einer Berufungsinstanz ein Revisionsgesuch gestellt werden kann.235

231 232 233 234 235

BSK BGG-Belser/Bacher, Art. 108 N 31.

BSK BGG-Belser/Bacher, Art. 108 N 30.

BSK BGG-Belser/Bacher, Art. 108 N 29.

Vernehmlassungsbericht, S. 23.

Geschäftsbericht Bundesgericht 2013, S. 17.

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Art. 431 Sachüberschrift Die Sachüberschrift von Artikel 431 StPO gemäss geltendem Recht ist unvollständig.

In Absatz 1 werden die Ansprüche geregelt, die entstehen, wenn die materiellen oder formellen Voraussetzungen einer Zwangsmassnahme im Zeitpunkt der Anordnung nicht gegeben waren, die Zwangsmassnahme somit rechtswidrig war.

Die Ansprüche, die sich aus überlanger Haft ergeben, sind in Absatz 2 geregelt. In diesem Fall ist nicht die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft als solche rechtswidrig, sondern nur deren Länge ungerechtfertigt.

Indem die Sachüberschrift gemäss geltendem Recht nur Bezug nimmt auf die rechtswidrigen Zwangsmassnahmen nach Absatz 1, greift sie zu kurz. Sie wird deshalb mit der überlangen Haft nach Absatz 2 ergänzt.

Art. 440 Abs. 1, 3 und 4 In Artikel 440 StPO ist diejenige Sicherheitshaft geregelt, die nicht bereits im Strafurteil angeordnet wird, sondern erst nach dessen Ausfällung, zur Sicherstellung von zu vollstreckenden freiheitsentziehenden Sanktionen bis zu deren Antritt. 236 Zuständig für die Anordnung der Sicherheitshaft ist die Vollzugsbehörde (Abs. 1). Die Anordnung ist jedoch innert kurzer Frist dem Gericht zu unterbreiten (Abs. 2), das endgültig darüber entscheidet, ob die betroffene Person bis zum Antritt der Sanktion in Haft bleibt (Abs. 3).

Absatz 1 enthält neu anstatt der Wendung «in dringenden Fällen» den Verweis auf Artikel 439 Absatz 3 StPO. Eine materielle Änderung geht damit nicht einher, denn unter dringenden Fällen sind insbesondere diejenigen gemäss den vorgenannten Buchstaben zu verstehen.

Weil es in der StPO grundsätzlich keine Ausnahme vom Grundsatz der «double instance» mehr geben soll, wird in Absatz 3 das Wort «endgültig» gestrichen (vgl.

dazu Ziff. 3.1.1).

Das geltende Recht enthält keine Regelung, welche Behörde die Entlassung aus einer gestützt auf Artikel 440 StPO angeordneten Sicherheitshaft beurteilt. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts und der Lehre ist die Haftentlassung jedoch in sinngemässer Anwendung von Absatz 2 (des geltenden Rechts) vom Gericht zu entscheiden, welches die zu vollziehende Sanktion ausgesprochen hat.237 Der Entwurf verankert diese Rechtsprechung neu in Absatz 4.

236 237

Urteil des Bundesgerichts vom 18. Nov. 2015 6B_1055/2015 E. 2.1.

Urteil des Bundesgerichts vom 18. Nov. 2015 6B_1055/2015 E. 2.

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4.2

Änderung anderer Erlasse

Parlamentsgesetz Art. 19 Abs. 2 Die Bestimmung verweist auf den inzwischen geänderten Artikel 7 des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) und ist deshalb nicht mehr zutreffend. Der Verweis ist zu streichen. Die Zuständigkeit und das Verfahren zur Genehmigung der Überwachung ergibt sich aus dem jeweils anwendbaren Prozessrecht, insbesondere aus Artikel 274 StPO.

Bundesgerichtsgesetz Art. 80 Abs. 2 Der Rechtsmittelweg an das Bundesgericht führt nunmehr konsequent über obere Gerichte als letzte kantonale Instanzen. Eine Ausnahme besteht allerdings bei Entscheiden über den Ausstand nach Artikel 59 Absatz 1 Buchstaben b und c StPO: Hier entscheiden die Beschwerdeinstanz oder das Berufungsgericht als einzige kantonale Instanz. Dieser Ausnahme trägt die Änderung von Artikel 80 Absatz 2 BGG Rechnung.

Art. 81 Abs. 2 Siehe dazu die Ausführungen zu Artikel 381 Absatz 4 und 381a.

Strafgesetzbuch Art. 65 Abs. 2 zweiter Satz Die StPO war bei Inkrafttreten von Artikel 65 Absatz 2 StGB am 1. Januar 2007238 noch nicht in Kraft. Gemäss dieser Gesetzesbestimmung richten sich die Zuständigkeit und das Verfahren für die nachträgliche Anordnung der Verwahrung nach den Regeln, die für die Wiederaufnahme gelten. Artikel 65 Absatz 2 StGB ist seit dem Inkrafttreten der StPO am 1. Januar 2011 nicht an deren Bestimmungen angepasst worden, wie dies das Bundesgericht festgestellt hat. Gemäss seiner Rechtsprechung richten sich die Zuständigkeit und das Verfahren für die nachträgliche Anordnung der Verwahrung nach den Regeln der Revision gemäss Artikel 410 ff. StPO.239 Deshalb wird Artikel 65 Absatz 2 StGB entsprechend dieser Rechtsprechung präzisiert.

