zu 18.441 Parlamentarische Initiative Indirekter Gegenentwurf zur VaterschaftsurlaubsInitiative Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 15. April 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 22. Mai 2019

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 15. April 20191 betreffend die parlamentarische Initiative «Indirekter Gegenentwurf zur Vaterschaftsurlaubs-Initiative» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. Mai 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 4. Juli 2017 wurde die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» eingereicht (18.052). Sie will den Bund verpflichten, einen mindestens vierwöchigen gesetzlich vorgeschriebenen und über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigten Vaterschaftsurlaub einzuführen.

In seiner Botschaft vom 1. Juni 20182 beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten, die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

Am 21. August 2018 beschloss die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S), der Volksinitiative einen indirekten Gegenvorschlag3 in Form einer Kommissionsinitiative gegenüberzustellen. Diese beinhaltet einen zweiwöchigen bezahlten Vaterschaftsurlaub, den erwerbstätige Väter in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes am Stück oder tageweise beziehen können. Anspruch auf den Urlaub sollen Männer haben, die mit der Geburt eines Kindes rechtlich dessen Vater werden. Der indirekte Gegenvorschlag sieht vor, im Obligationenrecht (OR)4 den arbeitsrechtlichen Anspruch auf den zweiwöchigen Urlaub zu verankern sowie die Ferienkürzung und die Kündigungsfrist im Falle von nicht bezogenem Urlaub zu regeln. Im Erwerbsersatzgesetz vom 25. September 19525 (EOG) wären die Voraussetzungen und Modalitäten für die Entschädigung geregelt. Finanziert würde der Vaterschaftsurlaub gleich wie die Mutterschaftsentschädigung über die EO.

Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N), der auch die Beratung der erwähnten Volksinitiative zugewiesen worden ist, stimmte dem Beschluss der SGK-S am 20. September 2018 zu.

Die SGK-S hiess am 6. November 2018 einen Gesetzesvorentwurf samt erläuterndem Bericht gut und eröffnete am 16. November 2018 das Vernehmlassungsverfahren. Die Vernehmlassung dauerte bis zum 2. März 2019.6 Am 15. April 2019 nahm die SGK-S die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis und hiess den Berichtsund Erlassentwurf gut. Sie lud den Bundesrat mit Schreiben vom 24. April 2019 zur Stellungnahme ein.

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BBl 2018 3699 Der Bundesrat verwendet in Übereinstimmung mit Art. 73a Abs. 2 BPR den Begriff «indirekter Gegenvorschlag», da es sich bei der Vorlage um einen Vorschlag auf Gesetzesstufe handelt.

SR 220 SR 834.1 Die Vernehmlassungsunterlagen und die Ergebnisse der Vernehmlassung sind zu finden unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > PK.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Beurteilung des Entwurfs der Kommission

Der Bundesrat erachtet die Förderung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen als wichtig. Dazu zählt auch ein Vaterschaftsurlaub. Allerdings priorisiert der Bundesrat den bedarfsgerechten Ausbau der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuungsangebote.

Nach Ansicht der SGK-S würde die Einführung eines vierwöchigen Vaterschaftsurlaubs die Wirtschaft mit zu umfangreichen zusätzlichen Abgaben belasten, und Unternehmen würden vor grosse organisatorische Herausforderungen gestellt. Aus diesem Grund schlägt die Kommission in der Form des indirekten Gegenvorschlags als Kompromiss einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub vor. Ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub wäre mit den Bedürfnissen der Wirtschaft grundsätzlich eher vereinbar und für KMU sowie Kleinstbetriebe organisatorisch einfacher umsetzbar als ein vierwöchiger Vaterschaftsurlaub. Dennoch würden die Arbeitgeber mit zusätzlichen Abgaben belastet, auch wenn die mit der Einführung eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs einhergehenden Mehrkosten teilweise kompensiert würden, weil sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer paritätisch an der Finanzierung beteiligten. Ausserdem würden die Unternehmen in ihrer Organisationsfreiheit eingeschränkt.

Der Bundesrat kann die in verschiedenen Stellungnahmen zur Vernehmlassungsvorlage geäusserte Meinung nachvollziehen, wonach die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs weiterhin in der Verantwortung der Arbeitgeber respektive der Sozialpartner bleiben soll. Im Rahmen einer betrieblichen Lösung kann ein Arbeitnehmer seine individuellen Bedürfnisse anbringen, während die Arbeitgeber ihre betrieblichen Möglichkeiten prüfen können, um gemeinsam massgeschneiderte Lösungen zu finden. Der Bundesrat gibt deshalb einer vertraglichen gegenüber einer gesetzlichen Regelung des Vaterschaftsurlaubs den Vorzug. Auf diese Weise ist am ehesten gewährleistet, dass den unterschiedlichen Bedürfnissen der Vertragsparteien Rechnung getragen wird.

Der Vaterschaftsurlaub zählt zwar zu den Massnahmen, die zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit beitragen. Allerdings kommt diese Massnahme nur jungen Familien unmittelbar nach der Geburt des Kindes zugute.

