zu 19.476 Parlamentarische Initiative Gewährleistung der Ergänzungsleistungen ehemaliger Verdingkinder und Administrativversorgter Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 29. Oktober 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 27. November 2019

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 29. Oktober 20191 betreffend die parlamentarische Initiative «Gewährleistung der Ergänzungsleistungen ehemaliger Verdingkinder und Administrativversorgter» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. November 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 3. September 2019 reichte die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) die parlamentarische Initiative «Gewährleistung der Ergänzungsleistungen ehemaliger Verdingkinder und Administrativversorgter» ein (19.476). Sie verlangt, dass die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 30. September 20162 über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) so angepasst werden, dass die Genugtuung für die Opfer der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen den Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL) nicht beeinträchtigt.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Beurteilung des Entwurfs der Kommission

Dem Bundesrat ist die Aufarbeitung der früheren fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen ein grosses Anliegen. Um den Opfern schneller zu helfen, hat er einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen (Wiedergutmachungsinitiative)» ausgearbeitet. Dieser ermöglicht eine Anerkennung und Wiedergutmachung des Unrechts und des Leides, das den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen in der Schweiz zugefügt worden ist.

Das am 1. April 2017 in Kraft getretene AFZFG sieht als Wiedergutmachung einen Solidaritätsbeitrag vor, der pro Opfer insgesamt höchstens 25 000 Franken beträgt (Art. 7). Dieser Solidaritätsbeitrag soll nach Artikel 4 nicht zur Reduktion von Leistungen der Sozialhilfe und von Leistungen gemäss dem Bundesgesetz vom 6. Oktober 20063 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) führen. Für die Berechnung der Ergänzungsleistungen wurde dieser Grundsatz jedoch eingeschränkt. Vermögenserträge auf dem Solidaritätsbeitrag werden in der EL-Berechnung berücksichtigt. Ausserdem wird der Solidaritätsbeitrag als Teil des Vermögens berücksichtigt.

In der Botschaft zum AFZFG4 gibt der Bundesrat an, dass es zu Recht als stossend empfunden würde, wenn der Staat mit der einen Hand Solidaritätsbeiträge als Geste der Anerkennung des erlittenen Unrechts an die Opfer auszahlen und mit der anderen Hand einen Teil dieser Beiträge wieder zurückfordern würde. Die Ausnahme für die EL-Berechnung wird in der Botschaft zwar explizit erwähnt, steht aber dennoch in einem gewissen Widerspruch zum Grundsatz, wonach der Solidaritätsbeitrag nicht zur Reduktion von Sozial- und Ergänzungsleistungen führen soll. Der Bundesrat unterstützt deshalb das Anliegen der parlamentarischen Initiative «Gewährleis2 3 4

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tung der Ergänzungsleistungen ehemaliger Verdingkinder und Administrativversorgter» (19.476). Er begrüsst insbesondere, dass die aufgrund der Anrechnung des Solidaritätsbeitrags erfolgten EL-Kürzungen aufgehoben werden und ein Betrag im Umfang der Kürzungen den Betroffenen zurückerstattet wird.

2.2

Finanzielle Auswirkungen auf die EL

Von den rund 9000 Personen, die ein Gesuch um Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrages gestellt haben, beziehen nach gegenwärtigem Kenntnisstand 828 Personen Ergänzungsleistungen. Von diesen Personen ist jedoch nur ein Teil von der Änderung betroffen, da bei den Ergänzungsleistungen ein Freibetrag für das Vermögen gilt. Die Nachzahlungen werden auf insgesamt rund 0,6 Millionen Franken geschätzt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die effektive Nachzahlungssumme unter dieser Schätzung liegt. Bisher haben sich 20 betroffene Personen gemeldet.

2.3

Finanzielle Auswirkungen auf den Bund und die Kantone

Die parlamentarische Initiative hat nur bezüglich der Ergänzungsleistungen Auswirkungen auf den Bund und die Kantone. Ab 2018 müsste ein Betrag von insgesamt rund 0,6 Millionen Franken rückerstattet werden, was für den Bund rund 0,2 Millionen Franken und für die Kantone rund 0,4 Millionen Franken ausmacht.

2.4

Fazit

Der Bundesrat ist der Meinung, dass das Anliegen der parlamentarischen Initiative berechtigt ist. Der Solidaritätsbeitrag soll den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen uneingeschränkt zukommen und daher auch zu keiner Reduktion der Ergänzungsleistungen führen. Die bereits vorgenommenen EL-Kürzungen müssen aufgehoben und an die betroffenen Personen rückvergütet werden.

Aus diesem Grund stimmt der Bundesrat der parlamentarischen Initiative zu.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Eintreten auf die Vorlage und Zustimmung zum Antrag der SGK-S.

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