238 239

AS 2006 3539; BBl 2005 4689 Urteil des Bundesgerichts vom 29. Jan. 2018 1B_548/2017 E. 1.1.

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Art. 71 Abs. 3 Zu den Einzelheiten siehe oben unter Ziffer 4.1 die Ausführungen zu Artikel 263 Absatz 1 Buchstabe e.

Art. 179octies Abs. 2 Das geltende Recht verweist auf eine in dieser Form nicht mehr bestehende Bestimmung des früheren BÜPF, welche die für eine Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs zuständigen Behörden bezeichnete. Die Zuständigkeit für die Anordnung von solchen Überwachungsmassnahmen ist nunmehr in jenen Erlassen geregelt, welche auch die Voraussetzungen für die Überwachung festlegen (insbesondere in der Strafprozessordnung und dem Militärstrafprozess). Der ins Leere führende Verweis von Absatz 2 ist deshalb zu streichen.

Jugendstrafgesetz Art. 3 Abs. 2 Die Regelung des geltenden Rechts sieht bei Personen, die vor und nach Vollendung ihres 18. Altersjahres Straftaten begangen haben (sog. Übergangstäterinnen und -täter), die gleichzeitig zu beurteilen sind, in Bezug auf das anwendbare Sanktionenrecht folgendes vor: Sind keine Massnahmen des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 2003240 (JStG) oder des StGB erforderlich, so gelangen nur die Strafen nach StGB zur Anwendung. Dies gilt auch für die Zusatzstrafe, die für eine Tat auszusprechen ist, die vor Vollendung des 18. Altersjahres begangen wurde (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 JStG). Bedarf die Täterin oder der Täter einer Massnahme, so ist diejenige Massnahme nach dem StGB oder dem JStG anzuordnen, die nach den Umständen erforderlich ist (Art. 3 Abs. 2 Satz 3 JStG).

In Bezug auf das anwendbare Verfahrensrecht gilt, dass ein Verfahren, das gegen eine Jugendliche oder einen Jugendlichen wegen Straftaten eingeleitet wurde, die sie oder er vor der Vollendung des 18. Altersjahres begangen hat, auch dann ein jugendstrafrechtliches Verfahren bleibt, wenn später neue Straftaten hinzukommen, die sie oder er nach der Vollendung des 18. Altersjahres begangen hat (Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG). Andernfalls ist für alle Straftaten das Verfahren gegen Erwachsene anwendbar (Art. 3 Abs. 2 Satz 5 JStG).

In der Praxis und Lehre wird insbesondere die verfahrensrechtliche Regelung in Absatz 2 kritisiert.241 Die StPO und die Jugendstrafprozessordnung vom 20. März 2009242 (JStPO) seien unterschiedlich ausgestaltet und das StGB und das JStG basierten auf sehr unterschiedlichen Grundsätzen und würden unterschiedliche 240 241

SR 311.1 BGE 135 IV 206 E. 5.3; BSK StGB I-Gürber/Hug/Schläfli, Art. 3 N 12 ff.; Riedo, JStG/JStPO, N 515 ff. Vgl. dazu auch die Forderung der Motion Schwaller (09.4198), «Änderung von Artikel 3 Absatz 2 des Jugendstrafgesetzes»; diese wurde jedoch zurückgezogen.

242 SR 312.1

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Sanktionen vorsehen.243Weiter wird geltend gemacht, dass den meisten Jugendstrafbehörden die Praxis im Erwachsenenstrafrecht fehle (z. B. bei der Strafzumessung), wenn sie zusätzlich Straftaten beurteilen müssen, die nach Vollendung des 18. Altersjahres begangen wurden. Zudem würden bei Anwendung des Jugendstrafverfahrens bei über 18-jährigen Täterinnen und Tätern die im Erwachsenenstrafrecht geltenden Verfahrensgrundsätze eingeschränkt (z. B. Ausschluss der Öffentlichkeit, Art. 14 JStPO; eingeschränkte Teilnahmerechte der Privatklägerschaft, Art. 20 JStPO).244 Gestützt auf diese Kritik wird Artikel 3 Absatz 2 JStG deshalb wie folgt geändert: Straftaten von «Übergangstätern» sollen neu formell getrennt beurteilt und sanktioniert werden. Wird gegenüber einer oder einem Jugendlichen ein Strafverfahren wegen einer Straftat vor Vollendung des 18. Altersjahres eröffnet, so soll diese (grundsätzlich) im Jugendstrafverfahren beurteilt und gemäss JStG sanktioniert werden (zur Ausnahme vgl. nachfolgend). Begeht diese oder dieser Jugendliche während des hängigen Jugendstrafverfahrens, aber nachdem sie oder er das 18.

Altersjahr vollendet hat, eine weitere Straftat, so soll diese Straftat neu in einem erwachsenenstrafrechtlichen Verfahren gesondert beurteilt und ausschliesslich gemäss StGB sanktioniert werden. Diese separate Verfahrensführung und Sanktionierung rechtfertigt sich, weil so jede Behörde nur die ihr vertrauten Regelungen anwenden muss.