Der Bundesrat priorisiert hingegen den bedarfsgerechten Ausbau der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuungsangebote, denn diese Angebote sind auch im
Vorschul- und Schulalter des Kindes von entscheidender Bedeutung für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Diese Massnahmen bieten deshalb nach Ansicht des Bundesrates ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis als ein Vaterschaftsurlaub. Der Bundesrat hält daher an seiner Priorisierung in der Familienpolitik fest. In diesem Zusammenhang kann auf die Finanzhilfen des Bundes an Kantone und Gemeinden, welche die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung senken, verwiesen werden. Zudem fördert der Bund Projekte, mit denen Betreuungsangebote besser auf die Bedürfnisse berufstätiger Eltern ausgerichtet

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werden.7 Diese beiden Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind per 1. Juli 2018 in Kraft getreten. Zudem hat das Parlament Ende 2018 beschlossen, das Impulsprogramm des Bundes zur Schaffung von neuen familienergänzenden Betreuungsplätzen zu verlängern.8 Die Botschaft zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung, die dem Parlament am Ende des ersten Semesters 2019 überwiesen werden soll und unter anderem einen Betreuungsurlaub für gesundheitlich schwer beeinträchtigte Kinder vorsieht, ist ein weiterer Schwerpunkt der Familienpolitik des Bundesrates.

2.2

Finanzielle Auswirkungen auf die Erwerbsersatzordnung

Der im indirekten Gegenvorschlag der SGK-S vorgesehene zweiwöchige Vaterschaftsurlaub würde 2022 in Kraft treten. Gemäss Berechnungen der Verwaltung würde der Urlaub im Jahr 2022 rund 230 Millionen Franken kosten. Diese Mehrausgaben hätten eine Erhöhung des EO-Beitragssatzes um 0,06 Prozentpunkte zur Folge. Der EO-Beitragssatz müsste deshalb per 1. Januar 2022 von heute 0,45 Lohnprozent auf 0,5 Lohnprozent angehoben werden, damit der Bestand der flüssigen Mittel und der Anlagen des EO-Ausgleichsfonds nicht unter 50 Prozent der jährlichen EO-Ausgaben fällt, so wie dies Artikel 28 Absatz 2 EOG vorschreibt.

Auf Initiative des Parlaments oder des Bundesrates laufen derzeit weitere Gesetzgebungsprojekte im Bereich der EO:

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Die Botschaft zur Änderung des Erwerbsersatzgesetzes, die eine länger dauernde Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen vorsieht, wurde dem Parlament am 30. November 2018 zur Beratung überwiesen.9 Die Kosten für die längere Ausrichtung der Mutterschaftsentschädigung werden für das Jahr 2030 auf rund 7 Millionen Franken geschätzt, was einem EO-Beitragssatz von 0,0015 Lohnprozent entsprechen würde. Die geringen Kosten würden keine zusätzlichen Finanzierungsquellen erfordern und könnten über die aktuellen EO-Ressourcen finanziert werden.

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Der Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative Romano (13.478 «Einführung einer Adoptionsentschädigung») sieht für erwerbstätige Eltern einen über die EO finanzierten Adoptionsurlaub von zwei Wochen vor, wenn ein unter vierjähriges Kind adoptiert wird. Die SGK-N hat an ihrer Sitzung vom 16. November 2018 entschieden, dem Nationalrat die Abschreibung der parlamentarischen Initiative zu beantragen. In seiner Sitzung vom 22. März 2019 hat der Nationalrat die Abschreibung der parlamentarischen Initiative abgelehnt. Gemäss Berechnungen der Verwaltung würde ein solcher Adoptionsurlaub voraussichtlich rund 200 000 Franken pro Jahr kosten. Dieser Vgl. Botschaft vom 29. Juni 2016 zur Änderung des Bundesgesetzes über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung, BBl 2016 6377.

www.bsv.admin.ch > Publikationen & Service > Medienmitteilungen > 7.12.2018, Familienergänzende Kinderbetreuung: Details der Programmverlängerung geregelt.

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Betrag würde für die EO eine verhältnismässig geringe Belastung darstellen.

Der heutige Beitragssatz müsste daher nicht erhöht werden.

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Die Botschaft zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung sollte am Ende des ersten Semesters 2019 zuhanden des Parlaments verabschiedet werden. Sie sieht insbesondere einen über die EO finanzierten Betreuungsurlaub von höchstens 14 Wochen für die Betreuung gesundheitlich schwer beeinträchtigter Kinder vor. Die Kosten eines solchen Urlaubs werden auf rund 74 Millionen Franken im Jahr 2030 geschätzt, was einer Erhöhung des EO-Beitragssatzes um 0,016 Prozentpunkte entsprechen würde.

Würden nebst einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ein 14-wöchiger Betreuungsurlaub sowie eine Adoptionsentschädigung eingeführt und die Mutterschaftsentschädigung bei der Hospitalisation des Neugeborenen länger ausgerichtet, so würde eine Erhöhung des EO-Beitragssatzes auf 0,5 Lohnprozent nicht ausreichen, um die gesamten Ausgaben der EO zu decken. Entsprechend müsste der in Artikel 27 Absatz 2 EOG festgelegte maximale Beitragssatz von heute 0,5 Prozent angepasst werden, damit der EO-Beitragssatz entsprechend erhöht werden könnte.

2.3

Fazit

Der Bundesrat ist der Meinung, dass ein bedarfsgerechter Ausbau der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuungsangebote und der Betreuungsurlaub für Eltern von schwer kranken Kindern ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen als ein Vaterschaftsurlaub. Deshalb hält er an seiner Prioritätensetzung in der Familienpolitik fest. Ausserdem hält er individuelle Lösungen in Gesamtarbeitsverträgen und auf Betriebsebene für flexibler als einen gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass neue Vorschläge für einen Leistungsausbau in der EO im Lichte laufender Gesetzesvorhaben behandelt werden müssen, damit die Finanzierung der EO auch in Zukunft gewährleistet werden kann.

Aus diesen Gründen spricht sich der Bundesrat gegen den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub aus.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Entwurfs der SGK-S.

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