Wie der Vollzug der separaten Urteile erfolgen wird, soll ­ wie dies auch beim Zusammentreffen verschiedener erwachsenenstrafrechtlicher Urteile der Fall ist ­ auf Verordnungsebene geklärt werden (vgl. Verordnung vom 19. September 2006245 zum Strafgesetzbuch und Militärstrafgesetz). Hierfür ist eine entsprechende Delegationsnorm zu schaffen (vgl. nachfolgende Ausführungen zu Art. 38).

Einzig in folgendem Fall soll keine Trennung stattfinden: Wurde gegen einen jungen Erwachsenen ein Strafverfahren wegen einer Straftat, die er nach Vollendung des 18. Altersjahres begangen hat, eröffnet und wird dann erst bekannt, dass er schon vor Vollendung des 18. Altersjahres delinquiert hat, so wird auch diese Straftat ­ wie im geltenden Recht ­ im erwachsenenstrafrechtlichen Verfahren beurteilt. In Bezug auf die Strafen und insbesondere die Massnahmen soll neu nur noch das
StGB zur Anwendung kommen. Denn die Anordnung einer jugendstrafrechtlichen Massnahme gegenüber einem jungen Erwachsenen wäre systemfremd und ist deshalb nicht angezeigt.246 Art. 36 Abs. 1bis und 2 erster Satz Anders als im Erwachsenenstrafrecht (Art. 97 Abs. 3 StGB) verhindert gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts und herrschender Lehre ein erstinstanzliches Urteil den Eintritt der Verfolgungsverjährung im Jugendstrafrecht bislang nicht.

243 244 245 246

BSK StGB I- Gürber/Hug/Schläfli, Art. 3 N 20; Riedo, AJP 2010, S. 186.

BSK StGB I-Gürber/Hug/Schläfli, Art. 3 N 17 und 20 f.

SR 311.01 Allerdings kommt eine jungendstrafrechtliche Sanktion gegen einen erwachsenen Täter dann in Betracht, wenn dieser vor Vollendung des 18. Altersjahres eine Straftat begangen hat, die jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt und verfolgt wird.

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Denn Artikel 36 JStG äussert sich nicht zur Frage, wann die in Absatz 1 vorgesehenen Fristen zu laufen aufhören und Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe j JStG enthält keinen Querverweis auf Artikel 97 Absatz 3 StGB.247 In der Praxis führt dies zum stossenden Ergebnis, dass sich jugendliche Straftäterinnen und Straftäter ­ anders als Erwachsene ­ durch das taktische Ergreifen von Rechtsmitteln oder das Verzögern eines Mediationsverfahrens in die Verjährung retten können.248 Das Bundesgericht geht in seiner neusten Rechtsprechung mittlerweile von einer echten Gesetzeslücke aus und bejaht die Gültigkeit von Artikel 97 Absatz 3 StGB trotz fehlenden Querverweises in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe j JStG.249 Diese Rechtsprechung ist ins Gesetz zu überführen. Der Klarheit halber wird auf einen Querverweis verzichtet und stattdessen in Artikel 36 in einem neuen Absatz 1bis geregelt, dass ­ analog zum Erwachsenenstrafrecht ­ die Verjährung nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist.

Die Anpassungen im ersten Satz von Absatz 2 sind rein redaktioneller Natur.

Art. 38 Aufgrund der geänderten Regelung in Artikel 3 Absatz 2 JStG kann es dazu kommen, dass gegenüber einer Übergangstäterin oder einem Übergangstäter sowohl eine Jugendstrafbehörde als auch eine Erwachsenenstrafbehörde ein Urteil aussprechen.

Der Vollzug dieser Urteile ist ­ wie im Erwachsenenstrafrecht ­ durch den Bundesrat auf Verordnungsstufe zu koordinieren. Damit der Bundesrat eine solche Verordnung erlassen kann, enthält Artikel 38 ­ analog zu Artikel 387 Absatz 1 StGB ­ die entsprechenden Delegationsbestimmungen.

Jugendstrafprozessordnung Art. 1 Aufgrund der in Artikel 3 Absatz 2 JStG vorgeschlagenen Änderung kann es vorkommen, dass Straftaten, die von Jugendlichen begangen wurden, von Behörden des Erwachsenenstrafrechts in Anwendung der StPO verfolgt und beurteilt werden. Der Geltungsbereich der JStPO wird deshalb mit dem entsprechenden Vorbehalt ergänzt.

Art. 10 Abs. 1 zweiter Satz, 2 Bst. a und 3 Gemäss Absatz 1 ist für die Strafverfolgung von Verbrechen und Vergehen die Behörde am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes der oder des beschuldigten Jugendlichen zuständig (Wohnsitz-Prinzip). Einzelne Vernehmlassungsteilnehmende regten 247

Riedo, JStG/JStPO, N 2611; BSK StGB-Zurbrügg, Art. 97 N 51; Urteil des Bundesgerichts vom 3. Jan. 2017 1B_646/2016 E. 1.5.2, m.w.H.

248 Riedo, JStG/JStPO, N 2611; Aebersold, Jugendstrafrecht, S. 210 f.

249 Urteil des Bundesgerichts vom 3. Jan. 2017 1B_646/2016 E. 1.6.3.

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an, dass das Tatortprinzip im Bereich des Ordnungsbussenverfahrens aus Gründen der Praktikabilität nach wie vor gelten solle.250 Da das Ordnungsbussenverfahren durch Bezahlung der Busse rechtskräftig erledigt wird, ohne dass die fehlbare Person registriert wird, ergibt es keinen Sinn, in diesem Bereich vom Tatortprinzip abzuweichen. Deshalb sieht der Entwurf in Absatz 1 neu einen entsprechenden Vorbehalt vor.

Die Änderung in Absatz 2 Buchstabe a ist rein redaktioneller Natur. Die Formulierung «Behörde am Ort der Begehung» wird ersetzt durch «Behörde des Ortes, an dem die Straftat begangen worden ist»; damit wird die gleiche Formulierung wie in Absatz 3 verwendet.

Nicht explizit geregelt ist hingegen, ob und welche Behörde am Tatort Verfahrenshandlungen vornehmen darf.

Artikel 11 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs vom 21. Dezember 2005 zur JStPO enthielt in einem zweiten Satz noch folgende Formulierung: «Die Behörden des Ortes, an dem die Straftat begangen worden ist, nehmen nur die dringend notwendigen Ermittlungshandlungen vor.»251 Dieser zweite Satz wurde jedoch aus dem überarbeiteten Entwurf des Bundesrates vom 22. August 2007 zur JStPO gestrichen.252 Dies mit der Begründung, dass sich die Zuständigkeit der Behörden des Tatorts zu dringend notwendigen Ermittlungshandlungen bereits aus allgemeinen prozessualen Grundsätzen ergebe und nicht besonders erwähnt werden müsse. 253 Allerdings hat sich gezeigt, dass Artikel 10 Absatz 1 JStPO in Bezug auf die Vornahme von Ermittlungshandlungen am Ort, an dem die Straftat begangen worden ist (Tatort), zu Unklarheiten und Kompetenzkonflikten führt.

Deshalb soll in einem neuen Absatz 3 wieder vorgesehen werden, dass die Behörden am Tatort nur diejenigen Ermittlungshandlungen vornehmen, die dringend notwendig sind. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung grundsätzlich begrüsst. 254 Einzelne Vernehmlassungsteilnehmende machten geltend, dass die Formulierung «dringend notwendig» zu wenig klar und die Bestimmung zu präzisieren sei. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass es weiterhin zu Kompetenzkonflikten zwischen den beteiligten Strafverfolgungsbehörden komme. 255 Der Bundesrat kann das Bedürfnis der Behörden nach möglichst präzisen Gesetzesbestimmungen nachvollziehen. Da die vorliegende Bestimmung aber nicht jeden Einzelfall, für den sie gelten soll,
vorweg regelt, sondern möglichst die Vielfalt der Sachverhalte erfassen soll, hält der Entwurf an der Formulierung fest. Was dringend notwendig ist, hängt mit den möglichen Folgen zusammen, die eintreten können, wenn von der Ermittlungshandlung abgesehen wird. Als dringend notwendige Handlungen dürften insbesondere solche gelten, die so wichtig sind, dass deren Vornahme keinen Aufschub duldet, weil sonst die Untersuchung erheblich erschwert oder gar verunmöglicht wird (z. B. Sicherstellen von Spuren am Tatort, deren Verlust droht, Anordnen von Zwangsmassnahmen 250 251 252 253 254 255

Vernehmlassungsbericht, S. 25.

BBl 2006 1561, 1564 BBl 2008 3121, 3160 Zusatzbericht Jugendstrafprozessordnung, S. 3137.

Vernehmlassungsbericht, S. 25.

Vernehmlassungsbericht, S. 25.

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[bspw. Beschlagnahme von Deliktsgut, Untersuchungshaft zwecks Verhinderung von Kollusion oder Flucht], erste Einvernahme der beschuldigten Person, von Auskunftspersonen oder Zeugen, die wegen Wohnsitz im Ausland oder aus krankheitsbedingten Gründen später nicht abkömmlich sein werden etc.). Im Übrigen lässt sich die Formulierung der Sache nach mit dem Begriff «in dringenden Fällen» vergleichen; dieser ist bereits in zahlreichen Artikeln der StPO zu finden.256 Gemäss geltendem Recht werden Übertretungen ­ anders als Verbrechen und Vergehen (vgl. oben) ­ aus Gründen der Verfahrensökonomie am Ort ihrer Begehung (Tatort) verfolgt, ausser es liegen Anhaltspunkte vor, dass eine Schutzmassnahme angeordnet werden muss. In einem solchen Fall kann die Untersuchung an die Behörden am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes (Aufenthaltsort) abgetreten werden. Diese Regelung wird in der Praxis kritisiert. Vorgezogen wird eine generelle Anknüpfung am Aufenthaltsort, so wie dies bei Verbrechen und Vergehen der Fall ist. Dies weil die Behörde am Aufenthaltsort ein umfassenderes Bild über die Gefährdung eines Beschuldigten bekäme, wenn sie auch von Übertretungen, die andernorts begangen wurden, Kenntnis hätten. Übertretungen wie geringfügige Vermögensdelikte oder Betäubungsmittelkonsum können bei Jugendlichen Indizien für eine Gefährdung sein.257 Die geltende Regelung hat zudem zu einer unterschiedlichen Abtretungspraxis in den Kantonen geführt. Schliesslich hat die Schweizerische Vereinigung für Jugendstrafpflege (SVJ) eine Empfehlung erlassen, in welchen Fällen die Strafverfolgung an die Behörde am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes abgetreten werden soll (so bei Betäubungsmittelkonsum, geringfügigen Vermögensdelikten, Tätlichkeiten und sexuellen Belästigungen).258 Aus diesen Gründen soll Absatz 3 gestrichen beziehungsweise durch den eingangs erwähnten Wortlaut (betreffend Vornahme dringend notwendiger Ermittlungshandlungen) ersetzt werden. Damit sind grundsätzlich für sämtliche Delikte die Behörden am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes für die Strafverfolgung zuständig (Abs. 1).

Zur Forderung einiger Vernehmlassungsteilnehmenden,259 dass das Wohnortprinzip bei kantonalen Übertretungen keine Geltung haben solle, ist zu bemerken, dass die StPO gemäss Artikel 1 Absatz 1 nur für Straftaten des Bundesrechts gilt. Den Kantonen,
die für die Verfolgung kantonaler Delikte die StPO für anwendbar erklären, bleibt es unbenommen, einen entsprechenden Vorbehalt in ihrer Gesetzgebung zu verankern.

Art. 32 Abs. 5 Bst. b und 5bis Die in Artikel 32 JStPO vorgeschlagenen Änderungen erfolgen in Analogie zu Artikel 354 Absatz 1 StPO. Die Einsprachelegitimation der Privatklägerschaft soll nicht nur für den Zivil-, Kosten- und Entschädigungspunkt gelten, sondern neu auch für den Schuldpunkt. Einzig betreffend den Bestrafungspunkt ist die Legitimation

256 257 258

So z. B. in Art. 203 Abs. 1 Bst. a, Art. 241 Abs. 1, Art. 332 Abs. 3, Art. 440 Abs. 1.

BSK JStPO-Hug/Schläfli, Art. 10 N 7 f.; Jositsch/Murer, ZStrR 2009, S. 309 f.

Empfehlung der SVJ betreffend Zuständigkeit bei Übertretungstatbeständen, abrufbar unter: www.julex.ch > Jugendstrafrecht > Praxis.

259 Vernehmlassungsbericht, S. 25.

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der Privatklägerschaft ausgeschlossen. Zu den Einzelheiten siehe oben unter Ziffer 4.1.

Einzelne Vernehmlassungsteilnehmende regen im Zusammenhang mit der Einsprachelegitimation an,260 das Teilnahmerecht der Privatklägerschaft an der Hauptverhandlung auszuweiten. Nach geltendem Recht kann die Privatklägerschaft nur an der Hauptverhandlung teilnehmen, wenn besondere Umstände dies erfordern (vgl.

Art. 20 Abs. 2 JStPO). Als besonderer Umstand kann jedoch auch eine Einsprache (oder Berufung) der Privatklägerschaft angesehen werden.261 Eine Ausdehnung der Teilnahmerechte der Privatklägerschaft erscheint dem Bundesrat auch mit Blick auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit von Jugendstrafverfahren (Art. 14 JStPO), der insbesondere dem Schutz der Privatsphäre der Jugendlichen dient, nicht angezeigt.

Opferhilfegesetz Art. 8a Die meisten Kantone verpflichten ihre Angestellten zur Anzeige von Offizialdelikten, die sie im Rahmen der beruflichen Tätigkeit feststellen. Dies führt ­ je nach der kantonalen Behördenorganisation ­ zu einer Anzeigepflicht von Mitgliedern jener Behörden, die über die Ausrichtung von Entschädigung oder Genugtuung nach OHG befinden.

Das ist dann problematisch, wenn das Opfer diese Stelle bereits zu einem Zeitpunkt kontaktiert, zu dem noch kein Strafverfahren eingeleitet ist. Dann kann es zur Situation kommen, dass das Opfer bewusst auf eine Strafanzeige verzichtet hat, das Strafverfahren aber dennoch in Gang gebracht wird, weil die Mitarbeitenden der für die Genugtuung und Entschädigung zuständigen Behörde über den Kontakt mit dem Opfer von der Straftat Kenntnis erhalten haben und zur Anzeige verpflichtet sind.

Deshalb soll das OHG ergänzt werden und festlegen, dass Mitarbeitende der zuständigen kantonalen Behörden keiner Anzeigepflicht unterliegen.

Art. 12 Abs. 2 Die Änderung ist rein redaktioneller Natur. Nach geltendem Recht wird in Absatz 2 auf Artikel 8 Absatz 2 oder 3 verwiesen. Im Zuge der Arbeiten zum Strafbehördenorganisationsgesetz vom 19. März 2010262 (StBOG), das seit dem 1. Januar 2011 in Kraft ist, wurde Artikel 8 OHG geändert; die Anpassung der entsprechenden Verweise in Artikel 12 OHG ging hingegen vergessen. Korrekterweise müsste der Verweis in Artikel 12 auf die Absätze 1 oder 2 lauten. Diese Verweise werden im Rahmen der vorliegenden Revision korrigiert.

260 261

Vernehmlassungsbericht, S. 25.

Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 21. Aug. 2015 SB150051 Ziff. I; Schnell, SWR 2012, S. 268.

262 SR 173.71

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Militärstrafprozess Art. 70 Abs. 2 Nach geltendem Militärstrafprozess vom 23. März 1979263 (MStP) sind die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs und die verdeckte Ermittlung zur Verfolgung der gleichen Delikte zulässig. Dabei entspricht der Katalog der Delikte weitestgehend jenem des früheren Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003264 über die verdeckte Ermittlung (BVE). Damit unterscheidet sich die Regelung des MStP zum einen von jener der StPO, denn diese kennt einen weiteren Katalog von Delikten für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269 Abs. 2 StPO) und einen engeren für die verdeckte Ermittlung (Art. 286 Abs. 2 StPO), der qua Verweis auch für den Einsatz besonderer Informatikprogramme zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs gilt (Art. 269ter Abs. 1 Bst. b StPO). Zum andern entspricht diese Situation auch nicht jener vor dem Inkrafttreten der StPO: Damals waren die (bürgerlichen und militärischen) Delikte, zu deren Verfolgung der Post- und Fernmeldeverkehr überwacht werden durfte, im Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs vom 18. März 2016265 (BÜPF) aufgelistet, während jene, bei denen eine verdeckte Ermittlung angeordnet werden durfte, im BVE erfasst wurden. Dabei umfasste der Katalog des BÜPF mehr Delikte als jener des BVE.

Weshalb bei der Schaffung der StPO zwar für die Verfolgung bürgerlicher Straftaten an dieser Unterscheidung festgehalten wurde, nicht aber bezüglich der militärischen Delikte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Es dürfte sich um einen Fehler handeln, der sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses eingeschlichen hatte.

Dieser Fehler soll nun korrigiert werden, indem auch für den Militärstrafprozess zwei unterschiedlich umfassende Kataloge für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs einerseits und für die verdeckte Ermittlung andererseits gelten sollen.

Der Katalog der Delikte für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs entspricht dabei in der Sache jenem des bürgerlichen Strafverfahrens in Artikel 269 Absatz 2 Buchstabe a StPO bzw. jenem für militärische Delikte im früheren BÜPF.

Die Liste der Straftaten, zu deren Verfolgung eine verdeckte Ermittlung zulässig ist, findet sich dagegen im geänderten Artikel 73a Absatz 1 Buchstabe a: Dieser Katalog entspricht materiell jenem von Artikel 286 Absatz 2 Buchstabe
a StPO bzw. jenem für militärische Straftaten im früheren BVE.

Mit den vorgeschlagenen Änderungen wird die Parallelität der Kataloge der StPO und des MStP wiederhergestellt.

Art. 73a Abs. 1 Bst. a Siehe dazu die Ausführungen zu Artikel 70 Absatz 2.

263 264 265

SR 322.1 AS 2004 1409 SR 780.1

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Rechtshilfegesetz Art. 30 Abs. 2 und 5 Weil nicht nur kantonale Behörden dem BJ Anträge um Auslieferung, Übernahme der Strafverfolgung oder Vollstreckung stellen, sondern auch die Bundesanwaltschaft, soll im Rechtshilfegesetz vom 20. März 1981266 (IRSG) in Absatz 2 der Begriff «kantonale Behörde» durch jenen der «ersuchenden schweizerischen Behörde» ersetzt werden.

Absatz 5: Nicht wenige ausländische Staaten ­ vor allem solche aus dem Bereich des Common Law ­ verlangen für die Anordnung bestimmter Zwangsmassnahmen (z. B. rechtshilfeweise Beschlagnahme von Vermögenswerten, Anordnung von Auslieferungshaft) zwingend den Entscheid eines Gerichts. In der Schweiz dagegen ist für die Anordnung in der Phase der Untersuchung grundsätzlich die Staatsanwaltschaft zuständig. Im Rechtshilfeverfahren kann das Fehlen einer gerichtlichen Anordnung nun dazu führen, dass die ersuchte ausländische Behörde das schweizerische Rechtshilfeersuchen aus formellen Gründen abweist. Deshalb soll der neue Artikel 55a StPO die Möglichkeit eröffnen, in solchen Fällen einen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts herbeizuführen. Der neue Absatz 5 von Artikel 30 IRSG ist in diesem Zusammenhang zu lesen und verpflichtet das BJ, die schweizerische Strafverfolgungsbehörde zu informieren, wenn der ersuchte Staat für die beantragte Rechtshilfemassnahme einen richterlichen Entscheid verlangt. Diese Information ermöglicht es der Strafverfolgungsbehörde, das Verfahren nach Artikel 55a StPO einzuleiten. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn das entsprechende Ersuchen via BJ gestellt wird. Erledigt die Staatsanwaltschaft ein Ersuchen dagegen im direkten Verkehr, so muss sie die Notwendigkeit einer entsprechenden Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht selbst erkennen; das BJ kann sie höchstens im Rahmen der allgemeinen Informationspflichten darauf aufmerksam machen.

5

Auswirkungen

5.1

Auswirkungen auf den Bund

Auf Stufe Bund könnten die Änderungen gemäss dieser Vorlage zu einer geringfügigen Entlastung des Bundesgerichts führen. Dies weil nunmehr auch im Strafprozessrecht der Grundsatz der «double instance» konsequent eingehalten werden soll.

Dies allerdings nur insoweit, als die neu von kantonalen Instanzen zu beurteilenden Fälle nicht an das Bundesgericht weitergezogen werden.

266

SR 351.1

6780

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5.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die unmittelbaren finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden lassen sich nur schwer abschätzen und schon gar nicht betragsmässig bestimmen.

Einige der vorgeschlagenen Änderungen dürften für die Kantone zu Mehraufwand führen, andere dagegen zu Entlastungen. Da sich die beiden Seiten wegen zahlreicher Unbekannter nicht quantifizieren lassen, lässt sich vorgängig nicht sagen, ob die Änderungen letztlich zu einer Mehr- oder Minderbelastung führen oder im Ergebnis sogar keine Veränderung zu gewärtigen sein wird.

Zu Mehraufwand dürften folgende Änderungen führen: ­

Die ausnahmslose Beachtung des Grundsatzes der «double instance» dürfte bei den kantonalen Rechtsmittelinstanzen zu zusätzlichen Fällen führen. Anderseits könnte diese Änderung bei den Staatsanwaltschaften zu Minderaufwand führen, sofern die Erhebung einer Beschwerde vor einer kantonalen Instanz weniger aufwendig ist als vor dem Bundesgericht.

­

Für die Zwangsmassnahmengerichte könnte sich ein gewisser Mehraufwand ergeben, weil sie neu für die Anordnung von Sicherheitshaft im Zusammenhang mit Nachverfahren zuständig sind. Allerdings dürfte es sich hier wohl um eher seltene Fälle handeln. Zudem erhalten die Zwangsmassnahmengerichte neue Aufgaben im Bereich der internationalen Rechtshilfe.

­

Bei der Staatsanwaltschaft dürfte die Pflicht zur Einvernahme der beschuldigten Person in gewissen Fällen im Strafbefehlsverfahren zu Mehraufwand führen. Es ist jedoch festzuhalten, dass die neue Regelung die Praxis einiger Kantone kodifiziert.

Auf der anderen Seite kann insbesondere aufgrund folgender Änderungen mit Minderaufwand gerechnet werden: ­

die Vereinfachung des Abwesenheitsverfahrens;

­

die Möglichkeit der Aufzeichnung von Einvernahmen anstelle der laufenden Protokollierung.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

6.1.1

Gesetzgebungskompetenz

Nach Artikel 123 BV ist der Bund zur Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts und des Strafprozessrechts befugt.

6781

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6.1.2

Grundrechtskonformität

Die BV enthält in den Artikel 29­32 diverse Verfahrensgarantien, die als Minimalgarantien zu verstehen und daher grundsätzlich eingriffsresistent sind (z. B. Art. 30 Abs. 1 BV; Recht auf Beurteilung durch unabhängige Richterinnen und Richter).

Gewisse Garantien können unter sinngemässer Anwendung der Voraussetzungen in den Artikeln 5 und 36 BV eingeschränkt werden (z. B. Art 29 Abs. 2 BV; Recht auf Akteneinsicht).267 Für die vorliegende Revision stehen die Verfahrensgarantien bei Freiheitsentzug im Vordergrund. Die in Untersuchungshaft genommene Person hat gemäss Artikel 31 Absatz 3 BV das Recht, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Diese Vorgaben entsprechen im Wesentlichen Artikel 5 Absatz 3 EMRK.

Um diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen, sieht das geltende Recht vor, dass die Staatsanwaltschaft die Haft innert 48 Stunden seit der Festnahme der beschuldigten Person beim Zwangsmassnahmengericht beantragen muss (Art. 224 Abs. 2).

Dieses entscheidet wiederum innert 48 Stunden seit dem Eingang des Antrages (Art. 226 Abs. 1), das heisst innert 96 Stunden seit der Festnahme. Diese verfassungskonformen Fristen werden durch die vorliegende Revision nicht geändert. Da diese Fristvorgabe unverändert bleibt, können bei einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft zwischen der Festnahme der beschuldigten Person und ihrer allfälligen Freilassung durch die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz rund 4 1/2 Tage vergehen, sofern dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorsorgliche Massnahmen nicht stattgegeben wird. Gerade weil eindeutige Präjudizien fehlen (s. die Erläuterungen zu Art. 226a unter Ziff. 4), erscheint diese Dauer nicht als EMRK-widrig.

Im Zusammenhang mit dem Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden (Art. 363 ff. StPO) schlägt der Bundesrat vor, dass zum einen die für die Einleitung dieses Verfahrens zuständige Behörde die verurteilte Person unter gewissen Voraussetzungen festnehmen lassen und beim Zwangsmassnahmengericht die Anordnung von Sicherheitshaft beantragen kann (Art. 364a VE-StPO). Zum anderen soll auch das für den selbstständigen nachträglichen Entscheid zuständige Gericht diese Massnahme ergreifen können. Für die Anordnung der
Sicherheitshaft ist entweder das Zwangsmassnahmengericht oder die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz zuständig (Art. 364b VE-StPO). Da nach der Festnahme der betroffenen Person das Haftverfahren analog der bestehenden Bestimmungen zur Sicherheitshaft ablaufen soll ­ insbesondere innerhalb derselben Fristen ­, werden die Vorgaben von Artikel 31 Absatz 3 BV gewahrt.

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Wie bereits in der Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 2005268 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts festgehalten, befassen sich zahlreiche im 267 268

Kiener/Kälin, Grundrechte, S. 485 f.

BBl 2006 1085, 1385

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Rahmen des Europarates und der UNO ausgearbeitete Instrumente mit Fragen strafprozessualer Natur. Im Vordergrund stehen der Internationale Pakt vom 16. Dezember 1966269 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) und, auf europäischer Ebene, die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950270 (EMRK). Sie enthalten eine Reihe weitgehend übereinstimmender Garantien, die im Strafverfahren zu beachten sind. Dabei hat bis heute die EMRK für die strafprozessuale Gesetzgebung und Praxis in Bund und Kantonen die grössere Bedeutung erlangt.

Für die vorliegende Revision ist das Recht der festgenommenen Person von Bedeutung, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter oder einem anderen zur Ausübung der richterlichen Funktion ermächtigen Beamten vorgeführt zu werden (Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 9 Abs. 1 UNO-Pakt II). Dies gilt namentlich im Zusammenhang mit der Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts und der Anordnung von Sicherheitshaft im Rahmen des Verfahrens beim Erlass eines selbstständigen nachträglichen Entscheides. Die diesbezüglich vorgesehenen Änderungen sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar, soweit sie durch die Rechtsprechung mit hinreichender Klarheit vorgegeben sind.271

6.3

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Das Gesetz enthält in Artikel 38 E-JStG eine Delegationsnorm zum Erlass von vollziehendem Verordnungsrecht analog derjenigen in Artikel 387 Absatz 1 StGB.

Diese Delegation ist erforderlich, weil Regelungen zu erlassen sind, deren Konkretisierungsgrad die Gesetzesebene überschreiten würde (vgl. die gestützt auf Art. 387 Abs. 1 StGB erlassene Verordnung vom 19. September 2006272 zum Strafgesetzbuch und Militärstrafgesetz). Aufgrund der in den Gesetzesartikeln vorgegebenen Leitlinien ist die Rechtsetzungsermächtigung hinreichend konkretisiert.

269 270 271 272

SR 0.103.2 SR 0.101 Vgl. die Ausführungen zu den einschlägigen Bestimmungen (Ziff. 4).

SR 311.01

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Literaturverzeichnis Wissenschaftliche Literatur Aebersold Peter, Schweizerisches Jugendstrafrecht, Bern, 2011 (zit. Aebersold, Jugendstrafrecht).

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Bommer Felix, Über notwendige Verteidigung, in: Felix Bommer/Stephen V. Berti (Hrsg.), Verfahrensrecht am Beginn einer neuen Epoche, Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 2011 ­ 150 Jahre Schweizerischer Juristenverein, Zürich, 2011 (zit. Bommer, notwendige Verteidigung).

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Bommer Felix, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2012, ZBJV 152 2016 (zit. Bommer, ZBJV 2016).

Conte Martine, Die Grenzen der Präventivhaft gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich, 2018 (zit. Conte, Präventivhaft).

Coninx Anna, Haft wegen Ausführungsgefahr ­ Notwendige Beschränkung einer hybriden Rechtsfigur zwischen Strafprozessrecht und Polizeirecht, ZSR 2016 I (zit.

Coninx, ZSR 2016).

Daphinoff Michael, Das Strafbefehlsverfahren in der Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich, 2012 (zit. Daphinoff, Strafbefehlsverfahren).

Donatsch Andreas/Hansjakob Thomas/Lieber Viktor (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), Zürich, 2014. (zit. Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. N) Donatsch Andreas/Hiestand Eliane, Wortlaut des Gesetzes oder allgemeine Rechtsprinzipien bei der Auslegung von Normen der StPO, ZStrR 1/2014 (zit. Donatsch/Hiestand, ZStrR 2014).

Dumitrescu Adrian, Die Präventivhaft nach Art. 221 Abs. 2 StPO, AJP 3/2015 (zit. Dumitrescu, AJP 2015).

Forster Marc, Antennensuchlauf und rückwirkende Randdatenerhebung bei Dritten.

Bundesgerichtspraxis und gesetzliche Lücken betreffend Art. 273 und Art. 270 lit. b StPO, in: Festschrift für Andreas Donatsch, hrsg. von Daniel Jositsch/Christian Schwarzenegger/Wolfgang Wohlers, Zürich, 2017 (zit. FS-Donatsch).

Forster Marc, Das Haftrecht der neuen StPO auf dem Prüfstand der Praxis, ZStrR 3/2012 (zit. Forster, ZStrR 2012).

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Fricker Christoph/Büttiker Lukas, Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts über Untersuchungs- und Sicherheitshaft, Jusletter vom 04. Jan. 2012 (zit. Fricker/Büttiker, Jusletter 2012).

Frowein Jochen/Peukert Wolfgang, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, Kehl, 2009 (zit. Frowein/Peukert, EMRK).

Galeazzi Christina, Der Zivilkläger im Strafbefehls- und abgekürzten Verfahren, Zürich, 2016 (zit. Galeazzi, Zivilkläger).

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Godenzi Gunhild, Urteilsbesprechung, forumpoenale 3/2017 (zit. Godenzi, forumpoenale 2017).

Goldschmid Peter/Thommen Marc, Urteilsbesprechung, forumpoenale 3/2011 (zit.

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